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Monika Felten

Die Saga von Thale

Folge III:
Die Nacht der Lichter

Roman

hockebooks

10

Wartend schwebten die beiden körperlosen Wächter vor der gewaltigen phosphoreszierenden Kugel.

Es war noch nicht an der Zeit, die nächste Runde zu beginnen, und so hingen sie schweigend und schwerelos in der Unendlichkeit der fremden Dimension.

Ihre einzige Aufgabe bestand darin, die Kugel und deren Bewohner zu bewachen, und so achteten sie nicht auf den hellen orangefarbenen Stern, der sich ihnen mit unglaublicher Geschwindigkeit aus den Tiefen des Raumes näherte. Ungehindert durchstieß er die äußere Hülle der Kugel und verschwand mit einem zischenden Geräusch in ihrem Inneren. Das Geräusch riss die Wächter aus ihrer Lethargie. Kaum hatten sie damit begonnen, nach dem Grund dafür zu suchen, als eine heftige Detonation die Kugel erschütterte und sie in einem gewaltigen Feuerball explodieren ließ. Unvorstellbare Energien wurden freigesetzt. Die Druckwelle ergriff die überraschten Wächter und schleuderte sie weit in die Finsternis hinaus. Zurück blieb eine wogende, glitzernde Wolke aus reinem Sternenstaub.

Zunächst nur langsam, doch dann immer schneller formte sich aus den wirbelnden Teilchen eine silbern leuchtende Gestalt von unbeschreiblicher Anmut und Eleganz. Ihr Gewand schien aus Sternen gewoben und ihr Haar glich flüssigem Gold. In ihrer rechten Hand hielt sie den Stab der Weisheit und auf ihren Lippen zeigte sich ein glückliches Lächeln. Nichts konnte sie jetzt noch davon abhalten, diesen finsteren und lebensfeindlichen Ort zu verlassen.

Sie war frei!

Das schlagende Geräusch großer Flügel riss Vhait aus seinem unruhigen Schlaf und ließ ihn erschrocken aufspringen. Die Klinge seines Schwertes blitzte im Mondschein, als er es mit einer fließenden Bewegung aus der Scheide zog, während er sich gleichzeitig nach dem Verursacher der Geräusche umsah. Doch der Himmel über der kleinen Lichtung war leer und auch das Rauschen in der Luft war schon wieder verschwunden. Angespannt lauschte und starrte Vhait in die Nacht hinaus, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches entdecken.

Als er schon glaubte, sich getäuscht zu haben, ließ ihn ein lautes Rascheln und Knacken in dem Gebüsch hinter seinem Rücken herumfahren. Es klang, als nähere sich etwas sehr Großes der Lichtung, und Vhait trat einige Schritte zurück, um für einen möglichen Kampf die bessere Position zu haben.

Das Erste, was er sah, war der riesige Kopf des Riesenalps, der viele Längen über den Büschen auftauchte. Mit wiegenden Bewegungen schritt der große graue Vogel auf ihn zu, wobei er seinen massigen Leib achtlos über das dornige Brombeergestrüpp hinwegschob.

»Was willst du von mir?«, rief Vhait dem Riesenalp entgegen und hob drohend sein Schwert. Doch der Vogel schien ihn gar nicht zu beachten. Sowie seine Krallen das weiche Gras der Lichtung berührten, ließ er sich nieder und hinter seinem gefiederten Nacken erschien das vertraute Gesicht Sunnivahs.

»Steck dein Schwert ein, Vhait!«, rief sie ihm zu und winkte. »Er ist unser Freund.«

»Sunnivah!« Vhait war so überrascht, dass ihm die Worte fehlten.

»Schnell, Vhait, nimm deine Sachen und komm zu mir herauf«, rief Sunnivah ungeduldig. »Wir dürfen keine Zeit verlieren.«

Vhait zögerte zunächst, kam dann aber doch Sunnivahs Aufforderung nach. Ohne den Riesenalp aus den Augen zu lassen, der ihn seinerseits gleichgültig anblickte, ging er zu seinem Lager und rollte die Decken zusammen. Als er alles beisammen hatte, trat er neben den Vogel und sah zweifelnd zu Sunnivah hinauf, die zwischen den Flügeln des Riesenalps auf ihn wartete. Erst jetzt sah er, dass sie etwas in den Armen hielt. Es war eine feurige Kugel, die einen so hellen Glanz verbreitete, dass Vhait sich verwundert fragte, warum Sunnivah sich nicht daran verbrannte.

»Was ist das?«, fragte er und deutete auf die Kugel.

»Das erzähle ich dir später«, erwiderte Sunnivah. »Lass erst einmal die Pferde frei und komm herauf.«

Vhait stellte sein Bündel neben dem Vogel auf die Lichtung und gab den beiden Pferden die Freiheit. Dann schulterte er sein Gepäck, suchte aber vergeblich nach einer Möglichkeit, auf den Rücken des Vogels zu gelangen.

