Peter Rosegger

Waldheimat (Autobiografischer Roman)

Alle 4 Bände: Das Waldbauernbübel + Der Guckinsleben + Der Schneiderlehrling + Der Student auf Ferien



e-artnow, 2015
Kontakt: info@e-artnow.org
ISBN 978-80-268-4493-8

Inhaltsverzeichnis

Erster Band: Das Waldbauernbübel
Vorwort
Von meinen Vorfahren
Vom Urgroßvater, der auf der Tanne saß
Als Großvater freien ging
Die ledernen Brautwerber meines Vaters
Das fahrende Zechen
Ums Vaterwort
Was bei den Sternen war
Als ich das Ofenhuckert gewesen
Wie ich dem lieben Herrgott mein Sonntagsjöppel schenkte
Wie das Zicklein starb
Von meiner blinden Führerin
Einer Weihnacht Lust und Gefahr
Am Tage, da die Ahne fort war
Als ich den Himmlischen Altäre gebaut
Dem Anderl sein Tabakgeld
Die Zerstörung von Paris und andere Missetaten
Der Ehrentag des Federlschneiders
Wie der Meisensepp gestorben ist
Auf der Wacht beim toten Jäger
Dreihundertvierundsechzig und eine Nacht
Geschichten unter dem wechselnden Mond
Die fremden Holzknechte
Wie ich mit der Thresel ausging und mit dem Maischel heimkam
Als ich auf den Taschenfeitel wartete
Die Geschichte vom Schlüssel
Als ich –
Die Ankunft des heiligen Geistes
Als ich Bettelbub gewesen
Weg nach Mariazell
Als ich zur Drachenbinderin ritt
Als ich mir die Welt am Himmel baute
Zweiter Band: Der Guckinsleben
Als ich Christtagsfreude holen ging
Der unrechte Spielkartentisch
Als wir unschuldiges Blut vergossen haben
Als ich um Hasenöl geschickt wurde
Stiegelhupfer – Batzenschupfer!
Als wir zur Schulprüfung geführt wurden
Als ich Eierbub gewesen
Der Gang zum Eisenhammer
Ein Neujahrsmahl beim Hammerherrn
Als ich Schullehrer gewesen
Der Preuß' in der Waldheimat
Das Schläfchen auf dem Semmering
Als der Kaiser die Kaiserin nahm
Wie dem Hartl an einem Tage die Sonne zweimal aufging
Der große Wald
Die Mission zu Fischbach
Vom heiligen Wasser
Als ich nach Emaus zog
Ein funkelnagelneues Jahr
Als ich das erstemal auf dem Dampfwagen saß
Als ich den Kaiser Josef suchte
Als ich im Walde bei Käthele war
Als dem kleinen Maxel das Haus niederbrannte
Als die hellen Nächte waren
Am Waldbrunnen
Die Wacht am Rain
Beim lieben Vieh
Auf der Alm gibt's ka Sünd'
Als ich ins Paradies ging
Nur bis zum K–
Als ich eine Schlacht gesehen
Der Warzenkrieg
Ereignisse eines Faschingtages
O du schöne, süße Samstagsnacht!
Als ich zum Pfluge kam
Dritter Band: Der Schneiderlehrling
Am ersten Tage
Als ich Robinson im Schneiderhäusel war
Ein reisender Handwerksbursch
Noch Eins vom langen Christian
Vom Gesellen Wenzelaus
Einer jener Tage
Als wir um ein Büschel Sonnenstrahlen haben geschickt
Der versteigerte Schneider
Der heiratslustige Schneider
Der ewige Schneider
Der Prediger in der Wüste
Schneider und Nähterinnen durcheinander
Die Geschichte von der Wunderlampe
Eine lederne Ster
Das Festmahl im Ziselhofe
Eine Herzensangelegenheit
Mein erstes Honorar
Vom Hacherl, der auf dem Tische saß
Wie ich Pariser Mode habe eingeführt
Als wir Lichtbratl haben gefeiert
Der Bauernspöttler im Krautaler
Von der besessenen Traudel
Als ich meinen Lehrmeister nicht bestahl
Die Freisprechung und der ungarische Schneider
Das Lehrstück
Ich suchte und wußte nicht was
Als ich Freigeist ward
Bübchen, wirst du ein Rekrut!
Die Sonnenwende
Als ich davonging
Fremd gemacht!
Ein Letztes vom alten Meister Naz
Vierter Band: Der Student auf Ferien
Die ersten Ferien
Der erste Christbaum in der Waldheimat
Als wir das Geld haben fortgetragen
Wie es dem weisen Stin als Zuschauer erging
Als der Gestorbene zurückkam
Die Botschaft des lachenden Hausel
Die Geschichte vom Staufel mit den sieben Krankheiten
Der lustige Andredl
Die Winternacht auf dem Stuhleck
Wie es dem Sonnenberger beim Freien erging
Wie der Oheim den Hammerherrn betrogen hat
Wo Barthel den Most holt
Der Student als Amorl
Vom Hauswächter Waldl
Wie wir Fasching und Fasten haben gehalten
Er hat ein schön's Röckerl an und ein schön's Knöpferl dran
Jugendnebel
Die Diebsschuhe
Was der Jäger Kickel für einen unrechten Schuß getan hat
Der Studentenhansel
Der Arsenikesser
Nacht
Die Geschichte von Remi dem Räuber
Der Traumkünstler
Die alte Lori
Der Funkenferl
Ein kleiner Spaziergang
Der Waldbauer, dieser Dodel!
Das Kreuz an der Stiegel
So leb' denn wohl, du stilles Haus!
Der Waldheimat letzter Tag
Das Büscherl auf dem Hut

Erster Band:
Das Waldbauernbübel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Kindheitsheimat! – Das uralte Lied, dem man ewig horcht.

Es ist eine der göttlichen Eigenschaften unserer Seele, daß wir vergangenes Ungemach leichter zu vergessen pflegen, als vergangene Freuden, daß sich in der Erinnerung diese Freuden immer mehr von den Schlacken des Ungemachs reinigen, bis sie dastehen wie ein strahlender Himmelsaltar, auch dem alten Kinde noch. Man nennt sie Träumer, die Menschen, die so gerne ins Vergangene schauen; wir bedenken nicht, daß sie in traumhaftem Glücke einen Schatz bewachen, der unverlierbar und unzerstörbar ist – solange die Seele lebt, in der er ruht.

Kindheitsheimat. Ich habe kein Land gefunden in der weiten Welt, das so schön und glückselig wäre, als meine rauhe Bergeshöh' zwischen Wäldern und Wiesen. Wenn ich nun aber in diesem Buche von Kindheits- und Jugendtagen des Waldbauernbuben erzähle, so muß man diesen Buben nicht allemal gerade auf meine Person beziehen. Man kann es tun, aber mit einiger Vorsicht. Die Erzählungen wollen zu jener Gattung von Wahrheit gehören, welche durch den Poeten ins allgemeine gehoben wird und den ganzen Menschen zeigt.

