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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

Zeit, die Wurzeln zu lösen

Zeit, hinauszugehen

Phantomzeit

Zeit, sich zu erinnern

Zeit, zu gehen

Die erfüllte Zeit

Der Zeitenthobene

Zur Unzeit

»Ich habe mir eine Auszeit gegönnt.«

Reise in die Vorzeit

Die Zeiten ändern sich. Gut so.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2571

 

Die zeitlose Welt

 

Ein Kristallingenieur stößt in die Vergangenheit vor – auf den Spuren seines vergessenen Ichs

 

Wim Vandemaan

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1463 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das entspricht dem Jahr 5050 christlicher Zeitrechnung. Eigentlich herrscht seit über hundert Jahren Frieden.

Doch seit die Terraner auf die sogenannten Polyport-Höfe gestoßen sind, Zeugnisse einer längst vergangenen Zeit, tobt der Konflikt mit der Frequenz-Monarchie: Sie beansprucht die Macht über jeden Polyport-Hof und greift mit Raumschiffen aus Formenergie oder über die Transportkamine der Polyport-Höfe an.

Die Terraner und ihre Verbündeten wehren sich erbittert – der Kampf findet in der Milchstraße und in Andromeda statt. Man entdeckt die Achillesferse der Vatrox, der Herren der Frequenz-Monarchie: Sie verfügen mittels ihrer Hibernationswelten über die Möglichkeit der »Wiedergeburt«. Als die Terraner ihnen diese Welten nehmen und die freien Bewusstseine dieses Volkes einfangen, beenden sie die Herrschaft der Frequenz-Monarchie. Allerdings sind damit nicht alle Gefahren beseitigt: Noch immer gibt es Vatrox und mindestens zwei rivalisierende Geisteswesen, die mit dieser fremden Zivilisation zusammenhängen.

Perry Rhodan begibt sich in der fernen Galaxis Anthuresta auf die Suche nach Verbündeten im Kampf gegen die Frequenz-Monarchie, nicht zuletzt, weil sich dort einerseits die letzten Hibernationswelten befinden und andererseits das Stardust-System, in dem ein Teil der Menschheit lebt. Ein Verbündeter Perry Rhodans ist der Esnur Clun'stal, ein sogenannter Kristallingenieur der legendären Anthurianer. Doch Clun'stal ist ein Wesen ohne bewusste Vergangenheit. Um dies zu ändern, betritt er DIE ZEITLOSE WELT …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Clun'stal – Ein Kristallingenieur auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

Ghos'fajer – Ein Esnur bereist ein fernes Land.

Udkigom – Ein Mentor begegnet einer Legende.

Fogudare und Tanfacher – Zwei Wissenschaftler erleben das Ergebnis ihres Experiments.

Aghinjan und Munsguj – Die Nishai stellen sich der Zukunft.

Prolog

Auf dem Weg nach ESHDIM-3

 

»Woran denkst du?«, fragte die Frau.

»An dich«, sagte Perry Rhodan. »Unter anderem.«

»Oh«, sagte die Frau. »Warum auch nicht.«

Sie musterte ihn neugierig. »Was denkst du über mich? Oder ist diese Frage zu indiskret?«

Sie hatte das eine Bein über den Oberschenkel des anderen gelegt, der Fuß wippte frei in der Luft. Die Hände hielt sie hinter dem Knie verschränkt.

Die Haltung gab ihr etwas von einem Teenager. Dabei war die Frau kein Teenager – sie war wesentlich jünger.

Eigentlich existiert sie erst seit vier Monaten, überlegte Rhodan.

Andererseits war sie älter als jeder Teenager, schätzungsweise 80.000 Jahre alt – und dafür noch sehr rüstig. Er musste bei diesem Gedanken lachen.

