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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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6.

7.

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2576

 

Tor nach Terra

 

Das Feuerauge bedroht das Solsystem – und Atlan sucht Hilfe auf Talanis

 

Rainer Castor

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1463 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das entspricht dem Jahr 5050 christlicher Zeitrechnung. Nach über hundert Jahren Frieden ist der Krieg nach Terra zurückgekehrt:

Ausgangspunkt sind die sogenannten Polyport-Höfe, Zeugnisse einer längst vergangenen Zeit, mit denen sich gigantische Entfernungen überbrücken lassen. An ihnen entzündete sich der Konflikt mit der Frequenz-Monarchie, die aus einem jahrtausendelangen Ruheschlaf erwachte und die Herrschaft über mehrere Galaxien beansprucht.

Die Terraner und ihre Verbündeten wehren sich erbittert – und sie entdecken die Achillesferse der Vatrox, die als Herren der Frequenz-Monarchie gelten: Sie rauben den Vatrox ihre Hibernationswelten – und damit die Möglichkeit der »Wiedergeburt« –, ebenso fangen sie die freien Bewusstseine dieses Volkes ein. Allerdings sind damit nicht alle Gefahren beseitigt: Noch immer gibt es Vatrox und mindestens zwei rivalisierende Geisteswesen, die mit dieser fremden Zivilisation zusammenhängen.

Perry Rhodan begibt sich in der fernen Galaxis Anthuresta auf die Suche nach Verbündeten im Kampf gegen die Frequenz-Monarchie. Reginald Bull hält sich im Solsystem auf, das von einem »Feuerauge« bedroht wird. Und der unsterbliche Arkonide Atlan durchschreitet das TOR NACH TERRA …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide sieht sich mit der Vergangenheit konfrontiert.

Gucky – Der Mausbiber beobachtet ein Feuerauge.

Homunk – Der Bote von ES warnt vor dem Untergang.

Reginald Bull – Bully kämpft um die Zukunft des Solsystems.

Rico – Der Roboter empfängt einen Gast.

1.

 

»Geschwindigkeit weiterhin konstant«, meldete Ordonnanzleutnant Lech Hallon in die gespannte Stille von Bullys Büro in der Solaren Residenz. »Keine weitere Beschleunigung mehr seit … rund fünf Minuten.«

Im Hologlobus war das lodernde Gebilde in Großaufnahme zu sehen.

Feuerauge … eine verharmlosende Bezeichnung für eine tödliche Gefahr.

Nicht nur für mich eine gestaltgewordene Bedrohung. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Gucky deutlich schneller an seinem eisgekühlten Möhrensaft nippte.

Die im Holo eingeblendete Datum-Uhr-Leiste zeigte 26. April 1463 NGZ – 21.58 Uhr TS.

Noch vor wenigen Stunden waren der Ilt und ich in Andromeda gewesen, beschäftigt mit der Auswertung der eben erst abgeschlossenen Kämpfe gegen die Frequenz-Monarchie. Unter dem Strich ein in vielerlei Hinsicht sehr teuer erkaufter Sieg.

Unsere Verbündete und wir haben viele Tote zu beklagen, dachte ich. Perry wurde mit zwei Dritteln der JULES VERNE durch das Transferportal des Handelssterns FATICO nach Unbekannt versetzt und ist nach wie vor spurlos verschwunden.

Im Gegenzug wurde die Frequenz-Monarchie zumindest in Andromeda vernichtend geschlagen, belehrte mich der Logiksektor kalt. Ihre sechs Hibernationswelten sind für sie verloren, nach neuesten Meldungen wurde das Vamu von fast 1,4 Milliarden Vatrox in dem Krathvira gefangen, ebenso das Kollektivwesen VATROX-CUUR …

… welches uns aber als teuflischen letzten Gruß das Feuerauge auf den Hals gehetzt haben dürfte!

Dazu sagte meine innere Stimme nichts.

Um 17.55 Uhr Terrania-Standardzeit hatte die automatische Außenmessstation OORT-149 am Systemrand, 49 Milliarden Kilometer von Sol entfernt stationiert, Alarm gegeben.

Zu dem unvermittelt in einigen Millionen Kilometern Distanz angemessenen energetischen Phänomen lagen im Solsystem genügend Vergleichsdaten vor, die in der von ihren Bewohnern Hathorjan genannten benachbarten Sterneninsel gesammelt worden waren.

