image

ROBIN KNOX-JOHNSTON

ÜBERS SEGELN

 

 

 

 

 

 

 

DELIUS KLASING VERLAG

Der Verfasser dankt der Lektorin Belinda Bird
und dem Rechercheassistenten Ben Davies.

 

 

Inhalt

Andrew Bray: Vorwort

Einleitung

1 Hinaus in die Ferne

Die Hölle vor der Haustür

Gemeinsam über den Großen Teich

Das wunderbare Schottland

Schon Pläne für den Sommer?

Fleischsuppe in Island

Der Fluch der Biskaya

Und das soll Cricket sein?

2 Einhandsegeln

SUHAILI im Ruhestand

30 Jahre später

Das schwache Geschlecht?

Man ist so alt, wie man sich fühlt

Eingefangen!

Wahnsinn

Die Freude am Einhandsegeln

3 Sicherheit auf See

Steuertricks

Eine harte Lektion

Stück für Stück zur Katastrophe

Sicherheit hinter verschlossenen Türen

»Iwan der Schreckliche« und seine Schwierigkeiten

Kraft zum Überleben

Eine Hand für das Schiff

Mann über Bord

4 Das Leben an Bord

Gedanken über einen Rekord

Die Schrecken der Nacht

Prosa für die Nachwelt – ein Logbuch fürs Leben

Großzügige Raumaufteilung

Raue Behandlung

Ausgeglichenheit

Mit Nadel und Faden

Eingepökelt

Der richtige Knoten?

Vor Anker

Das leibliche Wohl

Harmonie an Bord

5 Rettung auf hoher See

Von Bord gehen oder nicht?

Rettungskosten

Arztbesuch

Der Sturm – und die Rettung

6 Der Südozean

Ein Leben auf der Überholspur

Lockruf des Südens

Rund Kap Hoorn an einem Tag

7 Der Segelsport und die Außenwelt

Das Segeln und die Medien

Blick von der Brücke

Sensationen und Nervenkitzel

Schlechtes Benehmen

Wettkampf der Bücher

Auslaufen oder nicht?

Medaillen und Medien

Sicher ist sicher!

Verschuss und Wallschiene

8 Gefahren der Ozeane

ENZAS »UFO«

Die Schatten der TITANIC

Walgeschichten

Knapp vorbei

Da bläst er!

Wellen, die Schiffe verschlingen

9 Segelsport im Wandel

Zahlensalat

Die Flucht aufs Wasser

Der letzte Leuchtturmwärter

Wolkenschieber

Ein Meer von Müll

Vorwort

Theoretisch hat ein Chefredakteur die freie Entscheidung, was in seiner Zeitschrift veröffentlicht wird. Praktisch ist es zwar nicht unmöglich, aber sehr schwierig, das Programm umzustrukturieren. Eigentlich gibt es diese Chance nur, wenn man die Leitung neu übernimmt. Also nutzte ich sie, als ich Ende 1992 bei der angeschlagenen Yachting World einstieg. Ich betrieb einen wahren Kahlschlag, bis in der ersten neuen Ausgabe nur noch zwei der vorher so zahlreichen Artikelserien übrig waren. Dazu gehörte Knox-Johnstons Kolumne, die noch heute erscheint, 18 Jahre später. Hier trägt Robin Knox-Johnston mit seinen überragenden seemännischen Kenntnissen und seinem gesunden Menschen verstand dazu bei, dass Yachting World auf dem Teppich bleibt, denn seine Texte bilden ein Gegengewicht zur Hightech-Welt des Regattasegelns, des America’s Cup und der vielen technischen Spielereien.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Robin – jetzt: Sir Robin – ist alles andere als ein engstirniger Traditionalist. Sein Wissen und seine Themen reichen von den aktuellsten Entwicklungen bis weit zurück in die Vergangenheit. Das sieht man auch daran, dass er noch immer seine sehr einfache Ketsch SUHAILI segelt, obwohl er mit dem ultramodernen Open-60-Renner GREY POWER am letzten Velux 5 Oceans Race, einer Einhand-Weltumsegelungsregatta, teilgenommen hat. Seine Kolumne steht dafür, dass beim Seesegeln vieles heute noch dieselbe Bedeutung hat wie vor einem Jahrhundert. Man segelt heute vielleicht nicht mehr so wie damals, aber die See und der Wind verändern sich nicht.

