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Über die Autorin
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Milena Baisch, geboren 1976 in Bochum, wuchs in Wuppertal auf. Nach der Schule begann sie, sich Kindergeschichten auszudenken, und studierte an der Filmakademie in Berlin Drehbuch. Heute lebt sie als freie Autorin in Berlin. Neben Drehbüchern für Film und Fernsehen hat sie verschiedene Kinderbücher und einen Jugendroman veröffentlicht. Nach Anton taucht ab (ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis und von der Stiftung Buchkunst prämiert) ist Anton macht’s klar ihr zweiter Kinderroman bei Beltz & Gelberg.
Mehr zur Autorin unter www.milenabaisch.de
Impressum
Dieses E-Book ist auch als Printausgabe erhältlich
(ISBN 978-3-407-74462-3)
www.beltz.de
© 2015 Beltz & Gelberg
in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Stefanie Schweizer
Neue Rechtschreibung
Einband- und Innenillustrationen: Elke Kusche
E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-74569-9
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Einmal bin ich Gangster geworden. In echt.
Ich trage keine Messer im Gürtel und habe keine Tattoos auf den Armen. Ich habe auch keine Leichen auf dem Gewissen, so wie Billy the Kid, der ein berühmter Cowboy war. Nein, ich bin Anton und sehe aus wie ein normaler Fünftklässler.
Trotzdem war die Polizei hinter mir her!
Eine verrückte Geschichte. Sie begann an dem Tag, an dem wir über den Wandertag abstimmten.
Spaßpark Uetzeldorf – yes!
Herr Rodrigues, unser Lehrer, schrieb das Ergebnis an die Tafel. Auf meine Klasse ist Verlass, alle hatten für den Spaßpark abgestimmt.
Ich hatte nicht verstanden, wieso es überhaupt eine Abstimmung gab. Denn im Spaßpark Uetzeldorf, da gibt es alles: eine Westernstadt mit Billy-the-Kid-Show, ein Eselgehege, einen XXL-Autoscooter, die Wasserrutsche Inferno, das Dino-Ufo und das Labyrinth der schwarzen Tore.
In der Pause standen alle um Fanny herum, weil sie schon mal mit ihren Eltern im Spaßpark gewesen war. »Das Labyrinth spare ich mir«, sagte sie. »Ich kenne ja schon den Weg da raus. Dafür geh ich dreimal ins Dino-Ufo
»Ich auch!«, riefen ein paar Mädchen.
Die Jungen wollten sieben- oder achtmal in Inferno gehen. Alle stritten darüber, was man auf keinen Fall verpassen durfte. Niemand wollte zu den Eseln. Ich schon. Ich wollte zu den Eseln, zur Billy-the-Kid-Show, in Inferno und zum ganzen Rest.
»Ich mache alles«, sagte ich. Da waren die anderen still.
»Alles?« Fanny starrte mich an. »Du meinst: alles?«
Ich nickte.
»Ich auch!«, riefen ein paar Jungs.
»Vergesst es«, sagte Fanny. »Um zu den doofen Eseln zu kommen, braucht man Stunden.«
Ich stellte mir den Park vor, ein paar Fotos hatte ich schon gesehen. Klar war er groß. Aber deswegen musste man ja nicht den ganzen Tag im Dino-Ufo rumhängen.
»Willst du rennen?«, fragte Max. Er war der Schnellste aus unserer Klasse.
»Nee, reiten.« Bei Max musste man immer was Witziges sagen, sonst stand man blöd da.
Alle lachten.
Ich hob meine Hände und grinste in die Runde. »Was ist?« Meine Idee war gar nicht so schlecht. Die Esel konnte man vielleicht mieten, und dann wäre es cool gewesen, direkt zur Billy-the-Kid-Show zu reiten.
Xiaomeng kicherte. »Esel sind ganz langsam.«
»Ich ziehe meine Roolys an!«, rief Max.
»Ich auch.«
»Ich auch.«
»Ich auch«, sagten die anderen.
»Ich auch«, sagte ich.
Dann klingelte es, weil die Pause um war. Und auf dem Weg zum Klassenraum wurde mir klar, dass es ein Problem gab.
Ich hatte keine Roolys.
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Am Nachmittag saß ich auf dem Küchentisch. Mama stopfte schmutzige Sachen in die Waschmaschine. »Runter vom Tisch«, sagte sie.
»Roolys sind wie ein Fahrzeug«, erklärte ich. Wenn man mit solchen Schuhen unterwegs war, kam man viel schneller voran als zu Fuß.