Sofort nach der Materialisation hatte das Feuerauge mit geringen 27 Kilometern pro Sekundenquadrat Richtung Sol beschleunigt; entsprechend war der Wert der digitalen Geschwindigkeitsangabe gestiegen. Nun stand sie seit einer Weile konstant bei 236.836 Kilometern pro Sekunde.

In weiteren Holos war der Kristallschirm ebenso wie der eingeblendete Kurs zu sehen – er wies exakt auf die Sonne. Die Distanz zum Kristallschirm betrug noch fast 33 Milliarden Kilometer.

Die blauweiß-kristallin funkelnde Erscheinung umgab das Solsystem komplett als abgeplattete Sphäre. Ihr Durchmesser auf der Ebene der Ekliptik betrug etwas mehr als 30 Milliarden Kilometer oder fast 28 Lichtstunden.

Strukturlücken gestatteten bis auf Weiteres die Aufrechterhaltung des Transits nach Aurora – wo das Galaktikum seinen Sitz hatte – und Arkon II, einer der drei Hauptwelten des Kristallimperiums. Neben dieser Situationstransmitter-Verbindung gab es den normalen Ein- und Ausflug von Raumschiffen sowie Hyperfunkverbindungen.

Laut Bully war vorgesehen, die Strukturlücken bei akuter Gefährdung durch das Feuerauge zu schließen, um einen möglichst umfassenden Schutz durch den Kristallschirm zu erreichen.

Abermals erklang Hallons Stimme. »Keine Anzeichen für eine bevorstehende Transition oder vergleichbare Versetzung.«

Dutzende Überwachungsraumer und diverse Sonden lieferten permanent aktualisierte Informationen. Neben der rein optischen Darstellung im Hologlobus gab es weitere Bildflächen und Holos auf der Basis der einlaufenden Ortungs- und Tastungsdaten.

Die kaum gebändigte Psi-Materie – immerhin ein Kilogramm oder mehr! – erinnerte rein äußerlich in der Tat an ein feuriges Auge.

Das Wogen und Flammen dominierte einen kugelförmigen Bereich von knapp tausend Kilometern Durchmesser. Außen waberte es hell; Blauweiß war durchsetzt von hellgelben und orangefarbenen Fasern. Zum Zentrum dunkelte es über Ocker und Rot etwas ab, sodass der Eindruck einer Iris mit winziger Pupille entstand.

Laut den Messwerten hatte der eigentliche, hyperphysikalisch hoch aktive Kern des Feuerauges gerade einmal die Größe eines Fußballs.

Beim Anflug hatte die JULES VERNE selbstverständlich ebenfalls mit allen ihren Möglichkeiten von Ortung und Tastung die Daten erfasst. Schon die Schnellauswertung hatte gezeigt, dass es neben den aus Andromeda bekannten Parametern einige Unterschiede gab.

Vor rund eineinhalb Stunden war das Schiff außerhalb des Solsystems materialisiert, hatte Verbindung aufgenommen und gegen 21 Uhr den Standardorbit von Terra erreicht, von wo aus Gucky mit mir direkt in die Solare Residenz teleportiert war.

Vorausgegangen war ein Gewaltflug: Nach der Information über die Materialisation des Feuerauges im Trafitron-Modus mit höchstem Überlichtfaktor von 450 Millionen vom Handelsstern FATICO zum Multika-Duo. Es folgte die Versetzung zum Holoin-Fünfeck, Außenandockung der ATLANTIS, Versetzung zum Kharag-Sonnendodekaeder im Kugelsternhaufen Omega Centauri und danach der Weiterflug zum Solsystem. Dabei hatten wir für die Strecke über 16.856 Lichtjahre die Triebwerke mit höchstem Trafitron-Überlichtfaktor ausgereizt.

Auf meinen Befehl wird ZEUT-80 ebenfalls vom Holoin- zum Kharag-Sonnentransmitter versetzt, dachte ich. Die anschließende Reise durch den von Kharag-Stahlwelt errichteten Halbraumtunnel zum Solsystem wird noch eine Weile beanspruchen.

Im Bedarfsfall sollte auf die Situationstransmitter der lemurischen Stoßimpuls-Generator-Plattform zurückgegriffen werden können. Welche Optionen uns tatsächlich zur Verfügung standen, blieb abzuwarten.

