Millie kocht

Konsequenzen-Kuchen

Millies Lehrerin ist Frau Heimchen. Millie hat sie schon seit der ersten Klasse, also bereits das zweite Jahr.

Frau Heimchen ist eigentlich in Ordnung. Oke. Eigentlich … das heißt, Frau Heimchen kann manchmal auch nerven. Wenn Millie zum Beispiel in der Schulstunde lieber mit ihrer Freundin Kucki schwätzen möchte, als ihrer Lehrerin zuzuhören. Oder wenn Millie einen Brief durch die Klasse reichen will. Von Hand zu Hand. Auf dem Brief steht vielleicht: Für Mario und: Geheim! Der Brief, der nur ein zusammengefalteter Zettel ist, wird aber von den meisten Kindern geöffnet und gelesen, bevor er weitergegeben wird. Und dabei kann es passieren, dass der Zettel von Frau Heimchen kassiert wird.

Pech gehabt, Millie!

Dabei steht in Millies Brief an Mario gar nichts Besonderes, manchmal bloß: »Machst du in der Pause beim Gummitwist mit?«

Man braucht zum Gummihüpfen ja drei Leute, Millie, die springt, Kucki, die das zusammengeknotete Gummiband an einer Seite mit den Füßen hält, und einen Doofen, der sich das Band auf der anderen Seite um die Knöchel spannt.

Kucki springt nicht gern. Sie ist klein und dick. Statt zu hüpfen, frühstückt sie lieber. Zum Gummihüpfen braucht man keine Hände, sondern nur die Füße. In der Klasse, wo sie in aller Ruhe essen und trinken sollen, schafft Kucki ihr Frühstück nicht ganz. Kucki ist manchmal eine lahme Ente und oft muss Millie ihr sogar beim Pausenbrot helfen. Das macht sie gerne, denn Kucki hat nie ein Butterbrot dabei, sondern immer ein Streuselstückchen. Hin und wieder tauschen sie auch: Streuselstückchen gegen Salamibrot und Paprika. Streuselstückchen sollte man aber nicht immer essen, sonst bekommt man ein Honigkuchenpferd-Gesicht. Wie Kucki.

Der Doofe, den Millie und Kucki als Gummistrippenhalter finden, ist meistens Mario. Er ist sogar froh, dass er gefragt wird. Besonders beliebt ist Mario nicht. Millie weiß nicht genau, warum das so ist. Manche Dinge sind eben so, wie sie sind.

Heute, nach der Pause, hat Frau Heimchen Millie ganz besonders auf dem Kieker. Aber das Einmaleins mit 5 ist doch pickepackeleicht. Da kann Millie doch ruhig mal nebenbei ein bisschen mit Kucki plaudern. Und die Zauberquadrate löst Millie auch in null Komma nichts. Sie kann Kucki sogar noch helfen. Erst recht beim Einmaleins mit 7, bei dem am Ende ein Lösungswort herauskommen soll.

Findest du heraus, wie der Papagei heißt?

Na klar!

»Quatschkopf«, ruft Millie in die Klasse.

»Jetzt reicht es mir aber«, sagt Frau Heimchen.

Da klingelt es zum Glück zur Pause und sie dürfen raus auf den Hof. Das ist gut so. Millie hat es auch gereicht.

Die nächste Stunde wird hoffentlich besser werden. Sie haben nämlich gerade gelernt, wie man Elfchen dichtet.

Kucki schafft es nie, sich Gedichte aus nur elf Wörtern auszudenken. Mario auch nicht. Millie hat es irgendwann mit Müh und Not kapiert. Aber inzwischen kann sie es mit links. Zum Beispiel:

Kinder

Früh aufstehen

Im Trab laufen

Da ist das Gebäude

Schule

Nach der Pause, zwischen der Rechen- und der Schreibstunde, in der es mit den Elfchen weitergeht, hat Frau Heimchen ein großes Blatt Papier an die Bilderwand geheftet. Vor dem Aushang gibt es nun ein Geschubse und Gestoße, weil alle Kinder natürlich neugierig sind, aber noch nicht so schnell lesen können.