Mama holte die getrockneten Klamotten aus dem Bad, die Socken warf sie vor mir auf den Tisch. Ich dachte natürlich nicht daran, sie zu sortieren. Normalerweise mache ich meinen Job pünktlich und gut. Aber es hätte blöd ausgesehen, mitten im Kampf um eine hohe Geldsumme Socken zu sortieren.
»Sie kosten hundert Euro«, sagte ich ruhig.
»Pff«, machte Mama.
Es hatte keinen Sinn. Mama hatte sowieso keine Zeit mehr, weil sie zur Tankstelle gehen musste. Da war ihre Arbeit.
Also beschloss ich, auf Papa zu warten. Am Abend war der oft so müde, dass ihm alles egal war.
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Papa kam erst kurz vorm Abendessen. Er rief: »Uff!«
Gerne hätte ich ihm ein Bier aus dem Kühlschrank geholt. Das hätte ihn in gute Stimmung versetzt, und er hätte mir vielleicht sofort Roolys erlaubt. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich schon für die Methode »stören« entschieden. Darum setzte ich mich störend auf den Küchentisch.
Er ging selbst zum Kühlschrank und ließ sich dann auf meinen Stuhl fallen. Auf seinen eigenen legte er die Füße. Ich betrachtete zufrieden seine Socken, die perfekt zusammenpassten.
»Wir müssen über Geld reden«, sagte ich.
Papa war so müde, dass er mich nur anschaute. Man hörte nichts außer der Waschmaschine.
»Ich brauche Roolys.«
Papa stand gähnend auf. Er holte Bratwürste aus dem Kühlschrank und legte Kartoffeln auf den Tisch.
»Turnschuhe plus Rollen.«
Papa wusste nicht, wo er die Kartoffeln schälen sollte, weil ich auf dem Tisch den ganzen Platz wegnahm.
»Turnschuhe sind okay«, brummte er.
»Echt?!«
»Ist das Sport, das mit den Rollen?«
»Es ist sogar an der frischen Luft.«
»Na, dann.«
Yeah! Yeah! Ich jubelte und riss meine Arme nach oben.
»Dafür musst du aber die Kartoffeln schälen.« Papa drückte mir das Messer in die Hand und nahm wieder sein Bier.
Kein Problem. Ich rutschte auf dem Tisch zur Seite, um Platz für die Schalen zu machen.
»Und du musst die blöden Dinger kleinschneiden.«
»Yo!« Ich mag es, wenn Papa so redet wie in Actionfilmen. Manchmal machen wir das zum Spaß. Darum sagte ich: »Willst du verdammte Mistbratkartoffeln, Alter? Yo, schmeiß die Drecksteile in die verfluchte Pfanne, verdammt!«
Papa sagte, dass ich nicht so reden sollte, aber er musste auch lachen. Das fand ich cool, dass Papa lachte. Er hatte doch einen anstrengenden Tag hinter sich. Manchmal müssen Kinder ihren Eltern auch ein bisschen Spaß machen.
Ich redete weiter wie ein Gangster und schälte alle Kartoffeln, und Papa guckte mir zu und lachte.
Da, plötzlich, passierte es.
BÄÄNG!!
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Hilfe.
Viele Gedanken schossen mir durch den Kopf. Was war das?
Ich dachte an die Explosion eines Gastanks, die ich mal in einem Actionfilm gesehen hatte. Und an den Angriff einer bewaffneten Sondereinheit, bei der scharf geschossen wird. Oder an einen Auto-Crash.
Ein Auto-Crash hier in der Wohnung?!
Die Küche füllte sich mit Rauch, es roch verschmort. Also doch eine Explosion? Schnell rollte ich mich auf dem Tisch zusammen und schützte den Kopf mit meinen Armen. Ich überlegte, ob ich noch Zeit hatte, zur Badewanne zu rennen, weil ich mal in einem Film gesehen hatte, dass man in Badewannen vor Explosionen sicher war.
Der Topf mit den Kartoffeln fiel klirrend auf den Boden. Ich schrie: »Papa! Verdammt, geh in Deckung!«
»Ich gehe mal zum Sicherungskasten«, sagte Papa.
Vorsichtig lugte ich unter meinen Armen hervor. Die Kartoffeln kullerten herum. Die Waschmaschine qualmte. Auf dem Boden breitete sich Wasser aus.
»Anton, hilf mit!« Papa kam mit Wischmopp und Eimer zurück. Dann fluchte er, weil seine Füße nass wurden, und dann verschwand er wieder, um den Werkzeugkasten zu holen.
Ich schob alle Socken, die noch auf dem Tisch lagen, runter auf den Boden.
