Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Eine glühende Junisonne hing wie ein roter Ball am Firmament. Unter ihren senkrechten Feuerstrahlen kochte die See und sandte blendende Reflexe von goldrotem Metallglanz über die menschenleere Marina. Die Perle Siziliens, Messina, schlief. Was nur irgendwie von seiner täglichen Beschäftigung sich freimachen konnte, floh die um diese Stunde unerträglich heißen Straßen und suchte Kühlung in dunklem Schatten.

Seit zwei Stunden, war ich obdachlos. Meine Universitätsstudien hatten vor wenigen Tagen ihren glücklichen Abschluß gefunden, und nun lenkte ich meine Schritte wieder hinaus in das schaffende Leben. Vor der deutschen Bierhalle erwartete ich die Abfahrt des Trajektschiffes, das die Inselbewohner über die Meerenge nach Reggio di Calabria bringt. Dort verschlingt sie der martervolle Eisenbahnzug, um ihnen in achtundzwanzigstündiger Reise die Herrlichkeiten des Golfes von Neapel zugängig zu machen. Mit geheimem Schauder dachte ich an die Tantalusqualen, die meiner in den sonnedurchglühten, engen Waggons harrten.

Da tönte lautes, fröhliches Lachen durch die Stille. Aus einer Seitenstraße bogen vier kräftige Männer auf die Marina und warfen sich ächzend in die Sessel vor der Bierhalle.

»Junge, Junge, dat is man bannig warm hüt!« rief der eine in echtem Hamburger Plattdeutsch.

Ehe noch jemand darauf antworten konnte, stand ich vor ihnen und – wäre vor freudigem Erstaunen beinahe sprachlos geworden.

»Sutor! Lieber alter Freund, sehen wir uns hier wieder!« rief ich, auf den ältesten der vier zueilend und ihm herzlich die Hand schüttelnd.

Der Angeredete war einen Augenblick starr. Dann aber lief frohes Erkennen über seine Züge:

»Ist es möglich? Sie hier? Hier in Messina? Zu dieser Jahreszeit? Wie ist denn das zugegangen?«

Und nun erzählte ich. Daß ich hier meinen »Doktor gemacht« hätte, im Cholerahospital während der Epidemie praktisch tätig gewesen wäre usw., und daß jetzt mein Ziel nordwärts läge, um irgendwo am Lande eine Stellung zu suchen.

Kapitän Sutor lachte hellauf. Er wandte sich zu seinen Begleitern, die er mir als die Kapitäne Truelsen von der »Barcelona«, Dau von der »Lissabon« und Seeth von der »Palermo« vorstellte und sagte:

»Der junge Mann war mit in der Südsee. Dort hat er die tollsten Geschichten mit den Wilden aufgeführt. Nachher haben wir uns zufällig drüben in Acapulco getroffen, als er eben über Land vom Atlantischen Ozean herübergewandert war und nun...«

»Bin ich direkt von Südamerika, mit einem kleinen Umweg über die nordamerikanischen Staaten, halb Europa und die Sundainseln nach Sizilien gekommen« ergänzte ich, um...«

»Um an Land Doktor zu werden! Nee, nee, dat gleuw ik nich!« schrie Sutor, sich herzhaft auf die Knie schlagend. »Nie und nimmer tun Sie das!«

»Ja, das muß ich wohl,« antwortete ich lächelnd, »ich muß jetzt daran denken, irgendwo seßhaft zu werden und Familie zu gründen ...«

»Die arme Frau!« unterbrach Sutor.

»Wieso arme Frau?« fragte ich.

»Na, weil Sie ihr doch bald wieder ausrücken. Sie können nicht an Land festkleben. Wenn Ihnen mal erst Eis und Schnee zusetzen, kommt die Sehnsucht nach der ewigen Sonne. Dann dauert es nicht mehr lange ... ich kenne das!«

»Darin kann ich Sutor nur recht geben,« warf jetzt Kapitän Seeth ein. »Ich habe da ein Beispiel an meinem Bruder. Als der erst einmal Tropenluft geatmet hatte, zog es ihn immer wieder dahin. Seine schöne Stellung in Hamburg hat er aufgegeben, um Abenteuer aufzusuchen. Augenblicklich weilt er beim König Menelik von Abessinien und dressiert dort Löwen.«

Vom Hafen her dröhnte der dumpfe Laut einer Schiffssirene.

»O weh, mein Trajekt fährt ab!« rief ich, unwillig aufspringend. »Wie konnte ich aber auch ahnen, daß ich hier einen so lieben Freund finden würde? Ich hätte sicher noch einige Tage länger hier verweilt. Es tut mir leid ...«

»Wer zwingt Sie denn, heute schon zu reisen?« fragte Sutor.

»Hm – ja, wer zwingt mich eigentlich?«

»Nun, wenn Sie das selbst nicht wissen, dann bleiben Sie doch hier. Meine ›Genova‹ geht erst übermorgen weiter. Also haben wir noch drei vergnügte Tage, wer weiß, ob wir uns noch einmal treffen!«

»Wenn Sie nach Hamburg wollen, fahren Sie doch mit mir. Ich gehe morgen abend aus,« lockte Rapitän Truelsen.

