Der Idiot

Fjodor Dostojewskij

Der Idiot

Roman

Aus dem Russischen von Swetlana Geier

FISCHER E-Books

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.

Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.

Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.

Inhalt

Impressum

Covergestaltung: bilekjaeger, Stuttgart

Illustration: Kasimir Malewitsch, »Drei weibliche Figuren«, 1928-32 ©Bridgeman Art Library

 

Swetlana Geiers Neuübersetzung von »Der Idiot« erschien erstmals im Dezember 1995 im Ammann Verlag & Co., Zürich.

 

© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012

 

Unsere Adressen im Internet:

www.fischerverlage.de

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-401878-2

Fußnoten

Der Name des Schweizer Professors.

Löwchen. Koseform von Lew, russ. Löwe.

ENDE November, bei Tauwetter, gegen neun Uhr morgens, näherte sich ein Zug der Petersburg–Warschauer-Eisenbahnlinie mit Volldampf Petersburg. Es war so feucht und neblig, daß es nur zögernd hell wurde; aus den Waggonfenstern ließ sich auf zehn Schritt rechts und links vom Bahndamm kaum etwas erkennen. Ein Teil der Reisenden kehrte aus dem Ausland zurück; aber am stärksten besetzt waren die Abteile dritter Klasse, und zwar durchweg von kleinen Leuten und Geschäftsreisenden, die nicht von sehr weit her kamen. Alle waren, verständlicherweise, müde, alle hatten nach dieser Nacht schwere Lider, alle fröstelten, alle Gesichter waren blaßgelb von der Farbe des Nebels draußen.

In einem der Waggons dritter Klasse fanden sich, als es zu tagen begann, zwei Reisende einander gegenüber, beide auf den Fensterplätzen – beide jung, beide so gut wie ohne Gepäck, beide nicht gerade elegant gekleidet, beide mit ziemlich bemerkenswerten Gesichtern und beide mit dem Wunsch, endlich miteinander ins Gespräch zu kommen. Wenn beide gewußt hätten, was an ihnen in diesem Augenblick bemerkenswert war, dann hätten sie sich natürlich gewundert, daß der Zufall sie sonderbarerweise in denselben Waggon dritter Klasse der Petersburg–Warschauer-Eisenbahnlinie einander gegenüber gesetzt hatte. Der eine war gerade noch mittelgroß, etwa siebenundzwanzig, mit krausem, beinahe schwarzem Haar und kleinen grauen, jedoch feurigen Augen. Seine Nase war breit und platt, er hatte hohe Backenknochen und schmale Lippen, die sich unentwegt zu einem dreisten, spöttischen und sogar boshaften Lächeln verzogen; aber seine Stirn war hoch, wohlgeformt und hielt der unedel entwickelten unteren Gesichtspartie die Waage. Besonders auffallend

»Kalt?«

Und er hob die Schultern.

»Sehr«, antwortete der Nachbar außerordentlich bereitwillig, »und dabei haben wir auch noch Tauwetter. Wie wäre es erst bei Frost; ich hatte nicht gedacht, daß es bei uns so kalt ist. Ich wußte es nicht mehr.«

»Sie kommen aus dem Ausland? Oder?«

»Ja, aus der Schweiz.«

»P-f-f-f-f, da hat es Sie aber weit verschlagen! …«

Der Schwarzhaarige stieß einen kurzen Pfiff aus und lachte laut.

Die Unterhaltung kam in Gang. Die Bereitwilligkeit des blonden jungen Mannes im Schweizer Mantel, auf sämtliche Fragen seines dunklen Nachbarn einzugehen, war erstaunlich und völlig arglos, obwohl manche herablassend, deplaziert und müßig waren. Unter anderem ließ sich seinen Antworten entnehmen, daß er in der Tat lange Zeit außerhalb Rußlands verbracht hatte, über vier Jahre, und daß er krankheitshalber ins Ausland geschickt worden war; es hatte sich um ein eigentümliches Nervenleiden gehandelt, ähnlich der Epilepsie oder dem Veitstanz, begleitet von Muskelzuckungen und Krämpfen. Der Dunkle grinste mehrmals beim Zuhören; und er lachte laut, als auf seine Frage: »Haben die’s kuriert?« der Blonde antwortete: »Nein, sie haben es nicht kuriert.«

»He! Hat Sie bestimmt ’ne Menge Geld gekostet! Für nichts und wieder nichts, aber wir glauben ja denen da drüben«, bemerkte der Dunkle gehässig.

»Wahr und wahrhaftig!« mischte sich ein Mitreisender ins Gespräch, der neben ihm saß und ein in seinem Amt verkrusteter subalterner Beamter sein mochte, schlecht gekleidet, etwa vierzig Jahre alt, von kräftiger Statur, mit roter Nase und einem Gesicht voller Mitesser. »Wahr und

»Oh, in meinem Fall irren Sie sich aber«, widersprach der Patient aus der Schweiz mit sanfter und versöhnlicher Stimme. »Freilich, ich kann Ihnen nicht widersprechen, denn ich weiß nicht alles, aber mein Arzt hat mir von seinem eigenen Geld auch diese Reise bezahlt und hatte mich vorher beinahe zwei Jahre dort auf seine Kosten leben lassen.«

»Wieso, gab’s denn keinen, der für Sie zahlte?« fragte der Dunkle.

