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Inhalt

Geld und Blut

Alles ganz normal

Turkeys Trickkiste

Eine eiskalte Sonderkommission

Ein perfekter Mann

Frauenfreundschaft

Auf kleiner Flamme

Eine neue Spur

Aufruhr, Ärger und eine Überraschung

Drei Fotos mit Brisanz

Nur die Wahrheit

Doppelt peinlich

Berührungsängste

Bäuerliche Idylle

Das Leben ist nicht faltenfrei

Ärger wegen Quasimodo

Heimtücke und Arglosigkeit?

Männerseelen sind tiefe Abgründe

Regen und Sturm

»Lasst Blut in meinem Namen fließen«

Turkeys Date

Der Mann neben Else Ambrosius

Niks Geschichte

Teufel in der Erinnerung

Turkey ist mittendrin

Ein »Narrenkäfig«

Bruder Baphomet

Freiheit für Turkey

Hausfrauentag

Armer Japaner

Ein bisschen brutal

Pater Joseph weiß was

Auf der Spur des Teufels

Ermittlungen vor Ort

Haus ohne Spuren

Alles mit Gefühl

Und los geht's!

Baißers Rache

Spuren und Narben

Fingerabdrücke

Eva packt aus

In drei Teufels Namen

Baißer wird bleich

Guter Junge!

Begegnung mit dem roten Mann

Kein Bild vom roten Mann

Magere Beweise und wenig Fakten

Ein Postfach und eine gute Idee

Beichtgeheimnis

Schuld und Vergebung

Kirchgang

Ein Glas und sein Inhalt

Rache an den Feinden

Lockvogel oder Opfer

Einladung zum Essen

Es ist zu Ende!

 

»Ich beherrsche alle weiblichen Kulturtechniken«, gab ich an. »Fischernetze knüpfen, Körbe flechten, Gefäße töpfern und Teufelskostüme nähen. Wenn du willst, versehe ich deine Kapuze mit einem flotten Hohlsaum oder sticke dir ein güldenes Pentagramm hinein. Wie wär's?«

»Dauert zu lange«, winkte er ab. »Außerdem möchte ich nicht mit dem Hohepriester verwechselt werden.«

»Wäre doch schön für dich.« Ich warf Kodil einen schrägen Blick zu. »Dann darfst du als Erster die Frau auf dem Altar vögeln. Und viele Leute gucken dir dabei zu. Würde dich das nicht anturnen?«

 

*

 

Der bekannte Schönheitschirurg Dr. Oktavio Grid wird in seinem Bett abgeschlachtet – Racheakt einer verunstalteten Patientin, Verzweiflungstat der gequälten Ehefrau oder Ritualmord einer obskuren Sekte? Maria Grappa macht mit dem Satanismus Bekanntschaft.

 

E-Book © 2013 by GRAFIT Verlag GmbH

(korrigiert nach den reformierten Regeln deutscher Rechtschreibung)

Originalausgabe © 1996 by GRAFIT Verlag GmbH

Chemnitzer Str. 31, D-44139 Dortmund

Internet: http://www.grafit.de/

E-Mail: info@grafit.de

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagillustration: Peter Bucker

eISBN 978-3-89425-986-0

Gabriella Wollenhaupt

 

 

 

Killt Grappa!

 

 

 

Kriminalroman

 

 

 

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Die Autorin

 

 

Gabriella Wollenhaupt, Jahrgang 1952, arbeitet als Fernsehredakteurin in Dortmund.

