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Man legt diesen Roman mit Atemnot aus der Hand.

ORF

Diese Wiederentdeckung ist zum Fürchten.

Peter Pisa, Kurier

Basils krude Geschichtsfantasie, die eine Satire auf den Nationalsozialismus, aber auch eine bittere Parodie auf die weltpolitischen Verhältnisse der Nachkriegszeit ist, hat sich sehr gut gehalten und ist auch deshalb frisch und lesbar geblieben, weil der Autor sich trotz seines Themas in kein moralisches Korsett zwängen ließ.

Klaus Kastberger, Falter

So wüst, krude, perfide, bösartig, grotesk atemberaubend und durch und durch nicht im Geringsten zur Identifikation einladend – es gibt nicht einen Charakter, der auch nur einen sympathischen Wesenszug aufweist – war damals seit Längerem kein deutschsprachiger Roman mehr gewesen. Nicht mehr seit Günter Grass’ Blechtrommel von 1959. Verglichen mit dem Danziger ist Basil trockener. Zugleich aber rabiater. Und in seiner Konsequenz auch selbstpeinigender.

Alexander Kluy, Der Standard

Man muss dieses Buch bis zum bitteren Ende gelesen haben.

Katharina Schmid, Wiener Zeitung

Einer der besten Alternativweltromane ist der bereits 1966 erschienene “Wenn das der Führer wüßte” des Österreichers Otto Basil (1901–1983), der gerade erst vom Wiener Milena Verlag neu aufgelegt wurde. Basil, der Probleme mit der Gestapo und sogar Schreibverbot hatte, rechnet in seinem satirischen Roman mit dem Nazi-Regime ab. Das Buch zählt zu den wichtigsten Werken der deutschsprachigen Science Fiction.

Christian Endres, Zitty Berlin

Es gibt kein Entrinnen aus dieser stickigen, entmenschlichten, apokalyptischen Welt, die Otto Basil erschaffen hat: weder für seine Romanfiguren noch für den Leser, der doch immer so gerne auf der Seite der Guten steht. Doch die Guten existieren nicht.

Cornelia Fiedler, Süddeutsche Zeitung

Der ebenso komische wie verstörende Roman, der erstmals 1966 erschien, wurde bislang eher als SF-Roman denn als Satire gelesen – und war sogar ein Bestseller. (..) Schon insofern handelt es sich bei dieser Satire um einen weitaus realistischeren Roman als manch anderen, der vorgibt, die Nazizeit literarisch zu beschreiben.

Jörg Sundermeier, Jungle World

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Mit einem Nachwort von
JOHANN HOLZNER

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Otto Basil

(1901–1983) Studium der Germanistik und Paläontologie in Wien und München. Danach arbeitete Basil als Journalist und Verlagslektor, Barpianist und Industrieangestellter. Er wirkte außerdem als Dramaturg und Publizist in Kultur-Zeitschriften. Anfang der 1920er Jahre war er einer der Herausgeber der Zeitschrift Das Wort. Weiterhin schrieb er Mitte der 1920er Jahre Artikel für das Prager Abendblatt.

Nach dem »Anschluss« Österreichs an Deutschland im Jahr 1938 erhielt Otto Basil Schreibverbot. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete er als Pressereferent und Dramaturg am Wiener Volkstheater (bis 1947) und gab die avantgardistische Literatur- und Kunstzeitschrift der PLAN heraus (eingestellt 1948), in der Beiträge vieler zeitgenössischer österreichischer Schriftsteller, Musiker und Wissenschaftler veröffentlicht wurden. Von 1948 bis 1964 war Basil Leiter des Ressorts Kultur der Tageszeitung Neues Österreich sowie bis zu seinem Tod 1983 freier Schriftsteller (P.E.N.-Mitglied) in Wien. Er ruht in einem ehrenhalber gewidmeten Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 40, Nummer 153).

Wenn das der Führer wüßte sorgte bei seinem ersten Erscheinen sowohl auf der Frankfurter Buchmesse 1966 als auch bei der Literaturkritik für Aufsehen und wurde zum Verkaufsschlager, der sich einige Zeit in den (damals allerdings noch wenig beachteten) Bestsellerlisten halten konnte. Die Startauflage von 25.000 Exemplaren ist auch nach heutigen Maßstäben erstaunlich.

Die in diesem Buch
vorkommenden nichthistorischen oder pseudohistorischen
Personen
sind frei erfunden
Namensgleichheit oder sonstige Ähnlichkeit
mit Lebenden ist zufällig

In einer total vermondeten Welt
wie der hier geschilderten
durch die jedoch
die Umrisse der heutigen realen hindurchschimmern
darf der Autor keinen Pardon geben
können nur negative Figuren auftreten
Der Autor selbst nimmt für sich in Anspruch
eine solche zu sein

INHALT

Amazonisches

Der Erzjud des Dritten Reiches

Naphthalin

In den Katakomben

Gundlfinger arbeitet an einem Gottesbeweis

Das Begräbnis im Kyffhäuser

Miserere

Unternehmen Bifröst

Auf den Asphodeloswiesen

Glosse

AMAZONISCHES

Frô Saelde ist wilder danne ein rêch,
und ist ouch wider mich gevêch.
Ich folge ir allez ûf ir spor,
und bin ir dicke nâhe komen:
nû get si mir mit listen vor.

Herr Rubin

Der 9. November 196 . . war ein Sonnabend. Träge strich naßkalter Wind durch die Gassen von Heydrich – Heydrich im Kyffhäusergebirge – und schüttelte die letzten Blätter von den Bäumen. Es roch nach Schnee und wäßriger Verwesung. Das Licht des Spätmorgens verschluckte alle Farben; die Dinge wurden fahl und unwirklich in der zähen, weißlich fließenden Dämmerung.

Der 9., 10. und 11. November gehörten eigentlich zu den streng gebotenen Trauertagen der Nation. Aber die Erinnerung an die große Schande von 1918 war sogar in der Partei allmählich verblaßt, und so unterschied sich die Stimmung dieses nebligen Herbstmorgens in nichts von der seiner Vorgänger. Ein Tag begann, ein Tag wie jeder andere.

Höllriegl, kalt geduscht, körperlich ertüchtigt, ging federnd, fast hüpfte er, die Treppe zu seinem Sprechzimmer hinunter. Die blankgewichsten Röhrenstiefel knirschten auf den Holzstufen. Wie schon öfters in der letzten Zeit, ärgerte er sich über Burjak, der das Metallschild an der Tür zu scheuern vergessen hatte, überhaupt immer schlampiger wurde. (Er behandelte die Leibeigenen zu gut – sein alter Fehler.) Auf der Platte war in gotischen Lettern zu lesen:

ALBIN TOTILA HÖLLRIEGL
Strahlungsspürer
Geschäftsstelle Heydrich der NS-Fachschaft für Pendelweistum
Behebung von Strahlungsschäden aller Art
Auspendeln von Lebensumständen
Schutzelektroden, Radiumschmuck, Schwingungsgürtel
Entstrahlungsketten gemäß den VDI-Regeln
für Siderische Geräte
Nordische Daseinsberatung
Sprechstunden außer Sonnabend täglich von 9 bis 11
An Sonn- und Feiertagen kein Kundendienst
KRIEG DEN ERDSTRAHLEN!

