Die Ritter von Wildenstein

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2015.

Inhaltsverzeichnis

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DIE RITTER VON WILDENSTEIN

Copyright

Verschwörung gegen Baron Wildenstein

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Der Hund des Unheils

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Wolfram und die Raubritter

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Gefangen in der belagerten Stadt

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DIE RITTER VON WILDENSTEIN

Tatort Mittelalter 1-4

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 440 Taschenbuchseiten.

Historisches Abenteuer: Alle vier Abenteuer in einem Band!

Tatort Mittelalter - Die Abenteuer des jungen Wolfram von Hauenfels, der auf Burg Wildenstein als Page die Ausbildung zum Ritter beginnt.

Dieses Buch enthält folgende vier Romane:

Verschwörung gegen Baron Wildenstein

Der Hund des Unheils

Wolfram und die Raubritter

Gefangen in der belagerten Stadt

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author / Cover: Steve Mayer

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Verschwörung gegen Baron Wildenstein

Graf Gernot, der Lehnsherr von Baron Wildenstein, will ein kostbares Evangeliar abholen. Doch das wertvolle Buch mit den sieben Siegeln ist verschwunden. Damit der Baron nicht beim Grafen in Ungnade fällt, setzt der 10-jährige Page Wolfram alles daran, das kostbare Buch wieder zu beschaffen. Gemeinsam mit seinen Freunden stellt er dem Dieb während eines großen Ritterturniers eine Falle.

1

Ein Fauststoß traf Wolfram mitten auf der Brust. Er taumelte zurück, konnte das Gleichgewicht nicht mehr halten und fiel in das hohe Gras.

“Das war gemein!”, rief Wolfram. “Hundsgemein!”

“Wie alt willst du sein? Zehn Jahre?”, höhnte eine raue Stimme, die daraufhin in Gelächter ausbrach.

“Es war unfair, Ansgar!”, rief Wolfram wutentbrannt. Er rappelte sich auf und stand im nächsten Moment wieder auf den Beinen. Das Gras strich er sich von seinem groben Wams. Sein Kopf war hochrot. Er ballte erneut die Fäuste.

“Es war keineswegs unfair”, sagte Ansgar. Er hob das Kinn dabei. “Du hast einfach nicht aufgepasst! So war es!”

“Lügner!”

“Willst du jetzt, dass ich dir beibringe, wie man mit Fäusten kämpft – oder willst du es nicht?”

Wolfram atmete tief durch. “Natürlich will ich es!”

“Dann musst du dir so etwas ab und zu gefallen lassen!” Wolfram schimpfte leise vor sich hin. Er war der jüngste Sohn des Barons Ludwig von Hauenfels. Im Alter von sieben Jahren war Wolfram von seinen Eltern fortgegeben worden. Jetzt war er zehn. Er sollte bei dem befreundeten Burgherrn Baron Norbert von Wildenstein ausgebildet werden. Eines Tages würde er den Ritterschlag erhalten, aber bis dahin lag noch ein langer Weg vor ihm. Zunächst hatte er seinem Burgherrn als Page zu dienen. Als solcher lernte er, wie man sich an einem Hof “höflich” verhielt. Er musste seinen Herrn bedienen und für ihn als Laufbursche arbeiten. In dieser Zeit lernte ein Page unter anderem reiten, schwimmen und den Kampf mit Fäusten.

Der 14jährige Ansgar war schon einen Schritt weiter. Er war nun Knappe. Das bedeutete, dass seine eigentliche Ausbildung als Ritter begann. Ein Knappe lernte mit Schwert und Bogen zu kämpfen. Außerdem musste er sich um Pferd und Ausrüstung des Ritters kümmern, dem er zugeteilt war. Wenn es zur Schlacht kam, so ritt er an dessen Seite.

“Ein paar Tage erst bist du nicht mehr Page und schon bildest du dir etwas darauf ein!”, rief Wolfram ärgerlich.

Seit Wolfram als Siebenjähriger nach Burg Wildenstein gekommen war, waren die beiden Jungen befreundet. Ansgar hatte Wolfram vieles gezeigt. Schließlich war er in der Pagenausbildung schon weiter fortgeschritten gewesen. Aber seitdem Ansgar ein Knappe war, glaubte er wohl, etwas Besseres zu sein.

Jedenfalls spürte Wolfram sehr deutlich, dass sich nun etwas zwischen ihnen verändert hatte. Und das gefiel ihm ganz und gar nicht.

Ansgars Haltung entspannte sich etwas. Er stemmte die Hände in die Hüften. “Du musst schon zugeben, dass zwischen einem Pagen und einem Knappen ein gewisser Unterschied besteht und solltest froh sein, dass ich mich überhaupt noch mit dir abgebe!”

“Ach!”

“Zum Beispiel kämpfe ich mit richtigen Waffen – und nicht mit Spielzeugschwertern! Und dass ich mich noch beim Faustkampf mit dir im Dreck suhle, tue ich nur, weil wir Freunde sind!”

“Kein zukünftiger Ritter sollte seine Freunde mit Hochmut behandeln!”, belehrte ihn Wolfram.

Diese Erwiderung trieb nun Ansgar die Zornesröte ins Gesicht. “Du kleiner Page willst mir sagen, was ein Ritter zu tun hat und was nicht?”, rief er empört.

“Sei ehrlich! Ein richtiges Schwert hast du bis jetzt noch nicht einmal halten, geschweige denn damit kämpfen dürfen!”, hielt ihm Wolfram entgegen, der sehr genau merkte, dass er den wunden Punkt seines Gegenübers getroffen hatte.

“Na, warte!”, knurrte Ansgar.

Wolfram wollte schon vor dem viel größeren und stärkeren Ansgar davonrennen, aber in diesem Moment lenkte beide Jungen der herannahende Hufschlag eines galoppierenden Pferdes ab.

Ein Reiter kam in wildem Ritt herangeprescht.

Kurz bevor er Ansgar und Wolfram erreichte, zügelte er sein Pferd. Es stieg dabei wiehernd auf die Hinterbeine. Aber der Reiter war geschickt und konnte es sofort wieder bändigen.

Im Sattel saß Herward, einer der älteren Knappen, die auf Burg Wildenstein ihren Dienst taten. Nicht mehr lange und man würde ihn gewiss zum Ritter schlagen. Schon mehrfach hatte er seinen Herrn, den Ritter Dietrich von Marksgrund, in die Schlacht begleitet und an seiner Seite gekämpft. Die jüngeren Knappen und Pagen hatten mit glühenden Ohren seinen Erzählungen gelauscht. Wolfram hegte allerdings den Verdacht, dass nicht alles davon der reinen Wahrheit entsprach.

Herward hatte helles Haar und ein vorspringendes Kinn.

Er deutete zu den Anhöhen, die ganz in der Nähe lagen. Auf der höchsten von ihnen ragten die grauen Mauern von Burg Wildenstein empor, dem Herrensitz von Baron Norbert. “Euer Burgherr wünscht, dass sich alle im großen Saal einfinden!”

“Und da schickt er extra dich, um einen Pagen und einen Knappen in die Burg zu beordern?”, fragte Wolfram.