 

*

 

Bully seufzte. »Keine Entwarnung. Aber es sieht zumindest so aus, als hätten wir eine Galgenfrist.«

Ich nickte, während der Logiksektor raunte: Sollte sich an der Bewegung nichts ändern, dürfte das Feuerauge am 28. April 1463 NGZ gegen 12.30 Uhr Terrania-Standardzeit mit dem Kristallschirm kollidieren.

Der Abwehreffekt des Kristallschirms beruhte auf dem sogenannten pararealen Resonanz-Austausch. Hierbei wurden sämtliche eindringenden Einflüsse energetischer und festmaterieller Natur in eine Pararealität umgeleitet und verschwanden unwiederbringlich aus dem Standarduniversum.

Ob das auch für das Feuerauge gilt, weiß derzeit niemand zu sagen.

Unsere Hoffnung war, dass der Kristallschirm wie gewohnt funktionierte und somit die Gefahr beseitigte – oder bei einer außerhalb dieser Barriere stattfindenden Detonation der Psi-Materie der freigesetzten immensen Energiemenge dennoch standhielt.

Selbst wenn der Kristallschirm das Feuerauge an sich abhält, raunte der Extrasinn, bedeutet das noch keine Rettung. Bei einer Hypereruption der Psi-Materie würden deutlich mehr als zehn hoch vierzig Joule freigesetzt. Ob das der Kristallschirm aushält?

Das ist die entscheidende Frage!, dachte ich.

Vergleichswerte standen uns nur bedingt zur Verfügung, obwohl der Kristallschirm vor mehr als einem Jahrhundert sogar den ständigen Attacken durch die Belagerungsflotte der Terminalen Kolonne TRAITOR widerstanden hatte – 536 Chaos-Geschwader mit der ungeheuren Zahl von 259.424 Traitanks, von denen jeder einzelne die Kampfkraft mehrerer galaktischer Einheiten aufwies. Damals hatten die Globisten und der Nukleus der Monochrom-Mutanten sowie die später von ihm hinterlassene BATTERIE den Schirm stabilisiert. Und diesmal?

Zu einer Energiefreisetzung, wie sie mit dem Feuerauge verbunden werden musste, war es bei den Angriffen der Terminalen Kolonne allerdings nie gekommen. Die Truppen der Chaosmächte hatten den Kristallschirm durchdringen, nicht aber das ganze Solsystem vernichten wollen.

Erst in der Schlussphase, mit dem Einsatz des unfertigen Chaotenders VULTAPHER, wurde es damals bedrohlich.

Perry gelang es aber im Endkampf gegen die negative Superintelligenz KOLTOROC, Einfluss auf die String-Legaten zu nehmen und VULTAPHER Befehle zu übermitteln. Daraufhin stellte der Chaotender abrupt seinen Angriff ein und drehte mit seiner Eskorte ab.

Niemand weiß zu sagen, ob der Kristallschirm auch dieser Attacke standgehalten hätte …

 

*

 

Leutnant Hallon hob die Hand. »Verbindung zur JV-1, Uturan Kook.«

Ich wechselte einen Blick mit Bully und sagte: »Durchstellen.«

Ein weiteres Holo entstand.

Es zeigte eine von einem Minifluggerät getragene kleine Gestalt. Sie verkündete erschreckend laut: »Ich habe die beim Einflug gesammelten Daten des Feuerauges eingehend analysiert.« Der Siganese stockte und regulierte den Stimmverstärker. »Entschuldigt.«

Professor Uturan Kook, der nur 11,02 Zentimeter große und 326 Jahre alte Chefwissenschaftler der JULES VERNE, war ein Meister der guten Umgangsformen, immer höflich, immer zurückhaltend. Nur mit dem Stimmverstärker hatte er mitunter seine Probleme.

Der Siganese trug die schwarzen Haare kurz; der dunkelgrüne Teint zeigte erste Alterspigmente. Kook fingerte an seinem Armbandgerät; fast augenblicklich wechselten einige Holos zu positronisch aufbereiteten Ortungsergebnissen des Feuerauges.

