Der Chinese. Wachtmeister Studers dritter Fall (1939)

Inhaltsverzeichnis
Ein Toter auf einem Grab und zwei streitende Herren
Erinnerungen
      Das Gewitter
      Krach
      Die drei Atmosphären
      Angst
      »Finger ab de Röschti!«
      Blinder Passagier
      Die Geschichte von der Barbara
      »Pauperismus«
      Fortsetzung eines Vortrages
      Atmosphäre Nr. 3
      's Trili-Müetti
      In der Bundesstadt
      Zwei Mütter
      Jaßpartie mit einem neuen Partner
      Im Gewächshaus
      Schüler bei Nacht
      Funde in der Heizung
      Notar Münch macht einen nächtlichen Besuch
      Lehrer Wottli will verreisen
      Ein leerer Tag
      Beginn des Endes
      Unterbruch eines Mittagessens…
      … und seine Fortsetzung
      Ein Notar erscheint
      Die Mutter

Ein Toter auf einem Grab und zwei streitende Herren

Inhaltsverzeichnis

Studer stellte das Gas ab, stieg von seinem Motorrad und wunderte sich über die plötzliche Stille, die von allen Seiten auf ihn eindrang. Aus dem Nebel, der filzig und gelb und fett war wie ungewaschene Wolle, tauchten Mauern auf, die roten Ziegel eines Hausdaches leuchteten. Dann stach durch den Dunst ein Sonnenstrahl und traf ein rundes Schild – es glühte auf wie Gold – nein, es war kein Gold, sondern irgendein anderes, viel unedleres Metall – zwei Augen, eine Nase, ein Mund waren auf die Platte gezeichnet; von seinem Rande gingen steife Haarsträhnen aus. Unter diesem Schild baumelte eine Inschrift: ›Wirtschaft zur Sonne‹; ausgetretene Steintreppen führten zu einer Tür, in deren Rahmen ein uraltes Mannli stand, das dem Wachtmeister bekannt vorkam. Doch dieser Alte schien Studer nicht kennen zu wollen, denn er wandte sich ab und verschwand im Innern des Hauses. Ein Luftzug brachte den Nebel wieder in Wallung – Haus, Tür und Wirtschaftsschild verschwanden.

Und wieder durchbrach die Sonne das Grau, ein Mäuerlein rechts von der Straße tauchte auf, Glasperlen glänzten auf Kränzen, goldene Buchstaben auf Grabmälern und Buchsblätter funkelten wie Smaragde.

Aber um ein Grab standen drei Gestalten: ihm zu Häupten ein Landjäger in Uniform, rechts ein elegant gekleideter Glattrasierter, der jung schien, links ein älterer Herr, dessen ungepflegter Bart gelblichweiß war. Bis auf die Straße war das erbitterte Gezänke dieser beiden zu hören.

Studer zuckte die Achseln, rollte sein Rad zu der Treppe mit den ausgetretenen Stufen, schob den Ständer unter das Hinterrad, betrat dann den Friedhof und ging auf das Grab zu, über dem zwei Lebende stritten, während ein Dritter es schweigend bewachte.

Und Wachtmeister Studer von der Berner Kantonspolizei seufzte während des Gehens einige Male sehr bekümmert, weil er dachte, er habe es nicht leicht im Leben…

Heute morgen hatte der Statthalter von Roggwil ins Amtshaus telephoniert: – Auf dem Friedhof des Dorfes Pfründisberg sei die Leiche eines gewissen Farny gefunden worden, der seit neun Monaten in der Wirtschaft ›zur Sonne‹ gewohnt habe. Vom Wirte Brönnimann sei der Tote gefunden und der Landjäger Merz benachrichtigt worden; dieser habe dann gemeldet, die Ursache des Hinschiedes sei ein Herzschuß. »Eine Untersuchung habe ich bis jetzt nicht führen können, doch kommt mir der Fall verdächtig vor. Der Arzt behauptet, es handle sich um einen Selbstmord. Ich bin nicht dieser Meinung! Um Sicherheit zu haben, scheint es mir wichtig, daß ein geschulter Fahnder zugegen ist. Der Friedhof liegt gerade der Wirtschaft gegenüber…«

»Das weiß ich«, hatte Studer unterbrochen, und ein unangenehmes Frösteln war ihm über den Rücken gelaufen. Eine Julinacht war nämlich in seiner Erinnerung auf gestiegen; ein Fremder hatte ihm damals diesen Mord prophezeit…

»Ah, das wissen Sie? Wer spricht eigentlich dort?«

»Wachtmeister Studer. Der Hauptmann ist beschäftigt.«

»Gut, gut! Der Studer! Ausgezeichnet! Kommen Sie sofort! Ich erwarte Sie auf dem Kirchhof…«

Studer seufzte zum vierten Male, hob seine mächtigen Schultern, kratzte seine dünne, spitze Nase und fluchte innerlich. Natürlich würde es diesmal gehen, wie all die anderen Male. Man war kein berühmter Kriminalist, obwohl man immerhin in früheren Zeiten viel studiert hatte. Wegen einer Intrigenaffäre verlor man die Stelle eines Kommissars an der Stadtpolizei, fing an der Kantonspolizei wieder an – und stieg in kurzer Zeit zum Wachtmeister auf. Obwohl man abgebaut worden war, obwohl man Feinde genug hatte, mußte man stets einspringen, wenn es einen komplizierten Fall gab. So auch diesmal. Nach dem Telephongespräch hatte Studer dem Hauptmann Rapport erstattet und den Vorfall jener Julinacht erwähnt… »Geh nur, Studer! Aber komm erst zurück, wenn du etwas Sicheres weißt – wenn der Fall aufgeklärt ist. Verstanden?« – »Mira… Aaadiö!« Studer hatte sein Töff bestiegen, war losgefahren. Die Julinacht vor haargenau vier Monaten! In ihr hatte er jenen Fremden kennengelernt, der den Schweizer Namen Farny trug – und dieser Fremde war nun also tot…

»Sie können dem Himmel danken! Ja! Dem Himmel können Sie danken, Herr Statthalter Ochsenbein, daß ich meine Praxis nun bald aufgebe! Denn sonst müßten Sie mir Red' und Antwort stehen! Lachen Sie nur… Sprengt man für einen offensichtlichen Selbstmord – ähämhäm –, alarmiert man für einen Selbstmord jawohl! die gesamte Kantonspolizei?«

Also sprach der ältere Herr (gelblichweiße Barthaare wucherten um seinen großen Mund); der elegante Glattrasierte hob abwehrend seine Hände, die in braunen Glacéhandschuhen steckten.

