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Bärenreiter BasiswissenHerausgegeben vonSilke LeopoldundJutta Schmoll-Barthel
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omas SchippergesMusik und Bibel111 Figuren und Motive, Themen und TexteBand 1: Altes TestamentBärenreiter Kassel Basel London New York Praha
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Gefördert durch die Landgraf-Moritz-Stiftung, KasselBibliograsche Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograe; detaillierte bibliograsche Daten sind im Internet über www.dnb.deabrufbar.eBook-Version 20142. Auflage 2013© 2009 Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, KasselUmschlaggestaltung:+  Abbildungen: © Sony Music Entertainment Germany GmbH (S. 99); Bärenreiter-Bildarchiv; Bildarchiv Thomas SchippergesLektorat: Jutta Schmoll-BarthelKorrektur: Caren Benischek, HeidelbergNotensatz: Joachim Linckelmann, MerzhausenInnengestaltung und Satz: Dorothea Willerding978-3-7618-7005-1105-03www.baerenreiter.comeBook-Produktion: rombach digitale manufaktur, FreiburgFür Ines»Des vielen Büchermachens ist kein Ende.« (Koh 12,12)Die Bände dieser Reihe: Grundwortschatz Musik · 55 Begriffe, die man kennen solltevon Marie-Agnes DittrichMusikalische Meilensteine · 111 Werke, die man kennen sollte2 Bände · vonSilke Leopold, Dorothea Redepenning und Joachim SteinheuerMusik und Bibel · 111 Figuren und Motive, Themen und Texte Band 1: Altes Testament· Band 2: Neues Testament· von omas SchippergesMusikalische Formen · 20 Möglichkeiten, die man kennen solltevon Marie-Agnes DittrichKlaviermusik · 55 Begriffe, die man kennen solltevon Annegret Huber
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In dem Meer der Informationen, die das Internet,die Enzy-klopädien, die wissenschaliche Spezialliteratur bereitstellen, fehlt vorallem eines: Orientierung. Woanfangen,woraufaufbauen? Welche Begrie muss ich kennen, um zu nden, wonach ich suche? Welche historischen und kulturellen Grund-lagen helfen mir, das schier unendliche Universum der Musik besser zu verstehen? Was muss ich wissen und kennen,um zu neuen, unbekannten Ufern aufbrechen zu können?Bärenreiter Basiswissengibt auf diese Fragen Antworten.Die Bände sind Navigationsinstrumente: Sie helfen, sich in der Flut der verfügbaren Materialien zurechtzunden und Pöcke einzuschlagen,auf denen später Wissensgebäude errichtet werden können. Sie vermitteln Grundlagenwissen und geben Tipps für die Erweiterungdes Bildungshorizonts. Komplexes Wissen wird knapp, aber fundiert zusammengefasst.Die Bände sind für Musikinteressierte jeden Alters geschrie-ben, vor allem aber für Schüler und Studierende, die trotz verkürzter Ausbildungszeiten solidesBasiswissen erwerben wollen. Sie erleichterndas Hören, Lesen, Studieren und Ver-stehen von Musik.Die eBook-Versionbietet neben denüblichen Verlinkungenvon Inhaltsverzeichnis und Querverweisen auch Verweise auf Band 2 von »Musikund Bibel«; sie sind unter Angabe der Seitenzahl mit gekennzeichnet.Bärenreiter BasiswissenEin Navigator durch die Wissenslandschaft
Band 1Einleitung 10Einführung in das Alte Testament 121 »Im Anfang …« 142 Schöpfung 163 Haydn: »Die Schöpfung« 184 Adam und Eva 205 Engel und Erzengel 226 Kain und Abel 247 Jubal – Erfinder der Musik 268 Noah und die Sintflut 289 Der Turmbau zu Babel 3010 Abraham 3211 Isaak 3412 Jakob 3613 Josef und seine Brüder 3814 Moses I: Der Auszug aus Ägypten 4015 Moses II: Die Israeliten in der Wüste 4216 Mirjam 4417 Die Zehn Gebote 4618 Schönberg: »Moses und Aron« 4819 Josua und die »Posaunen vor Jericho« 5020 Debora, Jaël und Barak 5221 Jephta und seine Tochter 5422 Samson und Dalilah 5623 Naemi, Ruth und Boas 5824 Hanna 6025 Samuel und seine Propheten 6226 Saul 6427 Saul und David 6628 David gegen Goliath 6829 David, der Held 7030 David, der König 7231 David, Bathseba und Absalom 7432 Salomo 7633 Die Königin von Saba 78Inhalt