»Du lachst über mich?«

»Ich frage mich, wie alt du wirklich bist. Oder ist diese Frage zu indiskret?«

»Indiskret ist sie nicht«, sagte die Frau. »Ich weiß nur nicht, aus welcher Perspektive ich sie dir beantworten soll. Alterung ist etwas, das für biologische Wesen eine ganz andere Bedeutung hat als für mich.« Sie lächelte ihm verblüffend charmant zu. »Schließlich lebe ich nicht.«

»Nein?«, fragte Rhodan.

»Verpasse ich damit etwas? Oder ist diese Frage zu indiskret?«

Rhodan legte die Stirn in Falten. »Ob du etwas verpasst? Das will ich hoffen. Aber ich betrachte diese Frage natürlich aus der Perspektive eines Lebewesens.«

Mikru war kein Lebewesen. Sie war ein Avatar, eine holografische Darstellung von MIKRU-JON, dem Museumsraumer der Halbspur-Changeure. Freilich verfügte das Schiff über ein Eigenbewusstsein – also auch sein Avatar.

Galt Bewusstsein seiner selbst zu haben nicht als ein Kennzeichen höheren Lebens?

»Leben«, sagte er gedehnt. »Das ist ein weiter Begriff.«

»Ein manchmal zweifelhafter Begriff«, sagte Mikru.

Rhodan nickte. »Ich frage mich, welche Art von Leben Clun'stal lebt.«

»Ein kristallines Leben«, schlug Mikru vor und lächelte. »Schließlich ist er ein Kristallingenieur.«

»Was immer das heißt«, sagte Rhodan. Er überlegte, wo sich der Esnur zu diesem Zeitpunkt aufhalten mochte. Clun'stal war mit dem Essa Nur Chal'tin von Bord des Ja'woor-Schiffes aufgebrochen, um etwas über sein vergessenes Leben zu erfahren.

Aufgebrochen, nachdem er Rhodan um Erlaubnis gebeten hatte – als wäre der Esnur ihm gegenüber dienstpflichtig.

»Ein merkwürdiges Geschöpf«, murmelte Perry Rhodan.

»Wen meinst du?«, fragte Mikru. »Mich?«

»Ausnahmsweise denke ich mal nicht an dich«, erwiderte Rhodan.

»Also immer noch an Clun'stal«, erriet Mikru.

Rhodan nickte. »Den Kristallmenschen.«

»Erscheint er dir menschlich?«, fragte Mikru neugierig.

»Manchmal«, sagte Rhodan. »Selten. Meist ganz exotisch. Völlig unbegreiflich.«

Mikru blickte ihn versonnen an. »Meinst du nicht, dass du auf ihn einen ebenso exotischen, unbegreiflichen Eindruck machst? Manchmal?«

»Immerhin bestehe ich nicht aus Kristallen«, verteidigte er sich.

»Nein«, gab Mikru zu. Sie löste ihre Hände vom Knie und stellte das Bein auf den Boden. Sie beugte sich vor und sagte: »Du bestehst aus viel exotischeren Stoffen.«

Rhodan seufzte. »Wie auch immer: Ich hoffe jedenfalls, dass Clun'stal findet, was er sucht.«

»Er sucht sich selbst«, erinnerte ihn Mikru.

»Umso wichtiger«, sagte Rhodan. Er überlegte, wohin Chal'tin den Esnur gebracht haben mochte. Vielleicht auf eine Welt der Essa Nur. Wie mochte eine solche Welt aussehen?

Vor seinem inneren Auge entstand das Bild einer Metropole aus wolkenhohen gläsernen Türmen, die in allen Farben des Spektrums schillerten. Auf den weiten offenen Plätzen rätselhafte, kristalline Skulpturen. Überall Kristallmenschen: Esnur und Essa Nur, in schwarze Gewänder gekleidet oder in helle glitzernde Roben wie aus Tautropfen gewoben.

Kristallwesen, die miteinander redeten, gestikulierten, vielleicht sogar lachten.

Und die Clun'stal aufnahmen in ihre Mitte: den lange Verschollenen, der sich selbst vergessen hatte. Den Ahnen, wie ihn Chal'tin genannt hatte.