»Herr Doktor Buff, mäßigen Sie Ihre Rede! Schließlich bin ich Amtsperson…«

»Amtsperson!… Hahaha!… Da muß ja ein Roß lachen!« Warum sprechen die beiden eigentlich Schriftdeutsch? fragte sich Studer. »Sie halten sich für eine Amtsperson? Eine Amtsperson sieht auf den ersten Blick, daß es sich hier um einen Selbstmord handelt, um einen Selbstmord, Herr Statthalter Ochsenbein!«

»Um einen Mord! Jawohl, um einen Mord, Herr Doktor Buff! Wenn Sie in Ihrem Alter nicht einmal einen Mord von einem Selbstmord unterscheiden können…«

»In meinem Alter! In meinem Alter! Will so ein junges Mondkalb… Ja! Ein Mondkalb, ich beharre auf diesem Wort… mir altem Arzte erklären, wo es sich um einen Mord handelt und wo…«

»In meinen behördlichen Vorschriften steht, daß ich in Zweifelsfällen stets eine kriminalistisch geschulte Autorität…«

Studer hörte nicht mehr zu. Durch seinen Sinn spazierte ein Verslein:

Dinge gehen vor im Mond,
Die das Mondkalb nicht gewohnt,
Tulemond und Mondamin
Liegen heulend auf den Knien…

Aber er rief sich selbst zur Ordnung, denn es schickte sich nicht, vor einer Leiche an lustige Gedichtlein zu denken.

Die Leiche: Das Gesicht war alt, ein weißer Schnurrbart fiel über die Mundwinkel, weich, wie eine jener Seidensträhnen, die Frauen zu feinen Handarbeiten gebrauchen. Die Augen geschlitzt… Es war der Mann, den Studer vor vier Monaten in einer Julinacht kennengelernt und den er vom ersten Augenblick an den ›Chinesen‹ genannt hatte.

Während der alte Landarzt, der in seinem abgetragenen Havelock einen arg verwahrlosten Eindruck machte, mit dem eleganten Statthalter weiter diskutierte, dachte der Wachtmeister zum dritten Male an diesem Morgen an jene Julinacht. Und wenn die Erinnerung an dieses merkwürdige Erlebnis die beiden andern Male noch dunkel gewesen war, so wurde es jetzt klar, farbig, und auch die Worte, die damals gesprochen worden waren, begannen in Studers Ohren zu klingen…

Er fragte – und wie die Stimme eines Friedensengels klang die seine, als sie die schriftdeutsche Diskussion zweier Berner unterbrach: »Wer liegt hier begraben?«

Dr. Buff antwortete:

»Der Hausvater der Armenanstalt hat vor zehn Tagen seine Frau verloren…«

»Der Hausvater Hungerlott?«

Der Arzt nickte. Im Nacken und über den Ohren waren seine Haare allzulang.

»Wie wollen Sie erklären, Herr Doktor Buff«, sagte der Statthalter, »daß ein Selbstmörder sich ins Herz schießt, während die Kugel weder seinen Mantel noch seine Kutte, nicht einmal Hemd und Weste durchlöchert hat?… Ist das ein Selbstmord, Wachtmeister? Sie sehen es ja selbst. Die Kleider sind zugeknöpft. So haben wir die Leiche gefunden. Aber der Herzschuß ist da.«

Studer nickte verträumt.

»Und der Revolver?« krächzte Dr. Buff. »Liegt der Revolver nicht neben der rechten Hand des Toten? Ist das nicht ein Selbstmord?«

Studer sah die große Repetierpistole – und erkannte ihn wieder, diesen Colt. Er nickte, nickte –, und dann schwieg er fünf Minuten, weil die Nacht des 18. Juli wie ein Film durch seinen Sinn flimmerte…

Erinnerungen

Inhaltsverzeichnis

Es war ein Zufall, daß Studer an jenem Abend in Pfründisberg abgestiegen war. In Olten hatte er vergessen zu tanken. Deshalb war er damals in der Wirtschaft ›zur Sonne‹ eingekehrt…

Er trat ein. An der Tür, die ins Nebenzimmer führte, stand ein Eisenofen, der silbern schimmerte, weil er mit Aluminiumfarbe bestrichen war. Vier Männer saßen um einen Tisch und jaßten. Studer schüttelte sich wie ein großer Neufundländer, denn auf seiner Lederjoppe lag viel Staub. Er nahm Platz in einer Ecke… Niemand kümmerte sich um ihn. Nach einer Weile fragte er, ob man hier eine Kanne Benzin haben könne. Einer der Jasser, ein uraltes Mannli in einer Weste mit angesetzten Leinenärmeln, sagte zu seinem Partner:

»Er wott es Chesseli Benzin…«

»Mhm… Er wott es Chesseli Benzin…«

Schweigen… Die Luft hockte dumpf und stickig im Raum, weil die Fenster geschlossen waren; durch die Scheiben sah man das grüngestrichene Holz der Läden. Studer wunderte sich, weil keine Serviertochter erschien, um nach seinen Wünschen zu fragen. Der Partner des Alten meinte:

»Du hescht d'Stöck nid g'schrybe.«

Der Wachtmeister stand auf und erkundigte sich, wo es hier auf die Laube gehe, denn in dem Zimmer war es erstens heiß und zweitens saß an dem Tische, wo gejaßt wurde, ein magerer Spitzbart, den Studer kannte: der Hausvater der Armenanstalt Pfründisberg, Hungerlott mit Namen… Ein unsympathischer Mensch, den man kennengelernt hatte, früher, als man noch Gefreiter an der Kantonspolizei war und Transporte vom Amtshaus nach Pfründisberg machen mußte. Gerade heut abend hatte man gar keine Lust, mit diesem Hungerlott z'brichten…

»Nume de Gang hingere…«, sagte der Uralte und: – der Weg sei nicht zu verfehlen.

Als Studer ins Freie trat, atmete er auf, trotzdem die Luft schwül war. Am Horizont kauerten riesige Wolken, im Zenit hing ein winziger Mond, nicht größer als eine unreife Zitrone, und warf sein spärliches Licht über die Landschaft. Dann verschwand auch er, und in der Nähe war einzig hell erleuchtet das Erdgeschoß eines großen Baues, der etwa vierhundert Meter entfernt von der Wirtschaft sich erhob. Der Wachtmeister lehnte sich an das Geländer der Laube und blickte über das stille Land; dicht vor seinen Augen wuchs ein Ahorn – die Blätter des nächsten Astes waren so deutlich, daß man sie einzeln zählen konnte. Als er sich nach der Lichtquelle umwandte, sah er hinter den Scheiben eines Fensters, das auf die Laube ging, eine Lampe, die einen schreibenden Mann beschien. Keine Vorhänge vor den Scheiben… Der Mann saß an einem Tisch, ein Stapel von fünf Wachstuchheften erhob sich neben seinem rechten Ellbogen – der Mann war damit beschäftigt, ein sechstes Heft vollzuschreiben. Sonderbar… Wie kam ein fremder Gast dazu, in dem Krachen Pfründisberg seine Memoiren zu schreiben…?

Pfründisberg: eine Armenanstalt, eine Gartenbauschule, zwei Bauernhöfe. Das einzige, was dem Weiler Wichtigkeit gab, war die Tatsache, daß das Dorf Gampligen – zwei Kilometer weit entfernt – seine Toten in Pfründisberg begrub…

Dies alles ging Studer durch den Kopf, während er vor dem Fenster stand und dem einsamen Manne zusah, der unermüdlich in sein Wachstuchheft schrieb. Ein weißer Schnurrbart bedeckte seine Mundwinkel, die Backenknochen sprangen vor und die Augen sahen aus wie geschlitzt. Bevor er noch ein Wort mit dem Fremden gesprochen hatte, nannte ihn Studer bei sich: den ›Chinesen‹.