Während ich noch zauderte, heulte der dritte Ton der Sirene.

»Do geiht he hin!« rief jetzt Sutor vergnügt. »Nun ist die Frage schon erledigt.«

Und wirklich! Eben dampfte das Trajektschiff an der Marina vorüber und nahm Kurs auf die weißen Häuser des von der andern Seite der Meerenge herüberleuchtenden Reggio.

Dieser Augenblick des Zauderns wurde für mein späteres Leben von besonderer Bedeutung.

Mit dem Eintritt der kühlen Nachmittagsbrise brachen wir auf. Das Wiedersehen mit meinem alten Freunde hatte dem Wirte eine mehr als gewöhnliche Einnahme verschafft. Den Kapitänen hatten sich noch zwei Obermaschinisten von den im Hafen liegenden Slomandampfern zugesellt, die Herren Wimmel und Hartmann, und in die sieben deutschen Seebärenkehlen waren ungezählte Tröpflein edlen bayrischen Gerstensaftes hinabgeflossen. Die Essensstunde nahte. Das Essen sollte an Bord der »Genova« eingenommen werden und es wurde beschlossen, den Abend einmal recht gemütlich zu verbringen.

Am Eingange zum Hafengebäude fiel mir ein großes Plakat auf:»Deutsche Dampfschiffreederei– Hamburg. Dampfer China trifft heute abend 8 Uhr ein und wird morgen mittag 1 Uhr nach Ostasien weitergehen.«

Der alte Kapitän Dau zupfte mich am Ärmel:

»Das wäre so etwas für Sie, nicht wahr? Ich sehe es Ihren Augen an, daß Sie eben denselben Gedanken liebkosten.«

»Wahrhaftig, Kapitän, Sie sind Gedankenleser!« rief ich. »Aber leider geht das nicht immer so wie man gern möchte.«

»wie?« sagte Sutor und drängte sich näher an das Plakat, »bleibt der Kasten die Nacht über hier? Dann muß der Kapitän mit uns zusammenkommen. Ich weiß zwar nicht, wer es ist, aber einer von uns kennt ihn sicher.«

»Fahren Sie nur an Bord, Sutor. Ich werde dem Agenten sagen, daß er etwas ausmacht für heute abend,« erwiderte Kapitän Truelsen, indem er sich der Agentur zuwandte.

Wir saßen eben auf dem Deck der »Genova«, als ein mächtiger Dampfer von See her auf die Mole zusteuerte. Der rote Ring mit dem D.D.R ließ ihn als den erwarteten Ostasienfahrer erkennen. Als dieser so viele Schiffe der heimatlichen Sloman-Reederei versammelt sah, grüßte die Sirene in tiefen Tönen herüber und entfesselte dadurch auf den andern deutschen Schiffen ein Antwortgebrüll, das die Lustwandelnden auf der Marina erstaunt ihren Spaziergang unterbrechen und zum Hafen eilen ließ.

»Ich konnte den Kapitän nicht erkennen, die Sonne stand mir zu ungünstig,« sagte Sutor, als der Dampfer vorbeigetrieben war.

»Er schien Sie aber zu kennen,« warf der erste Offizier ein. »Er schwenkte die Mütze und winkte lebhaft herüber.«

Eine Stunde später legte ein Boot längsseit.

»Hallo, Käpt'n an Bord?« fragte eine Stimme, die mir seltsam durch die Nerven zuckte. Und zwei Minuten später trat eine markige Gestalt auf das Hinterdeck, die auf Sutor zueilte und ihm herzlich die Hände schüttelte. Dann wandte er sich grüßend zu uns. Als sich unsere Blicke kreuzten, zuckten wir beide zusammen.

»Ja – wie ist mir denn? Wir kennen uns doch?« erscholl es wie aus einem Munde.

»Gewiß kennt ihr euch, Hinsch! Denk doch an die Südsee!« rief Sutor mit frohem Lachen dazwischen.

»Hinsch!« Wie ein Blitz durchzuckte es mich. In raschem Wandel traten mir alle die Szenen vor Augen, die wir Seite an Seite dort unten in der fernen Südsee erlebt hatten. »Hinsch! Lieber, bester Freund, wie freue ich mich, Sie wiederzusehen!«

Und nun war des Erzählens kein Ende. Kaum konnten die übrigen Herren, die der Einladung folgend nach und nach an Bord der »Genova« kamen, ihre neugierigen Fragen nach den jeden Kapitän interessierenden, heimischen Schiffsverhältnissen anbringen, so sehr nahm uns unsere Unterhaltung in Anspruch.

Während wir zu vorgerückter Stunde zur Marina hinüberfuhren, um noch einen Schoppen »frisch vom Faß« vor dem Schlafengehen zu »verstauen«, schnitt Sutor nochmal die Frage meiner beabsichtigten »Landpraxis« an. Er wiederholte seine Ansicht, daß es doch nicht von Dauer sein könne, wenn ich mich irgendwo ansässig machte.

»Am besten wäre es, Hinsch, Sie nähmen unsern Freund gleich mit nach Ostasien!« schloß er seine Rede, indem er mir listig zublinzelte.