Dann kletterte ich vom Tisch auf den Stuhl. Dort krempelte ich die Hose hoch und zog meine Socken aus. Sie landeten bei den anderen in der großen Pfütze.
Vorsichtig stakste ich durch die Küche und begann mit dem Rettungseinsatz. Die vielen Socken hatten schon einiges an Wasser aufgesaugt, aber es war noch zu viel in der Pfütze. Mit beiden Händen fischte ich so viele Socken wie möglich heraus und trug sie zur Spüle. Da drückte ich sie aus, und dann warf ich sie zurück in die Pfütze.
»Was ist das denn?« Papa zeigte auf den Boden. Ein paar der Saug-Socken schwammen, weil das Wasser sich bewegte.
Papa zog die Waschmaschine ein Stück vor. Er kniete sich dahinter, klapperte mit der Rohrzange herum und fluchte. Nach einer Weile sagte er: »So. Jetzt läuft wenigstens nichts mehr raus.«
Das fand ich gut, denn mittlerweile begann die Pfütze, die Küche zu verlassen. Eine besonders schnelle Saug-Socke hatte sich als Erste von einer Welle über die Schwelle zum Flur treiben lassen. Ich erkannte Bart Simpson auf der Socke, und es machte mich ein bisschen stolz, dass es eine von meinen war.
»Keine Zeit zum Träumen«, sagte Papa. Er drückte mir den Wischmopp in die Hand. Die Saug-Socken sammelte er nun selber ein. Er warf sie alle in den Putzeimer und musste aufpassen, dass er nicht mit den Kartoffeln durcheinanderkam, die ja auch noch da herumschwammen.
Zu essen gab es an diesem Abend leider keine Bratkartoffeln und keine Bratwurst mit Ketchup mehr, denn Papa wollte nicht in einer nassen Küche den Herd anmachen.
Als Mama nach Hause kam, aßen wir Knisterknusperflakes. »Wir haben ein Problem«, sagte Papa zur Begrüßung.
Mama schaute uns an und ließ die Tasche fallen. »Ein Problem?«
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Als meine Saug-Socken am nächsten Tag wieder trocken waren, wanderten sie sofort in den Schmutzige-Wäsche-Korb. »Die kann man so nicht anziehen«, meinte Mama.
Ich fand es nicht gut, dass wir eine Familie ohne saubere Socken waren, denn wir waren nun ja auch eine Familie ohne Waschmaschine.
Beim Frühstück gab es eine Lagebesprechung. Mama und Papa rieben sich über die Stirn und sagten: »Die Waschmaschine kriegt man nicht mehr hin.«
Ich war der Einzige, der nicht rumjammerte, sondern einen Plan hatte. Er bestand aus drei Schritten. Um ihnen meinen Plan klarzumachen, fischte ich drei Knisterknusperflakes aus meiner Schüssel. »Erst mal brauchen wir einen Freiwilligen«, begann ich.
Keiner meldete sich.
»Hallo?« Ich musste sie daran erinnern, dass bald unsere Wohnung nach Käsefüßen riechen würde, wenn wir nichts unternahmen. »Ich würde mich ja selber melden, aber leider bin ich minderjährig, und es ist nicht meine Schuld, dass Kinder keine …«
»Ist ja gut!« Papa trank einen Schluck aus seinem Kaffee. »Ich melde mich freiwillig.«
»Sehr schön.«
»Was ist das für eine Schweinerei hier?« Mama wollte meine Knisterknusperflakes vom Tisch wischen.
»Moment!«
Ich zeigte auf Knisterknusperflake Nummer eins. »Papa, der ein Lob verdient, weil er sich freiwillig gemeldet hat, geht nach der Arbeit zur Bank. Dort zieht er Geld aus dem Automaten, für Socken.«
Ich zeigte auf Knisterknusperflake Nummer zwei. »Für Roolys, hundert Euro.«
Schließlich zeigte ich auf Knisterknusperflake Nummer drei. »Und für eine neue Waschmaschine.«
Papa hielt beim Kaffeetrinken inne und schaute mich erstaunt an. Anscheinend hatte er dabei vergessen zu schlucken, denn nach einem Augenblick begann er zu husten.
Mama stand auf. »Hättest dich ja nicht freiwillig melden müssen«, murmelte sie in Papas Richtung. Dann machte sie wie immer viele Sachen gleichzeitig und sagte währenddessen: »Beeil dich, Anton.«
Ich machte die Dinge lieber nacheinander. Erst schaute ich auf die Uhr. Ja, ich musste wohl los. Dann stand ich auf.
