Über Matthias Politycki

Foto: Mathias Bothor/photoselection

Matthias Politycki kennen die Leser meist nur als Romancier und Erzähler, beispielsweise aus Werken wie dem Weiberroman, Herr der Hörner oder Samarkand Samarkand. Dabei ist er von seinem Wesen her eigentlich Lyriker, daraus hat er nie ein Hehl gemacht. Abgesehen von diversen Sonder- und Privatdrucken legt er hier seinen sechsten Gedichtband vor. Zeitgleich erscheint Ägyptische Plagen als Polityckis erster illustrierter Gedichtband.

 

http://www.matthias-politycki.de

Fußnoten

1

Herbst 2010. Inzwischen, Juli 2015, € 9,50.

2

im Roman Herr der Hörner vor der Endkorrektur (1467383 Zeichen)

3

im vorliegenden Gedichtband bei Manuskriptabgabe (73748 Zeichen)

Das makellose Gedicht

Wenn ich die Augen schließe, bist du da

in deiner ganzen zärtlich wilden Pracht

und bringst mich Nacht für Nacht für Nacht

um meinen Schlaf. Wie ich dich hasse, pah!

Dich schönste aller möglichen Schimären,

nach deren Hebungen ich mich verzehre

und deren Senkungen erst recht begehre,

du schlimmste aller möglichen Affären –

Erlösung bringt mir erst die schwarze Schwelle

und gleich dahinter dann das gleißend Helle,

dort endlich wirst du deine Macht verlieren,

und würdest du dich noch so glänzend präsentieren!

Auch das Vollkomm’ne muß im Licht der Ewigkeit verblassen.

Ich aber werde dich auch dort noch hassen.

I. Dieser schwüle Nachmittag damals

Vier Sorten Schmerz

Erste Sorte

Ende der Sommerzeit

Dies irre Geglitzer in deinem Blick,

beim Abschied wird es verläßlich ein Glimmern

und schließlich ein großes glasiges Schimmern.

Getrennt sein ist unser Geschick.

Einen Sommer lang hast du gefragt:

Du denkst doch an mich? Kommst wieder?

Heut schlägst du die Augen stumm nieder.

Es ist ja alles gesagt.

Ein schiefes Lächeln, das du mir schenkst.

Das Schimmern im Auge ist dir geblieben.

Ich lächle zurück und weiß, was du denkst.

Wir haben gelernt, Lebewohl zu sagen

und nichts zu beteuern und nichts zu beklagen.

So haben wir uns aus dem Sommer vertrieben.

Wenn du den Schmerz gibst, schwarzer Engel,

gib ihn ganz.

Und halt mich bloß nicht auf

mit halben Sachen.

Versuch auch ja nicht, auf den allerletzten Metern

mich noch mal anzulachen.

Heul lieber los,

schau schlank und schäbig dabei aus

und gib dir Mühe,

’ne schöne Abschiedsszene mir zu machen.

Streich mir noch mal die Stirn,

wie du’s so oft getan,

und dann dreh ab, verpiß dich, Mensch,

und fahr zur Hölle.

Von dort kamst du ja schließlich her,

mich zu versuchen.

Und kannst mich dort also auch gern

als vorerst letztes Opfer jetzt verbuchen.

Ich aber werde mich

auf dieser Stelle hier

in etwas Schauriges verwandeln

und dich noch oft und oft,

du bittrer Engel,

verfluchen.

Irgendwo auf dieser wundersam weiten Welt

schlägt dein Herz –

in dieser Sekunde –

schlägt auch für mich.

Du fühlst es. Ich fühl’ es

jetzt! und jetzt! und

so weiter, trotz allem.

Du weißt es. Ich weiß es.

Das ist alles.

Geteilt haben

die Sehnsucht nacheinander

die Lust aufeinander

den Kummer miteinander

dann gibt es nichts zu bereuen

Zweite Sorte

Hohelied

Wie auf der Altonaer Straße der Verkehr zum Erliegen kam

Es war an einem ganz normalen Tag im März,

fast schon Frühlings Erwachen, fast,

ein Tag ohne brennende Mülleimer oder Dornbüsche

oder sonst irgend Zeichen, die Höheres ankündigten.

Ich kam aus der Weidenallee,

auf meinem Weg ins Schanzenviertel,

stand mit den andern an der Ampel und

wartete darauf …

wartete nicht darauf, daß sich

von der gegenüberliegenden Straßenseite

eine Frau hüftschwingend in Bewegung setzte,

keinesfalls eilig, oh nein,

obwohl die Fußgängerampel

ja auch für sie rot leuchtete und

auf sämtlichen Spuren der Altonaer Straße

die Autos Schlange fuhren.