Im Unterschied zu manchen anderen Seglern, die Bedeutendes geleistet haben, ist Robin Knox-Johnston seit 1969, als er als Erster einhand ohne Zwischenstopp die Welt umrundete, seglerisch sehr aktiv geblieben. Heute kann er auf weitere Weltumsegelungen und bedeutende Törns zurückblicken und blieb doch bescheiden. Er ist noch immer Großbritanniens bekanntester Segler und Förderer des Segelsports im umfassenden Sinn. Genau deshalb überlebte seine Kolumne, und hoffentlich schreibt er noch oft in der Yachting World.

Andrew Bray

Einleitung

Seit ich mit meiner knapp zehn Meter langen Ketsch SUHAILI zu einer Weltumsegelung auslief, hat sich die Welt des Segelsports von Grund auf geändert. Damals, 1968, dauerte die Reise bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwas über vier Knoten 312 Tage. Während ich dies schreibe, steht der Rekord für Einhandsegler bei nur noch 57 Tagen. Ich hatte das Glück, an dieser Entwicklung – sozusagen vom Igel zum Hasen – beteiligt gewesen zu sein: auf Wettfahrten mit riesigen Mehrrumpfbooten, bei der Jagd um die Bojen während des Admiral’s Cup und auf Einrumpfbooten der Open-60-Klasse. Meiner SUHAILI bin ich aber die ganze Zeit treu geblieben.

Die moderne Technik hat das Segeln revolutioniert. Verbundwerkstoffe, Wetterberatung über Funk, Selbststeueranlagen und Satelliten, die Möglichkeit, jederzeit Informationen zu senden und zu empfangen, Wetterberichte zu bekommen und laufend die genaue Position zu bestimmen, haben die Yachten schneller und schneller gemacht, und die Zukunft wird uns immer weitere Rekorde liefern. Das Segeln besteht aber nicht nur aus dem Kampf gegen die Ozeane und um Rekorde. Segler sind immer darauf aus, Neues zu erkunden, sei es an den eisigen Küsten Grönlands oder in einer Bucht vor der Haustür. So geht es auch mir, und dieses Gefühl treibt mich immer wieder auf See hinaus und verschafft mir ständig neue Themen für meine Kolumne in der Yachting World. Das Schreiben für die Yachting World – seit 18 Jahren – hat mir bis heute sehr viel Freude gemacht, auch wenn ich manchmal Mühe hatte, die Termine einzuhalten! Inhaltlich hat man mir freie Hand gelassen, sodass ich mich mit den jüngsten Regatten, aktuellen Seenotfällen oder allgemeinen Gedanken über Segeln und Seemannschaft befassen kann. Diese Vielfalt bietet hoffentlich jedem der Leser etwas.

Robin Knox-Johnston

image

1
Hinaus in die Ferne

Die Hölle vor der Haustür

Jeder Segler zählt seine Heimatgewässer zu den gefährlichsten der Welt. Beim Mündungsgebiet der Themse ist daran nach Sir Robins Ansicht aber viel Wahres.

Ist es nicht auffällig? Wohin man auch kommt, stets erklären die Einheimischen ihre Gewässer zum gefährlichsten Segelrevier der Welt.

Ich bemerkte das zum ersten Mal, als ich vor einigen Jahrzehnten von Indien nach Hause segelte. Bevor wir Bombay verließen, warnte man uns vor den Gefahren des Indischen Ozeans. Wie durch ein Wunder überlebten wir die Überfahrt nach Maskat in Oman, um dann zu hören, dass die Küste von dort nach Aden viel schwieriger zu bewältigen sei. In Mombasa erklärte man uns, dass die überstandenen Gefahren nichts gegen die Tücken der ostafrikanischen Küste seien – und so weiter. Wo immer wir hinkamen, taten die Leute das, was hinter uns lag, als Kinderspiel ab. Ausgenommen natürlich die letzten ein oder zwei Tagesetappen vor der Ankunft, wo wir offensichtlich großes Glück gehabt hätten …

Was man uns in East London über das Kap der Guten Hoffnung erzählte, zweifelten wir nicht an, aber die Kapstädter hatten weit mehr Respekt vor der Skelettküste. In Brest hört man Schauergeschichten über den Chenal du Four, in Australien über die Tasman-See, in Hongkong über das Gelbe Meer. Ich selbst bin immer der Ansicht gewesen, dass die Themsemündung einiges an Gefahren zu bieten hat: Wenn seewärts vom Sea Reach ein Oststurm gegen den Ebbstrom steht, kommt dort ein Seegang auf, den niemand, der bei Trost ist, an Bord einer kleinen Yacht erleben möchte.

