cover
Susan Mennings

Duft der Angst





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Titel

Susan Mennings

 

Duft der Angst

 

Thriller

 

eBook

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© 2013 Susan Mennings, Hamburg

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks

in jeglicher Form sind vorbehalten.

Es handelt sich um eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und sonstigen Begebenheiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

www.facebook.com/thrillerbraut

www.twitter.com/susan_mennings

www.thrillerbraut.wordpress.com

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DANKE Ruth!

 

 

Ich bin gekommen

Kapitel 1: Ich bin gekommen

Es war bereits dunkel, als sie ihre Augen aufschlug. Im Grunde hätte sie gern weiter geschlafen. Eine unendliche Müdigkeit hatte sich über sie gelegt, obwohl sie seit Stunden im Bett lag.

Als sie die beschützende Umgebung ihres Bettes verlassen hatte und auf dem Weg ins Bad war, bemerkte sie, dass etwas nicht stimmte. Im Dunkeln war sie ins Wohnzimmer gegangen. Sie sah jemanden in einem Sessel sitzen, was zur Folge hatte, dass ihr Herz heftig anfing zu schlagen. Die Angst schnürte ihr die Luft ab und ihre Knie fingen an nachzugeben. Das kleine Licht auf einem Tisch in der Ecke wurde eingeschaltet. Obwohl es kaum in der Lage war den Raum zu erhellen, war sie geblendet.

„Wer sind Sie?“

Ihre eigene Stimme erschreckte sie. In der Stille erschien es ihr, als hätte sie geschrien. Langsam näherte sie sich der Person in ihrem Wohnzimmer. Instinktiv wollte sie fliehen, aber die Neugier überwog.

Plötzlich war er aufgestanden und sie erkannte, wer sich Zugang zu ihrer Wohnung verschafft hatte. Durchaus überrascht, aber weniger beunruhigt, ließ sie sich von ihm in seine Arme nehmen. Eng zog er sie an sich.

Sie bemerkte, dass ihm sein Deo versagt hatte, eine Dusche wäre sicher sinnvoll gewesen. Mit Abscheu rümpfte sie ein wenig ihre Nase und hoffte, dass er es nicht sehen würde, den Kopf drehte sie dabei zur Seite. Vor allem aber wollte sie nicht von ihm berührt werden. Seine Nähe war ihr unangenehm.

Sie wollte sich von ihm lösen, jede Bewegung ihrerseits veranlasste ihn jedoch seine Hände wie einen Schraubstock enger zu ziehen. Der Wunsch diesen Ort zu verlassen wurde immer dringlicher. Abscheu legte sich über sie. Anstatt endlich von ihr abzulassen, war er noch dichter mit seinem Kopf auf ihren zugekommen. Sein Atem war heiß und wirkte schwer. Seine Lippen berührten ihr Ohrläppchen und ihr stellten sich die Haare auf. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter, der allerdings rein gar nichts mit Wohlbehagen zu tun hatte.

Dann hörte sie seine Stimme. Ganz leise, beinah säuselnd hatte er ihr etwas ins Ohr geflüstert, als ob er Bedenken hätte, dass außer ihr jemand seine Botschaft hören könnte.

Was er ihr zu sagen hatte, ließ sie stocksteif werden. Sie hätte sich ohnehin nicht mehr bewegen können. Nach seinen Worten war sie nun vollkommen unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Diese Worte waren so unglaublich gewesen, dass sie an deren Bedeutung zweifelte. Unmöglich konnte das sein Ernst sein. Er schien zu bemerken, dass sie ihm nicht glaubte, dabei konnte er ihre Panik deutlich spüren.

Um seine Macht noch einmal auszukosten, drückte er sie noch etwas fester und enger an sich, was sie glaubte kaum mehr möglich gewesen wäre. Mit aufgerissen Augen starrte sie an ihm vorbei, dabei war ihr danach ihre Lider zu senken, um nicht ansehen zu müssen, was er tun würde. Er hielt sie noch immer eng an sich gedrückt. Mittlerweile spürte sie Schmerzen an den Rippen. Ihr Nacken wurde so fest gehalten, dass sie glaubte, er würde jeden Moment ihren Kopf abtrennen.

Um sein perverses Spiel noch etwas zu genießen und um dem Nachdruck zu verleihen, was er eben zu ihr gesagt hatte, wiederholte er es noch einmal, als ob seine Worte ihr nicht bereits beim ersten Mal den Schrecken in die Glieder hatten fahren lassen.

„Ich bin gekommen, um dich zu töten.“

 

-- Einige Monate zuvor --

 

Die Hände hatte sie über ihren Kopf genommen, war sich wild und ungestüm damit durch ihre kurzen Haare gefahren. Sie konnte an nichts mehr denken, war vollkommen im Land der Lust verschwunden, wusste nicht einmal mehr, wo sie sich befand. Dabei saß sie auf einem Mann, dem es ebenfalls Spaß zu machen schien, was sie gerade trieb.

Max war vom ersten Moment an begeistert gewesen, dass Cora einen durchtrainierten Körper hatte. Selbst für eine Frau mit Anfang 30 war sie besser in Form als die meisten ihrer Altersgenossen. Er hatte nach ihren Brüsten gepackt, die sich dem Rhythmus der gleichmäßigen Auf- und Ab-Bewegungen ihrer Beine anpassten. Ihre Brüste hatten exakt die richtige Größe und füllten so wunderbar seine Hände aus. Leicht massierte er sie, was sie noch willenloser werden ließ.

Laut stöhnte sie auf, beugte sich über ihn, öffnete ihre Augen, sah ihn direkt an und packte seinen Hals. Mit leichtem Druck verringerte sie die Luftzufuhr, was ihn wiederum in Ekstase versetzte. Das hatte sie früher nie mit einem Mann getan, aber er bestand darauf hin und wieder härter von ihr genommen zu werden. Er liebte es, wenn sie sich mit ihren Fingernägeln in seine Haut krallte, dabei allerdings darauf achtete, selbst im wildesten Liebesspiel niemals Stellen zu treffen, die andere bei ihm hätten entdecken können.

