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Dietrich Schulze-Marmeling

Barça

oder: Die Kunst des schönen Spiels

verlag die werkstatt

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2. Auflage Mai 2010
Copyright © 2010 Verlag Die Werkstatt GmbH
Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen
www.werkstatt-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt

ISBN 978-3-89533-796-3

Inhalt

Prolog

Vorwort

1 Hans „Joan“ Gamper oder: Vom „Klub der Fremden“ zum Symbol Kataloniens

2 Ein Fußballklub, ein Diktator und erste Stars

3 Fußball und Bürgerkrieg

4 Ein Superstar, ein Superstadion und ein Team der fünf Pokale

5 Kulturtransfer: Der „totale Fußball“ kommt nach Katalonien

6 El Salvador: Ein Niederländer erlöst Katalonien

7 Ein Baulöwe und ein „blonder Engel“

8 Die Rückkehr von El Salvador

9 Ein „Poet unter Machos“ und eine „permanente Stimme aus dem Off“

10 Die „katalanische Republik des FC Barcelona“

11 Die Kunst des schönen Spiels

Bilder zum FC Barcelona

Daten zum FC Barcelona

Zeittafel zum FC Barcelona

Literatur

Danksagung

Der Autor

Zum Weiterlesen

Prolog

„Für uns Nichtgläubige ist Barça ideal. So haben wir etwas, woran wir glauben können. Barça verspricht uns ein Leben nach dem Tod.“ Sergie Pàmies

„Barça-Anhänger erleben bei Siegen ein fast orgiastisches Glücksgefühl und fallen bei Niederlagen in schwerste Depressionen. Das Irrationale ist ein Bestandteil des menschlichen Bewusstseins, man sollte immer einen irrationalen Aspekt in sich pflegen. Warum beispielsweise sollte es nicht die fußballerische Religiosität als Alternative zur Religiosität in der Politik geben können?“ Manuel Vázquez Montalbán

„Für den Klub zu sein hieß, gegen das Regime zu sein. Deshalb wird Barça immer mehr sein als nur ein Verein.“ Sergie Pàmies

„Francos Besatzungstruppen betraten die Stadt. Auf dem vierten Platz der Liste der Organisationen, die nun verfolgt wurden, stand hinter den Kommunisten, Anarchisten und Separatisten der Barcelona Football Club. (…) Barça ist die epische Waffe eines Landes ohne Staat. Barças Siege sind wie die Athens über Sparta.“ Manuel Vázquez Montalbán

„Während der Franco-Zeit waren Barças Siege ein Placebo, um den Hunger nach Freiheit zu stillen.“ Sergie Pàmies

„Selbst wenn Claudia Schiffer und Naomi Campbell zusammen splitternackt im Camp Nou flanierten, wie lange würden die Menschen wohl hinschauen? Zehn, zwanzig Sekunden vielleicht, bis zum nächsten aufregenden Angriff über Laudrup oder Stoichkov oder Guardiola oder wen auch immer in dieser großartigen Mannschaft, die damals den aufregendsten Fußball der Welt spielte.“ César Luis Menotti (über Johan Cruyffs Dream-Team)

„Sehr viele Leute, die hier eine Jahreskarte für Barça haben, haben hier auch eine Jahreskarte für das Konzerthaus oder die Oper. Die Katalanen interessiert beides, und sie sehen darin auch keinen Widerspruch. Das wiederum merkt man an der Stimmung im Stadion, die ist ganz anders als in England. Viel zurückhaltender, viel opernhafter.“ José Carreras

„Was diese Jungs können, ist magisch. Das ist Kunst. Kunst hat heute so viele verschiedene Ausprägungen. Einer wie Ronaldinho liegt irgendwo zwischen bildender Kunst und einem Künstler auf der Bühne.“ José Carreras

„Natürlich ist Barcelona in erster Linie ein Fußballklub: Wie alle Klubs versucht man, Spiele zu gewinnen und Prestige aufzubauen und zu bewahren. Doch es ist auch ein Verein mit einer Geschichte von 105 Jahren, die eng mit Werten wie Sportlichkeit, Fairness, Universalismus und Gemeinwohl verknüpft sind. Außerdem wird der Klub auch eng mit seinem Territorium in Verbindung gebracht. Wir respektieren jeden, der die gleichen Werte respektiert: Barcelona ist ein wichtiger Integrationsfaktor für die Menschen, die zum Leben und Arbeiten nach Katalonien kommen. Menschen aus vielen verschiedenen Ländern sehen in Barça eine Integrationsmöglichkeit. Hier können sie Gemeinschaft erleben und haben ein Forum, wo sie mit der katalanischen Gesellschaft in Kontakt kommen können. Barcelona ist in gewisser Weise ein Abbild der Stadt und der Region Katalonien. Daher sind wir mehr als ein Klub.“ Joan Laporta, Februar 2005

„Das Vereinsmotto ‚Mehr als ein Klub‘ stimmt. Barça ist eine Weltanschauung.“ Udo Lattek

„Es ist, als bleibe für Barcelona die Welt stehen.“ Thierry Henry

Vorwort

Am 29. November 1899 wurde in einer Turnhalle in Barcelonas Altstadt der Football Club Barcelona aus der Taufe gehoben. Initiator der Gründung war der Schweizer Hans Gamper, erster Präsident wurde der Engländer Walter Wild. Die Gründungsmitglieder waren in ihrer Mehrheit Ausländer und Protestanten, Fremde in einem Land, dessen Verfassung die „katholische, apostolische, römische Religion“ zur Staatsreligion erklärte und einzig deren Zeremonien und öffentliche Kundgebungen zuließ.