Ich hielt das allerdings nur für mein eigenes Vorurteil, bis ich 1993 von dem französischen Segler Titouan Lamazou hörte, dass er sich große Sorgen mache, ob er seine fast 43 Meter lange Sloop mit 6,5 Metern Tiefgang nach London bringen könne. Wie viele Franzosen hatte er Manschetten vor der Themsemündung, nicht wegen Wind und Seegang, sondern wegen der Sandbänke und Gezeiten.

Das kann ich gut nachempfinden, denn die Themse ist nicht einfach zu befahren, und oft sitzt man ein gutes Stück von seiner Koppelposition entfernt unversehens auf Grund, zumal die Seezeichendichte verringert wurde. Selbst bei halbwegs guter Sicht ist die Themse ein ausreichender Grund zur Anschaffung eines GPS-Geräts.

Gemeinsam über den Großen Teich

Eine Atlantikpassage ist auch heute noch eine beachtliche Leistung, ganz gleich, wie viele andere Segler sie schon hinter sich haben. Amateurseglern bietet die Atlantic Rally for Cruisers (ARC) eine gute Gelegenheit, gemeinsam mit anderen den Großen Teich zu überqueren.

Wären die Enkel von John of Gaunt, eines Sohnes von König Edward III., ausgetauscht worden, sodass König Heinrich V. von England Heinrich der Seefahrer von Portugal geworden wäre und umgekehrt, dann hätte England durchaus schon früher mit Entdeckungsreisen beginnen können. Die Kanarischen Inseln, Madeira oder die Azoren hätten dann englisch statt spanisch beziehungsweise portugiesisch werden können. Natürlich hätte es keine Schlacht von Azincourt gegeben.1 Aber zum Ausgleich hätten wir eine angenehm warme Atlantikinsel auf der Nordhalbkugel gehabt, und dort wäre Bier statt Wein ausgeschenkt worden. Ob das ein großer Vorteil gewesen wäre, will ich nicht entscheiden, denn abgesehen von ihrem milden Meeresklima sind diese Inseln ja gerade durch ihren iberischen Charme so reizvoll.

Unter den drei Inselgruppen sind die Kanarischen Inseln schon am längsten der Startpunkt für Atlantiküberquerungen. Bereits Kolumbus brach von Gomera über den Ozean auf.

Das hatte auch praktische Gründe. Die Azoren liegen am Rand, im Winter meist innerhalb des Westwindgürtels. Dann können die westlichen Winde dort Sturmstärke erreichen. (Als ich im Dezember 1989 in Praia da Vitoria lag, wehte es mit 98 Knoten.) Deshalb musste man auf einer Reise nach Westen im Winter mit Gegenwind, im Sommer mit Windstillen rechnen, und in Zeiten, als man weder das Fleisch richtig einsalzen noch das Trinkwasser lange frisch halten konnte, begrenzte die Verderblichkeit der Vorräte die Dauer von Seereisen. Madeira liegt mitten in den Rossbreiten, zwischen den Westwinden und dem Nordostpassat, sodass eine Atlantiküberquerung von dort aus eher durch Flauten beeinträchtigt wird. Die Kanarischen Inseln dagegen liegen am Nordrand des Passatgürtels, wo man im Winter zwar mit wechselnden Winden rechnen muss, im Sommer aber meist beständigen Passat erwarten kann. Also waren die Kanaren für die Rahsegler, die bis vor gut 100 Jahren die ozeanische Frachtschifffahrt beherrschten, das ideale Absprungbrett. Die geografische Breite und die günstigen Winde galten als weiterer Vorteil dieser oft Südroute genannten Strecke, die eine einfache, angenehm warme Reise nach Westindien erlaubt. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass man die jährliche Wirbelsturmzeit meidet.

All das gilt heute wie damals, sodass die Kanarischen Inseln sich als idealer Startpunkt der jetzt als ARC bekannten Atlantic Rally for Cruisers anboten. Das Fahrtensegeln über Ozeane geht auf die Zeit vor über 140 Jahren zurück, aber noch 1960 waren Atlantiküberquerungen mit Yachten selten und wurden als etwas Besonderes angesehen. Seit damals hat die Verbreitung und Beliebtheit des Yachtsegelns enorm zugenommen. Es konnte nicht ausbleiben, dass die Segler mit zunehmender Erfahrung, Unternehmungslust und Freizeit immer fernere Ziele ansteuern wollen.