»Du träumst?«, fragte Mikru. »Oder ist diese Frage zu indiskret?«

Rhodan lächelte den Avatar an. »Ja, ich träume. Und wenn du es genau wissen willst: Ich träume von Clun'stal. Von der Welt, auf der er sich zusammen mit Chal'tin aufhalten mag.«

»Deine Träume müssen keine Ähnlichkeit mit seinen Träumen haben«, mahnte Mikru. »Und euer beider Träume keine Ähnlichkeit mit der Realität.«

»Wovon träumst denn du?«, fragte Rhodan. »Oder ist diese Frage viel zu indiskret?«

»Sie ist es«, sagte Mikru und lächelte rätselhaft.

Meine Träume müssen keine Ähnlichkeit mit Clun'stals Träumen haben, wiederholte Rhodan in Gedanken.

Er hätte einiges darum gegeben, in diesem Augenblick Clun'stals Realität zu sehen.

Clun'stal, dachte er. Wo bist du gerade? Endlich am Ziel deiner Träume?

Zeit, die Wurzeln zu lösen

 

Es war Zeit, eines ihrer Beine zu heben und die Wurzeln zu lösen. Der Boden gab nichts mehr her, weder Wasser noch Festspeise. Aghinjan zog das Wurzelgeflecht ihres Tastfußes ein. Etliche Parasiten, die die starke Kohlendioxid-Konzentration in der freien Atmosphäre nicht vertrugen, trennten ihre Mitesserrüssel aus dem Geflecht und ließen sich zu Boden fallen. Sie hatten Aghinjan lange genug geprickelt. Die Parasiten wollten sich so schnell wie möglich zurückbohren in die Irdene Feste.

Das Trillerkraut tönte auf und warf seine Dauschleier aus. Aghinjan sah, dass es die meisten Parasiten bis zur Irdenen Feste schafften, wie sie dort unten zu rotieren begannen und sich mit den harten Spitzen ihres Leibsaums in den Boden bohrten.

Dennoch machte das Trillerkraut hinreichend Beute. Aghinjan hörte es zufrieden plirren, nachdem es die abgefangenen Parasiten in seinem Schleier gewogen hatte.

Es gab nicht nur im Kraal Plowiw einige Uralte und Fastverholzte, die dem Trillerkraut eine gewisse Intelligenz zuschrieben, sogar eine niedere Art von Humor, eine Melange aus Schadenfreude und Sättigungsglück. Aghinjan hoffte, dass sie, wenn sie selbst in die Phase der Verholzung trat, nicht ähnlich verwirrt sein würde.

Wenn das Trillerkraut so klug war, warum begann es dann nicht eines Tages mit der Herstellung von Werkzeugen oder damit, einen Kraal zu bauen?

Or hatte sich eben über den Horizont geschoben, die blauweiße Lohenschütte von Raqia. Aus irgendeinem Grund mochte Aghinjan den Frühtag, wenn Or noch nicht in vollem Kreis sichtbar war und sie wie alle Nishai das Kraftauge, den Zenit ihres Leibes, weiterhin geschlossen hielt.

Aghinjan setzte den Tastfuß voran und zog dann die beiden Stützbeine nach. Sie schritt zwischen zwei Muldenmoosfeldern einher. In den vom Weg abgelegenen Arealen der Felder lagen einige augengroße Wasserballen, die das Moos in Eishäute gewickelt und so konserviert hatten. Die Wasserballen waren für Aghinjan unerreichbar; das Moos hätte sie bereits nach ein, zwei Schritten fixiert und begonnen, sie zu besiedeln.

Aghinjan tat Schritt um Schritt. Das Tastbein kostete mitunter von dem Boden, aber sie bewegte sich noch auf abgeernteten Gefilden. Die Irdene Feste würde Jahre brauchen, sich wieder mit Nährstoffen anzureichern, wie die Nishai sie verwerten konnten.