“Werd nicht frech, Kleiner”, sagte Herward im Scherz. Er lachte und schüttelte den Kopf. “Nein, ich bin nicht euretwegen hier, sondern weil ich eine Botschaft zum Kloster St. Ingbert zu bringen habe. Aber ihr beide macht euch besser auf den Weg zur Burg, wenn ihr nicht den Zorn Baron Norberts heraufbeschwören wollt!” Damit riss Herward sein Pferd herum und drückte ihm die Fersen in die Seiten. Sporen besaß Herward noch nicht. Die bekam er – zusammen mit einem eigenen Schwert – erst, wenn er sie sich verdient hatte und zum Ritter geschlagen wurde.

Herward preschte mit seinem Pferd davon.

“Angeber!”, knurrte Ansgar. “Tut so, als wäre es sein Pferd – dabei ist es nur das Lasttier seines Ritters!” Ansgar musterte Wolfram einige Augenblicke lang. Dann streckte er dem Kleineren die Hand entgegen. “Vergessen wir unseren Streit!”, meinte der Knappe.

Wolfram ergriff die Hand. “Aber du zeigst mir bei Gelegenheit noch deine Täuschungslist beim Faustkampf!”

“Ehrensache, Wolfram!”

“Gut!”

Sie blickten in Richtung der Burg.

Etwa eine halbe Stunde brauchte man zu Fuß bis dorthin.

“Besser, wir machen uns auf den Weg”, sagte Wolfram.

2

Baron Norbert von Wildenstein war ein großer, breitschultriger Mann. Er trug ein edles Wams, darüber ein Gewand, auf das seine Frau Margarete, die Burgherrin, das Familienwappen aufgestickt hatte: eine blaue Falkenklaue auf rotem Grund. Darunter eine keilförmige Linie, die für den Wildenstein stand – jene Anhöhe, auf der die Burg errichtet war.

An der Seite trug Baron Norbert sein Schwert. Die Linke hatte er um den Griff gelegt. Etwas ungeduldig setzte er sich neben seine holde Frau Margarete. Er hatte das Burgpersonal zusammenrufen lassen, um ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen, aber es dauerte eine Weile, bis alle Ritter und Knappen, alle Pagen und Pferdeknechte anwesend waren.

Wolfram stellte sich zu den anderen Pagen, während Ansgar sich zu den Knappen und Rittern gesellte. Außerdem wurden auch alle Wachtmeister und Burgmannen zusammengerufen. Das waren einfache Krieger, die im Gegensatz zu den Rittern keine Adeligen waren. Ein Page wie Wolfram musste zwar seinen Burgherren und dessen Frau oder einen Ritter bedienen, aber er stand im gesellschaftlichen Rang über jedem Wachtmeister oder Burgmann. Selbst dem Schreiber, der für Baron Norbert tätig war und alles aufschrieb, was sein Herr ihm diktierte, war Wolfram bereits auf Grund seiner adeligen Herkunft übergeordnet.

Der Saal füllte sich. Gaukler und Musikanten fanden sich ein, außerdem das Küchenpersonal, das aus über zwanzig Personen bestand. Es wurde vom Küchenmeister angeführt. Der Kellermeister verwaltete die gut gefüllten Vorratskammern der Burg.

Außerdem gab es noch mehrere Köche, Saaldiener und Küchenmägde, sowie weitere Hilfskräfte. Darunter viele elternlose Kinder, die Baron Norbert bei sich aufgenommen hatte. Als Ritter hatte er die Verpflichtung, Witwen und Waisen zu schützen.

Unter diesen Küchenkindern war ein Mädchen mit dunkelbraunen Haaren. Es hieß Maria und trug ein fleckiges Kleid aus Leinen, das vor ihm schon ein anderes Küchenmädchen getragen hatte, das im letzten Winter an einer Lungenentzündung gestorben war.

Maria wandte den Kopf und sah plötzlich in Wolframs Richtung. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht.

Wolfram erwiderte dieses Lächeln.

Er war Maria immer wieder mal begegnet, seit das Mädchen in der Küche des Barons lebte, und hatte sich mit ihr unterhalten. Daher wusste er, dass ihre Eltern an den Pocken gestorben waren. Wolfram mochte sie. Ihre langen dunkelbraunen Haare gefielen ihm ebenso wie das freundliche Lächeln, das um ihre Lippen spielte. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die vor ihm stehenden Pagen hinwegblicken zu können.

Ein Raunen ging durch den Saal.

Als einer der Letzten erschien Kaplan Servatius. Er war der Pfarrer der Burgkapelle und hielt jeden Sonntag den Gottesdienst.

Nach ihm schlich sich nur noch der Abortreiniger durch einen Nebeneingang herein.

Seine Aufgabe war es, die Toiletten zu säubern, die man Aborte nannte. Aber obwohl seine Arbeit für alle in der Burg wichtig war, nahm er zusammen mit den Laufburschen und Kerkermeistern den niedrigsten Rang ein und wurde am meisten verachtet.

Für den Kaplan machten alle Anwesenden Platz. Er wurde von einem Dorfgeistlichen und Almosenpfleger begleitet, der für die Versorgung der Armen zuständig war. Die Männer stellten sich vor die Pagen, sodass Wolfram der Blick sowohl auf Baron Norbert als auch auf Maria verstellt wurde.

So ein Mist!, dachte der Junge. Er drängelte sich etwas nach links durch die Menge und kam so in die Nähe der Ritter und Knappen.

Auch von hier aus hatte er keine bessere Sicht. Aber das war nun nicht mehr zu ändern. Baron Norbert erhob sich nämlich von seinem Platz und machte eine gebieterische Geste.

Es wurde totenstill im Saal.

Man hätte in diesem Augenblick die Stecknadel einer der zahlreichen Näherinnen fallen hören können, die für die Instandhaltung der Kleider zuständig waren.

Baron Norbert ließ den Blick umherschweifen. Schließlich begann er zu sprechen.

“Ich habe alle hier zusammengerufen, weil ich euch über eine sehr wichtige Sache in Kenntnis setzen möchte!”, verkündete der Burgherr. “Wie vielleicht der eine oder andere schon gehört hat, arbeiten die Mönche des nahen Klosters St. Ingbert seit gut einem Jahr an einer Bibelabschrift, die Graf Gernot von der Tann in Auftrag gegeben hat. Nun sind die fleißigen Schreiber im Kloster früher mit ihrer Arbeit fertig geworden und daher hat Graf Gernot seinen Besuch angekündigt.” Baron Norbert atmete schwer. Die Anspannung war ihm anzusehen. Graf Gernot war nämlich sein Lehnsherr. Er hatte Burg Wildenstein und das umliegende Land Baron Norbert geliehen. Dafür hatte Norbert dem Grafen Treue schwören müssen. Im Fall eines Krieges hatte er ihm im Kampf zu folgen. Falls der Baron seine Pflichten dem Grafen gegenüber nicht erfüllte, konnte dieser einen anderen Ritter die Herrschaft über Burg Wildenstein geben.

“Dass Graf Gernot jeden nur erdenklichen Beweis unserer Gastfreundschaft genießen soll, versteht sich von selbst!”, rief Baron Norbert. “Die besten Speisen und Getränke sollen unserem Lehnsherrn aufgetischt werden und die Gaukler und Musikanten sollen auf der Stelle damit beginnen, sich ein besonders einfallsreiches Programm auszudenken!”

Gemurmel entstand unter den Anwesenden.

