Cover

Über dieses Buch:

Auf den ersten Blick haben sie nichts miteinander gemein – doch die Männer sind beide nicht bereit, sich ihrem Schicksal zu ergeben: Nairod, der junge Magier, akzeptiert nicht, dass keine mächtigen Zauberkräfte in ihm schlummern, und macht sich auf die gefahrvolle Suche nach dem Geheimnis der Unsterblichkeit. Raigar, ein alter Söldner, hat sein Leben lang in der Armee des Kaisers gedient – und wird von diesem nun, da Frieden herrscht, für vogelfrei erklärt. Seine Flucht führt ihn und eine wilde Horde anderer Verfolgter in das Land der sterbenden Wolken. Doch dort sind die Schrecken ohne Namen und ohne Zahl …

»Thomas Lisowsky hat eine starke Stimme, die schon bald nicht mehr aus der Phantastik wegzudenken sein wird.« Christoph Hardebusch

Über den Autor:

Thomas Lisowsky, geboren 1987 in Berlin, ist »Junggeselle der Künste«, wenn man seinen akademischen Grad korrekt übersetzt. Eigentlich aber ist er leidenschaftlicher Jogger und arbeitet für eine Fantasy-Computerspiel-Entwicklungsfirma. Seine schriftstellerische Karriere begann, als er mit acht Jahren die letzten fünfzig Seiten aus Michael Crichtons Jurassic Park riss und ein eigenes Ende schrieb, in dem sich Dinosaurier und Menschen bei Pommes frites und Softeis versöhnten. 2009 gewann er – inzwischen den Dinos entwachsen – den ZEIT-Campus-Literaturpreis.

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Neuausgabe Oktober 2013

Dieses eBook erschien bereits 2012 unter dem Titel Das Land der sterbenden Wolken bei dotbooks.

Copyright © 2012 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Motivs von shutterstock/Dimitrijs Bindemanis


ISBN 978-3-943835-77-9

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Thomas Lisowsky

Magie der Schatten

Roman

dotbooks.

Kapitel 1:
FEUER, BLITZ UND DUNKELHEIT

Feuer erhellte den Nachthimmel.

Hunderte Menschen umstanden den weiten Veranstaltungsplatz, der von Laternen in allen Farben eingefasst wurde. Von Meerblau und Seidensilber über Smaragdgrün und Sonnengelb bis hin zu Glutrot und schwerem Gold. Es war, als habe jemand das sonst so trübe, schmutzige Licht auf den Straßen ausgetauscht gegen Stücke des Regenbogens.

Kinder saßen auf Schultern von Erwachsenen, rissen die Hände in die Höhe und begleiteten jeden Teil der Darbietungen mit Freudenschreien. Die hinteren Reihen drängten nach, während die vorderen einen respektvollen Abstand zur Darbietung hielten.

Auf der hölzernen Bühne tanzten junge Männer und Frauen zu einer unhörbaren Melodie. Sie warfen die Arme herum, öffneten die Hände, und aus ihren Handflächen traten Flammen. Wie Schlangen wanden sich die Feuer um ihre Körper und fegten in wilden und immer weiteren Kreisen um die Tänzer und die Bühne herum. Aus ihren Bewegungen knüpften sie ein glühendes Netz, das bis dicht ans Publikum heranreichte. Die Menschen jubelten, und in der ersten Reihe bedeckten einige zum Schutz vor der Hitze die Augen.

Nairod saß auf der Treppe eines Hauseingangs und beobachtete das Spektakel aus der Ferne. Neben ihm saßen und standen Kinder, die keinen Platz mehr im Publikum gefunden hatten. Ihre Münder öffneten sich jedes Mal weit, wenn die Magier ihre Feuer herumsausen ließen.

Ein Mädchen mit braunen Locken, das an einem Bonbon lutschte, zog Nairod am Ärmel. »Duuu?«

»Ich will die Zauberer sehen«, sagte er und entzog ihr seinen Ärmel.

Neuerlicher Beifall hallte durch die Nacht. Die Flammenzauberer hielten inne und legten die Hände zusammen. Das Feuer aus ihren Fingern vereinigte sich jetzt zu einer einzigen Form. Ein glühender, pulsierender Ball entstand. Die Zauberer rissen gleichzeitig die Hände hoch, und der Feuerball raste fauchend in die Luft. Alle Blicke folgten ihm. Weit über der Stadt explodierte die Kugel mit einem Donnern, feurige Strahlen schossen in alle Richtungen davon und erhellten die Hausdächer mit ihrem Schein. Ihre Formen waren die von Tieren: Ein Feuervogel zog Kreise um einen Schornstein, eine flammende Fledermaus verschwand im Sturzflug in einer Gasse, und ein winziger Drache hielt sich in der Luft über den Magiern. Die Menge brach in tosenden Applaus aus.

Nur das Mädchen schwieg und stupste ihn wieder an. »Duuu? Du hast die gleiche Jacke an wie die auf der Bühne.«

Nairod lächelte bitter und zog sich die dunkle Uniformjacke zurecht. »Du hast gute Augen.«

»Ja!« Das Mädchen strahlte.

Er wandte sich wieder der Vorstellung zu. Die Flammenmagier verließen unter Begeisterungsstürmen die Bühne, und eine andere Gruppe nahm ihren Platz ein.

Das Mädchen schmatzte an seinem Bonbon. »Bist du auch ein Zauberer?«

Er spürte, wie sich seine Miene verhärtete. »Pass auf. Wenn ich dir meine Jacke gebe, bist du dann eine Zauberin?«

Das Mädchen schob das Bonbon im Mund hin und her. Es schien zu überlegen. »Ich glaube nicht.«

»Aha. Na also.«

Er schaute wieder zur Bühne. Die nächsten Magier trugen Wassereimer auf das Podest und vollführten wilde Gesten über den Behältern. Schließlich rissen sie die Eimer in die Höhe, und das Wasser spritzte in hohem Bogen heraus. In der Bewegung erstarrte es zu einer eisigen Skulptur, die bei jedem Magier anders aussah. Eine gefrorene Flutwelle. Eine Sonne aus Eis. Ein durchscheinender Turm. Die Zuschauer klatschten und pfiffen.

Nairod klatschte nicht. Die Kinder um ihn herum taten es, nur das gelockte Mädchen nicht. Es hatte ihn die ganze Zeit angesehen. »Duuu? Gibst du mir deine Jacke? Bist du ein Zauberer?«

»Nein, ich gebe dir meine Jacke nicht.« Nairod schloss die Messingknöpfe, obwohl es ein erstaunlich warmer Herbstabend war. »Aber wenn du mich jetzt in Ruhe lässt, dann, gut, bin ich eben ein Zauberer.«

Das Mädchen sah ihn mit einem Blick an, den es sich von einer strengen Mutter abgeschaut haben musste, und drehte sich dann weg.

Nairod widmete sich wieder dem Fest der Magie. Die Frostmagier ließen ihr Wasser abwechselnd auftauen und wieder gefrieren und schufen immer neue, waghalsigere Skulpturen aus Eis. Sie wurden schließlich abgelöst von einem Telekinetiker, der einen vollen Schreibtisch mit auf das Podest brachte. Seine Magie ließ die Schreibfeder durch die Luft segeln, sie mit dem Kiel ins Tintenfass eintauchen und schwebende Dokumente signieren.