Der Gyromant, also der Pendler, durchquerte den nüchtern eingerichteten Warteraum mit den zwölf rund um den Tisch sternförmig angeordneten Stühlen und betrat sein Sprechzimmer, das auch als Labor und für Entspannungs- und Versenkungsübungen diente. Vor dem Bild des greisen Führers, es nahm beinah die ganze, sehr schmale Stirnwand ein, hob er, die Schultern zurückreißend und die Hacken zackig zusammenschlagend, den Arm zum Deutschen Gruß. Das Führerbild, ein Farbfoto in Lebensgröße, war mit der Zeit stark rotstichig geworden, so daß es wie in abendlichem Dämmerschein erstrahlte; die Züge des Mannes, aus denen fanatische Entschlossenheit und unbeugsamer Siegeswille sprachen, erschienen dadurch weicher und milder, sozusagen landesväterlicher. Zugleich aber, und dieser Eindruck wurde von Mal zu Mal stärker, hatte die nach und nach über das Bild sich ausbreitende rosa Finsternis etwas vom Flackerlicht eines fernen Brandes. Die brandige Röte vermeinte Höllriegl förmlich zu riechen, und jedesmal, wenn er wider Willen hinsah, erfüllten ihn solche Beobachtungen, die wahrscheinlich nichts als Wahnideen waren, mit trüben Gedanken. Der Führer war siech; das wußte trotz der nahtlosen Nachrichtensperre die ganze Nation, und die halbe Welt flüsterte es sich zu.

Höllriegl schob sich bedrückt an seinen Schreibtisch heran, die gute Laune war verflogen, auch das Gefühl des Wohlbefindens und der Geborgenheit war weg. Den Tisch bedeckten Haufen von Briefen, Formblättern, Broschüren und Zeitungsausschnitten; mitten in der Papierflut hatte besagter Burjak, ein ehemaliger Hilfslehrer aus dem Warthegau, der ihm aus dem Untermenschenlager Heydrich (UmL 1238) zugewiesen worden war, auf einem Blechtablett das Frühstück angerichtet. Höllriegl aß mit wenig Appetit und hastiger als sonst. Dabei blätterte er zerstreut in der letzten Folge der »Odischen Lohe«, des Fachorgans für Deutsche Pendelmutung. Sein Blick glitt über ein aufgeschlagenes Buch, es war Schultze-Rüssings »Lehrbuch der Grausamkeit«; das gestern nacht angefangene Kapitel, das Höllriegl schon halb auswendig konnte, handelte von den seelischen Abhärtungsmaßnahmen der asischen Rasse, insbesondere von der Behandlung der Leibeigenen. Knapp vor dem Schlafengehen hatte Höllriegl in dem reich bebilderten Wälzer geschmökert, nicht um sich seelisch aufzumöbeln, wie es Vorschrift war, sondern um gewissen, wie er sich eingestand: abwegigen Phantasien nachzuhängen.

Die Post mußte bald da sein. Höllriegl überflog den Vormerkkalender. Es war Sonnabend, der einzige sprechstundenfreie Wochentag. Das späte Aufstehen hatte wohlgetan, das Große Wecken der Nation, von allen Sendern in die Welt gestrahlt, war verschlafen worden. (»Wieder mal schlapp gemacht!«) Schuldbewußt drückte Höllriegl auf die Taste des Rundfunkgeräts, und alsbald quoll eine zähflüssig-pastorale Stimme aus dem Lautsprecher: »… Alles Läben ist Gnade. Doitsches Christsein, das ist und will nichts als die Heiligung alles Irdischen. Den Adel der Arbeit, Äden auf Ärden, tüchtich und gottkindhaft, ohne den jännseitssüchtigen Augenaufschlag, der nur untüchtich macht. So erfassen wir Doitsche …« Die Erbauungsstunde der Reichsbewegung Deutscher Christen aus Osnabrück. Höllriegls Gedanken wanderten fort – zu gewissen strammen Formen –, kehrten aber schnell wieder zur salbadernden Stimme zurück: »… Und wenn da einer kommt, einer von dänen, die noch immer nicht begreifen wollen, daß ihre priesterliche Mittlerrolle ausgespielt ist, und uns mässianischen Führerkult vorwirft oder gar eitle Selbstvergottung der Partei und Nation, dem erteilen wir hiermit die entschlossene Antwort …«

Um zehn, so stand auf dem Kalender, begann im lokalen Parteihaus der übliche Wochenendkurs für die Amtsträger von Unterabschnitt C-zwo. Ein Pflichtlehrgang über die Neuordnung der Partei in den Tschandalengebieten, mit besonderer Berücksichtigung der russischen Fronvogteien. Den Lehrkursführer, es war einer von den Warägern, wie der ehrwürdige SD und Deutsche Selbstschutz jetzt im Osten gemeinsam hießen, kannte Höllriegl flüchtig. Er mochte ihn nicht. Gut, er mußte trotzdem hin. Elf Uhr: Aufklärungsstunde für siebenbürgisch-sächsische Pimpfe, die in der Sachsenburg bei Heldrungen ihr Winterlager hatten, unter dem Motto »Zweimal Compiègne: 11. November 1918 – 21. Juni 1940. Eine Gegenüberstellung«. Dort hatte er die Berichterstattung, fade Routinesache, für den »Kyffhäuser-Boten«, weil Kummernuß an Grippe erkrankt war. Und hernach wollte er in der Schriftleitung Briefe ansagen und die Fahne seiner allsonntäglichen Spalte »Nordische Innenschau« durchsehen.

Er stellte den Empfänger auf Kurzwelle und drehte weiter. »Hier ist der Wehrmachtsender Johannesburg mit den Richtstrahlern Bloemfontein und Vereeniging. Wir bringen eine Übertragung vom Kameradschaftstreffen des Afrikaner Broederbond in Krügersdorp.« Weiter. Eine hohle, neblige Stimme: »Den wir heilig sollten halten, den haben wir gefällt. Nicht ziemt uns beiden, nach der Wölfe Beispiel uns selber grimm zu sein wie der Norne Grauhunde, die gefräßig sich fristen im öden Tann. Hel will ihr Opfer!« Das war der Reichssender Asgard: Deutschunterricht für das Jungvolk von Nordland. Weiter. »… du oller besengter Waldheini! Bist du denn heute von oben bis unten mit Schmirjelpapier abfrottiert worden? Du Jummiaffe hättest ooch zwei Jahre Altersheim ohne Bewährung vadient!« – »Halt die Schnauze, sonst mach ick sie dir mitn Jewehrkolben zu! Wat solln denn die Kamraden von uns denken, wenn du deine Klappe nich maln bißchen halten kannst, du oller Rinnsteinpenner du! Bei uns herrschtn anständiger Ton, vastann, sonst kriegstn Arsch voll!« – »Welcher Oberdussel hat denn nu wieder mal …« Ankara mit Unterhaltungsprogramm für die im Osmanischen Protektorat stationierte Truppe. (Höllriegl kannte alle diese Sendereihen bis zum Überdruß.) Weiter. Die gläsern zirpenden Töne eines fernen Cembalos – es war wohl einer von den starken wolgadeutschen Sendern – schwebten durch das Zimmer mit seinen Bücherborden, seinen Vitrinen, in denen zauberische Gegenstände schimmerten: Pendel aus Bergkristall, goldglänzende Sterne zum Umhängen (die eigentlich Elemente sind), Silberplatten an Halskettchen, welche gegen Erdstrahlen immun machen, blitzende Antennen und Odoskope, Hochfrequenzschmuck, Ruten, Entstrahlungsketten, antike Pendel. Ah, die Goldberg-Variationen! Höllriegl drosselte die Lautstärke des Volks-Allempfängers und schlenderte, Hände in den Hosentaschen, ganz dem Lauschen hingegeben, zum Fenster. Wie Bach einst den Dom der deutschen Musik erbaut hatte, so hatte Adolf Hitler den Dom des Germanischen Weltreichs errichtet. Ein Dom, der eine feste Burg ist und bleiben wird, eine Grals- und Trutzburg, uneinnehmbar, unzerstörbar bis ans Ende der Zeit. Doch der Führer war krank, schwerkrank sogar, wie es hieß. Schwarze Gerüchte! Höllriegl erschauerte. Draußen im Nebel standen da und dort Menschen beisammen, bildeten Gruppen, und auf den Ästen saßen unbeweglich die Krähen. Um 13.30 Uhr war er zum Auspendeln eines Amtszimmers in die Richthofen-Straße bestellt. Und dann … dann würde er zu den Eyckes hinausfahren.