»Nein, Herr Pawlistschew, der für meinen Unterhalt aufkam, ist vor zwei Jahren gestorben. Ich habe dann hierher geschrieben, an die Generalin Jepantschina, meine entfernte Verwandte, aber keine Antwort erhalten. Und so komme ich hierher.«

»Hierher? Wohin denn?«

»Sie meinen, wo ich absteige? … Ich weiß es noch nicht, wirklich … Ich …«

»Sie wissen’s noch nich’?«

Darauf brachen beide Zuhörer von neuem in Lachen aus.

»Und in diesem Bündel is’ wohl Ihr ganzes Hab und Gut?« fragte der Dunkle.

»Wetten, daß es so ist«, fiel der rotnasige Beamte mit höchst zufriedener Miene ein, »und daß die Gepäckwagen keine weiteren Koffer mitführen, obwohl Armut keine Schande ist, was nicht unbemerkt bleiben darf.«

Es erwies sich, daß es sich wirklich so verhielt: Der blonde junge Mann hatte es ungewöhnlich eilig, es zu bestätigen.

»Trotz und alledem kommt Ihrem Bündelchen eine gewisse Bedeutung zu«, fuhr der Beamte fort, nachdem beide sich satt gelacht hatten (bemerkenswerterweise hatte auch der Besitzer des Bündelchens bei ihrem Anblick schließlich in das Lachen eingestimmt, was ihre Heiterkeit noch erhöhte), »auch, wenn man wetten kann, daß es weder Gold noch ausländische Rollen mit Napoléons d’or, noch Friedrichs d’or

»O ja, Sie haben es wieder getroffen«, beeilte sich der blonde junge Mann zu bestätigen, »ich bin in der Tat fast so gut wie einem Irrtum erlegen, das heißt, sie ist fast keine Verwandte von mir; so wenig sogar, daß ich damals keineswegs erstaunt war, daß man mir nicht dorthin zurückschrieb. Ich hatte es nicht anders erwartet.«

»Sie haben das Geld für das Porto umsonst ausgegeben. Hm! … Jedenfalls sind Sie gutherzig und aufrichtig, und solches ist lobenswert. Hm! … General Jepantschin ist uns wohlbekannt, schon deshalb, weil er eine allgemein bekannte Persönlichkeit ist; und der selige Herr Pawlistschew, der für Ihren Unterhalt in der Schweiz aufgekommen ist, ebenfalls, das heißt, wenn es sich um Nikolaj Andrejewitsch Pawlistschew handelt, es gab nämlich zwei Vettern dieses Namens. Der andere lebt heute noch auf der Krim, und Nikolaj Andrejewitsch, der Verstorbene, war ein angesehener Mann mit Beziehungen und besaß seinerzeit viertausend Seelen …«

»Ganz richtig, er hieß Nikolaj Andrejewitsch Pawlistschew«, sagte der junge Mann und sah den Herrn Allwissend aufmerksam und interessiert an.

Solchen Herren Allwissend begegnet man gelegentlich, und gar nicht einmal so selten, in einer bestimmten Gesellschaftsschicht. Sie wissen alles, und ihre ganze unruhige Wißbegier und ihre Fähigkeiten bewegen sich unaufhaltsam in einer einzigen Richtung, freilich in Ermangelung

Während der ganzen Unterhaltung gähnte der dunkle junge Mann, starrte ziellos aus dem Fenster und wartete ungeduldig auf das Ende der Reise. Er war irgendwie zerstreut, irgendwie ganz besonders zerstreut, fast wie von einer Unruhe getrieben, mitunter wirkte er sonderbar: Bald hörte er zu, ohne zu hören, bald sah er hin, ohne zu sehen, und bald lachte er, ohne es zu wissen und ohne ersichtlichen Grund.

»Gestatten Sie, mit wem habe ich die Ehre …?« fragte plötzlich der finnige Herr den blonden jungen Mann mit dem Bündelchen.

»Fürst Lew Nikolajewitsch Myschkin«, antwortete dieser augenblicklich mit größter Bereitwilligkeit.

»Fürst Myschkin? Lew Nikolajewitsch? Mir unbekannt. Sogar nie gehört«, sagte der Beamte nachdenklich, »das heißt,

»O ja, gewiß!« Der Fürst ging sofort darauf ein. »Es gibt ja heutzutage keine Fürsten Myschkin mehr außer mir; ich bin, glaube ich, der letzte. Und was die Väter und Großväter angeht, so waren manche aus unserer Familie Freisassen. Mein Vater allerdings war bei der Armee, Second-Lieutenant, nach der Offiziersschule. Ich weiß nur nicht, wie auch die Generalin Jepantschina eine geborene Prinzessin Myschkina sein soll, ebenfalls die Letzte ihres Geschlechts …«

»He-he! Die Letzte ihres Geschlechts! He-he! Das haben Sie gut gesagt!« kicherte der Beamte.