Es gibt keine Statistik, wie viele Yachten jedes Jahr den Atlantik überqueren, aber es müssen Tausende sein. Nicht alle Skipper sind besonders erfahren, einige unternehmen diesen Törn eigens, um Erfahrungen zu sammeln, und gerade dabei ist das ARC-Konzept so nützlich. Auf hoher See wird man niemals völlig sicher sein, aber das gemeinsame Segeln mit anderen Yachten erhöht auf jeden Fall die Sicherheit. Genau das ist das Geheimnis dieser Veranstaltung, denn der Zusammenhalt hilft den meisten Amateurbesatzungen, mit ihren Ängsten fertigzuwerden. Über Funk können die Segler sich jederzeit untereinander in Verbindung setzen. Obwohl die Konkurrenten meist schon kurz nach dem Start außer Sicht sind, braucht man sich nicht allein zu fühlen. An Bord jeder Yacht weiß man, dass andere Schiffe nur wenige Stunden entfernt sind und im Notfall zu Hilfe eilen können. Ein weiterer Vorteil solcher Konvoifahrten ist, dass Handelsschiffe in den »Notices to Mariners« und ähnlichen Nachrichtendiensten zu besonders aufmerksamem Ausguck aufgefordert werden können.

Im Gegensatz zum America’s Cup und dem Whitbread-Rennen um die Welt ist die ARC eine Veranstaltung für Amateure. Völlig ohne Ehrgeiz geht es zwar auch dabei nicht zu, aber das Wichtigste ist, wie ich vermute, die Gemeinsamkeit. Die große Teilnehmerzahl zeigt, wie viel Zuspruch das Veranstaltungskonzept gefunden hat.

Als die Rally 1986 zum ersten Mal stattfand, nahmen 204 Schiffe teil. Auch das war für eine Atlantikregatta schon ein Rekord und bewies, wie groß der Bedarf war. Die geringste Teilnehmerzahl gab es 1993 mit 97 Yachten, 2009 waren es aber wieder über 200.

___________

1 1415: Sieg der Engländer über die Franzosen. (Anm. d. Ü.)

Das wunderbare Schottland

Ein sicherer Ankerplatz, umgeben von menschenleeren Bergen – dort fühlt sich Sir Robin als Fahrtensegler wohl. Solche Stellen fand er in der Arktis, aber so weit braucht man gar nicht zu segeln, um einsame Ankerbuchten unter klarem Nachthimmel vor grandioser Gebirgskulisse zu finden.

Das Schönste und Befriedigendste am Segeln – gleich nach dem Regattasegeln – ist die Annäherung an eine Küste, die man noch nicht kennt. Alle Sinne sind angespannt, und man freut sich darauf, einen neuen Hafen oder Ankerplatz kennenzulernen. Ist die Gegend unbewohnt, umso besser, dann ist man ungestört und frei von sozialen Zwängen – was man heute immer seltener findet. Liegt man zwischen unberührten, menschenleeren Bergen oder Hügeln sicher vor Anker, empfindet man eine unvergleichliche Zufriedenheit. So etwas findet man in Europa nur noch selten, weshalb die Arktis so verlockend ist.

Kürzlich hatte ich wieder einmal einen Grund, den schottischen Nordwesten anzusteuern, und merkte dabei, dass man überhaupt nicht so weit zu segeln braucht, um dieselbe großartige Szenerie wie im hohen Norden zu erleben! Zwar sind in Schottland mehr Boote unterwegs als in der Arktis, sodass man nicht so gute Aussichten hat, ganz allein in einem Fjord oder einer Bucht zu liegen, aber die schottische Küste ist seit Jahrhunderten stark zerklüftet, sodass man die Wahl zwischen unzähligen Buchten hat. Meist kann man meilenweit von anderen Yachten entfernt ankern. Natürlich sind in Grönland die Berge höher, und in Schottland gibt es keine Gletscher, aber das Land ist schroffer, weil das Gelände noch nicht so verwittert und erodiert ist. Am inneren Ende eines schottischen Fjords, »Loch« genannt, weiden meist Schafe auf saftig-grünem Gras, während man am Ende eines grönländischen Fjords meist nur Steine und hier und da einen Busch findet. Das liegt an einigen Graden Temperaturunterschied und dem Zahn der Zeit. Wer einen guten Ankerplatz sucht, muss darauf achten, dass das Wasser am inneren Ende eines »Loch« meist allmählich flacher wird und der Grund nicht so steil ansteigt wie in der Arktis. Das hat den Nachteil, dass man im Allgemeinen weiter vom Ufer entfernt bleiben muss. Andererseits ist die Gefahr geringer, dass der Anker in tieferes Wasser schliert oder dass man beim Schwoien an die steile Kante einer neueren Sand- oder Geröllablagerung gerät, was in den arktischen Fjorden so oft passiert.