Es klingelte an der Tür. Der Postbote. Höllriegl grüßte in seiner mundfaulen ostmärkischen Art »Heitla!« Der Mann reichte ein paar Briefe und einen Pack Drucksachen durch die Tür. »Heil dem Führer«, sagte er freundlich und mit Nachdruck. »Heil dem Führer«, antwortete Höllriegl, seine Stimme bebte. Mit umwölkter Stirn betrachtete er den kargen Posteinlauf.

Höllriegl war neu am Platz, genauer: er war erst vor einem Jahr aus Göringstadt, Oberdonau (dem ehemaligen Linz), in dieses Kyffhäuserkaff versetzt worden, zwangsversetzt. Wühlmäuse seiner Fachschaft hatten in Stadl-Paura, wo nach der feierlichen Verstoßung Wiens durch den Führer die Reichsstatthalterei der Ostmarkgaue hinkünftig ihren Sitz hatte, gegen ihn gewühlt. Er fühlte sich jung und war ehrgeizig. Man mußte es den Brüdern zeigen! Sein Kundenkreis wuchs ständig, nur galt es immer wieder, unterirdische Widerstände zu überwinden. Die örtlichen Stellen versäumten keine Gelegenheit, dem Ostmärker Prügel vor die Füße zu werfen, was um so leichter war, als gewisse Parteigliederungen und deren angeschlossene Verbände, zum Beispiel das Hauptamt für Volkswohlfahrt und der NSD-Ärztebund, aus Konkurrenzneid oder purer Engstirnigkeit eine unverhohlene Abneigung gegen Rutengänger an den Tag legten, sofern diese im Heileinsatz standen – ein Ressentiment aus Vorkriegstagen. Diese Abneigung war ursprünglich allgemein gewesen. Erst als die »metaphysische Richtung« in Partei und SS gesiegt und Alfred Rosenberg die Schirmherrschaft über die Deutsche Gyromantie übernommen hatte – dies war knapp vor dem historischen Kriegsverbrecherprozeß von Toledo gewesen, bei dem 34 Staatsmänner der Alliierten zur Hinrichtung durch das Würgeisen (el garrote) verurteilt wurden –, erst dann verstummten die Angriffe gegen das Pendelweistum. Man hatte den Gyromanten nichts Geringeres als östliche Semantik, Geheimbündelei, Abweichung von der nordischen Linie, ja sogar Feindseligkeit gegen Partei, Staat und Wehrmacht vorgeworfen. Rosenberg, der Apostel des Rassegedankens und nach Toledo vom Führer zum Paladin der weltumspannenden Ariogermanischen Völkergemeinschat (AGVG) mit zeitweiligem Sitz in Reykjavik, Delphoi und Benares ausgerufen, war stets ein Freund östlicher Weisheit gewesen. Auch diese, das hatte Höllriegl schon immer geahnt, wurzelte letztlich in nordisch-heilem Boden. Aber Rosenberg, der unbestritten führende Staatsphilosoph bis zum Schluß, lebte nicht mehr. Eine junge, offiziell einstweilen noch verpönte, immerhin aber stillschweigend geduldete Bewegung (was darauf schließen ließ, daß gewisse Vorfelder von den neuen Partei-Ideologen bereits erobert worden waren) drängte nach vorn, die in Angriffen »NATMAT« genannt wurde: »Nationaler Materialismus«. Die Gyromantie, mit dem Odium Rosenbergscher Förderung behaftet, sah sich einem neuen Feind gegenüber.

Die Drucksachen – Schulungs- und Leitbildgequatsch – warf Höllriegl ärgerlich zur Seite. Die Briefe! Ein Kantinenwirt im Nachbarort, nach einer Prostata-Operation, war von Krebsfurcht befallen; er litt unter Schwindelgefühl, Spasmen, nervösen Durchfällen (die Obstbäume in seinem Garten hatten typische Krebsknollen, so schrieb er). Reizstreifen? – Die Witwe eines bei der Operation »Seelöwe II« in Folkestone gefallenen Oberstudienrats aus Pforta, achtundvierzig, infolge schwerer Arthritis ans Zimmer gefesselt, klagte über Schlaflosigkeit, Hirndruck, Sehstörungen, Absencen. Wechselbeschwerden oder Erdstrahlen? – Dritter Fall: Ein Lokführer in den besten Jahren, verheiratet, wurde von Platzangst, Impotenz, Minderwertigkeitsgefühlen, schweren Depressionen geplagt. Das deutete der Briefschreiber selbstverständlich mit vorsichtigen Redewendungen an, Minderwertigkeitsgefühle galten als Staatsverbrechen. – Ein Laborgehilfe, dreiundzwanzig, der im Forschungszentrum des UmL Neuengamme (mit dem ominösen Kennbuchstaben V) seit anderthalb Jahren an der Kobalt- und Caesiumkanone begeistert, wie er schrieb, gearbeitet und hundert Fälle, größtenteils ostisches Material, serienversuchsweise bestrahlt hatte, war anscheinend am Ende. Er litt an Nausea, Wahnvorstellungen, allergischen Reaktionen und völliger Schlaflosigkeit. Schlafmittelvergiftung? Strahlensyndrom? Oder Erdeinwirkung? Wohl letzteres. Der Mann ersuchte um aufklärende Schriften und Zusendung eines siderischen Geräts.

Immer die gleichen Klagen. Schlafstörungen, Gemütskrankheiten, Verfolgungswahn, Lebensüberdruß. Eine Selbstmordepidemie, von den Behörden streng geheimgehalten – schon die Verwendung des schönfärbenden Wortes »Freitod« wurde geahndet –, suchte nicht nur das Reich, auch das ganze vom Führer geeinte Abendland heim. Vor allem waren die Eliten betroffen. Mißlungener Selbstmord wurde mit Zuchthaus, in manchen Fällen sogar mit Zwangsaufenthalt in den Tschandalengebieten oder in Untermenschenlagern bestraft. Schlaflosigkeit? Das deutsche Volk schlief schlecht seit dem größten Sieg seiner Geschichte.