Der Besuch des Lehnsherrn bedeutete für alle viel Arbeit und Ärger. Denn jeder wusste, dass Baron Norbert und seine Frau Margarete alle Vorbereitungen besonders kritisch beaufsichtigen würden.

Norbert hob erneut die Hand.

Das Gemurmel legte sich.

“Es ist außerdem geplant, zum Anlass dieses hohen Besuchs ein festliches Turnier abzuhalten. Die Ritter mögen ihre Knappen dazu anhalten, die Rüstungen bis dahin auf Hochglanz zu bringen, und gut trainieren!” Norbert lächelte und fügte noch hinzu:

“Schließlich würde es einen schlechten Eindruck machen, wenn sich unsere Mannen gegen die Kämpfer des Grafen blamierten!”

Hier und da wurde unter den Rittern des Barons eine Faust geballt. Die Aussicht auf ein Turnier schien sie zu erfreuen. Das bedeutete nämlich seit langer Zeit einmal wieder eine Abwechslung von dem alles in allem nicht gerade aufregenden Alltag auf Burg Wildenstein.

“Ein besonderes Wort gilt Wachtmeistern und Burgmannen”, ergriff Norbert wieder das Wort. “Während des Besuchs unseres Lehnsherrn ist besondere Wachsamkeit geboten! Ich brauche niemandem zu sagen, wie hoch der Wert dieser Bibel ist. Man kann sie in Gold nicht aufwiegen. Alle Schätze, die mein Kämmerer verwaltet, reichen nicht, um sie zu bezahlen! Es kann gut sein, dass Diebe die Gunst der Stunde zu nutzen versuchen, wenn das Buch aus den sicheren Klostermauern nach Burg Wildenstein gebracht und Graf Gernot übergeben wird! Jeder ist aufgerufen, die Augen offen zu halten!”

Das Stimmengewirr übertönte für einen Moment die Worte des Barons.

“Wenn wirklich Diebe dieses Buch in ihre Gewalt brächten, würde Baron Norbert sicher nicht mehr lange Herr auf Burg Wildenstein sein!”, hörte Wolfram einen der Ritter sagen. “Er hätte dann kläglich dabei versagt, seinen Lehnsherrn zu schützen!” Wolfram drehte sich um, weil er sehen wollte, welcher Ritter dies gesagt hatte.

Es war Ferdinand von Walden, ein breitschultriger Mann mit schwarzem Bart, der beim letzten großen Turnier als Sieger hervorgetreten war.

“Es gibt ein Gerücht”, sagte ein anderer Ritter. Er hieß Bernhard von Terne und trug das blonde Haar schulterlang.

“Wovon sprecht Ihr, Bernhard?”, hakte Ferdinand von Walden nach.

Bernhard von Terne sprach jetzt in gedämpftem Tonfall weiter – aber immer noch laut genug, dass Wolfram alles mitbekam. “Ich habe gehört, dass es einen heißen Anwärter auf die Nachfolge von Baron Norbert gibt!”

“Wen denn?”

“Erich von Wendlingen. Graf Gernot ist ihm mehr als einen Gefallen schuldig, weil Erich ihn bei einem Überfall von Raubrittern vor der Gefangenschaft oder Schlimmerem bewahrte. Er soll darauf brennen, endlich ein Lehen übertragen zu bekommen, aber zurzeit ist keines für ihn frei!” Noch einmal erhob sich die Stimme des Burgherrn. Baron Norbert forderte alle auf, ihr Bestes zu geben. Dann beendete er die Versammlung.

3

Wolfram strömte mit den meisten anderen, die an der Versammlung teilgenommen hatten, ins Freie. Vor dem Palas, wie man das Herrenhaus auch nannte, verstreuten sich die Burgleute auf dem inneren Hof, der von einer hohen Ringmauer umgeben war.

Dahinter lag die Vorburg, die nochmals von einer Mauer umgeben wurde. Selbst wenn die Vorburg schon durch Angreifer erobert sein sollte, konnte man den inneren Burghof noch lange verteidigen.

Wolfram blickte sich um.

Einige der Ritter und Burgmannen standen in kleineren Gruppen zusammen und berieten lautstark über das, was Baron Norbert ihnen mitgeteilt hatte.

Die Meinungen gingen dabei stark auseinander.

Manche der Ritter glaubten, es sei vollkommen ausgeschlossen, dass sich jemand erdreisten würde, das wertvolle Buch zu stehlen. Schließlich sei es doch derart einzigartig, dass man es in der näheren Umgebung niemals zum Kauf anbieten konnte!

Der Baron mache sich also völlig umsonst Sorgen.

“Hier in der Gegend kann man es vielleicht nicht zum Kauf anbieten”, stimmte Ritter Ferdinand von Walden zu. “Aber wenn es einem Dieb gelänge, diese Bibelabschrift in einen weit entfernten Landstrich zu bringen, könnte das schon ganz anders aussehen.” Wolframs Blick fiel auf das große Tor, das den inneren Burghof von der Vorburg trennte. Das Fallgatter war hochgezogen. Zwei mit Schwert und Hellebarde bewaffnete Burgmannen standen dort als Wachen. Jeder, der in den inneren Burghof gelangen wollte, wurde von ihnen in Augenschein genommen.

Ein Hund rannte zwischen ihnen hindurch. Sein Fell war ziemlich zerzaust. Eine rechte Promenadenmischung war er.

Wolfram kniete nieder und breitete die Arme aus. Der Hund lief geradewegs auf ihn zu. “Kaspar!”, rief der Page. Der Hund erreichte ihn, wedelte dabei mit dem Schwanz und schien sich unbändig zu freuen, Wolfram wieder zu sehen. “Kaspar, wo hast du nur so lange gesteckt?”

Der Hund antwortete mit einem lauten Bellen, sodass sich sogar einige der sich noch immer lautstark unterhaltenden Ritter umdrehten.

Wolfram kraulte dem Tier das Fell. Kaspar wiederum schleckte dem Pagen einmal mitten übers Gesicht, ehe der Junge den Kopf zurückziehen konnte.

“Nur schade, dass du alter Streuner nicht sprechen und mir von deinen Wanderungen berichten kannst”, bedauerte der Junge, was der Hund abermals mit einem kurzen Aufbellen bestätigte.

Kaspar gehörte zu den unzähligen streunenden Hunden, die innerhalb und außerhalb von Burg Wildenstein lebten. Wolfram hatte sich mit ihm angefreundet und ihm seinen Namen gegeben: Kaspar, nach einem der heiligen drei Könige aus der Weihnachtsgeschichte.

Manchmal ließ er sich tagelang nicht blicken, so wie in letzter Zeit. Aber bis jetzt war er stets irgendwann zurückgekehrt.

Wolfram erhob sich.

Kaspar hielt sich dicht an seinen Beinen.

Einige Meter von Wolfram entfernt stand Maria und beobachtete ihn.

“Hallo”, sagte Wolfram und kraulte den Hund noch einmal hinter den Ohren.

“Kaspar war ein paar Tage nicht da. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht.” Sie lächelte. “Hört er eigentlich auf dich?”, fragte sie.

Wolfram hob die Schultern. “Ein bisschen.”

“Na ja, ein Hund ist ja kein Falke.”

Wolfram trat etwas näher auf sie zu. “Glaubst du, du könntest ein paar Küchenabfälle für Kaspar abzweigen?”, fragte er in gedämpftem Ton.