Plötzlich breitete der Riesenalp seinen Flügel aus. »Das ist eine Einladung«, sagte Sunnivah lächelnd. »Klettere ruhig den Flügel hinauf.«

Kjelts erste Versuche, die Sturmleiter zu besteigen, waren kläglich gescheitert. Immer wieder war seine Leiter von den Kriegern auf den Zinnen umgestürzt worden und er konnte von Glück sagen, dass er bisher nur einige Prellungen davongetragen hatte. Doch obwohl es schon weit nach Mitternacht sein musste und er um die großen Verluste unter seinen Männern wusste, dachte Kjelt nicht daran, aufzugeben. Als könne er Nimrod allein durch seinen eisernen Willen erobern, stellte er die Sturmleiter erneut an und begann hinaufzuklettern.

Als er sie zur Hälfte bestiegen hatte, riss die dichte Bewölkung über der Ebene plötzlich auf und ein rauschender Ton erfüllte die Luft. Angreifer wie Verteidiger verharrten in ungläubigem Staunen und wandten ihre Gesichter einem großen geflügelten Wesen zu, das sich ihnen aus dem hellen Mondlicht hinter den Wolken mit rasender Geschwindigkeit näherte. Als es heran war, erkannten die Rebellen, dass es sich bei dem Tier um denselben riesenhaften Vogel handelte, der ihnen schon so manches Mal geholfen hatte, und sie begrüßten ihn mit lautem Jubel.

Doch der Vogel kam nicht allein. Auf seinem Rücken saßen zwei Menschen. Einer von ihnen hielt einen glühenden Feuerball in den Händen. In raschem Gleitflug schoss der Vogel über die Kämpfenden hinweg, direkt auf das große Tor der Festungsstadt zu. Die schwarzen Krieger auf den Zinnen begannen sofort ihre todbringenden Blitze gegen den unverhofften Angreifer zu schleudern. Doch die grünen Strahlen hatten längst nicht mehr die Kraft, mit der sie noch am Abend die Belagerungstürme vernichtet hatten, und erreichten den Vogel nicht.

Immer dichter flog der Riesenalp an die Mauer heran. Dann hatte er sein Ziel erreicht. Eine der Gestalten auf seinem Rücken erhob sich und schleuderte die glühende Kugel gegen das Tor der Festungsstadt. Wenige Augenblicke geschah nichts, doch dann erschütterte eine gewaltige Detonation den Boden und riss ein riesiges Loch in die Festungsmauer. Mit einem Satz war Kjelt von der Leiter. Auch seine Männer reagierten sofort. Ungeachtet des dichten Pfeilhagels der Bogenschützen und der tödlichen Blitze, welche die schwarzen Krieger auf sie herabregnen ließen, stürmten sie unter lauten Siegesschreien durch das geöffnete Tor in die Stadt.

Der Riesenalp flog einen weiten Bogen und steuerte dann wieder auf die Festungsstadt zu. Er hatte sein ganzes Geschick aufwenden müssen, um in der Druckwelle, die der gewaltigen Detonation folgte, sein Gleichgewicht zu halten und die beiden Menschen auf seinem Rücken vor einem Sturz in die Tiefe zu bewahren. »Wohin soll ich jetzt fliegen?« Seine lautlose Frage galt Sunnivah.

»Ich muss in den Thronsaal.« Sunnivah reckte sich und versuchte in dem spärlichen Licht zu erkennen, ob der große Vogel irgendwo in der Nähe der inneren Festung ungehindert landen konnte. Doch in den Straßen der Stadt waren bereits überall heftige Kämpfe entbrannt. Häuser standen in Flammen und die Bewohner versuchten verzweifelt, sich irgendwo in Sicherheit zu bringen. Nirgends gab es ausreichend Platz für eine Landung.

»Vhait?«, rief Sunnivah und der heftige Wind riss ihr die Worte von den Lippen. »Ich muss so schnell wie möglich in den Thronsaal. Weißt du einen Ort, wo wir landen können?«

Vhait verstand sie trotzdem. »Die alten Höhlen der Kuriervögel«, rief er. »Sie befinden sich in der Felswand auf der anderen Seite der Festung und haben einen direkten Zugang zum Thronsaal.«

»Genau das, was wir brauchen!«

»Kennst du die alten Höhlen der Kuriervögel, Freund?« Sunnivahs stumme Frage galt wieder dem Riesenalp.

»Ich bin niemals dort gewesen«, erklärte der Vogel, »doch ich weiß, wo sie sich befinden.«

»Dann flieg uns schnell dorthin«, bat Sunnivah.

Der Riesenalp breitete die Schwingen aus und begann zu steigen. In weitem Bogen umrundete er die Festungsstadt und nahm Kurs auf die massiven, steilen Felswände, an deren Flanke sich die Festung mit ihrer Rückseite schmiegte. Hier gab es noch keine Kämpfe, aber die fliehenden Menschen verstopften schon die engen Gassen und machten ein Fortkommen unmöglich. Sunnivah konnte nur hoffen, dass Vhait recht behielt. Sollte sie gezwungen sein, die Straßen der Festung zu benutzen, würde sie den Thronsaal niemals rechtzeitig erreichen.