»Donnerwetter, ja, das ist eine gute Idee!« rief dieser. »Kommen Sie mit mir, Mann. Unterwegs besprechen wir dann das Weitere.«

Natürlich wehrte ich mich gegen dieses Ansinnen. Anfangs waren die Worte wohl scherzhaft gemeint. Je länger aber das Projekt besprochen wurde, desto mehr verdichtete es sich zu greifbaren Formen. Auch mir schien die Idee nicht so unausführbar. Die erforderlichen Geldmittel ließen sich auf telegraphischem Wege beschaffen. Bis zum Eintreffen der Zahlungsorder langten meine Mittel noch ...

Um es kurz zu sagen: Als wir lange nach Mitternacht die Sitzung mangels »Stoff« aufheben mußten, bezog ich bereits meine Kabine an Bord des »China«. Zwölf Stunden später durcheilte ich mit dem Ostasienfahrer die Straße von Messina – den Kurs auf den Suezkanal gerichtet.

Fünftes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Es waren keine Segenswünsche, die wir dem Kapitän und dem Oberst nachsandten, als wir uns verlassen und verraten sahen, verlassen in nächster Nähe einer wilden, grausamen Bevölkerung; in einem Urwald, aus dem ein Entrinnen ein Wunder genannt werden mußte.

Der Eindruck, den diese Schurkerei eines deutschenhassenden Belgiers auf uns machte, war niederschmetternd. Besonders Lieberts Gesicht hatte eine Leichenfarbe angenommen. Seine Augen schienen wie verglast. Hörbar schlugen die Zähne aufeinander.

Düwell machte seinem Zorn in den gräßlichsten Verwünschungen Luft. Er schwur dem Obersten blutige Rache, drohte mit den schwersten Anklagen – und wußte kaum, ob er jemals diesen Ort verlassen könnte.

Mich empörte die Handlungsweise der Schiffsbemannung ebenfalls auf das höchste. Ich empfand aber bald, daß wir damit unsere Lage nicht um ein Haar verbesserten. Es galt jetzt zu handeln, und zwar sofort! Es blieb uns wohl die Hoffnung auf den aus dem Süden, aus der Boni-Bucht, zurückkehrenden Dampfer, der uns hier abgesetzt hatte, aber der konnte noch vierzehn Tage ausbleiben. So lange durften wir auf keinen Fall hier liegen bleiben. Die Alfuren würden uns bald aufgespürt haben. Und dann?

Diese Worte hatte ich meinen Kameraden zugerufen, und nun bat ich sie, die Lage ruhig mit mir zu besprechen. Aus dem Studium der Karte wußte ich, daß uns ein Weg von etwa sechzig bis achtzig Kilometern von der Nordküste der Insel trennte. Allerdings lag zwischen dieser Bucht und jener Küste ein unerforschtes, vulkanisches Gebirge, dessen Übergang, soviel die beiden Soldaten wußten, noch nie versucht worden war. Düwell, der lange in Kwandang in Garnison war, glaubte gehört zn haben, daß eben jene Berge von wilden Völkern bewohnt seien, an die sich die holländische Regierung bis jetzt noch nicht herangewagt hatte.

»Und östlich? Der Küste entlang?«

»Alfuren, und wieder Alfuren!« rief Liebert. »Dort kommen wir nicht weit.«

»Nun, dann versuchen wir das Gebirge zu überschreiten. Schlimmeres, als uns hier bevorsteht, kann uns dort auch nicht passieren, wer weiß, ob die Wilden dort oben nicht menschenfreundlicher sind, als der verd– Belgier.«

Lange berieten wir noch hin und her. Endlich entschlossen wir uns schweren Herzens, den Marsch über das Gebirge anzutreten, wir wollten dem Flusse folgen, an dessen Ufern wir unser Zelt aufgestellt hatten. Ehe wir den Weg durch die kleine Bucht zum dritten Male antraten, befestigten wir eine Flasche unter der kleinen Flagge. Sie enthielt in kurzen Worten eine Anklage gegen den Oberst sowie die Marschrichtung, zu der wir uns entschließen mußten. Man wußte dann wenigstens, was aus uns geworden war, wenn wir nicht nach Menado zurückkehrten. – Ein schwacher Trost!

Ungefährdet erreichten wir die Flußmündung. Als wir die friedliche Stille des Waldes auf uns einwirken fühlten, machte sich ein starkes Schlafbedürfnis geltend. Mechanisch verrichteten wir die notwendigen Handreichungen, um das Gepäck aus dem Einbaume auf das Land zurückzubringen, wir taumelten schlaftrunken der Stelle zu, wo das Zelt gestanden....

Liebert warf sich neben seinen Rucksack:

»Ich kann nicht mehr. Ich muß schlafen. Nur eine einzige Stunde! Und wenn ich denn wirklich in diesen Wäldern mein Leben beschließen muß – dann, o Herr, bitte gleich hier – im Schlafe.«

Ich öffnete bereits die Lippen, um ihm Mut zuzusprechen, als unvermittelt ein lautes, dumpfes Krachen, dem ein matter Donner folgte, durch den Wald dröhnte. Mit einem gewaltigen Satze war Liebert wieder auf den Beinen, und beide fragten hastig nach der Ursache dieses Lärms.