Aus großer Ferne erklangen die dumpfen Schallwellen einer Signalfanfare. Aghinjan entnahm der Botschaft, dass eine Händlerschaft aus dem Kraal Bonwin dem verwaisten Konnexpunkt Thav Theu zwei nahezu neue Geschwindkapseln gespendet hatte.

Sehr großmütig, dachte Aghinjan. Bonwin betrieb auf diese Weise seit Jahren Propaganda in eigener Sache. Die Botschaft war auch für die schlichtesten Gemüter leicht zu enträtseln: Macht Bonwin zum Kraal der Anordnungen, und Wohlstand wird über euch kommen wie Federpilz!

Die Botschaft war simpel genug, dass selbst das Trillerkraut sie verstanden hätte.

Dennoch, diese Nachricht war eine Fügung. Aghinjan überlegte nicht lange, ob sie sich zum Konnexpunkt begeben und eine der Geschwindkapseln in Anspruch nehmen sollte. Sie war zwei-, dreimal in einer Geschwindkapsel gereist und hatte nicht den Eindruck, dass das rasende Tempo, zu dem die Kapsel bei stetem Wind fähig war, ihren Geist tatsächlich zerrüttet hatte, wie die verwirrten Fastverholzten es unermüdlich prophezeiten.

Man wurde höchstens ein wenig schwipsig. Wie sollte es auch anders sein, wenn es in solcher Rasanz kopfüber, kopfunter ging.

Aber anders, als die Mahnungen der Fastverholzten Glauben machen wollten, hatte sich Aghinjan jedes Mal rasch von den Turbulenzen erholt und jedenfalls keinen bleibenden Schaden in ihrem Gemüt erlitten.

Warum also nicht? Mit einer Geschwindkapsel käme sie am Abend des nächsten Tages, vielleicht sogar früher, in die Nähe der Splitterberge. Und sie würde noch am nächsten Tag zunächst ihren Tastfuß, dann ihre beiden Stützbeine auf die Kristallweite setzen.

So in die Nähe des Möglichen gerückt, kamen ihr plötzlich Zweifel, ob sie das wirklich wollte.

Aber sollte sie mit leeren Augen in den Kraal zurückkehren? »Eine gute Erkunderin bist du«, würden sie sie schmähen, und zwar nicht nur die Uralten und Fastverholzten. »Da ist ja das Trillerkraut heroischer als du.«

Nichts gegen eine gute Schmähung – aber mit Trillerkaut verglichen zu werden, lag ihr nicht.

Or stand im Zenit. Sie spürte, wie ihr Kraftauge sich förmlich ohne ihr Zutun öffnete. Manchmal hasste sie es, wenn dieser Teil ihres Körpers sich wie ein autonomer Kraal benahm.

Dann ergoss sich Ors Licht mit einer so überwältigenden Wärme und Nahrhaftigkeit in ihr Auge, dass sie sich erfüllt und angenommen fühlte von der Natur aller Dinge.

Bald glitt Or aus dem Zenit, und Aghinjan fühlte sich satt und ermutigt, geradezu übermütig: Ja, sie würde anderntags zum Konnexpunkt gehen und eine der Geschwindkapseln nehmen. Und dann würde sie in Richtung Kristallweiten eilen – kopfüber, kopfunter – und ihre Theorien überprüfen.

Sie wollte sich nicht rühmen, aber: Wer, wenn nicht sie, sollte den Beweis erbringen? Mochten die Uralten und Fastverholzten spotten und vor hämischem Vergnügen plirren wie Trillerkraut: Die Kristallweiten lebten.

Und sie waren – daran hatte Aghinjan keinen Zweifel – nicht von dieser Welt.

 

*

 

Anderntags. Der Weg erwies sich als länger denn erhofft. Als Aghinjan den Konnexpunkt erreicht hatte, fuhr Or bereits nieder. Sie war nicht die Einzige vor Ort. Neben den beiden Geschwindkapseln standen zwei andere Nishai, steckten mit den Wurzeln tief in der Irdenen Feste und pufften ein wenig Stoffwechselgas in die Luft. Aghinjan entnahm dessen Aromen, dass der Boden satt von allerlei Nährstoffen war und alles bestens und leicht verwertbar.