Auch der Dunkle mußte lächeln. Der Blonde war etwas erstaunt, daß ihm ein wenn auch ziemlich dürftiges Wortspiel gelungen war.

»Stellen Sie sich vor, ich habe das gesagt, ohne mir etwas dabei zu denken«, erklärte er schließlich verwundert.

»Versteht sich, versteht sich«, stimmte der Beamte erheitert bei.

»Sagen Sie, Fürst, hab’n Sie auch Wissenschaften gelernt, dort, bei Ihrem Professor?« fragte plötzlich der Dunkle.

»Ja … Ich habe … gelernt.«

»Und ich hab’ nie gelernt, gar nix.«

»Ich ja auch nur so, nur weniges«, ergänzte der Fürst, fast entschuldigend. »Wegen meines Leidens hielt man es nicht für möglich, mich systematisch zu unterrichten.«

»Kennen Sie die Rogoschins?« fragte der Dunkle rasch.

»Nein, ich kenne sie nicht, ganz und gar nicht. Ich kenne ja in Rußland kaum jemand. Sie sind ein Rogoschin?«

»Ja, bin ich, Rogoschin Parfjon.«

»Parfjon? Doch nicht etwa einer von jenen Rogoschins?« begann der Beamte mit besonderem Nachdruck.

»Aber … wie geht denn das nur?« Der Beamte schien vor Staunen fast zu erstarren, und seine Augen quollen ihm geradezu aus dem Kopf, während sein ganzes Gesicht einen andächtigen und unterwürfigen, ja sogar erschrockenen Ausdruck annahm. »Doch nicht von Semjon Parfjonowitsch Rogoschin, dem erblichen Ehrenbürger, der vor einem knappen Monat verschieden ist und zwei und eine halbe Million Kapital hinterließ?«

»Un’ woher willst du wissen, daß er zwei und eine halbe Million Kapital in bar hinterließ?« fiel ihm der Dunkle ins Wort, ohne auch dieses Mal den Beamten eines Blickes zu würdigen. »Sieh mal an!« (er zwinkerte dem Fürsten zu). »Un’ was hab’n die davon, daß sie sofort um einen herumschwänzeln? Aber stimmt, mein Alter is’ tot, un’ ich komme aus Pskow ’nen Monat später so gut wie ohne Stiefel nach Hause. Weder der Lump von Bruder noch meine Mutter hab’n mir Geld oder ’ne Nachricht geschickt – nix! Bin ich vielleicht ’n Hund? Ich hab’ in Pskow ’nen ganzen Monat lang mit Wechselfieber im Bett gelegen! …«

»Und nun gilt es, auf einen Schlag ein Milliönchen und noch einiges darüber in Empfang zu nehmen, mindestens, o Gott!« Der Beamte schlug die Hände zusammen.

»Jetzt sag mir doch einer, was das den da angeht!« rief Rogoschin abermals gereizt mit einer wütenden Kopfbewegung in seine Richtung. »Denn du kriegst von mir nich’ ’ne einzige Kopeke, un’ wenn du vor mir auf den Händen läufst!«

»Mach’ ich, ich lauf’ auf den Händen!«

»Sieh mal an! Un’ ich geb’ dir nix, gar nix, kannst ruhig ’ne ganze Woche vor mir tanzen!«

»Du brauchst mir nichts zu geben! Geschieht mir recht; nichts brauchst du mir zu geben! Ich werde trotzdem tanzen.

»Pfui Teufel!« Der Dunkle spuckte aus. »Vor fünf Wochen bin ich genauso wie Sie«, er wandte sich an den Fürsten, »mit ’nem kleinen Bündel vorm Vater nach Pskow getürmt, zur Tante: un’ dort hat mich’s hitzige Fieber umgehauen, der aber is’ ohne mich gestorben. Der Schlag hat ihn getroffen. Gott hab ihn selig, aber damals fehlte nich’ viel und er hätt’ mich totgeschlagen! Sie können’s mir glauben, Fürst, bei Gott! Wär’ ich damals nich’ getürmt, hätt’ er mich bestimmt totgeschlagen.«

»Haben Sie ihn irgendwie erzürnt?« fragte der Fürst, der mit ganz besonderer Neugier den Millionär im Lammpelz betrachtete. Wenn auch eine Million und eine Erbschaft schon an und für sich etwas Beachtenswertes darstellten, so war es doch noch etwas anderes, was den Fürsten in Erstaunen versetzt und sein Interesse geweckt hatte; und auch Rogoschin war aus irgendeinem Grunde besonders viel an dem Fürsten als Gesprächspartner gelegen, obwohl eine Unterhaltung ihm eher ein mechanisches als ein moralisches Bedürfnis zu sein schien; es entsprang eher einer Zerstreutheit als einer Offenherzigkeit; eher einer Erregung, einer Unruhe, bloß um jemand vor Augen zu haben und der Zunge freien Lauf zu lassen. Er machte den Eindruck, als habe er immer noch Wechselfieber, wenigstens Schüttelfrost. Und was den Beamten betraf, so verschlang er Rogoschin mit Augen, wagte kaum zu atmen, ließ sich kein Wort entgehen und wägte jedes einzelne, als suche er einen Brillanten.