Barcelona wurde in diesen Jahren zum Manchester Spaniens, eine Stadt, deren Rhythmus von Handel und Industriearbeit bestimmt wurde. Hunderttausende zogen in die staubige, graue und laute Industriestadt voller Schlote und Elendsquartiere, die damit einen vorzüglichen Nährboden für den Fußball bot. Denn Fußballhochburgen entstanden oftmals dort, wo viele Menschen Einwanderer waren und nur einen schwachen Bezug zum Territorium hatten, wie etwa im Ruhrgebiet. Der Fußball füllte hier eine emotionale Lücke und wirkte identitätsstiftend.

Dies galt auch für den FC Barcelona. Barça, wie der Klub auch kurz gerufen wird, war schon frühzeitig „més que un club“ (mehr als ein Klub), wie das offizielle Vereinsmotto heute lautet.

Bereits 1908, ein knappes Jahrzehnt nach der Gründung, führte Hans Gamper, der seinen Vornamen zu „Joan“ katalanisieren ließ, den FC Barcelona an den Katalanismus heran, der nach politischer und kultureller Unabhängigkeit vom Zentralismus des kastilischen Madrid trachtete.

1935 wurde Josep Sunyol Präsident des FC Barcelona, ein Aktivist der katalanischen Linken. Sunyol, der im August 1936, wenige Wochen nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs, ermordet wurde, war Herausgeber der Zeitung La Rambla, die mit dem Untertitel „esport i ciutadania“ („Sport und Bürgerrecht“) erschien und eine Melange aus Sport und Politik anstrebte.

Sein Image, mehr als nur ein Klub zu sein, „verdankt“ der FC Barcelona aber vor allem den Jahren der Franco-Diktatur. Als die katalanische Sprache verboten war und die eigenständigen Strukturen Kataloniens zerschlagen wurden, avancierte Barça zur letzten katalanischen Institution und das Stadion Camp Nou zum Parlament Kataloniens. „Für den Klub zu sein hieß, gegen das Regime zu sein“, formulierte der Schriftsteller Sergie Pàmies nachbetrachtend.

Trotz internationaler Stars wie Ladislao Kubala und Trainern wie Helenio Herrera stand Barça in den Jahren der Franco-Diktatur zumeist im Schatten des großen Rivalen Real aus der Hauptstadt Madrid. In den Jahren 1956 bis 1966 wurde der Europapokal der Landesmeister von den fußballerischen Repräsentanten faschistischer Hauptstädte dominiert. Real Madrid und Benfica Lissabon vereinigten acht der elf in diesem Zeitraum vergebenen Titel auf sich.

Wenn vom spanischen Fußball jener Jahre gesprochen wird, ist noch heute viel von Schiedsrichter-Beeinflussung zugunsten Reals und auf Kosten Barças die Rede. Entscheidender war aber wohl, dass Real auf vielfältige Weise indirekt von Francos zentralistischer Politik profitierte, die Macht und Ressourcen in der Hauptstadt konzentrierte.

Barças Rettung kam aus den Niederlanden. Eine kulturelle, politische und soziale Revolution hatte in den 1960er Jahren das kleine Land von einem eher rückständigen Gebilde zu einer der progressivsten Adressen Europas katapultiert. Ein Exportschlager aus dieser Umwälzung wurde der Fußball. Barça geriet zum Objekt eines der bemerkenswertesten Kulturtransfers in der europäischen Fußballgeschichte.

1970 wurde mit dem Niederländer Rinus Michels ein Architekt des sogenannten totaal voetbal Trainer des FC Barcelona. Bergauf ging es mit Barça aber erst wieder, als zur Saison 1973/74 auch noch sein Landsmann und Schüler Johan Cruyff von Ajax Amsterdam in die katalanische Metropole wechselte. Am 17. Februar 1974 besiegte Barça das „Regime-Team“ Real Madrid in dessen Stadion Santiago Bernabéu mit 5:0. Für Millionen Spanier und Katalanen war dieser Tag der Anfang vom Ende der Diktatur. Johan Cruyff erlangte mit seinem furiosen Auftritt im Wohnzimmer des Rivalen den Status eines Erlösers (El Salvador) und Heiligen. Am Ende der Saison war der FC Barcelona erstmals seit 14 Jahren wieder Meister.

Aber auch über Amsterdam und Barcelona hinaus bediente Cruyff mit seiner Art des Fußballspielens die Lebensphilosophie vieler junger Menschen in Europa. Fußball à la Oranje bedeutete Angriffslust, Kreativität, lange Haare und das Hemd über der Hose – ein radikales Kontrastprogramm zur Strenge und Düsterheit autoritärer Regime. Für den Autor dieses Buchs war Johan Cruyff sein größtes Idol, repräsentierten der Niederländer und seine Mitspieler – ob bei Ajax, in der niederländischen Elftal oder bei Barça – doch eine gelungene Verbindung von Kollektivismus und kreativem Individualismus. Cruyff schlug nicht nur Real, sondern auch Marx, Lenin und Che Guevara um Längen. In des Autors Heimat Ruhrgebiet mochte Libuda Gott umdribbeln („Keiner kommt an Gott vorbei – außer Libuda“), aber Cruyff ließ sogar Karl Marx furchtbar alt aussehen.

Nach der WM 1974 schloss sich mit Johan Neeskens ein weiterer Niederländer den Katalanen an, mit dessen Namen insbesondere der Gewinn des Europapokals der Pokalsieger 1979 in Verbindung gebracht wird – Barças erste bedeutende europäische Trophäe, die zeitlich mit der Gewährung eines Autonomiestatuts für Katalonien zusammenfiel.

Die niederländische Fußballphilosophie und die Kunst des offensiven und schönen Fußballs hielt aber erst so richtig und nachhaltig Einzug, als Cruyff 1988 ein weiteres Mal von Ajax Amsterdam zum FC Barcelona wechselte. Diesmal als Trainer und mit seiner bereits bei Ajax erprobten Ausbildungsphilosophie im Gepäck.

