cover



Schönsaufen

auf Mallorca

 


von

Fabian Schäfer


Impressum

Cover: Karsten Sturm, Chichili Agency

Foto: dreamtimes.com

© 110th / Chichili Agency 2015

EPUB ISBN 978-3-95865-680-2

MOBI ISBN 978-3-95865-681-9

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

KURZINHALT

SCHÖNSAUFEN = Das Ergebnis unkontrollierten Alkoholkonsums, infolge dessen eine überdurchschnittliche Hormonproduktion einsetzt, die wiederum das Erscheinungsbild zufällig über den Weg laufender Exemplare der jeweils gegengeschlechtlichen Spezies in einem sexuell ansprechenderen Licht erscheinen lässt, als es bei Null Promille im Blut der Fall gewesen wäre. Daraus ergibt sich nach Absenkung des Alkoholpegels auf ein Normalmaß wiederum die logische Erkenntnis, dass man die Dinge

(welche waren das nochmal?) einfach mal wieder viel zu positiv gesehen hat.

 

SCHÖNSAUFEN gehört sicher nicht zu den stilvollsten Freizeitbeschäftigungen. Aber wenn man sich schon dazu entschließt (oder rein zufällig dazu kommt), dann geht das nirgendwo schöner als auf Mallorca. Sei es am beinharten Ballermann oder im gediegenen Port Andraitx, die 15 Protagonisten schenken sich dabei mächtig einen ein. Und jeder wacht anschließend mit einem anderen Kater (oder Kätzchen) auf.

(bereits erschienen unter dem Titel „Kreisverkehr“)


DANKSAGUNG

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Menschen bedanken, die bei der Entstehung

dieses Buches geholfen haben. Einige von Ihnen möchte ich namentlich nennen.

An erster Stelle danke ich Barbara Nowakowski. Mit Engagement und auch viel Gefühl hat sie nicht wenige Ideen zum Feinschliff des Textes beigesteuert. Außerdem hat sie ihre wertvolle Freizeit geopfert, um mir die nötigen Korrekturhinweise geben zu können. Der Engel hat in der ersten Phase der Entstehung dieses Buches einige richtungsweisende Anmerkungen zum Inhalt beigetragen.

Frank Irrgang hatte eine sehr gute Idee zum Titel dieses Buches.

Antje Haack gab mir individuelle Einblicke in die Abläufe der Tourismusindustrie.

Dipl. Med. Barbara Fleischhauer und Dr. Hans-Joachim Fleischhauer beantworteten

geduldig meine Fragen zum Bereich der Geriatrie.

Stefan Diebler hat mir einen entscheidenden Kontakt hergestellt.

Nicht zuletzt möchte ich allen Lesern von „Ich hab rübergemacht“ danken. Jeder einzelne hat mir mit dem Kauf des Buches Mut gemacht, ein zweites Projekt anzugehen und es auch zu vollenden. Ich hoffe besonders, dass ich die Erwartungen dieser Leser nicht enttäusche.


Fabian Schäfer

Vorwort

Wenn Sie dieses Buch in der Erwartung gekauft haben, dass es hier genau um das geht, was Ihnen der Titel verspricht, dann liegen Sie vollkommen richtig: SCHÖNSAUFEN ist angesagt...

Ob SCHÖNSAUFEN allgemein und weltweit angesagt ist, kann ich nicht beurteilen, aber auf Mallorca allemal...und das nicht nur am Ballermann, wie Sie gleich anschließend lesen werden (falls Sie es sowieso schon wussten).

Ich weiß, wovon ich rede, denn bei zahlreichen Besuchen auf der Insel habe ich meine ganz eigenen Erfahrungen und Beobachtungen gemacht. Immer, wenn es mir körperlich und geistig einigermaßen möglich war, hielt ich meine Augen und Ohren offen. Das Ergebnis sind zum Teil schier unglaubliche Szenen, die ich erleben durfte, und die mir zahlreiche Anregungen für die Charaktere und Situationen in diesem Buch geliefert haben.

Womöglich werden Sie sich in manchen Erlebnissen selbst wiederfinden, auch wenn Sie diese lieber für immer in den Tiefen Ihres Gedächtnisses begraben hätten. Oder aber diese sind für Sie völlig neu. Sie kennen maximal Jemanden, dem so etwas schon einmal passiert ist, und es treibt Ihnen die Tränen der (Schaden-)Freude in die Augen.

Ob das Erwachen für alle Protagonisten der 15 Geschichten, die Sie auf einen ereignisreichen Rundgang über die Insel führen, immer wirklich witzig ist, steht so oder so auf einem ganz anderen Blatt.

Selbstverständlich entspringen die Geschichten letztlich meiner manchmal durchaus ausufernden Phantasie, aber das wird nicht zu Ihrem Schaden sein, so viel kann ich Ihnen versprechen.

 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nun viel Spaß.

 

Herzliche Grüße aus Dresden im März 2012

 

Ihr Fabian Schäfer

 

 

Vaterfreuden

Es ist die ganz normale Hölle. Ich wälze mich unruhig auf einer völlig durchgelegenen Matratze unter dem Quietschen des eisernen Bettgestells hin und her. In unserem schäbigen Hotelzimmer mitten in Arenal schaue ich zum ungezählten Mal auf die roten Leuchtziffern des aus Deutschland mitgebrachten Radioweckers. Es ist 0.33 Uhr. Seit ich mich vor gut einer Stunde todmüde ins Bett fallen ließ, habe ich noch kein Auge zugemacht. Etwas neidisch stelle ich fest, dass meine Frau selig schlummert.

Der Krach den die Nachtschwärmer unten auf der Straße veranstalten, dringt selbst durch die geschlossenen Fenster zu uns in den vierten Stock herauf. Eine sture Mücke quält mich mit ihren Fluggeräuschen. Selbst wenn ich sie mittlerweile erfolgreich erlegt hätte, würde ich keinen Schlaf finden.