Auf dem Lehnsessel, sonst für Besucher bestimmt, lagen heute Zeitungen und Illustrierte. Obenauf die große KdF-Illustrierte »Das Tausendjährige Reich«. Ziemlich altfränkische Blätter wie »Der Flammenwerfer«, »Das Schwarze Korps« und »Der Stürmer« (der jetzt gegen die gelben Affen, im besonderen gegen den Soka Gakkai und die Familie des Tenno zu Felde zog) waren hier ebenso zu finden wie »Der Landser«, die »Rassenkundliche Somatologie«, »Herrentum«, der »Panzerbär«, die »Sieg-Rune«, der »Wehrwille«, die Frauenbildzeitung »Kriemhilde« der »NS-Pendler«. Mit sicherem Griff zog Höllriegl ein Heft der »Minne« aus dem Stapel, das auf dem Umschlag eine halbnackte Frau auf südlichem Strand zeigte.

Die »Minne« wurde mit Vorliebe von der Reichsjugend gelesen; sie war dazu bestimmt, den Jungmann und die junge deutschblütige Volksgenossin auf jene hehren Ziele vorzubereiten, die später in den Ordensburgen und Zuchtmutterklöstern verwirklicht wurden. Insbesondere geiferte die »Minne« gegen »herrschaftslose« Liebe und individuelle Gattenwahl. Sie war das radikale Organ für die Aufzucht der Blau-Blond-Rasse, zugleich auch, wie es hieß, ein Sprachrohr des »NATMAT«, jedoch aristokratischen Einschlags. Die Schriftleitung dieser reißerisch aufgemachten Bildzeitung, die ein ehemaliger PK-Mann namens Hansjörg Fenrewolf Stoffregen in Berlin herausgab, verstand es blendend, hinter der populärwissenschaftlichen Fassade von rassenkundlichen und eugenetischen Abhandlungen die Sinne zu kitzeln und einer neuartigen Erotik, deren Wurzeln in den Arbeitslagern der Maiden aus Vorkriegstagen zu suchen waren, Tür und Tor zu öffnen.

Das etwa 45jährige vollschlanke Weib auf dem Bild – es war eine farbige Reproduktion von geradezu aufreizender Schärfe und Naturtreue – hatte die vorgeschriebene aggressive Körperhaltung, das Gesicht überraschte durch seinen fanatischen Ausdruck. Weizenblond waren die langen und dicken Zöpfe, die dunkelgrauen Augen blitzten sieghaft, der große, brutale Mund mit den schmalen Lippen war zu einem sichtlich verachtungsvollen Lachen geöffnet, die Zähne hatten etwas auffallend Tierisches. Das Erregende an dieser Frau war, daß in ihren Zügen Nordisches sich mit Ostischem in fast verworfener Weise mischte, daß das Heldische überlagert war von Schlangenhaftem. Sie war mit einer kurzen Badetunika bekleidet, die, weil klatschnaß, alle körperlichen Details nicht nur plastisch hervortreten ließ, sondern sie auch halb sichtbar machte. Die Spitzen der vollen, hohen Brüste zeichneten sich rosabräunlich unter dem dünnen weißen Stoff ab. Das Hemd wurde nur lose von Händen zusammengehalten, die schmal waren, ohne edel zu sein. Sogar die Gänsehaut auf den bronzebraunen, meersalzbestäubten Schenkeln gab das Foto wieder, es zeigte jeden Wassertropfen und selbst den schattenhaften Flaum auf Oberlippe und Armen. Der Bildtext sagte in der üblich forschen Sprache: »Dies, deutsche Jungs und Mädels, ist Ulla Frigg von Eycke, ehemals Kommandeuse des Frauen-KL ›Dora‹, jetzt Gattin des SS-Obersturmbannführers und Inspekteurs für Wirtschaftsfragen im Oberabschnitt Fulda-Werra Erik Meinolf von Eycke, am Strand des Erholungsheimes der Leibstandarte SS ›Adolf Hitler‹ in Sotschi, Schwarzmeerküste.« Und darunter stand: »Die Hüterin der Art.«

Die Hüterin der Art, das wußte Höllriegl aus verläßlicher Quelle, hatte vier Fehlgeburten gehabt. Nur die ersten Kinder lebten: Manfred und Erda, die Zwillinge. Diese kraftstrotzende Deutschbaltin, Idealbild der Blau-Blond-Rasse, war wie ein schöner, wurmstichiger Apfel. Seit geraumer Zeit litt Frau von Eycke an einem unerklärlichen Nervenübel, an verfolgungswahnähnlichen Einbildungen, jähen Stimmungsumschwüngen, Anfällen von kalter Wut, Schlaflosigkeit, auch an einer Überreizung bestimmter Hautzonen. Die Ärzte brachten diese Erscheinungen mit dem Beginn des Wechsels in Zusammenhang, andere Anzeichen wieder sprachen gegen diese Diagnose. Trotz vielerlei Kuren schien eine Heilung des immer lästiger werdenden Übels aussichtslos. Höllriegl war bei einer Tagung der NS-Naturärzte in Radebeul zufällig mit den Eyckes zusammengetroffen. Er hatte, nachdem er über Ullas Krankengeschichte unterrichtet worden war, seine Dienste als »Radiästhesist« angeboten und die Eyckes zu überreden versucht, ihr Haus bei Heydrich, wo Ulla mit den Zwillingen zumeist wohnte, vor allem die Schlafräume, gegen Erdstrahlen abschirmen zu lassen. Eycke, der Hüne mit dem kleinen, dunklen, ledernen Aasgeierkopf und den hellen, bösen Augen im verwitterten, von Schmissen gekerbten Gesicht (»Schauerliche Visage!«), hatte zuerst nur hassenswert ironisch dreingeblickt. Ihm und Ulla war einiges über Höllriegls »Pendlerei« zu Ohren gekommen, sie hatten auch von seinen Erfolgen gehört – zu Höllriegls Kunden zählten, noch in der ostmärkischen Zeit, leitende Parteimitglieder und die Gattinnen politisch einflußreicher Industrieführer –, den Ausschlag aber gab Eyckes kränkelnde Schwester Anselma, die lange in den Tropen gelebt hatte, ein seltsam schlaffes Geschöpf, ganz Auge, mit trägen, pflanzenhaften Bewegungen und blasser, leberfleckiger Haut (ein größerer Gegensatz zu Ulla war kaum denkbar!). Skeptisch lächelnd und zurückhaltend gaben die Eyckes ihre Einwilligung. Und heute nachmittag sollte die erste Untersuchung sein.

Ulla hatte auf Höllriegl einen zwiespältigen, jedenfalls magnetischen Eindruck gemacht. Das Rassige, Herrschsüchtige, Fanatische dieser Frau zogen ihn vom ersten Augenblick an in ihren Bann; das Ordinäre, Brutale, Blitzmädelhafte ihres Wesens stießen ihn ab. Von ihrer Unberechenbarkeit und Grausamkeit, auch von ihren gewagten Ritten, ging der Fama der Mund über. Frau von Eycke, damals noch Ulrike Mlakar, war eine der strengsten KL-Kommandeusen gewesen; ihre Lagerführung in Stutthof und Groß-Rosen wurde in breitesten Parteikreisen ebenso rasch ruchbar wie ihr Fanatismus den Spitzen der politischen Hierarchie. Durch gewisse Erziehungsmethoden (die für die weiblichen Häftlinge nicht immer gut ausgingen) hatte sie sich schon früh einen geachteten Namen erworben. Oft war sie auf dem Bildschirm zu sehen gewesen, als vorbildliche Gattin und Mutter, als Reiterin; ihr Name tauchte ständig in der Tagespresse auf.