Die Stadt Barcelona befand sich im Vorfeld der Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 1992 in einem Erneuerungsrausch und entledigte sich nun auch städtebaulich der Relikte der Franco-Jahre. Aus einer grauen Industriestadt wurde eine Dienstleistungs-, Tourismus- und Kreativmetropole. Wenige Wochen vor der Eröffnung der Sommerspiele auf Barcelonas Stadtberg Montjuic gewann Cruyffs Barça erstmals den Europapokal der Landesmeister, eine Trophäe, die in Spanien bis dahin ausschließlich mit dem Rivalen Real in Verbindung gebracht wurde. Andoni Zubizarreta, Ronald Koeman, Michael Laudrup, Josep Guardiola, Hristo Stoichkov und Co. gingen als Dream-Team in die Annalen ein, das die Experten noch viele Jahre später wegen seines Pass- und Offensivspiels mit der Zunge schnalzen ließ. Luis César Menotti, Philosoph des „linken Fußballs“, aber auch ein Freund schöner Frauen, war später sogar bereit, den Anblick der nackten Models Claudia Schiffer und Naomi Campbell zugunsten dieses Teams zu verschmähen.

Als die niederländischen Klubs – bedingt durch das Bosman-Urteil und andere Entwicklungen im internationalen Fußball – auf europäischer Bühne nicht mehr reüssieren konnten, garantierte der FC Barcelona den Fortbestand der niederländischen Fußballphilosophie, wenngleich in „katalanisierter“ und internationalisierter Form.

Auch beim zweiten großen europäischen Triumph, dem Gewinn der Champions League 2006, saß mit Frank Rijkaard ein Niederländer auf der Bank, dank der Fürsprache Johan Cruyffs. Und beim erneuten Gewinn der europäischen Königsklasse 2009 führte mit dem Katalanen Josep „Pep“ Guardiola ein ehemaliger Spieler und Schüler Cruyffs das Kommando.

Der „totale Fußball“ und Fußball à la Johan Cruyff war stets mehr Idee als System gewesen. Genau betrachtet, befreite er den Fußball ein Stück weit vom System- und puren Ergebnisdenken – zugunsten eines ausdrucksvollen, kreativen Angriffsspiels. Am Anfang stand gewissermaßen eine Ablehnung von System. Das Ajax von Rinus Michels und Johan Cruyff musste massive gegnerische Abwehrriegel knacken, weshalb man die Zahl der Angriffskräfte erhöhte – durch Einbeziehung der Defensivkräfte und eines fußballspielenden Torwarts. Fußball à la Cruyff heißt in erster Linie Offensivfußball und Unterhaltung. Cruyff im Oktober 2005 über den damaligen Chelsea-Coach José Mourinho, der sich in diesen Jahren zum fußballphilosophischen Antipoden des Barça-Fußballs aufschwang: „Man kann sagen, dass er im pragmatischen Sinne ein guter Trainer ist. Aber ich glaube, dass Fußballtrainer auch die Pflicht haben, mit ihren Mannschaften zu unterhalten. Das Ergebnis darf nicht immer die einzige Sache sein, besonders nicht für große Teams wie Chelsea und Barcelona. Mourinho sagt, nur der Sieg wäre wichtig, aber ich finde, nur kleine Teams sollten so vom Ergebnisdenken besessen sein, damit sie in der Topliga bleiben. Die Topteams tragen nicht nur für sich selbst Verantwortung. Sie haben auch eine Verpflichtung gegenüber dem Spiel als solches.“

Eine Hymne auf den neuzeitlichen FC Barcelona ist unweigerlich auch eine auf Johan Cruyff – zum Ende des 20. Jahrhunderts völlig zu Recht zum „europäischen Jahrhundertfußballer“ gekürt – und auf eine in den Niederlanden geborene Idee vom Fußball.

Wer den FC Barcelona, das Estadi Camp Nou und das Museum des Klubs besucht, der realisiert, wie klein sich dagegen selbst ein hierzulande als Branchenführer gehandelter FC Bayern ausnimmt. Dabei trennen Barça und Bayern mehr als Umsatzgrößen. Es sind vor allem das unterschiedliche Gewicht der Geschichte, die politische und soziale Bedeutung, die diese Geschichte dem Verein zuweist, sowie die Existenz einer Spielphilosophie. Dies alles ist bei Barça deutlich stärker ausgeprägt, weshalb dieser Verein so viel bedeutsamer und legendärer erscheint.

Der FC Barcelona ist nicht nur ein Fußballklub, sondern der Sportklub Kataloniens. Im Trikot des FC Barcelona wird auch Handball, Basketball, Baseball, Rugby, Eishockey und Feldhockey sowie Volleyball gespielt. Barças Handballer gehören seit vielen Jahren zu den besten Europas. Siebenmal wurde die EHF Champions League gewonnen. Und die Basketballer konnten bislang 14 spanische Meisterschaften einfahren.

„Més que un club“: Dass dieses Motto heute lebendiger denn je ist, ist nicht nur dem Katalanismus seines Präsidenten Joan Laporta zu verdanken, der den FC Barcelona mit Werten wie „Sportlichkeit, Fairness, Universalismus und Gemeinwohl“ verknüpft wissen will, für den Barça „ein schöner Lebensstil“ ist und dem eine „katalanische Republik des FC Barcelona“ vorschwebt. Das Barça als „Modell des Guten in der Fußballwelt“ (Financial Times Deutschland) bezieht ganz wesentlich seine Kraft aus der Kunst des schönen Spiels, der Liebe zum Ball, dem Spaß am Spiel. Denn auch für den FC Barcelona gilt: Ohne Fußball wäre alles nichts.

