Sternenfohlen
Kopf hoch, Saphira!
Aus dem Englischen von Ursula Rasch
KOSMOS
Besonderer Dank an Lucy Courtenay
Umschlag- und Innenillustrationen: Carolin Ina Schröter, Berlin
Umschlaggestaltung: Carmen Oberzaucher, Wien
Titel der englischen Originalausgabe:
Linda Chapman: Unicorn School – The Art Contest
© 2009, Working Partners Ltd.
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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-440-13982-0
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
1
Wolkes Horn blitzte und funkelte vor Aufregung. Hastig schluckte sie den letzten Rest Haferbrei hinunter und verbrannte sich dabei die Zunge. Aber das bemerkte sie gar nicht.
„Los, kommt jetzt!“, wieherte sie ihren Freunden zu. „Unsere erste Kunststunde beginnt gleich. Ich will auf keinen Fall zu spät kommen!“
Wolke und ihre Freunde wurden an der Einhornschule in vielen interessanten Fächern unterrichtet: Geschichte, Zaubern und Fliegen. Außerdem lernten sie, mithilfe eines Rosenquarzes zu sehen, was an anderen Orten in Arkadia passierte. Doch Kunst hatten sie vorher noch nicht gehabt. Aber jetzt, im zweiten Schuljahr, würde sich das ändern. Und Wolke konnte es kaum erwarten. Schon immer hatte sie zeichnen und malen lernen wollen.
Sturmwind, ein auffallend großes Einhorn, sah zögernd in seinen erst halb leer gegessenen Eimer mit Frühstücksbrei. „Wir haben genug Zeit“, meinte er. „Außerdem bin ich noch nicht satt.“
„Du hast doch immer Hunger, Sturmwind“, neckte ihn Wolke. „Und wenn wir im Kunstsaal gute Plätze bekommen wollen, dann müssen wir jetzt los. Also, wer kommt mit? Saphira?“ Erwartungsvoll sah sie ihre beste Freundin an. Saphira hatte ihren hübschen Kopf über den Frühstückseimer gebeugt, sodass ihr die Mähne wie ein silberner Wasserfall über die Schultern fiel.
„Saphira ist auch noch nicht fertig“, antwortete Sturmwind an ihrer Stelle. „Hetz uns doch nicht so, Wolke!“
„Ich versteh die ganze Aufregung auch nicht“, mischte sich Mondstrahl, ein gut aussehendes, sportliches Einhorn, ein, während sich Sturmwind wieder seinem Brei widmete. „Ich male und zeichne schon ewig. Das ist doch keine große Sache.“
„Ja, aber immerhin bist du der Prinz von Arkadia“, erwiderte Wolke ungeduldig. „Wahrscheinlich hattest du im Palast schon Zeichenunterricht.“
„Das stimmt“, gab Mondstrahl zu.
„Aber ich habe noch nie irgendetwas gezeichnet“, erklärte Wolke. In Gedanken malte sie bereits ein wundervolles Bild mit einem strahlenden Regenbogen, bunten Blumen und flatternden Vögeln. „Mag nicht doch irgendjemand mitkommen?“, bettelte sie.
„Also, ich bin dabei“, verkündete Stella und schüttelte ihre seidige Mähne. „Ich möchte auch einen guten Platz haben. Außerdem will ich mir besonders schöne Farben aussuchen können. Und wenn wir spät kommen, dann sind vielleicht nur noch irgendwelche langweiligen Farben übrig.“
„Eben“, stellte Wolke zufrieden fest. „Dann nichts wie los!“
Im Kunstsaal warteten noch viel mehr aufregende Materialien auf sie, als sich Wolke vorgestellt hatte. Es gab Röhrchen mit Farben, die wie Edelsteine glitzerten, und Ballen von glänzendem Stoff. Auf den Tischen stapelte sich Papier in allen Farben. Es gab Töpfe mit Kleber und Glitzer, Schachteln mit Federn und überall lagen große Tonklumpen. Sogar unbehauene weiße Marmorblöcke für Skulpturen lagen bereit.
„Wow“, jubelte Wolke. „Ist das toll!“
Wolke und Stella suchten sich ihren Platz vor einem niedrigen Tisch, auf dem Papier, Werkzeug und leere Farbeimer standen.
„Ich würde am liebsten sofort anfangen!“, verkündete Stella.