Meine beiden Töchter sind seit über einer halben Stunde überfällig. Sie sollten längst in ihrem Zimmer sein, das direkt neben unserem liegt. Andrea ist sechzehn, ihre kleine Schwester Susi zwei Jahre jünger. Die beiden haben ihre Schnitzel mit Pommes in Rekordzeit verschlungen, bevor sie mit einem fröhlichen Abschiedsgruß in der Menschenmenge verschwanden, die allabendlich über die Strandpromenade wogt.

Wir haben eines dieser vermeintlich spanischen Restaurants ausgewählt, die mit Aufstellern auf den Gehwegen in deutscher Sprache deutsches Essen anbieten. Meine beiden Töchter sind mit dem germanisierten Speisenangebot fast aller Spelunken in diesem Vergnügungsghetto völlig zufrieden. Meine Frau und ich haben dagegen in den ersten Tagen unseres Urlaubs vergeblich nach einem echten iberischen Restaurant Ausschau gehalten.

Die beiden Mädchen haben sich zurecht gemacht, als wollten sie mit ihren Körpern an irgendeinem Bordstein dieses Molochs ein paar Euros extra machen. Meine Frau musste mich mühsam davon überzeugen, dass nun mal viele Mädels im Alter unserer Töchter heutzutage so rumlaufen. Da ich beileibe kein Spießer bin, habe ich mich nach einer Weile damit abgefunden, auch wenn ich den spärlich bekleideten Auftritt meines Nachwuchses in der Öffentlichkeit immer noch für unangemessen halte.

Verdammt, wo bleiben die beiden denn nur? Ich denke darüber nach in dem Gewühl da unten auf der Straße nach ihnen zu suchen. Bis ich meinen ungehorsamen Nachwuchs sicher in seinen Betten im Nachbarzimmer weiß, kann ich sowieso nicht schlafen.

Mit dem Schlaf gibt es hier außerdem ein grundsätzliches Problem. Selbst beim Sonnenbad am Strand ist an ein Nachholen der in der Nacht verlorenen Ruhezeiten nicht zu denken. Von jedem zweiten Handtuch lärmt ein Ghetto-Blaster, deren Besitzer gänzlich unterschiedliche Musikrichtungen bevorzugen. Zusätzlich wird der Strand von den Ballermännern an der Promenade mit riesigen Boxen beschallt. Die teilweise bereits am Mittag alkoholisierten Sauftouristen, die sich dort täglich zur wohl organisierten Druckbetankung einfinden, grölen die völlig hohlen Texte der extra für dieses spezielle Publikum produzierten Lieder auch noch lauthals mit. Das kann doch kein einigermaßen vernünftiger Mensch in nüchternem Kopf lange aushalten.

Die Folge dieses unerträglichen Platzkonzertes ist es daher, dass ich mich über den Tag regelmäßig aus der mitgebrachten Kühltasche mit Bierdosen versorgen muss, um irgendwann am Nachmittag zumindest für ein oder zwei Stunden einschlummern zu können. Dieser zwangsläufige Alkoholkonsum fördert nicht gerade die Harmonie zwischen meiner Frau und mir. Letztlich halte ich den einen oder anderen ehelichen Zwist immer noch für das kleinere Übel. Wir hätten halt bei unseren Verhandlungen im Reisebüro zwei Hunderter oben drauf legen sollen, um uns einen Urlaub an der heimatlichen Nordsee zu leisten. Dort soll es doch erheblich ruhiger zu gehen.

Als jetzt zum wiederholten Male vor meinem geistigen Auge ein Film abläuft, in dem meinen minderjährigen Mädels von einem einheimischen Don Juan der Kopf verdreht wird, reicht es mir. Ein kurzer Seitenblick verrät mir, dass meine Frau sich durch die nicht unerheblichen Geräusche, die ich beim Aufstehen verursache, in ihren Träumen nicht beeinträchtigen lässt. Das wäre mir aber jetzt auch relativ egal. Über genug Mut für die geplante Rettungsaktion verfüge ich auf jeden Fall. Dafür sorgen schon die zahlreichen Bierchen, die ich mir zum Essen und anschließend an der Bar vor dem Hotel genehmigt habe.

Als ich in weißen Turnschuhen, meinen abgetragenen Lieblingsjeans und einem coolen Hawaii-Hemd auf die Straße vor dem Hoteleingang trete, trifft mich die nächtliche Hitze wie ein Schlag. Zumindest funktioniert die Klimaanlage in unserer noblen Residenz einwandfrei, was mir erst jetzt schmerzlich bewusst wird. Zunächst gehe ich hundert Meter runter zur Strandpromenade, dann biege ich rechts um die Ecke und dringe in das Gewühl der lachenden, grölenden und singenden Menschen ein.

Die vergnügungssüchtigen Damen, die mir meist in größeren Gruppen entgegen kommen, sind im Durchschnitt einige Jahre älter als meine Töchter. In ihrer mehrheitlich recht spärlichen Bekleidung lassen sie mir schnell das Wasser im Munde zusammenlaufen. Dabei muss ich wohl so offensichtlich geifern, dass ich gleich nach wenigen Metern zu hören bekomme, dass ich meine Kinnlade mal schleunigst wieder nach oben klappen soll. Zu allem Überfluss bezeichnet mich die Angegaffte auch noch wenig damenhaft als Opa. Für einige Sekunden bin ich versucht, ihr mit roher Gewalt den mir zustehenden Respekt abzunötigen. Die Tatsache, dass sie zwei muskulöse Typen im Schlepptau hat, lässt mich noch gerade rechtzeitig wieder zur Vernunft kommen. Ich bin zwar ein wenig angetrunken, aber nicht so voll, dass ich den Blick für die Realitäten gänzlich verloren hätte.