»Erzürnt? Freilich hab’ ich ihn erzürnt, und vielleicht hab’ ich’s verdient«, antwortete Rogoschin, »aber den größten Ärger machte mir der Bruder. Über unsere Mutter gibt’s nix zu sagen, sie is’ ’ne alte Frau, liest Heiligen-Leben, sitzt da, mit ihren alten Weibern, und sagt zu allem und jedem, was Bruder Senka dünkt, ja und amen. Aber warum hat er mir nie rechtzeitig einen Wink gegeben? Das durchschauen wir,

»Kirchenschändung, jawohl, Kirchenschändung!« bejahte der Beamte eilfertig.

»Un’ dafür kommt man nach Sibirien?«

»Nach Sibirien, jawohl, nach Sibirien! Umgehend nach Sibirien!«

»Die glauben immer noch, daß ich krank bin«, fuhr Rogoschin fort, sich an den Fürsten wendend, »aber ich stieg heimlich, ohne ’n Wort zu verlieren, in die Eisenbahn und komm’ nun angefahren: Mach die Türen auf, Bruder Semjon Semjonowitsch! Der hat mich beim seligen Vater schlechtgemacht, das weiß ich. Aber daß ich unsern Vater damals Nastassja Filippownas wegen in Rage gebracht habe, das stimmt. Das war ich selbst. Der Böse hat mich verleitet.«

»Wegen Nastassja Filippowna?« wiederholte der Beamte servil, während er zu überlegen schien.

»Die kennste doch nich’«, fuhr ihn Rogoschin ungeduldig an.

»Die kenn’ ich doch«, trumpfte der Beamte auf.

»Von wegen! Gibt viele Nastassja Filippownas auf der

»Aber vielleicht kenne ich sie doch, mein Herr!« Der Beamte gab sich nicht geschlagen. »Lebedjew kennt sie! Und Euer Erlaucht gefällt es, mich zu schelten, wie aber, wenn ich es beweisen kann? Und wenn sie dieselbe Nastassja Filippowna ist, um derentwillen Ihr Vater Sie mit dem Krückstock belehrt hat, dann ist diese Nastassja Filippowna eine Baraschkowa, eine, wenn man so sagen will, sogar hochherrschaftliche Dame, in ihrer Art auch eine Prinzeß und hat Umgang mit einem gewissen Tozkij, Afanassij Iwanowitsch, ausschließlich mit ihm, einem Gutsbesitzer und ganz großen Kapitalisten, Mitglied verschiedener Compagnien und Gesellschaften, und aus diesem Grunde enge Beziehungen zu General Jepantschin unterhaltend …«

»Aha, so einer bist du!« Rogoschin war nun wirklich verblüfft. »Hol’s der Teufel, er kennt sie tatsächlich.«

»Er kennt alle! Lebedjew weiß alles! Ich bin, Euer Durchlaucht, zwei Monate lang mit Lichatschow, Alexaschka, herumgezogen, ebenfalls nach dem Ableben des Vaters, und kenne alle Winkel und alle Schliche, und ohne Lebedjew ging es schließlich überhaupt nicht mehr, so weit war es gekommen. Heute weilt er im Schuldturm, aber damals nutzte er die Gelegenheit, Armance und Coralie und die Fürstin Pazkaja und Nastassja Filippowna kennenzulernen, und auch sonst ließ er sich keine Gelegenheit entgehen, manches kennenzulernen.«

»Nastassja Filippowna? Hat sie was mit Lichatschow …?« Rogoschin sah ihn grimmig an, sogar seine Lippen wurden weiß und begannen zu zittern.

»N-nichts! N-n-n-ichts! Rein gar nichts!« beteuerte der Beamte hastig, »mit seinem ganzen Geld konnte Lichatschow nicht zum Ziel kommen! Nein, die ist etwas ganz anderes als die Armance. Da gibt es nur den Tozkij. Und abends sitzt sie