 

Inzwischen waren sie ein eingespieltes Team. Und doch war der Sex immer etwas Besonderes gewesen, was sicher auch daran lag, dass sie sich nur selten sahen. Die Vorfreude auf die Zusammenkunft ihrer Körper ließ beide schon im Vorwege erschauern. Cora steigerte sich derart in die Vorstellung von ihm genommen zu werden, dass sie auf ein Vorspiel verzichten konnten. In dem Moment, in dem sie sich gegenüberstanden, sprangen sie sich quasi an und rissen sich die Kleidung von den Körpern.

Obwohl er wusste, was sie wollte, gab er es ihr nicht. Es steigerte seine Lust, sie leiden zu sehen. Wie sie zitternd vor Erregung auf dem Bett lag, darum flehte endlich von ihm genommen zu werden. Wenn er glaubte, dass sie jeden Moment kommen würde, ließ er von ihr ab, was sie wahnsinnig werden ließ. Bei einem dieser Liebesspiele hatte sie angefangen ihn mit ihren Händen zu packen und ihn, wenn es sein musste, auch mit Gewalt dazu zu bringen, nun endlich zu vollbringen, was sie von ihm wollte. Seine Arme und der Rücken waren übersät von kleinen Kratzern und Rissen, die ihre Fingernägel hinterlassen hatten, was seine Lust noch einmal gesteigert hatte.

Als er sie das erste Mal aufgefordert hatte ihn zu schlagen, war sie etwas irritiert. Noch nie hatte das ein Mann von ihr verlangt. Würde er sie etwa im Gegenzug ebenfalls schlagen wollen? Das wollte sie auf keinen Fall, es nicht einmal ausprobieren und … tat es später dann doch. Cora fand keinen großen Gefallen an dieser Art von Liebesspiel, was es aber aus ihm machte, das war die Erfüllung all ihrer Träume. Kein Mann hatte sie bis dahin jemals derart befriedigt und das Wort Sex bekam für sie eine ganz andere Bedeutung.

Sex war für sie schon immer wichtig gewesen, aber meist hatte sie am Ende mehr Spaß mit sich selbst, als mit einem Mann. Wenn Max jedoch von ihr abließ, war sie vollkommen ausgelaugt. Nie wäre ihr in den Sinn gekommen es sich selbst zu besorgen, da sie wieder einmal nicht auf ihre Kosten gekommen war. Oft dachte sie darüber nach, ob es daran liegen mochte, dass er 12 Jahre älter war als sie.

 

Während sie auf ihm saß und ihm mehr und mehr die Luftzufuhr verringerte, dabei immer seine Augen im Blick, die ihr mitteilten, wie weit sie gehen konnte, war sie froh, dass sie ihm nachgegeben hatte. Gleich war es soweit, es konnte sich nur noch um Sekunden handeln. Im letzten Augenblick löste sie ihre Hände von ihm, griff sich selbst an ihre Brüste und schrie laut auf. Schweiß rann ihr den Rücken hinunter. Kurz darauf besiegelte er mit einem lauten Stöhnen das Ende dieser Zusammenkunft. Erschöpft ließ sie sich auf ihn fallen und fing an ihn zu küssen.

Eines war klar, sie liebte ihn nicht. Das war ihr bewusst geworden, als er sie zum ersten Mal geküsst hatte, was er durchaus gut konnte. Sie war jedoch unberührt geblieben. Anfänglich war sie maßlos enttäuscht gewesen, denn sie war davon ausgegangen, sich in ihn zu verlieben. Nach dem ersten Sex jedoch war es ihr vollkommen gleichgültig gewesen, dass sie ihm nie tiefe Gefühle entgegen bringen würde. Hauptsache sie käme regelmäßig in den Genuss ihn zu sehen – alles andere war unwichtig.

 

„Du musst jetzt gehen“, sagte er zu ihr, hatte sich von ihr gelöst und vorsichtig das Kondom entfernt.

Er meinte es tatsächlich ernst. Sie hatte dem keinerlei Bedeutung beigemessen, als er ihr noch vor dem Sex gesagt hatte, dass sie sich eine lange Zeit nicht würden sehen können. Schon öfter hatte Max angedeutet, dass er zukünftig kaum Zeit für sie aufbringen könnte und hatte dann doch alles getan, um ein Treffen zu arrangieren. Sie wusste, dass er ebenso gierig nach ihr war wie sie nach ihm.

„Tatsächlich?“ Sie legte eine Hand auf das, war ihr eben noch so viel Freude bereitet hatte.

„Lass das. Du musst jetzt wirklich los.“ Er hatte sich von ihr gelöst, war aufgestanden und fing schnell an sich anzuziehen.

„Und wann sehen wir uns wieder?“

„Cora, das hab ich dir doch vorhin lang und breit erklärt.“

„Ich dachte, du machst Witze.“

„Cora, hör mir zu, das ist kein Scherz. Alles, was ich dir vorhin gesagt habe, ist verdammt ernst. Nimm das bitte nicht auf die leichte Schulter und mach alles genau so, wie wir es besprochen haben. Und jetzt gib mir dein Handy.“

„Das kann doch unmöglich so sein. Das glaube ich nicht.“

„Das wirst du müssen. Cora, es tut mir verdammt leid, ich habe nicht geahnt, dass es so weit kommen würde. Aber du bist mir wirklich wichtig und ich möchte auf keinen Fall, dass dir etwas passiert.“

„Aber wie stellst du dir das vor? Wie soll ich das bitte machen?“

„Nimm jetzt das Geld und verschwinde. Walter wird dich heute nicht fahren können, das ist zu gefährlich. Im Rucksack ist dein neues Handy, ich werde mich mit dir in Verbindung setzen, wenn sich hier wieder alles beruhigt hat.“

Cora war ebenfalls aus dem Bett aufgestanden und dabei sich anzuziehen. Wie ferngesteuert griff sie nach ihren Sachen, sie konnte sich nicht erinnern, wie sie überhaupt in ihre Hose gekommen war. Ihre Gedanken kreisten um das, was er ihr gesagt hatte. Sie hatte ihm gar nicht richtig zugehört, da sie glaubte, es würde ihn heiß machen und für ihn nur eine neue Spielart der Lust darstellen. Das alles war jedoch sein voller Ernst gewesen. Was sollte sie als nächstes tun? Sie erinnerte sich nicht mehr, traute sich allerdings auch nicht, ihn nochmals danach zu fragen. Er wirkte äußerst bestimmt.