Durch das Umschlagbild wachgerufen, kreisten Höllriegls Wünsche, die, wie er gepeinigt ahnte, unerfüllbar bleiben mußten, um den Körper dieses Weibes, von dem der Reiz reifer Begierden ausging. Es war sonderbar: das Gewöhnliche, wie es sich in Ullas Gesicht spiegelte, zog ihn nun mächtig in die Bereiche unterschwelliger Begehrlichkeit hinab; das Sieghafte und Heldische an ihr konnte er nicht mehr so bewundern. Vielleicht war das alles nur Maske. Zu den hohen Jochbeinen mit den schräggestellten Augen und den verräterischen braunen Schatten darunter paßte der schweißige Geruch von Stuten und schmutziger Unterwäsche. Und plötzlich – Höllriegl schob hastig das Heft wieder in den Stapel zurück – überfiel ihn das Gefühl unmittelbarer physischer Bedrohung. Diese Frau erweckte nicht nur die Lust zu schlagen, blutigzuschlagen, sondern auch geschlagen zu werden.

Das Telefon summte. Höllriegl stellte das Radio ab und nahm den Hörer von der Gabel. »Heil! Hier Damaschke«, meldete sich eine barsche Stimme. (SA-Mann Damaschke, alter Kämpfer von der Krummen Lanke, Blutordensträger und Schwerkriegsversehrter, jetzt Telefonist im Parteihaus.) »Ein Herr von … Schwertfejer aus Wien möchtse jerne sprechen. Na, Se sind jewiß schon selbst druffjekomm, wer det is. Wa? Der bekannte Romanfritze. Hat hier mal vorjelesen. Ik vabinde …«

Höllriegl war augenblicklich im Bild. Er hatte vor Jahren dem erfolgreichen Schriftsteller Arbogast von Schwerdtfeger das Arbeitszimmer in seiner Döblinger Wohnung ausgependelt und hernach eine gründliche Umstellung der Möbel, vor allem des Schreibpults – Schwerdtfeger pflegte stehend zu arbeiten – veranlaßt. Wie ihm der Dichter nachträglich mitgeteilt hatte, war dadurch eine »ärgerliche Ladehemmung« beseitigt worden; er konnte wieder mit Schwung arbeiten.

»Erinnern Sie sich noch an Ihre Intervention bei mir?«, hörte er Schwerdtfeger sagen. Es klang geschmeidig, sonor, entgegenkommend, gewissermaßen »altösterreichisch«. »Verehrtester, könnten Sie einen Sprung ins Parlament kommen? Ich wohne hier. Ich hätt gern selber bei Ihnen vorgesprochen, erwarte aber ein wichtiges Ferngespräch, das jeden Moment da sein kann – darf mich nicht wegrühren. Ich hab einen interessanten Auftrag für Sie. Etwas Hochoffizielles. Geheime Reichssache …«

Höllriegl sagte zu, kritzelte rasch ein paar Worte für Burjak auf einen Zettel und schlüpfte in den Mantel. Während er seinen Wagen aus der Garage holte, ging es ihm durch den Kopf, auf welchen Umwegen Schwerdtfeger erfahren haben könnte, daß er, Höllriegl, in Heydrich tätig war. Geheime Reichssache! Wie kam ausgerechnet der »Romanfritze« dazu, sie ihm zu übermitteln? Und noch etwas. Schwerdtfeger hatte, was sonderbar war, das Wort »Parlament« gebraucht, also eines jener Spottwörter, die man – im vertraulichen Kreis – manchmal auf die Parteihäuser münzte. Durfte der Mann solche Vertraulichkeiten zwischen ihnen voraussetzen? (»Ich hab nur rein geschäftlich mit ihm zu tun gehabt, und auch das liegt Jahre zurück«, sagte Höllriegl halblaut, seinen Gedanken nachhängend.) War es aus Achtlosigkeit geschehen? Kaum. Eher aus dem Gefühl sorgloser Souveränität. Oder war es ein gezieltes Wort gewesen? Jedenfalls: Schwerdtfeger wohnte im Parteihaus, wo sonst nur höhere Funktionäre abstiegen. Geheime Reichssache?

In der Hindenburg-Chaussee begann es zu tröpfeln, und kurz darauf nieselte es ganz anständig. Trotzdem, so kam ihm vor, waren mehr Menschen in den Straßen als sonst. Er hielt vor dem Parteihaus, einer aufgelassenen Panzerkaserne mit braunem Ölanstrich, die durch Zu- und Umbauten im reichseinheitlichen Stil monumentalisiert worden war. Keine Parklücke zu finden – quer über die Gehsteige, wie es in frühen Wehrmachtstagen Mode war, standen dicht nebeneinander die Wagen der Amtsträger und Sekretärinnen. Höllriegl stellte den VW in einer Seitengasse ab und eilte fröstelnd zum »Parlament« zurück.

In der Loge des Hausmeisters mit ihren schießschartenähnlichen Auslugen nach allen Seiten saß Damaschke, die Telefonmuschel umgehängt, und stöpselte eifrig in seinem Schaltkasten herum. (»Heil! … Jawöllja … Ick vabinde …«) Während er dies mit der Rechten, die aus einer sinnreichen Greifzange bestand, automatisch tat, fertigte er mit der Linken den Passierschein für Höllriegl aus. Neben ihm saß ein Gehilfe, der gerade Margarine auf eine Brotschnitte strich. Die Loge war über und über mit Fähnchen und Spruchbändern geschmückt, auch eine Führerbüste gab es da und vergilbte Fotos, die einen grinsenden Damaschke in der alten Uniform der SA zeigten, bei Aufmärschen, vor Judengeschäften oder die WHW-Sammelbüchse schwingend. »Zimmer fummsehn, zwote Etahsche, Privattrakt«, sagt er brummig-jovial, humpelte mit knackender Beinprothese aus dem Zimmer und wies mit der Greifzange den Weg zum Kasernenhof. »Juhte Varichtung, Herr Heiminsreich!« rief er Höllriegl nach.

Die langen Korridore waren überheizt, es roch nach Petroleum, schlechten Zigaretten, Pissoir, Lysoform und bürokratischem Staub – auch der Amtsgeruch war reichseinheitlich genormt. Parteien warteten auf Einlaß, aus den Zimmern drang das leise Geknatter von Schreibmaschinen. An den Wänden überall Führerbilder oder verblaßte schematische Darstellungen irgendwelcher vorsintflutlicher Schnellfeuerwaffen. Der Spruch »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« war längst übertüncht, aber noch zu lesen. Die Gänge des »Privattraktes« stachen wohltuend durch roten Kokosläuferbelag und verhungert aussehende Kletterpflanzen von der spartanischen Aufmachung der anderen Flügel ab.