Grundlage dieser Schriften sind meine Erlebnisse in jenen Bergen, zu jener Zeit von etwa 1848 bis 1870, und auch Erlebnisse anderer, die mit mir und um mich gewesen sind. Es ist wohl schon mancher Kopf darüber geschüttelt worden, wieso ich in meiner Bauernhütte all die Zustände und Sitten und die vielen wunderlichen Kerle kennen gelernt hätte, ob sie denn gleich so von allen Talgründen, Waldwinkeln und Almmatten herbeigekommen wären, um sich von mir beschreiben zu lassen? Nun, Volksstudien habe ich in der Tat gar keine gemacht, ich habe die Leute nicht studiert, ich habe nur mit ihnen gelebt in guten und bösen Tagen. Und zwar nicht bloß in einer Hütte. Siebenundsechzig Bauernhöfe sind zu zählen, in denen ich als Handwerker gelebt, gearbeitet, gelitten und dem Himmel Löcher geschlagen habe vor Freudigkeit. Dann des Jungen flinke Beine, die überall wollten sein, die welt- und himmelgierige Seele des kleinen Guckinsleben, endlich das bißchen Dichterlatein – das alles zusammen gibt am Ende doch etwas, das des Aufschauens wert ist.

Davon nun ist das Buch »Waldheimat« entstanden. Es ist in dieser neuen Ausgabe sehr erweitert worden. Zu den Kindesjahren und Flegeljahren sind die holden Jünglingstage des Schneiderbuben gekommen und die Waldferien des Studenten. Eine eigentliche Lebensbeschreibung ist es nicht geworden (eine solche kurzgefaßte ist in dieser neuen Ausgabe, erster Band, beigegeben:. Es ist nichts anderes, als eine Sammlung von Erlebnissen und Erfahrungen aus dem Jugendleben in der Waldheimat. Die Erzählungen sind in sehr verschiedenen Zeiten entstanden. Sie bleiben stehen wie sie gewachsen sind, doch habe ich ihre Formen und Launen noch einmal scharf unter das Gewissen genommen. Die beabsichtigte chronologische Reihenfolge ließ sich des eigensinnigen Inhaltes wegen vielleicht nicht immer genau durchführen. Auch hat mein schlechtes Gedächtnis am Ende bisweilen Dinge und Namen verwechselt – was in manchen Fällen sogar wohlgetan ist. Soll gelegentlich schon jemand bloßgestellt werden, so will ich's selber sein. Ich bin's gewohnt. – Was war ich doch für ein armer Schlucker, ohne es zu wissen, für ein lustausflatternder Schwärmer, ohne es zu dürfen, und was war ich bisweilen für ein Lausbub, ohne es zu wollen! Ich tat aber, was mir lieb war, ohne viel zu fragen. Weil die ganze schöne Welt anderen gehörte, so schuf ich mir eine eigene,-nun, sie ist auch danach geworden. Der Spaß ward zum Ernst, der Ernst zum Spiel, das Spiel zum Leben und jetzt war es, als wäre ich in allen Waldbauernleuten und alle wären in mir – als wäre ich der einfältige, hundertfältige, der weltüberlegene, ewige Waldbauernbub.

Jene Zeiten sind vorbei, aber das ist nicht vorbeigegangen. Das ist geblieben. Wie das uralte Waldbauernhaus noch steht, verlassen und vergessen mitten in junger Waldwildnis, so stehen die alten Gestalten in den wuchernden Erinnerungen. Mir bringen sie die Jugend zurück. Dem Leser vielleicht ein wenig kühle Waldluft und schuldlose Kindesfroheit.

Von meinen Vorfahren

Inhaltsverzeichnis

Einleitender Blick in die Vorzeiten der Waldheimat

Bauerngeschlechter werden nur in Kirchenbüchern verbucht.

Das Kirchenbuch zu Krieglach, wie es heute vorliegt, beginnt im siebzehnten Jahrhunderte mit dem Jahre 1672. Die früheren Urkunden sind wahrscheinlich bei den Einfällen der Ungarn und Türken zugrunde gegangen. Zu Beginn des Pfarrbuches gab es in der Pfarre schon Leute, die sich Roßegger schreiben ließen. Nach anderen Urkunden waren in jener Gegend schon um 1290 Rossecker vorhanden. Sie waren Bauern. Teils auch Amtmänner und Geistliche. In Kärnten steht noch heute eine Schloßruine, Roßegg oder Rosegg genannt; man könnte also, wenn man hoffärtig sein wollte, sagen, die Roßegger wären ein altes Rittergeschlecht und obiges Schloß sei ihr Stammsitz. Aber diese Hoffart brächte zutage, daß wir herabgekommene Leute wären. – Bei Bruck an der Mur in Steiermark steht ein schöner Berg, der auf seiner Höhe grüne Almen hat und einst viele Sennhütten gehabt haben soll. Dieser Berg heißt das Roßegg. Man könnte also, wenn man bescheiden sein wollte, auch sagen, die Roßegger stammten von diesen Almen, wo sie einst Hirten gewesen, Kühe gemolken und Jodler gesungen hätten. – In der nächsten Nachbarschaft der Krieglacher Berggemeinde Alpel, in der Pfarre Sankt Kathrein am Hauenstein, der Gegend, die einst von Einwanderern aus dem Schwabenlande bevölkert worden sein soll, steht seit unvordenklichen Zeiten ein großer Bauernhof, von jeher insgemein »beim Roßegger« genannt, trotzdem die Besitzer des Hofes nun schon lange anders heißen. Möglich, daß genannter alte Bauernhof das Stammhaus der Roßegger ist. Diese sind ein sehr weitverzweigtes Geschlecht geworden; in Sankt Kathrein, in Alpel, in Krieglach, in Fischbach, in Stanz, in Kindberg, in Langenwang usw. gibt es heute viele Familien Roßegger, deren Verwandtschaft miteinander gar nicht mehr nachweisbar ist. Zumeist sind es einfache Bauersleute. Ein Priester Rupert Roßegger hat große Reisen gemacht, darüber geschrieben und auch schöne Gedichte verfaßt. – Das, was ich von meinen Ahnen weiß, hat mir größtenteils mein Vater erzählt, er hat besonders in seinen alten Tagen gerne davon gesprochen. Was daran Tatsache, was Sage ist, läßt sich schwer bestimmen.

Der Bauernhof in Alpel, zum untern Kluppenegger, in diesem Buche auch der »Waldbauernhof« genannt, gehörte zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts einem Manne, genannt der Anderl (Andreas) im Kluppenegg. Das soll ein wohlhabender Mann gewesen sein und in der Erinnerung der Familie wird er noch heute der »reiche Kluppenegger« geheißen. Er hat ein Pferd besessen, mit welchem er für die Gemeinde Alpel den Saumverkehr mit dem Mürztale (Fahrweg hat es damals noch keinen gegeben) versorgt haben dürfte.