Als Kriminalschriftstellerin debütierte sie im Frühjahr 1993 mit Grappas Versuchung. Es folgten zahlreiche weitere Romane mit und ohne Grappa. Sämtliche Ermittlungen der rothaarigen Reporterin sind als E-Book lieferbar (siehe www.grafit.de/service/programm/krimireihen/).

www.gabriella-wollenhaupt.de

Die Personen

 

 

(in alphabetischer Reihenfolge)

Else Ambrosius hat viel hinter sich

Ortwin Baißer nimmt nichts hin

Loki Detema ist nicht schön genug

Dr. Oktavio Grid hilft der Natur auf die Sprünge

Eva Grid lügt im falschen Moment

Maria Grappa glaubt nur das, was sie sieht

Peter Jansen hält alles zusammen

Pater Joseph hat Kontakt nach oben

Nikolaus Kodil liebt Verbotenes

Turkey ist hart drauf

Jaap Vermeulen ist der große Meister

 

 

 

 

Und bis zum fünfzehnten Tage enthalte er sich des Verkehrs mit der Ehefrau und, wenn es sich um eine Frau handelt, enthalte sie sich des Verkehrs mit dem Ehemann. Er esse ein ganzes Jahr lang kein am Sonntag gebackenes Brot, kein Fleisch eines am Sonntag geschlachteten Tieres und trinke kein warmes, am Sonntag gebrautes Bier. Und er esse und trinke nichts Warmes, solange er lebt.

Aus dem Codex Vindobonensis Palatinus im Jahr 1888 zur Heilung von Kranken und Besessenen.

Geld und Blut

 

 

Der Mord an Dr. Oktavio Grid hatte alle Aussichten, der Medienschlager des Jahres zu werden. Der Tote war ein gut aussehender Mann in den sogenannten mittleren Jahren, hatte ein heiteres, joviales Wesen und eine überaus charmante Art, sein Geld öffentlichkeitswirksam unter die Leute zu bringen.

Ich kannte den Mediziner nur von Fotos in einschlägigen Magazinen; die Kreise, in denen Grid verkehrte, waren mir fremd. Seine Frau, eine ehemals berühmte Zeitschriftenschönheit, hatte ihre Karriere aufgegeben, als der Märchenprinz im weißen Porsche erschien. Er hatte ein Faible für schnelle fahrbare Untersätze und schöne Frauen.

Grid wurde an einem lauen Herbstmorgen von einer Else A. gefunden. Nur mit viel Überredungskunst konnte ich den Staatsanwalt dazu bringen, die Identität der Frau ein wenig zu lüften. »Sie ist die Hausdame der Grids«, näselte der Chefermittler, »sie kam gegen 10 Uhr, öffnete das Schlafzimmer und sah die Schweinerei. Alles war voller Blut.«

Ich schluckte und ersparte mir weitere Fragen. Von Nik Kodil, einem Bekannten von der Mordkommission, würde ich Einzelheiten über die Tat erfahren. Eigentlich hasse ich Storys mit viel Blut, aber Job ist Job.

Der Staatsanwalt teilte mir den Termin der Pressekonferenz mit. Meine Uhr sagte mir, dass ich bereits in zwei Stunden los musste. Ziemlich knapp, um vorher noch eigene Recherchen anzustellen.

»Was dagegen, wenn ich den Fall betreue?«, fragte ich Peter Jansen, den Chef vom Dienst der Zeitung, bei der ich arbeite.

Er schüttelte den Kopf, ohne die Augen vom Bildschirm zu erheben. »Mach nur, Grappa«, murmelte er, »60 bis 100 Zeilen auf der Eins. Gibt die Polizei Bilder raus?«

»Kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete ich, griff nach dem vollen Becher Kaffee, der links neben Jansen stand, und nahm einen Schluck. »Das tut gut!«

»Und warum glaubst du, dass es keine Fotos gibt?«, blieb Jansen beim Thema.

»Das Schlafzimmer ist voller Blut. Das ist nix für unser biederes Blatt. RTL und SAT 1 sind bestimmt schon da, um zu fensterln. Ich werde die Szenerie in meinem Artikel beschreiben. Nichts ist grauenvoller, als der Fantasie des Lesers Gelegenheit zu geben, sich frei zu entwickeln.«

»Und woher weißt du das schon wieder? Das mit dem Blut?«

»Vom Staatsanwalt«, erklärte ich.