»Gehst du auch noch nach vorn?«, fragte das Bonbonmädchen.

Er seufzte. »Ganz bestimmt nicht.«

»Papa hat gesagt, beim Fest der Magie zeigen alle Zauberschüler von Wolkenfels, was sie gelernt haben.«

»Ich habe nichts zu zeigen.« Er bot dem Mädchen seine leeren Handflächen dar.

»Aber du bist ein Zauberer. Warst du nicht fleißig genug und kannst noch nichts?«

In seiner Jackentasche ballte sich eine Hand zur Faust. Er sah hinüber zu den nächsten Darbietungen auf der Bühne. Aus den Fingerspitzen dieser Zauberer zuckten Blitze, und ein leises Knistern erfüllte die Luft.

»Das ist schade, dass du niemandem zeigen willst, was du kannst.« Das Mädchen hatte aufgehört, an seinem Bonbon zu lutschen. »Zeig es mir! Ich bin aus Zweibrück mit meinem Papa hier nach Felsmund gekommen, nur um mir die Zauberer ansehen zu können.«

Nairod schüttelte den Kopf. »Was ich dir zeigen kann, ist nichts Besonderes. Ich meine, eigentlich ist es nichts, überhaupt nichts.«

»Ich habe noch nie nichts gesehen.«

Auch die anderen Kinder horchten auf. Mit großen Augen schauten sie ihn an.

Nairod blickte in die kleinen Gesichter. »Es hat einen Grund, wieso ich nicht auf der Bühne … Ach, beim Ewigen.« Er stand auf und klopfte sich die Hose ab. Langsam stieg er die Treppe hinab, und die Kinder taten es ihm gleich. Das Bonbonmädchen stolperte fast über den Saum seines Kleides, während es die Stufen hinuntersprang und neben Nairod herlief.

Er warf noch einen letzten Blick auf den Festplatz, aber ohne die erhöhte Position der Treppe sah er nur die Rücken der Zuschauer. Die Kinder folgten ihm weg vom Platz, eine Gruppe aus strubbeligen Haaren und flatternden Mäntelchen.

Die hellen Festlaternen leuchteten selbst die engsten Gassen mit ihren bunten Farben aus und färbten das dunkle Wasser der Kanäle. Die Stimmen vom Festplatz verhallten langsam.

»Wieso gehen wir so weit weg?«, fragte das Bonbonmädchen.

Nairod beobachtete den Himmel, über den noch immer die Feuertiere zogen. »Weil nicht jeder meine Magie sehen will, deswegen. Aber ihr wollt es ja unbedingt.«

»Ja!«

Nairod führte den Zug aus Kindern weiter. In der Nähe der Feierlichkeit hatten viele Fensterläden offen gestanden, aus denen sich die Zuschauer hinauslehnten, aber hier brannten nicht einmal mehr Lichter in den Fenstern. Sie gelangten an eine Brücke, auf der eines der kleinen Feuertiere gelandet war. Eine armdicke Schlange wand sich um das Geländer und strahlte Hitze ab. Vier Laternen markierten die Brückenenden mit einem hellen, türkisfarbenen Licht.

Nairod blieb stehen und zog die zitternden Hände aus seinen Jackentaschen. »Gut. Wer es nicht sehen will, der kann noch weggehen.« Die Kinder sahen ihn mit unverändert neugierigen Mienen an. »Dachte ich mir«, sagte er.

Er spreizte die Finger seiner Hand – nur eine Hand, eine Hand musste genügen – und richtete sie auf die Schlange. Noch immer schlängelte sie sich am Geländer der Brücke entlang, und die Flammen zischten. Die Magie zitterte durch Nairods Arm, kitzelte und kribbelte. Es war eine kleine Entladung, die in etwa die gleiche Kraft beanspruchte wie das Anheben eines Ziegelsteins. Er entließ sie durch die Fingerspitzen.

Die Schlange erstarrte in der Bewegung. Es schien, als würde sie ihm den Kopf zuwenden. Die Flammen ihres Körpers flackerten, liefen ineinander, schmolzen zusammen. Die Gestalt verschob sich und zerlief, bis nur noch eine einzige Flamme übrig blieb, die an der Brücke keinen Halt mehr fand. Sie fiel hinab und verglomm langsam auf dem Weg zum Kanal. Gleichzeitig flackerten die Lichter der Brückenlaternen. Seine Hand zitterte. Der Schein der ersten Laterne wurde immer matter, bis er schließlich ganz erlosch. Die zweite und dritte Laterne verloren ihr Licht kurz nacheinander. Die eine Seite der Brücke war jetzt beinahe völlig in Dunkelheit gehüllt, und die Kinder standen im türkisfarbenen Schimmer der letzten Laterne. Die ersten drehten sich um und rannten davon. Die nächsten folgten schnell. Schließlich blieben nur noch das Bonbonmädchen und ein Junge übrig, der es eifrig an seinem Kleid zog. Als es nicht reagierte, lief er allein davon.

Nairod atmete schwer. Das war mehr Energie gewesen, als er gedacht hatte. In der Luft hing ein Nachhall der Magie. Er senkte den Kopf, in ihm war eine Leere. »War es das, was du sehen wolltest?«

Das türkise Licht flimmerte auf dem Gesicht des Mädchens. »Das ist also nichts?« Auch die letzte Laterne erlosch, und die Finsternis der Nacht machte aus dem Mädchen eine vage Silhouette, einen kleinen Schatten, der enttäuscht zu Boden blickte.

»Es tut mir leid.« Nairod stützte sich auf das Brückengeländer und streckte wie zur Entschuldigung eine Hand aus. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«

Das Mädchen verschmolz mit den Schatten der Straßen und ging davon.

Nairod blieb zurück. Am Firmament erstrahlte das nächste Feuerwerk, ratternd und knatternd. Feuer und Blitze verdeckten die Sterne in einem hitzigen Reigen. Es war die Magie der anderen.

Kapitel 2:
WIE EIN TIER

Der Bäcker stieß Raigar hart vor die Brust. Mehlstaub stob von den Händen des Mannes auf und ließ Raigar husten. Eine Faust ballte sich vor seinem Gesicht. »Kannst dich auf der Straße einquartieren. Hunde sollen in den Gassen wohnen und auf Hinterhöfen, aber bestimmt nicht in meinem Laden.« Wieder stießen ihn die Ärmchen des Bäckers zurück.

Raigar trat freiwillig den Rückzug an und ging die Stufen hinunter. »In Ordnung. In Ordnung.« Jetzt, da er unten stand und der Bäcker oben, waren sie annähernd auf Augenhöhe.

»Was willst du noch, Riese? Troll dich!«, rief der Mann. In einer zweiten Wolke aus Mehlstaub schlug er die Tür der Bäckerstube so fest zu, dass das Aushängeschild mit der Brezel darauf gefährlich schwankte.

Von den unzähligen Menschen auf den Straßen der Kaiserstadt blickte nicht einer zu ihm herüber. Raigar seufzte. Er reihte sich in den Strom ein, der stadteinwärts führte.