“Bist du verrückt? Was glaubst du, was der Küchenmeister mit mir macht, wenn das herauskommt!”

“Ich dachte ja nur ... Kaspar sieht ziemlich verhungert aus!”

“Nach dem, was uns Baron Norbert gerade gesagt hat, wird es in den nächsten Tagen sicher besser – sowohl für Hunde als auch für uns Küchenkinder!”, meinte Maria zuversichtlich.

Wolfram sah sie erstaunt an. Er begriff nicht, was das Mädchen damit meinte.

“Wieso das?”, fragte er.

Ihre Augen blitzten. “Na ist doch klar! Wenn Graf Gernot mit seinem Gefolge zu Besuch kommt, wird der Baron ihm nur das Beste vorsetzen wollen.”

“Ja, und?”

“Dann wird all das weggeworfen, was ansonsten für die hohen Herrschaften bestimmt gewesen wäre. Und das bekommen dann wir.” Sie beugte sich nieder. “Da wird gewiss auch etwas für deinen Kaspar dabei sein.”

“Es wäre nett, wenn du an ihn denken würdest.”

“Ein Hund sollte sich selbst ernähren können, Wolfram. Das sagt jedenfalls unser Küchenmeister.”

Einige der anderen Pagen standen in der Nähe des Tores. Sie tuschelten miteinander.

“Wolfram, kommst du mit uns?”, rief einer von ihnen.

Er hieß Thomas und war etwas älter als Wolfram.

Einige der anderen Jungen grinsten. Einerseits deshalb, weil Wolfram mit einem Mädchen sprach. Aber das war in ihren Augen nicht der eigentliche Anlass, sich über ihn lustig zu machen. Sie alle waren als Pagen von adeliger Herkunft. Ihre Väter waren Ritter. Maria hingegen war nur eine mittellose Waise ohne Rang in der Gesellschaft.

Zwar gehörte es zu den Pflichten des Burgherrn – und jeden anderen Ritters! – Armen und in Not Geratenen zu helfen, aber das bedeutete nicht, dass diese Menschen besonders geachtet wurden.

“Ich gehe wohl besser”, flüsterte Maria.

“Wieso denn?”, widersprach Wolfram.

“Na, du siehst doch, wie sie herumfeixen!”

“Das ist mir gleichgültig.”

“Außerdem wartet der Küchenmeister. Nach den Ankündigungen unseres Burgherrn gibt es sicher jede Menge Arbeit für uns.”

“Graf Gernot wird doch nicht schon morgen mit seinem Gefolge hier eintreffen!”

“Aber wenn erst ein Herold durch das große Burgtor geritten kommt, um das Erscheinen des Grafen anzukündigen, ist es zu spät”, erwiderte das Mädchen. “Die Sache ist doch ganz einfach: Der Burgherr hat Angst vor seinem Lehnsherrn und der Küchenmeister vor dem Burgherrn.”

“Und du vor dem Küchenmeister!”

“Nicht ohne Grund! Wir wären verloren, wenn wir nicht durch die Küche des Barons versorgt würden. Das kann sich ein so hochwohlgeborener Rittersohn vielleicht nicht vorstellen ...”

“Nun fang du nicht auch noch damit an!”

Kaspar ließ ein Bellen hören, als wollte er einen Streit verhindern.

“Ich muss jetzt wirklich los”, sagte Maria. “Und was deinen Kaspar angeht, so werde ich sehen, was ich für ihn tun kann!”

“Danke.”

Maria beugte sich nieder und strich Kaspar durch das zerzauste Fell, in dem noch Getreidehalme und Gräser hingen. “Ja, wenn du der edle Jagdhund einer Herrschaft wärst, hättest du mehr und besser zu essen als die meisten Menschen. Aber da du nun einmal nur ein zotteliger Streuner bist, musst du mit dem zufrieden sein, was übrig bleibt.”

Der Hund bellte und wedelte mit dem Schwanz.

“Na, komm schon mit mir”, gab Maria schließlich nach. “Vielleicht finde ich ja noch was für dich ...”

4

Wolfram sah Maria noch einen Augenblick nach. Der Hund schien begriffen zu haben, dass er in ihrer Gesellschaft etwas Essbares oder wenigstens einen Knochen erwarten konnte. Also folgte er ihr auf dem Fuß.

Thomas kam näher. Er verschränkte die Arme vor der Brust.

Die anderen Jungen blieben etwas abseits.

“Du bist mir noch eine Revanche im Tricktrack schuldig!”, behauptete er.

Tricktrack war ein Brettspiel, das viele Jahrhunderte später unter dem Namen Backgammon noch immer sehr beliebt sein sollte.

“Ich habe keine Zeit, um Tricktrack zu spielen”, erwiderte Wolfram.

“Du spielst wohl lieber mit Küchenkindern, was?” Die anderen lachten.

“Vielleicht weiß Wolfram einfach nicht, wo er hingehört”, meinte einer der anderen Pagen.

Thomas nickte. Er kam Wolfram noch etwas näher und blickte an ihm herab. Um einen halben Kopf überragte er Wolfram.

“Was glaubst du wohl, was unser aller Burgherr dazu sagen wird, wenn er erfährt, dass einer seiner Pagen sich mit Lumpengesindel herumtreibt?”, knurrte Thomas.

“Er selbst hat diese Leute aufgenommen. Also wird er nicht allzu schlecht über sie denken”, erwiderte Wolfram trotzig.

“Wer weiß, vielleicht ist dein Vater in Wahrheit ja auch gar kein Ritter, sondern ein dahergelaufener ...” Weiter kam er nicht.

Wolfram hatte blitzschnell zu ein paar Faustschlägen ausgeholt und genau auf die Art zugeschlagen, wie Ansgar es bei ihm selbst gemacht hatte.

Thomas war vollkommen überrascht. Er fiel auf den Rücken.

Die anderen wichen zurück.

Dass Wolfram einen Älteren auf das Pflaster des inneren Burghofs geworfen hatte, musste sie mächtig beeindruckt haben. Jedenfalls traute sich keiner an ihn heran.

Selbst die immer noch in hitzige Gespräche verwickelten Ritter und Knappen waren jetzt auf die Jungen aufmerksam geworden.

“Sehen wir da etwa einen vorweggenommenen Turnierkampf?”, spottete Ferdinand von Walden, woraufhin Gelächter ausbrach.

“Na warte, das bekommst du noch zurück!”, zischte Thomas. Er erhob sich und ging wutentbrannt davon.

Einer der anderen Pagen wandte sich an Wolfram. Sein Name war Siegfried. Er war gerade erst acht Jahre alt geworden und hatte nun sein erstes Jahr als Page hinter sich.

“Ich glaube, du hast dir keinen Freund gemacht”, stellte er fest. “Gestern hast du ihn im Tricktrack besiegt und heute wirfst du ihn auf die Pflastersteine!” Wolfram zuckte die Achseln. “Ich glaube, bei dem könnte ich machen, was ich wollte! Dieser Kerl glaubt einfach, dass er etwas Besseres ist!” Wolfram blickte sich um. Einige der Jungen standen fest auf Thomas’ Seite. Die anderen waren entweder unparteiisch oder schlugen sich auf die Seite dessen, der jeweils gerade stärker zu sein schien.