„Beeil dich bitte“, sagte er und reichte ihr den Rucksack. „200.000 Euro, damit solltest du fürs Erste klar kommen. Es sind kleine und vor allem gebrauchte Scheine. Und denk bitte an alles, was ich dir gesagt habe, vergiss es nicht. Dein Leben wird davon abhängen.“

Begegnung

Kapitel 2: Begegnung

Was für ein mieser Tag. Egal, was auch immer Cora anfing zu tun, nichts wollte sich ihrer Planung untergeben. Mit der Übersetzung eines Buches war sie schon lange im Rückstand. Seit Tagen versuchte ihre Lektorin sie zu erreichen. Wenn Cora die Nummer im Display des Handys sah, verzog sie das Gesicht, drückte entweder beherzt den Knopf, der das Gespräch ablehnte oder aber – wenn sie den Anruf entgegen nahm – gab sie vor keine Zeit zu haben und sobald es ihr möglich sei zurückzurufen.

Normalerweise war Cora sehr gewissenhaft in ihrer Arbeit. Vor allem liebte sie ihren Job. Sie glaubte, damit die Erfüllung gefunden zu haben. Sie musste nicht, wie alle anderen, am Morgen früh aufstehen und sich in einer überfüllten U-Bahn zu einem Arbeitgeber schleppen. Meist schlief sie aus, trank in aller Ruhe ihren Kaffee und bereitete sich auf ihr Tagwerk vor. Erst wenn alle äußeren Umstände passend waren, konnte sich Cora ihrer Arbeit hingeben. Dann ging es meist recht flott und sie schaffte an manchen Tagen sogar mehrere Kapitel eines Werkes.

Aber dieses eine hatte es in sich. Sie konnte keinen Zugang dazu finden. Bereits fünf Mal hatte sie das italienische Original gelesen und hasste diesen Roman. Was für eine dämliche Handlung, dachte sie jedes Mal, wenn sie das Buch in die Hand nahm. Cora war eine gute Übersetzerin, ihre Lektorin begeistert, auch wenn leider nur wenige richtig gute Bücher vom Italienisch ins Deutsche übersetzt werden wollten.

Um sich ihren Lebensunterhalt verdienen zu können, musste Cora ihre Dienste noch weitaus mehr Nutzern anbieten, als einem Verlag. Es gab Tage, an denen wurde sie als Dolmetscherin von Firmen gebucht. Dann war sie gezwungen aus ihrem Kleiderschrank das Kostüm oder den Anzug hervorzuholen und sich zudem noch eine Bluse zu bügeln, eine Tätigkeit, die sie hasste wie kaum etwas anderes auf der Welt. Es war erstaunlich, dass sich überhaupt eine Bluse in ihrem Besitz befand. Aber manchmal musste man Opfer bringen. Dafür konnte Cora an den meisten Tagen bis mittags im Schlafanzug herumlaufen und wenn sie sich anziehen musste, dann trug sie, was ihr bequem und praktisch erschien.

An Mode hatte sie nur bedingt Freude. Dafür liebte sie alles, was sportlich war. Es passte zu ihr. Grundsätzlich hätte man nie sagen können, ob sie gerade auf dem Weg ins Sportstudio oder aber zum nächsten Supermarkt war. Cora ging durchaus gern einkaufen. Wurden die meisten Frauen schwach, wenn sie schöne Schuhe sahen, konnte Cora an keinem Sportfachgeschäft vorbeigehen, ohne nicht wenigstens einen Blick hineingeworfen zu haben. Wenn es ihr möglich gewesen wäre und es ihre finanzielle Situation zulassen würde, sie hätte sich täglich mit dem neuesten Trend der Sportwelt eingekleidet.

 

Am frühen Morgen hatte ihre Lektorin angerufen. Cora war viel zu müde, um sich das Display ihres Handys genauer anzusehen.

„Endlich. Sag mal, weißt du eigentlich, was heute für ein Tag ist?“

„Lass mich doch bitte erst einmal wach werden.“

„Ich brauche bis heute Mittag die ersten Kapitel. Einen weiteren Aufschub kann ich dir nicht geben.“

„Wie spät ist es denn?“

„Kurz vor acht. Also, sieh zu. Ich erwarte dich zum Mittagessen.“

Ein merkwürdiges Gefühl überkam Cora. Entsetzen darüber, wie früh es noch war, und dass sie quasi noch schlief und darüber, dass es bis Mittag zu wenig Zeit war ein paar Kapitel zu übersetzten. Sie hatte zwar schon angefangen die ersten Entwürfe in ihren Rechner zu tippen, war aber alles andere als zufrieden damit. Das entsprach nicht ihrem Qualitätsanspruch, was sie seit Tagen unzufrieden machte. Aber es nützte nichts.

So schnell es ihr möglich war, verließ sie das wohlige Innere ihres Bettes. Als sie den Regen gegen ihr Fenster prasseln hörte, sah sie ein letztes Mal auf ihr Kissen. Der Drang sich sofort in die Decke zu kuscheln war übermächtig. Mit aller Kraft schlich sie ins Bad.

Gerade, als sie nach ihrer Jeans greifen wollte, fiel ihr ein, dass eine große Bank sie für diesen Tag gebucht hatte. Jetzt war sie schlagartig richtig wach. Im Schlusssprung war sie an ihrem Rechner, den sie im Vorbeigehen zum Bad glücklicherweise bereits eingeschaltet hatte, und schaute auf ihre Termine. Bleich sah sie, dass sie um 10 Uhr in der Innenstadt zu erscheinen hatte. Im Grunde zwar genügend Zeit, denn es war erst kurz nach acht, doch das alles überforderte Cora. Vielleicht sollte sie sich doch einen anständigen Beruf suchen, einen, der keine Überraschungen parat hielt, wo sie wusste, was sie erwarten würde, Tag ein Tag aus das Selbe tun musste.

Eine halbe Stunde später verließ sie mit einer frisch gebügelten Bluse und einem perfekt sitzenden Kostüm das Haus.

 

Langsam bahnte sich ein Regentropfen den Weg durch ihr nasses Haar, entspannte sich kurz am Ende der Haarspitze und ließ sich dann genüsslich auf ihrer Schulter neben seinen Vorgängern nieder. Die Nässe in ihren Haaren ließ das Braun noch dunkler wirken. Die weichen Wellen fingen an sich zu kräuseln. Ein Umstand, den Cora hasste, denn es machte sie weiblich, was wiederum in diesem Moment wunderbar zu ihrem Outfit passte. Wenngleich dieses durchaus bessere Zeiten erlebt hatte, denn es war vollkommen durchnässt. Knitternd fing es an zu trocknen. Ein leichter Schauer überfiel Cora. Was für ein mieser Tag, dachte sie immer und immer wieder.