Pferde- und Ochsenkarren rumpelten über das Pflaster, auf einer eigens für sie angelegten Spur. Als er das letzte Mal hier gewesen war, hatte es das noch nicht gegeben. Die Karren verströmten die verschiedensten Gerüche: manche den scharfen von Alkohol, andere die aromatischen Düfte der Körperwässerchen, die man sich unter die Achseln schmieren konnte, andere Ladungen wurden von Planen verdeckt, aber der Gewürzduft stach in der Nase, und dann gab es auch schlicht solche, die Mist transportierten. Viele Damen beugten sich zur Seite, wenn diese Karren vorbeifuhren, und bedeckten ihre Nasen mit den Händen oder feinen Tüchern. Für Raigar hingegen war das der vertrauteste unter all den Gerüchen.

Aber es gab ja alles in der Kaiserstadt. Kleider aus Drachenschuppen, Früchte, die aussahen wie zusammengerollte Igel, Teesorten, die die widersprüchlichsten Geschmäcker zusammenführten … Das war schon immer so gewesen. Nur eines gab es offenbar nicht, aber genau das war es, was er brauchte.

Am Ende der Straße wies ein Schild mit zwei gekreuzten Würsten einen Laden als Metzgerei aus. Raigar steuerte darauf zu. Schon vor dem Eingang roch er das gewürzte Fleisch.

Als er eintrat, bimmelte eine winzige Glocke über seinem Kopf. Ein Junge mit einem roten Gesicht, auf dem das Fett glänzte, stand hinter der Theke. In der Auslage türmten sich Fleischstücke, gewürfelt, geschnitten, eingelegt, geräuchert, getrocknet …

»Ich suche Arbeit«, sagte Raigar und betrachtete die Wurstwaren.

Der Junge verwies ihn mit einer Handbewegung an den Meister im Hinterzimmer. Raigar schulterte den Sack mit seinem Gepäck und ging durch die offen stehende Tür.

»Hab schon gehört.« Ein Mann in dunklem Kittel arbeitete an einem Tisch, der zahllose Kerben und dunkle Verfärbungen aufwies. Er ließ ein Beil auf einen Fleischbrocken von der Größe eines Kissens niedergehen. Rote Spritzer sprenkelten seinen Kittel. Er warf Raigar einen Seitenblick zu. »Und ich kann dir sagen: Ich hab nichts. Für dich ganz bestimmt nicht.«

»Das habe ich hier schon zu oft gehört. Habe ich irgendwas im Gesicht?«

»Na, um ehrlich zu sein, ja.« Der Metzgermeister deutete mit seinem Beil auf Raigars Ohr.

Raigar fasste sich über den Schädel. Seine Finger glitten über Narbengewebe und durch das lang gewachsene, schon grau gewordene Haar. Nur um die Stelle, wo einmal sein Ohr gewesen war und wo jetzt wie bei einer Eidechse nur noch ein kleines Loch klaffte, wuchs kein Haar mehr. »Ich kann noch hören wie jeder andere, wenn das das Problem sein sollte.«

Der Metzger hackte weiter. Zwei dicke Fliegen umkreisten ihn, ihr Surren erfüllte das kleine Zimmer. Das Beil senkte sich wieder auf die Holzplatte. Als sich eine der Fliegen auf die breite Nase des Metzgers setzte, scheuchte er sie fort. »Das Hören ist aber nicht das Problem. Das wissen wir beide ziemlich genau.«

»Ich nicht«, sagte Raigar und stellte seinen Gepäcksack ab. »Ich weiß nicht, was das Problem ist. Mein Name ist Raigar. Ich bin nicht leer im Schädel, und ich kann ganz gut zupacken.«

Der Metzger verzog den Mund, hob das Beil noch einmal und schlug zu. Diesmal traf er nicht das Fleisch, sondern das Holz. Das Beil blieb stecken. »Ich sehe deine Arme, und ich glaube dir, dass du damit zupacken kannst. Und du könntest mir damit auf der Stelle den Hals umdrehen, wette ich.« Er wischte sich die Hände an einem feuchten Tuch ab und warf es in einen Wassereimer. »Wie viele hast du damit schon umgebracht?«

»Ich bin kein Mörder«, sagte Raigar etwas lauter als geplant. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Thekenjunge fortging.

»Oh, komm mir nicht damit.« Der Metzgermeister baute sich vor ihm auf. Obwohl er groß war, reichte er Raigar nur bis zur Nasenspitze. Er griff hinter ihn und zog sein Schwert aus der Rückenscheide. Auf dem breiten Heft prangte das Siegel des Kaisers, ein Löwenkopf. Der Metzger wog die Waffe in der Hand. »Ziemlich billig. Ohne Kunst geschmiedet, Massenware. Wir wissen beide, woher das ist. Der Feldzug in den östlichen Wüsten. Du bist ein Krieger, und du tötest.«

Raigar entriss dem Mann das Schwert mühelos und nahm es wieder an sich. »Diese Klinge hat kein Blut gesehen. Und in den Wüsten habe ich nur dem Kaiser gedient. So, wie Ihr es hier auf Eure Art tut.«

»Komm nicht auf die Idee, dich mit mir zu vergleichen, mein Freund, bloß weil wir beide Metall in Fleisch hacken.« Der Metzger starrte ihn an. Einen Moment lang sah er so aus, als wollte er etwas versuchen. Dann drehte er sich um und ging an seinen Arbeitstisch zurück. »Der Kaiser will solche wie dich hier nicht mehr haben. Er will ein Friedensreich. Hier ist kein Platz mehr für Blut und Mord.«

»Ich …« Raigar schob das Schwert zurück in die Scheide und hielt sich am Arbeitstisch fest. »Hört zu, ich will nur Arbeit. Ehrliche Arbeit, damit ich Geld für eine Wohnung oder ein Zimmer zusammenbekomme. Wenn wir uns irgendwie missverstanden haben sollten …«

»Haben wir nicht.« Der Metzger nahm wieder das Beil zur Hand. »Scher dich hier weg. Die Stadttore stehen dir offen. Solange du nur raus willst und nicht wieder rein.«

»Na gut. Dann danke.« Raigar hatte einen sauren Geschmack im Mund. Er wuchtete seinen Sack wieder auf den Rücken und wandte sich zur Tür. »Danke für Eure Zeit.« Neben ihm baumelte von einem Haken an der Decke ein Fleischstück, das einmal zu einem Kalb gehört haben mochte. Er boxte so hart dagegen, dass es gegen die Wand klatschte.

Der Metzger rief ihm einen Fluch hinterher. Der Thekenjunge draußen war verschwunden.

***

Eine halbe Stunde später saß Raigar auf dem Rand eines Brunnens, einen Fleischspieß in der Hand, den er sich vom Rest seines Vermögens geleistet hatte: einigen wenigen Kupferstücken und Eisenmünzen, von denen die Hälfte schon Rost angesetzt hatte.

Er wog seine Möglichkeiten ab, während er das Fleisch aß. Gab es überhaupt Möglichkeiten? Abgesehen von der, dass er sich weiter durchs Handwerkerviertel fragen und Beleidigungen sammeln konnte?