»Leg los!«

Er räusperte sich. »Von dem Objekt gehen beträchtliche Emissionen im ultra- wie auch superhochfrequenten Bereich des hyperenergetischen Spektrums aus, die deutlich über den optisch sichtbaren Tausendkilometerbereich hinausreichen. Momentan ist ein Gebiet von bis zu zwei Millionen Kilometern Durchmesser betroffen, aber das ist nur eine Momentaufnahme. Es kann schnell ein Vielfaches davon werden!«

Ein Diagramm in logarithmischer Darstellung erschien.

»Normalerweise verbinden wir mit Psi-Materie den Spektralabschnitt ab rund neun mal zehn hoch dreizehn Kalup einschließlich der damit verbundenen Dakkar- oder Sextadim-Komponenten. Nach oben hin sind selten Bereiche von mehr als vier mal zehn hoch fünfzehn Kalup betroffen …«

Psi-Materie hat diesen Namen erhalten, weil sie im Zusammenhang mit den Parakräften von Mutanten zuerst beobachtet wurde, sagte der Extrasinn.

Diese »Substanz« als pseudomaterielle Erscheinungsform von psionischer Energie war noch mehr als normale Materie eine scheinbare: Sie wirkte auf unsere Sinne zwar ebenfalls fest, flüssig oder gasförmig, hatte ihre Ursache jedoch ganz im Übergeordneten. Mit ihr verbunden war Hyperstrahlung im UHF-Bereich bei etwa einem Petakalup in einer Bandbreite von 936 Megakalup, die den natürlichen Parakräften zugeordnet wurde.

»In unserem Fall«, dozierte Kook, »haben wir es allerdings mit Emissionen zu tun, die ihr Maximum im Bereich zwischen etwa fünf und sieben mal zehn hoch siebzehn Kalup haben und damit im SHF-Band liegen! Nahezu sekündlich gibt es überdies Eruptionen, die dafür sprechen, dass diese Psi-Materie … hm, mal eben so gebändigt ist.«

Sein hageres Gesicht sah ernst aus.

Hyperphysikalisch betrachtet, wisperte der Extrasinn, bildet das Äquivalent von Hyperbarie des unteren Bereichs des hyperenergetischen Spektrums bis etwa sieben mal zehn hoch dreizehn Kalup die Grundlage von konventioneller Masse und Energie.

Im Normalfall war der übergeordnete »freie« Anteil in Form von direkt nutzbarer Hyperenergie gering oder nahezu null, der zugrunde liegende Hyperbarie-Anteil »raumzeitlich-materiell auskristallisiert«. Neben diesen als normal betrachteten Erscheinungsformen von Materie gab es solche, die über einen größeren freien Anteil von Hyperenergie verfügten – beispielsweise bei Hyperkristallen.

Allgemeiner ausgedrückt wird deshalb bei Abweichungen von konventioneller Materie von Hypermaterie gesprochen.

Eine Extremform davon wiederum war das, was ziemlich vereinfachend als Psi-Materie umschrieben wurde, obwohl es bei dieser ebenfalls eine ganze Reihe von Unterschieden gab – sei es aufgrund der Art der Erzeugung, ihres Grads der Stabilität oder wegen ihrer Erscheinungsform.

Letztere reichte von der bei der Second-Genesis-Krise durch die Parakräfte von Mutanten geschaffene Psi-Materie über den Paratau der Nocturnen und den Tymcal genannten Para-Staub bis hin zu der technisch stabilisierten Psi-Materie bei den Trafitron-Wandlern der JULES VERNE.

Auch hinsichtlich der Stabilität gibt es beträchtliche Unterschiede, dachte ich.

Im Fall von ARCHETIM war beispielsweise beobachtet worden, dass im Sterbeprozess der Superintelligenz die psionische Energie in den festen Aggregatzustand wechselte. Von Dr. Carapol stammte die Vermutung, dass ARCHETIMS psi-materielle Masse ein Mehrfaches der Erdmasse betragen könnte – und dennoch war diese unglaubliche Menge seit rund zwanzig Millionen Jahren stabil.

Es gab zwar im Solsystem die als »sechsdimensional funkelndes Juwel« umschriebene Hyperemission – und bis zu einem gewissen Grad konnten Wesenheiten wie ES die Energie dieser Psi-Materie anzapfen –, aber das Gebilde zeigte keine Tendenz zur Auflösung oder gar Detonation.