Abgehetzt kam sie in der Bank an, obwohl sie im Grunde keine Eile hätte haben müssen. Sie hatte sich jedoch vorgenommen noch schnell an einigen Kapiteln zu arbeiten. Gerade hatte sie es sich in einer Ecke gemütlich gemacht, ihren Rechner hochgefahren, als ihr Kontaktmann der Bank auf sie zukam, um ihr mitzuteilen, dass der italienische Kunde für den heutigen Tag abgesagt hätte. Selbstverständlich würde sie ihr Honorar erhalten.

Cora hätte froh sein sollen, ermöglichte es ihr doch weiter an der Übersetzung zu arbeiten. Sie aber wurde so wütend, dass sie sich kaum mehr konzentrieren konnte. Sie hätte entspannt in ihrem Bett liegen bleiben können.

 

Nach dem Mittagessen mit ihrer Lektorin, was, wie zu erwarten, nicht ihrer Vorstellung einer entspannten Nahrungsaufnahme entgegen kam, hatte es auf dem Weg nach Hause noch einmal angefangen zu regnen. Cora glaubte, dass der Himmel sich direkt über ihr auftat und alles, was er je an Regen hätte produzieren können, über ihr ausgoss. Klatschnass war sie nicht in ihre Wohnung gefahren, sondern auf direktem Weg in die Kunsthalle. So oft es ihre Zeit erlaubte, kam sie hier her. Vorzugsweise, wenn sie einen schlechten Tag hatte.

Sie schlich durch die Räume, die so wunderbar still waren. Unter der Woche war es meist leer. Nur selten verirrte sich eine schreiende Schulklasse hierher und Lehrer, die große Mühe hatten, die wilde Meute in den Griff zu bekommen, was Cora wiederum amüsierte. An den meisten Bildern ging sie mehr oder weniger unberührt vorüber, nur hier und da blieb sie stehen und ließ die Kunst auf sich wirken. Zum Abschluss sparte sie sich grundsätzlich einen bestimmten Raum auf. Wenn sie ihn vor Beendigung ihrer Runde durchqueren musste, beschleunigte sie ihren Gang, um sich nicht im Vorwege um den Genuss zu bringen.

Inzwischen saß sie bereits eine halbe Stunde vor ihrem Lieblingsbild. Sie hätte nicht erklären können, aus welchem Grund ausgerechnet dieses Bild es ihr angetan hatte. Es war von einem eher unbekannten Maler, der sie nicht weiter interessierte. Aber das Bild übte eine magische Anziehungskraft auf Cora aus. Sie konnte dem nicht entkommen.

In der Mitte des Bildes stand eine junge Frau, die versuchte mit ihren Händen ihre nackte Scham zu bedecken. Teilweise lüstern, teilweise belustigt oder kritisch lagen Blicke der Männer auf ihr. Die Frau befand sich in einer Art römischem Tribunal. Cora versuchte zu ergründen, aus welchem Grund die Frau nackt war und was man ihr außer ihrer Schönheit vorzuwerfen hatte.

Der Anblick hatte Cora vom ersten Moment an gerührt, als sie im Vorbeigehen das Bild entdeckt hatte. Seither zog es sie in die Kunsthalle. Ganz egal, wie schlimm ihr Tag auch gewesen sein mochte, wenn sie sich in der Umgebung dieses Bildes befand, war alles einfach gut.

Eine absolute Ruhe legte sich über Cora. Selbst dass sie mit nasser Kleidung auf der Bank vor dem Bild Platz genommen hatte, konnte sie nicht aus der Fassung bringen. Jetzt war sie hier und alles würde besser werden. Als sie in Gedanken versunken war, die so banal waren, dass Cora nicht hätte sagen können, woran sie überhaupt dachte, betrat ein Mann den Raum. Ein zweiter ging direkt hinter ihm, blieb jedoch im Übergang stehen. Langsam schritt der Mann ein Bild nach dem anderen ab, dabei immer wieder einen Blick auf Cora werfend, die wie paralysiert auf ihr Bild starrte.

Nachdem der Mann sich alles angesehen hatte, blieb er direkt vor ihrem Bild stehen und verwehrte ihr den Blick, was sie augenblicklich aus ihrer Trance riss. Was für ein Idiot, dachte sie und schaute zur Seite, aber die anderen Bilder interessierten sie nicht. Wie lange konnte dieser Kerl sich ihr Bild ansehen? Sie empfand es als ihr Vorrecht es zu betrachten. Schließlich kam sie mindestens einmal in der Woche hier her.

„Entschuldigen Sie, darf ich mich neben Sie setzen?“

Erschrocken hatte Cora ihren Kopf zur Seite genommen und sah ihm direkt in seine Augen, die so grau waren wie seine akkurat geschnittenen kurzen Haare. Sein Anzug saß, im Gegensatz zu ihrem Kostüm, perfekt und schien in keiner Weise mit dem Unwetter in Berührung gekommen zu sein. Er war eindeutig älter als sie und doch hatte sein Lächeln etwas Spitzbübisches, was ihn jünger wirken ließ. Sie sah ihm sofort an, dass er in einer vollkommen anderen Liga unterwegs war als sie selbst. Seine Erscheinung glich dem ihrer Kunden in der Bank. Ein Selbstbewusstsein strahlte er aus, dass sie sich augenblicklich klein und hilflos vorkam.

Anstatt ihm zu antworten, nickte sie lediglich mit dem Kopf, froh darüber, dass er ihr in diesem Fall nun nicht mehr den Blick versperrte.

Wie zuvor, versuchte sie ihren Alltag zu vergessen und nicht mehr daran zu denken, dass es sicher sinnvoller wäre, sich weiter der Übersetzung anzunehmen. Eigentümlicherweise wollte sich nun aber diese gelassene Ruhe nicht mehr über sie legen. Der Mann neben ihr beunruhigte sie. Allerdings nicht auf eine unangenehme Weise. Ein Prickeln durchfloss ihren Körper, sie wurde geradezu hibbelig und fing an leicht auf der Bank hin und her zu rutschen. Der Drang ihn anzusehen, wurde immer stärker, dabei stierte sie geradezu das Bild an, das plötzlich all seine Spannung verloren hatte.