Lachend erwiderte ich:

»Dasselbe Geräusch hat auch mir einmal in Südamerika den Schlaf vertrieben. Einer der gewaltigen Urwaldbäume hat soeben sein vielhundertjähriges Leben beendet. Er ist zusammengestürzt, um neuem Leben Raum zu schaffen.«

»Auch mir ist der Schlaf vergangen,« sagte Liebert. »Ich möchte jetzt aber fort von hier, weiter hinein in den Wald ....«

»Lassen wir das Kanoe hier?« wollte Düwell wissen.

»Ich halte es für besser,« sagte ich. »wenn die Alfuren wirklich noch Spuren suchen sollten, so wird sie das Auffinden des Einbaumes in den Glauben versetzen, wir seien mit dem Dampfer abgefahren. Außerdem wüßte ich auch nicht, wozu uns das Kanoe noch nützen kann. Der Fluß kommt aus den Bergen und wird kaum befahrbar sein.«

»Wie Sie meinen,« erwiderte Düwell. »Wenn wir an eine Lagune oder gar einen See kommen sollten, wären wir froh um das Fahrzeug. Ich habe solche Fälle schon erlebt.«

»Hm, wenn es uns nur nicht gar zu sehr aufhält, wir müssen beweglich bleiben. Kommen wir an eine Stromschnelle oder stoßen wir nur an einen größeren Stein und das Kanoe kentert, dann ist unser Gepäck verloren ...«

»Ja, es gibt Gründe für und wider,« sagte nun Liebert, »lassen wir das Ding nur ruhig hier liegen und brechen wir auf, denn die Nacht ist nicht mehr fern, und die möchte ich nicht gern hier in der Nähe zubringen.

Wir begannen nun einen Marsch, an den ich noch lange, lange nachher mit Grauen gedacht habe. Dem linken Flußufer aufwärts folgend, liefen wir schnellen Schrittes durch den Wald, der hier einem gewaltigen Dome glich. Die schlanken, bis dreißig Meter astlos in die Höhe strebenden Stämme vereinigten ihre Kronen zu einem dichten Blätterdache, das ein mystisches Halbdunkel schuf, unter dessen Wirkung jedes Unterholz unterdrückt wurde. Solange noch ebener Boden vor uns lag, spürten wir die Last unseres Gepäcks nicht sonderlich. Auch trug der weiche Laubteppich viel dazu bei, uns das Ungewohnte der Traglasten vergessen zu machen. Gar bald aber drang das Rauschen eines Wasserfalles an unser Ohr, das uns als Vorbote des Gebirges unangenehm berührte. Große Steine traten nun aus vereinzelten Dornenbüschen heraus. Die Ufer des Flusses brachten großblätterige Schlingpflanzen und saftiges Gras, und allmählich machte sich das Zusammenwirken von Sonne und Wasser in einem üppigen Pflanzenwuchs bemerkbar.

Da die meisten tropischen Buschgewächse mehr oder minder stachelbewehrt sind, zwang uns die Vegetation zu oft größeren Umwegen. Aus leicht begreiflichen Gründen wollten wir das Durchschlagen der Gesträuche vermeiden. Dadurch gerieten wir erst in einen sumpfigen Teil des Waldes und, diesen umgehend, in eine Steppe, die mit meterhohem Grase bestanden war. Von dem Wasserfalle hörten wir hier nichts mehr.

Mitten in diesem Grasmeer überfiel uns die Nacht, der hier, unter dem Äquator, bekanntlich keine Dämmerung vorangeht.

»So, das hat uns gerade noch gefehlt! « rief Liebert, indem er seine Last zu Boden warf. »Das Unglück verfolgt uns heute. Ausgerechnet an dem ungünstigsten Platze in der ganzen Gegend zwingt uns die Nacht zu rasten, wir können kein Feuer anzünden, haben kein Wasser in der Nähe und die Wilden brauchen sich gar keine Mühe zu geben, geräuschlos heranzukommen. In dem hohen Grase sieht man sie nicht einmal.«

»Aber Liebert, warum sind Sie denn gar so mutlos. Sobald der Mond aufgeht, verlassen wir diesen Platz und wandern dem Flusse zu. Dort finden wir schon ein passendes Versteck. Nur ein bißchen Mut, Freund! Es wird noch alles gut werden.«

»Ja, ja, Mut! An dem fehlt es mir nicht. Ich denke, das habe ich hundertfach bewiesen, wenn ich aber irgendwo wie ein Stück Wild abgestochen werden soll, ohne daß ich Gelegenheit habe, mich zu verteidigen, da tue ich nicht mit. Ich hätte große Lust, das Gras anzuzünden und bei dem Feuerschein nach einem passenden Lagerplatz zu suchen. Der Mond geht erst gegen elf Uhr auf, und jetzt ist es sechs.«

Düwell beteiligte sich an unserm Gespräche nicht. Seine Aufmerksamkeit war auf das vor uns liegende Waldstück gerichtet, aus dem er unbekannte Laute gehört haben wollte. Die Nacht war zu dunkel, um etwas auf die Entfernung hin unterscheiden zu können, und dennoch hatten wir alle, nachdem wir einmal darauf hingewiesen waren, das Gefühl, daß dort eine Gefahr drohe.