Dietrich Schulze-Marmeling

Frühjahr 2010

Kapitel 1

Hans „Joan“ Gamper oder: Vom „Klub der Fremden“ zum Symbol Kataloniens

Am 22. Oktober 1899 erscheint in der katalanischen Sportzeitung Los Deportes eine Kleinanzeige, in der zwei Herren mit ausländischen Namen, ein Hans Gamper und ein Walter Wild, über eine bevorstehende Klubgründung informieren: „Die Herren Gamper und Wild sind mit der Organisation einer Football-Gesellschaft weit fortgeschritten. Die Herrschaften, die dieser Gesellschaft angehören möchten, werden gebeten, des Dienstags oder Freitags in dieser Redaktion vorbeizuschauen, um über die noblen Vorhaben ihrer Organisatoren unterrichtet zu werden.“

Hans Gamper hat zwei Probleme, die ihn zu dieser offensiven Suche nach Mitspielern zwingen: Zum einen gehört er zur protestantischen Minderheit in Barcelona. Gampers erste Weggefährten sind folglich Mitglieder der kleinen protestantischen Gemeinde im Distrikt Sarrià-Sant Gervasi im Nordwesten der Stadt. Außerdem ist Gamper, wie auch sein Mitstreiter Walter Wild, Ausländer: Gamper stammt aus der Schweiz, Wild aus England. Ein bestehender Fußballklub namens Catalunya, bei dem Gamper anklopfte, mochte den Fremden nicht aufnehmen – er beschränkt sich auf katalanische Spieler. So bleibt Gamper nichts anderes übrig, als sich selbst nach Mitspielern umzuschauen, die der Katalanismus aufgrund ihrer Konfession oder Nationalität ebenfalls ausschließt.

Am 29. November 1899 wird in der in Barcelonas Altstadt gelegenen Turnhalle von Manuel Solé der Football Club Barcelona aus der Taufe gehoben. Neben Hans Gamper und Walter Wild sind der Schweizer Otto Kunzle, die englischen Brüder John und William Parson, der Deutsche Otto Maier sowie die Katalanen Lluís d’Osso, Enric Ducal, Pere Cabot, Carles Pujol, Josep Llobert und Bartomeu Terrades beteiligt. Die Hälfte der Gründungsmitglieder sind somit Ausländer und Protestanten. Die englische Vereinsbezeichnung Football Club verweist auf die anglophile Haltung der multikulturellen Kickerschar.

Ein Pionier aus der Schweiz

Hans-Max Gamper Häessig, der eigentliche Motor der Klubgründung, wurde am 22. November 1877 in der Jakobsstraße 7 in Winterthur geboren. Er ist das dritte von fünf Kindern und der älteste Sohn der Eheleute August und Rosine Emma Gamper (geborene Häessig); die Familie ist Mitglied der evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz. Winterthur, Tor zur Ostschweiz, hat sich mit Industrie und Banken zu einem international bedeutenden Wirtschaftsstandort entwickelt und verfügt auch über hervorragende Bildungsanstalten wie die Schweizerische Technische Fachschule.

August Gamper ist ein wohlhabender Bankdirektor. Als seine Ehefrau Rosine Emma 1886 an Tuberkulose stirbt, zieht die Familie nach Zürich, der Heimatstadt August Gampers. Dort besucht Sohn Hans das Polytechnikum. Wie im Übrigen auch der aus Turin stammende Vittorio Pozzo, der als Trainer Italien 1934 und 1938 zum WM-Titel führen sollte, zunächst aber lehrreiche Jahre in der Schweiz verbrachte, wo er in Zürich und Winterthur nicht nur einer kaufmännischen und sprachlichen Ausbildung nachging, sondern auch Fußball spielte – so 1905 bis 1906 bei Grasshoppers Zürich.

Der junge Gamper ist ein enthusiastischer Anhänger der „english sports“ und avanciert in Zürich bald zu einem Spitzensportler. Zunächst betreibt er vor allem Radfahren und Laufen. So gewinnt er die Ouvertüre auf der Radrennbahn Basel und ein internationales Rennen zwischen Zürich und Zug. 1898 hält er die Laufrekorde über 800 und 1.600 Meter. In seinem weiteren Leben spielt er auch noch Rugby, Tennis, Golf und natürlich Fußball. Enkelin Emma Gamper: „Mein Großvater war ein klassischer Sportsmann seiner Epoche. Er gehörte zu jenen jungen Schweizern, die den Fußball mit Freude und großem Idealismus verbreitet haben.“

In Zürich ist Gamper zunächst für den Züricher Klub FC Excelsior am Ball. Anschließend gehört der 18-Jährige zu den Gründungsmitgliedern des im akademischen Milieu beheimateten FC Zürich, einer am 1. August 1896 aus der Taufe gehobenen Fusion aus FC Excelsior, FC Turicum und FC Viktoria. Auch sein erst 14-jähriger Bruder Fredy ist mit von der Partie. Erster Präsident des Klubs wird der Jurastudent Hans Enderli; als Klublokal firmiert das vornehmlich von Studenten frequentierte Restaurant „Boden“. Emma Gamper: „Die Gründer bauten alles selber auf; sie bereiteten den Spielplatz vor, amtierten als Präsidenten, waren Trainer, organisierten die Matches, schrieben die Artikel als Sportjournalisten. Sie waren Pioniere, die sich mit ganzem Herzen dem Fußball verschrieben hatten.“

Im selben Jahr beschreibt die Zeitschrift Spiel und Sport Gamper als einen „der besten Schweizer Fußballer. Er zeichnet sich durch sein ruhiges Spiel, seine Beweglichkeit und seine Kaltblütigkeit aus.“

1896 läuft Gamper auch für den FC Basel auf, als dieser am 15. November gegen den FC Mülhausen aus dem Elsass spielt. Es ist das einzige registrierte Spiel, das Gamper, der in der Literatur viel mit dem FC Basel in Verbindung gebracht wird, für den Klub bestreitet. 1897 zieht Gamper nach Lyon, wo er für die Crédit Lyonnais arbeitet und für den Football Club de Lyon sowie den Rugby-Verein Atlétique-Union spielt. 1898 erhält der Stürmer eine Einladung zu einem sogenannten Repräsentativmatch Schweiz gegen Süddeutschland.