Die grellen, bunten Leuchtreklamen der zahllosen Kneipen und Discotheken stechen mir in die Augen. Schon nach einigen Minuten habe ich das Gefühl, dass meine Kehle völlig ausgedörrt ist. Ich brauche dringend was zu trinken. In diesem Chaos werde ich meine Töchter sowieso nicht finden. Meine einzige Chance wäre, wenn sie mir zufällig über den Weg laufen würden. In logischer Konsequenz steuere ich also den nächsten freien Platz vor einer der Straßenkneipen an, die sich entlang der Promenade befinden. Da hier praktisch jeder Kellner Deutsch spricht, kann ich mir problemlos ein frisches Bier bestellen. Als ein ziemlich gestresst wirkender Kerl mein erstes Bier lustlos auf den Tisch vor mir stellt, ordere ich mir gleich ein zweites Glas. Mann, tut das kühle Nass gut.

Ich starre auf die Menge, die sich in beide Richtungen an meinem Platz vorbeibewegt. Eine Truppe von älteren Tanten fällt mir auf. Sie haben sich ähnlich sparsam bekleidet wie meine Töchter. Die alten Schachteln gebärden sich, als wollten sie heute noch unbedingt flachgelegt werden. Sie machen gerade ein paar Jungs an, die ihnen auf meiner Höhe in einheitlichen Fußballtrikots entgegen kommen. Die Kerle, die maximal um die zwanzig sind, scheinen hormonell so unterversorgt zu sein, dass ihnen das Alter der Weiber, von denen sie angebaggert werden, gar nicht auffällt oder einfach nur völlig egal ist.

Nach meinem dritten Bier erkenne ich die Passanten nur noch schemenhaft. Wahrscheinlich wäre ich in den nächsten Minuten in meinem Korbsessel eingepennt, wenn ich nicht in diesem Augenblick zwei mir wohl bekannte Junghühner erspäht hätte. Meine Töchter haben sich jeweils bei einem Gockel eingehängt und brüllen zu viert den Refrain irgendeines völlig versauten Liedes, das mir schon von der Ballermann-Beschallung her bekannt vorkommt.

Ich bin schlagartig hellwach. Beim Aufstehen gehe ich etwas zu heftig vor, sodass ich dabei mein noch halbvolles Bierglas umstoße. Der Inhalt ergießt sich über meine Jeans und mein cooles Hemd. Das stört mich aber in diesem Augenblick überhaupt nicht. Ich stürze wie wild auf die vier singenden Gestalten zu.

Andrea und Susi reißen entsetzt die Augen auf. Die Typen, die in meiner Vorstellung gerade auf dem Weg sind, meinen willenlosen Nachwuchs in irgendeinem schäbigen Hotelzimmer auf die Matratze zu nageln, bleiben dagegen völlig lässig. Der schmierige Kerl, der meine Jüngste eng umschlungen hält, grinst auch noch unverschämt, als ich meine Arme ausfahre, um ihm damit an die Gurgel zu gehen. Als er ungerührt sein rechtes Knie anhebt, um meinen Angriff abzuwehren, nutzt er dabei schamlos die Tatsache aus, dass er gut einen Kopf größer ist als ich. Er trifft mit seiner angewinkelten Gliedmaße meine Weichteile, ohne dass ich vorher auch nur annähernd mit meinen Fingern an seinen Hals herangekommen wäre. Der stechende Schmerz zwischen meinen Lenden lässt mich augenblicklich zur Besinnung kommen.

„Papa, bist Du verletzt?“, will Andrea ehrlich besorgt wissen, als ich mit beiden Händen mein höllisch schmerzendes Gemächt halte.

„Was, der Irre ist wohl dein Alter?“, fragt der Angreifer, der mich brutal zusammengetreten hat und nun doch ein wenig verunsichert ist. Als Susi bestätigend und leicht verängstigt nickt, bemüht er sich sofort rührend um mich. Er greift mir unter die Arme und hilft mir auf.

Sein Kollege klopft mir kumpelhaft auf die Schulter. „Nichts für ungut, Alter“, redet er beruhigend auf mich ein. „Wir wollten nur ihre Töchter gegen den Angriff eines Rowdys verteidigen. Wir konnten ja nicht wissen, dass Sie der liebe Papa sind.“ Ich quetsche mir ein tapferes Grinsen ins Gesicht und bin einfach nur dankbar dafür, dass ich nicht ernsthafter verletzt bin.

„Mensch Papa, die Jungs wollten uns doch nur nach Hause bringen“, säuselt meine Kleine und tätschelt mir dabei mitleidig die Wange.

Die Szene ist mir äußerst peinlich, zumal sich mittlerweile ein Haufen sensationsgeiler Vögel um uns geschart hat. Die Gaffer hoffen wahrscheinlich auf eine gepflegte Klopperei. Außerdem ist mir die Lust an erzieherischen Diskussionen gänzlich vergangen. Ich will nur noch in mein Bett. Hoffentlich bekommt meine Frau von dem ganzen Drama keinen Wind.

Ich schlafe etwas länger als üblich. Als ich Yvonne, meine Frau, unter der Dusche laut singen höre, gelingt es mir nur mit erheblicher Mühe meine Augen zu öffnen. Ein Blick auf den Wecker zeigt mir, dass es 8.47 Uhr ist.

Ich habe zwar keine nennenswerten Kopfschmerzen, dafür trifft mich aber der seelische Kater wie ein Hammer. Ich bete spontan zum Himmel, dass die Ereignisse der letzten Nacht, die mir nun bruchstückhaft ins Gedächtnis zurückkehren, nur ein böser Traum gewesen sein mögen.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kann ich davon ausgehen, dass meine beiden Töchter um diese Zeit im Zimmer nebenan noch schlafen. Yvonne wird also nichts von den nächtlichen Peinlichkeiten wissen.