Bisher war unsere Unterhaltung laut geführt worden. Jetzt flüsterten wir. »Wir wollen uns bis an den Sumpf zurückziehen,« schlug ich vor. »Dort in den Büschen haben wir Rückendeckung ....«

»Und Krokodile!« unterbrach Liebert. »Dies Viehzeug scheint mich besonders gern zu haben. Da schlage ich eher einen Marsch nach rechts in den Wald vor. Das Gras deckt uns. Was da vor uns auch immer sein mag, im Walde stehen wir ihm ebenbürtig, sogar durch unsere Waffen überlegen, gegenüber.«

Unser Rückzug in der angedeuteten Richtung ging indessen nicht so glatt vonstatten als wir dachten. Nach etwa hundert Meter stießen wir auf eine Hirscheberfamilie, die plötzlich vor unsern Füßen aufschreckte und unter lautem Grunzen auseinanderstieb. Das Männchen schien sich sogar zur Wehr setzen zu wollen. Es schnaubte zornig und wich erst, als Düwell sich aufrichtete.

Bei dem durch die Schweine verursachten Geräusche hielten wir unwillkürlich den Atem an. Gespannt horchten wir nach dem Walde hinüber, in der Erwartung, von dort die Feinde hervorbrechen zu sehen. Es rührte sich aber nichts. Nur das Grunzen der aufgescheuchten Hirscheberfamilie unterbrach die Stille der Nacht. Wir wollten eben beruhigter unsern Marsch fortsetzen, als uns das laute Quieken eines Ferkels wieder an die Stelle bannte. Das Schreien kam aus der Richtung, in der wir die Gefahr vermuteten und es verstummte auch nicht, als die ganze Tierfamilie in rasendem Laufe wieder auf uns zukam. In wenigen Augenblicken sahen wir uns aufs neue von den Schweinen umringt. Die blinde Angst mußte ihnen indessen unsere regungslosen Körper verborgen haben, denn sie umkreisten uns einige Male, bevor sie die Flucht in den Wald fortsetzten.

Das laute Quietschen des jungen Ferkels und das fortgesetzte Grunzen beschwor eine neue Gefahr herauf. Während wir noch in unserer gebückten Stellung verharrten und auf ein Lebenszeichen aus der verdächtigen Waldecke lauschten, raschelte es neben uns im Grase. Ein durchdringender, widerlicher Geruch legte sich wie betäubend auf unsere Nerven, und ehe ich noch eine Warnung aussprechen konnte, öffnete sich leise das Gras und ein paar grünfunkelnde Punkte wurden sichtbar.

»Auf – fort!« rief ich den Gefährten zu. »Krokodile!«

Und während ich den neben mir liegenden Rucksack dem Reptil auf den Kopf warf, packte ich Liebert am Arme und riß ihn hoch. In weiten Sätzen flüchteten wir ohne Rücksicht auf etwaige Verfolger in den Wald.

Dort hinter den ersten Baumstämmen riß ich die Büchse herunter und rief:

»Nun laßt uns die Entscheidung herbeiführen, Kameraden. So oder so. Den Zustand halte ich einfach nicht länger aus.«

Meine Gefährten stimmten mir bei. Nun, wo wir kein Anschleichen aus einem Hinterhalte mehr zu fürchten hatten, war auch Liebert wieder der alte, kühne Soldat. Er legte sein Gepäck ab und lehnte es gegen den Baumstamm. Dann holte er die Brotbüchse hervor und begann in aller Seelenruhe zu essen.

»Wenn ich fertig bin, übernehme ich die Wache und ihr esset. Jetzt achtet nur gut auf jeden anschleichenden Schatten. Ohne langes Fragen feuert – das weitere findet sich dann.«

Liebert reichte auch uns ein Stück des harten Brotes, dessen ausgedörrte Kruste unsere Speichelabsonderung förderte und das Durstgefühl unterdrückte. Gleichzeitig verhinderte die anstrengende Kauarbeit, daß uns die Augen zufielen.

So standen wir abwechselnd in der Horchstellung, bis der aufgehende Mond die Grasfläche in ein silbernes, fast taghelles Licht tauchte. In unserm Rücken blieb der Wald dunkel, und der schwarze Schatten der Randbäume begrub uns förmlich vor fremden Augen. Nun hinderte uns nichts, einige Stunden Schlaf unter dem wachsamen Schutze des Kameraden zu suchen. – Auf seine dringende Bitte überließen wir Liebert die ersten Stunden. Düwell konnte sich nach einer Stunde auch nicht mehr aufrechterhalten. Er sank, ohne es zu wollen, zu Boden und nun fiel mir die Aufgabe zu, die Ruhe der beiden Gefährten zu sichern.

Nun ist es ein eigenes Gefühl, wenn man, von Müdigkeit überwältigt, sich inmitten einer feindlichen Umgebung wach halten muß. Das suchende Auge erlahmt gar bald. Die Lider senken sich unwillkürlich und aufschreckend glaubt man Dinge wahrzunehmen, die sich als ein Phantasiegebilde nur zu bald herausstellen. So ging es auch mir in jener Nacht. Die Büsche am fernen Sumpf nahmen Leben an. Riesengroß wuchsen die Gestalten der Feinde. Sie formierten sich zu Gruppen und bereiteten mit vorgestreckten Speeren einen Angriff vor. –

Ich sprang zurück und bückte mich, um den Kameraden zu wecken. Zum Glück schlief er fest. Als ich den Kopf wieder aufrichtete, war das Bild verändert. Die drohenden Alfuren waren verschwunden und friedlich leuchtete das Strauchwerk aus der Ebene.