Papa starrte mich immer noch an. Ich glaubte, dass er ein bisschen Aufmunterung brauchte.
»Das wird schon«, sagte ich und klopfte ihm auf die Schulter.
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Den ganzen Tag in der Schule hatte ich mich auf die Roolys gefreut. Aus dem Internet kannte ich die Kunststücke, die ich als Erstes lernen wollte. Einige Leute aus meiner Klasse benutzen Roolys nur als Fahrzeug. Aber dafür waren sie viel zu schade. Ich finde, man sollte es sich nicht immer so leicht machen.
Papa kam früher von der Arbeit. Als ich ihn hörte, sprang ich gleich vom Computer auf und lief in die Küche. Ich machte ihm ein Bier auf. Er sollte sich ruhig kurz erholen.
»Und?«, fragte ich.
Er zog die Schuhe aus.
»Lass sie lieber an«, sagte ich. Nicht so sehr wegen der Käsefüße, sondern weil wir noch losmussten, um die Roolys zu kaufen.
»Wie war es?«, fragte ich.
Papa rieb sich den Nacken und kreiste mit seinem Kopf. »Wir haben den Auftrag verloren. Jetzt ist wieder alles offen.«
»Ich meine: Wie war es auf der Bank?«
»Auf der Bank?«
»Wie viel hast du geholt für uns?«
»Ach, so.« Papa lachte ein bisschen.
»Sag schon!«
»Anton, schrei nicht. Ich bin müde.«
Es stellte sich heraus, dass Papa gar nicht in der Bank gewesen war. Und dass er und Mama in der Zwischenzeit einige Dinge beschlossen hatten.
»Ihr habt also einen Plan?«, rief ich, und ich spürte meine Düsenantriebsrakete. Die ist in mir drin, aber manchmal schießt sie raus. »Warum habt ihr mich nicht eingeweiht?!«
Sie wollten im Internet nach einer gebrauchten Waschmaschine suchen, und sie wollten das Geld nicht von der Bank holen, sondern von Oma und Opa leihen. Sie wollten erst mal ein paar Tage die Preise vergleichen und ein Schnäppchen finden. Sie wollten so lange unsere Stinksocken von Hand waschen.
»Also dann bezahlen wir die Roolys mit deiner Karte?«, fragte ich ungeduldig.
Papa schüttelte den Kopf. Er machte mich so wütend.
»Ihr könnt nicht einfach einen Plan machen, ohne mich zu fragen!«, schrie ich.
»Und ob wir das können«, sagte Papa.
»Euer Plan ist scheiße!«
»Halt den Mund!«
Da ging die Rakete los. Ich kenne das schon, es ist immer das Gleiche. Wenn das Antriebsfeuer ganz heiß geworden ist, dann donnert sie durch mich durch.
»Aaaaaaaaahh!!«
Ich nahm einen Stuhl und schmiss ihn um.
Papa war aufgestanden. Ohne ein Wort zu sagen, packte er mich. Er hielt meine Arme fest und drückte meinen Körper gegen seinen. Dabei hob er mich hoch, damit meine Beine in der Luft zappelten. Papa ist sehr stark. Ich habe es noch nie geschafft, mich aus diesem Griff zu befreien.
Ich wollte keine alte Waschmaschine kaufen und keine alten Socken waschen.
Warum hatten sie meine Roolys vergessen?
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Draußen war die Luft frisch.
Aber deswegen war ich nicht dort. Nicht, weil Papa mich vor die Tür gesetzt hatte mit den Worten: »Komm wieder, wenn du ausgelüftet bist.«
Ich lasse mich nicht vor die Tür setzen. Und die Jacke, die er mir hinterhergeworfen hatte, zog ich auch nicht an. Ich war unten vor dem Haus, weil unsere Wohnung nicht mehr die passende Umgebung für mich war. In dieser Wohnung hausten Geizkragen und Spielverderber. Sie nannten sich meine Eltern, und bald würden sie nach Käsefüßen stinken. Bah.
Draußen, das ist das Backerviertel. Es gibt Wohnhäuser und ein paar Geschäfte und Parkplätze und den Platz zwischen den Häusern. Da stehen Bänke und Wackelpferdchen und Mülltonnen. Ich war nicht begeistert, als ich sah, dass auf den Pferden Fanny und Xiaomeng saßen.