Im Gegensatz dazu handelte es sich beim Para-Staub, den die Qevayaan und Guyaam in Tradom benutzt hatten, um staubförmige Psi-Materie mit extrem kurzer Lebensdauer, deren Aggregatzustand ständig zwischen Normal- und Hyperraum wechselte; genügend große Mengen Tymcal konnten fast schon als lebendig bezeichnet werden.

Als Quintadimtrafer war der Supermutant Ribald Corello wiederum in der Lage gewesen, Hyperenergie zu Psi-Materie zu verstofflichen – doch das war ein für ihn derart anstrengender Prozess gewesen, dass er nur in zweijährigen Abständen dazu fähig war. Hinzu kam, dass er auf eine maximale Masse von »zehn Gramm« beschränkt war.

Und diese Menge konnte selbst er nur begrenzt stabilisieren, ergänzte der Extrasinn. Nach zehn Tagen musste die Psi-Materie explodieren.

Auch beim natürlichen Psionischen Netz des Multiversums gingen terranische Wissenschaftler von »Teilverstofflichungen« aus – abhängig von der lokalen Energiekonzentration –, mithin der Bildung von Hyper- oder Psi-Materie.

Gesichert war inzwischen, dass es Verbindungen zwischen Psi-Materie und Eiris gab – laut ES bezeichnete Eiris »raumzeitliche Stabilisierungsenergie«, wozu auch »positive energetische Substanz paranormaler Natur« zählte.

Hinzu kamen die in vielerlei Hinsicht noch unverstandenen Verbindungen zwischen Psi-Materie und Vitalenergie – der »lebensspendenden« Energieform im UHF-Bereich – sowie, daraus folgend, zu den On-Biophoren allgemein und ihren »Oberschwingungen«.

Aber in dieser Hinsicht steht die Forschung immer noch erst am Anfang … Laut fragte ich: »Könnte es spontan deflagrieren oder gar vorzeitig detonieren?«

»Das wiederum vermutlich nicht.« Uturan Kook wiegte den Kopf und antwortete bedächtig: »Aber auch so ist es eine immense Gefahr. Das Feuerauge muss nicht mal teilweise oder ganz in der Sonne zu deren Zündung versetzt werden, weil auch die Hyperemissionen nicht ohne Wirkung bleiben. Stichwort Psi-Sturm und alles, was damit verbunden ist.«

»Verstehe.«

Nebenan pfiff Gucky schrill. »Gefällt mir überhaupt nicht.«

Normale Deflagration von Psi-Materie führte beim Paratau zur zeitlich begrenzten Ausbildung von Parakräften, wie sie weiland die Kartanin genutzt hatten, spontane Deflagration dagegen zur explosionsartigen kompletten Freisetzung der im Paratau gespeicherten Energie, meist verbunden mit starken Psi-Stürmen.

Gerade das Beispiel Paratau zeigt, dachte ich, dass Psi-Materie von Parabegabten beherrscht und vielfältig genutzt werden kann. Je mehr Psi-Materie, desto stärker muss der Parabegabte allerdings sein. Oder er muss mit anderen in einem Parablock die eigenen Kräfte potenzieren.

Perry war mit seinem von ES zur Verfügung gestellten Controller zwar der Zugriff auf die stabile Psi-Materie der im Polyport-Hof DARASTO erhaltenen drei Boxen gelungen – zweimal die winzige Menge von 5,4 Pikogramm, einmal eine Ballung von zehn Gramm –, doch gegen die Feueraugen, die beim Handelsstern FATICO erschienen waren, hatte nicht einmal der Controller geholfen.

Möglicherweise hätten somit selbst Parabegabte ziemliche Probleme.

Der Logiksektor bestätigte: Davon ist auszugehen.

Ich dachte an die bunten, nur zwei Zentimeter großen »Glasmurmeln«, in denen Perry vor dem Angriff gegen die Frequenz-Monarchie jeweils die Menge von einem Femtogramm programmiert hatte. Spontan freigesetzt entsprach dieses Femtogramm einem Energiegehalt von 1,54 mal zehn hoch zweiundzwanzig Joule.