34 Mendelssohn: »Elias« 8035 Weitere Könige 8236 Tobias 8437 Judith und Holofernes 8638 Esther 8839 Judas Makkabäus 9040 Hiob 9241 Kohelet /Prediger / Ekklesiastes 9442 Psalmen Davids 9643 »An den Wassern zu Babel …« (Psalm 137) 9844 Lobgesang (Psalm 150) 10045 Das Hohelied der Liebe 10246 Jesaja 10447 Sanctus 10648 Jeremia 10849 Klagelieder des Jeremia 11050 Ezechiel (Hesekiel) 11251 Daniel 11452 Belsazar 11653 Stockhausen: »Gesang der Jünglinge« 11854 »Susanna im Bade« 12055 Amos 12256 Jonas 124Übersicht über die biblischen Bücher 126Lese- und Hörempfehlungen 128Personen- und Werkregister 138Über den Autor 146Band 2Einführung in das Neue Testament 15657 Christus 16058 Händel: »Der Messias« 16259 Der Evangelist Matthäus 16460 Der Evangelist Markus 16661 Der Evangelist Lukas 168
62 Der Evangelist Johannes 17063 Maria 17264 Josef 17465 Ave Maria 17666 Magnicat 17867 Benedictus 18068 Weihnachten 18269 »Vom Himmel hoc18470 Gloria 18671 Nunc dimittis 18872 Die Heiligen Drei Könige 19073 Herodes und der Kindermord zu Bethlehem 19274 Der junge Jesus im Tempel 19475 Johannes der Täufer 19676 Salome 19877 Judas 20078 Die Seligpreisungen der Bergpredigt 20279 Vaterunser 20480 Die Hochzeit zu Kana 20681 Wunder und Heilungen 20882 Gleichnisse 21083 Lazarus 21284 Maria Magdalena 21485 Petrus 21686 »Tu es Petrus« 21887 Jesus und Nikodemus 22088 Einzug in Jerusalem mit Benedictus und Hosanna 22289 Passionsereignisse 22490 Passion als Gattung 22691 Passionsmodelle 22892 Motettische Passion 23093 Musik zur Passion – nach Bach 23294 Die Tnen des Petrus 23495 Antijudaismus und »Judenturbae« 23696 Die Sieben Worte Jesu am Kreuz 23897 Haydn: »Die sieben letzten Worte« 24098 Stabat Mater 24299 Ostern 244100 Auferstehungsmusiken 246101 Apostelgeschichte 248
102 Himmelfahrt 250103 Pfingsten 252104 Paulus254105 Paulus und die Kirchenmusik 256106 Die Frau in Gemeinde und Gottesdienst 258107 Musik in der Apokalypse 260108 Musik zur Apokalypse 262109 Der Erzengel Michael 264110 Gerichtsposaune und Dies irae 266111 Selig sind die Toten 268Übersicht über die biblischen Bücher 270
10Gegenüber Ferdinand Hiller,dem Freund, oenbarte der französischeKlavierexzentriker Charles Valentin Alkan Mitte des 19. Jh.s seinen Wunsch, in einem zweiten Leben die ge-samte Bibel zu vertonen. Viel mehr als eine Klavierfantasie über den 137.Psalm ist aus dem ersten Leben Alkans von die-sem so ambitionierten Projekt leider nicht überliefert. Und es ist bisher auch kein anderer derartiger Versuch realisiert wor-den, so sehr die Bibel insgesamt die nstler aller Disziplinen, Länder und Zeiten über Jahrhunderte hinweg herausgefordert und angeregt hat.Den Figuren und Motiven, emen und Texten der Bibel aus dem speziellen Blick der Musikgeschichte möchten diese Basiswissen-Bände nachgehen.Biblische Figuren ndet man allein in den Oratorien Georg Friedrich Händels von A wie Athaliaund B wie Belshazzarüber D wie Deborahund E wie Esthersowie I und J wie Israel in Egypt,Jephta,Joshua und Judas Maccabaeusoder M wie Messiah bis zu S wie Samson, Saul,Solomonund Susanna. Motive der Bibelfanden und n-den Eingang in Motettenund Kantaten, in Lieder und Opern, in die Klavier- und Orgelmusik,Sinfonik und Kammermusik. Auch Volkslieder aller möglichen Länder greifen auf biblische emen und Texte zurück.Weltweite Verbreitung unter den biblisch inspirierten Spirituals erlangte etwa Go down Moses (»When Israel was in Egypt’s Land«) mit der Übertragung des Motivs der geknechteten Israeliten auf das Schicksal der Sklavenin Amerika.Xavier Naidoound die »Söhne Mann-heims« brachten ihr erstes Album unter dem Titel Zionhe-raus,Wohnsitz Jahwes,des Gottes Israels.Überhaupt klingen biblische Assoziationen gern in der Rock- und Popmusik an. »Genesis« ist seit den 1970er-Jahren eine der erfolgreichs-ten britischen Rockbands und Madonna als Popstar eine Legende. Bekanntin den 1980er-Jahren war die Gospelgruppe Einleitung