Beinah wie im Chor entziffern sie, was Frau Heimchen da aufgeschrieben hat. Oha!

Konsequenzen bei Fehlverhalten von Schülern
Fehlverhalten Konsequenz
Unterrichtsstörung (Schimpfwörter, rausschreien, laut reden usw.) Gedicht auswendig vortragen oder Gedicht selber machen oder einen Kuchen für die Klasse backen
Spaßkämpfe Gedicht auswendig vortragen
Rennen im Klassenraum Gedicht auswendig vortragen
Handy benutzen Bis zu vier Wochen weg
Abholung nur durch die Eltern

Die Tabelle sollen alle Schüler in ihr Merkheft schreiben, in ihr Mutti-Heft. Na, das ist vielleicht schwer!

»Was ist denn das überhaupt?«, ruft Millie laut. »Komm-sie-quetschen?«

»Genau das meine ich«, sagt Frau Heimchen. »Wir haben feste Regeln, meine Lieben. Falls ihr das noch nicht bemerkt haben solltet. Nicht erlaubt ist zum Beispiel, einfach rauszuschreien oder unnötig mit der Tischnachbarin zu schwätzen. Und so weiter und so weiter. Blödsinn machen. Bei einem Regelverstoß wird das in Zukunft Folgen haben. Konsequenzen.«

Aha.

Und wer muss eigentlich vier Wochen weg? Das Handy oder derjenige, dem das Telefon gehört? Das ist nicht klar, Frau Heimchen!

Vier Wochen weg muss Millie bestimmt nicht. Sie hat gar kein Handy. Jocko hat eins. Der telefoniert dauernd damit. Soweit Millie weiß, war er deswegen noch nie lange weg, auf keinen Fall vier Wochen. Und ohne Handy wäre er verloren.

Fast jeden Tag läuft Jocko Millie vor die Füße. So wie der Uhu. Beide sind schon in der fünften Klasse, alte Knaben. Sie haben im neuen Gebäude Unterricht, gegenüber von Millies Schule. Auf dem Schulhof treffen sie sich ab und zu. Und manchmal verabreden sie sich sogar nachmittags, obwohl beide auch schrecklich nerven können. Fast so wie Frau Heimchen. Die hat sich ja nun wirklich mal wieder was Blödes einfallen lassen.

»Wir fangen mit den Konsequenzen gleich an«, sagt sie. »Millie, gib mir mal dein Merkheft!«

Und was schreibt sie hinein?

Millie hat den Unterricht zum wiederholten Male gestört. Als Konsequenz muss sie ein Gedicht auswendig vortragen oder eins selber dichten oder einen Kuchen für die Klasse backen.

»Bis morgen?«, fragt Millie.

»Bis morgen«, sagt Frau Heimchen.

Na, Prost Mahlzeit.

Ob Mama schimpfen wird? Meistens gibt sie der Lehrerin recht. Zwei gegen einen! Und gegen Mama kommt Millie sowieso nicht an. Mama ist die Stärkere.

Also legt Millie das Merkheft mittags lieber gleich auf den Tisch. Sie schaut Mama dabei gar nicht an.

»Ist was, Millie?«

Nö. Trallalalala.

»Millie?«

Nööö.

»Aha«, sagt Mama, als sie das Merkheft aufschlägt. »Da steht doch eine Mitteilung drin.«

Na und? Trallalalala.

»Tja«, sagt Mama, als sie Frau Heimchens Nachricht gelesen hat. »Wofür hast du dich entschieden?«

»Och«, sagt Millie. »Für den Kuchen.« Den Konsequenzen-Kuchen wird Mama ja bestimmt backen. »Du kannst ja den runden mit den Schoko-Stückchen machen.«

Aber Mama schüttelt den Kopf. »Die Konsequenzen sollst ja du tragen und nicht ich, mein Schatz. Ich stelle dir mein Backbuch zur Verfügung. Lesen kannst du ja schon.«

Was Millie heute für neue Wörter lernt!