»Stimmt alles haargenau«, bestätigte Rogoschin mit finster gerunzelter Stirn. »Saljoschew hat mir damals dasselbe gesagt. Ich lief damals in Vaters Pekesche über den Newskij, die Pekesche hatt’ ich vor gut drei Jahren von ihm geerbt, da kommt sie aus ’nem Laden und steigt in ihre Equipage. Da traf’s mich wie ein Blitz. Un’ dann begegne ich Saljoschew, der ist ’ne ganz andere Sorte als ich, der sieht aus wie ’n Frisörgehilfe, trägt Monokel, wir aber hatten vom Vater aus Schmierstiefel an un’ mußten Fasten-Stschi löffeln. Die da, sagt er, is’ nix für dich – die is’ ’ne Fürstin, un’ heißen tut sie Nastassja Filippowna, mit Familiennamen Baraschkowa, un’ sie lebt mit Tozkij, un’ Tozkij weiß nich’ mehr, wie er sie loskriegen soll, denn inzwischen is’ er in die Jahre gekommen, fünfundfünfzig, un’ will die erste Schönheit von ganz Petersburg heiraten. Un’ weiter hör’ ich von ihm, du kannst Nastassja Filippowna heute noch im Bolschoj sehen, im Ballett, in ihrer Loge, in einer Penoire. Bei uns daheim, beim Vater, da sollt’ einer mal wagen, ins Ballett zu gehen – da gab’s nur eins – halb totschlagen! Ich renn’ trotzdem heimlich für ’ne Stunde hin und seh’ Nastassja Filippowna wieder; die ganze Nacht lag ich wach. Am Morgen gibt mir der Vater, Gott hab ihn selig, zwei fünfprozentige Papiere, fünftausend Rubel jedes, ich soll, sagt er, also hingehen un’ sie verkaufen, siebentausendfünfhundert zu Andrejew ins Kontor bringen und einzahlen, und den Rest von den Zehntausend ohne Umwege dem Vater abliefern: ›Ich wart’ auf dich.‹ Ich verkaufte die Papiere, steckte das Geld ein, ging aber nich’ zu Andrejew ins Kontor, sondern schnurstracks in den Englischen Laden un’ suchte dort ein Paar Ohrringe aus, in jedem einen Brillanten, beinahe wie ’ne Haselnuß, vierhundert Rubel bin ich schuldig

»Au!« Der Beamte hatte immer wieder das Gesicht verzogen und sogar geschaudert. »Dabei konnte der Selige nicht erst wegen zehntausend, sondern wegen eines bloßen Zehners Menschen ins Jenseits befördern«, erklärte er dem Fürsten. Der Fürst beobachtete Rogoschin interessiert; in diesem Augenblick schien dieser noch bleicher.

»Ins Jenseits befördern!« äffte Rogoschin nach, »was willst du schon wissen! Der hatte«, wandte er sich wieder an den

»Ja, ja, jetzt wird Nastassja Filippowna uns ein anderes Liedchen singen«, kicherte händereibend der Beamte, »was sind jetzt schon Ohrringe! Jetzt werden die Ohrringe so vergütet, daß …«

»… daß ich dich mit dem Stock, bei Gott, durchprügle, wenn du ein einziges Wort von Nastassja Filippowna sagst, merk’s dir, ob du mit Lichatschow rumgezogen bist oder nich’!« fuhr ihn Rogoschin an und packte ihn fest am Arm.

»Wenn du mich prügelst, heißt das, daß du mich nicht davonjagst! Du kannst mich ruhig prügeln! Geprügelt ist besiegelt … Und jetzt sind wir da!«

Der Zug fuhr tatsächlich in den Bahnhof ein. Obwohl Rogoschin gesagt hatte, er wäre heimlich abgereist, wurde er schon von mehreren Personen erwartet. Sie riefen und schwenkten ihre Mützen.

»Merken Sie auf, Fürst Lew Nikolajewitsch!« ließ sich Lebedjew eindringlich und feierlich vernehmen. »Lassen Sie sich solches nicht entgehen! Lassen Sie es sich nicht entgehen! …«

Fürst Myschkin erhob sich kurz von seinem Platz, bot Rogoschin höflich die Hand und sagte liebenswürdig:

»Es wird mir das größte Vergnügen sein, zu kommen, und ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie mich gern haben. Vielleicht werde ich sogar heute schon kommen, falls meine Zeit es erlaubt. Weil Sie mir, ich gestehe es aufrichtig, ebenfalls sehr gefallen haben, ganz besonders, als Sie von den Brillantohrringen erzählten. Sie haben mir sogar vor den Ohrringen schon gefallen, obwohl Ihr Gesicht düster ist. Ich danke gleichfalls für die versprochenen Kleider und den Pelz, denn ich werde in der Tat sehr bald andere Kleidung und einen Pelz benötigen. Geld aber habe ich augenblicklich so gut wie keines.«

»An Geld soll’s nich’ fehlen, gegen Abend is’ es da, komm nur!«

»Soll’s nicht fehlen, soll’s nicht fehlen!« fiel der Beamte ein. »Gegen Abend, noch vor Sonnenuntergang!«

»Ich, n-n-nein! Ich bin ja … Sie wissen es vielleicht nicht, ich kenne bei meiner angeborenen Krankheit die Frauen sogar überhaupt nicht.«

»Nun, wenn’s so is’!« rief Rogoschin aus, »dann biste ja ganz und gar ’n Gottesnarr, und solche wie dich hat Gott der Herr lieb!«

»Solche hat Gott der Herr lieb!« wiederholte der Beamte.

»Und du kommst mit, du Tintenklexer«, sagte Rogoschin zu Lebedjew, und sie stiegen zusammen aus.

Lebedjew hatte sein Ziel erreicht. Es dauerte nicht lange, und die ganze lärmende Gesellschaft setzte sich in Richtung des Wosnesenskij-Prospekts in Bewegung. Der Fürst mußte in die Litejnaja. Es war feucht und regnerisch; der Fürst erkundigte sich bei Passanten nach dem Weg – bis zu seinem Ziel hätte er drei Werst zurücklegen müssen, und so beschloß er, eine Droschke zu nehmen.