Und wahrscheinlich hätte der Wachtmeister an diesem Abend des 18. Juli gar nicht die Bekanntschaft des Mannes gemacht, wenn ihm nicht ein kleines Mißgeschick passiert wäre. War es der Staub der Landstraße, war es eine beginnende Erkältung? Kurz, Studer mußte niesen.

Die Reaktion des Fremden auf dieses unschuldige Geräusch war merkwürdig: Der Mann sprang auf, so eilig, daß sein Stuhl umfiel, seine rechte Hand fuhr in die Seitentasche der Hausjoppe aus Kamelhaar. In zwei seitlichen Sprüngen war er am Fenster und suchte dort Deckung in der Mauernische. Seine Linke griff nach dem Fensterriegel, riß die Flügel auf… Kurzes Schweigen; dann fragte der Mann: »Wer ist da?«

Studer war hell beleuchtet und seine massige Gestalt warf einen breiten Schatten auf die Laubenbrüstung.

»Ich«, sagte er.

»Antworten Sie nicht so dumm«, schnauzte der Fremde. »ich will wissen, wer Sie sind.«

Der Mann sprach das Deutsche mit englischem Akzent. Englisch? Merkwürdig war nur, daß unter dieser fremdländischen Aussprache etwas Heimatliches hervorlugte, das nicht genau zu bestimmen war. Vielleicht lag es an der Betonung des Wortes »will«, das der Mann wie »wiu« aussprach.

»Kantonspolizei Bern«, sagte Studer gemütlich.

»Legitimation.«

Studer zeigte sie schweren Herzens, denn die Photographie, die auf diesem Ausweis klebte, hatte ihm immer Kummer bereitet. Er fand, er sehe aus auf ihr wie ein Seelöwe, der an Liebesgram leidet.

Der Fremde gab den Ausweis zurück. Die Situation war immer noch unangenehm, denn der Wachtmeister wußte genau, daß der Fremde in der Seitentasche seiner Joppe einen Revolver trug; und es war unangenehm zu denken, daß ein Bauchschuß drohte. Wie eine lästige Mücke hörte der Wachtmeister das Wort »Laparotomie« in seinem Kopfe surren und er atmete auf, als der Fremde endlich seine Rechte aus der Kuttentasche zog.

Nun fragte Studer bescheiden und übertrieben höflich, in sauberstem Hochdeutsch:

»Darf ich mir jetzt erlauben, Ihre Papiere zu verlangen?«

»Surely… sicher…«

Der Fremde trat an den Tisch, zog eine Schublade auf und kam mit einem Paß zurück.

Ein Schweizer Paß!… Ausgestellt für Farny James, heimatberechtigt in Gampligen, Kanton Bern; geboren am 13. März 1878, ausgestellt in Toronto, erneuert 1903 in Schanghai, erneuert in Sydney, erneuert in Tokio, erneuert… erneuert… erneuert… erneuert 1928 in Chicago, U.S.A.,… Grenzübertritt am 18. Februar 1931 in Genf…

»Seit fünf Monaten sind Sie wieder in der Schweiz, Herr Farny?« fragte Studer.

»Surely, fünf Monate. Habe die Heimat wieder sehen wollen…« Da war er wieder, der Laut! Der ›Chinese‹ sagte: ›He-imat‹ mit scharf getrenntem ›e-i‹, während ein Engländer das ›ai‹ sicher übertrieben hätte. »Sie sind… wie sagt man?… ein höherer Polizeibeamter? Ein… wie sagt man… Inspektor, nicht nur ein Policeman?«

»Wachtmeister«, sagte Studer gemütlich.

»Dann werden Sie zugezogen, wenn passiert zum Beispiel ein Mord?« – Studer nickte.

»Es kann nämlich möglich sein, daß ich ermordet werde«, sagte der ›Chinese‹. »Vielleicht heute, vielleicht morgen, vielleicht in einem Monat – und vielleicht geht es auch länger… Sie trinken?«

Das Gewitter

Inhaltsverzeichnis

Stille… Nun kauerten die Wolken nicht mehr am Horizont. Sie waren höher gestiegen und bedeckten den Himmel. Ein Blitz zerschnitt die Nacht, der Schlag, der folgte, war heftig und ging dann über in ein Poltern und Grollen, das sich hinter den Hügeln verlor. Aber offenbar hatte es Kurzschluß in der Leitung gegeben. Die Lampe im Zimmer des ›Chinesen‹ erlosch, doch auch gegen derartige Störungen war Herr Farny gewappnet, denn es vergingen kaum fünf Sekunden, bis der Lichtkegel einer Taschenlampe die Laube bestrich. Und Studer stellte fest, daß der fremde Gast die Lampe mit der linken Hand hielt, während seine Rechte den Kolben eines Miniaturmaschinengewehres umspannte. Noch ein Blitz – und dann, wie Beilschläge auf einen Buchenklotz, fielen die Tropfen auf die Blätter des Ahorns – zu zählen waren sie: fünf, sechs, sieben – wieder Stille – und endlich rauschte der Regen, auf stieg zur Laube der Geruch nassen Staubes und feuchten Holzes; dann dufteten Blumen.

Das Licht flammte auf; der ›Chinese‹ versorgte seine Waffe in der Schublade des Tisches, spülte das Glas, das auf seinem Waschtisch stand und füllte es mit einer gelben, scharfriechenden Flüssigkeit. Auf der Etikette der Flasche hatte sich ein weißes Pferd abgebildet. »Trinken Sie«, sagte der ›Chinese‹. »Guter Whisky! Sie können Vertrauen zu ihm haben.« Studer leerte das Glas zur Hälfte, dann mußte er husten, was den ›Chinesen‹ zum Lachen brachte. »Stark? Nicht wahr? Ungewohnt? Aber doch besser als… wie sagen Sie… Bätziwasser?« Er nahm Studer das halbvolle Glas aus der Hand, trank es aus und meinte dann: »Jetzt, wir haben getrunken Bruderschaft. ›Bruder-Studer‹ klingt ganz gut, nicht wahr? Du wirst mich rächen, wenn ich einem Mörder zum Opfer falle.«

Der Berner Wachtmeister dachte, daß dieser Herr Farny ein wenig lätz gewickelt sei. Der Kinderreim: ›Bruder-Studer‹ ging ihm auf die Nerven. Außerdem war es unmöglich, sich von einem Unbekannten duzen zu lassen. Wie würde er dastehen, er, der Wachtmeister Studer von der kantonalen Fahndungspolizei, wenn sich dieser Farny James als ein Hochstapler entpuppte? Dann mußte er ihn verhaften, natürlich, und der ›Chinese‹ würde nichts Eiligeres zu tun haben, als dem Untersuchungsrichter mitzuteilen, er stünde mit dem Polizisten, der ihn geschnappt habe, auf Du und Du. Als darum der Fremde das Wasserglas von neuem mit Whisky füllte und es dem Wachtmeister zum Trunke anbot, dankte Studer für die Ehre. Der ›Chinese‹ jedoch ließ sich durch diese Widerborstigkeit nicht stören, sondern meinte trocken:

»Du willst nicht trinken? Bruder-Studer? Dann trinke ich allein.« Und er leerte das Glas. »Aber«, fuhr der ›Chinese‹ fort, »ich will dich doch mit all jenen Menschen bekannt machen, die als meine Mörder in Frage kommen.«

Einen Augenblick dachte Studer daran, an die Waldau zu telephonieren, denn dieser Herr Farny litt offenbar an Verfolgungswahn. Dann ließ er das Projekt jedoch fallen und erklärte sich bereit, dem ›Chinesen‹ zu folgen. Dieser nahm nicht den natürlichen Weg durch die Zimmertür, sondern turnte durch das Fenster auf die Laube hinaus, packte den Wachtmeister beim Arm und zog ihn mit sich. Und Studer stellte erstaunt fest, daß sein Begleiter aufgeregt war; sehr deutlich fühlte er, daß die Finger seines Begleiters zitterten; sie trommelten leise auf dem Leder seiner Joppe.