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11»2nd Chapter of Acts«(Zweites Kapitel der Apostelgeschichte)und seit den 1990er-Jahren die polnische Metal-Band »Behe-moth«. Judith Holofernes nennt sich dieSängerin der Gruppe»Wir sind Helden«.Neben Musikmotiven ausder Bibel steht die Musikinder Bibel.Die Figur des Harfe spielenden David ist zum Symbol geworden: David,der Psalmendichter und Psalmensänger,David,der mit seiner MusikSauls Schwermut behandelte. Zu erinnern ist auch an die geradezu sprichwörtlichgewordenen Posaunen vorJericho oder Musik aus dem Neuen Testament,vom Gesang der Engel bei der Geburt Jesu bis zu den sieben Posaunen der Apokalypse.Vonbeiden Aspekten handelt diese Hinführung zum ema Musikund Bibel.Die Bände wollen eine erste Orientierunggeben und können auch als Nachschlagewerkgenutzt werden (Register). Als Lesebuch folgensie der Reihenfolge der bibli-schen Bücher, stellen Abläufe dar und verweisen auf Zusam-menhänge.Ein besonderes Vergnügenfür die Leser erhosich der Autor von einer Parallellektüre des Buchs der Bücher. Das Vergnügen erweitern möchten die Lese-und die Hör-empfehlungen. Freilich: Allein Mut zur Lücke hat die Bände überhaupt möglich gemacht.Jeder Leserin und jedem Leser werden wichtige Werke einfallen, denen sie oder er hier nichtbegegnet.Andere dürfen sich über die Würdigung von weni-ger Bekanntem wundern oder freuen.Viele Generationen haben in der Bibel ihreGeschichten nie-dergeschrieben und weitererzählt,haben die eigenen Lebens-erfahrungen undGlaubenserlebnissemit hineingetragen. Es waren Menschen, die hoten und verzweifelten,liebten und hassten, kämpften und sichfürchteten. Das macht die unge-brochene Aktualität des Buches aus. So ist und bleibt die Bibel ein farbigesKaleidoskop des sich über die Zeitläue immer wieder erneuernden Lebens – und eine nie versagende Quelle fabelha eindringlicher Hörbilder.
12Einführung in das Alte TestamentByblos, die phöni-zische Hafenstadt im heutigen Libanon, war Um-schlagplatz für Papyrus aus Ägyp- ten, den Schreib-sto für Bücher. Bibel meint also Buch schlechthin.Um jeden Unter-ton zu vermeiden, spricht man auch von der Hebräi-schen Bibel. Frei- lich: Politisch korrekter verhält sich inzwischen ja, wer sich über political correct-ness mokiert.Lat. testamentum, Rechtsverfügung, bezeichnet den Bund von Gott und Menschen. Auf einen »neuen Bund« verweist bereits der Prophet Jeremia (31,31–34).Bertolt Brecht, den man zur Lektürebefragte, die ihn am stärksten prägte, antwortete mit dem berühmtgewordenen Satz: »Sie werden lachen, die Bibel.« Brecht,Atheist und Mar-xist, meinte das ernst.Den Stofür sein erstes eaterstückDie Bibel entnahm er dem Buch Judith. Und wie ein roter Fa-den durchziehen Bibelzitate und -anspielungen seine Stücke. Die archetypischen Gestalten hat der Dichter aufgegrien, die Geschichten für seine Gegenwartneu erzählt.Die Bibel erschien ihm als ein zeitloses Menschheitsbuch.Was aber ist die Bibel im Spiegel der Geschichte? »Biblia« (griech., Bücher)ist eine Sammlung von Schrien, zusammen-getragen über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren. Im 1. Jh. erstellten jüdische Gelehrteaus einem Bestand be-schriebener Papyrusrollen und geheeter Pergamentblätter einen Kanon(griech.,Maßstab, verbindliche Ordnung), dem die christliche Kirche bis zum 4. Jh. die Schrien des Neuen Testaments anfügte.Die Bücher des Alten Testamentserzählen und reektieren, wie die Israelitenaus verstreuten Sippenverbänden zu Stäm-men und schließlich einem Volk wurden (ab dem 13.Jh. v.Chr.), aus der ägyptischen Knechtscha ohen, nach vierzigjähriger Wüstenwanderung ein kleines Land namens Kanaan in Besitz nahmen (um1200 v.Chr.), dort die Staaten Israel und Judagründeten, unter einen gemeinsamen König stellten (um 1000 v. Chr.) und sich später wieder trennten, wie sie unterNebukadnezar II. ins Exil nach Babylon verschleppt wurden (597/587v.Chr.) und nach dem Baudes zweiten Tempels (520 bis 515) unter der Herrscha der Perser,Griechen und Römer lebten. 70n. Chr. wurde Jerusalem zum zweiten Mal erobert,der Tempel endgültig zerstört.Jahrhundertelang sind die Texte der Bibel als Glaubensbe-kenntnis gelesen, gebetet und gedeutet worden. Abdem 18. Jh.