II

GENERAL Jepantschin wohnte im eigenen Haus, in der Nähe der Litejnaja, in der Richtung der Kirche Christi Verklärung. Außer diesem ausgezeichneten, zu fünf Sechsteln vermieteten Haus besaß General Jepantschin ein weiteres, riesiges Haus in der Sadowaja, das ebenfalls außerordentlich einträglich war. Außer diesen beiden Häusern nannte er einen sehr gewinnbringenden und bedeutenden Landbesitz unmittelbar vor den Toren Petersburgs sein eigen; im Bezirk von Petersburg gehörte ihm eine Fabrik. Früher einmal hatte sich der General, wie allgemein bekannt war, an der Branntweinpacht beteiligt. Inzwischen jedoch war er Aktionär einiger solider Compagnien geworden, auf dessen Stimme gehört wurde. Er galt als ein Mann mit großem Vermögen, großem

Den General umgab eine blühende Familie. Freilich gab es da nicht nur Rosen, sondern auch manches andere, worauf sich schon seit geraumer Zeit die größten Hoffnungen und Absichten seiner Exzellenz mit zunehmendem Ernst und Hingabe konzentrierten. Was sonst, welche Absichten könnten bedeutender und heiliger genannt werden als die elterlichen? Wo könnte man Anker werfen, wenn nicht in der Familie? Die Familie des Generals bestand aus seiner Gattin und drei erwachsenen Töchtern. Geheiratet hatte der General schon vor sehr langer Zeit, noch im Range eines Leutnants, und zwar eine junge, fast gleichaltrige Dame, die sich weder durch besondere Schönheit noch durch Bildung auszeichnete und nur fünfzig Seelen in die Ehe mitbrachte – welche allerdings die Grundlage seiner späteren Fortune werden sollten. Aber der General haderte in der Folge nicht mit seinem Schicksal wegen der frühen Ehe, tat sie niemals als eine Verwirrung der unüberlegten Jugend ab und achtete seine Gemahlin so hoch und fürchtete sie bisweilen so sehr, daß er sie sogar liebte. Die Generalin entstammte dem fürstlichen Haus der Myschkins, einem zwar nicht besonders glanzvollen, dafür aber sehr alten Geschlecht, und tat sich auf ihre Herkunft nicht wenig zugute. Eine der damals einflußreichen Persönlichkeiten, einer von jenen Protektoren, denen das Protegieren keinerlei Unkosten verursacht, hatte sich bereitgefunden,

In diesen letzten Jahren waren alle drei Generalstöchter – Alexandra, Adelaida und Aglaja – herangewachsen und herangereift. Alle drei freilich nur geborene Jepantschins, aber mütterlicherseits aus fürstlichem Geschlecht, mit einer nicht unbedeutenden Mitgift und einem Vater, der vielleicht auf einen sehr hohen Posten prätendierte – und alle drei sahen sie, was ebenfalls nicht ganz unwesentlich ist, bemerkenswert gut aus, die Älteste, Alexandra, die bereits die Fünfundzwanzig überschritten hatte, nicht ausgenommen. Die Mittlere war dreiundzwanzig und die Jüngste, Aglaja, gerade zwanzig Jahre alt. Diese Jüngste war sogar eine wirkliche Schönheit und begann in der Gesellschaft allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen. Aber auch das war noch nicht alles: Alle drei zeichneten sich durch ihre Bildung, ihren Verstand und ihre Talente aus. Es war bekannt, daß sie mit ganz besonderer Liebe aneinander hingen und zueinander hielten. Man sprach sogar von gewissen Opfern der beiden Älteren zugunsten des Abgotts der ganzen Familie – der Jüngsten. In Gesellschaft vermieden sie es nicht nur, sich aufzuspielen, sondern gaben sich sogar auffallend bescheiden. Niemand konnte ihnen Hochmut oder Dünkel vorwerfen, indes war bekannt, daß sie stolz und sich ihres Wertes bewußt waren. Die Älteste widmete sich der Musik, die Mittlere war eine vorzügliche

Es war bereits elf Uhr, als der Fürst an der Wohnungstür des Generals läutete. Der General bewohnte den zweiten Stock und war betont prunklos, wenn auch seiner Stellung angemessen eingerichtet. Ein Diener in Livree öffnete, und der Fürst mußte ziemlich lange mit ihm verhandeln, weil dieser Mann nach einem Blick auf ihn und sein Bündel mißtrauisch geworden war. Endlich, nach wiederholter, ausdrücklicher Versicherung, er sei in der Tat ein Fürst Myschkin und müsse den General unbedingt in einer dringenden Angelegenheit sprechen, geleitete der immer noch befremdete Diener ihn weiter, in einen kleinen Vorraum, der zu dem Empfangszimmer vor dem Kabinett führte, und übergab ihn der Obhut eines zweiten Dieners, der sich vormittags in diesem Vorzimmer aufzuhalten und dem General die Besucher zu melden hatte. Dieser zweite Diener trug einen Frack, mochte die Vierzig überschritten haben, und seine besorgte Miene ließ darauf schließen, daß er, der spezielle Kabinetts- und Meldediener Seiner Exzellenz, sich seiner besonderen Würde bewußt war.