»In welcher soll ich landen?«, fragte der Riesenalp. Sunnivah hob den Blick und erkannte hoch oben in der Felswand drei unregelmäßige Öffnungen, die auf einer Linie nebeneinander in den Fels gehauen waren. »In welche Höhle müssen wir?«, gab sie die Frage an Vhait weiter und spürte, wie sich der junge Krieger hinter ihr reckte, um einen Blick über ihre Schulter zu werfen. »In die linke!« Sunnivah gab die Antwort sofort an den Riesenalp weiter und nur wenige Augenblicke später tauchte der große Vogel in die Dunkelheit der riesigen Höhle ein. Flügelschlagend kam er zum Stehen, konnte jedoch nicht verhindern, dass seine kräftigen Krallen einige Längen über den glatten Höhlenboden kratzten. Die stahlharten Hornkrallen verursachten auf dem Gestein ein verräterisch schabendes Geräusch, das von den kahlen Wänden der Höhle noch verstärkt wurde.

»Jedenfalls kann man uns nicht vorwerfen, dass wir uns hereingeschlichen hätten«, murmelte Vhait, als er hinter Sunnivah vorsichtig über den ausgestreckten Flügel des Riesenalps zu Boden stieg.

»Leise!« Sunnivah legte mahnend den Finger auf die Lippen und sah sich um.

»Keine Sorge, Sunnivah«, erwiderte Vhait. »Hier ist niemand. Seit An-Rukhbar über Thale herrscht, wurden diese Höhlen nicht mehr benutzt. Es ist sogar verboten, sie zu betreten.«

»Woher kennst du sie dann?« Noch immer ließ Sunnivah ihren Blick aufmerksam an den Felswänden entlanggleiten.

»Nun …« Vhait lächelte plötzlich. »Ich war eben schon immer sehr abenteuerlustig und um Verbote kümmerte ich mich damals wenig.«

Sunnivah lächelte ebenfalls, ging aber nicht weiter darauf ein. »Wohin müssen wir jetzt?«, fragte sie und zog ihr Kurzschwert.

»Dort hinüber!« Vhait deutete auf den hintersten und dunkelsten Teil der Höhle. »Hoffentlich finden wir an den Wänden noch irgendwo eine alte Fackel.«

»Dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren.« Entschlossen machte sich Sunnivah auf den Weg. Doch dann fiel ihr noch etwas ein. »Danke, Freund«, wandte sie sich in Gedanken noch einmal an den Riesenalp. »Du warst mir eine große Hilfe, doch den Rest meines Weges muss ich ohne dich gehen. Warte hier nicht auf mich. Die Göttin beschütze dich, mein Freund.«

Der Riesenalp senkte seinen Kopf und blinzelte. »Ich wünsche dir viel Glück, Sunnivah.« Leise, fast traurig ertönten seine Worte in ihren Gedanken. Dann drehte er sich um, trat aus der Höhle und verschwand mit wenigen kräftigen Flügelschlägen in der Nacht.

»Sunnivah, ich habe so etwas wie eine Fackel gefunden!« Vhaits gedämpfte Worte erklangen irgendwo aus dem hinteren Teil der Höhle. Dort flackerte in unregelmäßigen Abständen ein schwacher Lichtschein auf und machte es Sunnivah leicht, ihren Gefährten zu finden. Endlich gelang es Vhait, ein langes morsches Holzstück in Brand zu setzen. Zufrieden hob er es in die Höhe. »Das ist zwar keine richtige Fackel, aber immer noch besser als im Dunkeln herumzulaufen. Für unseren Weg wird es reichen.«

Die ersten Eindrücke, die in Asco-Bahrrans Bewusstsein drangen, dienten nicht gerade dazu, den pochenden Schmerz hinter seinen Schläfen zu lindern. Der Raum, in dem sich sein Lager befand, war erfüllt von den Geräuschen hektischer Geschäftigkeit, die viel zu oft von dem Stöhnen und Schreien schmerzgepeinigter Männer und Frauen unterbrochen wurde. Die Luft war stickig und verbraucht. Jeder Atemzug brachte einen unerträglichen Gestank nach Schweiß, Blut und beißendem Kräuterdampf mit sich, auf den der leere Magen des Meistermagiers heftig reagierte. Er hatte keine Ahnung, wo er war und wie er dorthin gekommen war. Das Einzige, was er wusste, war, dass er sich noch nie in seinem Leben so schlecht gefühlt hatte. Alle Kraft schien aus seinem Körper gewichen zu sein. Seine Arme und Beine spürte er so gut wie gar nicht und es kostete ihn große Mühe, die Augen zu öffnen.

»Oh, Meistermagier, Ihr seid endlich erwacht!« Die helle freundliche Stimme gehörte einer jungen Frau im schlichten grauen Gewand der Heilerinnen, die offenbar an seinem Lager gewacht hatte. Asco-Bahrran versuchte zu antworten, doch seine Kehle war wie ausgetrocknet und seine Stimme nicht mehr als ein heiseres Krächzen.