Ich erinnere mich dunkel daran, dass ich mit meinen Töchtern einen Deal habe. Sie werden nichts von dem Aussetzer ihres Vaters erzählen. Im Gegenzug sieht er großzügig über die deutliche Überschreitung der Ausgangszeit durch seine Töchter hinweg. Beide Parteien verfolgen dabei natürlich eigene Interessen. Würde meine Frau von diesen Eskapaden erfahren, könnten die beiden ihre nächtlichen Ausflüge für den Rest des Urlaubs vergessen. Welche Folgen ich dagegen zu erwarten hätte, möchte ich mir lieber nicht im Detail ausmalen.

Ich quäle mich aus dem Bett. Als ich mich endlich zu meiner ganzen Größe aufgerichtet habe, überragen die Gleichgewichtsprobleme deutlich meine Gedächtnislücken. Ich beschließe, rein prophylaktisch einen Problemlöser in Tablettenform einzuwerfen. Am liebsten würde ich den für heute geplanten Ausflug einfach absagen. Den Mietwagen haben wir aber nun mal bestellt, und mein Einkommen als Möbelverkäufer in einem Einkaufscenter am Rande von Dortmund ist leider nicht unerschöpflich. Daher verzichte ich darauf, den in diesem Augenblick durchaus verführerischen Gedanken weiter zu verfolgen, den geplanten Trip abzusagen und mich stattdessen einfach an den Höllenstrand zu legen. Heute könnte ich mit Sicherheit schlafen wie ein Baby, egal wie exzessiv die Sauftouristen auch immer feiern mögen.

Meine Frau reibt sich gerade mit einem Handtuch ihre herrlichen Brüste trocken, als ich ins Bad komme. Unter normalen Umständen würde ich jetzt versuchen, eine kleine Morgennummer abzustauben. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob mein kleiner Freund schon richtig wach ist. Deshalb lasse ich mir erst einmal einige Liter kalten Wassers über das Gesicht laufen. Dann nehme ich gierig einige Schlucke davon.

Ich muss fürchterlich aussehen, denn mein Schatz macht sich echte Sorgen. „Mein Gott, Manni, wie siehst Du denn aus?“

„Alles im grünen Bereich, Baby, ich konnte nur die ganze Nacht kaum ein Auge zu machen. Irgendwann bin ich noch mal runter zur Bar gegangen und habe mir ein oder zwei Drinks genehmigt.“ Sie wird meine Fahne sowieso riechen, da ist es taktisch klug, zumindest ein kleines, wenn auch recht spätes, alkoholisches Zwischenspiel einzuräumen.

„Ich habe mich so auf den heutigen Ausflug gefreut. Endlich mal raus aus diesem ganzen Wahnsinn. Geht es dir wirklich gut?“ Ihr Gesichtsausdruck ist nicht vorwurfsvoll, nur ehrlich besorgt, zumindest möchte ich das glauben.

„Klar, Schatz, mach Dir mal keine Gedanken“, versuche ich sie zu beruhigen. „Eine kalte Dusche und ein paar Tassen Kaffee werden deinen lieben Mann schon wieder unter die Lebenden bringen.“

Sie ist zwar noch nicht so ganz von meiner Regenerationsfähigkeit überzeugt, was ich aus ihrem zweifelnden Schulterzucken und ihren verzogenen Mundwinkeln schließen kann. Trotzdem trocknet sie sich ohne weitere Kommentare die noch feuchten Stellen ihres wohlgeformten Körpers ab.

„Ich schaue mal, ob die Mädchen schon wach sind“, teilt mir Yvonne durch die offene Badtür mit, als ich schon eine Weile unter der Dusche stehe. Ihr knallenges Top und ihre ebenso knapp bemessenen Shorts, die sie für den heutigen Tag ausgewählt hat, wirken äußerst motivierend auf mich. Darüber hinaus hat sie ihre langen, blonden Haare hochgesteckt, wie ich es besonders mag.

Wir sitzen in dem spartanisch ausgestatteten Frühstücksraum, der sich im Keller des riesigen Hotelbaus befindet. Da nur wenig natürliches Licht durch die winzigen Fenster einfällt, erzeugen Neonleuchten an der Decke eine Krankenhausatmosphäre, die auch an besseren Tagen eine äußerst deprimierende Wirkung auf mich hat. An den übrigen Tischen sitzen vereinzelt traurige Gestalten, die wahrscheinlich eine ähnlich kurze Nacht hinter sich haben wie ich. Die Glücklichen, die nicht so blöd waren, für diesen Tag einen Ausflug geplant zu haben, liegen noch brav in ihren Betten.

Der Kaffee schmeckt wie Seife. Der Orangensaft, der aus ein paar Krümeln Konzentrat und 99 Prozent Wasser besteht, verdient seinen Namen kaum. Die Sorte Käse, die es schon die ganze Woche gibt, kann ich langsam nicht mehr sehen. Die rötliche Wurst, die alles andere als vertrauenerweckend aussieht, habe ich vom Beginn des Urlaubs an nicht angerührt. Ich versuche es mit einer Scheibe Toast, etwas Butter und Marmelade. Hunger habe ich nicht, bin aber vernünftig.

„Wo bleiben denn die Mädchen nur?“, wird meine Frau ein wenig nervös. „Wenn wir uns schon den Mietwagen leisten, möchte ich den Tag auch voll auskosten.“

„Keine Sorge, Schatz, die beiden kommen bestimmt gleich. Soll ich dir noch einen Kaffee holen?“

Ich bin nun doch erleichtert. Die Mädels haben offensichtlich dicht gehalten, als meine Frau in ihrem Zimmer war, um sie zu wecken.

Als wir das Frühstück längst beendet haben, kommen meine beiden Töchter in den Raum. Sie sehen vermutlich nicht viel besser aus als ihr Vater. Besonders beim Anblick meiner Vierzehnjährigen muss ich ein wenig schmunzeln, denn sie hat große Schwierigkeiten, ihre Augen offen zu halten. Ich bemühe mich aber schnell wieder um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck, um keine bohrenden Fragen meiner lieben Frau heraufzubeschwören.