Doch nach den Vorstellungen seines Vaters soll Hans Gamper sein Leben nicht dem Fußball widmen. Ihm ist eine Laufbahn als Kaufmann im Import- und Exportgeschäft zugedacht. Dafür soll er im Ausland Erfahrungen sammeln.

Brutstätte des kontinentalen Fußballs

Die Geschichte des FC Barcelona beginnt nicht zufällig in der Schweiz. Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich das Land zur Drehscheibe bei der Verbreitung des modernen Fußballs in Europa entwickelt. Verantwortlich waren die zahlreichen Engländer im Land, die der Schweiz auch den Ruf als „little england“ einbrachten. Noch heute lässt sich der anfängliche Einfluss Englands auf den Schweizer Fußball an Vereinsnamen wie Young Boys Bern oder Grasshoppers Zürich, 1886 vom Biologiestudenten Tom E. Griffith initiiert, ablesen.

In den Schweizer Fachschulen wurden seit den 1880er Jahren viele Ingenieure, Kaufleute und internationale Bankiers ausgebildet. Die Schulen genossen international hohes Ansehen und lockten auch Zöglinge der englischen Industriellen an. Die englischen Schüler brachten das Fußballspiel mit, das nun zu einem Bestandteil der modernen Erziehungsmethoden der Eliteschulen wurde. Die Wiege des kontinentalen Fußballs stand in den Genfer Instituten La Chátelaine und Cháteau de Lancy, wo bereits ab 1860 gekickt wurde.

Die englischen Schüler blieben beim Fußball nicht unter sich, sondern luden ihre einheimischen Mitschüler dazu ein und infizierten sie mit dem Spiel aller Spiele. Bald gründeten auch Schweizer Bürger Fußballklubs. Nicht nur im eigenen Land, sondern auch jenseits ihrer Landesgrenzen und hier insbesondere in Norditalien, Südfrankreich und Katalonien. So waren 15 der 25 Gründer des FC Torino Schweizer, darunter auch der erste Klubpräsident Schönfeld. In Mailand wirkte 1908 der Schweizer Enrico Hintermann als maßgeblicher Gründer eines Vereins, der sich bezeichnenderweise FC Internazionale – kurz: Inter – nannte. Als der junge Klub 1910 die Meisterschaft gewann, standen neun Schweizer im Team. Der FC Bari wurde 1908 vom Getreidehändler Gustav Kuhn ins Leben gerufen, beim FC Bologna wurde 1909 der Zahnarzt Louis Rauch erster Präsident. Neapels Fußballpioniere waren die Gebrüder Michele und Paolo Scarfoglio, die das Spiel während eines Praktikums in der Schweiz kennengelernt hatten. Der französische Banker Henri Monnier, 1901 Gründer des Sporting Club de Nîmes, war während des Studiums in Genf auf den Fußball gekommen, und auch die französischen Fußballpioniere Falgueirettes und Julien hatten in der Schweiz studiert.

In Marseille ging aus dem 1884 gegründeten Turnverein La Suisse Marseille der Klub Stade Helvétique hervor, initiiert von einem Zirkel Schweizer Geschäftsleute. Die Mittelmeer-Schweizer wurden 1909, 1911, 1913 und 1919 Französischer Fußballmeister, beim ersten Mal mit zehn Schweizern und einem Briten. Der Schweizer Einfluss reichte bis hoch nach Paris, wo ein Klub mit dem Namen Union Sportive Suisse zu den führenden Adressen zählte.

Auch Deutschland wurde über die Drehscheibe Schweiz versorgt. Den deutschen Fußballpionier Walther Bensemann, Sohn eines jüdischen Bankiers aus Berlin, schickten seine Eltern im Alter von zehn Jahren auf eine Privatschule in Montreux. Am Genfer See entwickelte Bensemann eine Begeisterung für alles, was er für „typisch englisch“ hielt. 1883 wurde Bensemann erstmals Zeuge eines Fußballspiels englischer Mitschüler, die allerdings Rugby spielten. 1887 gründete er mit englischen Mitschülern den Footballclub Montreux, anschließend war er in Süddeutschland an der Gründung zahlreicher Fußballklubs beteiligt, so beim Karlsruher Fußballverein (Deutscher Meister von 1910) und den Vorgängervereinen von Eintracht Frankfurt und Bayern München. Bensemann, der später die Fußballzeitung Der Kicker ins Leben rief, zählte 1900 auch zu den Gründungsvätern des DFB.

Mobile Eliten und Protestanten

„Fußball-Pioniere kamen in der Regel aus wohlhabenden Familien und wurden stark beeinflusst von britischen Traditionen, die mit der industriellen Revolution assoziiert waren“, schreibt der Fußballhistoriker Pierre Lanfranchi. Nicht der Fußball führte sie in fremde Länder und machte sie zu Migranten. Vielmehr handelte es sich um „mobile Eliten“, die aus beruflichen bzw. geschäftlichen Gründen ihre Heimat verließen.

Das Fußballspiel war ein Bestandteil des von den industriellen Eliten in aller Welt bewunderten „English Way of Life“. Der Schweizer Historiker Christian Koller: „Mit seinen universellen Regeln und seinem offenen Wettbewerb verkörperte es für die aufstrebende Jugend auf dem Kontinent eine Modernität, die sich an den Prinzipien des Freihandels, des Kosmopolitismus und des Wettbewerbs orientierte.“

Nicht von ungefähr verbreitete sich der Fußball besonders rasch in den drei Ländern des Kontinents mit dem höchsten Bruttosozialprodukt pro Kopf. Dies waren Belgien, Dänemark und die Schweiz.