Was Psi-Materie plus Parabegabung erreichen können, raunte der Extrasinn, hat das Konzept Lloyd/Tschubai bei Hibernation-6 gezeigt, als es ihm gelang, das Distribut-Depot LORRAND um zwei Milliarden Kilometer zu versetzen. Er selbst war dabei nur der Katalysator, der die Energie der zuvor gezündeten Psi-Materie kanalisierte. Ohne diese wäre es ihm nicht gelungen! Und andererseits konnte er sie auf diese Weise nur deshalb gezielt nutzen, weil es sich bei ihm um ein Konzept handelt.

Ich nickte unwillkürlich. Dennoch hat es ihn fast überfordert. Womit sich die Frage stellt, wie viele starke Parabegabte zur Beherrschung von mehr als einem Kilogramm höchst instabiler Psi-Materie nötig sind, wenn seinerzeit ein Supermutant wie Corello nur mit zehn Gramm zurechtkam?

Mehr, als zur Verfügung stehen …

Der Siganese seufzte. »Mit Blick auf die mit Psi-Stürmen häufig verbundenen pararealen Phänomene fürchte ich, dass nicht einmal mehr oder weniger heftige Strangeness-Effekte ausgeschlossen werden können.«

Strangeness-Effekte – damit bezeichneten wir mangels besserer Bezeichnung alle Phänomene, die durch den Konflikt zweier unterschiedlicher Strangeness-Werte auftraten. Unser Universum hatte hierbei per definitionem den Standardwert null und andere Universen positive Werte zwischen null und eins. Überlappten sich zwei Universen, konkurrierte die Strangeness und glich sich allmählich dem Standardwert an; die dabei auftretenden Strangeness-Effekte zeigten sich meist als ultrahochfrequente Hyperstrahlung mit sechsdimensionalen Komponenten.

Als Analogie diente das Bild einer »Bremsstrahlung«, vergleichbar der bläulichen, von schnellen Partikeln in einem Medium erzeugten Cerenkov-Strahlung. Oder der Überschallknall, wenn sich Flugzeuge oder andere Körper schneller als der Schall fortbewegten.

Erstmals genauer beobachtet worden war eine solche Bremsstrahlung beim KLOTZ, nachdem dieser vom Universum Tarkan ins Standarduniversum gewechselt war. Von Geoffry Abel Waringer stammte der Vergleich, dass alles, was im Standarduniversum eine von null verschiedene Strangeness aufwies, unweigerlich zum Minimalzustand »abgebremst« wurde und dabei Energie abgab.

Eben in Form ultrahochfrequenter Hyperstrahlung, die auf die Bewusstseine von Lebewesen irritierend, desorientierend oder lähmend wirkt, fasste der Extrasinn zusammen, sowie konventionelle wie hyperphysikalische Technik stört oder ausfallen lässt.

Umgekehrt formuliert deutete die Anmessung einer solchen Strahlung auf eine von null abweichende Strangeness und die mit ihrer Angleichung verbundenen Strangeness-Effekte hin. Und in der Folge auf lokal begrenzte Übergänge zu Pararealitäten. Diesen Aspekt hatte Sato Ambush mit seinem »Ki« aufgegriffen – einem von ch'i abgeleiteten japanischen Begriff mit der wörtlichen Bedeutung »das Wirken«. Nach Ambushs Ansicht ermöglichte schon die vergleichsweise geringe Bewusstseins- und Vitalenergie eines entsprechend trainierten Individuums hyperphysikalische »Tunneleffekte« in den Bereich pararealer Wirklichkeiten.

Im übertragenen Sinne muss das also für eine Konzentration wie bei Psi-Materie in ähnlicher Weise der Fall sein, dachte ich. »Lässt sich sagen, wie sich das auf den Kristallschirm auswirkt? Vor allem auf den pararealen Resonanz-Austausch?«

»Leider nein.« Der Siganese machte eine vage Geste.

»Und wie sieht es mit der vermuteten Programmierung des Feuerauges aus?«, fragte Bully.

»Es gibt sie ohne jeden Zweifel. Mehr kann ich leider dazu nicht sagen.«

»Danke!«

Er winkte, die Verbindung erlosch.

2.

 

Bully sah mich ernst an. »Du vermutest weiterhin, dass das Feuerauge eine Art ›letztes Erbe‹ von VATROX-CUUR ist, ehe dieser vom Krathvira eingefangen wurde? Dass die Wesenheit möglicherweise noch ein Drohszenario aufbauen wollte und nun nicht mehr umsetzen kann?«