Krach

Inhaltsverzeichnis

Herr James Farny führte den Wachtmeister in einen andern, ziemlich besetzten Raum. Das Zimmer mit dem silbern schimmernden Aluminiumöfeli war wohl der Privatsalon des Wirtes gewesen. In der Gaststube, welche die beiden jetzt betraten, saßen vier Männer, alt, in schmierigen blauen Überkleidern, in der Nähe der Tür um einen Tisch, auf dem eine Zweideziguttere, gefüllt mit einer hellgelben Flüssigkeit, stand. Beim Fenster hockten fünf andere Gestalten, gleich gekleidet, in verschmierte blaue Overalls, und auch vor diesen Männern standen niedere, dickwandige Gläschen…

»Bätziwasser«, sagte Herr Farny verächtlich.

Um einen runden Tisch, in der Mitte des Raumes, saßen fünf junge Burschen in städtischer Kleidung mit unwahrscheinlich bunten Krawatten unter schiefsitzenden Umlegekragen. Einer war unter ihnen, der Studer von Anbeginn an auffiel. Er sah älter aus als seine Genossen. Aus einem magern Gesicht ragte eine spitze Nase, die so lang war, daß sie wie verzeichnet aussah. Die fünf Burschen tranken Bier. Hinter dem Schanktisch hockte die Serviertochter und lismete. Zwei dicke braune Zöpfe lagen um ihren Kopf wie ein merkwürdiger Kranz. Herr Farny steuerte auf den Tisch zu, der neben dem der jungen Burschen stand. Dort trank ein alter Bauer gemütlich ein Zweierli Wein.

»Und, Schranz? Wie geht's?« fragte der ›Chinese‹ den Alten.

»Mhm!« brummte der Alte.

»Was macht Brönnimann?«

»Jasse…« Herr Farny nahm Platz und auch Studer setzte sich. Es war durchaus ungemütlich in dem Raum. Eine Spannung herrschte, deren Ursprung man nicht recht feststellen konnte. Die vier Blaugekleideten an der Tür, die fünf in den schmierigen Überkleidern am Fenster blickten auf die zwei neu Eingetretenen, und ihre Münder waren mit Hohn verschmiert.

Nicht das Gewitter verursachte die Spannung, auch nicht die elegante Kleidung des Herrn Farny. – Deutlich hörte Studer das Wort ›Schroterei‹, aber er wußte nicht, an welchem Tisch es ausgesprochen worden war.

Übrigens, woher hatten die Leute schon erfahren, daß ein Polizist unter ihnen war? Natürlich! Das Polizeischild am Töff. Aber… Warum fürchteten die Armenhäusler die Polizei? Und warum die städtisch gekleideten Jünglinge mit den schiefen Umlegekragen, die sicher der Gartenbauschule angehörten?

»Kognak!« rief Herr Farny. »Huldi, zwei Kognak! Aber vom Guten!« Die Saaltochter kam schüchtern näher. Auffallend war die Farbe ihrer Gesichtshaut. Es sah aus, als sei die Haut mit Schimmel überzogen.

»G'wüß, Herr Farny!« und »Gärn!« sagte die Tochter.

Aber es gelang ihr nicht, die Bestellung auszuführen, denn plötzlich begannen die vier am Tisch bei der Tür nach der Melodie: »Wir wollen keine Schwaben in der Schweiz!« zu gröhlen: »Wir wollen keine Tschucker uff em Bärg, Tschucker uff em Bärg, Tschucker uff em Bärg!« Sie standen auf. Der eine nahm die Zweideziguttere, die anderen bewaffneten sich mit den dickwandigen Schnapsgläslein – und so, von zwei Seiten, rückten sie gegen den Tisch des Wachtmeisters vor und sangen dazu ihr blödes Lied.

Der ›Chinese‹ balancierte auf den Hinterbeinen seines Stuhles und seine roten Lederpantoffeln baumelten auf den Zehen. Ihm schien die ganze Sache großen Spaß zu machen.

»Angst, Inspekteur?« fragte er und streichelte die weiche Seidensträhne, die seinen Mundwinkel verdeckte.

Studer hob seine mächtigen Achseln. Als aber auch die Gartenbauschüler sich am Krach beteiligen wollten, als der Bursche mit der verzeichneten Nase eine Bierflasche packte, um sich den Armenhäuslern anzuschließen, sagte James Farny, befehlend, wie man zu einem Hunde spricht:

»Kusch, Äbi!« Der Bursche setzte sich wieder. Studer hockte auf seinem Stuhl, die Beine gespreizt, die Ellbogen auf den Schenkeln, die Hände gefaltet; sein Rücken war rund. Und in Wirklichkeit hatte er auch nichts zu fürchten, denn plötzlich ging die Tür zum Nebenzimmer auf und die vier Jasser erschienen.

Es war merkwürdig, sie – einen nach dem andern – eingerahmt von der Türe zu sehen: Jeder wirkte wie ein Bild für sich.

Herr Hungerlott erschien zuerst und zögerte, bevor er die Schwelle überschritt; der Bocksbart am Kinn machte sein Gesicht spitz.

»Was ist das für ein Krach! Schon wieder schnapsen! Und ich hab's doch streng verboten!«

Die alten Männer mit den schmierigen Überkleidern drückten sich gegen die Türe – nun stand Herr Hungerlott im Schein der Lampe:

»Ah! Der Herr Wachtmeister!? Wie geht's, wie geht's?«

Studer murmelte etwas Unverständliches.

Eine zweite Gestalt, massig, mit aufgekrempelten Hemdsärmeln über blondbehaarten Armen, stand im Rahmen der Tür und kolderte los:

»Wie oft habe ich schon gesagt, Ihr sollt am Abend nicht in die Wirtschaft kommen? Hä? Könnt Ihr nicht folgen? So, aber jetzt heim! Marsch-marsch!« Das mußte der Direktor der Gartenbauschule sein. Ein dreifaches Kinn sickerte über sein rohseidenes Hemd, auf seinem gewölbten Bäuchlein baumelte eine Kette aus Weißgold und in den Ringfinger der Rechten war der Ehering tief eingegraben.

Die Schüler verschwanden…

Und nun erst erschien der Uralte, gebeugt und keuchend. Er krächzte:

»Was hat es gegeben, Huldi? Hast mich nicht rufen können?« Dann machte ein Hustenanfall seinen Fragen ein Ende. Ihm auf dem Fuße folgte sein Partner beim Jassen, der Bauer Gerber, und so unscheinbar war dieses Männlein, daß niemand ihm Beachtung schenkte.