Lanfranchi charakterisiert die kontinentaleuropäischen Fußballpioniere als „Missionare der freien Marktwirtschaft“ und „Gegner einer protektionistischen und xenophoben Spielart des Nationalismus“. Sport wurde nicht einer Karriere wegen betrieben, spielte aber in ihrem Leben eine zentrale Rolle. Und auch ihre Religionsangehörigkeit war nicht ohne Bedeutung, wie Lanfranchi anmerkt. Die ersten Mitglieder des Sporting Club de Nîmes waren Mitglieder des Jugendklubs der lokalen calvinistischen Gemeinde. Gründer Monnier, der seinen Vornamen von „Henri“ zu „Henry“ anglisieren ließ und seinen Sohn „Willy“ nannte, war Sohn eines protestantischen Bankiers und hatte seine Ausbildung in der Calvin-Stadt Genf absolviert. Stade Helvétique war eng mit der reformierten Gemeinde Marseilles verbunden. Und auch der FC Barcelona war, wie eingangs erwähnt, zunächst eine vorwiegend protestantische Angelegenheit.

Lanfranchi: „Im katholischen Südeuropa reproduzierten protestantische Sportsleute mittels des Fußballs eine ‚alternative Kultur’, die dazu in der Lage war, Protestanten unterschiedlicher Nationalität anzuziehen.“ Der kontinentale Fußball war damals noch eine sozial-elitäre Angelegenheit. „Die jungen Protestanten und die Angehörigen der Klasse der Geschäftsleute“, so Lanfranchi weiter, „waren häufig identisch, und sie lieferten eine der fruchtbarsten Umgebungen für die Verbreitung des Spiels. Sport entwickelte sich in protestantischen Milieus schneller und erfolgreicher – als eine Art Übertragung von Max Webers Theorie der säkularen Askese in körperliche Aktivität.“

Unter Europas Fußballpionieren und ersten Vereinsgründern befanden sich in der Tat auffallend viele Protestanten (und Juden). Protestantische (wie auch jüdische) Milieus waren für die kapitalistische Moderne mit ihren Konkurrenz- und Leistungsprinzipien gewappnet. Und der Fußball als ein Produkt des modernen Industriezeitalters wurde in Europa zu dessen Spiel.

Kataloniens Metropole: Barcelona

Doch zurück zu Hans Gamper, der dem Rat seines Vaters folgt und sich 1898 auf den Weg nach Afrika macht, um auf Fernando Poo, einer Insel im Golf von Guinea und spanische Kolonie, Firmen für den Handel mit Zucker und Kaffee aufzubauen.

Der Weg führt über die katalanische Metropole Barcelona, wo Gampers Schiff einige Tage anlegt. Gamper besucht seinen dort lebenden Onkel Emili Gaissert. Die Zwischenstation wird zur Endstation, denn der Handelsreisende verguckt sich in die Stadt und bleibt hier hängen. Emma Gamper: „Mein Großvater ließ sich vom sonnigen und mediterranen Klima erobern.“ Emili Gaissert bringt den Neffen zunächst als Buchhalter bei der Crédit Lyonnais unter. Später wird Gamper Chefbuchhalter einer Straßenbahngesellschaft im Bezirk Sarria, ist aber auch weiterhin im Zucker- und Kaffeehandel tätig. Außerdem gründet er die eingangs erwähnte Sportzeitung Los Deportes und betätigt sich als Kolumnist für zwei Sportzeitungen in der Schweiz.

Gamper tritt der lokalen Gemeinde der schweizerischen evangelischen Kirche bei. Dem Schweizer Protestanten gefällt es im katholischen Barcelona: Die am Meer gelegene katalanische Metropole ist eine Handelsstadt und älter als Madrid. Das Wirtschaftliche spielt eine dominierende Rolle. Der Historiker Juan Beneyto attestiert den Katalanen einen „Händlerkomplex“, während die Kastilier ein „Kriegerkomplex“ kennzeichne. Barcelonas Bürger gelten, trotz der nahezu permanenten Unruhe in der Stadt, als pflichtbewusst, korrekt und arbeitsam. Ein altes Sprichwort behauptet, die Katalanen seien so fleißig, dass sie Steine in Brot verwandeln könnten. Katalonien beherbergt keine Bodenschätze, die Region ist deshalb besonders auf den Fleiß ihrer Bürger und die Qualität ihrer Arbeit angewiesen. In Kastilien galt die Arbeit lange Zeit als entehrend. Für jeden, der etwas auf sich hielt, war die Tätigkeit in einem bürgerlichen Beruf undenkbar. Nicht so in Katalonien und Barcelona, und nicht von ungefähr firmieren die Katalanen heute auch als „die Schweizer Spaniens“.

Barcelona ist, als Folge der katalanischen Geschichte, anders als der Rest des erzkatholischen Spaniens: „eine kuriose und geglückte Mischung von Nord und Süd, von protestantischer und katholischer Lesart“ (Werner Herzog). Katalonien, im Nordosten Spaniens gelegen und ursprünglich auch das heute französische Roussillon umfassend, genoss lange Zeit eine starke Eigenständigkeit und orientierte sich traditionell eher Richtung Frankreich als nach Süden. Im Pyrenäenfrieden 1659 zwischen der spanischen und der französischen Krone geriet Katalonien zur Verhandlungsmasse und musste das Roussillon abtreten. Am 11. September 1714 marschierten 40.000 Soldaten eines französisch-spanischen Heeres in Barcelona ein. König Felipe V. hob alle bis dahin gültigen Sonderrechte auf und ließ sämtliche Institutionen einer katalanischen Selbstverwaltung schließen sowie die katalanische Sprache verbieten. Katalonien wurde zu einer spanischen Provinz degradiert und durfte erst ab 1778 mit Amerika uneingeschränken Handel treiben.