»Ist das der junge Mann, der manchmal bei dir übernachtet?«

Überrascht schaute ich hoch. Ich hatte nie ein Wort erwähnt. »Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Jansen grinste. »Entschuldige, ich hatte vergessen, dass du den Männern ein für alle Mal abgeschworen hast.«

»Du sagst es, Peter! Ich habe in den letzten Monaten nur eklige Machos kennengelernt. Aber ich werde es dich wissen lassen, falls ich meine Meinung ändere. Zufrieden?«

Jansens Grinsen hatte sich noch vertieft.

»Ich guck jetzt in unserem Fotoarchiv nach«, wechselte ich das Thema. »Dr. Grid war schließlich nicht irgendein Penner, sondern ein herausragender Vertreter des Bierstädter Geldadels. Mal schauen, was ich finde.«

Ich schlurfte den Flur entlang, um die düstere Kammer zu erreichen, in der Tausende von Schwarzweißfotos vor sich hin gilbten. Dort was zu finden erforderte kriminalistischen Spürsinn. Im Zeitalter der Computer war dieses Archiv eine anachronistische Lachnummer!

Die Tür knarrte, als ich sie aufstieß. Die Luft hier drinnen war eine Mischung aus Staub und den muffig-scharfen Rückständen von Fotosäuren. Ich stürzte zu dem kleinen Fenster und riss es auf.

Wo sollte ich nachschauen? Unter »G« wie Grid, unter »Medizin« oder unter »Pferdesport«? Zuerst fand ich das Sportarchiv. Galopprennen. Grid besaß ein Rennpferd, das ihm erkleckliche Summen ins Haus gestrampelt hatte. Da war das Foto nach dem letzten Sieg. Das Rennen war nach einer Benzinfirma benannt, Hengst Orlando hatte die 100.000 Schleifen Preisgeld ohne Mühe reingeholt. Der Vierbeiner hatte einen Kranz um den Hals, auf dem Pferd thronte der Jockey, und daneben strahlte Besitzer Dr. Oktavio Grid. Ein Schnappschuss aus dem prallen Leben eines reichen Mannes.

Ich blätterte weiter, doch da war nichts mehr. Erst im Personenarchiv wurde ich wieder fündig; ein sechsspaltiges Foto zeigte Grid und seine Frau. Die beiden hatten im Auftrag des Rotary-Klubs einen Scheck an eine Behinderteneinrichtung zu übergeben. Ich trat mit dem Bild in der Hand ans Sonnenlicht.

Grid war groß, nicht dick, sondern eher schwer. Sein Lachen war breit und offen, die gelichteten Haare lang und nach hinten gekämmt. Er war ein vitaler Mann, den bestimmt nichts erschüttern konnte. Wer immer ihn abgeschlachtet haben mag, dachte ich, muss eiserne Nerven und eine Menge Kraft gehabt haben.

Ich sah mir Eva Grid genauer an. Sie war ebenfalls groß, sehr schlank, wirkte zart und durchsichtig. Ihre Augen waren rund, ausdrucksvoll und geschickt geschminkt. Die Backenknochen waren mit Rouge betont, der Mund perfekt gestylt, die blonden Haare damenhaft nach oben gerafft und mit einem Seidentuch gebändigt. An den Handgelenken prangte jede Menge Schmuck. Ihr Lächeln war ein bisschen schmerzlich. Grid und seine Frau standen hinter einem Sofa, auf das drei Behinderte gesetzt worden waren. Der Direktor des Heims hatte sich neben dem Möbel platziert, die Hände auf die Schultern seiner Patienten gelegt.

Kalte Wut stieg plötzlich in mir auf. Die Reichen und Schönen lassen die Brosamen von ihren reichgedeckten Tischen fallen und werden dafür noch gefeiert. Und wir Journalisten spielen brav mit.

Wenigstens hatte ich zwei brauchbare Bilder, mit denen ich meinen Artikel anreichern konnte. Die Behinderten im Vordergrund des Fotos würde ich herausschneiden. Ich schloss das Fenster, löschte das Licht und verließ den Raum.