Der Anderl im Kluppenegg war einmal beim »Graßschnatten« vom Baum herabgefallen und hatte einen hinkenden Fuß davongetragen. So soll er des Sonntags auf seinem Rößlein in die Kirche geritten sein, auch beim Wirtshause sich den Krug Wein aufs Rößlein haben reichen lassen und ein großes Ansehen gehabt haben.

Dieser Anderl hat wahrscheinlich auch das stattliche Haus gebaut, welches auf seinem Trambaume die Jahreszahl 1744 führt und dessen Zimmerholz an vielen Stellen heute noch hart wie Stein ist, weil man zu jener Zeit das Bauholz aus reisen Waldungen genommen hat. Der Anderl hatte einen Bruder bei sich in der Einwohne, der Zimmermann war. Zur Zeit gehörten zum Hofe zwei »Gasthäuseln«; in dem einen, das gleich oberhalb des Gehöftes stand, wohnte ein Schneider, in dem andern, das tief unten an der steilen Berglehne war, wohnte ein Schuster; der Anderl selbst verstand die Weberei, die Lodenwalcherei und die Hautgerberei, also hatte er die wichtigsten Gewerbe beisammen und konnte den Nachbarn damit aushelfen. Auch hatte er unten im Graben eine zweiläufige Getreidemühle gebaut und gleich in demselben Gebäude eine Leinölpresse. Der Anderl soll fast Tag und Nacht gearbeitet haben, sich ausgeruht nur auf dem Pferde. Von einem Kluppenegger geht die Sage, daß er eines Tages auf dem Pferde sitzend tot nach Hause gekommen sei; ob das von dem Anderl gilt oder von einem noch älteren, das kann ich nicht berichten.

Der Anderl hat nur ein einziges Kind gehabt, eine Tochter. Die soll viele Freier abgewiesen haben. Da kam der junge Nachbar vom Riegelbauernhof.

Das Riegelbauernhaus ist das zuhöchst gelegene in Alpel und von ihm aus sieht man rings über die Engtäler des Alpels hinweg in der Ferne hohe Berge. Man pflegte in alten Zeiten die Höfe hoch hinauf zu bauen, so hoch, daß man oft nicht einmal einen Brunnen hatte, eben wie auch bei diesem Riegelbauernhofe, wo man jeden Tropfen Wasser unten an der steilen Berglehne holen mußte. Das Gebäude der Riegelbauern ist erst vor kurzem niedergerissen worden. In diesem Hause tauchten jetzt die Roßegger auf. Ihrer sollen zur Zeit viele Buben gewesen sein und einer davon, der Josef, ging zur Kluppeneggertochter herüber1. Also hat die Kluppeneggertochter vom Riegelbauernhofe her den Josef Roßegger geheiratet, welcher geboren worden war am 16. März 1760.

Der Josef soll ein kleines, rühriges Männlein gewesen sein, an seinen kurzen, rundlichen Beinen niedrige Bundschuhe, grüne Strümpfe und eine Knielederhose getragen haben, auf dem Haupte einen breitkrempigen Filzhut, unter welchem lange graue Locken bis zu den Achseln herabreichten. Ein kleines hageres Gesicht, stets wohlrasiert, graue lebhafte Äuglein und im Munde allzeit ein harmloses Späßlein, so daß es immer zu lachen gab, wo der »Seppel« dabei war.

Der Seppel hat auch die Kunst zu schreiben verstanden. In einem alten Hausarzneibuche steht mit nun freilich verblaßter Tinte schlicht und schlecht geschrieben: »Groß Frauentag, 1790. Ich, Joseph Roßegger, habe am Heutigen den Erstgepornen Suhn Ignatzius bekemen. Empfelche das klein Kind unser Lieben Frau.«

Vom Seppel erzählt man auch, daß er schon in seiner Jugend graue Haare bekommen hätte. Er sei nämlich während eines schweren Nachtgewitters auf einer hohen Tanne von wütenden Wölfen belagert worden und habe Todesangst ausgestanden.

Der Seppel soll eine Alm gepachtet und sich nebst Ackerbau und Holzwirtschaft viel mit Viehzucht befaßt haben. Er hatte zeitweilig acht Knechte und ebensoviele Mägde gehabt, zu denen nachher noch die eigenen Kinder kamen.

Die Söhne hießen Ignatz, Michel, Martin, Simon, Baldhauser, Jakob. Von diesen Brüdern ist die große Verträglichkeit und Einigkeit in der ganzen Gegend sprichwörtlich geworden. In jeder Arbeit halfen sie einander und wo an Sonntagen einer der »Kluppeneggerbuben« war, da sah man die anderen auch. Keiner ließ über die anderen ein böses Wort aufkommen, jeder stand für alle ein. Wenn es um einen Bruder ging, so hob selbst der Friedfertigste, der Ignatz, seinen Arm. Wer einen dieser Burschen überwinden wollte, der mußte alle sechs überwinden und der, für den einer derselben eintrat, hatte sechs gute Kameraden.

Mehrere dieser Brüder kauften sich später Bauerngüter im unteren Mürztale oder erheirateten sich solche. Dadurch entkamen sie der Militärpflicht. Soldat ist nur einer gewesen, derselbe starb zu Preßburg an Heimweh. Der Baldhauser, welcher die Soldatenlänge nicht hatte, brauchte sich um einen Besitz nicht zu bemühen, er blieb im heimatlichen Hofe als Knecht.

Der Josef erreichte ein hohes Alter. Auf einem Besuche bei einem seiner verheirateten Söhne im Mürztale ist er fast plötzlich, über Nacht, gestorben (1815). Bevor er zu jenem Besuche fortging, soll er gebeugt und auf seinen Stock gestützt, hastig dreimal um den Kluppeneggerhof herumgegangen sein und dabei mehrmals gesagt haben: »Nicht geboren, nicht gestorben, und doch gelebt!« Als er hierauf nicht mehr heimgekommen war, hat man das so gedeutet, als hätte er sagen wollen: In diesem Hause bin ich nicht geboren und werde darin nicht sterben, und habe doch darin gelebt.

Zur selben Zeit war schon sein Sohn Ignatz (geboren 1790) Besitzer des Kluppeneggerhoses.

Er heiratete eine Tochter aus dem Peterbauernhofe, namens Magdalena Bruggraber2. Diese Magdalena hatte auch mehrere Brüder, wovon einer sich das nachbarliche Grabenbauernhaus erwarb; sein Bruder Martin war bei ihm Knecht. Seit jeher waren diese beiden ein paar gute Genossen gewesen zu den Kluppeneggersöhnen; jetzt in Verwandtschaft getreten, standen sie noch fester zu ihnen. Und doch ist es einmal anders geworden, wir werden das später erfahren.

