Anarchie & fieser Frohsinn –
Carlo Schäfers »Carlos«-Kolumnen

Seine »Motive haben etwas prinzipiell und unausrottbar Nichtoffizielles: kein Dogmatismus, nichts Autoritäres, keine engstirnige Seriosität kann sie besetzen; sie widersetzen sich jeder Vollendung und Starrheit, jeder ungetrübten Seriosität und Abgeschlossenheit des Gedankens und der Weltanschauung«, so schrieb Michail M. Bachtin über François Rabelais.

Hätte er aber auch sicher genauso über Carlo Schäfers CrimeMag-Kolumnen geschrieben, die regelmäßig seit 2009 sich samstags ins Handgemenge mit dem Wahnsinn dieser Welt begeben. Dass diese Welt, in der wir nun einmal leben müssen und sogar (manchmal) wollen, global irre ist, davon geht Carlo – der manchmal auch Carlos heißt, manchmal aber auch nicht – aus. Das heißt aber nicht, dass man den täglichen Plagegeistern die da heißen Dummheit, Blödigkeit, Dreistigkeit, Ahnungslosigkeit, Frechheit, Gemeinheit, Widerwärtigkeit, Schmierigkeit, Gier und Tyrannis der ideologischen, ästhetischen, ethischen und physiognomischen Art alles durchgehen lassen darf. Zumindest nicht, ohne selbst schweren seelischen Schaden zu nehmen.

Wie schon der Kollege Rabelais und vielleicht noch der Kollege Daniil Charms – in diese Linie von Literatur gehört Carlo Schäfer auch mit seinen Romanen und Erzählungen, und das kann man nicht über viele deutsche Schriftsteller der Gegenwart sagen –, wehrt sich Carlos mit der so ziemlich schärfsten ästhetischen und erkenntnistheoretischen Waffe, die es gibt: mit Komik. Denn Komik ätzt alles weg, was sich aufplustert und Sinn machen will; Komik braucht keine »seriöse« Basis, sie kann auf Gegenbildlichkeiten pfeifen und muss keinen eigenen Wertekanon vorweisen. Komik darf spotten und speien. Sie braucht keine Weltanschauung, und wenn, würde sie sich sofort darüber lustig machen. Komik setzt sich nicht arrrogant über die Dinge, oft unterläuft sie sie und zieht sie zu sich in den Schmutz, um diese Dinge kenntlich zu machen. Deswegen wird sie gehasst – so wie es vermutlich Leute gibt, die Carlos Ausflüge in den Grimmi, besonders den Regiogrimmi, in das Vereinsleben deutscher Dichter und Denker, in die Idiotenfabriken von Schreibschulen, in die Hysterien von Facebookdebatten, in die Foren von Fernsehpfarrern, Volksmusikanten und xenophoben Vollpfosten nicht wirklich zu schätzen wissen. Komik ist eben nicht immer lustig, manchmal tut sie richtig weh. Mit der »berühmten Prise Humor«, mit der irgendwas »gewürzt« sein soll (wer diese Floskel benutzt, sie gar nur denkt, hat sich intellektuell blitzschnell diskreditiert) hat das alles natürlich nichts zu tun. Carlos ist nicht witzisch, nicht lustisch, nicht humorvoll. Carlo Schäfer ist komisch, auf hohem Niveau. Gerade wenn seine Texte so richtig »unter die Gürtellinie« (auch so ’ne Floskel) gehen, wenn er schweinigelt, pöbelt, ramentert und randaliert, dann retourniert er das Sprechen und damit das Denken der Objekte seines Angriffes bis zur Kenntlichkeit überformt zurück. Manchmal schluckt man, manchmal überlegt man, den Hausanwalt anzurufen zwecks Absicherung, meistens wälzt man sich winselnd vor Vergnügen auf dem Teppich – aber man weiß immer, dass es die richtigen aus den richtigen Gründen (na ja, beim FC Bayern irrt sich hin und wieder auch ein Carlos, aber das ist ein anderes Thema) trifft.