13Eine deutsche Bibelübersetzung fertigten die jüdi-schen Gelehrten Martin Buber und Franz Rosenzweig an (Die Schrift, 1925–1961), ka-tholische Überset-zungen liegen mit der Herder-Bibel (1964) und der Jerusalemer Bibel (1968) vor.erforschten Orientalisten das geschichtliche Werden dieses Kanons.Sie erkannten, dass es sich nicht um ein einheitlich gefügtes Buch handelt.Andere Forscher folgten mit Anfra-gen an historische Irrtümer oder textliche Missverständnisse. Zuletzt wurden die Episoden der Bibel nurmehr als abend-ländischer Leitkulturführer gelesen oder alsMärchenvon gestern gemieden.Die christliche Bibel existiert als Altes Testament(AT) und Neues Testament(NT). Alt macht Sinn natürlich nur vor einem Neuen. Und es deutet sichdamit zugleich veraltetan. Das NT bezieht sich durchgehend auf das ATim Sinne von Erfül-lung und Ablösung. Es nden sich fastdreihundert AT-Zitate im NT.Für das heilige Buch des Judentums ergibt der Ausdruck keinen Sinn. Die jüdische Bibel (Tanach)umfasst die dreiTeile Tora (»Gesetz«, »Weisung«, das sind die fünf Bücher Mose), Nebiim(Bücher der Pro pheten, wobei die Geschichts-bücher als ältere Propheten gelten) sowie Ketubim (Schrien: Psalmen, Weisheitsbücher, Sprüche usw.). Im 3. Jh.v.Chr. über-setzten zweiundsiebzig jüdische Gelehrte in zweiundsiebzig Tagen erstmalsvollständig die hebräische Tora. Dieser Text bil-dete den Grundstock der griechischen Bibelübersetzung,der Septuaginta(LXX: siebzig),und zahl loser weiterer Überset-zungen, darunter auch der lateinischen Übersetzung durch den Hl. Hie ronymusim 4. Jh., der Vulgata(die Allgemeine) als Grundstockder meisten Übersetzungen. Inmehr als zwei-tausend Sprachen liegt die Bibel heute übersetzt vor, manche Schrisprache hat dieBibelübersetzung überhaupt erst ange-stoßen, andere lange Zeit maßgeblich geprägt, wie die deutsche Übersetzung nach dem hebräischen Urtext durch Martin Luther(seit 1522, erster vollständiger Druck Biblia Deutsch, Wittenberg 1534; heute gebräuchlicherText in der revidierten Fassung von 1984). Biblische Texte werden nach der Einheits-übersetzung zitiert (wenn es um Werke geht, nach den verwen-deten Ausgaben, in der RegelLuther), biblische Eigennamen nach Duden (also Elias statt Elia, Ruth statt Rut usw.).
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14»Im Anfang …«»Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urut,und Gottes Geist schwebte über dem Wasser« (Gen 1,1 f.). Man muss es dieser Erönung des Buches der Bücher lassen: Sie entfaltet eine großartige Szenerie,ein überwältigendesBild,das sich tief in das kulturelle Gedächtnis der Menschheiteingeprägthat.Dem irdischen Chaos Tohuwabohusteht ein harmonischgeordneterKosmos gegenüber. Gott schuf Himmel und Erde aus einem vor allem Anfang festgelegten Schöpfungsplan.Wenn die heutige Naturwissenscha von Kräen der Selbst-organisation (Urknall) und der Evolution ausgeht,so erzählt der Bibeltext – und die vor allem in Amerika wieder einuss-reichen Kreationisten möchten das wörtlich lesen – voneinem schaenden Gott, dem deus creator(lat.deus, Gott;creator, Schöpfer). Schon im 4. Jh. v. Chr.bezeichnete Platon in sei-nem Dialog Timaios Gott als Demiurgen (griech. dēmiurgós, Handwerker), also als harmonisch ordnenden Weltbildner. Der Gedankeeiner geordneten Harmonieals Grundlage des Weltenbausist mit mathematischen Zahlenverhältnissen in Verbindung gebracht worden und von daher weitergehend mit Musik:Mit einfachen Zahlenproportionen lassen sich die grundlegenden Musikintervallebeschreiben. Soerklingt bei Teilung einer Saite im Verhältnis 2 : 1die Oktave, 3 :2 die Quinte, 4 :3die Quarte usw. Solchen musikalischen Zahlenverhält-nissen entspricht die harmonische Ordnung des Weltalls im Großen und die irdische Ordnung im Kleinen, Makrokos-mos (griech. makros, groß;kosmos, Welt) und Mikrokosmos (mikros, klein). Seit der Spätantike (3.Jh. n. Chr.) verbinden sich diese Vorstellungen mit dem Namen des Philosophen und Mathematikers Pythagorasvon Samos (er selbst lebte freilich schon um 500 v. Chr.). In dieser pythagoräischen Tra dition, wie sie die Kirchenväter weitertrugen, wurde der Den Zustand vor der Schöpfung be-nennt die Bibel als »tohu wa bohu«. Luther übersetzt mit »wüst und leer«. Der Duden kennt das Wort Tohuwabohu um-gangssprachlich für Wirrwarr und Durcheinander.Die Erschaung der Welt, Titel-miniatur Bible moralisée (Frank-reich, 13. Jh.)