Allmählich trudelten auch die anderen Einhornschüler im Kunstsaal ein. Saphira, Sturmwind und Mondstrahl kamen zu Wolke und Stella an den Tisch. Wolke drehte sich zu Saphira um und wollte sie fragen, ob sie das alles auch so aufregend fand. Doch zu ihrem Entsetzen sah sie, dass an Saphiras samtiger Nase eine Träne entlangrollte und vor ihr auf den Boden tropfte.
„Was ist denn passiert?“, fragte sie besorgt.
„Ich habe vorhin einen Brief von meinen Eltern bekommen“, schniefte Saphira. „Sie werden noch diese Woche umziehen. Und ich hätte mich so gerne von meiner Weide, meinem Stall und meiner Lieblingseiche verabschiedet. Aber das geht jetzt nicht mehr und das ist ganz schrecklich!“
„Ach, Saphira!“, rief Wolke. Tröstend schmiegte sie sich an Saphira. „Das tut mir wirklich leid!“
Auch Stella drückte ihre rosige Wange an Saphiras Hals. „Umziehen ist immer schlimm“, sagte sie. „Ich habe das oft durchgemacht.“
Saphira lächelte unter Tränen. „Vielen Dank“, schniefte sie. „Ich hab ja gewusst, dass wir umziehen werden. Ich hätte nur nicht gedacht, dass es mir so viel ausmachen würde.“
Alle wandten sich neugierig um, als eine langbeinige, cremefarbene Einhorndame mit ergrauter Mähne in den Kunstsaal trat.
„Herzlich willkommen zur ersten Stunde“, begrüßte sie die Schüler. Sie hatte eine tiefe, wohlklingende Stimme. „Ich bin Flora, eure Kunstlehrerin. Ich werde euch zeigen, wie ihr mit eurem Horn malen und Skulpturen gestalten könnt. Außerdem werde ich euch einen Zauber lehren, mit dem ihr Bilder bewegen und einfach in der Luft aufhängen könnt. Also, dann fangen wir gleich mal an!“
Wolke freute sich, als sie sah, dass Saphira schon wieder lächelte.
„Für eure erste Arbeit könnt ihr euch selbst aussuchen, was ihr machen wollt“, erklärte Flora. Ihr grauer Schweif raschelte hin und her, während sie durch den Zeichensaal lief. „Das Malen funktioniert so ähnlich wie das Schreiben. Dazu müsst ihr euer Horn auf die gewünschte Farbe richten, ehe ihr anfangt. Töpfern und Bildhauerei sind sehr schwierig, daher würde ich euch empfehlen, erst mal ein Bild zu malen.“
Trotzdem trabte Mondstrahl selbstbewusst zu einem der Marmorblöcke hinüber. Er vollführte mit seinem Horn komplizierte Kreise, sodass kleine Gesteinsbröckchen davonflogen. Sturmwind dagegen machte sich an eine einfache Collage. Mit aufgeklebten Federn stellte er einen Vogel dar. Saphira zeichnete Stella.
Und Wolke richtete ihr Horn eifrig auf sieben Tuben mit strahlend bunten Farben, um einen Regenbogen zu malen. Erschrocken schnappte sie nach Luft, als gleichzeitig aus allen sieben Tuben Farbe quoll und vor ihr auf dem Papier landete. Der Anfang des Regenbogens war etwas verkleckst, aber immerhin waren die Farben in der richtigen Reihenfolge.
Flora trat an sie heran. „Wenn du mit Farbe arbeitest, musst du dein Horn darauf richten und dich ganz fest konzentrieren, ehe du den Kopf bewegst“, erklärte sie. „Bemühe dich um möglichst gleichmäßige Striche, dann schaffst du ein einheitliches Bild.“
Wolke richtete ihr Horn auf einen roten Farbklecks. Daraufhin stellte sie sich den perfekten Bogen vor, in dem sich ein Regenbogen wölbt. Erst dann hob sie langsam den Kopf. Erfreut beobachtete sie, wie die Farbe ihrer Bewegung folgte. Wolke brachte einen makellosen roten Bogen aufs Papier. Dasselbe machte sie auch mit allen anderen Farben, bis sie einen wunderschönen Regenbogen gemalt hatte. Dann fügte sie am unteren Rand noch ein paar Blumen hinzu. Stolz trat sie zurück und bewunderte ihr Werk.
Wow!, dachte Wolke. Das habe ich gemacht!
„Sturmwind, das ist toll!“, hörte sie Saphira hinter sich sagen.