“Vielleicht spielst du ja mit uns eine Runde Tricktrack”, schlug Siegfried vor.

Aber Wolfram schüttelte entschieden den Kopf. “Nein, ich habe noch etwas vor.” Ein Junge mit rötlichen Haaren meldete sich zu Wort. Er hieß Markwart und hatte auf Grund seiner Haarfarbe schon so manchen Spott über sich ergehen lassen müssen.

“Gehst du wieder zu diesem verrückten Mönch?”, fragte er.

“Wenn du von Pater Ambrosius sprichst – er ist nicht verrückt!”

“Manche sagen sogar, dass er mit dem Satan im Bunde ist!”, gab Markwart zu bedenken.

“Das haben von dir auch schon einige wegen deiner Haarfarbe behauptet”, erwiderte Wolfram etwas ärgerlich.

Siegfried zuckte die Achseln. “Es werden allerhand Geschichten darüber erzählt, was dieser verrückte Mönch in den Kellern unterhalb des Klosters St. Ingbert alles so treibt

...”

Es war erst ein paar Tage her, da hatte man aus Richtung des nahen Klosters St.

Ingbert einen lauten Knall gehört. Niemand in der Umgebung hatte gewusst, worauf dieses Geräusch zurückzuführen war. So waren die wildesten Gerüchte entstanden. Die Meisten davon hatten mit Pater Ambrosius zu tun, von dem es hieß, dass er allerhand Pulver und Tinkturen zusammenmischte, die manchmal in einem Blitz aus Feuer und Rauch verschwanden, manchmal aber auch als Heilmittel Verwendung fanden.

Ambrosius galt als wunderlich. Zwar wurde seine Hilfe gerne in Anspruch genommen, aber auf der anderen Seite war er den meisten Leuten nicht so recht geheuer.

“Niemand hat ein so großes Wissen wie Pater Ambrosius”, verteidigte Wolfram ihn.

“Ich habe jedenfalls keine Angst vor ihm.”

Siegfried machte eine großspurige Geste. “Ich natürlich auch nicht!”, behauptete er.

“Aber etwas vorsichtig wäre ich an deiner Stelle schon!”

5

Wolfram fand Bruder Ambrosius wie üblich in den vom Fackelschein erhellten Kellergewölben des Klosters St. Ingbert, das etwa eine halbe Stunde Fußweg von Burg Wildenstein entfernt lag. Hier führte der überaus gelehrte Mönch seine Versuche durch.

Schon seit Jahren war es sein Ziel, Erde in Gold zu verwandeln. Dazu mischte er gewöhnliche Erde mit allerlei Pulvern und Tinkturen, erhitzte sie oder goss ätzende Säuren darüber.

Bislang war es ihm allerdings noch nicht gelungen, das große Ziel zu erreichen.

Dabei wollte der ziemlich beleibte Ambrosius das Gold keineswegs dafür, um selbst ein reicher Mann zu werden. Als Mönch hatte er sich dazu verpflichtet, arm zu sein und ohne Besitz zu leben. Nicht einmal die dunkelbraune Kutte, mit der er bekleidet war, gehörte ihm. Sie war genauso Eigentum des Klosters wie die einfachen Sandalen, die er an den Füßen trug.

Oft genug hatte sich Wolfram mit Bruder Ambrosius darüber unterhalten, was man alles tun könnte, wenn es dem Mönch gelänge, tatsächlich aus Dreck Gold zu machen.

Ambrosius beabsichtigte die Not der Armen mit diesem Gold zu lindern. Er wollte dafür sorgen, dass sie genug zu Essen und im Winter warme Kleidung bekamen. Für sich selbst wollte er nichts.

“Bruder Ambrosius, ich muss Euch unbedingt sprechen”, forderte Wolfram.

Der Mönch runzelte die Stirn. “Ich weiß, ich hatte versprochen, dass du dabei sein darfst, wenn ich das nächste Mal versuche Gold zu erschaffen. Aber mir fehlen noch ein paar wichtige Zutaten, die schwer zu besorgen sind ...” Schon oft hatte Wolfram dem wissbegierigen Mönch bei seinen Versuchen geholfen.

Das war nicht immer ungefährlich. Es hatte kleinere Explosionen gegeben und einmal war Wolframs Gewand in Brand geraten. Aber diesmal war er aus einem anderen Grund hier.

“Es geht nicht um das Gold”, sagte Wolfram.

“Offen gestanden habe ich im Moment auch wenig Zeit, mich meinen Forschungen zu widmen, Wolfram ...”

“Ich habe über etwas nachgedacht. Und darüber möchte ich mit Euch sprechen, Bruder Ambrosius.”

Das Gesicht des Mönchs wirkte ernst. “Worum geht es? Doch nicht um den bevorstehenden Besuch des Grafen, der unseren Burgherrn Baron Norbert so sehr in Aufregung versetzt?”

Wolfram war perplex. “Ihr wisst davon?”, platzte es aus ihm heraus. “Dass Hellsehen auch zu Euren Künsten gehört, habe ich nicht geahnt!” Pater Ambrosius lächelte nachsichtig. “Nun übertreib nicht! Ich wusste durch einen Herold des Burgherrn davon! In scharfem Galopp kam er hier angeritten, um die Neuigkeit zu berichten und natürlich um sich auch gleich danach zu erkundigen, ob für den Besuch des Grafen alles vorbereitet sei!” Pater Ambrosius kicherte in sich hinein.

“Baron Norbert ist mächtig nervös, wie mir scheint. Dabei gibt es dafür nicht den geringsten Anlass. Graf Gernot ist ihm wohl gesonnen und es gibt keinen Grund, weshalb ein derart mutiger Ritter wie Baron Norbert, der den Grafen in vielen Schlachten mutig begleitete, jetzt wie Espenlaub zu zittern beginnt.” Wolfram atmete tief durch. “Ich bin wirklich nicht deswegen hier”, erklärte der Junge. “Obwohl ich Euch natürlich sicherlich davon erzählt hätte!”

“Sicherlich!”

“Ich habe in den letzten Tagen sehr lange über etwas nachgedacht ...” Pater Ambrosius hob den Zeigefinger und wedelte damit in der Luft herum.

“Nachdenken ist immer gut. Es ist der erste Schritt zur Erkenntnis!” Wolfram nahm all seinen Mut zusammen. Schon lange lag ihm etwas auf dem Herzen, was er mit Pater Ambrosius besprechen wollte. Im Übrigen wusste er niemanden sonst, der ihm in dieser Sache hätte helfen können.

“Ich möchte, dass Ihr mir das Lesen und Schreiben beibringt”, brachte er sein Anliegen schließlich heraus.

Bruder Ambrosius starrte den Jungen verwirrt an. “Aber – wozu?”, fragte er.

Wolfram umrundete den großen Holztisch, auf den der Mönch eine Kerze gestellt hatte.

“Muss ich Euch das wirklich erklären? Woher habt Ihr denn all Euer Wissen, Bruder Ambrosius? All die Geschichten von der Erschaffung der Welt und wovon Ihr mir noch so alles erzählt habt ...”

Ambrosius machte eine wegwerfende Handbewegung. “Glaubst du denn, dass deine Pflichten als Page auf der Burg dir überhaupt genug Zeit dafür lassen, lesen und schreiben zu lernen?”

