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Monika Felten

Die Saga von Thale

Folge IX:
Die Rückkehr der Nebelelfen

Roman

hockebooks

8

Als die Sonne den höchsten Stand erreichte, erlosch das feurige Glühen in der Grube, und die dunkle, stinkende Rauchsäule, die seit dem Sonnenaufgang träge in der windstillen Luft über der Festungsstadt hing, sank langsam in sich zusammen.

Von den mehr als zweihundert Gefangenen, die sich am Morgen rings um die Grube hatten aufstellen müssen, waren kaum mehr als sechzig übrig. Furcht und Entsetzen hatten sich tief in die aschfahlen Gesichter der Menschen gegraben, die angesichts der grausigen Ereignisse blicklos ins Leere starrten. Es waren hauptsächlich Männer und ältere Frauen, die man verschont hatte, doch allen war anzusehen, dass sie die schrecklichen Bilder dieses Morgens niemals würden vergessen können. Bilder von schreienden Kindern, die sich weinend an ihre Mütter klammerten, als sie in den rußigen und schwelenden Käfig gesperrt wurden. Bilder von kreischenden Frauen, die angesichts des Bevorstehenden verzweifelt um sich schlugen. Und Bilder von jungen Männern, die versuchten, sich mit bloßen Händen gegen das Unvermeidliche aufzulehnen, bis ein Cha-Gurrlinen-Schwert ihr Leben auslöschte, und deren Blut noch immer in ölig glänzenden Pfützen am Boden stand.

»Es ist vollbracht!« Ermattet, aber sichtlich zufrieden wandte sich Asco-Bahrran mit rußgeschwärztem Gesicht von der Grube ab, winkte einen Cha-Gurrlinen-Krieger herbei, deutete in die Grube und befahl: »Holt es heraus!«

Kurze Zeit später hatten die Cha-Gurrline drei mächtige hölzerne Hebevorrichtungen herbeigeschafft, die am Rand des Platzes bereitstanden. Die monströsen hölzernen Gestelle waren mit Felsen und Gesteinstrümmern zerstörter Häuser beschwert, um dem Stamm Stabilität zu geben, der wie ein Arm weit über die Grube hinausreichte. Von jedem Stamm hing ein armdickes Seil herab, an dessen Ende ein gewaltiger eiserner Haken im Sonnenlicht blitzte. Während drei Cha-Gurrline eine Strickleiter über den Grubenrand warfen und hinabkletterten, wurden die Hebevorrichtungen aus drei unterschiedlichen Richtungen an den Grubenrand geschoben. Die Seile wurden in die Tiefe gelassen und die eisernen Haken verschwanden in den wogenden Rauchschwaden, die die Grube füllten. Wenig später bewegten sie sich wie von Geisterhand und spannten sich straff.

Eine gespannte Erwartung lag in der Luft, doch der dichte Rauch in der Grube war vollkommen undurchdringlich und machte es den Umstehenden unmöglich zu erkennen, was sich auf dem Grund befand.

Schließlich tauchten die drei Cha-Gurrlinen-Krieger hustend und keuchend an der Strickleiter auf und bedeuteten Asco-Bahrran durch ein Handzeichen, dass alles bereit sei.

Der Magier nickte zufrieden. Als die Krieger die Grube verlassen hatten, gab er den Cha-Gurrlinen an den Hebemaschinen das Zeichen, mit der Arbeit zu beginnen.

»Ich hörte, hier gibt es etwas Einzigartiges zu bewundern.« Okowan kam über den Platz geeilt, trat neben seinen Freund und starrte neugierig in die Grube. Die armdicken Seile der Hebemaschinen waren inzwischen zum Zerreißen gespannt. Über das Stöhnen und Ächzen der sechzig Cha-Gurrlinen-Krieger hinweg, die nach Leibeskräften an den Seilen zogen, konnte man das Knarren des Holzes und der Seile hören, deren Fasern sich unter einem enormen Gewicht dehnten. »Ist wohl ziemlich schwer, wie?«, fragte Okowan, ohne den Blick von den wallenden Rauchschwaden abzuwenden.

»So schwer wie sechzig Frauen, dreißig ausgewachsene Männer und vierzig Kinder.« Asco-Bahrran konnte die innere Anspannung kaum unterdrücken. Ungeduldig wartete er darauf, dass sich unter dem Rauch erste Umrisse zeigten, und die bange Frage, ob ihm das Meisterwerk auch wirklich gelungen war, machte das Warten für ihn unerträglich.

»Ob die Seile und Baumstämme standhalten?« Besorgt deutete Okowan auf eine der Hebemaschinen, deren Stamm sich bedrohlich über die Grube neigte.

