Beate M. Weingardt – Freundschaft macht glücklich! – Warum wir Weggefährten brauchen – SCM R.Brockhaus
Beate M. Weingardt – Freundschaft macht glücklich! – Warum wir Weggefährten brauchen – SCM R.Brockhaus

SCM | Stiftung Christliche Medien

Der SCM-Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt

INHALT

Vorwort
1  Freunde in der Not – wer ist ein Freund / eine Freundin?
2  Wie man Freunde gewinnt – zehn praktische Schritte
3  Freundschaft unter Männern, Freundschaft unter Frauen – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
4  Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen einer Freundschaft und einer Ehe / Partnerschaft
5  Die Feinde der Freundschaft
6  Chancen und Glück der Freundschaft
7  Glaube und Freundschaft
Literaturliste (kleine Auswahl)

Vorwort

Freunde und Freundinnen machen uns glücklicher. Sie stärken unsere Gesundheit und verlängern dadurch sogar unser Leben. Wer mindestens drei gute Freunde oder Freundinnen besitzt, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein glücklicher Mensch. Das haben Wissenschaftler herausgefunden. Wunderbar! Beeindruckend! Aber: Wo findet man sie – die Freundinnen und Freunde, die mit uns durch dick und dünn gehen, auf die man sich in Notzeiten verlassen kann, die immer ein offenes Ohr für uns haben? Oder sollten wir besser fragen: Wie findet man sie? Immer mehr Menschen haben auf diese Frage keine richtige Antwort mehr. Schon vor etlichen Jahren schrieb die Zeitschrift „Focus“ in ihrem Leitartikel zum Thema Freundschaft: „Enge Vertraute will fast jeder haben. Doch in der Ego-Gesellschaft scheint man vergessen zu haben, dass man für Freundschaften auch etwas tun muss.“ Und weiter: „Viele Leute kennen viele Leute und haben dennoch keine richtigen Freunde.“1

Stimmt diese Diagnose? Wahrscheinlich. Auch bei aktuellen Umfragen bekunden die Deutschen mit großer Mehrheit, dass nichts im Leben so wichtig sei wie gute Freunde. Ja, Freunde rangieren auf der Werteskala sogar noch vor der Familie – kein Wunder, ist doch die Familie zunehmend auch nicht mehr der sichere Hafen, der sie einmal war! Doch viele der Befragten geben offen zu, dass sie keine engen Freunde haben. Ortswechsel. Auf die Frage: „Wie viele vertraute Menschen haben Sie?“, antworteten 1984 die meisten Menschen mit: „drei“. Häufigste Antwort zwanzig Jahre später: „Keine“. Das ergab eine Studie in Nordamerika, aber eine ähnliche Entwicklung dürfte auch bei uns in Deutschland vonstattengegangen sein.

Wahrscheinlich ist dies der Grund, warum man sie immer häufiger in „Facebook“2 antrifft – die Freunde. Aber das Wort „Freunde“ wird dort (absichtlich?) vollkommen falsch verwendet, denn was man dort damit bezeichnet, sind zunächst schlicht und einfach „Adressen“ oder „Kontakte“. Das Problem, echte Freunde zu finden, bleibt nach wie vor, aber es wird verdrängt.

Wann aber können wir einen Menschen überhaupt als echten Freund oder wahre Freundin bezeichnen (Kapitel 1)? Und warum haben die Frauen hierzulande im Durchschnitt mehr Freundschaften als die Männer (Kapitel 2)? Viele von uns wollen vermutlich gerne beides im Leben haben – einen (Ehe-)Partner und Freunde. Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Freundschaft und Partnerschaft (Kapitel 3)? Doch die spannende Frage bleibt: Warum ist es offenbar heutzutage schwieriger geworden, Freundschaften zu knüpfen und zu pflegen? Was sind die Feinde der Freundschaft (Kapitel 4)? Und wenn es so schwierig ist: Warum sollten wir dennoch alles daransetzen, zeitlebens Freunde zu finden? Weshalb dürfen wir sie, wenn wir sie gefunden haben, mit Fug und Recht zum Kostbarsten in unserem Leben zählen (Kapitel 5)? Am Schluss sollen einige Gedanken über die Verbindungen zwischen dem Glauben an Gott und der Freundschaft stehen. Denn gerade in einer Zeit, in der Freundschaften nicht mehr so leicht zu schließen sind, sind wir Christen besonders gefragt, uns als echte Freunde und Freundinnen zu erweisen.

1   Freunde in der Not – wer ist ein Freund / eine Freundin?

Gib einen alten Freund nicht auf,

denn du weißt nicht, was du am neuen hast.

Ein neuer Freund ist wie junger Wein;

lass ihn erst alt werden, so wird er dir gut schmecken.