„Ihr seht ja gar nicht mal so gut aus.“ Natürlich entgeht ihr das traurige Erscheinungsbild der beiden Nachtschwärmerinnen nicht. „Ist wohl doch etwas spät geworden, was?“

„Können wir nicht einfach wieder ins Bett gehen?“, macht meine Kleine einen verzweifelten Vorschlag, ohne auf die Frage ihrer Mutter einzugehen.

„Ist das nicht eine gute Idee? Dann hättet Ihr auch mal einen ganzen Tag für euch allein.“ Meine Große versucht, ihre kleine Schwester nach Kräften zu unterstützen. Wenn die beiden das gleiche Ziel haben, können sie sich auch mal absolut einig sein.

„Kommt überhaupt nicht in Frage.“ Mein Schatz reagiert in diesem Fall allerdings ganz in meinem Sinne. Ich habe mir schließlich wegen der beiden ungehorsamen Gören die Nacht um die Ohren geschlagen. Jetzt fehlt nur noch, dass sie ungestraft den geordneten Rückzug antreten können, während ich die Folgen ihrer Exzesse alleine ausbade. Ich brauche auch gar nicht erst erzieherisch einzugreifen, denn diesen Job erledigt meine energische Gattin bereits hervorragend.

„Wir haben für heute extra einen teuren Mietwagen bestellt. Ihr werdet hinterher froh sein, dass Ihr von der Insel etwas mehr gesehen habt, als diesen lauten Strand und ein paar Discos, glaubt mir das mal. Beeilt euch mit dem Frühstück, euer Vater und ich sind schon längst fertig und wollen endlich los.“

Den zweifelnden Blick, den meine Große mir zuwirft, übersieht meine Frau zum Glück. „Ich habe aber keinen Hunger und Susi auch nicht“, nörgelt sie, wie von mir nicht anders erwartet.

„Na umso besser“, lässt sich mein Schatz auf keine weiteren Diskussionen mit unserem Nachwuchs ein. „Dann können wir ja gleich losfahren.“

Es ist Sonntag, und wir wollen zu dem Markt nach Pollenca im Norden der Insel. Irgendein Landsmann hatte uns bei einem der letzten abendlichen Umtrünke davon vorgeschwärmt. Sowohl meine Frau als auch die beiden Junghühner in unserer Familie stehen nun mal, wie die gesamte übrige weibliche Bevölkerung auf Shopping. Daher hielt ich diesen Programmpunkt, trotz meiner grundsätzlichen Abneigung gegen Einkaufsbummel aller Art, in der Planungsphase durchaus für eine gute Idee. Immerhin hätte ein gemeinsamer Ausflug unter normalen Umständen durchaus die Harmonie in unserer Familie fördern können. Wie die Nacht unmittelbar davor verlaufen würde, konnte ich ja nicht ahnen.

Wir fahren mit unserem Mietwagen, einem Ford Focus, über die Autobahn von Palma nach Inca und von dort weiter über eine Landstraße in Richtung Norden. Aufgrund meiner körperlich nicht ganz uneingeschränkten Verfassung verfluche ich das verdammte Kaff zu dem wir wollen, mit jeder Minute, die unsere Fahrt dauert, ein wenig mehr. Zum Glück funktioniert die Klimaanlage des Kleinwagens einwandfrei, denn draußen herrscht eine Bullenhitze. Ich habe zwar noch einen leichten Schleier vor den Augen, von Kopfschmerzen gibt es aber dank der rechtzeitig eingeworfenen Tabletten weiterhin keine Spur.

Die Mädchen auf der Rückbank versuchen gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, als würde ihnen dieser kleine Ausflug echte Freude bereiten. Bei gelegentlichen Blicken in den Rückspiegel schaue ich in das schmollende Gesicht meiner Großen. Die Mimik der Kleinen kann ich nicht sehen, da sie direkt hinter mir sitzt. Ich gehe aber davon aus, dass sie auch nicht viel motivierter ist.

Kaum haben wir die ersten Kurven auf der Landstraße gemeistert, höre ich von hinten ein würgendes Geräusch. Meine Frau schaut sich alarmiert um. „Was hast Du denn, Susi?“, fragt sie ganz besorgt unser Nesthäkchen.

„Mir ist kotzübel“, macht Susi keinen Hehl aus ihrem Zustand.

Mit einem Seufzer fahre ich bei der nächsten Gelegenheit an den rechten Straßenrand. Die Kleine zögert keine Sekunde mehr, nachdem ich angehalten habe. Sie läuft ein paar Meter auf ein Feld und kotzt sich dann die Seele aus dem Leib.

„Na wunderbar, jetzt können wir unseren Ausflug wohl vergessen“, meint meine Frau ganz verzweifelt. „Hoffentlich hat sie sich keinen Virus eingefangen.“

„Ach wo, wahrscheinlich hat sie gestern Abend nur etwas Falsches gegessen“, fällt mir keine bessere Antwort ein, um Yvonne zu beruhigen.

Meine Große ist jedoch weniger diplomatisch und haut ihre kleine Schwester unverblümt in die Pfanne. „Ich habe sie vor der Sangria gewarnt. Sie wollte ja nicht auf mich hören.“

„Wie bitte“, entrüstet sich meine süße Frau. „Hast Du gerade von Sangria gesprochen? Man weiß doch nie, was die Spanier unter diesem Namen für einen Fusel zusammenmischen. Wie ist sie überhaupt an das Teufelszeug rangekommen?“

„Ach, wir haben zwei nette Jungs getroffen, die haben uns halt in irgend so einem Schuppen zu einem Gläschen eingeladen.“

„Es wird ja wohl nicht bei einem Gläschen geblieben sein“, stellt meine Frau nach meiner Einschätzung eine völlig richtige Vermutung an. „Darüber reden wir noch. Ich lasse mir jedenfalls von euch beiden halbstarken Alkoholikern nicht den Tag versauen.“

„Wieso, mir geht es doch gut“, bockt das pubertierende Hühnchen auf der Rückbank und überschätzt dabei seine Position maßlos.