„So oft es geht komme ich her und schaue mir dieses Bild an“, sagte er.

Jetzt konnte Cora nicht widerstehen und sah ihn an. Sein Gesicht war ebenmäßig und seine Haut glatt, kein Schimmer von einem Bart war erkennbar. Noch nie hatte sie einen Mann gesehen, der perfekt gestutzte Augenbrauen hatte.

Ihr Blick senkte sich bis zu seinen Händen, die mit Sicherheit noch niemals körperlich anstrengende Arbeit gesehen hatten. Cora dachte daran, dass es ihr sicher ebenfalls gut tun würde, ihre Hände – ab und zu jedenfalls – einmal einer Maniküre zu unterziehen, so wie seine. Sie sah ihm wieder in seine Augen und ertappte sich dabei, wie sie sich vorstellte, wie weich die Berührung seiner Hände sein musste.

„Ja, das Bild ist wunderschön. Ich würde es am liebsten mitnehmen, damit ich es ansehen kann, wann immer ich möchte. Aber wer hat schon so viel Geld?“ Sie fing leicht an zu lachen. Was für eine absurde Idee, dachte sie.

„Das würde nichts nützen.“

„Ach nein?“

„Nein. Ich kenne den Kurator der Kunsthalle, aber er will mir das Bild einfach nicht überlassen. Sie glauben nicht, was ich ihm bereits für astronomische Summen genannt habe. Aber er will es einfach nicht hergeben.“

„Ach so, das ist schade.“

Cora drehte ihren Kopf in eine andere Richtung. Der Typ hat einen kompletten Dachschaden, dachte sie, dabei fiel ihr Blick in Richtung des Übergangs, in dem noch immer der andere Mann stand und zu ihr herübersah.

„Gehört der da zu Ihnen?“

„Ja, der passt auf mich auf.“

„Sie sehen aber nicht so aus, als bräuchten sie einen Aufpasser. Sie sind doch auch schon groß.“ Cora fing an zu lachen, mehr über diese eigentümliche Unterhaltung, als über das, was sie gesagt hatte.

„Man kann aber nie wissen.“

„Sicher nicht. Ich werde Ihnen aber bestimmt nichts tun.“

Cora war danach in Tränen des Lachens auszubrechen, konnte sich nur mit Mühe zurückhalten.

Ohne weiter zu sprechen, widmeten sich beide wieder dem Bild. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, als er sie ansah und fragte: „Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen?“, sagte sie im selben Augenblick: „Ich habe heute Geburtstag.“

Cora konnte sich nicht erklären, aus welchem Grund sie einem völlig Fremden davon erzählte, konnte sich nun nicht mehr zurückhalten und fing laut an zu lachen. Er hingegen lächelte freundlich.

„Herzlichen Glückwunsch. Dann wird es mir eine besondere Freude sein Sie einzuladen. Vielleicht dann eher keinen Kaffee, sondern Champagner.“

„Warum nicht? Mein Tag war bisher eher trostlos.“

Ihre Lektorin hatte zwar ihren Geburtstag nicht vergessen, legte jedoch keinen besonderen Wert auf ihren Ehrentag. Cora war im Verzug, und das war alles, was für sie zählte, daher gratulierte sie ihr eher beiläufig beim Mittagessen.

 

Eine halbe Stunde später saßen sie sich im Café der Kunsthalle gegenüber. Cora hatte keinen Alkohol trinken wollen, immerhin kannte sie diesen Mann nicht, der allerdings den Eindruck vermittelte, dass er grundsätzlich alles bekam, was er wollte und so gab sie recht schnell nach. Sie tranken Sekt – mit Unmut hatte er sich am Tresen beschwert, dass es keinen Champagner geben würde – während er sie regelrecht musterte. Gern wäre sie aufgestanden, um dieser Situation zu entfliehen, die für sie unerträglich schien. Dieser Mann war eindeutig eine Nummer zu groß für sie. Sie kannte diese Sorte Mann ausschließlich von ihrer Arbeit als Dolmetscherin, in der klar geregelt war, in welcher Position sie zu stehen hatte. Cora sollte ihre Arbeit erledigen und ansonsten die Klappe halten. Nichts anderes tat sie nun, da sie keine Ahnung hatte, über was sie hätte mit ihm reden sollen.

„Und, Sie kommen oft her?“, fragte er und durchbrach die Stille. Im Café waren sie die einzigen Gäste. Der andere Mann hatte im gemessen Abstand an einem Tisch Platz genommen und trank Kaffee.

„So oft es meine Zeit erlaubt.“

„Und darf ich fragen, was sie in der übrigen Zeit treiben?“

„Dürfen Sie.“

„Und werden Sie mir eine Antwort geben?“

„Ich weiß nicht. Ich kenne sie nicht.“

„Es wäre doch aber schön, wenn wir uns kennenlernen würden.“

„Sie wollen mich kennenlernen?“

„Das würde mir gefallen, ja.“

„Bekommen Sie eigentlich grundsätzlich, was Sie wollen?“

„Meistens. Das ist mein Job.“

„Was machen Sie denn?“

„Das kann ich Ihnen nicht sagen.“

„Ach so, aber Sie wollen wissen, was ich mache. So geht das nicht.“

„Warum nicht?“

„Hören Sie, ich kenne Sie nicht und wie es scheint, werde ich das auch nie, denn ich werde jetzt gehen.“

„Ach nein, bleiben Sie noch eine Weile, ich muss heute Abend wieder die Stadt verlassen. Sie werden mich dann vielleicht nie mehr wiedersehen, was ich äußerst schade finden würde.“

„Dann fangen wir doch mal mit einem Namen an, wie wäre das?“

„Okay, ich heiße Maximilian.“

„Und weiter?“

„Mehr müssen Sie zu diesem Zeitpunkt nicht erfahren.“

„Na gut. Und jetzt?“

„Wie wäre es mit Ihrem Namen?“

„Was bringt Ihnen das? Ich weiß ja nicht einmal, ob das ihr richtiger Name ist.“

„Das ist ein Teil meines Namens, glauben Sie das ruhig. Es wäre doch schön, wenn wir uns mit Namen ansprechen könnten.“

„Ich sage Ihnen meinen Namen, wenn wir aufhören mit dem dämlichen Sie.“

„Gut, das mag ich. Dann sag mir jetzt bitte deinen Namen.“

„Cora.“

„Hallo Cora, es freut mich dich kennenzulernen.“ Er reichte ihr seine Hand über den Tisch. Irritiert nahm sie die Einladung an. Ein Schauer des Wohlbehagens legte sich augenblicklich über sie. Seine Hand war warm und weich. Mit leichtem Druck fing er an sie mit seinen Fingern zu streicheln.