»Wartet, ich gebe Euch etwas Wasser.« Asco-Bahrran spürte, wie die Heilerin seinen Kopf anhob und ihm einen Becher mit frischem Wasser an die Lippen setzte. Die kühle Flüssigkeit erweckte die Lebensgeister des Meistermagiers zu neuem Leben. Noch bevor er den zweiten Becher geleert hatte, konnte er aus eigener Kraft sitzen. Auch sein Blick wurde wieder klar, sodass er endlich erkennen konnte, wo er sich befand.

Der große Saal der Heilerinnen war zum Bersten mit verwundeten Kriegern gefüllt. Überall saßen, standen oder lagen Verletzte, zwischen denen die Heilerinnen von einem zum anderen gingen, um Verbände zu wechseln, Kräutermedizin zu verteilen oder einem Sterbenden die Hand zu halten. Vier Krieger waren vollauf damit beschäftigt, immer wieder Tote aus dem Saal zu bringen, um Platz für neue Verwundete zu schaffen.

Die Schlacht! Plötzlich erinnerte sich Asco-Bahrran wieder, was geschehen war. Und der Stab! Die Verräterin hatte ihn noch immer! Ein seltsames Wesen, halb Wolf, halb Mensch, hatte ihn angegriffen und seinen mächtigen Zauber mit dem Pulver aus Riesenalpkrallen zerstört. Wie lange mochte das her sein? Bei den Toren! Wie konnte er hier herumliegen! Er musste verhindern, dass die Göttin den Stab zurückbekam! Und die Schlacht. Er musste sich um die Schlacht kümmern. Die Magie der Kristalle würde nicht ewig anhalten und musste dringend erneuert werden. Hastig schlug Asco-Bahrran die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Doch seine Beine versagten ihm den Dienst. Nur der schnellen Reaktion der Heilerin hatte er es zu verdanken, dass er nicht zu Boden stürzte.

»Meistermagier, seid Ihr noch bei Verstand?«, schalt die Heilerin erschrocken. »Was ist bloß in Euch gefahren?«

Asco-Bahrran verzichtete auf eine Antwort. Kraftlos ließ er sich auf sein Lager sinken und sagte leise: »Schickt sofort nach Meister Akim, er soll …«

»Aber Meister Akim ist tot!«, unterbrach ihn die Heilerin. »Ein Pfeil der Rebellen durchbohrte sein Herz, als er oben auf der Festungsmauer stand. Wir konnten nichts mehr für ihn tun.«

Tot? Die unerwartete Nachricht warf die Pläne des Meistermagiers durcheinander, doch er überlegte nicht lange und sagte: »Dann schickt mir zwei andere Magier her. Und sagt ihnen, sie sollen mein Medium mitbringen.« Ich muss unverzüglich erfahren, was inzwischen geschehen ist, fügte er in Gedanken hinzu.

»Naemy, hörst du mich?«

»Sunnivah!« Überrascht stellte die Nebelelfe den Wasserkrug aus der Hand und reichte dem Verwundeten neben sich etwas zu trinken. Obgleich sie wegen ihrer schmerzhaften Beinverletzung noch immer nicht richtig gehen konnte, tat sie ihr Möglichstes, um den Frauen im Heerlager dabei zu helfen, die Verwundeten zu versorgen. Es war ein grausamer Wettlauf gegen die Zeit, den sie nur allzu oft verloren. Je länger die Schlacht dauerte, desto entsetzlicher wurden die Verletzungen der Verwundeten. Naemy wagte nicht daran zu denken, wie viele der tapferen Kämpfer bereits auf dem Weg zurück ins Lager starben. Und auch denen, die den Transport überstanden, konnte viel zu oft nicht mehr geholfen werden.

Sunnivahs Stimme erreichte Naemy wie ein Sonnenstrahl in der Nacht. Sofort zog sie sich in eine ruhige Ecke zurück, um ungestört zu sein. »Naemy, ich bin in der Festung«, berichtete Sunnivah. »Vhait führt mich jetzt zum Thronsaal.«

»Was hast du vor?«, wollte die Nebelelfe wissen.

»Das weiß ich selbst noch nicht«, kam Sunnivahs ehrliche Antwort. »Die Göttin hat mir aufgetragen, in den Thronsaal zu gehen. Dort soll ich das Tor zu An-Rukhbars Dimension öffnen.«

Der Thronsaal! Plötzlich war Naemy es leid, tatenlos herumzusitzen. Sunnivah brauchte ihre Hilfe. Naemy schloss die Augen und verbannte den Schmerz in ihrem Bein in einen der hintersten Winkel ihres Bewusstseins. Wieder ärgerte sie sich, dass sie die Zwischenwelt wegen des Quarlins nicht betreten konnte. Das hätte ihr den Weg sehr vereinfacht.

