Ein Engel auf Bestellung
Zwei Kurzgeschichten aus dem Buch "Alles Liebe - zum Fest der Hiebe"

Ein Engel auf Bestellung

aus "Alles Liebe - zum Fest der Hiebe"

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ELYSION-BOOKS

Süße Verführung

Emilia Jones

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In einer Hand eine Tasche mit Arbeitsutensilien, in der anderen einen Zettel mit der Adresse, blieb Sarah vor einem geradezu bäuerlich wirkenden Anwesen stehen. Sie befand sich in einem verlassenen Lübecker Hinterhof. Dort, hinter einem alten Holztor, sollte sich eine moderne Confiserie verbergen?

»Das kann doch nicht sein«, seufzte sie. Kopfschüttelnd studierte sie die Notizen auf ihrem Zettel. Doch die Adresse beschrieb exakt die Stelle, an der sie angekommen war.

Immer noch verwirrt, suchte sie nach einer Möglichkeit, sich Einlass zu verschaffen, und fand eine goldene, herabhängende Kordel an der rechten Seite des Tors. Diese diente laut einem Hinweisschild, welches erst auf den zweiten Blick auffiel, als Klingel. Wie irrwitzig! Sarah zog einmal kräftig daran und hörte im Inneren ein dumpfes Glockenläuten erschallen.

Keine Minute später wurde das Holztor unter Ächzen und Quietschen beiseitegeschoben. Eine junge Frau, die so französisch aussah, wie man es sich nur vorstellen konnte, tauchte auf. Das schwarze Minikleid modern und schick, die haselnussbraunen Haare zu einem lockeren Knoten am Hinterkopf zusammen gesteckt und das Make-up im perfekten Maße proportioniert. Ihre knallroten Lippen wirkten voll und sinnlich und ließen Sarah an alles andere als ihren Job als Konditorin denken, den ihr Gegenüber ja eigentlich erfüllen sollte.

»Hallo. Sie wünschen bitte?«, begrüßte die Frau sie mit starkem Akzent.

»Sarah Baumann. Ich sollte …«

»Ah!« Die Französin klatschte einmal in die Hände. »Mademoiselle Baumann. Willkommen in der Confiserie Magnifique! Wir haben Sie schon erwartet. Kommen Sie … Kommen Sie.«

Sarah folgte ihr durch den kurzen Eingangsbereich um eine Ecke und wurde augenblicklich von dem strahlenden Anblick des darauf folgenden Flures verblüfft. Ein Traum aus weißer Stuckwand und rosafarbenen Rosen tat sich vor ihr auf. Die Ranken reichten vom Boden bis hinauf an die Decke. Als sie näher kam und einen genaueren Blick darauf werfen konnte, stellte sie fest, dass es keine echten Blumen waren, die dort wuchsen.

»Jede einzelne dieser Blumen ist aus Marzipan. Das hat Stil, nicht wahr?« Die Französin zwinkerte ihr zu. Sie blieb am Ende des Flures stehen und wies der noch immer anerkennend nickenden Sarah den Weg in die Werkstatt.

»Dort entlang, bitte. Laetitia wird Sie in Empfang nehmen.«

Laetitia. Sarah erinnerte sich an das freundliche Telefongespräch mit ihr.

Laetitia Martin war eine Koryphäe im Bereich der Marzipan-Kunst und es galt als besondere Ehre, von ihr zu einem ihrer ausgefallenen Projekte eingeladen zu werden. In diesem Jahr hatte sie die Herstellung einer zuckersüßen Winter-Weihnachts-Welt geplant. Für Sarah ein doppelter Grund zur Freude. Sie schätzte das Angebot ebenso sehr wie sie die Weihnachtszeit liebte.

Die Meister-Konditorin begegnete ihr in einem rosa Rüschenkleid mit weißer Rüschenschürze darüber. Ihre Füße steckten in halsbrecherisch hohen Pumps, ebenfalls in Rosa. Sarah rätselte, ob sie ihren Arbeitsalltag tatsächlich in diesen Schuhen bestritt. Aber schließlich war sie Französin und wollte das offenbar auf diese Art beweisen.