Und wahrscheinlich bis zur Sättigung voll von Parasiten.

Aghinjan und die anderen Nishai wünschten einander Licht und Sättigung. Eine der beiden trug eine Vignette des Kraals Bonwin, die andere – Aghinjan fokussierte ungläubig zwei Augen aus dem Kranz – vom Kraal Nuusnu. Nuusnu lag so hoch im Norden von Sevora, dass man von dort den Polkontinent Zawan sehen können sollte.

Vielleicht bloßes Gewäsch der Uralten und Fastverholzten.

Die beiden stellten sich als die Bonwinin Trappodjin und die Nuusnuin Munsguj vor.

Munsguj – der Name hätte nicht unpassender sein können. Denn was sollte lieblich sein an ihr? Der Augenkranz wässrig, fast trüb, das Kraftauge lädiert und vernarbt. Sie musste unter erheblichen Speiseschwierigkeiten leiden. Und was im Licht von Or war mit ihrem Tastbein geschehen? Es wirkte dürr und versteift, fast schon hölzern. Munsguj trug einen Wickelkoffer bei sich, in dem es, wenn sie sich bewegte, leise klirrte.

Ein wenig Geplauder.

Munsguj unterbrach Trappodjin, die irgendetwas über atmosphärische Störungen plapperte, und bot Aghinjan ein paar männliche Samensporen an.

»Samensporen von wo?«, entfuhr es Aghinjan.

»Von Nuusnu natürlich«, sagte Munsguj mit imponierender Chuzpe. Die Sporen vom Norden des Äquatorialkontinents bis in die Nähe des Kraals Plowiw zu transportieren war eine durchaus Hochachtung gebietende logistische Leistung.

»Sie sind noch fruchtbar?«, konnte Aghinjan sich nicht enthalten zu fragen.

»Und ob sie das sind«, versetzte die Nuusnuin.

Die Vorstellung, Samensporen aus dem tiefsten Norden zu erhalten, löste in Aghinjan durchaus einen inneren Lichtschauer aus.

»Was willst du dafür haben?« Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme vor Aufregung hart klang.

Munsguj plirrte leichthin. »Ich habe sagen hören, dass du auf dem Weg zu der Phantomweite bist. Zum hiesigen Blendwerk.«

»Wer sagt so etwas?«, fragte Aghinjan, schieres Erstaunen.

»Diese und jener«, murmelte Munsguj.

»Ich glaube nicht an Phantome«, wich Aghinjan aus.

»Aber du bist auf dem Weg zu ihnen«, mischte sich Trappodjin ein.

»Ja«, gab Aghinjan endlich zu. »Ich bin auf dem Weg zur Kristallweite. Ich will sie erforschen.«

Jetzt war es an Trappodjin zu plirren. »Forschen! Wie kann man etwas, das nicht existiert, erforschen?!«

»Was sollte ich sonst dort wollen?«, fragte Aghinjan zurück.

Trappodjin schwieg verblüfft und von dieser Logik sichtlich überfordert.

Munsguj löste ihren Tastfuß aus der Irdenen Feste; Aghinjan sah, wie sie ihr Wurzelgeflecht einzog. »Du nimmst mich mit und erhältst dafür die Samensporen«, bot sie an.

Die Fußlösung war nicht mehr als eine Geste. Or hatte längst seinen Tauchgang begonnen; zur Hälfte hatte er sich in die Quelltiefe begeben, um neues Licht zu schöpfen.

Jedenfalls insoweit man derartige Geschichten glaubte, glaubwürdig vielleicht für Trillerkraut und einige Uralte und Fastverholzte.

Aghinjan glaubte all das nicht. Wie den anderen Forschern von Plowiw war Aghinjan licht und klar, dass Or lediglich eine Lohenschütte unter vielen war. Was in der Nacht vom Himmel flackerte, konnte nichts anderes sein als weitere Lohenschütten, Hunderte, wenn nicht Tausende.