Um den Quarlin würde sie sich später kümmern müssen. Entschlossen schob sie die trüben Gedanken zur Seite und holte ihre Waffen. Dann stahl sie eines der Packpferde und machte sich eilig auf den Weg zur Festungsstadt.

Wütend zog der Meistermagier seine Hand vom Kopf des Mediums zurück. Er spürte ganz deutlich, dass der Mann neue, vermutlich wichtige Botschaften aufgefangen hatte, konnte sie jedoch nicht erreichen. Das Pulver aus Riesenalpkrallen hatte nicht nur seinen Zauber zerstört, es hatte ihm auch seine magischen Fähigkeiten genommen. Asco-Bahrran war verzweifelt. Nicht im Traum hatte er damit gerechnet, dass so etwas geschehen könnte.

»Schlechte Neuigkeiten?« Die besorgte Frage des Magiers brachte Asco-Bahrran auf eine Idee. Wenn er sich nicht allzu ungeschickt anstellte, musste keiner etwas von seinem Versagen erfahren.

»Man soll die Wachen vor dem Thronsaal sofort verstärken«, befahl er. »Es ist zu befürchten, dass die Rebellen versuchen werden, den Erhabenen selbst anzugreifen.« Eine solche Schlussfolgerung zu treffen war nicht sonderlich schwer, selbst wenn Asco-Bahrran die Gedanken des Mediums verschlossen blieben. Der Magier nickte und verließ den Raum.

»Was ist mit den Kristallen?« Der zweite Magier hob den Korb mit den erloschenen Kristallen in die Höhe und sah den Meistermagier fragend an. Asco-Bahrran bemühte sich um einen leidenden Gesichtsausdruck und seufzte erschöpft. »Berichte dem Anführer der Cha-Gurrline, dass ich zu geschwächt bin, einen solch mächtigen Zauber nochmals zu vollbringen.« Ermattet ließ er sich auf das Kissen zurücksinken.

»Aber die Rebellen stehen bereits vor den Toren der inneren Festung«, erwiderte der Magier. »Ohne die Unterstützung durch die Magie wird es unseren Kriegern nur schwer gelingen, sie zurückzudrängen.«

Asco-Bahrran seufzte noch einmal übertrieben und sagte, ohne die Augen zu öffnen: »Richte dem Anführer der Cha-Gurrline aus, dass ich vollstes Vertrauen in die Fähigkeiten seiner Männer habe. Darüber hinaus fordere ich jeden Magier dazu auf, bei der Verteidigung der inneren Festung nach Kräften mitzuwirken und die Krieger auf den Mauern zu unterstützen.«

Enttäuscht blickte der junge Magier auf die erloschenen Steine in dem Korb. »Aber wir brauchen dringend …«

»Der Meistermagier braucht seine Ruhe«, unterbrach ihn die Heilerin bestimmt und schob ihn in Richtung Tür. Dann winkte sie zwei Krieger heran und trug ihnen auf, das Medium in die Gewölbe der Magier zurückzubringen. »Ihr solltet Euch besser schonen«, mahnte sie, als sie an Asco-Bahrrans Lager zurückkehrte.

Schonen! Davon konnte keine Rede sein. Im Kopf des Meistermagiers überschlugen sich die Gedanken. Er musste so schnell wie möglich zurück in seine Gemächer und seine Flucht vorbereiten. Wenn es der Verräterin tatsächlich gelungen war, der Göttin den Stab zurückzugeben, würde es in Thale bald keinen Platz mehr für ihn geben. Plötzlich erschien ihm das karge, unwirtliche Land nördlich der Finstermark längst nicht mehr so menschenfeindlich wie in der Vergangenheit. Außerhalb des Machtbereiches der Gütigen Göttin würde er in Sicherheit sein.

Die protestierenden Einwände der Heilerin missachtend erhob sich der Meistermagier und verließ mit kleinen vorsichtigen Schritten den Raum.

11

»Wir sind da!« Mit dem spärlichen Rest des brennenden Holzstückes deutete Vhait auf eine schmale, von unzähligen Spinnweben verdeckte Tür am Ende des Ganges. »Hinter dieser Tür befindet sich der Thronsaal.«

»Sieht aus, als wäre sie schon lange nicht mehr benutzt worden«, stellte Sunnivah flüsternd fest.

»Seit über fünfundzwanzig Sommern nicht mehr. Ich vermute, dass der Erhabene nicht einmal etwas von der Existenz dieser Tür weiß«, sagte Vhait leise. »Sie ist so geschickt in das Muster der Wände eingearbeitet, dass sie vom Thronsaal aus nicht zu erkennen ist.« Er ging zur Tür und verbrannte die dicken Spinnweben mit der Fackel. »Wie geht es nun weiter?«

Sunnivah machte ein bedrücktes Gesicht und zog die Schultern hoch. »Ich weiß es nicht«, gab sie kleinlaut zu. »Die Göttin hat mir aufgetragen, An-Rukhbar dazu zu bringen, das Tor in seine Dimension zu öffnen. Aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich das machen soll.« Hilfe suchend sah sie Vhait an, doch der junge Krieger schüttelte nur ratlos den Kopf. »Hat die Göttin dir wirklich nichts weiter gesagt?«, fragte er noch einmal.

