John Cleland

 

Fanny Hill

Bekenntnisse eines
Freudenmädchens

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Twilight-Line Medien GbR

Obertor 4

D – 98634 Wasungen

 

Autor: John Cleland

Erstausgabe: 1749 in London/UK

 

Herausgeber: Sabine Trabert

Überarbeitete Lizenzausgabe

 

ISBN: 978-3-941122-75-8

eBook-Edition

 

© 2011-2016 Twilight-Line Medien GbR

Alle Rechte vorbehalten.

 

Vorwort

 

Der englische Schriftsteller John Cleland (geboren 1709 in Kingston upon Thames, Surrey; verstorben am 23. Januar 1789 in London) führte ein wechselhaftes Leben, so besuchte er die Westminster School nur für zwei Jahre. Von 1728 bis 1740 stand er im Dienst der Ostindien-Kompanie in Bombay, zunächst als Soldat, später als Verwaltungsangestellter. Nach seiner Rückkehr nach England folgte ein finanzieller Abstieg und aufgrund hoher Schulden wurde John Cleland am 23. Februar 1748 in das Londoner Newgate-Gefängnis gebracht. Um wieder aus der Haft entlassen zu werden, nahm er das geringe Angebot des Verlegers Ralph Griffiths an, der Cleland für einen erotischen Roman 20 Guineen zahlte.

Während dieser Zeit im Gefängnis schrieb Cleland eines der wohl berühmtesten erotischen Werke der Weltliteratur, was dieser zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht erahnen konnte. Durch die Fertigstellung und Veröffentlichung des Buches in zwei Teilen 1748 und 1749 wurde Cleland ausgezahlt und konnte im März 1749 das Schuldnergefängnis von London verlassen.

Nach seiner Veröffentlichung brach ein breiter öffentlicher Aufruhr los, die anglikanische Kirche forderte »die weitere Verbreitung dieses abscheulichen Buches zu beenden, das eine offene Beleidigung der Religion und guten Sitten darstellt«. Das Buch wurde verboten und Cleland wurde daraufhin wieder unter Arrest gestellt. Schließlich musste er sich vor einem Gericht für das Verfassen dieses Buches verantworten, wurde jedoch nicht verurteilt, sondern nur verwarnt und erhielt sogar, weil er seine finanzielle Notlage als Veröffentlichungsgrund glaubhaft machen konnte, eine Pension von 100 Pfund pro Jahr.

Dieses Verbot sollte mehr als 200 Jahre andauern und ist bis heute in einigen Ländern immer noch auf dem Index der verbotenen Schriften und wird unter dem Ladentisch verkauft.

Es kam zu heimlichen Veröffentlichungen in den USA, jedoch wurde Fanny Hill 1821 wegen Obszönität verboten. Erst 1966 hob der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten dieses Verbot wieder auf. In Australien dagegen darf das Buch bis heute nicht verkauft werden.

Die erste deutsche Übersetzung erfolgte 1906, zahlreiche weitere Ausgaben folgten, die jedoch alle indiziert und als unzüchtig beschlagnahmt wurden. Die Indizierung wurde noch 1968 von einem Münchener Gericht bestätigt. Erst am 23. Juli 1969 entschied der Bundesgerichtshof in Karlsruhe, »dass Fanny Hill zwar ein Werk der erotischen Literatur, aber keine unzüchtige Schrift sei«. Seitdem darf das Werk in Deutschland frei verkauft werden.

 

 

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Fanny Hill

John Cleland

 

 

 

Meine liebe Freundin!

 

Um Dir einen Beweis zu geben, wie gern ich Dir gefällig bin, schreibe ich auf Deinen Wunsch diese Erinnerungen für Dich nieder. Und so peinlich die Aufgabe auch für mich ist, so betrachte ich es doch als meine Pflicht, Dir mit der größten Aufrichtigkeit die wüsten Szenen eines ausschweifenden Lebens zu schildern, dem ich mich jetzt endlich glücklich entzogen habe, um das Glück zu gemessen, das Liebe Gesundheit und ein nettes Vermögen mir bieten. Du weißt ja übrigens, dass ich von Natur aus wirklich verdorben gewesen bin und dass ich selbst in den Stunden wildester Ausschweifung nie aufgehört habe, Betrachtungen über Sitten und Charakter der Männer anzustellen, Beobachtungen, die bei Personen meines Standes gewiss nicht eben häufig sind.