„Das ist ja wohl der Hammer“, ist meine Frau kurz vorm Platzen. „Noch bist Du nicht volljährig mein Fräulein. Die Tatsache, dass du deine kleine Schwester nicht davor beschützen kannst, sich von verantwortungslosen Halbstarken abfüllen zu lassen, zeigt mir, dass du noch sehr weit vom Erwachsensein entfernt bist. Über eure Abendgestaltung in den nächsten Tagen werde ich mit deinem Vater noch ausgiebig diskutieren.“

Ich liebe meine Frau besonders, wenn sie so in Fahrt ist. Da dieses Gefecht ganz in meinem Sinne verläuft, lasse ich es auch weiterhin von den weiblichen Familienmitgliedern austragen, ohne mich einzumischen. Einigermaßen zufrieden zünde ich mir eine Zigarette an.

„Muss das jetzt sein“, bekomme ich nun ebenfalls eine Salve von meiner lieben Gattin ab. „Willst du nachher den Mietwagen reinigen, weil deine Tochter wegen der Qualmerei auch noch die Sitze vollkotzt?“

„Ist ja schon gut“, gebe ich klein bei und werfe die frisch angezündete Kippe auf die Straßenmitte, ohne auf die latente Waldbrandgefahr zu achten. Meine Frau ist dermaßen in Rage, dass sie diesen Fauxpas gar nicht bemerkt. Susi kommt endlich von ihrer Brechorgie zurück. Sie ist kreidebleich im Gesicht und setzt sich schweigend auf ihren Platz auf der Rückbank.

Während der weiteren Fahrt bemühe ich mich, so weich wie möglich durch die Kurven zu fahren. Trotzdem müssen wir noch einmal anhalten, weil der Magen der Kleinen immer noch Reste der vorabendlichen Mahlzeit enthält.

Gegen Mittag erreichen wir den Ortseingang von Pollenca. Die vermeintlichen Qualitäten des Marktes haben sich offensichtlich unter den Touristen auf der ganzen Insel herumgesprochen. Der öffentliche Parkplatz ist total überfüllt. Daher fahre ich bis zum Ortsausgang Richtung Hafen und biege dann in einem spitzen Winkel nach links in das recht malerische Städtchen ein. Auf der Suche nach dem Marktplatz orientiere ich mich an der Kirchturmspitze, die ab und zu zwischen den Häusern hindurch zu sehen ist.

„Wo willst Du denn hin, Papa?“, fragt Susi mit piepsiger Stimme. Es geht ihr immer noch nicht viel besser.

Mein väterliches Herz wird ein wenig weicher, obwohl ich ihr aus erzieherischen Gründen diesen körperlichen Tiefpunkt durchaus gönne. „Ich suche einen Parkplatz möglichst nah am Zentrum, Mädels“, antworte ich. „Ihr wollt doch bei der Hitze bestimmt so wenig wie möglich laufen, oder etwa nicht?“ Ich bin auch deshalb wild entschlossen, weil ich alles andere als ein Wanderfreak bin.

„Du regelst das schon“, kommentiert meine liebe Frau mein Vorhaben mit einem nicht zu überhörenden zweifelnden Unterton in der Stimme.

Ich kurbele wie bescheuert durch die engen Gassen, ohne eine freie Lücke für meinen Kleinwagen zu entdecken. Schließlich kommen wir wieder am Ortseingang raus, wo sich der überfüllte öffentliche Parkplatz befindet. Ich unterdrücke krampfhaft den Drang zu fluchen.

„Dann müssen wir eben doch hier irgendwo an der Straße parken und die paar hundert Meter laufen“, macht meine Frau einen für mich völlig inakzeptablen Vorschlag.

Ich fühle mich in meiner männlichen Ehre verletzt. Seit wir unsere unfreiwillige Runde durch den Ort drehen, traut sie mir nicht zu, dort einen Parkplatz zu finden, wo ich es mir vorstelle. Das sehe ich an ihrem verkniffenen Gesichtsausdruck. „Kommt überhaupt nicht in Frage“, stelle ich dank meines westfälischen Dickschädels in einem Tonfall fest, der jede weitere Widerrede meiner weiblichen Mannschaft im Keim erstickt.

Es herrscht gespannte Stille in unserem Fahrzeug, als ich erneut um den spitzen Winkel in den Ort einbiege. Ich entscheide mich dann für eine andere Seitenstraße als bei meinem ersten Versuch. Tatsächlich fährt hier gerade ein Peugeot aus einer Reihe am Straßenrand geparkter Autos heraus. „Na, wer sagt’s denn“, bin ich nun innerlich wieder im Gleichgewicht.

„Du bist der Größte“, bemerkt meine Sechzehnjährige. Der Eindruck, dass sie mich nicht ehrlich bewundert, kann meine gute Laune jetzt auch nicht mehr trüben. Ich setze zügig rückwärts in die Parklücke.

Wir steigen aus und wollen uns gerade entfernen, als der Motor des verstaubten Renaults angelassen wird, der direkt vor unserem Wagen steht. Ein uralter Spanier sitzt am Steuer, der offensichtlich nicht mehr über alle zum Autofahren nötigen Sinne verfügt. Neben ihm thront eine Oma mit lila gefärbtem Haar. Der Kerl nähert sein Gefährt bedrohlich der Stoßstange meines Mietwagens, ohne Anstalten zu machen, die Bremse zu betätigen. Die zahlreichen Beulen in seiner Karre zeigen mir, dass dieses Fahrverhalten zu seiner üblichen Praxis gehört.