„Was machen Sie da?“

„Du wolltest doch das alberne Sie lassen.“

„Stimmt, was also machst du da?“

„Gefällt es dir nicht.“

„Doch.“

„Wo also ist dann das Problem?“

„Ich kenne dich nicht.“

„Na und? Das ändert sich doch gerade.“

„Meinst du?“

„Wie alt bist du heute geworden?“

„Was ist denn das für eine Frage?“

„Du bist jung. Ich schätze noch keine 30.“

„Stimmt, ich bin heute 28 geworden. Und du?“

„Ich bin älter.“

„Ach was, jetzt überrascht du mich. Ich glaube, ich geh jetzt.“

Sie wollte ihre Hand zurückziehen, die noch immer in seiner lag. Mit festem Griff hielt er sie bei sich, zog sie zu seinem Mund und küsste sie. Ruckartig zog sie ihre Hand zurück, dass er mit dem Kopf leicht vornüber kippte.

„Okay, ich bin 40, zufrieden?“

„Das ist alt.“

„Dankeschön, das weiß ich.“

„Du siehst aber trotzdem gut aus.“

„Danke, auch das weiß ich.“

„Eingebildet bist du aber kaum.“

„Sehen wir uns mal wieder?“

„Willst du jetzt etwa gehen?“

„Ich muss bald los, aber ich würde dich gern wiedersehen. Darf ich deine Nummer haben?“

Jedoch nicht heute

Kapitel 3: Jedoch nicht heute

Gleichmäßig ruckelte die U-Bahn durch die Dunkelheit. Ein Mann stand in der Mitte des Wagens und spielte mit seinem Handy, während eine Frau völlig vertieft in einem Buch las. Ein Pärchen hatte weiter hinten Platz genommen und sah sich Hände haltend verliebt an.

Außerhalb der U-Bahn war nichts zu erkennen. Wie das Wetter oberhalb des Tunnels war, durch das sie sich am späten Abend schlängelte, würde man erst erfahren, wenn man sein Ziel erreicht hatte und in die Zivilisation zurückkehrte. Hier im Untergrund schien alles weit entfernt davon zu sein.

Cora saß am Fenster, hatte ihren Kopf angelehnt und versuchte zu begreifen, was gerade passiert war. Auf dem Boden zwischen ihren Beinen stand ein Rucksack gefüllt mit Geld. Immer wieder griff sie hektisch danach, ängstlich, dass er ihr abhanden kommen könnte. Aber wer hätte ihn ihr nehmen sollen? Niemand wusste von dessen Inhalt.

Knappe 20 Minuten hatte Cora in der U-Bahn zu verbringen. Bei jeder Station wurde sie unruhig, wenn sich die Türen öffneten und ein Fahrgast das Abteil betrat. Jeder Mann wurde genauestens abgescannt. Einer Frau traute sie weniger kriminelle Energie zu, blieb aber dennoch vorsichtig und beobachtete alles. Erst wenn sich die Türen schlossen und sie sich in Sicherheit wiegte, legte sie müde ihren Kopf zur Seite und starrte in die Dunkelheit.

Was sollte sie denn jetzt machen? Sie konnte unmöglich tun, worum Max sie gebeten hatte. Ein Schauer der Erotik legte sich über sie. Sie spürte ihn noch zwischen ihren Beinen. Gierig hätte sie ihn gern noch einmal genommen. Er aber war unerbittlich geblieben und hatte sie geradezu aus der Wohnung geschoben. Draußen war es kalt gewesen und sie hatte damit gerechnet in der Nacht von Walter gefahren zu werden, so wie in der Vergangenheit sonst auch.

Was sollte dieser ganze Unsinn? 200.000 Euro. Diese Summe konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Am liebsten hätte sie den Rucksack geöffnet, um zu sehen, wie das Geld aussah. Damit sollte sie auskommen, hatte er gesagt. Selbstverständlich würde sie damit auskommen. In Hamburg hätte sie damit mehrere Jahre bequem überleben können.

Sie wohnte mit ihrer besten Freundin Sabine zusammen. Die Wohnung war extrem günstig, da die beiden Frauen seit ihrer Jugend hier lebten. Damals war das Schanzenviertel, in dem sie bereits aufgewachsen waren, viel weniger angesagt gewesen. Die Bewohner blieben unter sich und die Mieten überschaubar. Als Coras Eltern nach Australien auswanderten, weigerte sich Cora sie zu begleiten. Damals war sie erst 16. Die Eltern der Freundinnen hielten es für eine gute Idee, wenn die jungen Frauen zusammen wohnten. Immerhin wären sie in der Nähe und Sabines Eltern versprachen ein Auge auf die beiden zu haben.

Cora wäre niemals auf den Gedanken verfallen umzuziehen. Weder innerhalb der Stadt, noch jemals diese zu verlassen. Sie liebte ihr Leben und sah keinen Grund zur Veränderung. Selbst das Zusammenleben mit Sabine war noch immer angenehm. Nie stritten sie, selbst wenn eine der beiden einen Freund hatte, gab es keinen Anlass zur Eifersucht oder anderen Problemen. Plötzlich sollte Cora Hals über Kopf nicht nur die Stadt, sondern auch das Land verlassen. Dieser Gedanke wollte ihr nicht einleuchten. Wozu die ganze Aufregung?

Kurz dachte sie an Katja, ihre Fitnesstrainerin, die so plötzlich verstorben war. War es vielleicht gar kein Unfall gewesen? Cora konnte sich das Gefühl, dass sich über sie legte und ihr die Luft nahm, kaum erklären. Ihr Körper fing an zu rebellieren. Es war eindeutig, sie hatte Angst. Eine Angst, die sie in der Form noch nie wahrgenommen hatte. Sie hatte Todesangst. Würde sie nicht augenblicklich die Stadt verlassen, sie wäre mit Sicherheit die nächste.