Liebert erwachte ohne mein Zutun. Das Unterbewußtsein der Gefahr ließ ihn erwachen, als der Körper seine Kräfte wieder gesammelt hatte. Dann legte ich mich zum Schlafen, bis die ersten Sonnenstrahlen das tierische Leben des Waldes mit all seinem Lärmen weckten.

Ohne weitere Störung war die Nacht vorübergegangen. Meine erste Sorge galt meinem Rucksack, der außer der Kleidung auch Patronen barg. Kriechend erreichte ich die Stelle. Zum Glück hatte das Krokodil den Bissen verschmäht.

Mit dem Gefühle der Verdrossenheit, das sich im Gefolge unruhig verbrachter Nächte einzustellen pflegt, setzten wir unsere Wanderung fort, wir mußten den Fluß wieder erreichen, da wir ohne Wasser in diesem fruchtbaren Walde verloren waren. Das Gelände stieg an. Damit gewann die Sonne Zutritt zu dem üppigen Nährboden und zauberte eine Vegetation hervor, die unter andern Verhältnissen meine ungeteilte Bewunderung hervorgerufen hätte. Hier aber war alles danach angetan, selbst einen Heiligen zum Fluchen zu bringen – und wir waren keine!

Die Baumriesen traten mehr vereinzelt auf. Dafür trugen sie ein Geranke von Schlinggewächsen und dünnen, aber glasharten Palmenschößlingen, die zum Überfluß noch mit harten, spitzen Stacheln versehen waren und sich bei jedem Schritt in die Kleider hingen. Große Nepentes oder Kannenpflanzen mit ihren, wie eine Wasserkanne geformten grünroten Blüten gossen Schwärme von graugrünen Ameisen herab. Dann wieder sperrte der Tepanbaum den Weg, dessen Äste wie Luftwurzeln dem Boden zustreben und in dessen Stamm zahlreiche, bienenartige Insekten hausen, die den Vermessenen, der es wagt, in ihren Bereich zu kommen, unbarmherzig stechen.

Inmitten dieser, von den herrlichsten Blumen und Blüten überschütteten, fast undurchdringlichen Wildnis hausen die Bewohner des Waldes. Affen und wilde Katzen, Vögel in den buntesten Farben, Schmetterlinge in prachtvollem Schmelz, Insekten in jeder Form und Größe. Am meisten litten wir unter den Stichen einer großen Vogelspinne, die ihre wagenradgroßen Netze mitten durch die Schlingpflanzen zog und bei Berührung des Fadens blitzschnell herbeischoß....

Durch ein solches Chaos mußten wir uns stundenlang mit Beil und Messer hindurcharbeiten, bis wir endlich das Rauschen des Flusses unter uns hörten. Dieses Brausen tönte uns wie Äolsharfen in die Ohren – wußten wir doch, daß es dort ein Frühstück gab; daß wir dort den peinigenden Durst zu löschen imstande waren! – Es bedurfte aber auch dieses Antriebes, um uns an der Durchbrechung der gewaltigen Pflanzenmauer nicht verzweifeln zu lassen, die uns, je mehr wir uns dem Flusse näherten, entgegentrat. Aber auch der Boden wurde trügerischer. Oft trat der Fuß auf eine elastische Grasdecke, die sich über vermodertes Laub hinzog und plötzlich unter dem Gewicht des Mannes nachgab. Mit unsäglicher Mühe zogen wir dann den Kameraden wieder auf festen Boden und befreiten ihn von den eklen, vielbeinigen Kriechtieren, die sich mit unheimlicher Geschwindigkeit in seine Kleidung eingenistet hatten. Mich packte bei einem solchen Unfall eine große Vogelspinne und biß sich fest in meinen kleinen Finger ein, so daß wir das Tier zerschneiden mußten, um mich aus den Mandibeln zu befreien. Die so entstandene Wunde heilte nur sehr schwer und unter bedeutenden Schwellungen.

Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht, als wir aus dem Walde heraustraten und neben uns den silbernen Arm eines Wasserfalles erblickten. Jubelnd begrüßten wir das ersehnte Naß. Dann aber bannte uns die wahrhaft großartige Aussicht, die wir hier genossen, an die Stelle.

Tief unten, zu unsern Füßen breitete sich die tiefgrüne, unabsehbare Tominibucht aus, auf der jetzt ein reges Leben herrschte. Unzählige Einbäume drängten von allen Richtungen auf die kleine Bucht zu, die gestern der Schauplatz der grausamen Rache eines unbesiegbaren Eroberers war. Eine grüne Laubwand verdeckte uns das abgebrannte Land, doch ließ sich dieses unschwer erraten, da ein blauer, rauchiger Dunst in leichten Wellenlinien über der Gegend zitterte.