Sirach 9, 14 f

  

Eine alte Freundin – da fällt mir meine gute, altbewährte Schulfreundin Gabi ein. Ich war schätzungsweise dreizehn, sie vierzehn, als sie anlässlich einer „Ehrenrunde“ in unsere Klasse kam. Ich, bis dahin ohne wirklich enge Freundin, sah meine Chance: Das ist sie, die treue Seele, die in der Pause einen kleinen, aber flotten Spaziergang mit mir macht und mit meinen Macken nachsichtig ist. Sie war (und ist) so ganz anders als ich: ausgeglichen, geduldig, nachsichtig, friedfertig – für mich die ideale Ergänzung! Und ich täuschte mich nicht. Wenige Jahre später, als ich schwangerschaftsbedingt ein halbes Jahr der Schule fernblieb, war sie meine Stütze, die mir täglich ihre Unterrichtsmitschriften zukommen ließ, sodass ich nicht den Anschluss verlor. Die Freundschaft hat sich bewährt – bis heute. Zwischendurch lag sie etwas auf Eis, weil wir weit voneinander entfernt lebten, doch sie schlief nie ganz ein. Bald sind es vierzig Jahre, seit wir uns kennengelernt haben!

Vielen geht es so wie mir – sie haben alte Freunde und Freundinnen aus Kindertagen oder aus der Schulzeit. Damals teilte man so viel Zeit miteinander, so viele Erfahrungen, dass es leicht war, sich ungezwungen anzunähern, engere Bande zu knüpfen und Freundschaft zu schließen. Doch wie ging es mit den Freunden weiter? Auch in Ausbildung oder Studium lernten und lernen wir viele Menschen kennen, ebenso später in Beruf und Freizeit, bei Ehrenämtern und Elternversammlungen, in der Kur und auf Reisen. Und natürlich ist kein Mensch, dem wir begegnen, ab dem ersten Moment unser Freund oder unsere Freundin. Es gibt vielleicht die Liebe auf den ersten Blick (wobei ich hier auch vorsichtig wäre) – die Freundschaft auf den ersten Blick gibt es selten, allenfalls erleben wir so etwas wie spontane Sympathie oder spontanes Vertrauen.

Echte Freundschaft setzt immer einen Prozess der Annäherung von beiden Seiten voraus, der manchmal sehr rasch, häufiger aber in gemächlichem Tempo seinen Lauf nimmt. Wohl am häufigsten kreuzen sich die Wege bei einer gemeinsamen Aktivität, sei es am Arbeitsplatz oder in der Freizeit. Wer gemeinsam etwas macht und sich dabei auch gelegentlich austauscht, kann sich auch unaufdringlich und unauffällig näher kennenlernen und etwaige weitere Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen entdecken. Aus einem gemeinsamen Interesse ergibt sich meist mühelos ein interessantes Gespräch. Doch wie wird mehr daraus? Folgende Voraussetzungen sollten erfüllt sein:

Wir finden unser Gegenüber grundsätzlich sympathisch, anziehend und interessant. Unsere Zuneigung entdeckt sozusagen einen Widerhaken, an dem sie sich beim anderen festmachen kann.

Wir entwickeln Vertrauen. Das fällt umso leichter, je mehr Erfahrungen wir miteinander machen und je mehr wir uns gegenseitig öffnen, sprich: Nähe schaffen und Nähe zulassen. Behutsamkeit und Einfühlungsvermögen sind hilfreich, um sich dem Tempo des Gegenübers anzupassen – zu stürmische und rückhaltlose Annäherung kann ebenso verprellen wie zu zögerliche und verschlossene Reaktionen.

Wir haben ein Interesse daran, unser Gegenüber näher kennenzulernen. Wer nur passiv abwartet und es dem Zufall überlässt, ob aus Bekanntschaften und Kontakten engere Freundschaften entstehen, geht meistens leer aus. Wichtig ist stattdessen, dass man der Bekannten/dem Bekannten gegenüber Interesse signalisiert.

Schüchternen Menschen mit wenig Selbstbewusstsein fällt es allerdings schwer, offen auf andere zuzugehen. Das macht sie sehr abhängig von der Initiative anderer.

Sind die genannten drei Voraussetzungen erfüllt, werden wir bei näherem Kennenlernen bald herausfinden, ob unser Gegenüber als Freund oder Freundin für uns infrage kommt. Wie in stabilen und zufriedenen Partnerschaften gilt dabei auf die Dauer eher die Regel „Gleich und Gleich gesellt sich gern“. Wir finden leichter zueinander, wenn wir ähnliche Interessen, einen ähnlichen Bildungshintergrund, ähnliche Werte und häufig auch ein ähnliches Alter haben. Durch diese Ähnlichkeiten wird die „gemeinsame Schnittmenge“ vergrößert. Schließlich hat man in ähnlichen Altersklassen oft ähnliche Lebensthemen („Warst du auch schon bei der Vorsorgeuntersuchung? Wie wars?“), und bei ähnlichem Bildungshintergrund hat man häufig ähnlichere Lebensgewohnheiten und Interessen („Die neue Dürer-Ausstellung musst du dir unbedingt anschauen!“). Ähnliche ethische Werte führen oft zu ähnlichen Zielen und ähnlichen Entscheidungen im Leben („Ich reise in kein Land, in dem noch gefoltert wird, und du?“ – „Geht mir genauso!“).