In dem fast leeren Raume schwebte als einzige Erinnerung an die Armenhäusler der Geruch von Bätziwasser und schlechtem Tabak. Aber auch dieser schwand, als die Serviertochter auf den Befehl des Direktors ein Fenster öffnete: Die vom Gewitterregen gereinigte Luft strömte ins Zimmer…

Und dann geschah ein Wunder. Plötzlich standen auf dem Mitteltisch sechs Gläser aus Kristallglas (Kristallglas in einer kleinen Beize!). Herr Farny schenkte ein und, mit einem Augenzwinkern zum Wachtmeister, stellte er vor:

»Herrn Hungerlott, den Hausvater der Armenanstalt, kennen Sie schon, Herr Inspektor… aber hier, darf ich Ihnen vorstellen: Herr Ernst Sack-Amherd, Direktor der Gartenbauschule Pfründisberg. Weiter: Herr Alfred Schranz, Landwirt; Herr Albert Gerber, Landwirt; die Serviertochter Hulda Nüesch. Und als letzter: unser allverehrter Rudolf Brönnimann, Wirt des Gasthofes ›zur Sonne‹… – Und hier unser Inspektor Jakob Studer… Wir wollen anstoßen!«

Studer erinnerte sich, damals gedacht zu haben, dieser Herr Farny müsse ein ausgezeichnetes Namensgedächtnis haben, denn: er hatte des Wachtmeisters Legitimation nur kurz gesehen und nicht nur an seinen Familiennamen erinnerte er sich, sondern auch an seinen Vornamen. Doch seinen Reim: ›Bruder-Studer‹ hatte er vergessen, denn er duzte seinen Gast nicht mehr…

»Es ist ein Elend«, sprach der Hausvater Hungerlott, »man kann den Leuten das Schnapsen nicht abgewöhnen. Ich möchte Euch bitten, Wachtmeister, das, was Ihr hier gesehen habt, in Bern nicht weiter zu erzählen… Schließlich und endlich, die Leute arbeiten die ganze Woche, am Samstag bekommt jeder ein Fränkli und ein Päckli Tabak. Das muß für die nächstfolgenden acht Tage langen. Was tun die Leute, um ihr Elend zu vergessen?… Kognak ist ihnen zu teuer, darum saufen sie Bätziwasser. Der Pauperismus, Herr Wachtmeister, ist der Aussatz unserer Gesellschaft. Muß ich Ihnen das Wort ›Pauperismus‹ erklären?«

Studer blickte vor sich auf den Tisch. Er hatte einen nichtssagenden Gesichtsausdruck aufgesetzt, der wie eine Maske wirkte. Jetzt hob er die Augen und sein Blick war leer.

»Pauper«, dozierte der Hausvater, »heißt ›arm‹ auf lateinisch. Der Pauperismus beschäftigt sich mit dem Probleme der Armut. Bei uns kommt natürlich noch die ganze Frage des Fürsorgewesens hinzu, die ebenso kompliziert ist wie…«

»Aber du hescht d'Stöck nid gschrybe, im letschte Gang!« unterbrach hier der Landwirt Gerber. Brönnimann begehrte auf: Woll, er habe sie geschrieben, das sei eine verdammte Lüge… Und Studer sagte, daß er schon lange eine Kanne Benzin verlangt habe, ob es nicht möglich sei, sie endlich zu bekommen?

– Exakt! Der Mann habe Benzin verlangt, unterstützte Gerber des Wachtmeisters Reklamation.

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann sagte der Direktor der Gartenbauschule, Herr Sack-Amherd: – Ja, es sei auch nicht immer einfach mit den angehenden Gärtnern… meistens hätten die Burschen schon selbständig gearbeitet und keinen Sinn für Disziplin.

»Was soll ich aber dann sagen?« mischte der Hausvater Hungerlott sich wieder in das Gespräch. »Alles wird mir zugewiesen, was man nicht gut nach Witzwil, nach Thorberg oder nach Hansen schicken kann. Leute sind darunter, die mindestens zehn Jahre Gefängnis auf dem Buckel haben, beschäftigen muß ich sie, aber Sie sollten die Reklamationen hören, Herr Wachtmeister! – Für nüt müßten sie arbeiten; durch ihre Arbeit könnten die großen Herren ein schönes Leben führen – und dabei, ich will ganz offen zu Ihnen sein, gelingt es uns nicht einmal, die Unkosten herauszuwirtschaften. Jährlich muß der Staat zum mindesten – ich sage zum mindesten! – zwanzigtausend Franken draufzahlen, sonst würde es mit unserer Abrechnung bös hapern. Ich komme mir bald vor wie ein Reisender, sogar ein Auto habe ich mir angeschafft und muß nun die Kundschaft abklopfen. Die Konkurrenz der andern staatlichen Anstalten! Das ist das Übel! Die Irrenanstalten, die Strafanstalten, sie alle liefern Heimarbeit – und so kommen wir zu dem blöden Zustand, daß eine Anstalt der andern versucht, die Kunden wegzu…«

»Er hed es Chesseli Benzin welle«, unterbrach der Bauer Gerber. – Er gehe ja schon, er gehe ja schon! keifte der Wirt Brönnimann und humpelte zum Saal hinaus.

Die Zurückbleibenden stießen miteinander an, tranken, schwiegen; dann begann der Direktor der Gartenbauschule, Herr Sack-Amherd, ebenfalls bitter über die Regierung zu klagen: – Früher, ja früher hätten die Bauern revolutioniert, weil man ihnen den Zehnten abverlangt habe. Und heutzutage? Da reklamiere niemand, wenn man zwölf bis vierzehn Prozent Einkommensteuer abladen müsse. Ja: zwölf bis vierzehn Prozent! Das sei nach seiner bescheidenen Ansicht mehr als der Zehnte! Aber wer wage gegen die Übergriffe – die Finanzübergriffe – zu reklamieren? – Niemand! Und warum…?

In der Tür erschien der Wirt Brönnimann. – Er habe no-n-es Chesseli Benzin uftriebe chönne. Der Wachtmeister solle cho luege, aber e chli pressiere…!

Zugleich mit Studer erhob sich Herr Farny. Er wolle den Gast noch hinausbegleiten, sagte er. Allgemeines Verabschieden… Der Händedruck des Hausvaters Hungerlott war reichlich klebrig. Es war, als könne er seine Finger gar nicht mehr von Studers Hand lösen. Herr Sack-Amherd verabschiedete sich merklich kürzer und die beiden Bauern, Gerber und Schranz, ließen nur ein undeutliches Murmeln hören. Dann stand Studer unten an den ausgetretenen Stufen. Der Wirt Brönnimann verschwand in einem Schopf, um, wie er sagte, dort Benzin zu holen – und neben dem Wachtmeister blieb allein der ›Chinese‹ zurück.

»Sie haben sie nun alle gesehen, Inspektor«, sagte Herr Farny. »Fast alle. Denn soviel ich heute erfahren habe, ist noch ein Bursche im Haus, den ich Ihnen nicht habe vorstellen können. Er fürchtet sich vor der Polizei, verstehen Sie? Aber sonst… Wie gesagt: Es waren fast alle anwesend.«

Herr Farny schwieg einen Augenblick, dann hob er mit einem Ruck den Kopf und blickte dem Wachtmeister in die Augen. Die Lampe, die über der Eingangstüre zur Wirtschaft hing – und über ihr baumelte und glänzte das Schild, das mit feinen strähnigen Strahlen die Sonne darstellen sollte –, beschien die Gesichter der beiden von oben und warf schwarze Flächen auf sie. Der ›Chinese‹ legte seine leichte Greisenhand auf die mächtige Schulter des Wachtmeisters und sagte:

»Sie werden mich also rächen.«

Schweigen…! Der Blick des Fremden senkte sich nicht.