Wer die Wetterberichte hört, wird nicht den Eindruck gewinnen, dass Schottland ständig unter Starkwind und Dauerregen leidet. Beides kommt zwar vor, ist aber im Sommer eher selten, weil die atlantischen Tiefs dann weiter nördlich vorbeiziehen. Es hat aber auch Vorteile, dass man sich näher an den Tiefdruckstraßen befindet, denn das Wetter ändert sich dort schneller. Ist es an einem Tag unangenehm, kann man sich fast darauf verlassen, dass es am nächsten Tag besser wird. Selbst wer nicht allseits geschützt in einer der kleinen, tief eingeschnittenen Buchten liegt, die bei genauem Kartenstudium unschwer zu finden sind, braucht bei Winddrehungen fast immer nur ein paar Meilen2 zu verholen, um wieder geschützt unter Land zu liegen.

Man sagt, dass die Britischen Inseln kein Klima haben, sondern nur Wetter, jedenfalls bieten sie einen wunderbaren Abwechslungsreichtum und ständig wechselnde Farben am Himmel, was an der schottischen Westküste ein besonderer Genuss ist. Der Mai ist in Schottland oft sehr angenehm. Dann ist das Wetter schon recht brauchbar, und die Mücken sind noch nicht so zahlreich, dass die kleinen Blutsauger den Wettbewerb mit Dracula gewinnen könnten. Trotzdem empfiehlt es sich, einen Mückenschleier zu tragen und langärmlige Hemden, obwohl die Biester natürlich immer ihren Weg finden. Deshalb gehört dort eine Creme gegen Mücken an Bord jeder Yacht. Manche Mücken kann man auch mit Rauch vertreiben, und einige Mückenspiralen sind wirkungsvoll. Es hilft auch, alle Luken zu schließen. Doch schon der Anblick dieser schwarzen Wolken, die vor den Luken umherschwirren und nur darauf aus sind, sich auf ihre Opfer zu stürzen, kann entnervend sein. Am besten ist es, wenn irgend möglich, 200 Meter vom Ufer entfernt zu ankern. Ein paar Langstreckenflieger unter den Mücken schaffen es aber auch dorthin.

Wenn sich das nach einem Paradies mit kleinen Fehlern anhört, freut mich das: Die Schönheit der Westküste Schottlands gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen des Fahrtenseglers, und wir wollen dort kein Gedränge!

___________

2 Der Autor macht im englischen Originaltext nur sehr selten einen Unterschied zwischen Meilen und Seemeilen; in der Übersetzung sind durchgehend Seemeilen gemeint. (Anm. d. Ü.)

Schon Pläne für den Sommer?

Die Planung eines Urlaubstörns kann Kompromisse erfordern, besonders wenn die bessere Hälfte des Skippers nichts für Meilenfresserei übrig hat. Im Juni 2005 freute sich Sir Robin auf seinen Sommertörn zur Ostküste Grönlands.

Haben Sie Ihren Sommertörn schon geplant? Angenommen, Sie verbringen Ihre Zeit nicht damit, um Regattatonnen zu jagen, dann haben Sie die Qual der Wahl. In der Regel hängt die Entscheidung vor allem davon ab, wie viel Zeit zur Verfügung steht. Wie viel Urlaub kann man sich erlauben? Welche Strecke kann man bei vernünftiger Einteilung zurücklegen, um noch genügend Zeit im Zielgebiet und für die Rückreise zu haben?

Es kommt mir so vor, als hätten wir in den letzten Jahren mehr Ostwindtage gehabt, wodurch es leichter wird, nach Westen voranzukommen. Aber selbstverständlich muss man auch wieder zurück, und dafür lässt sich ideales Wetter leider nicht vorbestellen. Man braucht also genügend Reservezeit für ungünstiges Wetter oder Kreuzstrecken, was immer wichtiger wird, je näher der letzte Urlaubstag heranrückt.