»Nein. Sie sagte nur, dass wir beide es gemeinsam schaffen können.«

»Das Vertrauen deiner Göttin ehrt mich«, flüsterte Vhait. »Aber ich sehe keine andere Möglichkeit, als einfach in den Thronsaal hineinzugehen.«

»Bist du verrückt?«, fragte Sunnivah erschrocken. »Vor den Toren der Festung tobt die Schlacht. Ich bin sicher, dass sich der finstere Herrscher im Thronsaal befindet. Sobald wir die Tür öffnen, wird er uns bemerken.«

»Also gut«, erwiderte Vhait und setzte sich auf den Boden. »Du bist die Auserwählte. Ich werde tun, was du für richtig hältst.«

Unbehelligt hatte Naemy die äußeren Mauern von Nimrod erreicht. Auf der Ebene davor fanden keine Gefechte mehr statt. Das weite, flache Gelände gehörte nun den Heilerinnen, die zwischen den vielen Toten nach Verwundeten suchten, den Leichenfledderern und den Raben, die in Scharen über das Schlachtfeld herfielen und genüsslich ihre grausige Nachtmahlzeit vertilgten.

Vor dem zerstörten Tor ließ die Nebelelfe das Packpferd frei und hastete zu Fuß in die Stadt. Auch hier fanden nur noch vereinzelt Gefechte statt, da sich das Zentrum der Schlacht inzwischen vor dem Tor zur inneren Festung befand. Straße um Straße hatten sich die Rebellen bis dorthin vorgekämpft, doch an den gut befestigten Mauern war ihr schwungvoller Angriff ins Stocken geraten. Die Verteidiger waren gut vorbereitet. Unterstützt von den schwarzen Kriegern gelang es ihnen mühelos, die Mauern gegen die Rebellen zu verteidigen, und diesmal gab es niemanden, der den Rebellen zu Hilfe kam.

Dank ihrer Elfenmagie gelangte Naemy völlig unbemerkt durch die zerstörte Stadt. Tote und Verwundete beider Lager säumten ihren Weg zu Hunderten und das Leid und Elend der vielen Menschen machte ihr Herz schwer. Der Wahnsinn musste endlich ein Ende haben! Wie ein Schatten huschte die Nebelelfe durch die engen, verwinkelten Gassen von Nimrod und erreichte schließlich das Tor zur inneren Festung.

Hier tobte die Schlacht mit unverminderter Härte. Die Flammen der brennenden Häuser beleuchteten das Gemetzel und die Straßen waren rot von Blut.

Über ihr auf den Zinnen ertönte ein schrecklicher Schrei und Naemy sah, wie einer der schwarzen Krieger von Dutzenden Pfeilen getroffen über die Mauer zu Boden stürzte. Ein Cha-Gurrlin! Der Anblick der schwarzen Krieger weckte in Naemy schreckliche Erinnerungen. Sie hasste die Cha-Gurrline. Viele Elfen hatten in der Schlacht um Nimrod durch ihre Klingen den Tod gefunden. Dennoch würde sie sich nicht an dem Kampf beteiligen. Ihr Ziel lag jenseits der Mauer und sie überlegte fieberhaft, wie sie das unüberwindliche Hindernis bewältigen konnte.

Am Ende kam ihr der Zufall zu Hilfe. Plötzlich verschwanden die schwarzen Krieger von der Mauer und das Tor der inneren Festung öffnete sich für einen Ausfall. Mit wütendem Kampfgeschrei stürmten die Cha-Gurrline durch das Tor und mähten die völlig überraschten Rebellen einfach nieder. Dutzende verloren ihr Leben, bevor es ihren Anführern endlich gelang, auf den unerwarteten Angriff zu reagieren.

Naemy erkannte ihre Chance und zögerte nicht. Sie brauchte alle ihre Elfensinne, um das Kampfgetümmel vor dem Tor mit heiler Haut zu überstehen und nicht selbst verletzt zu werden, aber sie schaffte es. Atemlos gönnte sie sich eine kurze Pause in einem Hauseingang der inneren Festung, während sie beobachtete, wie der letzte Cha-Gurrlin wieder in die Festung zurückkehrte und das Tor geschlossen wurde.

Naemy sah sich um. Wenn ihre Erinnerung sie nicht täuschte, musste sich der Thronsaal irgendwo zu ihrer Rechten befinden. Vorsichtig verließ sie den Hauseingang und schlich, geschützt durch ihre Elfenmagie, aufmerksam durch die schmalen Gassen.

»Wir haben Glück, der Thronsaal ist leer!« Vhaits Stimme war nicht mehr als ein Wispern. Nach einem kurzen Blick durch den Türspalt hatte er die Tür wieder geschlossen und war zu Sunnivah zurückgekehrt.