»Grappa!« Es war Jansens Stimme, die über den Flur dröhnte. »Telefon!«

»Bin ja schon da«, rief ich und legte einen Zahn zu, »wer ist es?«

»Polizei!«

»Hier Grappa«, sagte ich ins Rohr, »was gibt's?«

»Hier ist Nik. Wie geht's dir?«

»So lala. Warum?«

»Der Abend mit dir war nett. Bearbeitest du den Mordfall Grid?«

»Warum willst du das wissen?« Mein Blick fiel auf Jansen, dessen Ohren immer größer wurden.

»Wir haben eine SoKo gebildet. Der Fall hat Vorrang. Ich bin dabei.«

»Ja und?«

»Ich kann dir helfen – wenn du mir hilfst.« Es klang nach einem verlockenden Angebot. Doch ich wollte es Nik Kodil nicht so leicht machen.

»Wir können ja irgendwann mal drüber reden«, sagte ich und gab mich uninteressiert, »wie kommst du zu einem solchen Angebot? Karriereabsichten?«

»Bild dir bloß nichts ein«, blaffte Kodil, »der Kontakt zur Presse ist nicht gerade karriereförderlich. Wir können es auch lassen, doch ich dachte ...«

»Sei nicht eingeschnappt, Süßer. Vielleicht kommen wir ins Geschäft. Wie wär's mit einem kleinen Vorgeschmack?«

»Von was?« Er war kein Schnellmerker.

»Informationen! Aber exklusiv!«, flötete ich. »Also, ich höre!«

»Na gut«, seufzte er. »Grid ist nicht nur umgebracht, sondern auch verstümmelt worden. Rate mal, wo.«

»Nach der Dramatik in deiner Stimme kann es nur um das gehen, was Männer für ihre edelsten Teile halten«, schloss ich messerscharf.

»Genau!« Ich hörte Kodils Verblüffung.

»Ist das alles? In einer Stunde gibt die Staatsanwaltschaft eine Pressekonferenz. Da hätte ich's ohnehin erfahren.«

»Hättest du nicht.«

Ich pfiff durch die Zähne. »Dann wollen die also Fakten zurückhalten. Habt ihr schon eine Spur vom Täter?«

»Wie wär's mit heute Abend?«

Diesmal begriff ich nicht gleich.

»Arbeitsessen«, setzte er nach, »diesmal bei mir. Welchen Wein?«

»Keinen. Ich brauche einen klaren Kopf.«

Wir verabredeten, dass ich ihn anrufen würde, wenn ich mit der Arbeit fertig sei.

»Nik? Nimm den Pinot grigio. Aber stell ihn schön kalt.«

Nachdenklich drückte ich den Hörer auf die Gabel. Dieser Mord schien sich zu einer außergewöhnlichen Sache zu entwickeln. Ich spürte eine innere Erregung.

»Junge Liebe, oder was?«, riss mich Jansen aus meinen Gedanken. »Musste es denn ausgerechnet ein Bulle sein? Es gibt doch so viele andere Männer auf der Welt. Bullen sind die geborenen Feinde von Journalisten, das weißt du doch. Aber vielleicht hat er ja Qualitäten, die diesen Makel wettmachen. Erzähl doch mal, Grappa!«

Ich streckte ihm den erhobenen Mittelfinger meiner Hand entgegen. Schweigend und hoch erhobenen Hauptes verließ ich den Raum. Spott konnte ich jetzt genauso wenig vertragen wie Diskussionen über mein Sexualleben.

Alles ganz normal

 

 

In dem Besprechungszimmer des Polizeipräsidiums tummelte sich bereits die Meute. Ich hatte unseren Fotografen Turkey im Schlepptau, einen Neuzugang im Personalbestand des Bierstädter Tageblattes. Seine Arbeit konnte ich noch nicht beurteilen. Fürs Ablichten von ein paar Köpfen wird's reichen, hoffte ich.

