Vorwort des Herausgebers

»Der Musil«, schrieb Franz Blei in seinem »Großen Bestiarium der modernen Literatur (1922), »der Musil ist ein edles, in schönen Proportionen kräftiggebautes Tier, an dem, da es zu der kleinen Familie der Damhirsche gehört, wo solches nicht Brauch, auffällt, daß es Winterschlaf hält. Der Musil schläft nach jedem reißend verlebten Jahre fünf Jahre lang in unzugänglichem Forst. Seine ungeheure Kraft der Muskeln nicht nur, sondern auch die hohe Sensibilität seines nervösen Lebens, welche der Musil in seinem wachen Jahre zeigt, scheinen den auffallend langen Winterschlaf nötig zu machen.«

Blei, der Zeitgenosse und Freund, schildert Musil wie ihn viele sahen: Als mystischen Wortmagier, der einsam grübelnd, jahrelang feilend, nicht enden wollend an einem Großroman arbeitet: »Der Mann ohne Eigenschaften«, nicht vollendet, und doch zu den wichtigsten Werken der Literatur zählend.

Ablenken ließ sich »der Musil« selten, umso mehr Gewicht haben jene Essays, Schriften, Reden, Vorträge und Glossen, die vor und während seiner Hauptaufgabe trotz aller Fokussierung auf das eine große Projekt noch nebenbei entstanden. – Sie sind in diesem Band versammelt, und geben einen einzigartigen Einblick in das Denken, das Fühlen, das Hirn und Herz dieses ›Großschriftstellers‹.

Musils literarische und journalistische Publikationen wurde im Laufe der Jahre immer seltener, die Produktion von Essays versiegte, als er sich immer mehr in den »Mann ohne Eigenschaften« vertiefte. Gelegentliche Veröffentlichungen dienten nur dazu, die vollständig leere Kasse ein wenig zu füllen – oder sie entstanden aus dem Bedürfnis, sich dem literarischen Publikum nach Jahren in der Versenkung wieder in Erinnerung zu rufen.

1942 starb Robert Musil, zu früh, 61jährig, in seinem Schweizer Exil an einem Gehirnschlag. Er wähnte sich bei guter Gesundheit und meinte, wohl noch zwanzig weitere Jahre an seinem Großroman arbeiten zu können. Er hinterließ vergleichsweise wenige fertiggestellte Werke, aber ein unglaubliches Kompendium reicher, literarisch erstklassiger Notizen, Essays, Gespräche und Reden, wie sie hier versammelt sind, und einen – unvollendeten – aber epochalen Großroman.

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Über Robert Musil:

Robert Musil wurde am 6. November 1880 in Klagenfurt geboren. Sein Vater sah für ihn die Militärlaufbahn vor und schickte ihn auf verschiedene Militärakademien. Er brach jedoch die Offizierslaufbahn ab und studierte – nach einem Intermezzo im Maschinenbaustudium – ab 1903 in Berlin Philosophie und Psychologie, und bekam dort ersten Zugang zu Künstlerkreisen. 1910 geht Musil zurück nach Wien, arbeitet als Bibliothekar, freier Schriftsteller und Journalist, 1911 heiratet er Martha Marcovaldi. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er teilnahm, festigt er seinen Ruf als Schriftsteller, und wird mit diversen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Kleist-Preis für das Schauspiel »Die Schwärmer«. 1920 lernt er in Berlin seinen künftigen Verleger, Ernst Rowohlt kennen, der ihn in den nächsten 20 Jahren, während Musil am »Mann ohne Eigenschaften« arbeitet, mit Vorschüssen finanziell unterstützen wird. Musil publiziert nun fast nichts anderes mehr, setzt all seine Kraft in sein Monumentalwerk.

Mit dem »Anschluss« Österreichs an den Nationalsozialismus im Jahr 1938 werden Musils Bücher nach Deutschland nun auch in Österreich verboten. Er emigriert mit seiner Frau in die Schweiz, zunächst wohnen sie in Zürich, später bei Genf. – Am 15. April 1942 stirbt Robert Musil an einem Gehirnschlag, am Chemin des Clochettes in Genf. Er hatte seit mehreren Wochen nur noch an einem einzigen Kapitel (Atemzüge eines Sommertags) des »Mannes ohne Eigenschaften« gearbeitet, das man nach seinem Tod geöffnet auf dem Schreibtisch fand. Robert Musils Asche wurde in einem Wald bei Genf verstreut.

Redaktion eClassica


Impressum

Robert Musil: Essays, Reden, Gedanken

eBook Originalausgabe

© 02/2013 by eClassica

Lektorat und Umschlaggestaltung: textkompetenz.net

Bildnachweise:

Covermotiv: Grafitto von Jef Aerosol am Musilhaus in Klagenfurt,

vom Urheber in die Gemeinfreiheit gestellt.

Innentitel-Motiv: Foto-Porträt Robert Musils, aus dem Jahre 1900, unbekannter Urheber.

Alle verwendeten Bilder gemeinfrei.

Herausgeber: eClassica | AuraBooks

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Alle Rechte für Vorwort, Covergestaltung und eBook-Design liegen bei

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