Der Ignatz Roßegger soll ein schöner stattlicher Mann gewesen sein, Sonntags in schmucker Steirertracht, wie sie damals der Erzherzog Johann wieder zu Ehren gebracht hatte, ins Pfarrdorf gekommen sein und gerne gesungen haben. Dem »Natzl in Kluppenegg« seine helle Stimme war in der ganzen Gegend bekannt und keinen Tag gab Gott vom Himmel, ohne daß man den »Natzl« jauchzen hörte auf der Weiden oder in den Wäldern von Alpel. Im Gegensatz zu seinem Vater trug er kurzgeschnittenes Haupthaar, ließ aber seinen blonden Schnurrbart stehen. Die Herrschaft (das Grafenamt Stubenberg) sah es damals nicht gerne, wenn die Leute ihren Bart stehen ließen, das war »neuerisch«, aber den harmlosen lustigen Natzl hat sie deshalb nie zur Verantwortung gezogen.

Den Ignatz soll nie jemand trotzig oder zornig gesehen haben, mit jedermann war er gemütlich und verträglich, die Alpelbauern sagten viel später noch, einen besseren Nachbar kann sich kein Mensch wünschen, als es der Natzl gewesen ist. Weitberufen war er als Kinderfreund und wo ihm auf Wegen und Stegen ein Kind begegnete, da tat er sein rotes Lederbeutelchen auf und schenkte ihm einen Kreuzer. Auch selbst war er mit Kindern reich gesegnet, sieben Söhne, Lorenz, Franziskus, Sebastian, Thomas, Anton, Jakob, noch einmal Franziskus, zwei Töchter, Margareta und Katharina, wurden ihm rasch nacheinander geboren; mehrere starben in früher Kindheit, die übrigen wuchsen auf unter den strengeren Züchten der Mutter Magdalena. Der Ignatz hatte sich aber, wahrscheinlich aus Ursache seiner Leutseligkeit, einen großen Fehler angelebt. Er saß gerne in den Wirtshäusern. Wenn er auch nicht viel trank, so trank er doch wenig, wenn er auch nicht um Hohes Karten spielte, so spielte er doch um Geringes, wenn er auch nicht schweren Tabak rauchte, so rauchte er doch leichten, und wenn er auch nicht Schulden machte, so ward sein kirschroter Geldbeutel zum mindesten immer um Einiges dünner. Die Woche über arbeitete er fleißig, des Sonntags aber, wenn er in die Kirche ging, da kam er nie zum Mittagsessen nach Hause, wie es sonst der Brauch, da setzte er sich in ein Wirtshaus, ließ sich's wohl geschehen, jodelte ein wenig, spielte ein wenig, war stets heiter, und erst wenn es finster wurde, ging er den weiten Weg ruhig nach Hause.

Seine Magdalena muß ein scharfes Weib gewesen sein. So spät er auch kommen mochte, immer hat sie ihn wachend und gerüstet erwartet. Das soll dann stets ein Wetter gewesen sein, daß das ganze Haus erbebt hat, erbebt mitsamt den Kindern, die es nicht begreifen konnten, wie die Mutter wegen seines Nachtheimkommens so herb sein konnte, da er ja doch heimgekommen war. Er soll die heftigsten Vorwürfe ruhig und schweigend über sich ergehen lassen und nur immer die Kinder beschwichtigt haben, die sie durch ihr Lärmen aus dem Schlafe geschreckt.

Manchmal nahm er auch einen oder den andern seiner Knaben mit in die Kirche, was den Kleinen allemal ein Festtag war. Nur der Knabe Lorenz, so lieb er sonst seinen Vater hatte, wollte bald nicht mitgehen, denn der bekam Heimweh, wenn er den ganzen Sonntag nachmittag neben ihm im Wirtshause sitzen mußte. Er durfte bei diesem Sitzen zwar sein grünes Filzhütlein mit der Hahnenfeder aufbehalten, er bekam von der Wirtin sogar Zucker in den gewässerten Wein geworfen, aber trotzdem war es unter den rauchenden, lärmenden Bauern unsäglich öde, und wenn er seinen Vater bat, nach Hause zu gehen, antwortete dieser immer: »Gleich, gleich, Bübel, ich geh' schon, nur mein Lackerl Wein trink' ich früher aus.« Der Knabe durfte ja auch mittrinken, und so richtete er es mehrmals ein, daß er während der Trinkens scheinbar ungeschickterweise den Wein heimlich vergoß, aus Sorge, daß der Vater zuviel trinke. Aber als der Krug leer war, ließ ihn der Ignatz wieder füllen. Da hielt es der kleine Lorenz einmal nicht länger aus, stahl sich heimlich davon, ging durch die finsteren Wälder und engen wasserdurchrauschten Berggräben nach Hause. Zu Hause getraute er sich nicht aufzuzeigen, weil er fürchtete, die Mutter könne den Vater, wenn er nachkäme, noch ärger hernehmen, daß er das Kind so allein hätte fortgehen lassen durch die großen Waldungen, wo man noch dazu von Wölfen hörte.

Der Knabe blieb also im Schachen hinter dem Hause stehen, bis der Vater nachkommen würde. Die Schatten der Schachenbäume wurden länger und vergingen endlich, ein Gewitter stieg auf und ging nieder, vom Riegelbauernwalde war es manchmal wie das Geheul eines wilden Hundes, der Knabe stand im Schachen und wartete auf den Vater. Der Vater begleitete aber an diesem Tage seinen Nachbar und Gevatter Grabler bis zu seinem Hause, kam daher auf einem anderen Wege heim und konnte der Magdalena Frage nach dem Knaben Lorenz nicht beantworten. Der Lorenz war im Wirtshause ja längst vor ihm heimgegangen und war jetzt nicht da. Der Schreck des Ignatz war so groß, daß er zur Stunde ein heiliges Fürnehmen tat, wenn der Knabe glücklich wiedergefunden werde, so betrete er sein Lebtag kein Wirtshaus mehr, außer es sei auf einer Wallfahrt oder sonst auf einer Reise, oder es sei bei seiner goldenen Hochzeit mit der Eheliebsten Magdalena.

Bei der Eheliebsten Magdalena würde zu solcher Stunde diese Wendung nicht viel gefruchtet haben, wenn der Knabe nicht jetzt zur Tür hereingegangen wäre.

Das Gelöbnis soll der Ignatz leidlich gehalten haben, obwohl durch einen seltsamen Zufall eine neue Versuchung herantrat, mit einem guten Kruge sich manchmal gütlich zu tun.

Eines Tages, als sein Kind Jakob gestorben war, und als er, um beim fernen Pfarramte die Leiche anzeigen zu gehen, aus seinem Gewandkasten ein frisches Linnenhemde herausnehmen wollte, wie solche von seiner Mutter noch eigenhändig gesponnen und genäht im Vorrate waren, fiel es ihm auf, daß der Kasten einen so dicken Sohlboden hatte. Durch Klopfen kam er darauf, daß dieser Boden hohl war, durch Umhertasten bemerkte er an der inneren Ecke ein Schnürchen. Er zog an und da hob sich ganz leicht ein Deckel und ließ ihn hineinsehen auf sieben vollgepfropfte Säcklein, die zwischen dem Doppelboden verborgen gewesen waren. Aus alten Hosen getrennte Säcke waren es, mit Schuhriemen zugebunden, und ihr Inhalt Silbergeld, lauteres Silbergeld.