»Darf ich mal?« Mit dem Ellenbogen schob ich den Kameramann eines Privatsenders unsanft beiseite, um an meinen Platz zu gelangen. Immerhin waren wir Journalisten der örtlichen Tageszeitungen vor den Fuzzis von der Glotze in der Stadt gewesen, und wir dachten nicht daran, unsere Positionen kampflos aufzugeben. Die Kommerzsender kamen außerdem nur bei Straftaten, die von Blut und Sperma tropften.

Zum Glück wusste die Bierstädter Polizei zu schätzen, dass wir biedere Zeitungsmenschen auch über Taschendiebstähle, GdP-Versammlungen, Jubilarehrungen und den Polizeiball berichteten. Und seitdem unsere Zeitung die Serie Der freundliche Polizist von nebenan aus der Taufe gehoben hatte, wurden wir Schreiberlinge vom Bierstädter Tageblatt besonders gern gesehen.

»Machen Sie doch bitte Platz für Frau Grappa!«, rief der Polizeipressesprecher quer über den Konferenztisch.

Ich lächelte huldvoll ins Rund und ließ mich in den Stuhl fallen. Turkey platzierte sich hinter mir, seine Geräte schussbereit.

»Wir haben es hier mit einem besonders brutalen Verbrechen zu tun«, konstatierte der Staatsanwalt für Kapitales. »Aber der Reihe nach. Dr. Oktavio Grid wurde heute früh von der Hausangestellten Else A. tot in seinem Schlafzimmer aufgefunden. Frau A. alarmierte über Notruf die Polizei, die Beamten stellten nach dem ersten Augenschein mehrere tiefe Stichwunden im Körper des Toten fest. Näheres können wir erst nach der Obduktion der Leiche sagen. Ich habe sie für heute Nachmittag angeordnet. Und jetzt stellen Sie bitte Ihre Fragen, meine Damen und Herren.«

»Können Sie den Abend rekonstruieren?«, fragte die Konkurrenz.

»Wir müssen uns da auf die Angaben der Hausdame verlassen. Sie hat Dr. Grid am Abend ein leichtes Mahl zusammengestellt, das er wohl auch gegessen hat. Die Ehefrau des Opfers war nicht zu Hause. Danach hat sich die Zeugin verabschiedet; sie wohnt nicht im Haus. Dr. Grid habe einen völlig normalen Eindruck gemacht. Als die Zeugin das Haus verließ, saß Dr. Grid mit einem Buch in der Bibliothek und las.«

»Könnten es Einbrecher gewesen sein?«, fragte ich.

»Es gibt keine Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen in das Gebäude. Wir gehen davon aus, dass der Tote seinen Mörder ins Haus gelassen hat oder dass er sich bereits im Haus befand.«

»Und die Mordwaffe? Haben Sie sie gefunden?«, erschallte es aus dem hinteren Teil des Raumes.

»Noch nicht«, gab der Polizeisprecher zu. »Im Haus selbst war sie jedenfalls nicht. Wir haben damit begonnen, das umliegende Gelände zu durchkämmen. Nach ersten Erkenntnissen hat der Täter ein kleines, sehr scharfes Messer benutzt. Genaueres können wir Ihnen erst nach der Obduktion mitteilen.«

Ich meldete mich erneut zu Wort. »Wo war seine Frau eigentlich an dem Abend?«

»Das wissen wir noch nicht. Wir konnten die Ehefrau noch nicht ausfindig machen«, erklärte der Ankläger, »niemand weiß, wo sie sich befindet. Die Haushälterin konnte uns leider auch nicht weiterhelfen.«

Ein überraschtes Gemurmel kam auf. »Also weiß Frau Grid gar nicht, dass ihr Mann tot ist?«, kam es vom anderen Ende des Tisches.

»So ist es«, bestätigte der Staatsanwalt.

»War die Leiche unbekleidet? Hatte der Tote Geschlechtsverkehr?«, wollte ein Kollege vom größten deutschen Boulevardblatt wissen.