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15biblische Schöpfungsbericht auch in Mittelalter und früher Neuzeit noch gelesen. Unter griechisch-hellenistischem Ein-uss heißt es sogar in der Bibel selbst »Du aber hast alles nach Maß,Zahl und Gewichtgeordnet« (Weish 11,20; ähn-lich Jes 40,12).Aufdieses Welt- und Musikbild zielte auch Georg Friedrich Händel in Rezitativ und Accompagnato des Hohen Pries ters aus dem ersten Akt seines Oratoriums Saul. König Saul, in äußerster Erregung und Zorn über die Erfolge des jungen David,ist dabei, völlig die Kontrolle über sich zu verlieren.Michal und Abner rufen nach David und seiner Musik. Auch der Priester verweist auf Davids sänigendes Harfenspiel. Die Wirkungsmachtder Musik bändigt das Chaos und bezeugt die harmonische Schöpfung Gottes: »is butthe smallest part of Harmony, / Greatattribute of attributes divine, / And centreof the rest, where all agree: / Whose won derous force what great eects proclaim!« (»Es ist die kleinste Kra der Harmonie, / Die aller Wesen wahres Wesen ist,/ Und aller Dinge Kern und erster Keim, / Des All gewalt der Welten Baubezeugt«).Paul Hindemithstellte in seiner späten Bekenntnisoper Die Harmonie der Welt(1957)die Gebrochenheit und Gespalten-heit des irdischen Lebens seiner Figur Johannes Kepler und dessen Vision von einer Weltharmonie gegenüber.Die irdische Musikgibt ein Abbild dieser göttlich geschaenen kosmischen Harmonie. In diesem Verständnis ist Musikgeradezu der Schlüssel zur Schöpfung.Eine viel beschriebene Idee ist die Bewegung der Himmelskörper als Sphärenmusik. Die Planeten bewegen sich auf ihren Umlaufbahnen in Geschwindigkeiten und mit Abständen, die den Zahlenverhältnissen der musikalischen Intervalle gleichen. Auch hier ergeben sich somit harmonische Zusammenklänge. Dieser Bereich der Musik ist die musica mundana (lat.mun-dus, Welt, Weltall). Aus der griechischen Antikeging die Idee der Harmonie der Sphären in die mittelalterliche Musiktheorie ein, wurde aber im Anschluss an Aristoteles immer wieder auch abgelehnt. Kepler hielt an ihr im . Jh. fest, im . Jh. der mit Hindemith bekannte Neupythagoräer Hans Kayser.»Die Sonne tönt nach alter Weisein Brudersphären Wettgesang,und ihre vorge-schriebne Reisevollendet sie im Donnergang«.(Goethe, Faust I, Prolog im Him-mel)
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16SchöpfungDie Literaturen der Welt kennen viele Texte über die Er-schaung der Welt, die in Form und Inhaltdem biblischen Berichtverwandt sind.Schöpfungsmythenaller Art sind ein beliebtes ema auch der Musikgeschichte. Nach afrika-nischen Legenden komponierte Darius Milhaud sein erfolg-reiches Ballett La Création du monde(1923). Die Musikist mit archaischen Idiomen afrikanischer Musik und Jazzelementen durchsetzt. Sie geht ausabsoluter Ruhe in zunehmend wildere Beschwörungstänze über, welche die Erweckung der Tiere und schließlich als Höhepunkt die Erschaung vonFrau und Mann zum ema haben. Milhaud beteiligte sich auch an einem groß angelegten Gemeinschaftswerkamerikanischer Komponisten zum biblischen Schöpfungsmythos, das 1944/45auf Anregung des Musikverlegers und Filmmusikers Natha-niel Shilkret entstand. Die einzelnen Sätze dieser stilistisch reichlich gemischtenGenesis-Suitefür Sprecher,Chor und Orchester schrieben Schönberg (Prelude), Shilkret (Creation), Ale xandre Tansman (Adam andEve), Milhaud (Cain and Abel), Mario Castelnuovo-Tedesco (e Flood), Ernst Toch (e Cove nant) und Igor Strawinsky (Babel). Schönbergs Prel ude»Genesis« ist ein stimmungsvolles Zwölftonstück in der Tradition der Präludien und Fugen Bachs. Den so geheim-nisvollen Zustand vor der Schöpfung drücktder textlose Chor aus (denkbar ist in diesem Zusammenhang aber auch ein ironischer Verweis aufdie Schlussverklärungen vieler Holly wood-Filme).Eine der spektakulärsten Darstellungen des »Chaos« vor der Schöpfung in der Musikgeschichte ndet sich im Er-önungssatz einer barocken Tanzsuite: »Le cahos«aus der Symphonie de danse Les élements(1737) von Jean-Ferry Rebel. Schon als geigendes Wunderkind verblüte Rebel den Son nenkönig Louis XIV., dem er dann in verschiedenen Den Eekt von drei Echostimmen verwendete Gün - ter Bialas in seinem Oratorium Im Anfang (1961). Er vertonte den Schöpfungsbe richt in der Über setzung von Martin Buber.»Ich habe es ge-wagt, die Idee des Durcheinanders der Elemente mit einem harmoni - schen Durcheinan-der zu verbinden« (Rebel, Avertisse-ment zu Les élements).