»Sie müssen! Ah, da ist er …« Der Magier trat einen Schritt vor und blickte voller Stolz in die Grube, wo sich in diesem Augenblick etwas Schwarzes vor den grauen Rauchschwaden abzeichnete. Langsam schob es sich daraus hervor, ein unförmig wirkendes Monstrum, schwärzer als die Nacht und so schwer, dass selbst die übermenschlichen Kräfte der sechzig Cha-Gurrline kaum ausreichten, um es aus der Grube zu schaffen. Der Hebevorgang stockte, und für endlose bange Augenblicke steckte das schwarze Ungetüm zur Hälfte inmitten der Rauchschwaden fest.

»Weiter, weiter! Bei den Toren, worauf wartet ihr?« Ungeduldig feuerte Asco-Bahrran die Krieger an, doch erst als zwanzig weitere zur Unterstützung herbeigeholt wurden, konnte die schwere Arbeit fortgesetzt werden.

Wenig später erhob sich ein gewaltiger, schwarz glänzender Koloss über der Grube. Okowan trat bis an den Rand der Grube heran, um ihn genauer zu betrachten. Auf den ersten Blick sah er aus wie ein drei Längen hoher und zwei Längen breiter Felsen, der auf einem Podest stand, doch dann drehte er sich ein wenig, und es kam eine Ausbuchtung zum Vorschein, die wie eine Sitzfläche mit zwei schmalen Armlehnen aussah. Es war ein Thron!

Ein schrecklicher, Furcht einflößender Thron von solch abstoßender Hässlichkeit, dass Okowan erschauerte. Die Oberfläche war nicht glatt, sondern wies unzählige Wölbungen und Ausbuchtungen auf, deren Bedeutung er aus der Entfernung nicht sofort erkennen konnte. Doch er fühlte, dass man sie sich besser nicht aus der Nähe betrachtete. Als die Cha-Gurrlinen-Krieger den massigen schwarzen Block schließlich ganz aus der Grube hoben und auf dem Platz abstellten, kam Okowan jedoch nicht umhin, sich den finsteren Koloss aus der Nähe anzusehen. Neugierig trat er heran und erkannte schließlich, worum es sich bei den unbekannten Gebilden handelte: Es waren Menschen.

Trotz der enormen Größe schien der Thron einzig aus ineinander verkeilten menschlichen Leibern zu bestehen. Viele von ihnen hatten die Arme in flehender Geste erhoben, andere kauerten in geduckter Haltung oder umklammerten schützend ein Kind. Überall waren verzweifelte Männer, Frauen und Kinder zu sehen, die in grauenhafter Todesfurcht erstarrt waren. Viele hatten die Münder zu stummen Schreien geöffnet und die Blicke der erloschenen Augen zeigten unermessliches Grauen.

Prüfend umrundete Okowan den Thron und betrachtete das Werk des Magiers von allen Seiten. Er war schon immer ein skrupelloser Mensch gewesen, der sich nicht um die Not und das Elend anderer kümmerte, doch was er hier sah, erschütterte ihn zutiefst.

Aber da war noch etwas anderes. Obwohl der Anblick des Throns ihn abstieß, zog er ihn doch magisch an. Mehrfach ertappte sich Okowan dabei, wie er, ohne es zu wollen, die Hand hob, um über die glänzende Oberfläche zu streichen und die gemarterten Körper zu berühren. Er wollte, nein, er musste fühlen, was diese Menschen erlitten hatten. Es war wie ein innerer Zwang, den er nicht beherrschen konnte, und er stellte erschrocken fest, dass er trotz der Abscheu, die der Anblick der Toten in ihm hervorrief, eine geradezu erotische Erregung empfand.

»Er ist vollkommen, nicht wahr?« Asco-Bahrran war hochzufrieden, hob die Hand und strich lüstern grinsend über die Brüste einer jungen Frau, die sich im Augenblick des Todes halb entblößt hatte. »Sie leben noch, spürst du es?«, raunte er Okowan zu. »Sie sind tot, gestorben im Feuer des Zaubers, der dieses Prachtstück schuf, doch die Seelen können dem Thron nicht entfliehen. Er ist ein wahres Meisterwerk dunkler Magie. Ein Monument absoluter Macht – ein Thron, geformt aus den Leibern der Unterworfenen, bis in alle Ewigkeit dazu verdammt, dem Eroberer zu dienen. Ein Meisterwerk, geschaffen mit den Mächten der dunklen Magie.«

»Sie … sie sind also nicht richtig tot?«, fragte Okowan ungläubig.

»Nun, sagen wir mal so: Die Energie oder die Seelen dieser armen Teufel sind in diesem Thron gefangen. Ich nahm die Körper, um den Thron zu formen, doch es sind die Seelen, die ihn zu etwas Einzigartigem machen. Berühre ihn, und du wirst es sogleich spüren.«

Zögernd streckte Okowan die Hand aus, legte die Finger vorsichtig auf den obsidianfarbenen Thron und zog die Hand mit einem erschrockenen Ausruf zurück.