Doch Katalonien sucht schon früh den Anschluss an die industrielle Entwicklung Europas . Bereits 1741 eröffnet die erste Textilfabrik in Barcelona, und bald hat die Stadt mit ihrer prosperierenden Industrie, ihren Kaufleuten und Händlern gegenüber Madrid die Nase vorn, wird zur reichsten und am stärksten industrialisierten Region der iberischen Halbinsel, zum Motor der industriellen Revolution Spaniens und zur heimlichen Hauptstadt. Das katalanische (wie auch das baskische) Bürgertum besitzt – anders als das Bürgertum im restlichen Spanien – einen industriellen Charakter. Zwischen 1820 und 1860 verzehnfacht sich die Textilproduktion Kataloniens, eine Metallindustrie entwickelt sich, und die Region wird zum Zentrum der verarbeitenden Industrie in Spanien.

Mitte des 19. Jahrhunderts befördert diese wirtschaftliche Expansion das Wiederaufleben der katalanischen Literatur, die Erneuerungsbewegung wird La Renaixença“ getauft. Um 1865 erscheinen erste kulturelle Zeitschriften. Das geistige Leben Barcelonas erfährt einen Aufschwung. Theater, Musik und Literatur treffen beim zu Wohlstand gelangten Bürgertum auf ein dankbares Publikum. Aus der Sicht des katalanischen Bürgertums befindet sich der Rest Spaniens in einem Zustand kultureller Unterentwicklung. Und Madrid erscheint als bürokratischer Schmarotzer, der sich von der Arbeit der wenigen dynamischen Regionen wie Katalonien ernährt.

Auch in der Weltausstellung 1888, die zu einer großen Ausdehnung der städtischen Bebauung führt, demonstriert Barcelona Wohlstand, Modernität und Selbstbewusstsein. Kataloniens Bürgertum bezweifelt die Reformfähigkeit des spanischen Staates und sympathisiert zunehmend mit dem politischen Katalanismus. 1892 gelangt ein Plan für katalanische Autonomie (Bases de Manresa) an die Öffentlichkeit.

1898, das Jahr, in dem Hans Gamper in Barcelona eintrifft, markiert für Spanien das Ende der Illusion von der Weltmacht. Am 15. Februar 1898 explodiert im Hafen von Havanna der amerikanische Panzerkreuzer „Maine“. 264 Matrosen und zwei Offiziere kommen ums Leben. Die USA beschuldigen Spanien der Täterschaft, und Washington erklärt Madrid den Krieg. Drei Monate später hat Spanien nicht nur Kuba, sondern auch die Philippinen, Guam und Puerto Rico als Kolonien verloren. Im Wettstreit mit den modernen Nationen hat Spanien nun seinen Tiefpunkt erreicht, was nicht ohne Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen der spanischen Zentralgewalt und Katalonien bleibt.

In Katalonien schreibt Joan Maragall, der repräsentativste Schriftsteller der „Generation von 1898“, die Oda a Espanya, in deren Schlussschrei es „Adieu Espanya“ heißt. Maragalls Werk symbolisiert die Abwendung vom kastilischen Spanien zugunsten eines neuen Spaniens, in dem Katalonien eine Führungsposition einnehmen soll. In einer späteren Ode des Dichters auf die Stadt Barcelona charakterisiert er diese als „la gran encisera“, die große Zauberin.

Für Kataloniens Industrielle wiegt der Verlust des kubanischen Marktes schwer. Madrid will die enormen Kosten des Kolonialkrieges über höhere Steuern und Abgaben begleichen, woraufhin die katalanischen Händler und Handwerker in einen Steuerstreik (Tancament de Caixes) treten. Madrids Schwäche ist Barcelonas Stärke. Der Streik ist Ausdruck eines gewachsenen Selbstbewusstseins in Katalonien.

Bei den Kommunalwahlen von 1901 bringt die Lliga Regionalista de Catalunya von Enric Prat de la Riba, dem Vater des bürgerlichen katalanischen Nationalismus, in Barcelona ihre vier Kandidaten durch. Die Wahlen markieren die Geburt einer politischen Geschichte der Region, wenngleich im restlichen Katalonien vorerst noch die Monarchisten dominieren. Doch in den folgenden Jahren avanciert die Lliga zur ersten politischen Kraft Kataloniens. Es ist eine konservativ-autonomistische Partei, eine Interessenvertretung der Fabrikanten, Bankiers, Geschäftsleute, Juristen und Vertreter wirtschaftlicher Vereinigungen. Nur eine Schicht macht beim Katalanismus nicht so recht mit: das Industrieproletariat, das internationalistisch denkt. Die industrielle Struktur Kataloniens hat eine breite Arbeiterbewegung entstehen lassen, in der die anarchistischen und später anarchosyndikalistischen Strömungen dominieren.

Klub der Fremden

Die Herkunft der Farben des FC Barcelona, Blau und Rot, ist bis heute nicht restlos geklärt. Das Rot ist, genauer gesagt, ein Granatrot, weshalb die Trikots der Mannschaft bzw. das Team selbst bis heute Blaugrana genannt werden. Klar ist: Mit Barcelona oder Katalonien haben diese Farben nichts zu tun, sie stammen wohl aus dem Ausland.

So besagt eine These, dass die Farben vom Rugby-Team der englischen Merchant Taylors’ School übernommen wurden, einer 1620 gegründeten und noch heute existierenden Public School in Cosby nördlich von Liverpool, die auf ihrer Homepage unter den sieben berühmtesten Alumni nicht nur Ben Kay, Kapitän der englischen Rugby-Weltmeister von 2003, und Robert Runcie, Erzbischof von Canterbury 1980 bis 1991, auflistet, sondern auch die Brüder Arthur und Ernest Witty.