Trappodjin erklärte, am nächsten Morgen mit einer der Geschwindkapseln aufbrechen und sich wieder der Händlerschaft anschließen zu wollen.

»Womit der Konnexpunkt Thav Theu erneut verwaisen würde«, merkte Aghinjan an. Wie gut wäre es, wenn man die Mobilitätskapazitäten der Nishai erhöhen könnte, ohne auf den Fund geeigneter Geschwindkapseln angewiesen zu sein.

Mochten die Uralten und Fastverholzten solche Beschleunigung des Lebens auch noch sosehr als Unfug geißeln.

»Ihr wollt wirklich zur Phantomweite reisen?«, fragte Trappodjin. Sie plirrte. »Ich werde diesen Stuss in Bonwin zu rühmen wissen.«

»Dank dir«, sagte Aghinjan trocken, ertastete mit dem vorderen Fuß eine nahrhafte Stelle und versenkte ihr Wurzelgeflecht in die Irdene Feste.

Or war fort. Die Nacht kam. Aghinjan beobachtete, wie das Funkeln am Himmel begann, dann sank ihr Bewusstsein auf eine stumme Selbstgegenwart.

 

*

 

In der ersten Frühe des Tages bereiteten sie die Geschwindkapsel vor. Die innere Hülse war ledrig, die Stacheln steif und in alle Richtungen gereckt.

Aghinjan steckte zusammen mit Munsguj die Segeltücher auf die Stacheln und klebte sie mit angezuckertem Speichel fest.

Trappodjin stand still und saugte aus der Irdenen Feste; sie tat eine Weile, als bemerke sie die Aktivitäten der anderen beiden Nishai nicht.

Endlich trat sie doch an Aghinjan und Munsguj heran: »Meine Geschwindkapsel ist reisebereit. Ihr wollt wirklich zu den Phantomen?«

»Die sich, wie du gestern so schön belegt hast, einer stabilen Nichtexistenz erfreuen«, sagte Aghinjan.

»Wer weiß?« Trappodjin sah die anderen beiden lange an. »Das Firmament speise und lasse euch gedeihen«, sprach sie die alte Formel, von der Aghinjan nicht gedacht hätte, dass sie in irgendeinem anderen Kraal in Gebrauch wäre. Aber da die Reise zur Kristallweite vielleicht wirklich etwas Besonderes war, erwiderte Aghinjan nach antikem Ritual: »Sie verleihe deinem Wurzelgeflecht Halt.«

Trappodjin rollte los.

Nachdem Or sich vom Horizont gelöst und vollgerundet hatte und Raqia im blauesten aller Lichte lag, bestieg Aghinjan mit Munsguj das Hülsenrund der Geschwindkapsel. Sie verstauten den Wickelkoffer zwischen sich und verschlossen die Hülse hinter sich.

Bald ergriff eine Brise die Kapsel und trieb sie voran, auf die Splitterberge zu.

Kopfüber, kopfunter.

Als Or auf halbem Weg zum Zenit war, warfen sie den Anker. Die Geschwindkapsel rollte aus und hielt an. Aghinjan ließ Munsguj den Vortritt.

»Ich hätte nicht gedacht, dass es so groß ist«, hörte Aghinjan sie sagen.

»Gibt es keine Kristallweiten bei den nördlichen Kraals?«, fragte Aghinjan, so leise, als wollte sie die Ehrfurcht gebietende Stille des Ortes nicht stören.

»Doch. Es gibt sie überall«, sagte Munsguj. »Sogar auf Vegen und Zawan.«

»Auf den Polkontinenten?« Aghinjan wollte plirren, aber es gelang ihr nicht. »Woher willst du das wissen?«

»Nehmen wir an: Weil ich da war.« Wie zum Beweis klopfte sie an ihr verdorrtes Tastbein.

»So«, sagte Aghinjan. »Habt ihr Kristalle aus der Weite mitgenommen und im Kraal untersucht?«