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17Musikämtern diente.Der Eingangseekt dieses Werkes, ein Cluster klang aus sieben Tönen, verfehlt seine Wirkung bis heute nicht.Viel vertontwurden die zentralen Worte des Schöpfungsbe-richtesGen 1,3: »Es werde Licht«. Johann SebastianBach gri sie in seiner KantateBWV36c Schwingtfreudig euch empor (1725)auf, die er als Gratulationsmusik für einen Leip-ziger Lehrer schrieb. Es muss ein bedeutender Lehrer gewe-sen sein. Der Textdichterließ sich zumindest dazu hinreißen, den Geburtstag des Geehrtenmit dem Tag der Schöpfung parallel zu setzen. Die Bassarie Nr. 5»Der Tag, der dich vor-dem gebar« (Bibelworte werden gerne dem Bass anvertraut) läu dramaturgisch zielgerichtet auf die siegha-strahlende Schlusszeile »Es werde Licht« zu.Indes bedarf es der Vorsicht selbst bei oensichtlichen Text-Musik-Beziehungen. Bachunterlegte seiner Musik, als »Parodie«, immer wieder an-dere Texte. Auch BWV36c nutzte er für zwei weitere Glück-wunschkantatenund für die geistliche Kantate zum Ersten Advent 1731 BWV36.Als intergalaktischer Botschaer realisierteKarlheinz Stock-hausenvon 1977 bis 2004 seine Heptalogie Licht – Die sieben Tage der Woche, ein Zyklus aus Klängen,Sprachen,Farben, Licht und Tanz. Hauptpersonen sind Michael, Eva und Lu-zifer.Das in den Weltenraumgerichtete und auch auf die Person seines Schöpfers bezogene Erlösungsritual entziehtsich weitgehend einem künstlerisch- ästhetischen Zugang und gehört in den Bereich der Geschichte der Utopien.Mit opulenten Klangmitteln und in abgrundtief bitterer Komik ging Mauricio Kagel in seiner »szenischen Illusion« Die Erschöpfung der Welt() die ewigen Fragen nach Ursprung und Bestimmung von Mensch und Gott an. Ausgehend von der viel diskutierten Textstelle Gen , (»macht euch die Erde untertan«) stellt der Komponist gleich an den Anfang ein ernüchterndes Resümee der Schöpfungstat: »Am Ende erschöpfte Gott den Himmel und die Erde. Die Erde war wüst und öde, Smog lag auf der Urut,und der Geist Gottes schwamm auf den Abwässern«. Als Finale lässt Gott die Schöpfung in einem alles zermalmenden Fleischwolf wieder verschwinden. Das Schlusswort: »Amen?!«Der siebentönige Anfangs akkord von Rebels Le cahos (1737)Parodie (griech. parōdía, Neben-gesang) benennt als Fachbegriff der Musik die Zuwei-sung eines neuen Textes an eine Vokalkomposition oder auch von Text an ein ursprüng-lich instrumentales Werk.