Deren aus Yorkshire stammender Vater Frederick Witty hatte 1873 in Barcelona eine Reederei eröffnet, schickte aber seine Söhne Arthur und Ernest auf die Merchant Taylor’s School. Als die Witty-Brüder nach Barcelona heimkehrten, um ins väterliche Geschäft einzusteigen, fanden sie keine für Rugby geeigneten Spielfelder, weshalb sie nun Fußballspiele zwischen Werkteams organisierten. Rugby und Fußball waren nicht die einzigen „english sports“, denen sich die Wittys widmeten. Ernest Witty war ein ausgezeichneter Tennisspieler, und auf dem Tennisplatz lernte er auch Hans Gamper kennen. 1899 ist nicht nur das Gründungsjahr des FC Barcelona, sondern auch des renommierten Real Club de Tennis Barcelona, dessen erster Präsident Ernest Witty wurde und dem weitere Barça-Mitglieder der ersten Stunde angehörten.

Arthur und Ernest Witty wurden auch beim FC Barcelona aktiv, als Spieler wie als erste Mäzene. Über ihr Unternehmen importierten sie Bälle, Tornetze und Schiedsrichterpfeifen. Dies ist der Hintergrund dafür, dass die Vereinsfarben mit ihnen in Verbindung gebracht wurden. Anlässlich des 100. Geburtstags des Klubs im Jahr 1999 behauptete der Sohn Arthur Wittys, sein Vater habe die Farben Blau und Rot für den jungen Klub vorgeschlagen.

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Gampers Faible für den Katalanismus und seine Annäherung an den Katholizismus fördern seine gesellschaftliche Anerkennung in Barcelona, und 1908 wird er zum Präsidenten von Barça gewählt. Anders als Arthur und Ernest Witty will Gamper ein „echter Katalane“ werden. Er lernt Katalanisch, erst anschließend erwirbt er auch spanische Sprachkenntnisse. Der „katalanische Schweizer“ oder „Schweizer Katalane“, wie Gamper auch genannt wird, spricht bald perfekt die Sprache der Region, während sein Spanisch holperig bleibt. Beim FC Barcelona wird Gamper seine Reden ausschließlich auf Katalanisch vortragen. Seinen Vornamen lässt er zu „Joan“ katalanisieren, und im Hause Gamper – das Ehepaar hat zwei Söhne – wird nur noch katalanisch gesprochen.

Es ist Gampers erste von fünf Amtszeiten an der Spitze des FC Barcelona. Der Klub befindet sich zu diesem Zeitpunkt in einer existenzbedrohenden sportlichen und finanziellen Krise und hat viele Mitglieder verloren. Auf der Krisensitzung im Gimnasio Solé, dem Gründungsort Barças, finden sich nur noch 38 Getreue ein. Präsident Vicenc Reig hat nach nur 22 Tagen das Handtuch geworfen. In seiner Abschiedsrede hat Reig den Football Club Barcelona de facto für tot erklärt. In die anschließende Stille fragt ein Spieler namens Carlos Wallace hinein: „Gibt es denn niemanden, der bereit ist, den Klub zu retten?“ Sollte es diese Person doch geben, würden die Spieler sie geschlossen unterstützen. Nun meldet sich Gamper, der sich bis dahin mit der Rolle des Zuhörers begnügt hat, zu Wort. Und sein Statement ist wohl das bedeutendste eines Barça-Mitglieds in der Geschichte dieses Vereins überhaupt, denn ohne die folgende Sätze wäre der FC Barcelona wohl bereits neun Jahre nach seiner Gründung wieder von der Bildfläche verschwunden: „Barcelona kann nicht sterben und muss nicht sterben. Wenn es kein anderer versuchen will, dann übernehme ich ab sofort die Führung des Klubs.“

Gamper gelingt nicht nur die finanzielle Rettung des Klubs, sondern – mit der von ihm mobilisierten Unterstützung lokaler Geschäftsleute – der Bau eines ersten eigenen Stadions in der Carrer de la Indústria mit einem Fassungsvermögen von 6.000 Zuschauern. Das vom Volksmund „L’Escopidora“ getaufte Stadion ist das erste in Spanien mit einer zweistöckigen Haupttribüne und Flutlichtanlage. Hier erwerben Barças Fans ihren Spitznamen Culés (Ärsche). Die letzte Reihe der Zuschauer sucht auf der das Stadion umgebenden Mauer Platz. Für den vorbeigehenden Passanten ergab sich so das Bild aneinandergereihter Hinterteile.

Nach der Bewältigung der Krise betreibt Gamper die Annäherung des FC Barcelona an den politischen Katalanismus. Der Klub will nun als dessen höchster Repräsentant innerhalb des Sports betrachtet werden. Nach 322 Tagen tritt Gamper aus beruflichen Gründen zurück. Er hinterlässt einen auch sportlich gefestigten Verein. In der Saison 1908/09 gewinnt der FC Barcelona ungeschlagen den Campeonato de Catalunya, und auch in den folgenden beiden Spielzeiten 1909/10 und 1910/11 heißt Kataloniens Champion Barça.

1910 erhält der FC Barcelona ein neues Klubemblem, nachdem man sich bis dahin mit der Übernahme des Stadtwappens begnügt hatte, versehen mit der Aufschrift „Football Club Barcelona“. Ein Wettbewerb wird ausgerufen. Es gewinnt der Entwurf des Spielers Carles Comamala, Medizinstudent mit künstlerischen Qualitäten. Das neue Emblem dokumentiert die Verzahnung des Klubs mit Katalonien und dem Katalanismus. Links oben erscheint ein rotes Kreuz auf weißem Grund, das Zeichen des heiligen Georg, katalanisch St. Jordi, Schutzpatron der Liebenden und Kataloniens; rechts oben das Muster der senyera, der katalanischen Flagge, mit ihren rot-gelben Längsstreifen. Den unteren Teil des Emblems bilden die Vereinsfarben des FC Barcelona, angeordnet wie die der senyera, sowie ein Fußball.