Der Staatsanwalt wechselte ein paar leise Worte mit dem Pressesprecher und sagte dann: »Das Opfer war nackt, Hinweise auf Geschlechtsverkehr vor dem Tod gibt es nicht.«

»Sonst irgendwelche Besonderheiten?«, startete ich einen Versuch.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Außergewöhnliches eben!«

»Nein.« Die Lüge kam ihm glatt über die Lippen.

»War Dr. Grid in irgendwelche Geschäfte verwickelt? Drogen? Mafia? Schmuggel? Sex? Mädchenhandel?« Der Reporter vom Boulevardblatt hatte schiere Verzweiflung in der Stimme.

»Wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen«, meinte der Staatsanwalt reserviert. »Ich kann Ihnen nur noch berichten, dass die Polizei eine Sonderkommission gebildet hat. Und jetzt entschuldigen Sie mich.«

Die Pressekonferenz war beendet.

»Jetzt wird meine Story wieder auf zehn Zeilen eingedampft und landet auf der Sieben«, maulte der Bild-Heini, als er zufällig neben mir zum Lift trabte.

»Erfinde doch irgendwas dazu«, riet ich ihm, »ihr haltet euch doch sowieso nicht an die Wahrheit. Mit ein bisschen Fantasie wird der langweiligste Mord ein Bringer. Du musst es dir nur schön passend machen.«

»Hast du einen Tipp?« Er war ganz Ohr.

»Vielleicht war's ein Racheakt. Eine Frau, der das Silikonimplantat im Busen bis zu den Knien gerutscht ist oder die nach einem Face-Lift aussah wie die Zwillingsschwester von Graf Dracula.«

»Wieso? Was hatte der Typ denn mit Silikon zu tun?«, fragte der Bild-Mann. Sein schütteres Bärtchen bebte erwartungsvoll wie bei einem Jagdhund, der Witterung aufgenommen hatte.

»Wusstest du das nicht? Dr. Grid war Schönheitschirurg. Die Klinik hinter dem Hauptbahnhof gehört ihm.«

Turkeys Trickkiste

 

 

Wir brauchten noch ein Foto von Grids Hütte. Sie lag natürlich in bester Gegend, ruhig und doch citynah, umgeben von einem gepflegten Rasen mit den üblichen Rosenbeeten und gepflasterten Trampelpfaden. Alles war ordentlich, sauber und teuer.

»Steig am besten auf die kleine Mauer da«, riet ich Turkey, der nach einer ruhigen Standfläche suchte.

»Danke für den Tipp«, schnippte er.

»Hab dich nicht so«, blaffte ich zurück, »Journalismus ist Teamarbeit. Schon mal davon gehört?«

»Klar. Eine befiehlt, einer gehorcht. So dachtest du dir das noch?«

»Genau so. Und jetzt mach endlich!« Ich hatte keinen Bock auf Stress mit einem Knipser, der als Künstler behandelt werden wollte.

Turkey kletterte auf die Mauer und legte los. »Die Bullen sind noch da«, meinte er dann.

»Die sichern die Spuren.«

Jetzt sah ich sie auch. Einige Männer durchforsteten den Garten, zwei Hunde waren auch dabei. Die Vierbeiner nahmen plötzlich Witterung auf, zerrten an ihren Leinen.

»Die meinen uns«, erkannte Turkey blitzschnell und sprang von der Mauer.

»Keine Panik«, beruhigte ich ihn. »Die können uns das Fotografieren auf einer öffentlichen Straße nicht verbieten. Wir leben schließlich in einem Land, in dem die Freiheit der Presse ein hohes Gut ist.«

»Ach ja?« Turkey grinste höhnisch. »Meine Erfahrungen sehen da leider anders aus.«

Die Beamten kamen bereits auf uns zu. Turkey spulte den Film zurück, riss ihn aus der Kamera und steckte ihn in die Hosentasche. Flugs öffnete er eine Filmdose und legte einen neuen Film ein. Dann hielt er das Objektiv in Richtung der Polizisten und drückte mehrmals auf den Auslöser.

»Sie behindern unsere Ermittlungen«, behauptete ein grauer, älterer Mann, der einen Dienstausweis gezückt in der Hand hielt.