Der Ignatz erzählte von diesem Funde seinem Weibe und seinen Brüdern. Während in der Stube noch das Leichlein lag, setzten sie sich auf dem Küchenherde zusammen und untersuchten das Geld; es war keine landläufige Münze darunter, lauter alte »Taler«, manche gar unregelmäßig, fast eckig in der Form, mit fremdartiger Prägung, teils abgegriffen und schwarz, aber von so hellem Klange, daß die Ohren gellten.

Nun rieten sie hin und her, von wem wohl der Schatz stammen konnte, und da fiel es dem Ignatz ein, daß er von ihrem Großvater, dem Anderl in Kluppenegg herrühren dürfte, der als reich bekannt gewesen, von dem aber nach seinem Tode kein Bargeld gefunden worden war. Die Brüder beschlossen also, das Silbergeld unter sich zu teilen. Jeder soll an siebzig Gulden bekommen haben, der Ignatz um einen Teil mehr, und das war zum Finderlohn. Weiter hatten sie keinem Menschen von dem Funde gesagt, sollen aber ihre liebe Not gehabt haben mit einzelnen der alten, unbekannten Münzen, um sie an den Mann zu bringen. Der Betrag war für die damalige Zeit ein bedeutender, doch keinem der »Kluppeneggerbuben« hatte man es angemerkt, daß sie einen Reichtum besaßen. Der Ignatz mag zu Ehren der alten Schimmeln wohl einmal einen Krug getrunken haben, ohne daß die Magdalena erheblichen Einspruch tat, im ganzen mied er die Wirtshäuser. Vorübergehen konnte er zwar an keinem, und so blieb er ihnen fern, indem er an Sonn- und Feiertagen nur gar selten in die Kirche ging, sondern seinen Rosenkranz zu Hause betete und dann vor dem Hause seine Jodler sang hin über die grünen Höhen, so daß die Magdalena erst jetzt eine Freude hatte an ihrem braven und lustigen Mann.

Da kam jene Kirchweih zu Fischbach. Dieser Ort ist von Alpel durch den Gebirgszug der Fischbacheralpen getrennt. Aber man ging an Festtagen gern über dieses waldige Gebirge, weil es in Fischbach sehr lustige und kecke Leute gab, weil in den dortigen Wirtshäusern damals noch keine ständige Polizei war, wie etwa im Mürztale, und weil es daher dort sehr ungezwungen herging. Besonders die Fischbacher Herbstkirchweih war weitum berüchtigt, und wenn irgendwo Bauernburschen miteinander einen unausgetragenen Handel hatten, so stellten sie sich bei der Kirchweih ein, wo es dann fast allemal zu einem blutigen Raufen kam. Ignatz' Bruder Baldhauser war dem Raufen nicht abgeneigt. Manchmal, wenn er des Morgens die damals übliche, schön geformte und mit weißen Nähten gezierte Lederscheide mit Pfeifenstierer, Gabel und dem großen Messer in den Hosensack schob, soll er gesagt haben: Man weiß nicht, wozu man's brauchen kann. Bei den Weibsbildern scheint der Baldhauser auch nicht blöde gewesen zu sein, denn er wählte sich allemal eine solche aus, die auch anderen Burschen gefiel und so kam es vor, daß das Recht des Stärkeren entschied. Der Baldhauser war ein mehr kleiner, untersetzter Mann, sonst sehr bedächtig und langsam in seinen Bewegungen, beim Ringen aber der flinkeste und abgefeimteste, der seinen Gegner fast allemal so bettete, wie er nicht gebettet sein wollte. Wer es also mit dem »Hausel« zu tun hatte, der trachtete erstens ihm in Abwesenheit seiner Brüder beizukommen, was schon leicht war, da die meisten derselben in eine fremde Gegend fortgeheiratet hatten. Trotzdem pflegte ein Gegner des Baldhauser sich um Genossen zu schauen, und wenn ihrer drei oder vier gegen ihn waren, da geschah es wohl manchmal, aber durchaus nicht immer, daß er wesentliche Merkmale heimbrachte, worauf seine Schwägerin Magdalena freilich allemal die Bemerkung tat: »Allzwei Füß' hätten sie dir abschlagen sollen, das wär' dir gesund, du Raufbär!« Solcher Meinung war der Baldhauser zwar nicht.

Da kam nun wieder einmal die Fischbacher Herbstkirchweih und er hatte wieder einmal eine Liebste, die Heidenbauerndirn, auf welche das Eigentumsrecht aber der Grabenbauer gelegt haben wollte. Dem Grabenbauer hatte er schon früher einmal Post geschickt: »Du! wenn du noch länger gesunde Knochen haben willst, so laß die Dirn!« und trotzdem hörte er nun, der Grabenbauer führe dieselbige zur Kirchweih, habe aber gleichzeitig auch etliche Kameraden bestellt. Da wußte er freilich, der Baldhauser, daß zwischen ihm und den Grabenbauernleuten der Friede gebrochen war und was er zu tun hatte bei dieser Kirchweih zu Fischbach. Sein Bruder, der Ignatz, wußte nichts davon, der Baldhauser sagte ihm auch nichts, lud ihn nur ein, mit ihm über das Gebirge zu gehen nach Fischbach zu dem lustigen Feste, wo getanzt und gesungen würde über die Maßen. Der Ignatz fand sich gern bereit und wollte auch seinen Knaben Lorenz mitnehmen. Dieser war von Natur aus zart und beschaulich angelegt; wo es lärmende Leute gab, da war er nicht gern; die Wirtshäuser waren ihm ja ein Graus und da hatte er gehört, auf Kirchweihen gäbe es noch mehr Wirtshäuser als sonstwo; also bliebe er lieber daheim. Seine Mutter rief: »Der Junge ist gescheiter wie der Alte und weiß, daß Kinder nicht auf Kirchweihen taugen. Bliebest auch du daheim, Natzl, morgen tät's dir gewiß nicht leid sein.«

Der Ignatz zog aber sein schönes Gewand an und ging mit seinem Bruder Baldhauser nach Fischbach. Als sie hinkamen, war der Marktplatz schon voller Buden, Leute und Gesurre; Leutedunst, Tabakrauch, Metgeruch, alles durcheinander, aus den Wirtshäusern fröhlicher Lärm, und der Baldhauser wollte gleich zum Bauernhoferwirt hinein. Der Ignatz sagte, sie täten zuerst doch lieber ein bissel in die Kirche schauen, weil man gerade zum Hochamt läute; und nachher standen sie eine Stunde lang eingekeilt in der Menge und der Baldhauser war sehr ungeduldig und dachte nach, wie er mit dem Grabenbauer zusammenkommen würde.