»Leer?« Sunnivah konnte sich nicht vorstellen, dass An-Rukhbar die Verteidigung Nimrods nicht selbst überwachte.

Nach langem Zögern hatten sie sich dazu entschlossen, einen Blick hinter die Tür zu wagen, doch was Vhait im Thronsaal entdeckt hatte, widersprach all ihren Erwartungen.

»Sieh selbst!« Vhait deutete zur Tür. »Der Saal wird von ein paar Fackeln erleuchtet, ist aber absolut leer.«

Sunnivah kam seiner Aufforderung nach und warf selbst einen Blick in den Thronsaal. Sämtliche Fackeln in den eisernen Halterungen an der Wand brannten, aber der Thronsaal war verlassen. Vorsichtig öffnete Sunnivah die Tür noch ein Stück weiter, um einen besseren Blick auf den schwarzen Thron zu haben. Auch er war leer. Obwohl es nun eigentlich keinen Grund mehr gab, noch länger in dem engen Gang zu bleiben, zögerte Sunnivah. Ein unbestimmtes Gefühl warnte sie davor, den Raum zu betreten.

»Worauf wartest du, Sunnivah?«, ertönte Vhaits Stimme unmittelbar hinter ihr. »Wenn wir hier noch weiter herumstehen, werden wir gar nichts erreichen. Der Thronsaal ist leer. Es könnte gar nicht besser sein. Lass uns die Gelegenheit nutzen und hineingehen.«

Vhait hatte recht. Ihre Aufgabe war dort drinnen. Wenn sie noch lange zögerte, vergrößerte sich nur die Gefahr, dass sie entdeckt wurden. Ohne auf ihre innere Stimme zu achten, zog Sunnivah ihr Kurzschwert und öffnete die Tür. Entschlossen betrat sie den Thronsaal und sah sich um. Sie hatten sich nicht getäuscht. Außer Vhait, der gerade hinter ihr durch die Tür trat, und ihr selbst befand sich niemand in dem riesigen Saal. Vorsichtig tastete sich Sunnivah an der Wand entlang in Richtung des schwarzen Throns. Vhait folgte ihr mit dem Schwert in der Hand. Als die beiden den halben Weg zum Thron zurückgelegt hatten, fiel die kleine Holztür mit einem leisen, schnappenden Geräusch ins Schloss.

Ein Windzug?

Sunnivah fuhr erschrocken herum. Aber die Tür war verschwunden. Nahtlos fügte sie sich in das Muster der reich verzierten Wände. Kein Spalt verriet, wo sie sich befand. Und obwohl sich Sunnivah noch nicht weit von der Stelle entfernt hatte, an der sie den Thronsaal betreten hatte, war es ihr unmöglich, sie wiederzufinden. Neben sich hörte sie Vhait leise fluchen und ihr wurde klar, dass ihnen der sichere Rückweg durch die Gänge jetzt versperrt war.

Plötzlich wurde die Luft eisig. Sunnivahs Atem hing als feiner Nebel in der Luft und sie begann zu zittern. Der Thronsaal verfinsterte sich und formlose Schatten wogten durch den Raum. Direkt über dem Thron öffnete sich ein leuchtender Kreis, aber anstelle von Licht flutete eine undurchdringliche Schwärze hinein und brachte lähmende Kälte mit sich. Doch der Eindruck war flüchtig. Die Schwärze verschwand und über dem Thron entstand eine grüne Lichtsäule, die bis zum Boden hinabreichte. In ihrer Mitte erschien die in dunkles Blau gehüllte Gestalt An-Rukhbars.

»Ihr Narren!«, dröhnte seine Stimme durch den Raum und die leuchtend grünen Augen unter der weiten Kapuze funkelten böse. »Kniet nieder, Verräter, und huldigt eurem einzig wahren Herrscher.«

Sunnivah und Vhait standen wie erstarrt. Zum ersten Mal in ihrem Leben standen sie dem Erhabenen von Angesicht zu Angesicht gegenüber und spürten die abgrundtiefe Bosheit, die ihn wie ein zweiter Mantel umgab. »Auf die Knie mit euch, Nichtswürdige!«, befahl An-Rukhbar. Eine knappe Bewegung seiner Hand ließ den Boden unter ihren Füßen scheinbar verschwinden und brachte sie zu Fall. Auf allen vieren und mit schmerzenden Gelenken knieten Sunnivah und Vhait auf dem harten, kalten Steinboden und wagten nicht, sich zu rühren. Zwei dünne grüne Strahlen aus An-Rukhbars Fingern trafen zischend auf die Schwerter der Gefährten und brachten den Stahl zum Glühen. Zwei rauchende Metallklumpen waren das Einzige, was von ihnen übrig blieb.

Vhait starrte ungläubig auf die Überreste seines Schwertes. Zornig sprang er auf und zog sein Jagdmesser. »Ich werde mich nicht …« Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Kaum war er auf den Beinen, als eine winzige Geste An-Rukhbars den jungen Krieger mitten in der Bewegung erstarren ließ.