Neben ihm tollten Kinder am Brunnen herum und schippten sich gegenseitig mit den Händen Wasser ins Gesicht, das aus den Mündern von steinernen Fischgestalten plätscherte. Raigar sah den Kleinen lächelnd zu, während er langsam seinen Fleischspieß abnagte. Die Jungen jagten sich gegenseitig mit nassen Händen um das runde Becken, und zwei Mädchen balancierten auf dem Brunnenrand. Als eines strauchelte, schob Raigar rasch seine Hand hin, um ihm Halt zu geben. Die kleine Artistin hielt sich an seiner Hand fest, und Raigar setzte sie vorsichtig zurück auf den Boden. Er verfolgte das Spiel weiter und aß. Am Ende hielt er nur noch den Metallspieß in der Hand, und in seinem Rachen brannten die scharfen Gewürze. Er beugte sich über das Brunnenbecken und schöpfte mit der Hand Wasser. Es löschte den Brand nur mäßig, also nahm er mehrere Schlucke. Schließlich wischte er sich den Mund ab und erhob sich wieder. Die Kinder waren verschwunden.

Auch die Erwachsenen, die den Brunnen passierten, machten einen großen Bogen. Ein Dutzend gerüsteter Männer näherte sich ihm. Ihre weiten Wappenröcke mit dem Löwen darauf ließen sie wie Priester erscheinen, aber an ihren Seiten baumelten Schwerter.

Der Erste, ein Kerl mit einem hellen Bart, der wie schmutzige Sonnenstrahlen um sein Kinn herum strahlte, kam auf ihn zu. »Ist es nicht gefährlich, dir so etwas Spitzes in die Hand zu geben?« Er zeigte auf den Bratenspieß in Raigars Hand.

»Ich habe nur gegessen.« Raigar legte den Spieß auf dem Brunnenrand ab.

»Hm, gegessen.« Die Truppe hinter dem Anführer war zum Stehen gekommen. Der Mann ging vor ihnen auf und ab und rieb sich über den Kinnbart. »Gegessen. Wahrscheinlich dem Kaiser die Haare vom Kopf?«

Gelächter von den jungen Männern. Einige hielten sich die Bäuche. Raigar versuchte sich an einem Lächeln. »Es war nur ein Bratenspieß, Hauptmann. Ich habe dafür gezahlt, mit meinem letzten Geld.«

»Oh, wie tragisch.« Der Bärtige schob die Unterlippe vor. »Mit seinem letzten Geld. Na, dann trifft es sich gut, dass du da, wo du hingehst, kein Geld mehr brauchen wirst. Wir haben nämlich eine Meldung bekommen, von einer Fleischerei, dass ein Hüne mit grauen Haaren Ärger macht …«

Raigar stand auf und zog sein Gepäck zu sich. »Ich habe nach Arbeit gesucht. Aber bisher habe ich nur Beschimpfungen gehört und Prügel angedroht bekommen.«

»Dann sei froh, dass es dir nicht schlimmer ergangen ist. Der Kaiser duldet euch Söldner hier nicht mehr.«

Raigar sah die jungen Männer an, die im Rücken des Anführers standen. »Der Metzger hat etwas von … einem Friedensreich erzählt, das der Kaiser errichten will.«

»Ganz recht«, sagte der Hauptmann und hakte die Daumen hinter seinen Gürtel. »Ein Reich, in dem für euch Hunde kein Platz mehr ist. Der Krieg ist vorbei.«

Hunde. Hunde des Krieges.

Raigar richtete sich hoch auf. »Ich bin nicht als Krieger hier, sondern um für euch zu arbeiten. Ihr tragt selbst Schwerter …«

»Gewiss. Weil wir das gemeine Volk vor Übergriffen schützen müssen. Übergriffe von dir zum Beispiel, großer Mann.« Der Gardehauptmann trug die Worte mit eiskalter Ruhe vor. »Wir müssen auch gar nicht mehr lange reden, weißt du, damit verschwenden wir nur unsere Zeit. Lass dir brav die Ketten anlegen.«

»Ich habe nichts getan.« Raigars Griff um den Gepäcksack wurde fester. »Ich schwöre es vor eurem Gott.«

»Unser Gott ist tot. Lange tot.« Der Anführer der Wachmannschaft schaute ungeduldig nach hinten. »Meine Männer legen dir jetzt die Ketten an. Wenn du Widerstand leistest, nun, wir haben auch einen Hund bei uns.«

Vier der Jüngeren näherten sich, eiserne Ketten und Schellen für Füße und Hände im Schlepptau. Das Eisen schleifte über das Pflaster. Dort, wo die Soldaten gestanden hatten, wurde der Blick auf den Hund frei, ein Ungetüm mit schwarzem Fell, dessen Schultern den Gardisten bis zum Bauchnabel reichten. Drei Männer hielten das Biest an Lederleinen. In seinen Augen tanzten Flammen umeinander, und wenn es den Mund öffnete, stieß es Rauch aus. In seinem Rachen leuchtete Feuer.

Flammenbeller. Das Ergebnis von Tierversuchen der Magier und gefürchtete Waffen im Krieg.

Raigar breitete die Arme aus. Die Jungen schnallten ihm das Schwert vom Rücken und durchwühlten seinen Gepäcksack.

»Es ist ungerecht«, sagte er nur.

Die Jungen widersprachen nicht, und als er sie ansah, senkten sie die Blicke. Einer presste die Lippen zusammen und ließ die Eisenschellen um Raigars Handgelenke zuschnappen. Auch um seine Fußgelenke schloss sich das Metall. Wenn er die Arme anspannte, knirschten die Fesseln nahe am Zerbersten. Aber da waren die Männer, und da war der Flammenbeller, der aus unergründlichen Augen das Geschehen verfolgte. Raigar ließ die Arme wieder locker.

»Nein«, sagte der Bärtige. »Von Gerechtigkeit sollte niemand sprechen, an dessen Händen Blut klebt. Wir kennen dich und deine Kumpane, du bist nicht der Erste von euch, den wir erwischen. Nicht der Erste, der Ärger macht. Ihr habt das Blut nicht nur auf euren Schlachtfeldern vergossen, sondern auch hier. Und wenn es da nicht rechtens ist, dass wir euer Blut nehmen, dann wird mir der Herr Schulmeister das mit der Gerechtigkeit noch einmal erklären müssen.«

Die Kette zwischen Raigars Handschellen straffte sich. Er wollte stehen bleiben, aber einer der Jüngeren stieß ihn vorwärts. »Ich verstehe nichts. Überhaupt nichts. Warum wollt Ihr mein Blut?«

Der Bärtige ging neben ihm, und zusammen bildeten sie die Spitze eines Pflugs, der die Menschenmenge auf der Straße zerteilte. Sogar Eselstreiber zogen ihre Tiere beiseite.

»Nimm das mit dem Blut nicht so wörtlich.« Der Hauptmann sah ihn schon nicht mehr an. »Vielleicht knüpfen wir dich auch einfach nur auf, dann gibt es gar kein Blut. Ja, eigentlich wäre das die einfachste und sauberste Methode. Ich werde mit dem Scharfrichter reden.«

»Bei den Himmeln und den Gestirnen, ich habe nichts getan!« Er schrie fast, und die Frauen am Wegesrand vergrößerten ihren Abstand zu ihm.