Als Höllriegl auf ein forsch gerufenes »Nur mal rinn in die Schohse!« in das abgedunkelte Wohnzimmer trat, kam ihm Schwerdtfeger mit ausgebreiteten Armen entgegen. Der Dichter schüttelte beide Hände seines Besuchers. Schwerdtfeger, dreifacher Doctor honoris causa berühmter deutscher Universitäten, hatte eher ein hunnisches als germanisches Aussehen (und trug daher seinen asischen Ehrennamen »Hödr« als Anachronismus), in einem Nibelungenfilm hätte er als König Etzel gute Figur gemacht. Kugelrunder, kurzgeschorener Schädel – die gemeißelte Fülle der Stirn war beachtlich –, Henkelohren, schräge gelbe Augen, gespitztes glattrasiertes Mündchen, aufgeworfene, ständig geschürzte Lippen. Die Zähne sichtlich falsch. Der mächtige viereckige Brustkasten, der sich – irgendwie knarrend – hob und senkte, gab dem Mann das Aussehen einer athletisch gebauten Panoptikumsfigur. Schwerdtfegers Hände waren so fein und chevaleresk wie seine Umgangsformen. (»Vorkriegskavalier!«) Sein jüngster Roman, »Die Dämonen der Ostmark«, ein dicker Wälzer, in dem er ein breitangelegtes Gesellschaftsbild der Systemzeit entworfen hatte, war ein so lärmender Verkaufserfolg gewesen, daß sogar Höllriegl, der sonst Romane und überhaupt Literarisches wie die Pest haßte, nicht umhin konnte, ihn wenigstens auszugsweise zur Kenntnis zu nehmen. Immerhin: der bedeutende Mann war Ostmärker, und diese Tatsache genügte, um eine vertraute, gemütliche Atmosphäre zu schaffen.

Die Unterhaltung war kurz. »Ich bin auf einer Vortragsreise«, begann Schwerdtfeger ohne Umschweife, nachdem er vergebens einen Trunk und Zigarren angeboten und sich selber unter umständlichem Gepaff eine angezündet hatte. »In Berlin genoß ich die hohe Ehre, vor den Spitzen der Reichsregierung lesen zu dürfen – der Führer war leider nicht zugegen. Sie wissen ja …« Schwerdtfeger machte augenblicks, als hätte er sie vorrätig gehabt, eine gramvolle Miene. »Um es rasch zu sagen: es handelt sich um eine wichtige, hochgestellte Persönlichkeit, deren Arbeits- und Privaträume auf Erdstrahlen zu untersuchen sind. Ich habe von Ihnen und Ihren Erfolgen gesprochen, natürlich speziell von Ihrer Intervention damals bei mir in Döbling. Die Herren zeigten sich davon sehr angetan, und so ergab sich der Auftrag von selbst. Meine eigene Anregung also. Ich fand heraus, wohin der Wind Sie verschlagen hat, und da meine Vorlesungstour mich sowieso an Heydrich vorbeiführt, nahm ichs auf mich, Sie persönlich zu unterrichten. Es war nur nicht leicht herauszubekommen, in welchem Heydrich Sie wohnen. Im hiesigen habe ich schon einmal vorgelesen, vor zwei Jahren. Sture Gesellschaft hier. Kein rechtes Verständnis. Na, eben Provinz …«

»Ich danke Ihnen. Nur müßte ich die näheren Umstände wissen«, unterbrach Höllriegl das Geplauder seines Partners, der durch die saloppe, halb sportliche Kleidung andeuten zu wollen schien, daß er zur Nobelboheme gehörte, »unter welchen ich die Untersuchung vornehmen soll. Persönliche Kontakte wären wertvoll, auch sollte ich die Krankengeschichte kennen, falls eine vorhanden. Würden Sie mir was darüber sagen?«

»Liebend gern – wenn ich befugt wär, zu reden. Ich weiß auch zuwenig. So viel aber darf ich Ihnen sagen, daß die betreffende Persönlichkeit sehr, sehr krank ist. Alles andre, also das, was den Fachmann intressiert, werden Sie an Ort und Stelle erfahren. Meldung bei T4 [Höllriegl überlief es plötzlich kalt] bei Obersturmführer Hirnchristl, übrigens engerer Landsmann, netter Kerl, begeisterter Nationalsozialist – er weiß Bescheid. Von ihm erhalten Sie alle Instruktionen. Möglicherweise [Schwerdtfeger sog angestrengt an seiner Zigarre, die keinen guten Zug hatte] wird man die Astrologie mit einspannen. Vielleicht sogar [ironisches Geblinzel der Kalmükenaugen] den allerobersten Sterndeuter. Sie haben doch nix dagegen, oder?«

»Nein, sicher nicht, obwohl … Meine Untersuchungen sind ganz ohne Tuchfühlung so ziemlich für die Katz. Klarerweise gibt es eine wissenschaftlich objektive Feststellung der Erdeinwirkung auf Organismen. Wie aber diese Erdeinwirkung einen bestimmten Organismus unter bestimmten Umständen beeinflußt, ist eine eigene und heikle Sache – das herauszubekommen, ist Gefühlssache! Nennen Sie es Einfühlung, Intuition, Fingerspitzengefühl, schwarze Magie … Wann soll ich in Berlin sein?«

»Momentino, habs nicht mehr intus!« Schwerdtfeger holte sich sein Notizbuch und blätterte darin. »Übermorgen – Montag. Hirnchristl erwartet Sie um 16 Uhr. Sie brauchen der Wache nur Ihren Namen zu sagen. Morgen ist Ihr Reisetag.«

Höllriegl erhob sich. Der knappe, etwas herrische Ton, mit dem die letzten Sätze gesprochen waren, störte ihn. Das wollte absolut nicht zu Schwerdtfegers sonstiger Art passen. Ein undurchsichtiger Bursche – jedenfalls mit Vorsicht zu genießen.

Der Abschied war wieder überaus herzlich, gleichsam ostmärkisch. Voll innerer Unruhe ging Höllriegl seines Weges. Der Pflichtlehrgang mußte gleich beginnen. Schwerdtfegers Auftrag ehrte ihn – selbstverständlich. Was aber steckte dahinter? Und dann diese ölige Ausdrucksweise: Liebend gern – Momentino – das ganze Getue. Zum Kotzen! Ein Gesalbter, einer mit höheren Weihen, zweifellos. Das »Parlament« war vermutlich eine Falle gewesen, eine unter andern. Die übrigen hatte er nur nicht bemerkt. Hätte er darauf reagieren sollen? Und was für eine Bewandtnis hatte es mit der Meldestelle T4? Das war, wie jedermann wußte, der frühere Sitz des Amtes für Bevölkerungspolitik und Erbgesundheit, also der Zentrale für das Euthanasieprogramm: Tiergartenstraße vier. Aktion »Sonderbehandlung 14 F 13«. 1959 waren es noch rund 748.000 Personen gewesen, in ganz Europa. (»Mein verfluchtes Zahlengedächtnis!«) Bald darauf hatte man die Zahl herabgesetzt, weil alle halbwegs arbeitsfähigen Erbkranken in die UmL verbracht wurden, wo man sie in eigenen, kobenartigen Käfigen hielt – teils um als Versuchskaninchen für die Neurochirurgie zu dienen, teils um zu niedrigsten Arbeiten verwendet zu werden. (Auch erfolgreich lobotomierte Debile wurden der Wirtschaft wieder zugeführt.) Die Euthanasiebehörde war inzwischen verlegt worden – wohin, das hatte Höllriegl »nicht mehr intus«. Die Anrüchigkeit war geblieben. Wie hatte doch T4 geheißen? … Die Reichsabdeckerei. Wer war jetzt dort untergebracht?