Konsequenzen!

Verfügung!

Sonst noch was?

Vielleicht hilft Kucki ihr ja beim Backen. Das wäre prima. Denn auf die kleine Schwester muss Millie nachher auch noch aufpassen. Das ist nicht einfach. Trudelchen ist ja erst drei Jahre alt und kann ganz schön anstrengend sein. Lieber erst mal telefonieren.

Aber klar doch! Kucki ist dabei. Puh, nun ist Millie um einiges wohler.

Noch bevor die Freundin auftaucht, ist die kleine Schwester aus dem Mittagsschlaf erwacht. Millie geht mit ihr in den Garten. Trudel freut sich immer sehr, wenn Millie sich mit ihr in den Sandkasten setzt. Sie sieht die große Schwester erwartungsvoll an.

»Wollen wir Kuchen backen?«, fragt Millie. Was anderes fällt ihr heute nicht mehr ein.

Trudel nickt begeistert. Sie kann mit ihren Förmchen Kuchen backen, so viel sie will. Entenkuchen und Muschelkuchen und Krokodilkuchen.

Der Sand ist ein wenig feucht. Das ist gut so. Dann werden es nämlich prachtvolle Sandkuchen.

Der Sand klebt auch an Trudels Hand.

Und was macht die kleine Schwester? Sie leckt sich den Sand von den Fingern.

»Du, du, du«, sagt Millie streng. »Man darf doch keinen Sand essen. Das ist ba-ba. Hörst du? Ba-ba! Sand ist ungesund!«

Trudel ist trotzig. Sie reißt ein paar Grashalme aus und will sie sich in den Mund stecken. Aber Trudel ist doch keine Kuh! Obwohl das Gras tatsächlich lecker aussieht. Das muss Millie zugeben. Und der saftig grüne Klee im Rasen! Dass man den essen kann, davon hat Millie schon mal gehört. Aber sie würde das nicht tun. Lieber ist ihr schon ein Konsequenzen-Kuchen.

Was Millie am liebsten mittags isst:

Spaghetti mit Tomatensoße

Die Spaghetti einfach in kochendes Salzwasser werfen. Das macht Mama, weil heißes Wasser gefährlich ist. Es kann nämlich spritzen. Am besten nach kurzer Zeit einmal umrühren, damit die Spaghetti-Schnüre nicht aneinander kleben bleiben. Bitte einen Rührlöffel aus Holz nehmen. Einer aus Metall quietscht ganz erbärmlich in den Ohren.

Nicht zu kurz und nicht zu lang kochen lassen. Eine Nudel rausangeln und probieren. Wenn sie okay ist, dann ist sie okay.

Tomatensoße ist auch leicht, pppfff. Man braucht nur eine kleine Zwiebel und ein bisschen Schinken oder Dörrfleisch oder Speck in klitzekleine Würfel zu schneiden. Man muss nicht nachmessen, ob alle Seiten der Würfel gleich lang sind; wenn sie etwas kürzer oder länger oder schief geraten, ist das nicht schlimm.

Etwas Butter in einem Topf heiß machen. Margarine oder Öl geht auch. Oder sonst was Fettes. Sobald das Fett etwas brutzelt, alles hineingeben, vielleicht auch ein bisschen Mehl, damit die Soße nicht so suppig wird. Vor allen Dingen müssen jetzt auch Tomaten in den Topf. Sonst wäre es ja keine Tomatensoße. Tomaten mit oder ohne Schale. Zur Not geht auch Tomatenmark.

Rühren, rühren, rühren. Und eine Prise Salz hineintun und Pfeffer und einen Fingerschnipp Zucker.

Abschmecken. Probieren, abschmecken, probieren. Von hier noch was reintun und von dort noch was reintun. Salz oder Pfeffer oder auch etwas Zitronensaft. Wem das alles noch nicht schmeckt, der kann auch einen Brühwürfel dazugeben. Aber das ist ja keine Kunst.