Aber da ich jede unnütze Vorrede hasse, will ich Dich nicht lange mit Einleitungen langweilen und Dich nun darauf aufmerksam machen, dass ich alle meine Abenteuer mit derselben Freiheit erzählen werde, mit der sie begangen sind. Nur die Wahrheit soll meine Feder leiten, ohne Furcht vor den Gesetzen einer »Anständigkeit«, die für so intime Freundinnen, wie wir beide sind, nicht existiert. Außerdem kennst Du ja selbst die Freuden der sinnlichen Liebe zu genau, als dass ihre Schilderungen Dich erschrecken könnten. Und Du weißt ferner, wie viele Leute von Geist und Geschmack, Nuditäten aus ihren Salons verbannen, um sie – mit Vergnügen - in ihren Privatgemächern aufzuhängen. Nun aber zu meiner Geschichte.

Man nannte mich als Kind Francis Hill. Ich bin in einem Dörfchen bei Liverpool von armen Eltern geboren. Mein Vater, den Kränklichkeit an schweren Landarbeiten hinderte, gewann durch Garnmachen einen massigen Verdienst, den meine Mutter durch Halten einer kleinen Kinderschule im Dorfe nur wenig vermehrte. Sie hatten mehrere Kinder gehabt, von denen ich jedoch allein am Leben blieb.

Meine Erziehung war bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr die denkbar einfachste. Lesen, stricken, kochen – das war alles was ich lernte. Was meinen Charakter angeht, so war sein Hauptmerkmal eine vollständige Reinheit und jene Furchtsamkeit unseres Geschlechtes, die wir gewöhnlich erst auf Kosten unserer Unschuld verlieren.

Meine gute Mutter war immer mit ihrer Schule und unserem Haushalt so beschäftigt, dass ihr wenig Zeit blieb, mich zu unterrichten. Übrigens kannte sie selbst das Böse auf der Welt zu wenig, um uns darin Lehren erteilen zu können.

Ich war eben in mein fünfzehntes Lebensjahr getreten, als meine teuren Eltern wenige Tage hintereinander an den Pocken starben. Durch ihr Ableben ward ich eine arme Waise ohne Hilfe und ohne Freunde; denn mein Vater, der in der Grafschaft Kent zu Hause war, hatte sich auf gutes Glück in meinem Geburtsort niedergelassen. Übrigens wurde auch ich von der ansteckenden Krankheit ergriffen, aber so leicht, dass nicht die geringste Spur sichtbar blieb. Ich gehe mit Stillschweigen über diesen herben Verlust hinweg. Die rasche Wandlungsfähigkeit der Jugend verwischte die traurigen Eindrücke dieser Zeit nur zu bald aus meinem Gedächtnis.

Eine junge Frau mit Namen Esther Davis, die um diese Zeit nach London, wo sie in Diensten stand, zurückkehren musste, schlug mir vor, mich zu begleiten und versprach mir, mir nach besten Kräften beim Aufsuchen einer Stellung behilflich zu sein. Da niemand auf der Welt sich um meine Zukunft scherte, so nahm ich das Anerbieten dieses Weibes ohne Zögern an, entschlossen, mein Glück zu versuchen. Ich war entzückt von all den Wundern, die mir Esther Davis von London erzählte und brannte vor Begierde, ebenfalls die königliche Familie, das Mausoleum von Westminster, die Komödie, die Oper, kurz all die schönen Dinge, mit denen sie meine Neugierde reizte, zu sehen.