Er sah sich um. Aus seiner Abwesenheit mit der Empfindung von Bedrohtsein erwachend, fand er sich in den langen, menschenleeren Korridoren verirrt, einer so eintönig und uniform wie der andere. Wahrscheinlich war er schon von Schwerdtfegers Quartier aus in die falsche Richtung gegangen. Seine Stiefel hallten auf den Fliesen. Der Privattrakt schien hier sein Ende zu haben, die Amtsräume mußten im entgegengesetzten Block liegen. Vor den Fenstern die Ödnis des Kasernenhofs in nebligem Licht. Höllriegl eilte, nervös geworden, durch ein Gewirr von halbdunklen, unversehens enger werdenden, winkeligen Gängen. Manchmal war es, als verfolgten ihn hinter angelehnten Türen stiere, brennende Blicke über gekrümmten Rücken, als sähe er auf breite, gelbglänzende, niedrige Stirnen unter filzig schwarzem Haar hinab – erstarrte Gruppen. War es die leibeigene Gefolgschaft bei Reinigungsarbeiten? (Halbtiere anzusprechen wäre sinnlos gewesen.) Als Höllriegl eine kurze, gewundene Steintreppe emporgestiegen war, empfing ihn plötzlich ein geräumiger Flur von klar geprägter Bauart und in heiter-blassen Rokokofarben, mit geschwungenen Fenstern auf der einen und spärlichen hohen Türen auf der andern Seite. Das Gefühl, verfolgt zu werden, war wie weggeweht, er atmete wieder frei.

Höllriegl war nie in der »Residenz« gewesen, wie das während des Krieges arg beschädigte Schlößchen im Volksmund hieß. Der Besitz eines hierorts ansässig gewesenen, schon unter Willem dem Zwoten erloschenen Feudalgeschlechts hatte im Lauf der Jahrzehnte mehrmals die Hand gewechselt. Nach dem ersten Weltkrieg – so hatte Kummernuß erzählt – war das Schloß einem rheinischen Schlotbaron zugefallen, der immerhin das verrottete Residenztheaterchen instand setzen und sogar bespielen ließ. Als der Führer die Macht übernahm, war es auch hier mit dem Systemspuk zu Ende. Die »Residenz« wurde in rascher Folge in ein Schulungshaus für Säuglingsschwestern, in ein Sanatorium für Weltkriegsversehrte, um 1940 in ein Genesendenheim für die Totenkopfverbände und später in eine Erzeugungsstätte im Rahmen irgendeiner Ringfertigung (Kummernuß meinte: für das Ariel-Programm) umgewandelt. Während der alliierten Terrorangriffe auf das Reich fiel das bauliche Juwel teilweise den Sprengbomben zum Opfer. Der Rüstungsbetrieb verschwand in den Stollen, und die Schloßruine war wieder vogelfrei. Nach dem Sieg erwarb ein Blutordensträger, der oberste Abwehrbeamte von Bad Frankenhausen (dies der frühere Name von Heydrich), die Reste des Schlößchens um einen Pappenstiel, starb aber während der Wiederaufbauarbeiten. Die »Residenz« kam neuerlich in den Besitz der Partei, die sie durch Zubauten mit Kaserne und »Parlament« verbinden ließ.

Ein Ereignis, flüchtig und schleierhaft wie alle weiteren dieses schwangeren Herbsttages, sollte doch ein eigentümliches Gewicht behalten. Höllriegl gewahrte am fernen Ende des Flurs eine Brüstung, die sichtlich hier oben das Stiegenhaus abschloß. Dort konnte er rasch ins Freie gelangen – den Lehrkurs über die Tschandalengebiete durfte man nicht versäumen, es wurde kontrolliert. Er beschleunigte seine Schritte. An einer der seltenen Türen vorbeieilend, vernahm er dahinter ein gleichförmiges Gemurmel oder Getuschel, das sich wie eine im Chor gesprochene Litanei anhörte. Er hielt an – zwanghaft – und öffnete die Pforte, die sich kreischend in den Angeln drehte.

Er befand sich auf der Empore (oder dem Chorgestühl) einer hohen, schmalen, von Schwaden erfüllten Kirche; anscheinend war es die Schloßkapelle. An der Stirnwand der leeren Apsis hing ein mächtiges Christenkreuz (der Crucifixus fehlte), über das ein ebenso großes schwarzes Hakenkreuz genagelt war. Es gab weder Bilder noch sonstigen rituellen Schmuck. Auf der Empore und unten im Schiff drängten sich Menschen. Die Andächtigen, zumeist alte Weiblein in Trauerkleidern, waren mit verzücktem Gesichtsausdruck einem auf den Altarstufen stehenden rotbäckigen Schwarzbart zugewandt, auf dessen Schultern links und rechts je ein Vogel saß, unbeweglich, als wäre er ausgestopft, Dohle, Krähe oder Rabe. Der Mann, vielleicht Prediger, vielleicht Versammlungsredner, dessen stattlichen Leib ein dunkler Mantel zur Gänze einhüllte, schien einäugig zu sein, über das fehlende Auge trug er eine schmale schwarze Binde so schlampig, daß man die rote Augenhöhle deutlich sehen konnte. Einen Schlapphut hatte er tief in die Stirn gezogen. Höllriegl konnte ihn von seinem Platz aus nur schlecht sehen, denn die in ihren Bänken Knieenden behinderten die Sicht, auch stieg aus der Tiefe ständig dünnes Rauchgewölk auf, das, obgleich rasch abziehend, den Raum verdunkelte. Es roch nach verbranntem Fleisch.

Die Gemeinde schwankte rhythmisch, in einer Art feierlichen Schunkelns, auf den Sitzen hin und her, wobei sie den monotonen Singsang fortsetzte. »Der Füh–rer! Der Füh–rer!« verstand Höllriegl. Es klang langgezogen, inbrünstig, tränenerstickt. »Er sitzet zur rechten Hand Odins, des allmächtigen Vaters«, sagte in beschwörendem Ton der Skalde (so etwas schien der Vorbeter zu sein), und sein Auge funkelte trunken. »Der Füh–rer! Der Füh–rer!« responsierte gehorsam der Chor. Höllriegl sah glotzende Augen auf sich gerichtet, sah speichelnde Münder in gelben, faltigen Gesichtern – der Störenfried war aufgefallen. Weiche Hände tasteten nach ihm, die Weiber rückten zusammen, um Platz zu machen. Ihre verwelkten Körper rochen süßlich, manche hatten kleine Kränze in den Händen. Irgendwo draußen wieherte jäh ein Pferd, es war ein Todesschrei. Mit sanfter Gewalt versuchte man, ihn auf den Sitz zu zerren. »Der Füh–rer! Der Füh–rer!« seufzte wieder die Menge.