Doch selbst wenn die „Startbedingungen“ erfüllt sind, ist es noch ein weiter Weg von einer Bekanntschaft bis zu einer Freundschaft. Man könnte auch mit den Worten eines Liedes sagen: „Über sieben Brücken musst du gehen …“ – sieben Voraussetzungen sollten – mehr oder weniger – erfüllt sein, damit wir uns selbst oder einen anderen als Freund oder Freundin bezeichnen können:

1. „Ich brauche Unterstützung!“ Bei einem dringenden Problem kann eine Freundin uns jederzeit um Hilfe bitten. So hat es auch Jesus gesehen, denn er sagte einmal zu seinen Zuhörern: „Gesetzt den Fall, jemand unter euch hat einen Freund und geht zu ihm um Mitternacht und sagt zu ihm: , Lieber Freund, leih mir drei Brote, denn ein Freund ist auf der Durchreise zu mir gekommen, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann!’ Stellt euch vor, der Freund würde antworten: , Störe mich nicht! Ich habe schon abgeschlossen, und wir liegen alle schon im Bett; ich kann nicht mehr aufstehen und dir etwas geben!‘“ (Lukas 11, 5-7). – Der von Jesus skizzierte Mensch verhält sich gerade nicht wie ein Freund, weil er in einer Notlage die Hilfe verweigert! Deutlich wird, dass es sich um eine egoistische Verweigerung handelt – der bittende Freund ist dem schon im Bett liegenden Freund das Aufstehen nicht wert. Uns mag es heute unangemessen vorkommen, wegen ein paar fehlender Brote einen Freund aus dem Bett zu holen. Aber im Orient gehört Gastfreundschaft bis heute zu den heiligsten Pflichten eines Menschen. Wer diese Gastfreundschaft nicht praktizieren kann, kommt in eine echte Notlage, die das nächtliche Klopfen an der Tür des „Freundes“ durchaus rechtfertigt. Zur Freundschaft gehört also: dem anderen in Not beizustehen und dabei eigene Bedürfnisse vorübergehend auch zurückzustellen. Dies schließt, wie Jesu Beispiel deutlich macht, auch materielle, ja finanzielle Hilfe mit ein.

Ein Freund gründete vor vielen Jahren eine Firma und fragte, ob ich bereit sei, ihm dafür ein Darlehen zu geben, das er mir mit Zinsen zurückzahlen wollte. Manchen wird hier der Spruch einfallen: „Beim Geld hört die Freundschaft auf!“ Gegenfrage: Was ist das für eine Freundschaft, die beim Geld oder bei materieller Hilfe endet? Es ist eben keine Freundschaft, denn entweder ist der Egoismus dessen, der dem Freund materielle Hilfe verweigert, zu groß, um auch uneigennützig zu handeln. Oder das Misstrauen ist zu groß – wer sagt uns, dass der andere ehrlich ist, dass wir das Geborgte zurückbekommen usw.? Ich habe dem Freund damals die Bitte erfüllt, denn ich vertraute darauf, dass er mir keine wichtigen Informationen vorenthält und sein Vorhaben richtig einschätzt. Ich musste ihm darüber hinaus vertrauen, dass er mich nicht übervorteilen oder betrügen wollte, sondern mir das Geliehene auf jeden Fall in vollem Umfang und Wert zurückgeben würde, sofern es in seiner Macht steht. Und der Freund war bereit, unsere Vereinbarung schriftlich festzuhalten – mit Unterschrift. Doch so sehr ich mich auch absicherte, so musste ich als Freundin doch bereit sein, ein gewisses Restrisiko in Kauf zu nehmen – im schlimmsten Fall: Ich bekomme das Geliehene nicht mehr zurück. Ist es nicht ein bisschen viel verlangt, dass Jesus von seinen Anhängern forderte, genau dieses Restrisiko bewusst einzugehen? Er sagte nämlich: „Wenn ihr nur denen leiht, von denen ihr etwas wiederzubekommen hofft, welchen Dank könnt ihr dafür erwarten? Auch die Menschen, die nicht mit Gott verbunden sind, leihen ihren Mitmenschen in der Erwartung, das Geliehene zurückzubekommen … Ich aber sage euch: Tut Gutes und leiht, wo ihr nicht fest damit rechnen könnt, es zurückzubekommen“ (Lukas 6, 34 f).

Jesus fordert hier ein Verhalten, das von einer Liebe getragen ist, die nicht ständig fragt: „Bekomme ich auch wieder, was ich investiere?“ Es geht um eine Liebe, die sich bewusst auch im Schenken übt. Hier ist die Freundschaft ein gutes Übungsfeld: Ein Freund ist dem Freund gegenüber großzügig