»Er ist warm!«, sagte er keuchend. »Er … er fühlt sich an wie … wie lebendiges Fleisch.« Er schluckte schwer und starrte den Thron wortlos an. Die Berührung hatte in ihm so wollüstige Gefühle geweckt, wie er sie nie zuvor verspürt hatte. Er ahnte, dass er sich von nun an unablässig danach sehnen würde, den Thron zu berühren, und der Gedanke machte ihm Angst.

»Er ist warm und voller Leben.« Asco-Bahrran nickte. »Er ist so anschmiegsam und weich wie der Körper einer Konkubine, so verführerisch und beglückend, doch …«, er ballte die Faust und schlug mit voller Wucht gegen den Thron, »… gleichzeitig ist er so unzerstörbar wie Felsgestein. Es ist nicht so tragisch, dass ich keine Nebelelfen dafür verwenden konnte; der Thron ist auch ohne sie ein wahrhaft würdiges Geschenk für den erhabenen Herrscher von Thale.«

»Ich bin sicher, er wird es zu schätzen wissen.« Hastig zog Okowan die Hand zurück, als er bemerkte, dass er schon wieder im Begriff war, den Thron zu berühren. Fort, dachte er entsetzt, ich muss hier fort, sonst gewinnt der Thron zu viel Macht über mich. »Du hast dich in der Tat selbst übertroffen, mein Freund«, lobte er den Magier höflich. »Der Thron ist wahrhaft vollkommen.« Okowan verneigte sich knapp und sagte dann: »Entschuldige mich jetzt bitte, ich habe dringende Geschäfte zu erledigen. Wir sehen uns dann heute Abend.« Er wandte sich um, doch Asco-Bahrran fasste ihn an der Schulter und hielt ihn zurück. »Warte!«, sagte er lächelnd. »Ich wollte dir noch etwas zeigen.«

Er trat auf den Thron zu und betrachtete ihn, als suchte er etwas. »Ah, hier ist es!«, rief er schließlich aus und winkte Okowan zu sich. »Sieh her!« Versonnen fuhr er mit den Fingern über die erstarrten Konturen einer Frau mit wunderschönen langen Haaren. Ein junger Mann hatte die Arme schützend um sie gelegt, während sie selbst ein Mädchen umfangen hielt. Die Gesichter der drei zeigten ein so abgrundtiefes Entsetzen, wie Okowan es nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte. Das kleine Mädchen hatte den Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet und die Finger wie Klauen in den Arm der jungen Frau gekrallt, die es schützend an sich presste. Diese hatte im Augenblick des Todes ebenfalls geschrien, doch sie musste auch geweint haben, denn auf den versteinerten Wangen waren kleine schwarze Tränen zu sehen. Es war ein einzigartiges Bild des Grauens, Stein gewordenes Entsetzen, das dem Betrachter dennoch nur einen Teil dessen vermittelte, was die Gefangenen wirklich erlitten haben mussten.

»Na, erkennst du sie wieder?«, fragte Asco-Bahrran grinsend, als er Okowans erschütterten Gesichtsausdruck bemerkte. »Sie war so jung und schön, so unschuldig und so voller Fürsorge für die Kleine.« Er lächelte kalt. »Ich wusste sofort, dass diese drei ein einmaliges Bild abgeben würden.«

Als Shari die Augen öffnete, neigte sich die Sonne bereits dem Horizont zu. Sie lag auf Decken gebettet am Rand der Lichtung unter einem schattigen Baum, durch dessen lichtes buntes Blattwerk sie den schimmernd blauen Himmel und kleine weiße Wolken sehen konnte. Für eine Weile blieb sie reglos liegen und versuchte die Gedanken zu ordnen, doch so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich einfach nicht daran erinnern, was geschehen war. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie bewusstlos gewesen war und was der Grund dafür sein mochte. Alles, was sie fühlte, war eine große dumpfe Leere.

Leises Stimmengemurmel drang an ihr Ohr und sie richtete sich auf, um zu sehen, wer dort sprach. Ganz in der Nähe saßen mehr als zwei Dutzend Nebelelfen im Schatten der Bäume beisammen und unterhielten sich angeregt, wenn auch sehr leise. Wo kamen all die Elfen her? Shari runzelte die Stirn. Einer fernen Erinnerung nach glaubte sie zu wissen, dass die Elfen zuvor nicht auf der Lichtung gewesen waren, doch der Versuch, den Gedanken zu verfolgen, brachte ihr heftige Kopfschmerzen ein und sie sank stöhnend auf das Lager zurück. Ermattet schloss sie die Augen, sog die frische Abendluft tief ein und versuchte, sich zu entspannen. Da spürte sie, dass sich jemand näherte.