 

Kleine Schneeflocken wirbelten ihr ins Gesicht, als sie die U-Bahnstation verließ. Ein heftiger Wind blies ihr ins Gesicht, der ihr die Luft zum Atmen nahm. Eng zog sie ihren Schal um den Hals. Sie hatte angefangen zu zittern, ihre Zähne klapperten aufeinander, dass ihr der Kiefer schmerzte. Tief steckte sie ihre Hände in die Tasche ihrer Jacke. Hektisch drehte sie sich immer wieder um, damit rechnend, dass jemand hinter ihr her sein würde.

„Das ist kein Scherz“, hatte Max zu ihr gesagt.

Auf einmal nahm sie es verdammt ernst, wollte, so schnell es ging, in ihre Wohnung, ihre Sachen packen und am nächsten Morgen abreisen, auch wenn sie noch nicht wusste, wohin es sie treiben würde. Erst einmal weg.

Was sollte sie nur Sabine sagen?

„Rede mit niemandem, hast du mich verstanden? Niemandem. Nicht einmal Sabine – der am wenigsten. Sag es einfach keinem“, hatte er gesagt.

 

--

 

Lange hatte der Mann in der Dunkelheit ausgeharrt. Es war verdammt kalt und doch fror er nicht. Er fror eigentlich nie. Das gestattete er sich nicht. Er war durch und durch Profi. Zu seinen Fähigkeiten gehörte es, keine Empfindungen zu haben. So spürte er weder Kälte noch Wärme. Es gab nur ein Laster, dem er nachgab. Weder trank er, noch aß er übermäßig viel. Aber dem Geschmack von Tabak konnte er nicht widerstehen. So stand er in der Kälte, rauchte eine Zigarette nach der anderen und wartete. Er wusste, er würde lange warten. Aber Geduld gehörte ebenso zu seinen Fähigkeiten, ohne Murren zu verharren und auf den richtigen Zeitpunkt zu hoffen, der kommen würde. Das wusste er und er war sich dessen hundertprozentig sicher. Er wusste auch, dass er, wenn die Zeit reif war, eine besondere Belohnung für seine Charakterstärke erhalten würde.

Er genoss es zu töten. Er zelebrierte diesen Augenblick, wenn sein Opfer voller Angst versuchte dem Unausweichlichen zu entfliehen, er selbst aber wusste, das am Ende ein lebloser Körper zu seinen Füßen liegen würde. Das war die ganze Schinderei und vor allem das lange Warten wert.

Er liebte den Geruch der Angst. Er empfand ihn als Parfum, die seine Opfer verströmten. Jeder auf seine Art, keiner roch gleich. Bei dem einen war es eher süßlich, bei einem anderen beinah ätzend, sodass er manches Mal glaubte sich übergeben zu müssen, was er sich jedoch nie gestattet hätte. Er schluckte den Saft seines Magens wieder herunter und erfreute sich am Schmerz seiner Opfer.

Aus diesem Grund tötete er grundsätzlich mit seinen Händen. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen eine Waffe zu benutzen. Nicht nur, dass es laute Spuren seiner Existenz preisgegeben hätte, er glaubte, dies auch seinen Opfern schuldig zu sein. Es war doch sehr viel qualvoller mit den eigenen Händen und dabei zuzusehen, wie der letzte Lebenshauch aus den Körpern schwand.

Wenn es ihm seine Zeit erlaubte, hatte er großen Spaß daran, kurz bevor sein Opfer hinüber war, den Griff zu lockern, anzusehen wie es sich in Sicherheit wiegte, nach Luft schnappte und glaubte, es würden ihm entkommen und alles sei ein böser Traum gewesen. Ihm kam es beinah wie ein Akt der Liebe vor, wenn er dem Leben final ein Ende bereitete und der Körper zitternd unter ihm lag, um dann endlich dem letzten kläglichen Aufbäumen nachzugeben und zu sterben. Für ihn war es wie ein Orgasmus, auch wenn er ihn nicht im eigentlichen Sinne erlebte. Erst später, wenn er wieder allein und sicher war, legte er kurz Hand an. Es dauerte meist nur wenige Sekunden, er wurde nicht einmal richtig fest, und ergoss sich genüsslich.

Das alles war das Warten wert, obwohl sein Antrieb nicht aus sexueller Sicht entstanden war. Er zog nicht los, weil er Schwierigkeiten mit seiner Sexualität hatte und nur über diesen Weg Befriedigung finden konnte. Es war eine Art Bonus, ein Zusatzgewinn, dass es ihn erregte.

 

Er hatte einen großartigen Job und liebte ihn. All die anderen armen Würstchen taten ihm leid. Was wussten die vom Leben? Das wusste man doch erst zu schätzen, wenn man das Erste genommen hatte. Nach seiner ersten Leiche war er bestürzt. Vor allem, wie schnell man ein Menschenleben auslöschen konnte. Das war ihm viel zu schnell gewesen. Gern hätte er den Körper reanimiert, um es gleich noch einmal zu versuchen. Er rüttelte an dem Frauenkörper herum, in der Hoffnung, doch noch einen Funken Leben wiederzufinden. Aber sie blieb tot. Ein Jammer, dachte er, und nahm sich vor es beim nächsten Mal besser zu machen.

Anfänglich tötete er mehr oder weniger wahllos. Er suchte sich ein ansprechendes Opfer, dabei war es ihm gleichgültig ob Mann oder Frau, verfolgte es und wartete auf den richtigen Augenblick. Einen Mann zu töten war die größere Herausforderung, da diese meist stark waren, es wäre ihm nie in den Sinn gekommen einen Schwächling zu nehmen. Aber was die Angst anging, so waren Frauen die schöneren Opfer. Teilweise wollten sie schreien. Wenn er ihnen den Mund zuhielt und sie krampfhaft versuchten durch die Nase Luft zu holen, dabei die Augen weit aufrissen, dann rochen sie am besten. Manchmal drückte er seinen Körper eng an sie. Er wollte spüren, wie sie anfingen zu zittern. Diese Macht war das Größte, was er sich vorstellen konnte. Bei einem Mann war die Macht ebenso wundervoll, dennoch eine vollkommen andere. Nur selten wollte er sich nach einem Mann erleichtern, weshalb er sich lieber Frauen zum Opfer nahm. Nur wenn es ihm langweilig wurde, suchte er sich einen Mann, quasi als Bestätigung, dass er in der Lage war zu töten, wen immer er wollte.