Eine lange Kreuzstrecke kann beispielsweise weibliche Familienmitglieder, die nicht so begeisterte Seglerinnen sind, abschrecken. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die meisten Männer nicht wegen, sondern trotz ihrer Ehefrauen segeln (wenn auch nicht, um sie zu ärgern). Welche intelligente Frau tauscht schon gern ein festes, trockenes, geordnetes Heim, in dem alles dort stehen bleibt, wo man es hingestellt hat, und wo man die ganze Nacht durchschlafen kann, gegen eine schlingernde, stampfende, feuchte Bleibe mit begrenztem Stauraum und unmöglichen Arbeitszeiten? (Andererseits sind bei den Clipper-Regatten 35 Prozent der Bootsbesatzungen weiblich.)

Meine Frau hat immer unter Seekrankheit gelitten, schon als wir die ersten paar Tage zusammen gesegelt sind. Dennoch hat sie mit mir zweimal den Atlantik überquert und Tausende Meilen ruhigerer Törns mitgemacht. Auch jetzt, während wir älter werden, sind ihr immer noch keine Seebeine gewachsen, sie braucht sogar länger, um die Seekrankheit zu überwinden. Deshalb haben wir unsere Pläne, im Ruhestand lange Strecken zu segeln, geändert: Ich werde die Ozeanüberquerungen allein oder mit seefesten Freunden bewältigen, und sie wird die langen Strecken fliegen und zum Küstensegeln an Bord kommen.

Für den durchschnittlichen Fahrtensegler, dessen Boot an der Südküste Großbritanniens liegt, kann ein Törn zur Westküste Irlands oder Schottlands ein wenig zu weit sein, wenn das Boot nicht vorher etwas näher ans Ziel herangebracht werden kann. Selbstverständlich spielt auch die Größe der Yacht eine Rolle. Größere Schiffe sind schneller, und der Seegang behindert sie weniger. Außerdem hat man mehr Platz unter Deck, sodass das Bordleben auf längeren Fahrten etwas zivilisierter abläuft. Zwar erweitern größere Boote den Aktionsradius, sind aber natürlich kostspieliger in der Anschaffung, beim Liegegeld sowie in der Instandhaltung. Auch über den Tiefgang muss man sich Gedanken machen.

Ich selbst habe für diesen Sommer geplant, eine große Yacht im Voraus ein Stück näher an das Törnziel heranzuführen: die Ostküste Grönlands, eine der faszinierendsten Gegenden, die ich kenne. Das Schiff wird nach Reykjavik gesegelt, wo ich an Bord gehe. Anschließend wollen wir nach Kap Farvel laufen und hinter das Eis schlüpfen, das die Küste bis zum Juli abschirmt. Weil das Eis sich vor der Südküste zerstreut, sind die Südwest- und Westküste meist eisfrei, weshalb auch die Wikinger sich in diesem Gebiet ansiedelten. Sobald die Ostküste dann eisfrei wird, wollen wir dort bis zum Scoresby-Sund hinaufsegeln. Unterwegs werde ich in Kangerlussuaq aussteigen, weil Chris Bonington und ich am Domberg3 noch etwas zu erledigen haben. Vor 14 Jahren hatten wir einmal geglaubt, seinen Gipfel erreicht zu haben, mussten von dort oben aber feststellen, dass es nicht weit entfernt, jenseits einer tiefen Schlucht, einen noch höheren Gipfel gab. Einsetzender Schneefall trieb uns damals zurück ins Tal, und für einen zweiten Versuch fehlte uns die Zeit.

Der ganze Plan hängt natürlich von der Eislage ab, die jedes Jahr anders ist. Das Eis kann in zwei bis 20 Meilen Abstand an der Küste entlangtreiben oder gar nicht da sein. Wir wissen nicht, wie sich die globale Erwärmung auswirkt, aber vor sieben Jahren reichte das Eis vor dem Ort Angmassalik, den wir nicht ohne Schwierigkeiten erreichten, 20 Meilen weit auf See hinaus. Natürlich kann man sich mit einer Yacht auch einen Weg durch das Eis bahnen, in der Hoffnung, dass es in den Fjorden weniger dicht ist. Wichtig ist jedoch, dass kein starker Wind droht, der das Eis erstaunlich schnell vor sich hertreiben kann. Wenn das Boot die Schollen langsam wegdrückt, weichen sie zurück. Schiebt der Wind sie aber zusammen, sollte eine Yacht das Weite suchen. Normalerweise aber sind diese Fjorde nahezu eisfrei, wenn keine Gletscher in sie einmünden, was umso seltener der Fall ist, je weiter man nach Norden kommt.