»Muinthel!« Es war Naemy! Shari erkannte die Stimme ihrer Schwester sofort. »Wie schön, dass du wach bist«, sagte sie und kniete sich neben Shari auf das trockene braune Gras. »Du hast mich ganz schön in Sorge versetzt, weißt du das?« Sie lächelte glücklich. »Wie fühlst du dich?«

Shari öffnete die Augen, stützte sich auf die Unterarme und erwiderte das Lächeln voller Zuneigung. »Ein wenig schwindlig, aber sonst ganz gut«, wollte sie sagen, doch statt der Worte wurde nur ein undeutliches Krächzen laut. Fassungslos und zutiefst erschrocken starrte Shari ihre Schwester an. Dann setzte sie sich auf, legte die Hände an den Hals, hustete und räusperte sich, doch was sie auch tat, kein wohlklingender Laut kam ihr über die Lippen.

»Bei den Toren, Shari? Was ist los?« Naemy runzelte die Stirn und blickte ihre Schwester besorgt an. »Kannst du nicht sprechen?« Shari schüttelte den Kopf, hustete wieder und versuchte erneut zu antworten. Doch auch diesmal brachte sie nur einen heiser krächzenden Laut hervor. Unglücklich und hilflos schaute sie ihre Schwester an.

»Kannst du mich denn verstehen?«, wollte Naemy wissen. Ihr Blick zeugte von großem Kummer.

Shari nickte.

»Was ist los?« Glamouron, der bei den anderen gesessen hatte, war aufgestanden und kam zu den beiden herüber.

»Sie kann nicht sprechen!« Naemy schüttelte traurig den Kopf. »Nicht sprechen?« Glamouron verstand nicht sofort. »Aber wie …?«

»Vielleicht ist es eine Folge der Ohnmacht, die sich bald von allein legt.« Ihr Tonfall machte deutlich, wie sehr Naemy hoffte, dass es so sein möge, doch dann fügte sie in Gedankensprache hinzu: »Oder es ist etwas anderes. Du weißt doch, was ich dir erzählt habe.«

»Du meinst das, was die Frau gesagt hat?«, erwiderte Glamouron ebenfalls mittels Gedankensprache, damit Shari es nicht hören konnte. »Dass sie Schäden davongetragen haben könnte?«

»Die Göttin gebe, dass es nicht so ist.« Naemy zwang sich zu einem zuversichtlichen Lächeln und wandte sich wieder an Shari. »Ich bin sicher, es ist nur eine vorübergehende Folge deines Unfalls«, log sie und fragte: »Kannst du dich daran erinnern, was geschehen ist?«

Shari schüttelte energisch den Kopf. Dass sie keine Stimme besaß, machte ihr große Angst, doch sie riss sich zusammen und hoffte, dass Naemy recht behalten würde.

»Du wolltest mit Bronadui auf die Jagd reiten«, erklärte Naemy. Das war glatt gelogen, aber eine simple Geschichte, die bei Shari keine Fragen hervorrufen würde. »Als du nicht zurückgekehrt bist, haben wir nach dir gesucht und dich im Wald gefunden. Vermutlich bist du vom Pferd gestürzt. Du hast dich schwer am Kopf verletzt und warst lange bewusstlos. Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht.«

Shari runzelte die Stirn, als überlegte sie, dann hob sie die Hand, deutete auf die anderen Elfen und zog die Schultern hoch.

»Oh!« Naemy verstand sofort. »Du weißt nicht mehr, dass Glamouron und ich die Gefangenen unseres Volkes aus Nimrod befreit haben?«

Wieder schüttelte Shari den Kopf. Tränen der Verzweiflung standen ihr in den Augen, weil sie die vielen Fragen, die ihr auf der Zunge brannten, nicht aussprechen konnte, doch sie hielt sich tapfer und weinte nicht.

Auch Naemy kämpfte mit den Tränen. Sie haderte mit dem Schicksal und machte sich bittere Vorwürfe, dass sie nicht besser auf Shari aufgepasst hatte. Niemals hätte sie ihre Schwester unbeaufsichtigt lassen dürfen, schließlich hatte sie um die Zweifel gewusst, die sie plagten. Sie fühlte sich schuldig und wünschte, dies alles ungeschehen machen zu können, doch sie wusste auch, dass es der Preis dafür war, dass Shari noch lebte, und bemühte sich, zuversichtlich zu wirken. »Mach dir keine Sorgen. In ein oder zwei Sonnenläufen wirst du bestimmt wieder sprechen können«, sagte sie betont munter. Dann reichte sie Shari die Hand und fragte: »Kannst du aufstehen? Die anderen werden sich freuen, dich zu sehen. Wir haben nämlich nicht mehr viel Zeit und müssen bald von hier fort. Ich habe den Elfen bereits erklärt, dass wir zum Ylmazur-Gebirge flüchten werden. So nahe an Nimrod ist es viel zu gefährlich. Die Cha-Gurrlinen-Krieger werden vermutlich schon nach uns suchen.« Sie fasste Shari am Arm und half ihr aufzustehen; dann führte sie die stumme Nebelelfe zu den anderen, die sie erfreut begrüßten.