Aber das Interessanteste an ihren Geschichten war, dass so viele arme Landmädchen, allein durch ihre gute Führung, reich und angesehen geworden waren; dass viele tugendhafte Dienstmädchen ihre Herren heirateten und dann Pferd und Wagen hielten; dass manche sogar Herzoginnen geworden seien – kurz, dass das Glück alles könne und wir eben so gut darauf bauen müssten, wie andere.

Ermutigt durch so schöne Prophezeiungen, machte ich eilends meine kleine Erbschaft zu Gelde. Der Erlös belief sich nach Abzug der Schulden und Begräbniskosten auf acht Guineen und siebzehn Schilling. Dann packte ich meine sehr bescheidene Garderobe in eine Hutschachtel und wir fuhren mit der Postkutsche ab. Meine Führerin diente mir während der Fahrt als Mutter und ließ sich dafür ihr Billett von mir bezahlen. Überhaupt verfügte sie über meine Börse, wie über ihr Eigentum.

Sobald wir angekommen waren, hielt mir Esther Davis, auf deren Hilfe ich so fest gerechnet hatte, folgende kurze Rede, die mich fast zu Stein erstarren ließ: »Gott sei Dank, wir haben eine gute Fahrt gehabt. Ich gehe jetzt schnell nach Hause; suche du dir nur so rasch als möglich einen Dienst. Ich rate dir, in ein Mietbüro zu gehen. Wenn ich was höre, werde ich es dir mitteilen. Einstweilen wird es dir gut tun, dir irgendwo ein Zimmer zu nehmen. Ich wünsche dir viel Glück und hoffe, dass du immer brav bleiben und deinen Eltern keine Schande machen wirst.«

Nach diesen Ermahnungen grüßte sie kurz und ging einfach weg. Kaum war sie fort, als ich in bitterliche Tränen ausbrach. Das erleichterte mich etwas, konnte mich aber über mein Schicksal nicht beruhigen. Einer der Gasthauskellner machte mich noch verwirrter, indem er mich fragte, ob ich etwas wünsche. Naiv antwortete ich »nein« und bat nur um eine Unterkunft für die Nacht. Die Wirtin erschien und sagte mir kühl, dass das Bett einen Schilling koste. Sobald ich Unterkunft hatte, schöpfte ich wieder etwas Mut und beschloss, gleich am nächsten Tage in das Mietbüro zu gehen, dessen Adresse mir Esther aufgeschrieben hatte.

Die Ungeduld brachte mich schon früh aus den Federn. Ich legte eiligst meine schönsten Dorfkleider an, übergab der Wirtin mein kleines Paket und begab mich stracks in das Büro.

Eine alte Dame führte das Geschäft. Sie saß am Tisch vor einem riesigen Register, das in alphabetischer Ordnung unzählige Adressen zu enthalten schien. Ich näherte mich der achtbaren Dame mit züchtig gesenkten Augen, wobei ich durch eine Menge Leute mich hindurchwinden musste, und machte ihr ein halbes Dutzend linkische Verbeugungen. Sie erteilte mir Audienz mit der ganzen Würde und dem Ernst eines Staatsministers und entschied nach einem prüfenden Blick und nachdem sie mir als Anzahlung einen Schilling abgenommen hatte, dass die Stellungen für Mädchen jetzt selten seien, dass ich offenbar für schwere Arbeit nicht zu brauchen sei, dass sie aber trotzdem nachsehen wolle, ob sich etwas für mich fände. Zunächst aber müsse sie erst einige andere Kundinnen abfertigen. Ich verfügte mich traurig nach hinten, fast verzweifelt über die Antwort der Alten. Trotzdem ließ ich zur Zerstreuung die Augen umherschweifen und bemerkte eine dicke Dame von ungefähr 50 Jahren in gutbürgerlicher Kleidung, die mich anstierte, als wolle sie mich verschlingen. Ich war zuerst etwas betroffen, aber die liebe Eitelkeit ließ mich bald diese Aufmerksamkeit zu meinen Gunsten auslegen und ich richtete mich daher so sehr als möglich auf, um recht vorteilhaft zu erscheinen. Endlich, nach einer nochmaligen genauen Prüfung, näherte sich mir die Dame und fragte mich, ob ich einen Dienst suchte. Ich machte eine tiefe Verbeugung und antwortete »ja«.