___________

3 Gemeint ist das Domkirkebjerget-Massiv. (Anm. d. Ü.)

Fleischsuppe in Island

Als Sir Robin und der Bergsteiger Chris Bonington im Jahre 2005 durch dichtes Eis gehindert wurden, Grönland zu erreichen, brachen sie ihren Törn ab und kehrten nach Island zurück. Dort ließen sie es sich in der Sauna gut gehen, schnallten für eine Bergtour die Steigeisen an und trugen bei einem Fleischsuppenabend mit einem Lied zur Unterhaltung bei.

In diesem Jahr reichte das Eis vor Ostgrönland im August 100 Meilen auf See hinaus, sodass weder Angmassalik noch Kangerlussuaq zu erreichen waren, wohin Chris Bonington und ich mit der ANTIOPE wollten. Also nahmen wir Kurs auf Island. Die Nordwestecke sah vielversprechend aus: Dort zweigen einige kleinere Fjorde von dem Haupteinfahrtfjord ab, der Ísafjarđardjúp heißt, und ein paar eisbedeckte Berge unweit der Fjorde schienen bergsteigerisch interessant zu sein.

Als ersten isländischen Hafen liefen wir bei unserem zweiten Besuch Ísafjörđur an, einen kleinen, sehr geschützten Hafen an der Südseite des großen Fjordes, und machten zwischen Trawlern fest. Die Stadt lebt von der Fischerei, aber der Kabeljaufang ist jetzt auf 200 000 Tonnen pro Jahr begrenzt, um die Bestände nicht zu gefährden, eine drastische Verringerung im Vergleich zu den 500 000 Tonnen, die vor 30 Jahren noch jahrein, jahraus gefangen werden konnten. Daher bleiben die großen Heckfänger oft im Hafen. Im Sommer kommen Kreuzfahrtschiffe, aber die größeren müssen außerhalb des Hafens vor Anker gehen.

Wie alle isländischen Städte ist auch diese makellos sauber, doch außer dem Fischereihafen und einem hervorragenden Museum gibt es nicht viel zu sehen. Uns genügte anstelle irgendwelcher Sehenswürdigkeiten ein Besuch der öffentlichen Badeanstalt, wo wir uns nach Dusche und Sauna wunderbar sauber fühlten. Bald kamen einheimische Bergsteiger und Segler, um uns nach unseren Plänen auszufragen und unser Boot zu besichtigen. Sie schlugen uns vor, einen nördlich gelegenen Fjord namens Hesteyrarfjörđur anzulaufen, um dort zu ankern und an einem großen Treffen teilzunehmen, das einen unaussprechlichen Namen hatte, der ungefähr »Fleischsuppenabend« bedeutete.

Das ließen wir uns nicht zweimal sagen und motorten in Begleitung eines großen Buckelwals durch den Hauptfjord. Am Ziel ankerten wir eine Kabellänge vom Ufer entfernt auf sechs Metern Wasser und fuhren mit dem Beiboot an Land. Dort waren im größten Haus einer kleinen Sommerhaussiedlung mehr als 100 Menschen versammelt. Höhepunkt des Abends war eine gemeinsame Mahlzeit, die aus einer Art Irish Stew bestand – auch das ein Anhaltspunkt, dass die Iren Island lange vor den Wikingern erreicht haben. Anschließend gab es rund um ein loderndes Feuer am Strand ein fröhliches Singen. Als britischen Beitrag gaben wir »Molly Malone« und den »Drunken Sailor« zum Besten, wobei die Refrains besonders viel Anklang fanden.

Im Laufe der Nacht kehrten wir einer nach dem anderen an Bord zurück und segelten am nächsten Vormittag zu einem benachbarten Fjord, Hrafnsfjörđur, wo wir kurz vor dem inneren Ende auf sechs Metern Wasser ankerten. Wie so viele Fjorde hatte auch dieser eine flache Stelle an der Einfahrt, hier mit sieben Metern Tiefe, wo ein Gletscher Schlamm und Geröll abgelagert hatte. Weiter innen vergrößerte sich die Tiefe auf mehr als 20 Meter und wurde dann zum Ende hin geringer. Die isländischen Fjorde sind in der Mitte selten tiefer als 60 Meter und werden seitlich flacher, während die Fjorde in Grönland um die 600 Meter tief sind und der Grund an den Seiten steil abfällt. Dadurch ist das Ankern in Island viel einfacher, und ein CQR-Anker4 hält meist gut.