“Ich werde so oft zu Euch kommen, wie ich kann!”

“Das glaube ich gerne”, nickte Ambrosius. “Aber überlege dir gut, ob dieser Aufwand sich überhaupt lohnt.”

Wolfram runzelte die Stirn. “Ich verstehe nicht, was Ihr meint!”

“Nun, bis zum vierzehnten Lebensjahr wirst du als Page dienen und danach Knappe bei einem Ritter werden, bevor man dich schließlich selbst zum Ritter schlägt. Du wirst lernen zu kämpfen und zu jagen. Aber kannst du mir sagen, wozu du da lesen und schreiben können musst?”

Wolfram zuckte die Achseln. “Ich möchte es aber gerne können!”

“Nicht einmal unser Burgherr kann die Buchstaben! Wozu auch? Dokumente lässt er von einem Schreiber aufsetzen und unterzeichnet sie mit einem Federstrich.”

“Ich habe aber gehört, dass es auf anderen Burgen durchaus üblich ist, dass auch Ritter das Lesen und Scheiben erlernen!”

“So? Wer hat dir denn solche Geschichten erzählt?”

“Ritter Dankwart von Eichenbach! Er zieht als fahrender Sänger durch die Lande und verbrachte den letzten Winter auf Burg Wildenstein. Er ist viel herumgekommen und hat angeblich sogar die Mauern von Bethlehem gesehen!”

“Man sollte nicht alles glauben, was fahrende Sänger so berichten. Oft wollen sie nur ihre Liedtexte ausschmücken und dramatischer machen, damit sie bei den Burgdamen mehr Eindruck schinden können!”

“So gibt es also keine Burg, auf der Pagen von einem Geistlichen im Lesen und Schreiben unterrichtet werden?”

Pater Ambrosius hob die Hände. “Das will ich damit keinesfalls gesagt haben!”

“Na, also!”

“Aber es dürfte eher selten sein! Und unser ehrenwerter Baron Norbert hält das Lesen und Schreiben offenbar für nicht gar so wichtig.”

“Kein Wunder, wenn er es selbst nicht kann!”, ereiferte sich Wolfram.

“Da mag etwas Wahres dran sein, Wolfram”, gab der Mönch augenzwinkernd zu.

“Ambrosius, bitte!”, beharrte der Zehnjährige. “Ich möchte es wirklich gerne lernen.

All das Wissen, das in den Schriften verborgen ist ...”

“Pass später als Knappe lieber gut auf, wenn man dir beibringt, wie man einen Falken zur Jagd abrichtet. Dann hast du immer ein paar leckere Sachen auf dem Tisch!” Ambrosius beugte sich vor und fuhr etwas leiser fort: “Nicht so wie dein Freund Ansgar. Ich habe ihn gestern beobachtet. Der begreift einfach nicht, dass man Falken immer nur belohnen und niemals bestrafen darf!”

Aber Wolfram ließ einfach nicht locker. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, Lesen und Schreiben zu lernen. Ob er diese Fähigkeiten einmal brauchte, wenn er erst Ritter war, interessierte ihn dabei wenig.

“Bitte überlegt es Euch noch einmal, Bruder Ambrosius. Ich wüsste sonst niemanden, den ich fragen könnte!”

Ambrosius bedachte Wolfram mit einem nachdenklichen Blick.

Ein zischendes Geräusch ließ den Mönch herumfahren.

“Oh, oh!”, rief er und eilte sogleich zum Brennofen. “Das Wachs ist übergelaufen!” Ambrosius nahm eine etwa armlange Zange und griff damit nach einem Eisentopf, in dem er Wachs erhitzt hatte. Mithilfe der Zange nahm er den Topf vom Feuer und stellte ihn auf den Boden. Erleichtert seufzte er. Es war nicht viel von dem Wachs verloren gegangen.

“Was ist nun?”, bohrte Wolfram nach.

“Du bist ein vermaledeiter Quälgeist, Wolfram!”

“Ihr selbst habt mich gelehrt, dass man niemals fluchen soll, weil das schlimme Folgen haben kann!”

“Schon gut, schon gut!” Bruder Ambrosius hob beschwichtigend die Hände. “Ich werde es mir überlegen. Aber im Moment habe ich etwas Wichtiges zu erledigen!” Wolfram deutete auf das Wachs. “Hat es damit zu tun?”, erkundigte er sich.

Der Mönch nickte. “Ich werde dir etwas zeigen, das du so schnell nicht wieder sehen wirst. Komm her!” Er winkte den Jungen zu sich heran und ging mit ihm zu einem Holztisch, der am anderen Ende des Raums stand. Darauf lag ein dickes Buch mit einem kunstvoll gefertigten Umschlag aus Leder. “Weißt du, was das ist?”, fragte der Pater.

Wolfram schluckte. Natürlich wusste er es! Es musste sich zweifellos um das so ungeheuer wertvolle Buch handeln, das Graf Gernot in nächster Zeit abzuholen gedachte.

Ein Leuchten stand in Pater Ambrosius’ Augen. Fast zärtlich strich er über den Ledereinband. “Das ist der größte Schatz, den du oder ich jemals in den Händen halten werden. Ein Evangeliar – eine Abschrift der gesamten Bibel.” Vorsichtig schlug Ambrosius das Buch auf.

Wolfram starrte auf die kunstvoll verzierten Buchstaben, die mit blauer und roter Tinte geschrieben worden waren. Für Wolfram nichts als geheimnisvolle Zeichen, von denen er sich wünschte, dass sie zu ihm genauso zu sprechen beginnen würden, wie es bei Ambrosius der Fall war.

“Zwölf Mönche waren ein ganzes Jahr mit dieser Abschrift beschäftigt.” Ambrosius schlug die nächste Seite auf.

Wolframs Blick fiel auf die Bilder, die den Text auflockerten. Ein Bild erkannte er wieder. Es zeigte Noah mit der Arche. Ambrosius hatte ihm diese Geschichte einmal erzählt.

“Was habt Ihr mit dem Wachs vor?”, fragte Wolfram.

“Ich habe die ehrenvolle Aufgabe, diese Bibel mit sieben Siegeln zu verschließen.”

“Aber – warum?”

Ambrosius zuckte die Achseln. “Da musst du nicht mich fragen. Graf Gernot von der Tann will die sieben Siegel. Er hat diese Bibel in Auftrag gegeben. Obwohl man munkelt, dass eigentlich seine Frau dahinter steckt. Aber das ist ein Gerücht.”

“In manchen Gerüchten steckt auch Wahrheit”, gab Wolfram zu bedenken.

Ambrosius lächelte mild. “Wie auch immer. Gewiss wird Graf Gernot Freude an dem Turnier haben, das unser Burgherr Norbert von Wildenstein für ihn ausrichten wird, aber der eigentliche Grund für seinen Besuch ist nun einmal dieses Buch! Er wird es abholen und bezahlen. Ich sage dir, Wolfram: So viel Gold, wie nötig ist, um eine Bibel wie diese hier zu bezahlen, hast du noch nie auf einem Haufen gesehen ...”

“Dann seid bloß vorsichtig mit dem Wachs, Ambrosius!”, erwiderte Wolfram.

“Nicht, dass Ihr das wertvolle Buch beschädigt!”

