Vorwort: The times they are a-changin

Freiheit ist ein schillernder Begriff. Man kann frei sein für etwas und frei von etwas. Manchmal meint Freiheit nur eine Banalität wie die Aufhebung von Geschwindigkeitsbegrenzungen („Freie Fahrt für freie Bürger!“), manchmal so etwas Gravierendes wie die Deregulierung der Märkte, manchmal wird damit ein Land beschrieben, in dem Milch und Honig fließen, in dem die Menschen frei und gleich sind, manchmal ist Freiheit „just another word for nothing left to loose“ – und über den Wolken zumindest soll sie wohl grenzenlos sein, die Freiheit.

 

In diesem Buch geht es um „Freie Archive“, jene seit den 1970er Jahren aus den verschiedenen Bewegungen und Szenen heraus entstandenen Sammelstätten der papiergewordenen Relikte des linken, autonomen, feministischen, antifaschistischen, alternativen (und und und) Spek-trums. Als übergeordneter Begriff für die Archive sozialer und politischer Bewegungen setzt sich seit einigen Jahren in den verschiedenen Milieus und Archivlandschaften die Bezeichnung „Freie Archive“ durch. Wir greifen diesen kurzen und prägnanten Arbeitsbegriff auf, ohne damit sagen zu wollen, alle anderen – von uns als etabliert oder konventionell bezeichneten – Archive seien unfrei. Vielmehr orientieren wir uns daran, dass dieser Sprachgebrauch auch in anderen Bereichen durchaus üblich ist, etwa wenn von der Freien Kulturszene, von Freien Künsterlnnen, Freien JournalistInnen oder, neudeutsch, von freelancern gesprochen wird. Die Freiheit, die hier gemeint ist, birgt durchaus Ambivalentes: Einerseits arbeiten Freie Archive häufig ohne Hierarchien, ihre Entscheidungen fallen selbstbestimmt und zumeist kollektiv und sie unterliegen nicht den Zwängen großer Institutionen; andererseits sind die in diesen Projekten arbeitenden Menschen häufig frei von regelmäßigen Einkünften und arbeiten unter ökonomischen Bedingungen, die keine Gewerkschaft akzeptieren würde.

 

Freie Archive stehen zurzeit vor allerlei Herausforderungen; sie sehen sich gleich mit mehreren – mehr oder weniger bedrohlichen – Entwicklungen konfrontiert:

All diese Herausforderungen treffen die Freien Archive nicht in gutsituierter Behaglichkeit. Fast alle befinden sich in labiler, oft prekärer Situation und haben über die Jahre ihren Laden so gut es ging zusammengehalten. Es sind großartige Sammlungen von hohem kultur- und zeitgeschichtlichem Wert zu den sozialen und politischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts entstanden, aufgebaut mit viel Herzblut und wenig Geld. Abgesichert ist hier fast nichts. Es droht nicht nur vielen ArchivarInnen die Altersarmut, sondern auch den Bewegungen der Geschichtsverlust, künftigen HistorikerInnen der Quellenmangel und der Gesellschaft insgesamt könnte jener Teil ihres Gedächtnisses verlorengehen, in dem die Erinnerungen an Aufmüpfiges, Unbequemes und Nichtkonformes gespeichert wären.

 

Wenn uns daran liegt, dass Freie Archive und ihre Sammlungen eine Zukunft haben, ist es an der Zeit, innezuhalten und einen Blick auf ihre Geschichte und Gegenwart zu werfen – und Schlüsse daraus zu ziehen.

 

Das ist das Anliegen dieses Buches.

Anmerkungen und Dank

Wir arbeiten beide seit etwa 30 Jahren in Freien Archiven und haben dort auch das eine oder andere Netzwerk mit aufgebaut. Bei diesem Buch handelt es sich daher nicht um eine wissenschaftliche Untersuchung, sondern eher um eine Art Praxisbericht, mit dem wir Erkenntnisse und Erfahrungen, die wir im Laufe der Zeit gesammelt haben und aus denen wir unsere Schlüsse ziehen, zur Diskussion stellen. Wir haben außerdem 2011 und 2012 eine Fragebogenaktion durchgeführt, aus der zum einen das elektronische Verzeichnis Freier Archive entstanden ist (www.afas-archiv.de/vda.html), zum anderen vieles daraus in dieses Buch eingeflossen ist. Eingebettet in unsere Beschreibungen, Analysen und Schlussfolgerungen präsentieren wir im dritten Kapitel fünfzehn Beiträge, in denen Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Freien Archiven „aus dem Innenleben“ berichten. Sie schreiben dort von Hoffnungen und Erfolgen, aber auch von Grenzen und Schwierigkeiten; einige beschreiben, warum sie bereits kapitulieren mussten.

 

Selbstredend ist es uns ein Anliegen, Sprache geschlechtergerecht zu verwenden. Wir benutzen das große Binnen-I, in den Beiträgen anderer AutorInnen werden gelegentlich auch andere Formen verwendet.

 

Unser Dank gilt dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen und der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur für die finanzielle Unterstützung des Vorhabens, dem Verlag des Archiv der Jugendkulturen für die Bereitschaft, das Buch zu veröffentlichen, und dem Verband deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA) für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Das Archiv für alternatives Schrifttum stellte die Infrastruktur zur Verfügung, dort und im Archiv der deutschen Frauenbewegung standen uns bei Bedarf auch die Kolleginnen zur Seite. Gespräche und Diskussionen mit den Menschen in und rund um die Netzwerke der Freien Archive, aber auch im VdA, haben viel zur Klärung der Gedanken für dieses Buch beigetragen. Bei der Endfassung des Manuskriptes haben uns Petra Heine, E. Jürgen Krauß, Nina Matuszewski und Jürgen Sickelmann ebenso kritisch wie wohlwollend unterstützt – danke an alle!

 

Duisburg/Kassel/Berlin, den 25. Februar 2013

 

Jürgen Bacia / Cornelia Wenzel