Nach dem Gottesdienste kauften sie auf dem Markte Schuhnägel, Pfeifenzugehör mit Tabak, und der Ignatz weißbestriemte Lebzeltherzen für die Kinder daheim und ein großes Lebkuchenstück mit Mandeln gefüllt für seine Magdalena. Das band er in ein blaues Sacktuch zusammen und dann gingen sie gleich zum Neuwirt. Dort waren lauter lustige Leute und der Ignatz hub bald an zu singen. Dem Baldhauser ließ es aber keine Ruhe, er meinte, auch den übrigen Wirten müsse man ein Seidel abkaufen, sonst könnte es sie verdrießen, und sie gingen nachher zum Tafernwirt, und zum Krammerwirt und zu anderen. Aber nirgends traf er den Grabenbauer und die Heidenbauerndirn. Beim Krammerwirt war es ihm vorgekommen, als huschten sie zur hinteren Tür hinaus, während er mit seinem Bruder zur vorderen hereinging.

Am Nachmittage wurde es in einzelnen Wirtshäusern schon unheimlich laut und aus dem wirren Geschrei gellte manchmal ein rohes Fluchwort auf. Vor dem Bauernhofer Wirtshause balgten sich ihrer ein halb Dutzend betrunkener Burschen auf der Gasse, mit Fensterrahmen hieben sie auseinander los, die sie drinnen ausgebrochen hatten. Beim Krammerwirt soll zwischen Holzknechten und Schustergesellen ein solches Schlagen losgegangen sein, daß das Blut zu den Türstufen herabtröpfelte. Solange noch gesungen worden, hatte der Ignatz frisch und klingend mitgetan, hatte zu zweien oder dreien den Arm um den Nacken des anderen gelegt und den Kameraden froh in die Augen schauend sinnige oder kecke Lieder angestimmt. Als es nun überall ins Stänkern und Schimpfen und Schreien und Raufen ausartete, wollte er heimgehen. Da es gegen Abend war und der Baldhauser seinen Grabenbauer immer noch nicht gefunden hatte, sagte er zum Bruder: »Das ist eine lausige Kirchweih!« und machte sich mißmutig auf den Heimweg. Der Ignatz ging fröhlich mit ihm.

Nach einer Stunde kamen sie hinauf zu den Almhöhen, wo die Halterhütte stand. Der Weg ging hier oben glatt und eben durch jungen, dichten Lärchenwald, es ward schon dunkel.

»Da gibt's auch noch Leute,« sagte der Ignatz plötzlich, denn auf einem Rasenplatze saßen ihrer etliche Männer und ein Weibsbild. Es waren ja seine zwei Schwäger, der Grabenbauer und dessen Bruder, der Mirtel, und es war ein Riegelbauernknecht und der Holzknecht Kaspar; das Weibsbild war die Heidenbauerndirn.

Der Baldhauser stand einen Augenblick still und stutzte. Dann trat er vor die Dirn und sagte: »Was machst denn du da? Du gehörst da nicht her!«

»Hausel, wenn's dir nicht recht ist!« versetzte der Grabenbauer fast leise, ballte die Fäuste und erhob sich.

»Mit so Wegelagererlumpen nehm' ich's auf,« sagte der Baldhauser trotzig.

»Laß sie gehen, Hausel,« mahnte der Ignatz und suchte den Bruder mit fortzuzerren. Das war schon zu spät, sie gerieten zusammen; zuerst ihrer zwei, der Grabenbauer und der Mirtel waren über den Baldhauser hergefallen; als dieser aber den einen arg nach rückwärts bog, dem andern ein Bein schlug, sprangen auch die beiden anderen bei. Als der Ignatz sah, daß vier starke Männer über seinen Bruder her waren, da griff er auch zu. Die Dirn kreischte und rief alle Heiligen an. Wortlos rangen die Männer in einem Knäuel, sie schnoben, unter ihren Füßen dröhnte der Boden. Der Grabenbauer hatte die Finger der einen Hand an Baldhausers Kehle gesetzt, mit der anderen wollte er sein Messer ziehen; in dem Augenblicke flog er von Ignatz geschleudert auf den Rasen hin. Fast gleichzeitig auch der Ignatz und jetzt sprang ihm der Mirtel mit beiden Füßen auf die Brust. Du der Ignatz unbeweglich liegen blieb, so stieß der Mirtel einen grausigen Fluch aus und versetzte ihm mit schwerem Stiefel noch einen heftigen Fußtritt auf das krachende Brustblatt. – Der Baldhauser riß los, faßte die Dirn und raste mit ihr davon.

Weit unten in der Köhlerhütte verbarg er sie und verbot ihr, einen Laut zu tun; er lugte zum Fensterlein hinaus, wie der Holzknecht Kaspar und der Riegelbauernknecht und endlich auch der Mirtel mit dem Grabenbauer vorbeigingen. Sein Bruder Ignatz aber kam nicht. Als er auf diesen vergebens gewartet hatte, ließ er das Weibsbild im Stich und ging den Weg zurück hinauf bis zur Höhe. Es war schon die Nacht. Der Ignatz saß auf einem Baumstock.

»Was hast denn, daß du nicht nachkommst?« fragte ihn der Baldhauser.

»Der Mirtel hat mich getreten!« antwortete der Ignatz, sonst sagte er nichts.

»Kannst nicht gehen, Bruder? Komm', ich werdedich führen.«

Der Ignatz deutete mit der Hand, der Baldhauser solle nur seines Weges gehen, er werde schon nachkommen.

Das tat der Baldhauser freilich nicht, er blieb bei dem Bruder, er suchte eine Quelle und brachte im Hute Wasser, den Verletzten zu laben. Dann stand der Ignatz auf, stützte sich an den Baldhauser und sie huben an zu gehen.

Ost mußte er rasten unterwegs und da sprach er einmal zum Baldhauser: »Bruder, daheim wollen wir nichts sagen davon, daß wir's mit den Schwägern haben gehabt. Es ist eine Schande.«

Um Mitternacht erst sollen sie nach Hause gekommen sein und der Baldhauser erschrak fast zu Tode, als er nun beim Kienspanlicht sah, wie blaß der Ignatz war, wie matt und stier sein Auge, und wie an den Mundwinkeln Blutkrusten klebten. Er gab ihm wieder Wasser zu trinken, und suchte in dem Küchenkastel nach einem Balsam. – Der Magdalena fiel es schon auf, was sie denn in der Küche herumzutun hatten, sie eilte hinaus und erfuhr es nun, gerauft wäre worden und den Natzl hätt's ein bissel getroffen, aber die anderen hätten auch ihr Teil bekommen!

Als die Magdalena ihren Mann ansah, wie er halb auf die Bank hingesunken dalehnte, sagte sie scheinbar sehr ruhig: »Nau, der hat genug.«

Mit keinem Worte hatte sie gefragt, wie das gekommen war, sie ahnte es gleich, die Ursache wäre der Schwager und bevor sie den Verletzten noch zu Bette brachte, hielt sie Gericht über den Baldhauser. Eine solche Wucht der wildesten Vorwürfe soll in dem Hause nicht erhört worden sein, als die Magdalena jetzt dem Schwager Baldhauser machte, der ihren Mann mit auf die Kirchweih gelockt, um ihn dort von Raufgesellen erschlagen zu lassen. Zuerst hatte der Baldhauser sich verteidigen wollen, sich rechtfertigen und währen, aber ihre Zornes- und Gefühlsausbrüche wurden so gewaltig, daß er schwieg und anhub zu gröhlen. Die Kinder waren aufgewacht und jammerten, der Kettenhund winselte, die Hühner flatterten von ihren Stangen und gackerten, das Gesinde war herbeigekommen und umstand erschrocken die Gruppe, wie die Bäuerin Magdalena rasend vor Wut und Schmerz ihr Gewand zerriß und die Fetzen hinschleuderte auf den Baldhauser, der wimmernd vor ihr auf den Knien lag.