Fedeon saß abseits der Gruppe an einen Baum gelehnt und starrte mit leerem Blick auf Naemy, Glamouron und Shari. Er hatte geweint, lange und schmerzlich, und sich Naemys tröstenden Worten gegenüber taub gestellt, bis sie schließlich begriff, dass er ihren Trost nicht wollte, und betrübt aufgab.

Er wollte allein sein! Es gab keine Worte für die Qualen, die er litt. Keinen Namen für das, was er empfand. Er fühlte sich innerlich taub und ausgebrannt, eine leere Hülle, mutlos und ohne Hoffnung. Seine Gefühle waren tot. Seit Naemy ihm am frühen Nachmittag die volle Wahrheit offenbart hatte, warum er die Elfen begleitete, war er unfähig, zu denken oder gar zu handeln.

Dabei war Naemy äußerst sanft und rücksichtsvoll vorgegangen. Sie hatte ihn sogar um Verzeihung gebeten, weil sie seine Gedanken mit einer Lüge betäubt hatte, und ihm in aller Offenheit berichtet, in welch absurder Lage er sich befand. Die Geschichte war so unfassbar, dass Fedeon sie zunächst nicht hatte glauben wollen, doch Naemy hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass es ihr bitterer Ernst war.

Sie hatte ihm berichtet, woher sie kam, was sie vorhatte und was die Zukunft bringen würde – schonungslos und ohne etwas zu beschönigen –, und ihm klar gemacht, dass er der Gruppe nur durch Zufall angehörte, weil er nach dem Willen des Schicksals eigentlich unter den scharfen Schnäbeln der Sucher den Tod gefunden hätte.

Shari hatte ihm also das Leben gerettet! Fedeon lachte bitter und spie verächtlich auf den Boden. Das Leben! Was war es jetzt noch wert? Er hatte alles verloren, was ihm lieb und teuer war: Paira, seine Familie, seine Heimat – alles! Doch im Gegensatz zu Toten, die diesen Verlust nicht mehr betrauern konnten, war er dazu verdammt, die Bürde des Verlusts für den Rest seines Lebens zu tragen.

Den Rest seines Lebens. Naemy hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass dieser Rest sehr kurz sein würde, wenn er sich nicht in die Gemeinschaft der Flüchtlinge einfügte und mit ihnen den Versuch unternahm, das Ylmazur-Gebirge zu überqueren. Für einen Augenblick erschien es Fedeon verlockend, einfach aufzustehen, davonzulaufen und darauf zu warten, dass der Schmerz unzähliger Pfeile, die sich in seinen Rücken bohrten, der Qual ein Ende bereitete. Er spielte sogar mit dem Gedanken, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, indem er sich das Messer tief in die Brust rammte. Doch er wusste, dass diesen Gedanken niemals Taten folgen würden. Er war zu feige. Zu feige, sein Leben selbst zu beenden, und zu feige, sich den tödlichen Geschossen der Elfen auszuliefern.

Ihm war schmerzlich klar, dass er Paira nicht wiedersehen würde. Niemals würde er erfahren, wie es ihr ergangen war, ob sie noch lebte oder den Schrecknissen der Schlacht zum Opfer gefallen war. Der bittere Vorwurf, sie im Stich gelassen zu haben, würde zeitlebens wie ein dunkler Fluch auf ihm lasten.

Paira! Fedeon spürte, wie ihm erneut die Tränen kamen, und er wehrte sich nicht dagegen. Schluchzend vergrub er das Gesicht in den Händen, während er sich verzweifelt danach sehnte, er möge auf der Stelle einschlafen und niemals wieder erwachen.

9

Die Gewölbe, in denen die Heilerinnen die Verwundeten pflegten, waren dunkel, kühl und hoffnungslos überfüllt. Die glühenden Kohlebecken, die an den Wänden aufgestellt waren, vermochten nicht die klamme Feuchtigkeit zu vertreiben, und das Licht der unzähligen Fackeln verlor sich in dem weitläufigen Raum. Die stickige, Übelkeit erregende Luft war von einem vielstimmigen Raunen und Klagen erfüllt, das zu einer trostlosen Weise verschmolz, deren Ursprung nicht auszumachen war. Immer wieder wurde sie von gellenden Schmerzensschreien oder erregten Ausrufen übertönt, denn viele der Verwundeten lagen im Fieberwahn und waren nicht mehr Herr ihrer Sinne.

Nur wenige lagerten auf Holzpritschen. Die meisten lagen oder hockten auf dem nackten Boden, die Wunden notdürftig verbunden und oft ohne Bewusstsein. Die wenigen Heilerinnen, die die Schlacht überlebt hatten, taten ihr Bestes, doch sie waren mit der ungeheuren Aufgabe, die sie hier erwartete, hoffnungslos überlastet. Die meisten der Frauen hatten mehrere Sonnenläufe nicht geschlafen und sich nur wenig Zeit für ein paar karge, kalte Mahlzeiten genommen; sie gönnten sich keine Ruhe und kämpften verbissen um das Leben der Schwerverletzten. Oft vergeblich. Viele der Verteidiger Nimrods hatten in der Schlacht grauenhafte Wunden davongetragen und so viel Blut verloren, dass den Heilerinnen nichts anderes übrig blieb, als für sie zu beten.