Und, Scherz beiseite, Carlos Kolumnen bieten sicher den radikalsten Querschnitt durch die Realitäten dieser Republik. Ein Querschnitt, der auch die sozialpsychologisch und -hygienisch verzweifelsten, die ästhetisch heruntergekommensten und moralisch verderbtesten Gegenden (auch wenn sie von Fall zu Fall noch so glossy schimmern und gleißen mögen) mit einschließt, aus denen wir über den Zustand von Merkel-Land hier und heute in fünfzig Jahren mehr lernen werden, als wir jetzt schon ahnen. Eckhard Henscheid hat mit seiner »Trilogie des laufenden Schwachsinns« (1973–1978) den damaligen Wahnsinn versucht, wenigstens narrativ noch zu fügen – Carlos Miniaturen aus dem heutigen galoppierenden Wahnsinn können nur noch heillose pointilistische Anarchie anrichten.

Aber so was von!

Thomas Wörtche, im April 2015

cover

Über das Buch

Das Buch versammelt einen Ausschnitt aus Carlo Schäfers »Carlos«-Kolumnen, die seit 2009 regelmäßig im CULTurMAG/CrimeMag erscheinen. Die Texte sind überarbeitet, komprimiert und neu montiert.

Carlos kennt keine Berührungsängste, er begibt sich direkt ins Handgemenge mit dem Wahnsinn dieser Welt, mitten hinein in das Vereinsleben deutscher Dichter und Denker, die Idiotenfabriken von Schreibschulen, den Regiogrimmi, in die Hysterien von Facebookdebatten, in die Foren von Fernsehpfarrern, Volksmusikanten und xenophoben Vollpfosten. Es ist Notwehr: Carlos bekämpft die täglichen Plagegeister, die da heißen Dummheit, Blödigkeit, Dreistigkeit, Ahnungslosigkeit, Frechheit, Gemeinheit, Widerwärtigkeit, Schmierigkeit und Gier mit der so ziemlich schärfsten ästhetischen und erkenntnistheoretischen Waffe, die es gibt: Mit Komik. Zu unserem großen Vergnügen.

Über den Autor

Carlo Schäfer, Jahrgang 64, lebt und arbeitet in Heidelberg. Von ihm sind fünf Krimis bei Rowohlt erschienen (vier davon auch auf Russisch), ebenfalls bei Rowohlt erschien ein Lexikon unter einem Pseudonym, das eines bleiben soll, eine Kriminovelle verlegte die Edition Nautilus, zwei Jugendkrimis der Verlag an der Ruhr. Für CULTurMAG/CrimeMag schreibt er seit 2009 die Kolumne »Carlos« mit beträchtlichen thematischen Freiheiten, einige Anthologiebeiträge bei verschiedenen Verlagen haben sich auch immer mal wieder ergeben. Er war für den Glauser-Debütpreis für das beste deutschsprachige Krimidebüt nominiert. Dabei blieb es dann aber. Bei CulturBooks ist der Roman »Der Tod dreier Männer. Über den Heimgang des Karls Karst, des dicken Herrn Konrad und dessen, der sich David nannte, sowie Medizin, Diakonie, Schädlingsbekämpfung und Theodizee«, der auch in englischer Übersetzung vorliegt, erschienen.

 

Carlo Schäfer

 

Das Bimmel ist ein hochloder Diffel

 

Gesammelte Kolumnen

 

CulturBooks Verlag

www.culturbooks.de

Vorbemerkung

Ja, ich bin in Pforzheim aufgewachsen, und das kann man nicht ewig verheimlichen. Pforzheim: Vielleicht kann sich meine paradoxe Beziehung zum Genre Krimi (ich lese wenige, will auch eigentlich keine mehr schreiben und tue es dann doch) von diesem Ort her erzählen. Wer einmal sehen will, wie eine kriegsbedingte Zerstörung, laut Pforzheims offizieller Verlautbarung, eine umfangreichere als in Hiroshima, einen Menschenschlag auf Generationen hinaus seelisch verrotten lässt, ihn böse und nur immer böser macht, der soll meine Heimatstadt doch mal für ein Wochenende besuchen. Länger aber besser nicht. Angefangen beim dortigen schwäbisch-badischen Dialektbastard, auf visueller Ebene in bis in die jüngste Zeit einfach nur verbrecherische Nachkriegsarchitektur transponiert, inkarniert die entropische Lokalethik in den großen Kindern der »Goldstadt mit Herz«.