»Rächen!« wiederholte Herr Farny. »Sie werden meinen, Inspektor, das sei kindisch. Vielleicht, Sie haben recht! Aber ich will nicht, daß er hat den Triumph.«

»Er?« wiederholte der Wachtmeister fragend. »Welcher er?«

Da lächelte der Fremde und es war ein sehr unbernisches Lächeln. – Ein uneuropäisches fast. »Wer? Wenn ich ihn kennen würde! Ich weiß es nicht. Sie werden es herausfinden müssen… Aber ich vertraue Ihnen. Ich kenne mich aus in Menschen. Ich kann taxieren ohne zu sehen Ihre Schrift, ohne zu wissen Ihr Geburtsdatum. Sie, Inspektor, sind wie ein Schwerölmotor.

Es braucht lange, bis Sie eine hohe Tourenzahl erreicht haben, aber dann laufen Sie, dann nehmen Sie jedes Hindernis wie ein Traktor, wie ein Tank… Ich weiß schon, Sie haben gedacht heut abend, der Farny ist verrückt, er leidet an Verfolgungswahn. Und Sie werden sehen, daß der Farny recht behalten wird. Morgen? Übermorgen? In einem Monat? In zweien? In dreien? Einmal wird er recht haben und dann werden Sie Arbeit bekommen… Gute Nacht, Inspektor, schlafen Sie wohl. Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt nach Hause.«

Kein Handdruck, kein Geräusch… Farny James, der ›Chinese‹, war lautlos verschwunden – die Stufen hinauf? Um die Ecke des Hauses?

Vom Schopf her aber kam hustend und keuchend und spuckend der Wirt Brönnimann und trug eine Fünfliterkanne Benzin. Studer füllte den Behälter auf, zahlte seine Schuld, trat auf den Anlasser und fuhr in die stille Nacht hinein. Einige Gebäude des Weilers Pfründisberg waren noch erleuchtet – er ließ ihre Lichter hinter sich. Die Sommernacht war frisch.

Dies alles war am 18. Juli geschehen.

Und heute schrieb man den 18. November.

Drei Monate hatte der ›Chinese‹ als Höchstfrist für seine Ermordung angegeben. Er hatte einen Monat zu wenig berechnet, denn vier Monate waren seit dem 18. Juli vergangen.

Die drei Atmosphären

Inhaltsverzeichnis

Studers Schweigen vor der Leiche des ›Chinesen‹ – wie er den Fremden stets noch bei sich nannte – war wohl so kurz gewesen, daß es seinen Begleitern nicht aufgefallen war. Das Wiedererleben jener Julinacht hatte vielleicht einige Sekunden gedauert. Der Ablauf der Begebenheiten, die sich in ihr abgespielt hatten, war schnell und für Außenstehende unbemerkt vor sich gegangen. Aber der Wachtmeister wollte weder dem alten Dorfarzte von Gampligen, dem die grauen Haare über Ohren und Sammetkragen wucherten, noch dem eleganten Statthalter, dessen auf Taille geschnittener Überzieher sicher sehr wirkungsvoll war, aber wenig Wärme gab, nichts von jener Julinacht erzählen. Darum stellte er scheinbar naiv folgende Frage:

»Wie heißt der Tote und wo hat er gewohnt?« Der Statthalter räusperte sich.

»Ein Fremder«, sagte er, »obwohl er in Gampligen heimatberechtigt war. Als Dreizehnjähriger ist er durchgebrannt und ließ sich als Schiffsjunge anheuern. Später unternahm er alles mögliche – aber soviel ich in Erfahrung bringen konnte, hat er sich besonders in China herumgetrieben. Ich glaube, er besaß sogar das Kapitänspatent. Ursprünglich hieß er mit dem Vornamen Jakob…« Dies gab Studer einen kleinen Ruck. »…Aber er hat das Jakob anglisieren lassen und sich James genannt. Er wohnte in einem Zimmer beim Sonnenwirt und niemand wußte, warum er sich dort niedergelassen hatte. Zog ihn die Heimat, das Dorf Gampligen, an? Suchte er nach Verwandten? Die Beantwortung all dieser Fragen wird der Ermordete wohl mit ins Grab nehmen.«

»Und was habe ich Euch gesagt, Wachtmeister? Wird unser Statthalter nicht ein ausgezeichneter Nationalrat werden? Reden kann er, reden! Und was die Hauptsache ist, er lauscht mit Genuß seinem eigenen Geschwätz!«

»Herr Doktor Buff, ich möchte Sie doch sehr bitten…«

»Bitten Sie nur, bitten Sie nur!«

»Ich weigere mich, auf weitere Insinuationen einzugehen; ich habe meine Pflicht getan und eine kriminalistisch geschulte Person zugezogen… der Rest geht mich nichts an!«

»Sie waschen Ihre Hände in Unschuld, Herr Statthalter Ochsenbein! Natürlich, Pilatus war ja auch ein Statthalter…«

»Aber, meine Herren!… Aber, meine Herren!« Studer segnete nach beiden Seiten mit seinen in Wollhandschuhen steckenden Händen. »Wenn ich mir erlauben dürfte, eine Merkwürdigkeit dieses Falles aufzuzeigen…«

»Zeigen Sie nur auf, hihi! Zeigen Sie nur auf!« krächzte Doktor Buff.

»… dann wäre es« – Studer ließ sich nicht aus der Ruhe bringen – »die folgende Tatsache: Dieser Fall scheint in drei Atmosphären zu spielen: in einem Dorfwirtshaus, in einer Armenanstalt, in einer Gartenbauschule. Am stärksten scheint die Armenanstalt in diesen Fall hinein verwickelt zu sein… Warum finden wir die Leiche des Ermordeten auf dem Grabe der verstorbenen Frau des Hausvaters Hungerlott?«

»Äbe!… Das verstärkt noch meine Theorie des Selbstmordes«, sagte Doktor Buff weise und kratzte sich die Stirne. »Die Liebe! Sie wissen, Herr Wachtmeister, welche Verheerungen die Liebe imstande ist anzurichten – in den Menschenherzen. Die Frau des Hausvaters war eine schöne Dame… Vielleicht – ich sage vielleicht! – hatte sich der Fremde in sie verliebt… Vielleicht konnte er ihren Tod nicht überstehen und beging Selbstmord…« Das Gesicht des Arztes sah aus wie ein Knäuel von Runzeln.