»Das Feuer hat doch eine gewaltige Ausdehnung angenommen,« sagte ich, auf die mehrere Kilometer lange Rauchlinie deutend. »Das war sicherlich nicht nötig, gleich einen ganzen Landstrich zu verwüsten, um ein einziges Dorf zu strafen.«

»Was die Kolonialsoldaten zerstören sollen, das wird gründlich vernichtet,« erwiderte Liebert, »wir häufen mit der Zeit so viel Rachedurst gegen die Eingeborenen in uns auf, daß wir jede Grenze überschreiten, wenn uns einmal Gelegenheit geboten wird, gegen die Eingeborenen vorzugehen. Daß das, vom rein menschlichen Standpunkte betrachtet, grausam und barbarisch ist, das fühlen wir selbst. Immer aber erst, wenn es zu spät ist. – Übrigens wäre es mir ganz recht, wenn wir uns hier oben ein Versteck suchten. Ich habe wahnsinnigen Hunger und bedarf noch einiger Stunden Schlaf. Hier oben haben wir kaum den Vesuch der Alfuren zu fürchten.«

»Eben wollte ich denselben Vorschlag machen,« stimmte Düwell ein. »Ich glaube sogar etwas passendes gefunden zu haben, wenn ich mich nicht täusche, ist dort in dem Bachbett eine Höhlung. Und ein Durianbaum steht daneben, so daß es uns an ›Himbeermarmelade‹ auch nicht fehlt.«

Düwell hatte recht. Die wilden Wasser der Regenzeit schufen im Laufe der Jahrhunderte tiefe Ausbuchtungen in dem felsigen Hang. Jetzt lagen sie trocken und wir hätten uns nichts besseres wünschen können, wenn die Höhlen nicht gar so versteckt gelegen hätten. Zwar bot sich uns eine kleine Auswahl solcher Zufluchtsorte, aber bei allen war irgend etwas auszusetzen, vor allen Dingen brauchten wir freien Ausblick und Rückendeckung.

So stiegen wir suchend in den Felsen aufwärts. Die glühende Sonne warf ihre sengenden Strahlen fast senkrecht auf uns herab und das Gestein begann so warm zu werden, daß wir nur ungern die Zacken benutzten, um die Hindernisse in unserer Kletterei zu überwinden.

Plötzlich rief Liebert, der voran stieg:

»Achtung! Umschau halten! Hier waren vor ganz kurzer Zeit Menschen!«

Betreten blieben wir an den Fleck gebannt.

»Wie? Menschen? Woraus schließen Sie das?« fragte ich.

»Kommen Sie herauf und urteilen Sie selbst. Aber reichen Sie mir erst einmal mein Gewehr. In den Büschen ist es nicht geheuer.«

In zwei Sprüngen standen wir neben dem Gefährten. Er deutete auf einen Haufen Schalen der Durianfrucht und machte uns darauf aufmerksam, daß das weiße Fleisch derselben noch nicht Zeit gefunden hatte, zu welken.

Ich nahm eine Schale in die Hand und fand sie noch frisch. Immerhin mußte nicht gerade ein Mensch die Frucht genossen haben. Ich gab diesem Gedanken Ausdruck.

»Affen fressen die Frucht nicht. Höchstens Zibetkatzen und ob es solche hier gibt, ist fraglich. Demnach kommt nur der Mensch in Frage,« sagte Liebert.

»Die müßten also hier gewesen sein, als wir dort unten aus dem Walde traten,« erwiderte ich. »In dem Falle werden wir nicht lange auf einen Besuch zu warten haben.«

»Was tun wir also?« fragte Düwell.

»Hier bleiben und uns verteidigen!« schlug ich vor. »Dort geht ein Felsband bis an die Schlucht, von der Seite sind wir vor einem Überfall sicher. Jedenfalls kann ihn einer von uns leicht abschlagen, wenn die Wilden von dort herkommen sollten. Im übrigen bleiben wir in der Höhle versteckt und achten genau auf die Umgebung. Sobald sich etwas Verdächtiges zeigt, greifen wir an, oder steigen höher ins Gebirge. Jeder Zacken bietet uns Deckung.«

Liebert stieß einen derben Fluch aus. Er warf sein Bündel in die Ecke und rief: »Ich gehe keinen Schritt weiter. Ich kann einfach nicht mehr. Erst muß ich essen und dann schlafen – schlafen – und wenn es mein letzter Schlaf ist.«

»Aber Liebert, bedenke doch, daß unser Leben auf dem Spiele steht...«

»Ich weiß, Düwell! Wenn du nicht bei mir ausharren willst, dann ziehe weiter. Ich glaube ohnehin nicht an eine Rettung aus dieser Falle.«

»Unsinn, Liebert!« rief ich unwillig. »Natürlich bleiben wir bei Ihnen, wenn Sie wirklich nicht weiter können. Aber verlieren Sie nur nicht den Mut. Ich habe schon in ganz andern Zwickmühlen gesessen. Wir werden uns auch hier aus der Schlinge ziehen.«

Brummend nahm er den Vorwurf hin. Dann versuchte er, den Packen wieder aufzugreifen, aber es gelang ihm nicht. Die immer wachsende Hitze schien den Mann niedergeworfen zu haben. Ich trat daher zu ihm und sagte:

»Legen Sie sich hin, Liebert. Wickeln Sie sich in die Decke und schlafen Sie sich aus. Wir wachen unterdessen. Düwell besorgt uns Durianen und ich koche unsere Konserven – gute Ruhe, Freund!«

Auch unser Nahrungsbedürfnis machte sich immer dringender bemerkbar. Noch hatten wir uns keine Zeit zu einem Frühstück genommen und die wenigen Früchte, die wir im Vorbeigehen von den Zweigen rissen, genügten nur dem Augenblick. Ich überlegte, ob ich ein Feuer anzünden konnte, ohne vom Strande aus bemerkt zu werden. Dürres Holz gab es genug in den Felslöchern.