Der Vorrat an Verbänden und heilenden Salben war längst aufgebraucht und die neuen Herrscher von Nimrod zeigten keinerlei Neigung, die menschenunwürdigen Zustände in den überfüllten Gewölben zu verbessern. Die einzige Unterstützung, die es seitens der Eroberer gab, bestand im Abtransport der Toten. Freiwillige Helfer schafften die Verstorbenen in die Gänge vor dem Gewölbe. Von dort wurden sie von den Cha-Gurrlinen zu gewaltigen Gruben gebracht, die man außerhalb der Festungsstadt ausgehoben hatte, um der Leichenflut Herr zu werden.

»Welch abscheulicher Gestank!« Angewidert presste Asco-Bahrran die Hand auf den Mund und blickte voller Abscheu auf ein halbes Dutzend lebloser Körper, die man achtlos neben das große Tor zum Gewölbe der Heilerinnen geworfen hatte. Unmittelbar nachdem der Thron fertiggestellt worden war, hatte sich der Magier auf den Weg zu den Heilerinnen gemacht, um sich nach dem verletzten Elfenkrieger zu erkundigen, der ihm wertvolle Hinweise für die Suche nach den geflohenen Nebelelfen geben konnte.

Asco-Bahrran hatte das Pentagramm, mit dessen Hilfe die Nebelelfen geflohen waren, lange und gründlich untersucht, war jedoch nicht dahinter gekommen, wohin es führte. Zum ersten Mal ärgerte er sich darüber, dass er sich in der Vergangenheit nicht näher mit dem Phänomen der Zwischenwelt beschäftigt hatte, deren Wege allein den Nebelelfen offen standen und die für Menschen nur in Begleitung eines kundigen Nebelelfen zu nutzen waren. Das Pentagramm mit den verschlungenen Zeichen gab ihm viel zu viele Rätsel auf, als dass er den Flüchtigen hätte folgen können. So blieb der Gefangene für ihn die einzige Möglichkeit zu erfahren, wohin die Elfen geflohen waren. Und die Zeit drängte. Wenn er überhaupt noch Gelegenheit finden wollte, die Flüchtlinge einzuholen, musste er schleunigst wissen, wohin sie gegangen waren, und er hoffte inständig, dass der Elf bereits das Bewusstsein wiedererlangt hatte.

Schwungvoll öffnete Asco-Bahrran die Tür zum Gewölbe der Heilerinnen, wünschte sich jedoch sogleich, es nicht getan zu haben. Noch bevor er einen Fuß in den Raum setzte, schlug ihm ein Übelkeit erregender Gestank nach Blut, Eiter, Fäulnis und Exkrementen entgegen und nahm ihm den Atem. Er hustete und würgte und spielte einen Augenblick lang ernsthaft mit dem Gedanken, auf dem Absatz kehrtzumachen. Dann aber besann er sich, kämpfte die aufkommende Übelkeit nieder und trat auf eine Heilerin zu, die einem Verwundeten gerade ein wenig Wasser einflößte.

»Wo ist der Elf?«, herrschte er sie an.

»Der Elf?« Die Heilerin verstand nicht sofort. Sie war klein und von rundlicher Statur. Ihr grauer Kittel war über und über mit verkrustetem Blut befleckt, und auch die Hände trugen eine abstoßend rotbraune Farbe. »Der Elf?«, fragte sie noch einmal, um Zeit zu gewinnen, und stellte die Wasserschale ab. »Welcher Elf? Wir haben hier viele Verletzte, die …«

»Der Elf, den die Cha-Gurrlinen-Krieger gestern Nacht hierher brachten«, grollte Asco-Bahrran ungeduldig. Er wünschte sich, diesen entsetzlichen Ort des Elends endlich verlassen zu können, und ärgerte sich maßlos über den beschränkten Verstand der Heilerin, die ihn unnötig hier festhielt.

»Ach, der Elf.« Das Gesicht der Heilerin hellte sich auf. »Er ist dort hinten. Folgt mir.« Mit langsamen Schritten, als wäre sie zu Tode erschöpft, führte die Heilerin den Magier durch ein Heer in Lumpen gehüllter Gestalten, die mehr tot als lebendig auf dem Fußboden kauerten. Asco-Bahrran versuchte, nicht auf die geschundenen und verstümmelten Körper zu achten, doch es gab keinen richtigen Weg, und er war gezwungen, bei jedem Schritt darauf zu achten, wohin er seinen Fuß setzte. Das war bei der schlechten Beleuchtung jedoch nicht ganz einfach. Zweimal trat er mit den kunstvoll bestickten Stiefeln in eine Pfütze frischen Blutes und einmal wäre er fast über den Leichnam einer jungen Frau gestolpert, die ihn mit blicklosen Augen und halb geöffnetem Mund anstarrte.