»Noch nicht«, sagte der Bärtige mit eisiger Ruhe. »Aber wie würdest du es mit einem Fuchs halten, der um deinen Hühnerstall herumschleicht? Wenn du warten würdest, bis er etwas getan hat, na, dann könntest du es auch ganz sein lassen.«

Raigar sah ihn verständnislos an. »Falls Ihr mir jetzt noch sagt, dass Ihr an das glaubt, was Ihr da redet, dann ist Wahnsinn in dieser Stadt wohl wirklich ansteckend.«

»Ah! Beleidigung eines kaiserlichen Bediensteten. Das setzt womöglich dein Strafmaß herauf, und damit die Zeitspanne, bis wir dir auf dem Richtplatz den Gnadenstoß gewähren.«

»Was für ein blutiges Märchen ist das hier?«

Aber er erhielt keine Antwort mehr. Wie ein Tier wurde er abgeführt. Aber wenn sie sein Leben wollten, dann würde er auch wie ein Tier darum kämpfen.

Er sah nach hinten zu dem Flammenbeller, der ihm dichtauf folgte, und konzentrierte sich dann wieder auf den Weg.

Kapitel 3:
DER GLASKNOCHENMANN

Eine mit Bandagen umwickelte Faust fuhr Nairod ins Gesicht, drosch ihm Lippen und Wange gegen die Zähne und peitschte seinen Kopf herum. Er taumelte zurück, suchte mit seinen Füßen auf dem Stein des Hinterhofs nach Halt, aber er glitt aus und prallte mit dem Rücken heftig auf den Boden. Er biss die Zähne zusammen. Sein Gegner stand dicht über ihm, ein blonder Junge im Unterhemd, mit harten Muskeln. Er hatte die Fäuste noch immer oben.

Der Lehrer, kahlrasiert und mit Bauchansatz, klatschte in die Hände. »Das war’s für heute, Jungs.«

Die Jungen, die zwischen dicht behängten Wäscheleinen an den Häuserwänden saßen, erhoben sich, wickelten sich die Stofflagen von den Fäusten und strömten vom Hof. Der Lehrer klopfte Nairods Gegner auf die Schulter, und gemeinsam machten die beiden sich ebenfalls auf den Weg.

In Nairods Schädel dröhnte der letzte Schlag noch nach, und er blieb ausgestreckt auf dem Rücken liegen. Die Wäsche spannte sich auf zu einem weißen Firmament und sperrte den echten Himmel aus.

Schritte näherten sich. Eine Frauenstimme erklang:

»Ach, Nairod. Ich habe es gewusst.«

Dort, wo die letzten Teilnehmer eben verschwunden waren, stand eine junge Frau an der verwitterten Hauswand. Glattes, braunes Haar floss ihr über die Schultern bis auf die Brust der Uniformjacke. Auf ihrem Rücken trug sie einen Rucksack, dessen Gewicht sie nach hinten zog. Sie setzte eine tadelnde Miene auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Lenia.

Nairod setzte sich auf. »Was willst du gewusst haben? Dass ich wieder beim Üben bin?«

»Prügeln«, sagte Lenia. »Ich nenne das Prügeln. Ihr Jungs müsst euch immer schlagen.« Ihre Stimme war so fein wie Seide. Sie tauchte unter zwei steifen Laken hindurch und half ihm auf.

»Und ihr Mädchen müsst immer …« Nairod musterte sie, auf der Suche nach einer schlagfertigen Antwort. Der Rucksack, dessen Nähte ächzten, war vermutlich voll mit Büchern. Wie immer. Sie trug ihr Amulett um den Hals, einen silbernen, durchscheinenden Ritterschild – das Symbol ihrer magischen Befähigung. Sie trug es tagaus, tagein und nicht nur in den Akademiestunden. Er hatte noch immer keine passende Antwort parat.

»Ich helfe dir aus.« Sie seufzte. »Ihr Mädchen müsst immer … zum Unterricht gehen, während wir uns in Hinterhöfen prügeln. Und ihr müsst immer lernen, während wir Feste feiern.«

Er machte sich von ihr los und ging seinen eigenen Rucksack holen, der noch an einer Häuserecke lehnte. »Ja, das Fest der Magie. Schade, dass du nicht da warst. Es war …«, er dachte kurz nach, dachte an die Flammenmagier »... anfangs ganz vernünftig.«

Ehe er es sich versah, stand sie wieder vor ihm. »Ich bin mir sicher, dass es gut war. Jetzt lass dich verarzten.«

»Nicht nötig.«

»Doch.«

***

Sie saßen sie auf einer Bank an der Handelsstraße. Die Straße begann am talwärtigen Eingang des Städtchens, lief schnurgerade hindurch und führte an den nördlichen Toren hinaus in die graue Felsöde der Berge.

»Hierher gucken.« Lenia hielt ein Taschentuch und tupfte ihm damit auf Wange und Lippen herum.

»Du gehst mir auf die Nerven«, brummte er, obwohl Lenias Stimme einen beruhigenden Klang hatte.

»Hättest du dich nicht geprügelt, müsste ich dir jetzt nicht das Blut aus dem Gesicht wischen. So. Schau mal, alles rot.« Sie hielt ihm das Taschentuch mit den roten Flecken hin. Sie meinte es nur gut, aber genau das war ja das Schlimme.

»Das bisschen Blut bringt mich wohl kaum um.« Er begann, die Bandagen von seinen Händen zu wickeln. »Kann schon mal passieren bei den Übungsstunden. Und ich muss lernen, mich zu verteidigen. Wir leben in unsicheren Zeiten.« Er betastete seine rot angelaufenen Knöchel. »Ich kann das nicht so machen wie die feinen Feuermagier. Mit den Fingern schnippen, einen Flammenball herbeirufen, und schon rennt davon, was rennen kann.«

Der Festplatz lag jetzt leer da, ohne Feuermagier und ohne jegliche Spuren von der Magie des gestrigen Abends. Die Straßenlaternen mit ihrem Licht in der Farbe hellen Schmutzes brannten noch nicht.

Lenia strich weiter mit dem Taschentuch behutsam über sein Gesicht. »Aber du kannst dafür andere Dinge. Du bist ein Bannwirker.«

»Ach, Bannwirker.« Er sah sie an. Mit eherner Ruhe säuberte sie ihm weiter das Gesicht. Er nahm ihr das Taschentuch aus der Hand und warf es weg. »Ein Bannwirker kann gar nichts. Sie bannen und zerstören Magie, die andere geschaffen haben.«

Einige Meilen weiter und einige hundert Meter höher erhob sich aus dem Grau des Gebirges die Akademie Wolkenfels. Ein Gebäude aus dunklem Stein, dessen Grundkörper an eine trutzige Burg erinnerte. Aber nach außen hin entfaltete es sich wie eine Blüte, Türme reihten sich an Türme, die wiederum in weitere Türme ausliefen. Endlos und immer höher klammerten sie sich aneinander, als habe jede Generation von Magiern die Akademie um einen weiteren Kranz aus Türmen erweitert. Die Bannwirker waren es sicher nicht gewesen.