Als endlich in ihrem Gemüte die Erschöpfung und Dumpfheit eingetreten war, wendete sie sich an den Ignatz, der in völliger Ohnmacht dahinlag, brachte ihn auf seine Liegerstatt, flößte ihm warme Milch ein und saß bei ihm die ganze Nacht, die Hände auf dem Schoß gefaltet. Als die Morgenröte zu dem Fenster hereinkam und die Ofenmauer matt anglühte, schlug der Ignatz einmal die Augen auf und blickte um sich. Die Magdalena legte ihre Hand auf seine feuchte Stirn und sagte mit einem Ton unendlicher Milde: »Ist dir besser, mein Natz?«

Er tastete nach ihrer Hand: »Es wird schon wieder gut, Magdalena, es wird schon wieder gut.«

Der Baldhauser hat noch in derselben Nacht seine Sachen zusammengepackt und ist fortgegangen, höher hinauf ins Gebirge zu den Holzknechten.

Und nun sind die stillen betrübten Tage gekommen. Allerlei Hausmittel hatten sie angewendet, der Kranke mußte Gemswurzeln kauen, Hundsfett essen, sich »ziehende Plaster« auf die Brust legen lassen und sonst allerlei. Er saß wohl in der Stube auf der Ofenbank, oder er ging draußen im Hofe langsam umher, um sich immer wieder irgendwo niederzusetzen. Bei den Kindern war er gerne, sah ihnen zu bei ihren Spielen mit Steinchen und Fichtenzapfen, redete aber wenig mit ihnen, kam allemal bald nur so ins dumpfe Hinschauen und Hinträumen. Einen schweren Atem hatte er und mußte viel husten. Manchmal kam Blut aus der Brust, aber nur in wenigen Tropfen.

So währte es mehrere Monate. Eines Sonntags am Nachmittage, als der Ignatz neben dem warmen Ofen saß und doch fröstelte, kam die Magdalena herein und berichtete, daß ihr Bruder, der Grabenbauermirtel, in der Küche draußen sei und die einfältige Frage getan habe, ob er hereingehen dürfe. Sie habe ihm geantwortet, das stehe doch jedem Bekannten frei, geschweige erst einem Schwager. Der Mirtel habe aber gebeten, sie möchte doch anfragen beim Natz, ob er auf ein Wort zu ihm hereinkommen dürfe.

»Ich weiß es wohl, warum er fragt,« entgegnete der Ignatz; die Magdalena konnte es aber nicht wissen, weil es ihr nicht gesagt worden war, daß gerade der Mirtel ihn so schwer verletzt hatte.

»Er kann schon hereinkommen,« antwortete der Ignatz nun heiser und kurzatmig, »und du mußt so gut sein und noch ein paar Scheiter in den Ofen stecken.« Denn er wollte sie draußen beschäftigen, während der Mirtel bei ihm in der Stube war.

Dieser trat denn ein, schaute beklommen in der dumpfigen Stube umher und sah ihn nicht gleich. Erst als er aus dem Ofenwinkel ein Husten hörte, trat er dorthin, blieb stehen vor dem Kranken und konnte kein Wort sagen. Der Ignatz sagte auch nichts, sondern hob langsam seine rechte Hand und hielt sie ihn hin. Unsicher reichte der Mirtel die seine und sprach: »Natz! Keine ruhige Stund' hab' ich mehr gehabt seit der Kirchweih. Daß mir solches hat müssen aufgesetzt sein. Wo du mir alleweil frei der liebste Kamerad bist gewesen...« Er wendete sich ab und ging einige Schritte gegen ein Fenster, als wolle er hinausschauen. Und mit dem Ärmling fuhr er sich übers Gesicht.

»Mirtel!« sagte der Ignatz leise, »geh' her. Geh' her zu mir. – Dir ist's aufgesetzt gewesen und mir ist's aufgesetzt gewesen. Wer kann dafür. Braucht's auch weiter niemand zu wissen, wie es ist hergegangen. Es wird ja schon besser. Und will auch einmal zum Arzte schicken, daß er ein wenig nachhilft.«

»Und du hast mir nichts für ungut, Natzl?«

Der Ignatz machte mit der flachen Hand eine Bewegung in die Luft hinein, gleichsam als wollte er sagen: Laß es gut sein, Mirtel. Ein sehr heftiger Huftenanfall verhinderte ein weiteres Gespräch. Als der Mirtel wieder in die Küche hinaustrat, sagte er zu der Magdalena: »'s ist wohl ein herzensguter Mensch!«

»Wie findest ihn denn, Bruder?«

Ein Trostwort wollte er sagen, es verschlug ihm die Rede.

»Mir gefällt er halt wohl gar nicht,« meinte sie, »und morgen will ich doch endlich zum Bader schicken nach Strallegg. Sie sagen, für die auszehrende Krankheit wäre der soviel gut.«

Der Mirtel ist davongegangen – halb verloren. Daß es so sollte stehen mit dem Ignatz, hätte er nicht gedacht. Die Magdalena hat ihm von der Tür aus eine Weile nachgeschaut. Das war ihr nicht recht vorgekommen jetzt, mit dem Mirtel! Am nächsten Frühmorgen ging vom Kluppeneggerhofe ein alter Knecht nach Strallegg. Er hatte Geld mitbekommen für den Arzt, gedachte es aber dem Bauer zu ersparen. Wenn er sagt, daß der reiche Bauer krank ist, da wird sich der Arzt hoch lohnen lassen. Als der alte Knecht daher vor dem Arzte stand, tat er sehr erschöpft und kurzatmig und hüstelte und sagte, ihn hätt's arg auf der Brust. Ein böser Stier habe ihn gestoßen vor drei Monaten, und seither nehme er an Fleisch und Kräften ab, er glaube, die Auszehrung werde es sein, er sei ein armer Dienstbot' und täte halt gar schön bitten um einen guten Rat.

Der Arzt sagte: »Mußt halt recht viel Milch trinken und immer einmal ein Stückel Fleisch essen, und wenn dich der Husten anpackt, so trink' eine Schale Kramperlmoostee, aber so heiß, als du's derleiden kannst.«

Was der Rat täte kosten?

Der koste nichts. Also eilte der Knecht heim und sein erstes Wort war, er habe dem Ignatz das Geld erspart und doch einen guten Rat mitgebracht. Fleisch und Milch. Und gegen den Husten Krampelmoostee trinken, so heiß, als er's derleiden kunnt.