Zu nennen sind u. a.: Boxer und Drogenhändler René Weller, Heinz Steinhart, genannt der Bäderkönig, Bankrotteur und Betrüger, sowie der zeitweilige Weltmeister im Nasengewichtheben (!) Manfred Monasso, alias Giovanni Grasmüller. Damit nicht genug: Die Schlagerdilettantenbande »Die Flippers« (O nomine admirabile!) sind, soweit nicht am Leberschlag dahingegangen, bis heute respektierte Bürger der Stadt, Kulturtotengräber und letzter ZDF-Hitparadenlump Uwe Hübner war sogar eins über mir auf der derselben Schule.

Und vergessen wir bitte nicht den Stuttgart21oberbefehlshaber und Durchgreifer Stalin Mappus!

Und ich. Leider.

Was sonst?

Sportart Nummer 1 in Pforzheim war neben Boxen und – natürlich – Schießen in meiner Kindheit Ringtennis. Ringtennis! Genau! Die Hartgummiringe, die man heute nur noch im geriatrischen Sport- und Beschäftigungsbereich sowie in der Schlaganfallreha einsetzt, wurden früher nach strengen Regeln über Netze geworfen und das besonders erfolgreich in meiner, der »Dreitälerstadt«. Man muss kaum erwähnen, dass mit dem ersten Frisbeeimport aus Obamien diese Leibesertüchtigung und damit auch zugleich Pforzheims einzige Position in einer ersten Bundesliga gleichsam verdampft ist.

Aber der 1. FC Pforzheim ist immerhin beinahe einmal in die zweite Fußballbundesliga aufgestiegen! Jawoll! Leider hat man sich verrechnet, hätte statt 6:0 7:0 gewinnen müssen, wozu auch noch zwanzig Minuten Zeit gewesen wäre. Die bereits trunken feiernden Helden der »Schmuck- und Uhrenstadt« erfuhren es in der Autobahnraststätte Bruchsal brunzend aus dem Radio.

Es gibt – letztes Wort zu den sich inzwischen in untersten Ligen mühenden Goldstadtkickern – einen mittlerweile betagten Herren mit dem putzigen Namen Roger Essig. Der durfte um 1980 ein, aber auch wirklich nur ein Probetraining beim VfL Bochum absolvieren und wurde daraufhin bis in die Neunzigerjahre in der Pforzheimer Zeitung als »Torwartlegende« gepriesen.

Gibt es kulinarische Spezialitäten? Ein klares: Nein! Allerdings sind Pforzheimer seltsam versessen darauf, pausenlos Laugenbrezeln in Kombination mit schlechtem Bohnenkaffee zu konsumieren. Die besten Brezeln lieferten, je nach persönlicher Vorliebe, die »Brezelstube«, die Bäckerei »Aisenbrey«, meiner Meinung nach freilich: die Bäckerei Schwanz. Was für ein Klang, leider existiert sie nicht mehr. Genauso wenig wie das dreieckige (ehrlich wahr) Lokal »Grillspieß«. Ob es die Disco Miura (so ähnlich hieß die doch …) noch gibt, weiß ich nicht und will ich nicht wissen. In dem an den Arrestbereich einer Bohrinsel innenarchitektonisch nachempfundenen Ambiente gab es sogar mal einen Giftmord, weil der später Überführte eben einfach mal wissen wollte, wie das so ist, wenn man einen vergiftet.

So was passiert überall? Mag sein. Aber gibt es sonst noch einen Ort, der eine Straße nach einem bedeutenden Maler benannt hat, dessen Nähe zum Flecken sich der Kleinigkeit verdankt, dass man ihn hier und nirgendwo anders gevierteilt hat? In »Pforze« sehr wohl: Jörg-Ratgeb-Straße. 1526 war das. Auf irgendwas muss man ja ein paar hundert Jahre stolz sein können. Weiteres über meine Heimat sicher ein andermal, am Stück schaffe ich es nicht.

Dieser Ort, ich hoffe es angedeutet zu haben, prägt. Auch alles, was nun folgt.

Carlo Schäfer