Meine Frau bemerkt ebenfalls die drohende Kollision und reagiert geistesgegenwärtig, indem sie mit der Faust auf die Heckscheibe des Renaults hämmert. Dabei brüllt sie so laut, dass selbst der vermutlich schwerhörige Opa reagiert, der nach meiner Meinung längst in ein Altersheim gehört, damit er in seinem unmittelbaren Umfeld keinen Schaden mehr anrichten kann. Gerade noch rechtzeitig bremst er sein Gefährt ab, schaut sich sichtlich erschrocken um und glotzt ein paar Sekunden auf die spärlich bedeckten Brüste meiner Frau, die laut lamentierend an die Fahrertür herangetreten ist. Offensichtlich gibt ihm sein altersschwaches Hirn in letzter Sekunde noch den entscheidenden Hinweis, dass er mit seiner Gattin erhebliche Probleme bekommen wird, wenn er sich nicht sofort wieder auf die Straße konzentriert. Er gibt etwas zu viel Gas und fährt mit quietschenden Reifen davon.

Wir kommen zunächst an einem Platz vorbei, auf dem eine Reihe fliegender Händler billige Schuhe und Klamotten anbieten. Zu meiner Erleichterung zeigen alle drei Mädels wenig Interesse an dem ausgestellten Sortiment. Sie wollen sich lieber die Stände anschauen, die nach der Schilderung unseres Empfehlungsgebers in den Gassen um die Kirche herum Schmuck und Kunsthandwerk anbieten.

An einem der ersten kleinen Verkaufsstände, auf den wir schon nach wenigen Metern Fußmarsches treffen, verhakt ein englisch sprechender Händler aus Werbegründen kleine Gebilde aus Metall und bringt sie dann mit einem einzigen Handgriff wieder auseinander. Einige Passanten sind stehen geblieben und schauen ihm ganz begeistert zu, was ich überhaupt nicht verstehen kann.

Meine Jüngste sieht das offensichtlich anders als ihr Vater. Sie drängelt sich durch die Leute bis zu dem Tapeziertisch vor, auf dem er die zu verhakenden Metallfiguren ausgestellt hat. Ihre Magenprobleme scheinen wie weggeblasen zu sein.

Der langhaarige Gaukler führt ihr einen seiner Tricks vor und fordert sie dann auf, es ihm nachzutun. Meine Tochter versucht sich ein paar Sekunden erfolglos an der Lösung des Problems, verliert dann aber schnell die Lust daran. „Das ist doch Beschiss“, meint die Kleine, als wir uns weiter durch das Menschengewühl kämpfen, das immer dichter wird.

Nach einigen Metern biegen wir nach rechts in eine Gasse ab, die direkt auf die Kirche zuführt. Die Luft steht hier und der Schweiß tritt mir auf die Stirn, obwohl ich nur ein Trägerhemd, eine kurze Sporthose und Gummilatschen trage.

Meine Frauen lassen keinen der zahlreichen Stände aus, an denen billiger Schmuck angeboten wird. Sie probieren diverse Stücke. Dabei fragen sie die Händler, die für mich fast alle aussehen, als wären sie erst kürzlich aus irgendeinem Knast entflohen, ob es dieses oder jenes Teil nicht noch etwas größer oder kleiner gibt und kriegen sich vor lauter Begeisterung gar nicht mehr ein.

Ich bin völlig abgemeldet. Wenn ich ehrlich zu mir bin, hatte ich es aufgrund intensiver Erfahrung in solchen Angelegenheiten auch nicht anders erwartet. Meine Füße schmerzen fürchterlich. Ich Idiot hätte mir wenigstens Turnschuhe anziehen sollen, auch wenn das geschlossene Schuhwerk bei der Hitze nicht unerhebliche Schweißfüße zur Folge gehabt hätte. Bei den Ausdünstungen der Hundertschaften von kaufwilligen Touristen, die sich durch diese Gassen zwängen, wäre mein Fußgeruch kaum nasal ins Gewicht gefallen.

Zur Freude unserer Haushaltskasse können sich die Damen zu keiner Kaufentscheidung durchringen, bis wir den Gemüsemarkt auf dem Platz vor der Kirche erreichen, auf dem die Bauern der Umgebung ihre landwirtschaftlichen Produkte feilbieten. Die Menschenmassen machen einen unbeschreiblichen Lärm, der zusätzlich zu den Schmerzen in den Füßen auch noch Leid in meinen Gehörgängen verursacht.

Die Riemen meiner Latschen haben meine Füße schon ziemlich wund gerieben. Ich schwitze intensiv den Suff der letzten Nacht aus und habe einen höllischen Durst. Mein geschulter Blick verrät mir allerdings, dass die Menschenmenge nicht nur den Platz um die Verkaufsstände völlig verstopft, sondern auch sämtliche Stühle der zahlreich vorhandenen Bars und Cafeterias besetzt hält.

„Ich krepiere gleich vor Durst“, mache ich aus meinem Leid keinen Hehl. Ich hätte aber wissen müssen, dass ich auf weibliches Mitgefühl in solch einer Situation kaum zählen kann.

„Nun hab dich mal nicht so“, kommt von meiner Gattin genau die Reaktion, die ich befürchtet habe. „Wir haben doch erst vor einer halben Stunde angefangen. Da drüben in den niedlichen Gassen neben der Kirche gibt es noch weitere Stände. Wie du weißt, haben wir ja auch noch gar nichts Passendes gefunden.“

„Papa, du willst doch sicher nicht, dass wir völlig umsonst hergefahren sind“, setzt meine Große noch einen drauf. Ich meine, den Anflug eines schadenfrohen Grinsens um ihre Mundwinkel huschen zu sehen. Ich könnte der fiesen Göre eiskalt den Hals umdrehen.

„Na gut Mädels, dann lasst uns mal zügig weitergehen. Wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier“, biete ich so viel Tapferkeit auf, wie es mein gestresster, innerer Schweinehund noch zulässt. Dieses Verhalten ist allerdings weniger meiner Einsicht als vielmehr der Tatsache zu verdanken, dass ich immer noch keinen freien Platz an den Tränken erspähe.