»Hier ist er!« Die Worte der Heilerin drangen nur mühsam durch den dichten Nebel aus Ekel und Abscheu, der sich um Asco-Bahrrans Sinne gelegt hatte. Er war nicht zimperlich und hatte in seinem Leben schon viel Elend gesehen, insbesondere jenes, das er selbst erzeugt hatte. Dies hier war jedoch etwas anderes. Beim Anblick der unzähligen Menschen, die in hoffnungslosem Siechtum auf den Tod warteten, überkam ihn der brennende Wunsch, sie alle durch die Gnade des Schwertes von den Leiden zu erlösen. Nicht, weil ihn das Schicksal der Menschen berührte – denn Barmherzigkeit war für ihn ein Fremdwort –, sondern weil der Anblick in ihm tiefste Abscheu auslöste. Krampfhaft vermied er diesen Anblick und richtete das Augenmerk auf den Elfen, der vor ihm auf einer Holzpritsche lag. Die Drohung, die er den Cha-Gurrlinen-Kriegern mit auf den Weg gegeben hatte, hatte die Wirkung offenbar nicht verfehlt, denn im Gegensatz zu den anderen Gefangenen waren die Wunden des Nebelelfen gut gereinigt und mit sauberen Tüchern verbunden worden. Seine Augen aber waren noch immer geschlossen und nichts deutete darauf hin, dass er das Bewusstsein wiedererlangt hätte.

»War er schon mal wach?«, wollte Asco-Bahrran wissen.

»Er hat sich bis jetzt nicht einmal gerührt.« Die Heilerin schüttelte bedauernd den Kopf und fügte rasch hinzu: »Verhielte es sich anders, hätten wir Euch selbstverständlich sofort eine Nachricht zukommen lassen.«

»Selbstverständlich.« Asco-Bahrran ließ keinen Zweifel daran, dass er der Heilerin misstraute. Er hatte seine eigenen Methoden festzustellen, ob der Elf wirklich noch bewusstlos war oder ihm dies nur vorspielte.

»Verschwinde!« Mit einem Kopfnicken bedeutete er der Heilerin zu gehen. Diese verneigte sich kurz und murmelte gerade so laut, dass es nicht ungehörig klang: »Wie Ihr wünscht, Herr.« Dann drehte sie sich um und kehrte zu ihrer Arbeit zurück.

Prüfend betrachtete Asco-Bahrran das bleiche Gesicht des schlafenden Nebelelfen. Die Atemzüge waren ruhig und regelmäßig, die Lider geschlossen. Kein Muskel zuckte verräterisch und kein Blinzeln deutete darauf hin, dass der Schlaf nur vorgetäuscht war.

»Wach auf!« Asco-Bahrran fasste den Elfen am Kinn und klopfte ihn unsanft auf die Wange. Nichts geschah. »Wach auf!«, befahl er noch einmal etwas lauter und rüttelte den Elfen heftig an der Schulter. Wieder nichts. Wie es aussah, hatte die Heilerin die Wahrheit gesprochen, und der Elf hatte das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt. Oder er war ein hervorragender Schauspieler.

Grimmig entschlossen hob Asco-Bahrran die Hand und legte sie dem Elfenkrieger auf die Stirn. Dann schloss er die Augen und tastete mit seinen mentalen Sinnen nach dessen Bewusstsein. Vergeblich. Die Türen, die er öffnen wollte, waren fest verschlossen und ließen sich auch durch Magie nicht öffnen. Der Elf war wirklich bewusstlos. Sein Geist weilte weit entfernt in einer Sphäre, die Asco-Bahrran nicht erreichen konnte. Die Kenntnisse, die er so dringend benötigte, blieben für ihn verhüllt.

»Verdammt!« Ruckartig löste er die Hand von der Stirn des Elfenkriegers und unterbrach die Verbindung zu dessen Geist. So kam er nicht weiter. Bei diesem Zustand konnte es noch etliche Sonnenläufe dauern, bis der Elf erwachte, aber so viel Zeit hatte er nicht.

Grübelnd machte er sich auf den Rückweg durch das zum Bersten mit Menschen gefüllte Gewölbe. Er musste die Elfen finden, und zwar schnell, doch wo sollte er mit der Suche beginnen?

Er hatte nichts, nicht den kleinsten Anhaltspunkt, denn außer einem Elfenschwert, das nur demjenigen gehören konnte, der die Nebelelfen befreit hatte, hatten die Gefangenen nichts zurückgelassen.

Das Elfenschwert … Es musste doch einen Weg geben, dessen Besitzer ausfindig zu machen. Einen Zauber oder … Plötzlich hellte sich Asco-Bahrrans Miene auf. Die Sucher! Warum hatte er nicht gleich daran gedacht!