Höllriegl schüttelte die Griffe ab, die, wie ihm vorkam, plötzlich eisern geworden waren. Ein baumlanger Mensch, er hatte hinter dem Türflügel an der Wand gelehnt, vertrat ihm den Weg. Höllriegl, von Schwindel gepackt, drängte ihn zur Seite, fast wäre es zu einem Handgemenge gekommen. Die Tür war erreicht, und des Lärms nicht achtend schlug er sie krachend hinter sich zu. Die Helligkeit des Flurs nahm ihn auf – in ihre Arme.

Es war etwa zwanzig vor drei. Um 15 Uhr hatte Höllriegl bei den Eyckes die Pendelmutung. Er fühlte sich fiebrig, ohne krank zu sein, und unruhig lenkte er den Wagen durch die Gäßchen der Altstadt, um den Weg abzukürzen. Die Salinen und das Solbad mit den davor sich stauenden Autos ließ er zur Linken; gleich hinter dem Felsen, den die Ruine der Oberburg krönt, bog er in die Guderian-Allee ein, eine Ausfallstraße, wo zur Zeit, am Sonnabendnachmittag, der Verkehr schon abgeebbt war. Er stieg aufs Gaspedal und sauste dahin, einen nervösen, drückenden Schmerz im Genick. Das Ziel lockte, zugleich aber war es ihm, als sollte er die Begegnung mit Frau von Eycke hinauszögern. Jetzt, da er sich dem Ziel langgehegter Wünsche näherte, schreckte er zurück. Wie unmännlich! Trotzdem: das unklare Gefühl des Bedrohtseins wollte nicht weichen.

Mittags hatte es, zu früh im Jahr, leicht geschneit, nun aber riß die Wolkendecke streifig auf, ein grünliches Blau, das Blau eines Herbsthimmels, der Sommer spielt, zeigte sich unvermutet, und eine wäßrige Sonne übergoß die Waldhänge des Schlachtberges, an denen er vorüberflitzte, mit falschem Scheinwerferlicht. Höllriegl kam durch eine lähmend warme Zone, die Luft hatte hier stellenweise den Asphalt aufgetrocknet. Aber hie und da traf ihn heimtückisch ein eisignasser Windstoß.

Der Vortrag über die dem Reich bis zum Ural eingegliederten Tschandalengebiete – bis zum Ural, dem mit Atomminen und Kernwaffen gespickten Ostwall des Abendlandes – hatte ihn, obwohl er das meiste wußte, wieder einmal mächtig aufgewühlt und beglückt. Ein Kranz von reichsabhängigen Staaten, vom Protektorat Baltikum und Finnland im Westen – die Ostsee war ein deutsches Binnenmeer – bis zu den ehemaligen Reichskommissariaten, jetzt Eidgenossenschaften Kaukasien, Transkaukasien und Rusj (Ukraine), denen vom Führer eine eigene ständische Verfassung nach mittelalterlichem Muster zugebilligt worden war (zur Belohnung, daß sie sich als erste gegen das apokalyptische Tier des Bolschewismus erhoben hatten), und den Fronvogteien Chiwa, Buchara, Kirgisien, Khakassien und Altai – auch Tibet gehörte zur deutschen Einflußsphäre, die Mongolei zur japanischen – umgab die von deutschblütigen und nordischen Wehrbauern besiedelten Nord- und Mittelgaue der einstigen Sowjetunion. Ein tiefgestaffeltes System von Befestigungen und Siedlungsgürteln sicherte das endlose Ostland. Überall waren die Lichtbringer am Werk. Dort, wo früher Vernichtungslager (UmL-V) bestanden hatten, erhoben sich jetzt auf künstlichen Hügeln – die, wie es hieß, eigentlich Schädelstätten waren – die Trutzburgen der SS-Schwurmänner und die Walhallen der Ariosophen. Der Referent hatte einen überaus eindrucksvollen Farbfilm über das Leben in diesen Grenzburgen vorgeführt, deren einheitlich gotische Monumentalarchitektur vom Führer selbst entworfen worden war. Verstreut über das weite slawische Land gab es auch Tausende von rassischen Zuchtanstalten, in denen die künftigen Eliten des Herrenvolkes heranwuchsen. Gleich nach dem Sieg hatte man dort Germanisch-Blond mit Slawisch-Blond (dem Warägerstamm) erfolgreich zu kreuzen begonnen; just diese Bastarde hatten sich später als besonders fanatische Kämpfer gegen die mongoliden Untermenschenreste ostwärts des Jenissei erwiesen; sie waren hinausgezogen in die Steppen, Urwälder und Eiswüsten, um dort mit Feuer und Schwert das Heiltum der arischen Urglyphe, des Hakenkreuzes, zu verkünden, das Tschandalengewürm zu zertreten und die entvölkerten Gebiete für künftige Reinzuchtkolonien urbar zu machen. All das war erst im Werden, jedoch schon jetzt von solcher Großartigkeit, daß es einem den Atem verschlug. Heil dem Führer, der solches geschaffen hatte!

Diese Eindrücke tauchten in Höllriegls Gehirn nicht in der hier wiedergegebenen Reihenfolge auf, sondern fetzenhaft und überlagert von Bildern, die ihm eine starke, blonde Rassefrau in wollüstig lässiger Hingabe, also in Schwäche und Erniedrigung, vorgaukelte. (Die bevorstehende Berlin-Fahrt hatte er schon weitgehend ausgeschaltet.) Stand das Haus der Eyckes in seiner Gesamtheit über einer schlechten Strahlung, oder waren allein Frau von Eyckes Gemächer im Einflußbereich einer pathogenen Störzone, verursacht durch unterirdische Wasserläufe oder Erzadern? Dies lag nahe, weil nur Frau Ulla leiblich und seelisch heimgesucht war. Zur heutigen ersten Mutung hatte Höllriegl, außer dem üblichen Kontrollgerät, eines der einfachsten Pendel mitgenommen, die der Gyromant kennt: das Haarpendel mit dem Kreisel aus Bernstein. Den Bernstein hatte er gewählt, weil das fossile Harz dem Weizenblond von Ullas Mähne am ehesten entsprach (insgeheim nannte er sie seine »Bernsteinhexe«), das Haar, weil es eine lebendige, menschliche Leitsubstanz ist – und weil er immer an Ullas Behaarung denken mußte. Ausschlaggebend war, wie er persönlich sich auf Frau von Eyckes Aur und Od einstellen konnte (»am besten, sie wäre nicht da«), ihr Wesen war ja in Eyckes Behausung gefangen und daher auch ohne körperliche Nähe faßbar. Er mußte, das lag auf der Hand, eine Meisterleistung vollbringen. Schon vom Ergebnis dieser ersten Mutung hing viel für ihn ab, sowohl kommerziell wie gesellschaftlich, vor allem bei den Eyckes selbst und deren Einschätzung seiner Person. Genauer: Ullas Einschätzung.

Das Pendel war nur ein Werkzeug – Erfolg oder Nichterfolg der Aktion hing allein von seinem eigenen Bio-Motor ab, von seinem Electromagicon, wie Paracelsus das genannt hatte. Würde es ihm gelingen, sich aufs äußerste zu konzentrieren, im Haus des begehrten Weibes jeden störenden Wunschgedanken auszuschließen, all das Geheime, Persönliche, das ihn so beglückend, aber mit so schmerzlicher Hoffnungslosigkeit an die Bernsteinhexe band, zurückzudrängen?