Während wir uns durch eine Gasse zwängen, die entlang der linken Kirchenwand führt, bemerke ich schmerzhaft, dass meine Shorts seit den letzten Ferien ein wenig zu eng geworden sind. Ich hätte mir vor diesem Urlaub einfach mal eine neue leisten sollen, anstatt darauf zu bestehen, meine abgetragene Lieblingshose wieder mitzunehmen. Ich habe mir das Teil vor einigen Jahren während eines Türkeiurlaubs gekauft. Seitdem habe ich mein Gewicht nicht ganz halten können.

Zum Glück bemerken meine Mädels zunächst nicht, dass ich mittlerweile mit gespreizten Beinen weitermarschiere, um den Druck ein wenig von den gereizten Punkten zu nehmen. Die Damen sind völlig in ihre Preisverhandlungen mit einem dieser Halsabschneider vertieft. Unter normalen Umständen hätte ich penibel darauf geachtet, dass sie sich nicht über den Tisch ziehen lassen. In meiner Lage habe ich aber ganz andere Sorgen. Bestimmt sehe ich aus, als hätte mir irgendeine Schwuchtel vor kurzem einen verbraten. Zu meinem Glück wird aber in diesem Menschenstrom kaum jemand sehen können, in welch seltsamer Weise ich mich fortbewege.

Die weiblichen Familienmitglieder sind sich an einem Stand kurz vor dem Ende der Gasse endlich mit einem Händler einig geworden. Ich darf das Portemonnaie zücken und brav bezahlen, was ich auch ohne zu Murren mache. Auf keinen Fall will ich meine Tortur unnötig verlängern. Außerdem befindet sich ein paar Meter weiter vorne ein weiterer Platz. Weinrote Sonnenschirme mit Reklameaufschriften, die ich über der wogenden Menschenmenge sehen kann, nähren nun meine Hoffnung auf eine wohlverdiente Rast.

Meine Töchter haben sich je einen überdimensionalen Ring aus Plastik gegönnt. Meine Frau hat sich für eine bunte Perlenkette entschieden, die sie sichtlich stolz um den Hals trägt.

„Na, da bin ich aber froh, dass ihr alle noch was Schickes gefunden habt“, heuchle ich. „Jetzt haben wir uns aber was zu trinken verdient.“

„Du warst wirklich tapfer, Manni“, bekomme ich ein unerwartetes Lob von meiner süßen Frau. Außerdem erhalte ich von meinen Töchtern je einen dankbaren Kuss auf die Wange.

Meiner Jüngsten bleibt der seltsame Gang ihres Vaters leider nicht verborgen. „Hast du dir in die Hose gemacht, Papa?“, will sie wissen, als wir langsam über die „Placa dels Seglars“ gehen und dabei Ausschau nach einem frei werdenden Tisch halten.

„Natürlich nicht“, zische ich sie mächtig genervt an. „Meine Füße schmerzen, ich habe mir einen Wolf gelaufen, und der Krach hier macht mich nahezu rasend.“

„Typisch Mann“ ist alles, was meine verständnisvolle Frau zu meinem erbarmungswürdigen Zustand zu sagen hat. „Wenn wir einmal im Urlaub schön bummeln wollen, machst du hier einen auf sterbenden Schwan.“ Das Lob, das ich eben noch von ihr bekommen habe, ist schon wieder vergessen.

Ich habe jetzt einfach keine Lust mich zu streiten. „Schaut lieber mal, wo ein Tisch frei wird“, fordere ich die holde Weiblichkeit zu aktiver Mithilfe auf.

Vorne rechts am Beginn einer scheinbar endlosen Treppe, die von Zypressen gesäumt einen Berg hinaufführt erspähe ich ein braungebranntes Pärchen in Fahrradklamotten, das sich gerade von seinen Stühlen erhebt. Ohne an meine körperlichen Einschränkungen zu denken stürze ich los und erreiche den Tisch kurz vor einer fetten Engländerin. Ich lasse mich dankbar in einen der Holzklappstühle mit braunem Stoffbezug fallen und höre irgendetwas Ordinäres von der unansehnlichen Kuh. Ich kann mit meinem in der Schule erlernten Oxford-Englisch nicht alles verstehen, auf jeden Fall kommt „Fucking Germans“ drin vor. Ich grinse die fluchende Alte von der Insel ein wenig übertrieben an. Mein Triumphgefühl wird aber augenblicklich durch einen stechenden Schmerz zwischen meinen Beinen und an den wund gescheuerten Stellen meiner Füße abgelöst. Der kleine Zwischensprint, den ich soeben eingelegt habe fördert nicht gerade den Heilungsprozess, den ich mir durch den auf dem Weg hierher gewählten Spreizgang erhofft hatte.

„Echt coole Einlage, Papa“, meint meine Große anerkennend.

Wir warten seit einer Viertelstunde darauf, dass einer der beiden Kellner uns berücksichtigt. Mit der Versorgung der gut zwei Dutzend Tische sind sie einfach überfordert. Obwohl wir direkt am Eingang des „Cafe del Calvari“ sitzen und sie ständig an uns vorbei kommen, ignorieren sie uns bisher. Meine Frau legt ein für meinen Geschmack absolut überzeugendes Lächeln auf. Selbst ihr sexy Outfit und die neue Perlenkette um ihren Hals können die Kerle bis jetzt nicht dazu motivieren, an unserem Tisch anzuhalten und die Bestellung aufzunehmen.

„Papa, ich habe Durst“, nörgelt meine Kleine zum wiederholten Mal. „Kannst du dich nicht mal kümmern.“

„Ich muss unbedingt was essen“, stimmt ihre Schwester in das töchterliche Gemecker ein.

Ohne auf das Gezeter meiner Mädels zu hören, sah ich mich ein wenig um. Wie konnte man bei dieser Hitze bloß so verrückt sein?