»Hm ...«, sagte sie, »ich suche ein Mädchen und glaube, dass Sie etwas für mich sind ... Ihr Gesicht bedarf keiner weiteren Empfehlung ... Jedenfalls, liebes Kind, sehen Sie sich vor ... London ist eine sündhafte Stadt ... Folgen Sie meinem Rat und meiden Sie schlechte Gesellschaft ...«

In diesem Tone fuhr sie noch eine gute Weile fort und ich war glücklich, eine anscheinend so ehrenwerte Herrin gefunden zu haben.

Währenddessen lächelte mir die alte Vermittlerin so bedeutsam zu, dass ich törichterweise überzeugt war, sie gratuliere mir zu meinem Glück, während ich später erfuhr, dass die beiden Hexen alte Vertraute waren und Madame Brown, meine neue Herrin, ihren »Vorrat« oft aus diesem »Magazin« ergänzte. Die letztere war so zufrieden mit mir, dass sie aus Angst, ich könnte ihr entwischen, mich sofort in einen Wagen packte, mein Gepäck aus dem Gasthaus abholte und dann gradeswegs mit mir in ihr Haus fuhr. Das Äußere der neuen Heimat, der Geschmack und die Sauberkeit der Möbel bestätigten noch die gute Meinung, die ich von meiner Stellung hatte. Ich zweifelte nicht, dass ich in einem außerordentlich anständigen Hause sei.

Sobald ich installiert war, sagte mir meine Herrin, dass es ihre Absicht sei, in familiäre Beziehungen zu mir zu treten. Sie habe mich weniger als Dienerin, denn als Gesellschafterin aufgenommen und werde mir eine wahre Mutter sein, wenn ich mich gut führe. Auf all das antwortete ich kindisch, mit vielen lächerlichen Verbeugungen: »Ja – oh ja – gewiss – Ihre Dienerin, Madame.«

Darauf klingelte Madame und ein großes ältliches Stubenmädchen erschien.

»Martha«, sagte Madame Brown, »ich habe dieses junge Mädchen aufgenommen, um für meine Wäsche zu sorgen; zeigen Sie ihr ihr Zimmer. Ich empfehle sie Ihrer ganz besonderen Sorgfalt, denn ihr Gesicht gefällt mir ganz ausnehmend.«

Martha, die eine schlaue und im Metier ungemein erfahrene Person war, begrüßte mich respektvoll und führte mich in den zweiten Stock, in ein Zimmer nach hinten hinaus. Dort stand ein sehr schönes Bett, das ich, wie sie mitteilte, mit einer Verwandten der Madame Brown teilen sollte. Darauf stimmte sie einen Lobgesang auf ihre teure Herrin an, der mir die Augen geöffnet haben würde, wenn ich auch nur die geringste Lebenserfahrung besessen hätte.

Man klingelte zum zweiten Mal. Wir steigen wieder hinab und ich werde in ein Esszimmer geführt, wo die Tafel für drei gedeckt stand. Neben meiner Herrin saß jetzt die angebliche Verwandte, die das Hauswesen leitete.

Ihrer Sorgfalt war auch meine Erziehung anvertraut und zu diesem Zwecke sollte ich mit ihr schlafen. Von Seiten des Fräuleins Phoebe Ayres – so hieß meine Lehrerin – hatte ich eine neue genaue Prüfung zu bestehen und das Glück, auch ihr zu gefallen. Dann speiste ich zwischen den beiden Damen, deren Aufmerksamkeit und Liebenswürdigkeit mich entzückten.

Es wurde beschlossen, dass ich auf meinem Zimmer bleiben sollte, bis die meinem neuen Stande angemessenen Kleider fertig seien; aber dies war natürlich nur ein Vorwand. Madame Brown wollte, dass niemand mich sähe, bis sie einen Käufer für meine Jungfernschaft, von der sie überzeugt war, gefunden hätte.