Das sind die nervigsten Mädchen aus meiner Klasse. Schon allein das ständige Gekicher. Und dann ihre Namen! Fanny heißt eigentlich Stefanie, und Xiaomeng heißt eigentlich Frühlingsknospe. Aber auf Chinesisch. Also, wenn ein Chinese Frühlingsknospe sagen will, dann sagt er Xiaomeng, aber nicht mit »X« am Anfang, sondern mit »S«, obwohl man »X« schreibt. Leute, Leute.
Schon kicherten sie. »Anton, wo ist deine Jacke?«
»Ich habe sie ausgezogen, damit ich euch besser ärgern kann.«
»Wie willst du uns ärgern?«
»Mit meiner Schönheit!« Ich ging langsam auf die beiden zu. »Na, haltet ihr es noch aus?«
»Du nervst«, sagte Fanny
»Bin ich zu schön für euch?«, fragte ich mit meiner Horrorfilmstimme.
Xiaomeng sprang vom Wackelpferd. »Iiiieh!« Sie flüchtete mit Fanny zu dem Haus, in dem beide wohnen.
Es ist das größte im Backerviertel, elf Stockwerke. Das ärgert mich immer ein bisschen, dass die im höchsten wohnen und ich nicht.
Aber als ich den beiden bei der Flucht zusah, ärgerte mich etwas anderes noch mehr. Denn sie rannten nicht. Sie rollten.
Auf Roolys.
Das Ganze war so gemein, dass ich keine Lust mehr hatte. Ätzende Gefühle muss man schnell kaputt schlagen, und ich beschloss, etwas zu unternehmen. Ich beschloss, die Sache selbst zu regeln. Wozu brauchte man schon Eltern?
Ich war Anton! Anton Starflashman! Die paar lächerlichen Kröten für ein Paar Roolys, die konnte ich auch selbst verdienen. Und dann würden die alle schön blöd glotzen.
Ha.
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Ich ging wieder zu unserer Wohnung, hob meine Jacke auf und überlegte, was ich tun könnte. Da ich noch zur Schule ging, hatte ich keinen Beruf, mit dem man Geld verdienen konnte. Das habe ich, ehrlich gesagt, noch nie verstanden. Wieso bekommen Mama und Papa Geld und ich nicht? Mama verkauft Benzin. Ist das schwieriger als Schule? Sie muss nur sagen: »Noch einen Wunsch?« Ich hingegen muss 848 minus 367 rechnen – ohne Taschenrechner.
Eines hatte ich mir schon längst vorgenommen: Sobald ich erwachsen bin, werde ich sehr viel Geld verdienen. Und zwar mit einem vernünftigen Beruf: Stuntman.
Da ich nun schon Geld brauchte, ohne erwachsen zu sein, musste ich Kinderstuntman werden. Das gibt es. Klar, wo kämen sonst die ganzen Kinder her, die in Actionfilmen mitspielen.
Ich ging ins Internet, um herauszufinden, wie das geht. Als ich »Kinderstuntman« eingab und auf »suchen« klickte, kam eine Seite von einer Agentur. Ich dachte mir, das muss so was sein wie eine Agency. Central Intelligence Agency zum Beispiel. Das heißt CIA, und das ist was aus Actionfilmen. Also musste ich richtig sein.
Auf der Internetseite von der Agentur stand, dass man sich als Kinderstuntman bewerben konnte. Wer sagt’s denn? Die brauchten gute Leute.
Man sollte ihnen Fotos schicken und schreiben, wie alt man sei und wie groß und wie viel Gewicht und so weiter. Das fand ich nicht so gut. Von mir gab es nämlich leider keine coolen Fotos. Die meisten waren mindestens ein halbes Jahr alt, da sah ich noch aus wie ein Baby. Und die neuesten Fotos waren alle von meinem Geburtstag, wo ich eine Krone auf dem Kopf hatte und Sahne im Gesicht. Auf einem Foto hielt ich mir auch noch zwei Würstchen an die Ohren, weil ich gespielt hatte, dass das Antennen waren. Diese Fotos konnte ich unmöglich gebrauchen.
Ich dachte nach.
Dann nahm ich meine Sonnenbrille und meine MP5-Softair-Pistole, die leuchten kann. Aus Papas Kleiderschrank holte ich mir ein schwarzes Jackett und zog es an. So übte ich vor dem Spiegel im Flur, um eine coole Position für das Foto zu finden. Nach einer Weile rief ich Papa, er solle mir die Kamera bringen. Doch als er mich sah, nahm er mir nur das Jackett wieder weg.
Er öffnete die Wohnungstür und sagte, ich wäre noch nicht fertig mit Auslüften.
Bevor ich ging, schnappte ich mir heimlich die Kamera. Und diesmal zog ich meine Jacke an.
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