»Bitte warten Sie im Empfangszimmer. Das Bündelchen können Sie hier ablegen«, sagte er, indem er sich würdevoll und ohne Eile in seinem Sessel niederließ und mit strenger Verwunderung den Fürsten betrachtete, der, das Bündel immer noch in der Hand, direkt neben ihm auf einem Stuhl Platz genommen hatte.

»Das Vorzimmer ist für Sie nicht angemessen, denn Sie sind ein Besucher, das heißt, ein Gast. Möchten Sie zum General persönlich?«

Der Diener konnte sich offenbar mit der Vorstellung nicht abfinden, diesen Besucher anmelden zu müssen, und beschloß, sich noch einmal zu vergewissern.

»Ja, ich habe ein Anliegen, das …«, begann der Fürst.

»Ich frage Sie nicht nach Ihrem Anliegen – meine Pflicht ist, Sie nur anzumelden, und ohne den Sekretär kann ich Sie nicht anmelden, wie schon gesagt.«

Das Mißtrauen des Mannes schien zuzunehmen; der Fürst paßte kaum in die Kategorie der üblichen Besucher, und obwohl der General ziemlich oft, beinahe täglich, zur festgesetzten Stunde, vorwiegend geschäftlich die unterschiedlichsten Besucher zu empfangen pflegte und der Kammerdiener allerlei gewohnt und im Besitz recht umfassender Instruktionen war, fühlte er sich nun ausgesprochen ratlos; ohne Befürwortung des Sekretärs durfte er diesen Besucher nicht anmelden.

»Sind Sie denn wirklich … aus dem Ausland gekommen?« fragte er schließlich fast unwillkürlich – und stockte; er hatte wahrscheinlich fragen wollen: “Sind Sie denn wirklich ein Fürst Myschkin?”

»Ja, ich komme direkt von der Bahn. Ich glaube, Sie wollten mich fragen: Sind Sie denn wirklich ein Fürst Myschkin? Aber Sie haben es aus Höflichkeit nicht gesagt.«

»Hm! …«, räusperte sich der verblüffte Diener.

»Ich versichere Ihnen, daß ich Sie nicht belüge und daß Sie meinetwegen keinen Ärger haben werden. Und über meinen Aufzug und das Bündel braucht man sich nicht zu wundern; im Augenblick sind meine Verhältnisse nicht gerade glänzend.«

»Hm. Ich fürchte etwas anderes, wissen Sie. Es ist meine

»O nein, da können Sie ganz ohne Sorge sein. Ich habe ein anderes Anliegen.«

»Sie müssen schon entschuldigen, ich habe es ja nur so gefragt, Ihrem Aussehen nach. Warten Sie, bis der Sekretär kommt; beim General ist jetzt der Oberst, dann kommt auch der Sekretär … der von der Compagnie.«

»Nun, da ich länger warten muß, möchte ich Sie fragen, ob ich hier nicht irgendwo rauchen darf? Pfeife und Tabak habe ich bei mir.«

»Rauchen?« Der Kammerdiener riß mit verächtlichem Staunen die Augen auf, als traute er seinen Ohren nicht. »Rauchen? Nein, hier darf man nicht rauchen, und außerdem sollten Sie sich schämen, auch nur einen Gedanken darauf zu verschwenden. Hm! … Komisch!«

»Oh, ich habe doch nicht an dieses Zimmer gedacht; so etwas weiß ich doch; ich wäre hinausgegangen, wohin Sie mich gewiesen hätten, denn ich bin sehr daran gewöhnt und habe seit gut drei Stunden nicht mehr geraucht. Aber das macht nichts, wie Sie meinen, wissen Sie, nach dem Sprichwort: Im fremden Kloster …«

»Aber wie kann ich jemanden wie Sie anmelden?« murmelte der Kammerdiener beinahe fassungslos. »Erstens sollten Sie sich überhaupt nicht hier aufhalten, sondern im Empfangszimmer Platz nehmen, denn Sie gelten als Besucher, also als Gast, und ich werde Rede und Antwort stehen müssen … Und wie ist es, haben Sie die Absicht, bei uns abzusteigen?« fragte er und schielte abermals nach dem Bündel des Fürsten, das ihm offenbar keine Ruhe ließ.

»Nein, das habe ich nicht vor. Ich werde nicht bleiben, sogar wenn man mich dazu auffordern sollte. Ich bin nur gekommen, damit wir uns kennenlernen, das ist alles.«

»Ach, das ist fast gar kein Anliegen! Das heißt, es gibt da ein Anliegen, und ich will nur um Rat fragen, aber eigentlich wollte ich mich nur vorstellen, das ist der Hauptgrund, weil ich ein Fürst Myschkin bin und die Generalin Jepantschina gleichfalls die letzte Prinzeß Myschkin ist, und außer uns beiden gibt es keine Myschkins mehr.«

»Dann sind Sie auch noch ein Verwandter?« Der inzwischen fast endgültig erschreckte Diener fuhr in die Höhe.