Doch siehe, es geschah, daß jedermann anhielt,

und kein einziger lästerte ihrer und hupte,

als sie durch den Verkehr wandelte wie durchs Rote Meer,

das sich bereits bei ihrem ersten Schritt

für sie geteilt.

Und das Weib ging hindurch

ganz ohne Wolken- oder Feuersäule vorweg,

als wäre es von der Vorsehung gesandt oder vielmehr

die Leibhaftige, als Heilige getarnt,

gleichgültig die Miene derer zeigend, die’s gewohnt sind,

daß man sie als Erscheinung bestaunt,

daß man die Faust in der Tasche ballt und

Götzendienst treibt. Jählings ein Fremder in meiner Stadt,

sah ich ihr nach voller Hoffnung,

der Anblick der Beine von hinten

könnte Linderung schaffen.

Doch diese Hoffnung

wurde bitter enttäuscht,

und also würde das Wunder

ganz ohne jeden Makel

und für alle Tage,

würde an dieser Kreuzung

für mich aufbewahrt werden als Fluch

und als Verkündigung in eins.

Ihr Makel ist, ganz ohne Fehl zu sein.

Des Tages Strahl’n verblaßt in ihrem Schatten.

Die braune Nacht erstrahlt in ihrem Leuchten.

Auf eine, die vorübergeht

Gut, da geht eine schöne Frau,

das ist ärgerlich,

keine Frage,

an dir vorbei.

Doch stell dir mal vor,

sie trüge zu Hause Schlappen

mit Noppen, die ihre Sohlen

bei jedem Schritt massieren,

stell dir vor, sie wäre

Liebhaberin von Katzen oder

hätte ihre Zunge

mit Perlen bestückt,

stünde auf Lady Gaga, Foucault,

Das Phantom der Oper!

Daß sie vorübergeht

macht sie so schön und,

keine Frage,

erspart dir viel Ärger.

Die Durchtriebenheit des Regens im Norden

Auch diesen Sommer regnete es

dutzendweis schöne Frauen aufs Pflaster.

Wenn sie vor mir aufschlugen,

zerplatzten sie mit einem Seufzer.

Wenn ich mich nach ihnen umdrehte,

zerdampften sie in einem Lächeln.

Es regnete den ganzen Sommer lang. Doch

es war einfach zu heiß in dieser Stadt.

Dritte Sorte

Dieser schwüle Nachmittag damals, als dann abends der Blitz einschlug

Jahr für Jahr blasser wir beide und

vielfältiger, einsilbiger, herber.

Deine Hand immer leichter,

wenn sie auf der meinen liegt.

Dein Blick immer schwerer,

wenn er auf den Dingen

so lange ruht, bis er

auch deren Rückseite sieht,

die Leere auf der Rückseite der Dinge.

Aber an unseren großen Tagen,

da strahlen wir wie eh und je –

Und als ob du nach all den Jahren sogar

meine ungeschriebnen Gedichte lesen könntest,

stürmst du plötzlich herein

und blitzt mich mit

all deinem Übermut an:

»Wär’s nicht toll, du, wenn heut abend

so ein richtig großes Gewitter käm’?«

Baldurs Blau

Heut früh,

durch Jalousettenritzen drang ein allererstes Licht,

heut früh verschlug es mir so gründlich

die Sprache, weil du nicht neben mir,

weil du nicht mit mir aufgewacht warst,

daß mir mucksmäuschenstill,

Zeile für Zeile,

das endgültige Gedicht aufdämmerte.

Es hieß »Baldurs Blau«,

das weiß ich noch,

und es begann damit,

daß ich dir eine Insel schenken wollte,

obwohl ich noch nicht mal das Geld hatte,

dir die Yacht zu kaufen,

ach was: die Überfahrt mit ’nem Kanu,

um überhaupt hinzukommen.

Ich hatte nur das Gedicht.

Irgendwo kam darin vor, daß deine Augen

so blau wären –

so blau waren –

so blau sind wie –

Wie gern hätte ich dir

zumindest das Gedicht geschenkt.

Doch als ich schließlich auf Zehenspitzen

zum Fenster ging und die Jalousette kippte,

polterte die Sonne ins Zimmer.

Ich hatte es gründlich vermasselt.

Yuccapalmenanfall

Gerade eben träumte ich offenen Auges

von meiner Yuccapalme. Sah sie

in all ihrer mäßigen Pracht vor mir steh’n,

wo sie die letzten zwanzig Jahre

gestanden. Bis sie eines Tags dann doch,

ganz ohne Sang und Klang,

für immer verschwand.

Wie ich erwachte, standest du vor mir,

die mir die Palme einst geschenkt,

daß ich mit einem Male wußte,

wenn du nicht mehr mit mir –