Die Sucher, die An-Rukhbar als Späher gedient hatten. Sie waren mühelos dazu in der Lage, die Fährte eines Menschen oder Nebelelfen aufzunehmen und ihn auch über weite Entfernungen hinweg aufzuspüren. Alles, was sie dazu brauchten, war ein Gegenstand, der dem Gesuchten gehörte. Das war es! Er würde die Sucher ausschicken, um die geflohenen Elfen zu finden, und das Schwert würde ihm dabei helfen.

Gegen Abend hatte sich der Himmel verdunkelt. Dunkle, tief hängende Wolken waren rasch von Westen herangerollt und hatten die Sonne verdeckt. Feuchtkalte Luft, die vom nahen Herbst kündete, hatte die milde Wärme des Spätsommers vertrieben, und ein auflebender Wind fegte durch die Wipfel der Christalltannen und Laubbäume, welche die Lichtung nahe dem großen Gießbach säumten.

»Es sieht nach Regen aus.« Glamouron schaute besorgt zum Himmel. Naemy antwortete nicht sofort. Unbeeindruckt von dem Wetterwechsel, setzte sie mit sicherer Hand die letzten Zeichen an das riesige Pentagramm, das sie mit Holzkohle auf eine große Felsplatte gezeichnet hatte, die sich wie ein riesiger Teller unmittelbar neben dem Gießbach aus der Erde erhob.

»Wenn wir hier weg sind, wäre ein kräftiger Regenschauer genau das Richtige«, sagte sie mit einem Blick auf ihr Werk. »Der würde die Spuren verwischen.«

»Dann sollten wir uns aber beeilen!« Glamouron deutete nach Westen, wo der Wind einen dichten Vorhang aus Regen über die Ebene vor der Festungsstadt schob. »Die Wolken kommen genau auf uns zu.«

»Es ist so weit, die erste Gruppe kann durch die Zwischenwelt gehen.« Naemy winkte die anderen Nebelelfen zu sich. »Ihr kennt das Ziel«, sagte sie, als sich alle Nebelelfen einschließlich Shari und Fedeon vor dem Pentagramm versammelt hatten. »Wir reisen wie besprochen durch die Zwischenwelt zu der großen kahlen Eiche am Fuße des Ylmazur-Gebirges. Ganz in der Nähe befindet sich der Bajun-Gletscher. Die meisten von euch kennen die Eiche. Sie bietet uns eine sichere Orientierung und liegt den Bergen so nahe wie keine andere Wegmarke. Das wird uns einen langen Fußmarsch ersparen.« Sie trat zur Seite und bedeutete Glamouron, das Pentagramm zu betreten. »Glamourons Gruppe geht als erste«, erklärte sie. »Dann kommen die anderen Gruppen, und ich bilde mit Bronadui den Abschluss.«

Kurze Zeit später war die Lichtung leer. Nur eine kalte Feuerstelle erinnerte noch daran, dass hier eine kleine Gruppe Nebelelfen Unterschlupf gefunden hatte.

Naemy führte Bronadui am Halfter in das Pentagramm und blickte sich ein letztes Mal prüfend um. Die Waffen und Ausrüstungsgegenstände, die sie mit Glamouron von den getöteten Kriegern des Spähtrupps geholt hatte, waren unter den Elfenkriegern verteilt worden, und die Vorräte waren gut verpackt in großen Bündeln auf dem Rücken des Pferdes verstaut. Alle Vorbereitungen, die sie für den schweren Weg über das Ylmazur-Gebirge hatten treffen können, waren getroffen – so kärglich sie auch sein mochten. Es gab nichts mehr zu tun.

Naemy seufzte erleichtert. Trotz aller Zweifel war sie so weit gekommen, wie sie es nie für möglich gehalten hatte. Ebenso erfreulich war die Einsichtigkeit der geretteten Elfen gewesen, als Naemy ihnen die schonungslose Wahrheit über den Grund für ihre Befreiung erzählt hatte. Die meisten waren zunächst wie erwartet voller Unglauben gewesen, doch Naemy und Glamouron, der ihr unerschütterlich zur Seite stand, hatten die Zweifel bald ausräumen können.

Nach und nach hatten sich alle zu ihr bekannt und geschworen, ihr bei dem Versuch zu folgen, das Ylmazur-Gebirge zu überqueren. Naemy lachte bitter. Gab es überhaupt eine Wahl? Sie hatten ihre Heimat verloren und wussten, dass überall in Thale Jagd auf die Nebelelfen gemacht wurde. Die meisten besaßen keine Angehörigen mehr, und die wenigen, die ihre Familien in Numark mittels Gedankensprache zu erreichen versucht hatten, hatten keine Antwort erhalten. Das Schweigen sagte mehr als alle Worte, und so hatten sich auch die Letzten trotz der großen Trauer um jene, die sie zurücklassen mussten, dem Plan angeschlossen.