»Da hört Ihr es selbst, Herr Wachtmeister! Seit einer Stunde gebe ich mir Mühe, diesen Arzt hier zu überzeugen, daß wir es mit einem Mord zu tun haben und was ist seine neueste Entdeckung? – Selbstmord aus Liebesgram!«

Studer hörte dem Gezänk der beiden nicht weiter zu. Er hatte sich über die Leiche gebeugt und begann den Inhalt der Taschen zu prüfen. Aber während er dies tat, konnte er nicht verhindern, daß er mit dem Toten ein stummes Gespräch hielt: »Du bist mir auf die Nerven gegangen, weil du das Reimlein erfunden hast: ›Bruder-Studer‹. Verzeih… Ich hab' dich damals nicht ernst genommen, hab' gedacht, du spielest Komödie oder krankest am Größenwahn. Warum hast du mir nicht alles gesagt? Warum hast du mich nicht gebeten, bei dir zu bleiben? Vielleicht hätt' ich dich schützen können. – Ich will gerne zugeben, ich habe gemeint, du habest zu viel Abenteuerromane gelesen. Ich glaubte, irgendeine ›Späte Rache‹ spuke in deinem Kopfe. Und jetzt hat dich doch einer erschossen. Denn was dieser Doktor erzählt, ist einewäg Chabis. Der geschniegelte Statthalter ist im Recht – genau so im Recht wie du…«

Die Taschen waren leer und daher wandte sich der Wachtmeister an die anwesende Amtsperson, die graue Gamaschen trug.

»Haben Sie die Taschen durchsucht?«

»Nein! Ich habe nur die Wunde gesehen.«

»Ich auch«, krächzte Doktor Buff. »Aber etwas anderes habe ich noch feststellen können: Aus der Waffe, die neben der Rechten des Toten liegt, ist ein Schuß abgefeuert worden.«

Studer reckte sich auf und fragte: »Woher wissen Sie das, Herr Doktor?«

»Sie brauchen nur an der Mündung des Laufes zu schmöcken, Wachtmeister.«

Studer dachte bei sich: »Lieber verlange ich von Bern ein Sanitätsauto und laß die Leiche ins Gerichtsmedizinische bringen, als daß du mir die Sektion machst!« Laut sagte er:

»Ich werde Euch auf dem laufenden halten, Herr Statthalter. Aadiö wou, Herr Doktor!« Er führte zwei Finger zur Krempe seines Hutes und verließ den Friedhof. Als er sich am Tore umwandte, sah er die beiden wieder heftig miteinander streiten, während der uniformierte Landjäger wie eine Statue reglos zu Häupten des Grabes stand. Die drei verbargen die Leiche des ›Chinesen‹, die auf dem frischen Grabe lag.

Der Nebel war dünner geworden, Sonnenlicht durchsetzte ihn, so daß er wie rohe Seide glänzte…

Angst

Inhaltsverzeichnis

Diesmal betrat Studer das richtige Zimmer; er ging an der Türe vorbei, die in den Privatraum des Wirtes führte und sah das mit Aluminiumfarbe bestrichene Öfeli nur in der Erinnerung; dann stand er inmitten der Gaststube. Da hörte er ein Glas zu Boden fallen und zersplittern. Hinter dem Schanktisch bückte sich die Serviertochter Hulda Nüesch, ihre braunen Zöpfe lagen als Kranz um den Kopf und es kam Studer vor, als sei die Haut ihres Gesichtes noch bleicher als in jener fernen Julinacht.

»Was hescht, Huldi?« Keine Antwort.

– Sie solle ihm einen Dreier Roten und eine Portion Hamme bringen.

»Ja… Herr… Herr… Wachtmeister!« Furchtsam drückte sich das Mädchen zur Tür hinaus.

In der Stube roch es nach erkaltetem Stumpenrauch, nach schalem Bier. Umständlich zündete Studer eine Brissago an, zog sein Notizbüchlein aus der Tasche und netzte die Spitze seines Bleistiftes:

»Farny James Jakob«, schrieb er, »geboren am 13. März 1878, heimatberechtigt in Gampligen.«

Einmal nur hatte er diese Daten gesehen, ganz flüchtig, und doch erinnerte er sich ihrer, als ob er die Seite des Passes, auf der sie standen, photographiert in seinem Kopfe trüge. Weiter schrieb er in seiner winzigen Schrift:

»Verwandte des Farny?
Brüder? Schwestern? Nichten?
Warum lag die Leiche auf dem Grab der verstorbenen Frau Hungerlott?
Muß im Pyjama erschossen worden sein! Suchen nach Pyjama!
Telephonieren ans Gerichtsmedizinische…«

Er sah sich im Raume um; hinter dem Schanktisch stand ein Buffet, dessen oberer Teil mit Flaschen gefüllt war. Auf einer Ecke der Marmorplatte stand ein Telephon. Studer drängte sich an der Saaltochter vorbei, die Gläser putzte, stellte die Nummer des Gerichtsmedizinischen Institutes ein und verlangte Dr. Malapelle zu sprechen. Halb in italienischer Sprache, halb in deutscher gab er seine Wünsche kund. Die Leiche eines Erschossenen solle so bald als möglich abgeholt werden, eine Sektion sei notwendig, morgen hoffe er nach Bern zu kommen und die Resultate zu vernehmen. Auf Wiedersehen…

Die Brissago war natürlich ausgegangen. Während er sie von neuem in Brand setzte, blickte Studer durchs Fenster. Ein Hochplateau fiel fünfhundert Meter weiter steil ab, auf der anderen Seite des Tales sah man verschwommen durch den Nebel das herbstlich bunte Laub eines Waldes leuchten, welches abgegrenzt wurde vom dunklen Grün einiger Tannen.

»Hier… hier… Herr Wachtmeister!«

»Märci!«

Studer schenkte sein Glas voll – es war rosaroter Landwein – das Mädchen beeilte sich zu verschwinden und der Uralte betrat das Zimmer.

»Ah!… Der Herr Wachtmeister!… Schmeckt der Z'Immis?«

»Mhm.« Studer kaute und beobachtete unter gesenkten Lidern den Wirt Brönnimann. »Ihr habt«,fuhr er fort,»den Toten gefunden?«

»Ich?… Ja… Zufällig!«

»Was seid Ihr suchen gegangen auf dem Friedhof am Morgen? He? Es war doch noch dunkel, oder?«

Er habe e chlys… er habe e paar Schritt ta vors Huus… Wenn man alt werde, sei frische Luft bsunderbar g'sund…

»Und da habt Ihr Euern Gast gesehen? Tot?«

»Ganz tot. Ja, Wachtmeister. Aber agrührt han igen nid!«

»Wer redt denn vo Arühre! Aber hocked doch ab. Ihr stafflet i dr Stube umenand, wie…«

»Äksküseh! Pardon! Wenn's erlaubt ist!« Und dann rief der Uralte: »Huldi! Bring no-n-es Glas!«

Er ließ dem Mädchen keine Ruhe. Nachdem es das Glas gebracht hatte, mußte es springen und einen halben Liter bringen. Der Wirt stieß mit dem Wachtmeister an, wünschte »G'sundheit!« und sein ganzes Gehaben wirkte unecht. Nie kam es vor, daß Brönnimann dem Wachtmeister in die Augen sah – die Blicke des Uralten waren immer zu Boden gesenkt, der Wirt litt an schwerem Atem, er keuchte und knorzte und seine Rede war unterbrochen von Hustenanfällen.