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18Jede musikalische Schöpfungsdarstellung muss sich heute an dem einen großen Werk messen lassen: Joseph Haydns Ora-torium Die Schöpfung (1796–1798). Der Text(er war schonHändel zur Vertonung angeboten worden) fußt auf der nicht weniger grandiosen und für die Musikgeschichte wichtigs-ten literarischen Bearbeitung des Bibelstoes: John Miltons Paradise Lost(Das verlorene Paradies, 1667, zweite Fassung 1674). Milton hatals Dichter und Staatsphilosoph seineZeit wie kaum ein anderer beeinusst. Inseinem Schöpfungsepos schildert er dasSechstagewerk in über zwölf Büchern, verteilt auf mehr als dreizehntausend Verse. Oratoriennach Miltons Text komponierten vor und nach Haydn nebenanderen John ChristopherSmith (1760), Friedrich Schneider (1824) oder Anton Rubinstein (1855, sowie als geistliche Oper 1875).Der Wiener Baron Gottfried van Swieten verfasste für Haydn eine Übersetzungder dreiteiligen englischen Vorlage,der er einige freimaurerisch-humanitäre Gedanken über die har-monische Fügung der Welt und die Verantwortlichkeitdes Menschen als Krone der Schöpfung hinzufügte.Der Sünden-fallbleibt,dem aufklärerischen Impetus der Verfasser ent-sprechend,am Rande. Die Schöpfungsgeschichte selbst wird in Rezitativen vonden drei Erzengeln Raphael (Bass), Uriel (Tenor)und Gabriel (Sopran) vorgetragen. Die Bibeltexte ergänzen gereimte Arien und Chorhymnen zum Lobe Gottes nach jedem Schöpfungstag.Der Eingang zu Haydns Schöpfungist – wie der Introitusaus Mozarts Requiemoder die Anfangstakte von Beethovens FünfterSinfonie – eine der Legenden der Musikgeschich te. Die instrumentale »Vorstellung des Chaos«mit ihren harmonischen und formalen Freiheiten (fantasieartig-freie Form,kurze, aperiodische Phrasen, unaufgelöste Dissonan-zen)inszenierte der Komponist dabei nicht für sich stehend.Bei Milton ndet sich erstmals auch die später dich-terisch (z. B. von Heinrich Heine, 1844) und um-gangssprachlich aufgegriene Rede vom »Him-mel auf Erden« (»a heaven on earth«).Haydn: »Die Schöpfung«Gottfried van Swieten (gest. 1803), österreichi-scher Diplomat niederländischer Herkunft in Berlin und Wien, machte die Musik Bachs und Händels den Wiener Klassikern bekannt.
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19Er erfasste sie vielmehr mit den Ideen und im Glauben der Aufklärung als ein geistiges »Hellwerden«. Ebensoklar wie erhaben schlägt die Musik denn auchin die neue Lichtwelt um (T.77–86): von Dissonanz in Konsonanz, vonfreier Fan-tasie in formal fest gefassten Motettenstil, vom Rezitativ der Erzengel in den mächtigen,instrumentalgestützten Chor, vom Piano ins Forte und von c-Moll nach C-Dur. Grundlinien der musikalischen Bildgestaltung desaufsteigenden oder herein-brechendenLichtessind harmonischer Stillstand,Crescendo, Aufwärtsbewegung, Erweiterung des Ambitus,Beschleuni-gung durchFigurationen, Dreiklangsbildungen und eine Vorliebe für die Tonart C-Dur.Mächtige Klangmassen mo-bilisiert auch der wohl populärste Chor des Oratoriums »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes« nach Worten aus Ps 19 mit der Schlussfuge »Und seiner Hände Werk zeigt an das Firmament«– eine strahlende und nicht enden wollende C-Dur-Bestätigung und Verherrlichung der harmonischen Schöpfung Gottes.Haydns »Weltmusik« ist der Idee nach aber etwas grund-sätzlich anderes als die zahlenha-proportionale kosmische Sphärenmusikder Antike. Nach griechischer Vorstellung tönt der Kosmos in sich selbst,der christlicheLobgesang richtet sich an den Schöpfer.Jene steht für sich, diese dient. Die Frage indes, ob Haydns grandiose Schöpfung, das immerfrische Werk eines schon älteren Mannes, möglicherweise sogar besser ge-lang als das zugrunde liegende Urbild, lässt sich mit Kunst-verstand allein gewiss nicht entscheiden.»Dieses Oratorium ist eines der schönsten Werke dieses großen Mannes. Doch scheint er an einigen Stellen vergessen zu haben, dass selbst das Chaos sich in der Musik nur nach den Gesetzen der Harmonie schildern lässt.Denn außer diesen Gesetzen gibt es kein Heil oder vielmehr keine Musik, sondern bloß ein misstönendes Geräusch, das nicht schildert,sondern die Ohren zerreißt,das gesunde Gefühl und die Vernunft beleidigt. Ein so großer und erhabener Schilderer Haydn auch ist, es gibt doch Dinge, die er nicht erreichen kann, weil sie überhaupt der Musik unzugänglich sind« (Jérôme Joseph de Momigny, französischer Musiktheoretiker, in seinem Cours complet d’harmonie, ).»Nie war ich so fromm als bei der Komposition der Schöpfung. Täglich el ich auf die Knie und bat Gott, dass er mich stärke für mein Werk« (Haydn).