»Auch das trifft kaum zu. Freilich, wenn man es großzügig nimmt, sind wir verwandt, aber so entfernt, daß man es eigentlich kaum gelten lassen kann. Ich hatte einmal aus dem Ausland an die Generalin geschrieben, aber sie hat mir nicht geantwortet. Ich habe dennoch beschlossen, nach meiner Rückkehr in Verbindung mit ihr zu treten. Ich erkläre Ihnen das so genau, damit Sie nicht länger zweifeln, weil ich sehe, daß Sie sich noch immer Sorgen machen: Melden Sie den Fürsten Myschkin, schon aus der Anmeldung ist der Grund meines Besuches zu erkennen. Werde ich empfangen – gut, werde ich nicht empfangen – auch gut, vielleicht sogar sehr gut. Aber es ist doch wohl ausgeschlossen, daß sie mich nicht empfangen: Die Generalin wird natürlich wünschen, den ältesten und einzigen Nachfahren ihres Geschlechts zu sehen, sie legt großen Wert auf ihre Abstammung, wie ich gehört habe.«

Es schien, als wäre alles, was der Fürst sagte, ganz einfach; aber je einfacher es schien, desto absurder klang es bei dieser Gelegenheit, und der erfahrene Kammerdiener konnte nicht umhin, etwas zu empfinden, was von Mensch zu Mensch durchaus schicklich, aber zwischen einem Besucher und einem Domestiken völlig unschicklich ist. Und da die Domestiken in der Regel wesentlich klüger sind, als ihre Herrschaften es von ihnen annehmen, befand auch dieser

»Sie möchten sich aber trotzdem in das Empfangszimmer bemühen«, bemerkte er mit denkbar größtem Nachdruck.

»Aber wenn ich dort gesessen hätte, dann hätte ich Ihnen ja nichts erklären können.« Der Fürst lachte vergnügt. »Folglich wären Sie beim Anblick meines Mantels und meines Bündels immer noch besorgt. Vielleicht brauchen wir gar nicht mehr auf den Sekretär zu warten, Sie gehen hinein und melden mich selbst.«

»Nein, einen solchen Besucher wie Sie darf ich ohne den Sekretär nicht melden. Und außerdem haben Exzellenz persönlich uns vorhin befohlen, Exzellenz unter keinen Umständen zu inkommodieren, solange der Oberst dort ist, Gawrila Ardalionytsch aber darf jetzt eintreten.«

»Ein Beamter?«

»Gawrila Ardalionytsch? Er hat eine Stellung bei der Compagnie. Legen Sie wenigstens Ihr Bündel hier ab.«

»Ich habe schon daran gedacht, wenn Sie erlauben. Wissen Sie, könnte ich nicht auch den Mantel ablegen?«

»Selbstverständlich, Sie können doch nicht im Mantel bei Exzellenz eintreten.«

Der Fürst stand auf, legte schnell seinen Mantel ab und stand nun in einem durchaus ansehnlichen und gut geschnittenen, wenn auch schon abgetragenen Rock da. Über der Weste hing eine Stahlkette. Zu dieser Kette gehörte, wie sich später herausstellte, eine silberne Genfer Uhr.

Auch wenn der Fürst ein Narr war (das stand für ihn bereits fest), so schien es dem Kammerdiener des Generals schließlich doch ungehörig, das Gespräch mit dem Besucher

»Und wann empfängt die Generalin?« fragte der Fürst, indem er sich wieder auf seinen alten Platz setzte.

»Das ist nun nicht mein Bereich. Ganz verschieden, je nach Person. Die Modistin wird schon um elf vorgelassen. Gawrila Ardalionytsch wird gleichfalls früher als die anderen vorgelassen. Sogar schon zum ersten Frühstück wird er vorgelassen.«

»Hier, bei Ihnen, ist es in den Zimmern wärmer als im Ausland während der Wintermonate«, bemerkte der Fürst. »Dort ist es draußen wärmer als bei uns, aber in den Häusern ist es im Winter so, daß ein Russe, der nicht daran gewöhnt ist, es nicht aushalten kann.«

»Heizen die denn nicht?«

»Doch, aber die Häuser sind anders gebaut, das heißt, die Öfen und die Fenster.«

»Hm! Und sind Sie dort lange gereist?«

»Ganze vier Jahre. Allerdings bin ich fast die ganze Zeit im selben Ort geblieben, auf dem Lande.«

»Sie haben wohl vergessen, wie es bei uns ist?«

»Auch das ist wahr. Wissen Sie, ich wundere mich selber, daß ich das Russische nicht verlernt habe. Ich unterhalte mich jetzt mit Ihnen und denke dabei im stillen: ›Aber ich spreche ja gut‹ – vielleicht spreche ich deshalb so viel. Wirklich, seit gestern möchte ich nichts anderes, als immerzu russisch sprechen.«