Düwell, der mit einem Arm voll Durianen zurückkam, hatte keine Bedenken:

»Über dem Walde liegt bereits Rauch. Außerdem brennt die Sonne so grell, daß auch eine Flamme nicht gesehen werden kann. Versuchen wir es!« –

Während die Fleischportionen in den Blechbüchsen langsam warm wurden, nahm ich die Durianen und sammelte ihre Fruchtböden in einem Blechbecher. Diese, meines Wissens nur auf den Sundainseln heimische Frucht, verdient eine nähere Beschreibung. Die Früchte des mit großen roten Blumen blühenden Durianbaumes erreichen die Größe einer Kegelkugel. Ihre dicke, harte Schale ist mit grünen, blattartigen Auswüchsen bedeckt und zeigt fünf gleichgroße Flächen, die sich bei völliger Reife der Frucht öffnen. Das unter der Schale sitzende Fleisch ist von blendendweißer Farbe, aber – es strömt einen wahrhaft entsetzlichen Leichengeruch aus, der den Nichtkenner sofort die Frucht mit Abscheu weit von sich schleudern läßt. Entfernt man jedoch diesen weißen Pulp, dann kommt ein rosaroter, weicher Brei zum Vorschein, in dem vier Kerne eingebettet liegen. Dieser weiche Brei ist von geradezu köstlichem, erfrischenden Geschmack und von einem Aroma, das an die begehrtesten Gewürze erinnert. Unter den Soldaten nennt man ihn daher scherzweise »Himbeermarmelade« oder auch wohl »Rote Grütze mit Vanillensoße«.

Diese Delikatesse würzte den ziemlich abgestandenen Geschmack des Konservenfleisches und sättigte uns völlig. Ein starker, schwarzer Kaffee bildete den Schluß des Mahles.

Stunden vergingen ohne Zwischenfall. Ich hatte einen kurzen Schlummer gewagt und zwang gegen fünf Uhr nachmittags auch Düwell sich niederzulegen. In der Nacht brauchten wir ausgeruhte Körper, wenn, wie ich erwartete, die Alfuren zum Angriff übergehen würden. Ich benutzte die Zeit, um alle unsere Waffen gründlich nachzusehen und die Munition dazu handgerecht bereit zu legen.

Ein Knacken in den Büschen unter uns schreckte mich auf. Vorsichtig schlich ich mich über den Wasserlauf bis zu dem äußeren Zacken, der eine freie Aussicht auf das Gelände zu unsern Füßen bot und lauschte. Als ich den Gewehrlauf auf den Stein schob, löste sich ein wenig Sand aus den Fugen. Mit kaum vernehmbaren Geräusche tröpfelte er in die Tiefe. Dieser leise Ton mußte aber zu den Ohren des – Menschen oder Tieres gedrungen sein, denn die Bewegungen hörten sofort auf. Erst nach geraumer Zeit merkte ich an dem Zittern der Baumkronen, daß die Furcht des Unsichtbaren geschwunden war. Deutlich konnte ich nun den Weg des rätselhaften Wesens verfolgen. Es zog sich langsam, in Spiralen, den Berg hinan, immer die dichtesten Pflanzenwände als Deckung benutzend.

Die Sonne neigte sich rasch ihrem Untergange zu, als etwa hundert Meter von unserer Höhle eine dunkle Gestalt zwischen den Büschen sichtbar wurde. Nur auf Sekunden ließen die Lücken in der grünen Wand den Blick frei. Doch gelang es mir festzustellen, daß sich die Gestalt, bald aufrecht stehend, bald gebückt, aufwärts bewegte.

Ich überlegte noch, ob ich die Gefährten wecken sollte, da hob sich die schwarze Masse plötzlich an einem Baume empor. Sie hing frei in der Luft – ein großer Affe!

»Gibt es hier Orang-Utans?« fuhr es mir durch den Kopf. In diesem Augenblick entdeckte mich das Tier und stieß einen dumpfen Kehllaut aus. Dann schritt es langsam, aufrecht, sich mit den Händen in den Zweigen haltend, von Baum zu Baum bis in unsere Nähe. Mit neugierigen Blicken musterte es den wohl nie gesehenen Menschen, ohne jedoch die geringste Furcht zu zeigen. Die Körpergröße und die langen Arme mochten ihm wohl das Gefühl der eigenen Kraft verleihen. Ich glaube auch kaum, daß ein waffenloser Mann imstande wäre, diesen Affen zu besiegen.