“Was glaubst du wohl, warum ich heute so nervös bin, Wolfram! Wenn irgendetwas mit dieser Bibel passiert, wäre ein Jahr Arbeit von zwölf Mönchen vergeblich ...”

“Dann solltet ihr Mönche das wertvolle Buch gut bewachen. Schließlich könnte ja jemand auf die Idee kommen, es zu stehlen!”

Ambrosius machte eine wegwerfende Handbewegung. “Hör auf! Du machst mich ganz irre! Außerdem muss ich jetzt an die Arbeit. Das Wachs ist sonst wieder hart!”

“Aber es stimmt doch, was ich sage!”, beharrte Wolfram.

“Ja, das schon ...” Ambrosius Gesichtsausdruck wirkte jetzt angestrengt. Er schien mit den Gedanken nicht ganz bei Wolfram und seinen Bedenken zu sein, sondern wirkte voll auf seine Arbeit konzentriert. Er legte die am Einband befestigten Siegelschnüre über Kreuz, träufelte Wachs darauf und drückte anschließend das Siegel darauf. “Und jetzt das ganze noch sechs Mal!”, stöhnte der Mönch auf. Er sah Wolfram an und meinte nach einer kurzen Pause: “Also, wenn ich ein Dieb wäre, hätte ich es auf das Gold abgesehen, das Graf Gernot und sein Gefolge mit sich führen werden, sobald sie hier auftauchen! Es werden viele Kisten voller Geschmeide und Edelmetall sein!”

“Und wenn ich ein Dieb wäre, würde ich das Buch bevorzugen”, beharrte Wolfram.

“Weil du anscheinend von Büchern fasziniert bist und unbedingt lesen lernen willst!” Wolfram schüttelte den Kopf. “Nein, nicht deshalb. Ein Buch ist doch viel leichter zu transportieren als ganze Wagenladungen voller Gold und Silber! Dieses Evangeliar lässt sich bequem in einer etwas größeren Satteltasche verstauen. Ein Reiter kann damit innerhalb von Stunden über alle Berge sein! Aber einen gestohlenen Wagen mit schweren Goldkisten holt doch jeder Eselskarren ein!” Pater Ambrosius wirkte erstaunt. “Du bist ein heller Bursche, Wolfram. Zum Glück hast du ja nicht wirklich vor, unter die Diebe und Räuber zu gehen!”

“Gott behüte! Nein, natürlich nicht!”

Der Pater seufzte. “Ich hoffe, darüber denkst du noch immer so, wenn du erst einmal groß bist und zum Ritter geschlagen wurdest!”

“Räuberei ist ehrlos”, wiederholte Wolfram einen Satz, den er einmal bei seinem Burgherrn Baron Norbert aufgeschnappt hatte.

“Gewiss, Wolfram. Aber in den letzten Jahren hört man immer mehr von so genannten Raubrittern, die es zu einem Geschäft gemacht haben, Reisende zu überfallen, ihnen ihr Hab und Gut wegzunehmen und sie dann auf ihren Burgen gefangen zu halten, bis die Verwandten ein Lösegeld bezahlt haben.”

“Das ist schändlich”, sagte Wolfram. “Ich habe auch davon gehört.”

“Darf ich raten?”

“Bitte!”

“Ritter Dankwart von Eichenbach hat im letzten Winter sicher ausführlich davon berichtet!”

Wolfram nickte. “Er verbrachte fast anderthalb Jahre in der Gefangenschaft solcher Unholde und musste bei ihnen im finsteren Kerker schmachten, ehe die Burg dieser Raubritter erobert wurde und Dankwart wieder freikam!” Ambrosius nickte. Eine tiefe Furche hatte sich auf seiner Stirn gebildet. “Das Geschäft mit Geiseln ist für manche Burgherren einträglicher als die Bewirtschaftung ihrer Ländereien!”

“Einem Ritter sollte es um die Ehre gehen und nicht ums Geld”, sagte Wolfram.

Ambrosius legte Wolfram anerkennend eine Hand auf die Schulter. “Schön zu wissen, dass es auch in Zukunft noch Ritter geben wird, die so denken.” Wolfram erwiderte den wohlwollenden Blick des Mönchs. Er hielt den Zeitpunkt für passend, noch einmal zu seiner ursprünglichen Frage zurückzukehren. “Bringt Ihr mir nun das Lesen und Schreiben bei, Pater Ambrosius? Wenn ich mich als zu ungeschickt oder dumm anstellen sollte, könnt Ihr den Unterricht ja sofort wieder beenden!” Pater Ambrosius zögerte kurz. Doch dann stimmte er zu Wolframs großer Erleichterung zu. “Gut. Aber wir werden mit dem Unterricht erst beginnen, wenn der Besuch des Grafen Gernot auf Burg Wildenstein vorbei ist ...”

“Ich kann es zwar eigentlich kaum abwarten, aber ... einverstanden!”

6

Einige Tage zogen ins Land. Auf Burg Wildenstein war viel zu tun. Maria sah Wolfram nur selten, schließlich musste sie wie die anderen Küchenkinder auch dem Küchenmeister kräftig unter die Arme greifen.

Dasselbe galt für die Pagen und Knappen der Burg. Die Knappen brachten die Rüstungen ihrer Ritter auf Hochglanz, damit diese sich auf dem zu Ehren des Grafen geplanten Turniers nicht blamierten. Und die Pagen wurden vor allem mit allerlei Laufburschenarbeit betraut.

Handwerker begannen damit, vor den Toren von Burg Wildenstein den Turnierplatz aufzubauen. Prächtige Zelte wurden errichtet, außerdem eine Zuschauertribüne für die hohen Herrschaften und ihre Damen.

In der Mitte des zukünftigen Turnierplatzes bauten Zimmerleute einen Tilt. Das war ein Zaun, der die aufeinander zureitenden Turniergegner wie eine Leitplanke voneinander trennte. Wenn einer der beiden Gegner mit der Lanze aus dem Sattel gehoben wurde, konnte er nicht so leicht unter die Hufe geraten.

Ein beständiges Hämmern war vom Turnierplatz zu hören. Sämtliche Zimmerleute der Umgebung waren an den Arbeiten beteiligt, während die Bauern aus den rund um die Burg gelegenen Dörfern Schlachttiere und Nahrungsmittel lieferten. Den zu erwartenden Gästen sollte nur das Beste aufgetischt werden. Und die Jäger des Burgherrn wurden ausgesandt, um den einen oder anderen Festtagsbraten herbeizuschaffen.

Erstaunlicherweise ließ die Burgherrin Wolfram zu sich kommen. Sie empfing den Pagen in der Kemenate, dem Kaminzimmer, wo sie gerade mit dem Hausmeier die Sitzordnung beim Festbankett beriet. Der Hausmeier beaufsichtigte Dienerschaft und Küchenpersonal und war für die Einteilung der Dienerschaft zuständig. Er musste dafür sorgen, dass bei dem großen Fest alles reibungslos vonstatten ging und keiner der Gäste hungrig, durstig oder beleidigt nach Hause ging. Letzteres konnte schnell dadurch geschehen, dass jemand an den falschen Platz gesetzt worden war.

Die Sitzordnung bei einem Festmahl entsprach genau der Rangordnung, die Gäste und Gastgeber innehatten. Die Ranghöchsten waren natürlich Graf Gernot und seine Gemahlin sowie Baron Norbert und Margarete. Sie würden an einer erhöhten Tafel sitzen. In ihrer Nähe mussten die Ritter platziert werden – je nach Rang und Verdienst.