Lenia lehnte sich ruhig auf der Bank zurück. »Jeder hat seine Fähigkeiten. Du kannst sie natürlich hassen, doch du wirst sie nicht los. Du machst es dir auf die Art nur schwer auf der Akademie, und dann machst du es dir wieder leicht – indem du einfach nicht hingehst.«

Lenia hatte diese Art, Sachen zu sagen. Nairod trat das Taschentuch beiseite und verschränkte die Arme, die Hände fest um die Bandagen geschlossen. »Ja. Das hättest du gern, dass ich dort wäre. Ich weiß. Aber keiner hat dir befohlen, dich um mich zu kümmern.«

Sie hielt seinem Blick stand, aber eine Antwort gab sie nicht.

Nairod wickelte die Bandagen zusammen und steckte sie in seinen Rucksack. Gleichzeitig zog er drei in Leder gebundene Wälzer heraus. »Deine Bücher kannst du auch zurückhaben. Ich weiß nicht, was ich damit soll und was du denkst, was ich damit soll. Sollen sie mir – hex, hex – ein plötzliches Interesse an magischen Studien einpflanzen?«

Als sie wieder nicht antwortete, blätterte er demonstrativ unbeeindruckt durch das erste der Bücher. Skizzenzeichnungen von Menschen, vom Himmel und vom Kontinent huschten vor seinen Augen vorbei. Außerdem eine viel zu kleine Schrift, die man nur mit Hilfe einer Brille bequem lesen konnte. Er schlug das Buch zu. »Grundlagen zur Anwendung von …«, er fächerte den Bücherstapel auf, so dass die Titel der anderen beiden Bücher sichtbar wurden, »...vom Wesen der … Einführung in die …« Er schob die Bücher wieder zu einem Stapel zusammen und wuchtete sie Lenia auf den Schoß. »... Magie«, sagte er. »Das sind eigentlich nur die Bücher, die ich auch im Unterricht empfohlen bekommen habe.«

Lenia nickte einfach. Sie öffnete ihren Rucksack, aus dem mehr Buchrücken herausschauten, als auf Nairods Bücherregal daheim standen. »Na gut. Du findest sie langweilig, das kann ich verstehen. Sie sind ja auch verfasst von Leuten, die nicht selbst gezaubert, sondern nur endlos Buchseiten vollgeschrieben haben.« Sie stopfte die drei Wälzer in den Rucksack zu den anderen und wühlte darin herum.

Nairod lehnte sich zurück und rieb sich mit den Händen über das Gesicht. »Es tut mir leid.«

Ein Buch plumpste ihm auf den Schoß. Es hatte einen verfärbten Hülleneinband, ein ans Umschlagleder genähtes Stofftuch, mit dem sich das Werk einwickeln ließ. Die Bindung löste sich bereits, die Seiten wellten sich. Eine eiserne Spange diente als Verschluss des Buchs. Nairod strich über die Oberfläche. Auf dem brüchigen Einband schien ein Muster aufgemalt zu sein. Feine, kaum noch erkennbare Formen zogen sich darüber, aber durch das abgewetzte Leder war die Zeichnung längst eingeebnet und unkenntlich. Er drehte das Buch herum. Eine Rückseite gab es nicht – es hörte einfach mittendrin auf. Er hielt dort, wo die Rückseite hätte sein müssen, nur eine zerknitterte Seite in der Hand. Das Leder des Rückens war gebrochen und zerrissen.

»Das Buch ist ja nicht einmal ganz«, sagte er leise, die Augen noch immer auf den Einband gerichtet.

»Du hast vergessen, dich darüber zu beschweren, dass ich es dir überhaupt gebe.«

Er schaute überrascht auf.

»Na?«, fragte sie.

»Ich werde es mir einmal ansehen«, sagte er schnell. Er bemerkte, dass seine Finger weiter über den Einband strichen. Rasch legte er das Buch beiseite. »Was soll das eigentlich sein? Ich meine, es hat gar keinen Titel.«

»Er steht nur nicht drauf. Ich habe es von einer fahrenden Händlerin, und sie sagte mir, es heiße Eikyuuno. Ein Wort aus einer Sprache, von der ich noch nie gehört habe. Es soll jedenfalls in unserer Sprache Ewig bedeuten.«

»Ewig.« Nairod betrachtete den brüchigen Einband. »Das ist doch kein Name für ein Buch. Und die Hälfte der Seiten fehlt auch.«

»Siehst du, du interessierst dich ja schon dafür, und dabei hast du noch nicht einmal angefangen zu lesen.«

Nairod steckte eilig die Hände in die Taschen und ließ sich betont langsam ein Stück die Bank herunterrutschen, in eine fast liegende Position. »Das werde ich vielleicht auch gar nicht. Worum geht es denn auf diesen vielen zerknitterten Seiten?«

»Das musst du selbst herausfinden. Ich weiß es auch nicht, ich habe es noch nicht gelesen.« Lenia wippte mit den Beinen und lächelte. »Na ja, ein wenig. Es ist gut, und auch wenn es nicht komplett ist … Ich glaube, es ist genau das Richtige für dich. Keine trockene Abhandlung.«

»Das heißt wohl, genau das Richtige, um mich nach der Lektüre auf die Schulbank zurückzubringen. Das kannst du aber vergessen. Dahin bekommt mich kein Buch, und du auch nicht. Sowieso nicht. Vielleicht lese ich es mir mal durch, irgendwann.« Er winkte ab.

Lenia setzte ein geheimnisvolles Lächeln auf. »Sicher.« Sie schlüpfte in die Trageriemen ihres Rucksacks und wuchtete sich das Gewicht auf den Rücken. »Ich muss jetzt wieder zurück, wir haben Abendstunden.«

Nairod zuckte mit den Schultern. »Ich geh jetzt nach Hause. Bis bald.«

»Bis bald, Nairod.«

Lenia nahm die Handelsstraße bergwärts. In ihrer dunklen Jacke blieb sie auf dem hellgrauen Stein der Wege Hunderte von Metern gut sichtbar. Erst als Lenia hinter den Toren von Wolkenfels verschwunden war, stand er auf.

***

Zu Hause öffnete und schloss er die Tür so leise, wie er konnte. Er schlich sich an dem Geräusch des Spinnrads seiner Mutter vorbei und ging die Treppe nach oben in sein Zimmer. Das Buch nahm er sofort aus dem Rucksack und steckte es in eine Schublade, wo er es nicht mehr sehen konnte.

So leicht würde Lenia nicht gewinnen.

Er verbrachte den Nachmittag am Fenster und schaute dem Rauch zu, wie er sich aus den Schornsteinen der Häuser kräuselte, sah, wie die Menschen auf den Straßen des kleinen Gebirgsstädtchens vorbeigingen. Aber wenn er zu lange hinsah, dann formten die aufsteigenden Rauchschwaden vage die Gestalt der unkenntlichen Muster auf dem Buchdeckel. Und aus den Gesprächen der Menschen auf den Straßen hörte er nur immer die gleichen Wortfetzen heraus. Ei kyuu no. Eik yuun o. Eikyuuno. Ein Wort, das nach Geheimnis klang. Er ertappte sich dabei, wie er es selbst vor sich hin murmelte, als könnte er die Silben zwischen seinen Zähnen zermahlen und so auf die Essenz des Wortes stoßen. Sein Blick wanderte immer wieder zu der Schrankschublade, und er klammerte sich an der Fensterbank fest.