Eine Nachbarin hatte den Tee vorrätig, er war zwar sehr bitter zu trinken, aber er wärmte Brust und Magen und der Ignatz schöpfte aus diesem Mittel neue Hoffnung.

Zu Anfang des Adventes war's, wenige Wochen vor Weihnachten, als der Husten mit erneuter Heftigkeit auftrat. Ließ der Ignatz sich wieder einmal den heißen Tee richten, trank ihn rasch aus und wankte dann ins Freie. Nach einer kleinen Weile kam er wieder in die Stube zurück, ganz verändert und taumelnd. »Ich weiß nicht,« sagte er noch, »ich muß zu heiß getrunken haben...« Und sank auch schon zu Boden.

Die Weibsleute, die beim Spinnen waren, sprangen herbei und riefen, was denn das wäre! Er antwortete nicht mehr. Sie legten ihn ins Bett und huben an zu beten, und die Magdalena wurde nicht müde, ihn mit allen Mitteln, die ihr einfielen, wieder zum Bewußtsein zu erwecken. Er holte wohl Atem, manchmal stöhnte er, machte die Augen auf, aber man wußte nicht, ob er jemanden erkannte. Der Lorenz, damals vierzehn Jahre alt, ging noch am stöbernden Abende fort nach Sankt Kathrein, um den Geistlichen zu holen. Er soll, wie später erzählt wurde, den fast drei Stunden langen Weg hin und her in nicht ganz zwei Stunden zurückgelegt haben. Er kam ganz unmenschlich schnaufend zurück, aber ohne Priester. Der Pfarrer von Kathrein war selber krank. So müsse eilends jemand nach Krieglach. Wieder erbot sich der Lorenz, und so schnell wie er bringe den Geistlichen keiner.

Krieglach ist weit, erst gegen Morgen kam der Junge zurück, wieder allein und ganz trostlos; der Pfarrer sei nach Graz gereist und der Kaplan auf einem anderen Versehgange in die hintere Massing, von welchem er erst mittags zurückkehren könne. Dann komme er nach.

»So kann er auch das nicht haben!« jammerten alle. Es hätte sich ja doch nur mehr um die letzte Ölung gehandelt. Der Lorenz fand seinen Vater bewegungslos daliegen und schlummern. Das sei das allerbeste, meinte die Mutter, und er, der Knabe, solle sich auch niederlegen, sonst werde er ebenfalls krank. Denn die Aufregung, die in dem Jungen war um den Vater, konnte ihr nicht verborgen bleiben. Er legte sich in der Küche hin auf die Bank, und schlief ein paar Stunden fest. Eine eigentümliche Unruhe, die sich im Hause erhoben hatte, weckte ihn auf. Hastig, aber leise auftretend, einen Augenblick unter Flüstern beieinander stehen bleibend und dann weiterhuschend, waberten die Leute türaus und ein und in der Stube war ein Murmeln, als ob jemand bete. Der Lorenz sprang auf und fragte nach dem Vater.

»Er ist ein wenig schlechter geworden,« berichtete eine Magd, setzte aber, da der Junge vor Schreck aufstöhnte, bei: »Wird doch wohl wieder besser werden. Er ist gleichwohl noch so jung.«

Als der Lorenz in die Stube kam, knieten sie betend und schluchzend um das Bett herum; der Vater lag ruhig da, zwischen den aneinandergelegten Händen stand eine rote, brennende Kerze.

Es war schon vorbei.

Ignatz Roßegger ist nur neununddreißig Jahre und zehn Monate alt geworden. Er starb am 4. Dezember 1829. Die Trauer um ihn war eine sehr große und allgemeine. Während er aufgebahrt lag, konnte das Haus die Leute kaum fassen, die zu der nächtlichen Leichwache erschienen waren. Auch alle Freunde und Verwandten waren da, vor allem der Baldhauser, der Grabenbauer und der Mirtel. Sie standen zusammen und gelobten, die Witwe Magdalena, auf der nun so große Sorgen lagen, nicht zu verlassen. Die Kinder lagen verweint, im Schlafe noch schluchzend, in ihren Bettlein oder standen und lehnten unter den Leuten so herum, wie arme Waiselein. Der Knabe Lorenz stand fast immer auf einem Flecke neben der Stubentür und sah auf alles, was jetzt war und im Hause vorging, mit großen Augen hin. Er konnte es nicht fassen, was geschehen war, und später in seinem Leben tat er noch oft den Ausspruch: »Dazumal, wie mein Vater gestorben, das ist mein härtester Tag gewesen.«

Die Magdalena trug zur Zeit ein Kind unter dem Herzen. In allem Gewirre stand allein sie aufrecht und ruhig, fast finster da. Sie redete nur mit Wenigen wenige Worte; wenn man weinend sie tröstete, so schwieg sie, hatte ein ganz trockenes Auge und ihr blasses Antlitz zeigte einen herben Ausdruck. Sie versorgte das Haus und tat ihre Verrichtungen wie jeden Tag; manchmal hielt sie inne, als wäre ihr Leib erstarrt, und schaute vor sich hin. Dann arbeitete sie wieder. Als in der letzten Nacht der Leichenwache das Totenmahl aufgetragen wurde und die Leute in der Stube halblaut murmelnd bei den Tischen zusammensaßen unter dem matten Scheine eines Talglichtes; als zur offenen Stubentür vom Vorhause, wo die Bahre stand, das Öllichtlein hereinflimmerte; als drei Männer die Leiche hoben und in den Sarg aus weißem Fichtenholze legten; als die Magdalena hin und her ging, um noch das letzte für den Kirchgang zum Begräbnisse zu ordnen, blieb sie auf einmal vor dem Sarge stehen, schaute auf den Toten und rief mit heller Stimme: »Einzig das möcht' ich wissen, wer ihn erschlagen hat auf der Fischbacheralm!«

Den Leuten ging der Ruf durch Mark und Bein. Der Mirtel legte seinen Löffel weg. – Gar bange still war's in der Stube, allmählich begannen aber einige zu flüstern: »Es werden ihrer heute wohl da sein, die davon wissen.« Weiter sagten sie nichts.

Als der Ignatz begraben war, ging die Magdalena heim auf den einsamen Hof und hub mit ihren Kindern und mit ihrem Gesinde an zu wirtschaften. Ihre Verwandten boten ihr manche Zuhilfe und manchen Rat; wenn aber ihre Brüder kamen, der Grabenbauer, der Mirtel, oder der Schwager Baldhauser, da sagte sie kurz und herb, ich brauche nichts.

Vierzehn Jahre lang hatte sie fest und zielbewußt die Herrschaft geführt auf dem Kluppeneggerhofe, sie war strenge, arbeitsam, sparsam, und hob das Waldbauernhaus zu neuer Wohlhabenheit. Endlich war der Lorenz, der älteste, so weit, daß er sich wagen wollte, der alternden Mutter die Last abzunehmen. Eine junge Dienstmagd war, ein armes Dirndel, dessen Eltern mit Kohlenbrennen den dürftigen Unterhalt erwarben. Das Dirndel hieß Maria.