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20Adam und EvaDer Schöpfungsbericht nach Gen 1 überliefert die Erschaungder Welt in sechsTagen. Am letzten Schöpfungstag erschuf Gott (hebr. Elohim, Gott,Götter) den Menschen. Als Krone der Schöpfung schuf er ihn nach seinem Abbildund »als Mann und Frau« (Gen 1,27). Es gibtmerkwürdigerweise noch einen zweiten Schöpfungsbericht(Gen 2,4–25). Hier formt Gott (nun mit Namen Jahwe) zunächst Adam und dann aus der Rippe des Mannes Eva, die Frau. Farbenreich ausgeschmückt erzählt dieser Text vom Leben der ersten Menschen im idyl-lischen »Garten Eden«. Von der Schlange verführt, gibt Eva Adam einen Apfel vom verbotenen »Baum der Erkenntnis« (Gen 2,17). Beide essen davonund erkennen, was gut und böse ist.Gott verstößt die nun sündigen und dem Tod ge-weihten Menschen aus dem Paradies. Schon früh sind diese Geschichten in »Adamsbüchern«, Ge-dichten, Legenden oder geistlichen Schauspielen noch bunter ausgemaltund weitergesponnen worden.Das Mittelalter setzte gerne das Alte und das Neue Testament in Beziehung. So bildet Adams Sündenfall den Gegenpol zur Erlösung der Menschen durch Jesus Christus.Der Verführerin Eva el der Widerpart zur unbeeckten Gottesmutter Maria zu.Die Aufklärung konnte den »Sündenfall« neu und positivdeuten. In Parallele zum antiken Prometheus-Mythosdienten die Früchte vom Baum der Erkenntnis als Metapher für den Ausgang des Men schen aus Abhängigkeit und Unmündigkeit:Erkenntnis bedeutet Freiheit.In den geistlichen Dialogen und Oratorien des 17. und18. Jh.sherrschtfreilich noch Zerknirschung vor. Das Schema von Schuld und Sühne verweist darauf, dass der Mensch an sich erlösungsbedürftig ist. Das Paradies ist verloren und für alle Zeit der Welt unerreichbar geworden. Diesem Weltbild folgt John Miltons Paradise Lost (Das verlorene Paradies).Adam (»Mensch«, von hebr. adamah, Erdboden), »der aus Erde Gemach-te«. Der Erdling wird hier im Sinne von »Menschheit« eingeführt.Eva (hebr. chawwah, leben), die »Mutter aller Lebendigen« (Gen 3,20).Haydn: Die Schöp-fungPrometheus brach- te nach der grie - chischen Mytholo-gie der Menschheit das Feuer und damit die Mög-lichkeit zu einer eigenen Kultur in Unabhängigkeit und Freiheit.
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21Als 1678 am Hamburger Gänsemarkt das erste bürgerliche Opernhaus jenseits der Alpen seine Pforten önete,wählte man, um sich die Geistlichkeitgewogen zu stimmen, ein biblisches Motiv: Adam und Eva oder der Erschaene,Gefallene und Aufgerichtete Mensch. Die Musik schrieb der Schütz-Schüler Johann eile. 1743setzte der Dichter Sebastian Sailer den Sto im Singspiel Die Schöpfung der ersten Menschen,der Sündenfall und dessen Strafe(Die Schwäbische Schöpfung) im schwäbischen Dialekt mit eigenen Melodien um.Über aufgeklärt-vernünige Varianten gewannen Komponis-ten dem Stoin Singspielen, komischen Opern, Possen oder Operetten auch humoristische Elemente ab (Anton Dia-belli, Karl Binder,AdolfMüller undandere).Die Sehnsucht nach einer Rückkehr ins Paradiesblieb eine unauslöschliche Idee und löste immer wieder auch Zivilisationskritik aus. In Ungarn gri Imre Madách in seinem dramatischen Gedicht Az ember tragédiája (Die Tragödie des Menschen; 1861) in Ver-sen von suggestiver Sprachkra den emenkreis um Adam,Eva und Luzifer auf. Ernst von (Ernő) Dohnányi vertonte in seiner Sinfonischen Kantate CantusVitae (1941)kontem-plative Texte aus dem Drama. Sandór Veress komponierte 1947 eine Bühnenmusik zu Madáchs Spiel umdie immer al-ten und immer neuen Fragen des Menschseinsin Geschichte und Gegenwart.Krzysztof Penderecki (geb. ) schrieb seine Sacra Rappresentazione Paradise Lost zum zweihundertstenUnabhängigkeitstag der Vereinigten Staaten. Der Textbearbeiter Christopher Frybezog dabei den Dichter Milton als blinden literarischen Führer in einer Sprechrolle in die Handlung mit ein. In dieser Oper vollzog der polnische Komponist seine Abkehr von der Avantgarde. Pathetische Melodien und melancholische Chromatik umhüllen das Liebesduett von Adam undEva. Adams Schlussvision von der Zukunft der Menschheit in Krankheit und Krieg, Sünde und Todfasste Penderecki in eine vokalorchestrale Passacaglia. Spektakulär ist der instrumentale Aufwand des Werkes. Unter den hohen Blasinstrumenten nden sich vier Okarinen. Mit dieser rund zwölftausend Jahre alten und in nahezu allen Kulturen nachweisbaren Schnabelöte (ital. ocarina, kleine Gans) suchte Penderecki instrumental an seinen urzeitlichen Sto anzuknüpfen.Bachs Kantaten-texte bringen im-mer wieder den »bösen Adams-samen« (BWV 199), die »ver-dammten Adams-erben« (BWV 165) oder »den alten Adamsrock« (BWV 162) ins Spiel.