Wir waren hier nicht weit von der nordwestisländischen Eiskappe entfernt und wollten sie bis zum Gipfel besteigen. Nachdem wir abends unsere Kletterausrüstung vorbereitet hatten, gingen wir um 0400 Uhr an Land und machten uns an den Aufstieg, zunächst über Gras, dann über zerklüfteten Fels, der näher am Gletschereis steiler wurde und von Bächen durchzogen war. Auf dem Gestein wächst eine erstaunliche Vielfalt winziger Blumen, in denen einige ebenso kleine Schmetterlinge leben, aber zum Glück keine Mücken wie in Schottland oder Südgrönland. Auf dem Eis legten wir unsere Steigeisen an und seilten uns an, überquerten die unvermeidlichen Gletscherspalten und gelangten auf eine ebene Eisfläche. Bei dickem Nebel und nur dank GPS hatten wir eine Höhe von 886 Metern5 erreicht. Leider war das schon der Gipfel, sodass uns noch 95 Fuß6 an einem »Dreitausender« fehlten!

Nachdem wir in 14 Stunden 37 Kilometer zu Fuß zurückgelegt hatten, hatten wir erst einmal genug vom Bergsteigen und beschlossen, den Heimweg anzutreten, da ein paar Tiefs langsam ostwärts um Kap Farvel krochen. Im Sommer ist Nordisland sehr schön, aber sobald die Winterstürme einsetzen, bringt das Segeln dort keinen Spaß mehr. Für uns war es ärgerlich, dass der September in diesem Jahr in Grönland der eisärmste Monat war. Nun ja, vielleicht passt alles nächstes Mal besser.

___________

4 Pflugscharanker. (Anm. d. Ü.)

5 Entspricht 2905 Fuß. (Anm. d. Ü.)

6 Entspricht 29 Metern. (Anm. d. Ü.)

Der Fluch der Biskaya

Die Biskaya hat einen üblen Ruf – den sie nicht durchweg verdient –, aber es gibt viele Gründe, weshalb diese Meeresbucht ein solches Hindernis für Segler ist, welche die britischen Küsten hinter sich lassen wollen.

Die Biskaya ist für Segelschiffe und -boote, die von den Britischen Inseln nach Westen oder Süden wollen, ein unumgängliches Hindernis. Dieser großen Meeresbucht geht der Ruf voraus, dass das Wetter dort gröber ist als zum Beispiel im Ärmelkanal, aber das ist in Wirklichkeit nicht immer so.

Ein Sturm, der in die Biskaya fegt, wie beispielsweise zu Beginn des Velux 5 Oceans Race im Oktober 2006, erreicht auch Großbritannien. Der Seegang, den der Wind dann aufwirft, ist eine Folge der Tiefs, die über die Britischen Inseln hinwegziehen und sich in der Biskaya ebenso auswirken. Allerdings nimmt der Wind oft nach Süden hin ab. Die lange Atlantikdünung wird im Ärmelkanal und im Ostteil des Golfs von Biskaya kürzer, weil der Atlantikgrund dort ansteigt. Also steilen sich die Wellen auf, wenn man lotbare Tiefen erreicht, worunter man von alters her 200 Faden7 versteht. Oft bemerkt man den Wechsel im Seegangsbild, wenn man diese Tiefenlinie überquert. Die Biskaya ist offen für Südweststürme, doch das gilt für den Kanal ebenso. Woher kommt also ihr schlechter Ruf ?

Der Hauptgrund ist die Größe. Von Ouessant bis Kap Finisterre, dem eigentlichen Südende des Golfs, erstreckt sie sich 360 Meilen in südwestlicher bis südlicher Richtung. Für die alten Segelschiffe und auch für viele Yachten konnte und kann das eine Überfahrt von drei bis sechs Tagen bedeuten, und die Wahrscheinlichkeit, während eines solchen Zeitraums in einen Sturm zu geraten, ist ziemlich groß – erst recht im Winter. Da man bis nach Ouessant vielleicht schon zwei Tage braucht, ist das Sturmrisiko in Wirklichkeit sogar noch höher. Ungünstig ist auch, dass der Sturm fast immer von Südwesten kommt, wohin die meisten wollen. Die Folge ist eine lange, ungemütliche Kreuzerei. Manchmal muss man sogar beidrehen, bis sich eine willkommene Front nähert. Sie bringt nach Regen und einem heftigen Auffrischen des Windes eine Winddrehung auf West oder Nordwest und erlaubt es, mit geschrickten Schoten auf Finisterre zuzuhalten.

ENZA NEW ZEALANDSUHAILI