Schleimi-Schmieri

Mama hat ihr zerfleddertes Koch- und Backbuch zur Verfügung gestellt und sich anschließend verzogen. Sie hat Kucki noch ins Haus gelassen, die atemlos angerannt gekommen ist. Kucki ist ja ein bisschen dick, deswegen schnauft sie auch so, wenn sie sich beeilt. Dass sie ein bisschen dick ist, macht nichts. Sie ist Millies beste Freundin. Die einzige Freundin. Alle anderen sind Jungs. Das ist komisch, aber das hat sich mit der Zeit so ergeben.

»Kann ich euch allein lassen?«, hat Mama noch gefragt.

Ja, ja, Mama.

»Aber wenn ihr Hilfe braucht … Ich bin nebenan.«

Leider will Trudel unbedingt in der Küche bleiben. Sie hat sich schon auf die Eckbank gekniet und schaut wie eine neugierige Ziege von einem zum anderen.

»Was für einen Kuchen wollen wir denn backen?«, fragt Kucki.

Millie hat keine Ahnung. Bloß lecker soll er sein.

Trudel schaut sich in Mamas Kochbuch die bunten Bilder an. Sie zeigt zuerst auf einen Schokoladenpudding und dann auf gelbe Götterspeise mit Bananenstückchen.

»Das ist doch kein Kuchen!«, protestiert Kucki.

Sieht aber trotzdem lecker aus. Würde Frau Heimchen Götterspeise statt Kuchen akzeptieren?

Auf der nächsten Seite steht, wie man Salate zubereitet. Vielleicht ist es leichter, einen Salat zu machen, als Kuchen zu backen.

Gib mal her, Trudel!

Millie muss ein wenig um das Kochbuch kämpfen. »Meins«, behauptet die kleine Schwester. »Meins!«

Stimmt nicht. Das Kochbuch gehört Mama. Und schließlich gewinnt Millie auch den Kampf um das Buch. Es ist ein Tausch. Kochbuch gegen ein altes Gummibärchen, das Millie in der Kramschublade gefunden hat.

Salat kann man mit Gurken und Tomaten und mit Zwiebeln machen. Eventuell sogar mit Pilzen.

»Nee«, meint Kucki. »Mit Pilzen … Das ist kein Salat.«

»Guck hier«, sagt Millie und tippt mit dem Finger auf das Foto im Kochbuch. »Aber ich mag sowieso keine Pilze.«

»Hhhmmm«, macht Kucki. »Pilze sind lecker, wenn sie in der Pfanne gebraten sind. Zum Beispiel Champignons.«

»Ich esse keine Pilze, auch keine Schampinien, weil ich nicht weiß, aus was sie gemacht sind.« Millie sind Pilze nicht ganz geheuer.

»Sind Pilze Pflanzen oder sind es Tiere? Vielleicht sind sie verkleidete Würmer.«

»Verkleidete Würmer?« Kucki zeigt Millie einen Vogel. »Du spinnst ja wohl.«

»Oder sie stammen von den Quallen ab«, macht Millie weiter. »Die sind auch so schwabbeldabbel.«

Kucki verdreht die Augen.

Trudel will das Kochbuch zurückhaben. Sie grapscht danach, aber Millie hält es fest. Trudel schreit los und reißt am Buch, bekommt aber nur eine Seite zu fassen.

Ratsch.

Schöner Mist. Trudel hat einen Riss in die Puddingseite gemacht. Millie versucht schnell, den Riss mit Spucke zu kleben. Vielleicht hält das ja. Und wenn nicht: Das ist Trudelchen gewesen, Mama! Trudel!

Damit die kleine Schwester aus Wut nicht noch das ganze Haus zusammenbrüllt, gibt Millie ihr die Teigschüssel mit dem Rührlöffel, die sie schon bereitgestellt hat.

Anscheinend hat Mama Trudels Geschrei aber doch gehört. Sie steckt den Kopf durch den Türspalt.

»Alles in Ordnung?«

Klar, Mama.

»Wie weit seid ihr denn?« Mama reicht ein Kinder-Backbuch in die Küche. »Falls euch mein Kochbuch zu schwierig sein sollte.«