 

Nach einer Weile hatte er überlegt eine neue Methode des Tötens zu wählen, obwohl er grundsätzlich am meisten Freude empfand, wenn er seine Opfer erstickte, als er darauf kam, seine Leidenschaft lukrativ zu nutzen. Killer wurden doch sicher ständig gebraucht. Wer hatte nicht jemanden, den er gern loswerden wollte?

Es dauerte nicht lange, nachdem er sich in dem richtigen Milieu herumgetrieben hatte, bis man ihm einen Auftragsmord anbot. Seither übte er nun professionell aus, was als eine Art Hobby angefangen hatte. Dabei war er selbstverständlich darauf bedacht im Hintergrund zu bleiben und nicht erkannt zu werden. Seinen ersten Auftraggeber hatte er, nach Übergabe des Geldes, kurzerhand ebenfalls ins Land des ewigen Schlafs geschickt. Das hatte ihm sogar noch mehr Freude bereitet als angenommen. Für ihn war es klar, dass er das tun musste, um unerkannt zu bleiben. Aber dass er es mit ebenso viel Leidenschaft tun würde, daran dachte er zunächst nicht.

Es war seine einzige Leidenschaft überhaupt. Nie empfand er eine derartige Zufriedenheit, wie beim Nehmen eines Lebens. Nicht einmal eine Frau konnte ihm das geben.

 

Die Dunkelheit umgab ihn, er zog an seiner Zigarette, die Glut war der einzige Beweis seiner Gegenwart. Er wartete bereits seit Stunden, in denen er sich ausmalte, wie er sein nächstes Opfer töten würde. In Gedanken war er es tausend Mal durchgegangen. Wenn er nachts im Bett lag, Hand an sich legte, sah er das angstverzerrte Antlitz vor sich, wie es sich winden und um Gnade flehen würde. Das alles war das Warten wert.

Er sah sie die Straße herunter kommen. Er wusste, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte und doch würde er es nicht heute tun. Das machte er nie. Er gestattete sich, seine Opfer in aller Ruhe zu beobachten, um dann im richtigen Moment zuzuschlagen – jedoch nicht heute.

 

--

 

Es war spät in der Nacht und doch brannte Licht in der Küche der gemeinsamen Wohnung. Cora war erleichtert, so würde sie ein letztes Mal mit Sabine reden können. Ihr Herz zog sich zusammen, bei dem Gedanken ihr nicht mitteilen zu können, was sie tun musste. Sie hatte sich überlegt, ihr lediglich zu sagen, dass sie verreisen würde. Das war sie ihr schuldig. Sie konnte nicht einfach so verschwinden. Sabine hätte sich maßlose Sorgen gemacht und das wollte sie ihrer besten Freundin nicht antun, die sie sehr vermissen würde.

Mit wem sollte sie denn nun reden, sich anvertrauen? Dabei machte Cora ohnehin schon ein riesiges Geheimnis aus der Sache mit Max. Seit beinah zwei Jahren traf sie ihn nun regelmäßig, er aber wollte nicht, dass Cora mit irgendwem über diese Affäre sprach, denn mehr war es nicht.

Cora hatte sich ihre Jacke im Flur ausgezogen und war auf dem Weg in die Küche, als sie Stimmen hörte. Sabine war nicht allein.

„Was machst du denn mitten in der Nacht hier? Waren wir verabredet?“

Rede mit niemandem. Sag es keinem, schoss es ihr durch den Kopf.

„Wartest du denn schon lange?“

„Das tut mir leid, ich dachte, du bist immer lange wach.“

„Dann bist du morgen nicht zum Frühstück hier?“, wollte Cora wissen, die gehofft hatte sich in aller Ruhe von ihr zu verabschieden, ohne, dass sie das hätte merken sollen.

Müde erhob sie sich. „Seid mir nicht böse, aber ich leg mich sofort wieder hin. Wir sehen uns dann morgen Abend.“

„Stell dich darauf ein, in diesem Jahr nicht mehr zurückzukommen“, hatte er gesagt.

„Komm her, mein Schatz“, sagte Lars und breitete die Arme aus, „du siehst irgendwie mitgenommen aus. Was ist los? Wo warst du mitten in der Nacht?“

„Ich war noch unterwegs in der Stadt und habe mich mit Freunden getroffen.“

„Du ja wohl offensichtlich auch nicht, wenn du die Zeit findest hier so spät noch aufzutauchen.“

„Ich mag solche Überraschungen nicht. Das hatten wir doch besprochen. Du erinnerst dich: Jeder hat sein eigenes Leben.“

„Du kannst aber nicht über Nacht bleiben.“

„Ich hab morgen auch einen wichtigen Termin. Das habe ich vorhin erst erfahren. Ich muss mich darauf noch vorbereiten.“

Für Cora schien es unerträglich jetzt mit Lars schlafen zu müssen. Normalerweise ergab sie sich nach einem Treffen mit Max in ihrem Fantasien und hatte noch einmal Spaß mit ihrem Vibrator. In dieser Nacht war sie jedoch viel zu aufgewühlt und wollte an gar keine Form von Sex denken müssen. Andere Dinge waren jetzt wichtiger. Sie sollte sich Gedanken darüber machen, was sie zu packen hatte und sich klar werden, in welchem Teil der Erde sie sich verstecken sollte.

Sie war aufgestanden, griff nach seiner Hand und zog ihn vom Stuhl hoch. Er war ein großer Mann, gut gebaut und durchtrainiert. Noch lange war sie nicht soweit ihn zu lieben, aber verliebt war sie vom ersten Moment an, als sie ihn gesehen hatte.

Sie legte ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Sie hatte sich entschieden ihn leiden zu lassen und es ihm zu erklären, wenn sie im nächsten Jahr wieder kommen würde.

„Nein, geh jetzt bitte.“

„Unter diesen Umständen kann ich dich nicht allein lassen. Du bist ja fix und fertig“, er zog sie wieder an sich, „du meine Güte, Cora, du zitterst. Was ist denn nur los?“

„Nein, es ist nichts, ich bin nur völlig übermüdet und muss jetzt wirklich schlafen, sonst gibt es morgen eine Katastrophe. Das willst du doch sicher nicht?“

„Ja, klar, das machen wir. Ganz sicher.“