»Ja, Wachtmeister, wenn Ihr auf mich lose würdet! Aber ein alter Mann wie ich – was hat der schon zu sagen! – khäkhäkhä–. Ja. Er war ein lieber Gast, der Farny, immer ruhig, immer still – lautlos wie-n-es Müüsli… Ja! Khäkhäkhä… Und trotzdem ist er ermordet worden.« Husten. Dann:

– Wenn er nur reden könnte! meinte der Wirt, aber man sage ja immer: Vorsicht sei die Mutter der Weisheit… »Khäkhäkhä…« Noble Leute kämen oft zu ihm, der Hausvater der Armenanstalt, der Direktor der Gartenbauschule, Großräte, Regierungsräte… Nämlich, wenn sie die Anstalten besuchen kämen. »Khäkhäkhä!« Und mit noblen Leuten sei nicht gut Kirschen essen…

»Kennt Ihr Verwandte des Toten?« fragte Studer. Er hatte ein Stück Hammen auf die Gabel gespießt und betrachtete es kritisch.

»Verwandte? Ja, von Verwandten könnt ich Euch mänges verzelle! Aber wisset, Wachtmeister, da muß man vorsichtig sein, me cha sich wüescht d'Zunge verbrönne… Wenn ich Euch verzelle würd, was alles gseit worde-n-isch bym Tod vo der Anna…«

»Der Anna Hungerlott? Der Frau vom Hausvater? Wie hat sie geheißen mit dem Mädchennamen?«

»Eh Äbi…«

»Äbi?« Studer steckte den aufgespießten Schinken in den Mund, kaute und dachte nach. Äbi? Den Namen hatte er schon einmal gehört. Wann nur? Die Julinacht fiel ihm wieder ein und dann zwei Worte des nun toten Farny James. »Kusch, Äbi!« hatte der ›Chinese‹ zu einem der Gartenbauschüler gesagt.

»War die Anna mit einem Pfründisberger verwandt?«

Brönnimann nickte, nickte. – Ihr Bruder habe einen Jahreskurs in der Schule absolutiert. Studer lächelte: Jaja, die Fremdwörter! Aber schließlich blieb es sich gleich: Absolviert oder absolutiert – der Unterschied war nicht groß, wichtig war nur, daß man sich verstand.

»Loset Brönnimann, habt ihr letzte Nacht nichts gehört?«

Schweigen. Dann ein kleiner Schrei – der Laut kam vom Schanktisch her. Nun drehte sich der Uralte um und schnauzte die Serviertochter an:

»Geh an deine Arbeit, Meitschi!« Dann wandte er sich wieder seinem Gaste zu und seine Augen waren blau, wie die Flamme eines Spritbrenners.

»Ja, Wachtmeister«, fuhr er fort. »Es ist ein Elend heutzutage mit den Diensten!«

»Ich hab Euch gefragt, ob Ihr keinen Schuß gehört habt…«

»Einen Schuß?« wiederholte der Alte. – Es syg ihm so gsy, so um die halbi drü… Da häb es en Chlapf gä, aber dann sei ein Töff unter dem Fenster vorbeigefahren und es könne gut möglich sein, daß der Chlapf von dem Töff gekommen sei… Eine Explosion vom Motor oder so öppis…

Hinter dem Schanktisch sagte eine Stimme:

»Und es isch doch e Schuß gsy, Brönnimaa!«

– Das Meitschi solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern, begehrte der Alte auf – aber Studer netzte die Spitze seines Bleistifts und machte eine neue Eintragung in sein Notizbüchlein…

»Um halb drei also?« fragte der Wachtmeister. »Wer war gestern abend bei Euch?«

»Oh… Khäkhäkhä… Der Hausvater Hungerlott, der Direktor Sack-Amherd, der Gerber… Wir haben gejaßt… Und dann zwei oder drei Schüler…« Der Alte schwieg.

»Sonst niemand?« wollte Studer wissen. Wieder kam die Antwort hinter dem Schanktisch hervor:

– Es seien noch zwei gewesen; und: warum der Wirt die Namen dieser beiden nicht nennen wolle?

– Das Meitschi solle schwyge! Es sei nicht gut, wenn man zuviel rede. Studer aber beschloß, das Mädchen bei der nächsten Gelegenheiten auszuholen. Vorläufig beschränkte er sich auf die Frage:

»Säg Brönnimaa… Warum hescht du Angscht?«

Ein Hustenanfall war die Antwort. Und dann stotterte der Wirt:

»Ig? Wachtmeister, ig Angscht?«

»Ja, du!« sagte Studer trocken und deutete mit seinem Zeigefinger auf die hohle Brust des Alten. Wie verschieden doch die Menschen waren! Die einen mußte man ihren, die anderen siezen – und schließlich gab es solche, die erst auspackten, wenn man sie duzte…

– Er habe doch keine Angst, protestierte der Wirt. Das wäre ja lächerlich. Angst haben!… Und dann stand der Uralte auf, trippelte zur Tür, riß sie auf und schmetterte sie von draußen zu…

Der Gebrauch des familiären Du hatte seine Wirkung verfehlt. Studer stand auf.

»Komm, Huldi!« sagte er. »Zeig mir das Zimmer des Toten.«

»Aber gället, Wachtmeister, ihr verhaftet ihn nicht?«

Aha! Es war also jemand im Haus, der kein gutes Gewissen hatte… Nicht der Wirt – die Saaltochter hätte ihn sicher gern einsperren lassen – nein, ein anderer… Wer? Etwa derjenige, von dem der ›Chinese‹ an jenem Juliabend gesprochen hatte? »Denn soviel ich heute erfahren habe, ist noch ein Bursche im Haus, den ich Ihnen nicht habe vorstellen können…« Merkwürdig, wie gut man sich noch an den Satz erinnerte… Studer tat, als habe er das Mädchen mißverstanden:

»Neinei, Meitschi! Tote verhaft' ich nicht!«

»Eh, Ihr wissed scho, Wachtmeister, wen ich meine…«

»Ich? Ich weiß gar nüd!…«

Huldi Nüesch, die ihre braunen Zöpfe wie Kränze um den Kopf trug, ging voran. Studer folgte. Es ging durch einen Gang, der mit roten Fliesen belegt war – weißer Sand war darüber gestreut. – Die Serviertochter öffnete eine Türe links; dann traten beide ins Zimmer des toten ›Chinesen‹.

»Finger ab de Röschti!«

Inhaltsverzeichnis

Der Wachtmeister müsse entschuldigen, sagte Huldi –. Bei all dem Gestürm sei sie nicht dazugekommen, das Zimmer zu machen.

Studer pflanzte sich mitten im Raume auf, vergrub die Hände in den Taschen seines Überziehers, blickte um sich und meinte, er sei froh, daß nichts angerührt worden sei…

Das Bett sah aus, als habe ein Kampf auf ihm stattgefunden. Die Leintücher, die Wolldecke lagen auf dem Boden. Die Flügel des Fensters waren geschlossen. Ein Koffer, der mit den Etiketten vieler Hotels aus allen Ländern der Erde beklebt war, stand in der Mitte des Zimmers; aber er war leer.

Auch auf der Tischplatte lag nichts; Studer suchte im Schaft, im Nachttisch, unter der Matratze. – Die Wachstuchhefte, an die er sich gut erinnerte, waren verschwunden.

Warum hatte man diese Hefte gestohlen? Was enthielten sie Wichtiges?

»Huldi«, fragte der Wachtmeister sanft, »du erinnerst dich doch an die Hefte, in die der Farny geschrieben hat? Hast du einmal in einem gelesen und weißt du, was drinnen gestanden ist?«