Als es dunkelte, entzündete er eine Kerze und zog die Schublade so fest auf, dass sie ihm vor die Füße polterte. Das Buch lag noch immer darin, eingewickelt in die schützende Stoffschicht. Er hob es vorsichtig hoch. Vielleicht könnte es bei einer unvorsichtigen Bewegung zu Staub zerfallen. Die Kerze stellte er auf den Nachttisch, dann setzte er sich aufs Bett, in die Decke gehüllt, und wickelte das Buch aus. Durch das offene Fenster zog Bratenduft herein. Er hatte seit Stunden nichts gegessen. Egal.

Er öffnete das Buch. Und das Buch nahm ihn in sich auf.

***

Als er die letzte Seite umblätterte und nur auf Leere stieß, erwachte er. Seine Lungen sogen tief die Luft ein. Als hätte er Stunden nicht geatmet. Und tatsächlich waren Stunden vergangen, denn draußen stand ein bleicher Mond hoch am Himmel. Die kühle Nachtluft strich über seine schweißbedeckte Stirn. Auch auf den Armen glitzerte Schweiß. Seine Finger zitterten auf dem Papier, und in ihm pochte ein unruhiges Herz. Bei jeder Bewegung spürte er ein Ziehen in seinen Muskeln, aber für Muskelkater von der Übungsstunde war es noch zu früh. Seine Augen brannten, aber sie wollten sich nicht von der rissigen Oberfläche der Buchseite lösen, obwohl dort keine Buchstaben mehr waren.

Er schob das Buch zur Seite, sein Körper fiel wie von selbst aufs Bett, und er starrte durch das Fenster in die Nacht hinaus.

Wie hatte die Schrift überhaupt ausgesehen? Altertümlich, in geschwungenen, schweren Lettern? Oder doch neumodisch und in Blockbuchstaben? Hatte es Zeichnungen gegeben? Skizzen wie in den Lehrbüchern oder gar schmückende Malereien? Wie viele Seiten hatte er überhaupt gelesen? Hatte er eine Ewigkeit auf fünf Buchseiten gestarrt, oder war er wie irr durch fünfhundert gerast?

Er konnte sich nicht mehr erinnern. Aber die Geschichte aus dem Buch … sie war noch da, in seinem Kopf. Und darin formte sich immer nur ein Wort: Eikyuuno.

Der Mann, der das Buch geschrieben hatte, hatte erklärt, was es bedeutete, für ihn bedeutete. Denn es war nur der Name, den er einer Formel gegeben hatte, an der er arbeitete. Er, ein Mann, der immer zu klein gewesen war, arbeitete an dieser Formel, und er führte das Buch wie ein Tagebuch. Zugleich war es geschrieben wie einer der Ritterromane, die für teures Geld an die Adligen gingen. Zu Beginn wandte der Mann sich an einen Leser und stellte sich vor, ohne dabei allerdings seinen Namen zu nennen, und dann begann der Teil, der seine täglichen Fortschritte und Rückschritte beschrieb. Er reiste nach Norden und Süden, besuchte Freunde und Fremde und kehrte stets in sein winziges Arbeitskämmerlein zurück, das an irgendeinem Ort sein konnte. Am Ende der Welt oder nur um die Ecke und zwei Häuser weiter. Er hielt seine Forschungen fest, damit ein anderer sie fortführen konnte, falls er vor der Fertigstellung dahinscheiden würde. Eine seltene Krankheit machte seine Knochen brüchig wie Glas, und egal, wie viel er aß, er verlor unaufhaltsam an Gewicht. Vor Nairods Augen war das Bild eines kleinen, unendlich hageren Mannes erschienen, der bei windigem Wetter nicht aus dem Haus ging, aus Angst, fortgeweht zu werden. Dieser Mann suchte nach einer Zauberformel, die ihn retten konnte. Eikyuuno. Eine Formel, von der er selbst noch nicht wusste, ob sie einen Trank ergeben würde, gesprochen werden musste oder nur in Gedanken existierte und vom Bewusstsein aufgenommen werden würde. Ewiges Leben und Jugend, Unsterblichkeit, das war es, was das Ergebnis der Formel sein würde. Eine Magie, die die Grenzen angeborener Befähigungen sprengen würde.

Nairod setzte sich auf und steckte den Kopf aus dem Fenster. Die kühle Nachtluft klärte seine Gedanken. Eikyuuno. Das Buch hatte ihn gepackt, an sich gerissen, und als es ihn wieder freigegeben hatte, war das Wort in seinem Geist eingebrannt gewesen.

Mit der letzten Seite hatte nur ein Kapitel geendet, nicht das Buch. Wie viele Kapitel noch kamen, stand in den Sternen. Aber er musste sie haben, alle. Er musste lernen, zusammen mit dem Glasknochenmann. Wenn der es nicht geschafft hatte, die Formel zu vollenden, dann musste er, Nairod, es eben tun.

Er legte sich wieder hin, ohne dass seine Gedanken jedoch Ruhe fanden.

Eine Magie, die nicht durch Geburt vorbestimmt war. Eine Magie, die allen zeigen würde, was er war und was er konnte.

Es würde seine Magie werden.

Kapitel 4:
DIE STIMME MIT DEM MESSER

Da waren nur noch Dunkelheit und der Gestank von ranzigem Urin. Und kaltes Eisen um seine Hand- und Fußgelenke. Geräusche sperrte das Kerkergewölbe so erfolgreich aus, wie es die Häftlinge in seinem Innern festhielt.

Vor Stunden hatten die Gardisten ihn in das Gefängnisgebäude geführt, das von außen und bei Licht besehen nur wie ein kleines Lagerhaus wirkte, um das sich ein Graben zog. Aber im Innern führten Treppen in weitläufige Katakomben hinab, die Platz genug für die Gefangenen der Kaiserstadt boten.

Er hatte Glück gehabt und war ins erste Stockwerk gekommen. Hier gab es zumindest noch winzige, vergitterte Fensterschlitze, durch die Helligkeit hereinkam. Die Lichtstreifen auf dem Boden waren allerdings kaum dicker als die dünn geschnittenen Schinkenscheiben in der Metzgerei. Nun hatte seine Zelle aber gar kein Licht mehr. Nicht, seit die Nacht gekommen war.