Ein Fehler konnte unter Umständen einen handfesten Streit auslösen.

Nachdem Wolfram geklopft hatte, hieß Baronin Margarete ihn einzutreten.

Der Hausmeier hatte ihr gerade ein Stück Pergament gezeigt, auf dem offenbar die Sitzordnung verzeichnet war. Schon draußen im Flur hatte Wolfram die lautstarken Erklärungen des Hausmeiers gehört, dessen durchdringende Stimme beim Küchenpersonal gefürchtet war.

“Ich kann später wiederkommen”, sagte Wolfram und verneigte sich.

Die Formen der Höflichkeit zu lernen gehörte zu den wichtigsten Dingen, die einem Pagen – und späteren Knappen und Ritter! – beigebracht werden mussten.

“Nein, bleib hier, Junge”, bestimmte die Burgherrin. Sie war eine Frau mit freundlichen Gesichtszügen, blauen Augen und langem flachsblondem Haar. Das Haar hatte die Baronin zu einer kunstvollen Frisur aufgesteckt.

Margarete rollte das Dokument zusammen und gab es an den Hausmeier zurück. “Ihr müsst über die Sitzordnung noch einmal gründlich nachdenken, Hausmeier”, beschied sie ihm. “Sprecht mit Ritter Ferdinand! Er kennt viele der Mannen des Grafen sehr gut und wird Euch sicher gut beraten!”

Der Hausmeier verneigte sich. “Sehr wohl”, sagte er untertänigst und verließ den Raum.

Die Burgherrin wandte sich Wolfram zu. “Ich habe mit dir zu reden!”

“Wenn Ihr einen Auftrag für mich habt, erledige ich ihn gerne und sofort! Allerdings muss ich nachher zum Müller am Rand des Kleintals reiten, um ihn zu fragen, ob er die vereinbarte Menge Mehl auch tatsächlich liefern kann. Unser Küchenmeister hat daran nämlich seine Zweifel.”

“Keine Sorge, ich werde deine Zeit nicht so lange beanspruchen, dass du deinen sonstigen Pflichten nicht mehr nachkommen kannst”, versprach die Burgherrin.

“Dann bin ich beruhigt.”

Margarete trat einen Schritt auf den Jungen zu und musterte ihn von oben bis unten.

“Mir ist zu Ohren gekommen, dass du des Öfteren mit Küchenkindern deine Zeit verbringst. Da ist insbesondere ein Mädchen namens Maria, das du nett zu finden scheinst.”

“Thomas!”, zischte es wütend zwischen Wolframs Lippen hindurch, bevor er es zurückhalten konnte. Dieser verfluchte Verräter!, durchschoss es Wolfram siedend heiß.

Hatte der Kerl seine Drohung also wahr gemacht und sich für die Faustschläge und die Niederlage im Tricktrack gerächt. Wolfram konnte sich schon denken, dass Thomas seinen Bericht wahrscheinlich noch ausgeschmückt hatte.

Wolfram wollte etwas sagen, aber eine Handbewegung seiner Burgherrin brachte ihn augenblicklich dazu, die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, herunterzuschlucken. Es wäre unhöflich und fast unverzeihlich gewesen, seiner Herrin ins Wort zu fallen. So schwer es Wolfram in diesem Augenblick auch fallen mochte, er musste sich beherrschen.

“Hör zu, Junge. Ich möchte dir dazu etwas sagen. Diese Maria mag ein nettes Mädchen sein, aber es ist etwas anderes, wenn Kleinkinder sich ihre Spielkameraden aussuchen, als wenn man das in deinem Alter tut.” Worin dieser Unterschied bestand, verstand Wolfram nicht so recht. Aber er wagte auch nicht nachzufragen. Wahrscheinlich wird mir die Herrin jetzt eine elend lange Standpauke halten!, ging es dem Jungen durch den Kopf. Aber er wusste genau, dass jeder Widerspruch vollkommen sinnlos war. Sie war die Burgherrin, er ein zu Dienst verpflichteter Page. Die Rollen waren klar verteilt und es gab keine Möglichkeit, daran auch nur das Geringste zu ändern.

Die Burgherrin machte eine Pause, ehe sie schließlich fortfuhr: “Wie gesagt, ich habe über diese Maria nie etwas Schlechtes reden gehört. Aber sie passt einfach nicht zu deinem Stand, Wolfram. Du bist der Sohn eines Ritters, dem mein Mann das Versprechen gab, für deine Erziehung und Ausbildung zu sorgen. Das weißt du!”

“Ja, meine Herrin”, murmelte Wolfram ziemlich kleinlaut.

“Einen jeden hat Gott an seinen Platz im Leben gesetzt. Hast du darüber schon einmal nachgedacht?”

“Der Burggeistliche hat in der Messe wiederholt darüber gesprochen”, gab Wolfram zu.

“Der Sohn eines Ritters wird ein Ritter, der Sohn eines Bauern wird ebenfalls Bauer und die Töchter von Mägden werden auch Mägde. So ist die Ordnung, die unser Zusammenleben gewährleistet. Du solltest darauf achten, diese Grenzen nicht zu überschreiten. Es gibt genug Kinder adeliger Herkunft in dieser Burg. Und du bist alt genug, um diesen Unterschied zu begreifen.”

Die Wahrheit war, dass Wolfram nicht so recht einsah, weshalb jemand etwas dagegen haben sollte, dass er sich mit Maria traf. Die allgemeine Ordnung brach davon sicherlich nicht zusammen. Aber Wolfram hütete sich davor, etwas gegen die Worte der Burgherrin zu sagen. Das hätte die unangenehme Situation, in der er sich befand, nur noch verlängert.

“Es gibt noch einen anderen Grund, weshalb ich dir dringend anrate, dich nicht mit den Küchenkindern abzugeben. Ich erwähnte bereits das Versprechen, das mein Mann deinem Vater gab, für deine Erziehung und Ausbildung zu sorgen, als wärst du sein eigener Sohn.”

“Gewiss.”

“Genauso haben wir unseren Sohn in die Obhut des Grafen Gernot gegeben, damit er dort das nötige Handwerkszeug eines Ritters erlernt. Wenn deinem Vater nun zu Ohren käme, dass du nicht standesgemäßen Umgang hast, könnte er daran zweifeln, dass wir wirklich in der Lage sind, für deine höfische Ausbildung zu sorgen. Verstehst du das?”

“Ja”, murmelte Wolfram. Aber es war eine Lüge. Er verstand es kein bisschen, musste sich aber unterordnen. Sich allerdings wirklich vorschreiben zu lassen, mit wem er Umgang hatte – daran dachte er nicht einmal im Traum. Ich werde also vorsichtiger sein müssen!, ging es ihm durch den Kopf. Vor allem vor Thomas musste er sich zukünftig in Acht nehmen. Schließlich hatte niemand der Ritter daran Anstoß genommen, die in der Nähe gestanden hatten, dass er mit Maria gesprochen hatte.

“Du darfst jetzt gehen”, entließ ihn Burgherrin.

Wolfram verneigte sich und ging zur Tür. Nachdem er sie geöffnet hatte, drehte er sich noch einmal halb um.