»Vhait! Oh nein!« Fassungslos starrte Sunnivah auf die regungslose Gestalt.

»Nun zu dir, Schwertpriesterin.« An-Rukhbar spie ihr die Worte mit größter Verachtung entgegen. »Du elende kleine Diebin hast gewagt mir zu trotzen und den Stab der Weisheit zu stehlen. Schade nur, dass du ohne dein kostbares Amulett nichts, aber auch gar nichts gegen mich auszurichten vermagst.«

Obwohl Sunnivah sein Gesicht nicht sehen konnte, war sie sicher, dass An-Rukhbar lächelte. »Und jetzt wirst du für deine Unverfrorenheit büßen, Sterbliche!«, drohte er. »Du wirst leiden. So lange leiden, wie noch nie ein Sterblicher gelitten hat, bis du mich um den Tod anflehst.« Langsam hob er seine Arme und streckte die Hände aus. Die Luft begann zu knistern und eine Flut von Blitzen entlud sich an Sunnivah. Jeder einzelne Einschlag verursachte ihr große Schmerzen und ließ ihren Körper unkontrolliert zusammenzucken. Sunnivah war dem Angriff An-Rukhbars wehrlos ausgeliefert. Sie hatte keine Kontrolle mehr über ihre Muskeln und wand sich hilflos auf dem eisigen Boden vor dem Thron.

An-Rukhbar lachte und weidete sich an ihrer Qual. »Wie fühlt man sich, wenn man verloren hat, Schwertpriesterin?«, fragte er höhnisch. »Ihr Sterblichen seid so schwach und eure Körper sind so zerbrechlich. Mit einem einzigen Fingerzeig könnte ich dich vernichten, aber das wäre zu einfach.« Immer mehr Blitze trafen Sunnivahs Körper und sie spürte, wie ihre Kräfte schwanden. Aber sie würde nicht schreien. Sie wusste, dass An-Rukhbar nur darauf wartete, dass sie ihr Leid hinausschrie, aber eine solche Genugtuung würde sie ihm nicht geben. Verbissen presste sie die Lippen zusammen und versuchte dem Angriff zu trotzen. Irgendwo jenseits der Schmerzen drangen An-Rukhbars höhnische Worte an ihr Ohr. »Ja, du wirst leiden. Doch der Tod wird nicht kommen. – Noch lange nicht.« Schon der nächste Angriff brach Sunnivahs Widerstand. Eine rasche Folge grüner Blitze hüllte ihren Körper ein und schien ihn zu zerreißen.

Sunnivah schrie. Nie zuvor hatte sie solche Schmerzen gespürt und wünschte sich sehnlichst, eine gnädige Ohnmacht würde ihr Bewusstsein entführen. Dann war der Angriff plötzlich vorüber. Sunnivah lag zitternd vor dem Thron und wagte nicht, sich zu rühren.

»Oh nein. Ich werde nicht zulassen, dass du dich in den Schlaf flüchtest«, hörte sie An-Rukhbar sagen. »Du wirst bei Bewusstsein bleiben und für deinen Frevel bezahlen.« Wieder knisterte die Luft und der nächste Angriff erreichte Sunnivahs Körper. Sie würde sterben. Tränen der Verzweiflung traten in ihre Augen und ihre gellenden Schreie hallten durch den Thronsaal.

Wie ein Schatten huschte Naemy durch die menschenleeren Gänge der Festung. Die Geräusche der Schlacht blieben weit hinter ihr zurück und die Stille in der Festung wirkte fast unheimlich. Jeder Krieger, der noch in der Lage war zu kämpfen, befand sich auf den Mauern der inneren Festung, und die wenigen Menschen, denen sie begegnete, waren ausnahmslos Diener oder Heilerinnen, die sich hastig ihren Weg durch die verwaisten Gänge suchten.

Als Naemy in die Nähe des Thronsaales kam, hörte sie plötzlich Schreie. Irgendwo vor ihr stand eine Frau unter unsäglichen Qualen Todesängste aus. Sunnivah? Sofort beschleunigte die Nebelelfe ihre Schritte und folgte den immer lauter werdenden Schreien. Unvermittelt fand sie sich in den Gängen wieder, die zum Thronsaal führten. Die Schreie kamen von dort! Vorsichtig näherte sie sich dem langen Flur, an dessen Ende sich der Thronsaal befand. Als sie die letzte Biegung erreicht hatte, hielt Naemy inne und spähte um die Ecke.

Vor der großen Flügeltür des Thronsaales hielten mehr als ein Dutzend bewaffneter Krieger Wache und machten es ihr unmöglich, unbemerkt hineinzugelangen. Auch Elfenmagie half ihr da nur wenig. Plötzlich ließ ein gellender Schrei die Nebelelfe zusammenfahren. Sunnivah! Es gab keinen Zweifel. Das war ganz eindeutig Sunnivahs Stimme! Sie musste ihrer Freundin helfen. Aber wie?