Auf den Gängen patrouillierten keine Wachen mehr. Sie waren gegangen, nachdem sie ihn mit der Drohung, den Flammenbeller von der Leine zu lassen, in die Zelle getrieben hatten. Die schweren Ketten, die ihm Arme und Beine banden, waren ergänzt worden um Glieder, die zu Verankerungen in der Wand führten. Diese Ketten waren so kurz, dass er sich nicht setzen konnte, ohne sich die Arme abzureißen. Also stand er. Vorhin hatte er sogar im Stehen geschlafen. Die Augen zugemacht und kurz alles vergessen. Aufgewacht war er erst, als die Wachen noch einmal wiedergekommen waren, um einen – oder vielleicht mehrere – Gefangene in den ansonsten leeren Zellentrakt zu schaffen. Gemurmel, Türenknallen, Schlüssel in Schlössern. Jetzt hielten die Wächter sich vielleicht nur noch oben auf, oder sie waren überhaupt nicht mehr da. Mit Essen oder Wasser rechnete er ohnehin nicht mehr.

»He!«, rief er. Der Laut kratzte in seiner trockenen Kehle. Er wartete, bis das Echo verhallte. Keine Antwort.

»Bin ich hier allein?«, fragte er mit einer rauhen Stimme, die sich kaum nach seiner eigenen anhörte. Wieder keine Antwort.

»Irgendwer muss hier sein«, sagte er etwas lauter. »Irgendwer ist vorhin hier runtergeführt worden, das habe ich gehört.«

Rascheln und Klirren aus der Zelle nebenan. Vorhin, als es heller gewesen war, hatte er dort in der Ecke und auf Bodenhöhe einen vergitterten Schlitz gesehen, der die Zellen miteinander verband. »Vielleicht ist wirklich jemand hier«, sagte eine Stimme. »Das kommt ganz darauf an.«

»Worauf soll es ankommen? Offenbar sitzen wir beide hinter Gittern, in der Finsternis. Das reicht doch wohl.«

Etwas schabte über den Boden und bewegte sich in seine Richtung. Diesmal klang die Stimme näher. »Aber zu allem gibt es eine Geschichte. Wieso bist du hier? Wieso bin ich hier?«

»Das würde ich auch gerne wissen.«

Ein Lachen. »Ich habe zuerst gefragt. Du erzählst mir von dir, dann erzähle ich dir vielleicht, wieso ich hier bin.«

Raigar ging so weit auf die Stimme zu, wie er konnte. Bald spannten sich die Ketten, und er musste anhalten. »Mir ist egal, wieso du hier bist. Ich würde gerne wissen, wieso ich hier in einem unterirdischen Verlies sitzen muss.« Er schüttelte den Kopf. Nein, eigentlich war ihm auch das im Moment egal. »Ich will hier raus, weil irgendein Wahnsinniger meine Hinrichtung beschlossen hat.«

»Ah«, sagte die Stimme. »Man hat dich hierhergebracht, obwohl du nichts getan hast. Du sollst hingerichtet werden. Dann bist du aus den Ostwüsten. Das heißt, du bist dort vor einiger Zeit gewesen, aber du stammst nicht von dort. Komm etwas näher.«

»Geht nicht. Ketten an Armen und Beinen.« Raigar schüttelte seinen Arm, dass die Ketten rasselten. »Du hast recht, ich habe in den Ostwüsten gekämpft. Aber das geht dich eigentlich nichts an. Ich will jemanden, der mich hier rausbringt. Unterhalten kann ich mich auch mit den Ratten.«

»Nicht so eilig«, flüsterte die Stimme, leiser, als eigentlich nötig. »Ich habe auch dort gedient, und ich habe jetzt das gleiche Problem wie du: ein Hauptmann, der es gar nicht erwarten kann, mich morgen früh am Galgen zu sehen.«

Raigar fuhr hoch, dass die Ketten gegen die Wand klirrten. »Morgen früh?«

»Ja, es kann ihnen nicht schnell genug gehen. Und einen Grund brauchen sie auch nicht. Ich weiß das von drüben, aus dem anderen Trakt. Dort sind noch mehr von uns. Mich haben sie hier rübergebracht, weil ich zu viel geredet habe.«

Raigar stemmte sich gegen die Ketten. Das Wandgestein knirschte. »Morgen früh, das ist zu kurz für irgendeinen Plan, um hier rauszukommen. Oder hast du einen?«

»Wir brauchen gar keinen Plan, um rauszukommen. Die Wachen bringen uns morgen doch ohnehin ans Tageslicht, auf den Richtplatz.«

Raigar stöhnte. Hilfreich war dieser Mann nicht.

»Wir können es aus der Stadt schaffen. Schieb deinen Fuß etwas näher zu mir.«

»Geht nicht, der ist …« Raigar rückte herum, bis sich die Kette an einem Bein spannte. Mit dem anderen mühte er sich näher in Richtung der Stimme, näher an den Schlitz in der Wand.

»Du hast einen Eisenbeschlag um deinen Fuß, der die Kette zum anderen spannt. Damit lässt sich schwerlich laufen. Vor allem, wenn du morgen vor der ganzen Stadt davonrennen musst und vielleicht auch noch ein paar Kämpfe vor dir hast. Ich habe hier ein Messer.« Metall traf mit einem Ping auf Metall. »Man kann nie genug Messer haben. Diese Dummköpfe haben mir nicht alle abgenommen.«

Raigar schob seinen Fuß so weit in Richtung der Stimme, wie die Ketten es gestatteten. Er ließ zu, dass sich Metall an seinen Beinfesseln entlangtastete. »Für die Arme wird es nicht reichen, da sind die Ketten kürzer«, sagte er. Krampfhaft versuchte er, etwas in der Dunkelheit zu erkennen. »Jedenfalls … Danke, dass du mir hilfst.«

»Du hilfst uns allen. Ich habe dich gesehen, als ich hereingeführt wurde, im Hellen. Als du geschlafen hast. Du bist groß wie ein Bär, und wenn wir morgen auf dem Richtplatz jemanden wie dich an unserer Seite haben, dann gibt es eine Chance.« An Raigars Bein klickte es.

»Auf dem Richtplatz, wenn eine Menschenmenge uns umgibt? Wieso nicht schon vorher?«, fragte er.

»Weil wir erst auf dem Richtplatz alle beisammen sein werden. Die anderen Söldner. Jeder soll die Möglichkeit haben, sich zu retten. Das ist doch gerecht, oder?«

Gerecht ... Ja, das war es.

»Ja, das ist gut. Wenn sie alle unschuldig hier einsitzen …«

Der andere antwortete, indem er die Fußfessel ein weiteres Mal klicken ließ. Irgendetwas schnappte auf, das Eisen um seinen Knöchel lockerte sich ein wenig. »So.« Die Stimme klang zufrieden.

»Sogar im Dunkeln … Du bist gut.«

»Pass auf, dass du die Beine nicht zu weit auseinanderstreckst. Sonst öffnet sich die Fessel noch vor morgen früh. Und das soll sie nicht.«

Raigar atmete auf. Er zog das Bein wieder zu sich und stand so bequem, wie es in den Ketten eben ging. »Ich bin übrigens Raigar.«

»Und ich Vicold. Freut mich, dich in diesen Zeiten kennenzulernen, Raigar.«

Raigar nickte aus Gewohnheit, obwohl es in der Finsternis niemand sehen konnte. Und obwohl ihn am Klang der Stimme etwas störte. »Ja. Erklärst du mir, wie wir morgen mit dem Leben davonkommen sollen?«

»Sicher. Nur Geduld«, sagte die Stimme kalt.

***