»Ach ja? Und wie?«, griff ich an.

»Kann ich mal Ihren Presseausweis sehen, junge Frau?«

»Aber klar.« Ich hielt das orangefarbene Papier hoch. »Gucken Sie mal, was da steht!« Ich deutete auf die Rückseite und zitierte: »Die Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe. Die Behörden sind nach Maßgabe des Landespressegesetzes verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskunft zu erteilen.«

»Ich kenne dieses Gesülze«, sagte der Beamte wegwerfend und studierte eingehend mein Foto, das oben links auf dem Ausweis prangte. »Hier steht aber noch was: Der Presseausweis soll die Ausweisinhaberin in der Wahrnehmung ihres Auskunftsrechtes unterstützen, sofern dies nicht aus zwingenden Gründen verweigert werden muss. Wie gefällt Ihnen das, Frau Grappa?«

»Und welche zwingenden Gründe führen Sie an?«

»Schwierige, noch nicht abgeschlossene Ermittlungen, Spurensicherung und das Recht am eigenen Bild.«

Den letzten Teil des Satzes hatte er in Turkeys Richtung gesagt. »Also her mit dem Film!«

»Was bilden Sie sich ein?« Turkey war wütend und ging ein paar Schritte zurück, seine Kamera ängstlich an sich gedrückt.

Der Beamte ging auf ihn zu und streckte den Arm aus. Turkey faselte etwas von »Pressefreiheit in einem demokratischen Staat«, dann nahm er den Film aus der Kamera und legte ihn in die Hand des Beamten.

»Ihren Namen bitte!«, herrschte ich den Bullen an. »Ich werde mich beim Polizeipräsidenten über Sie beschweren.«

»Mein Name ist Ortwin Baißer, Hauptkommissar und Leiter der SoKo.« Er grinste.

»Nomen est omen, was?«

Baißer reichte mir den Presseausweis zurück: »Lassen Sie sich heute hier nicht mehr blicken, ist das klar?«

Ich nickte brav, und wir trollten uns.

»Du bist ein ausgeschlafenes Kerlchen«, sagte ich zu Turkey, als wir im Auto saßen. »Die Nummer mit den beiden Filmen ist hollywoodreif. Du scheinst Erfahrung im Tarnen und Täuschen zu haben.«

»Hab ich auch«, gab er zu. »Immerhin habe ich jahrelang im Ausland gearbeitet. In der Türkei. Das Regime dort hat ein wirklich gestörtes Verhältnis zu Pressefotografen.«

»Nennt man dich deshalb Turkey?«

»Du bist echt pfiffig. Ich seh ja wohl nicht aus wie ein Truthahn, oder?«

»Nicht direkt.« Wir mussten beide lachen. Turkey war ein eher schmächtiges Bürschchen mit hungrigem Blick und nervöser Körpersprache. Bevor er an Thanksgiving als Braten auf den Tisch kommen würde, müsste er noch ein bisschen auf die Weide.

»Tut mir leid, dass ich eben so pampig war«, sagte ich.

»Jeder weiß, dass du eine arrogante Ziege bist«, teilte er aus, »aber du bist wenigstens ein echter Profi. Wenn schon Frauen im Journalismus, dann sollten sie nicht so dämlich sein, wie die meisten.«

»Danke für die Blumen. Woher beziehst du dein außergewöhnlich originelles Frauenbild?«

»Meine Ex war auch in dem Job. Immer nur Sozialquatsch, Damenkränzchen, seichte Porträts und Ringelpiez mit Blaskapelle. Und mit dem Arsch wackeln bei Empfängen und Pressekonferenzen.« Es klang böse und verletzt.

»Es muss auch solche Frauen geben. Außerdem kenne ich im Journalismus genauso viel dumme Kerle. Und die sitzen meistens im Politikteil und richten damit mehr Unheil in den Köpfen der Menschen an. Also einigen wir uns darauf, dass wir beide die Ausnahmen von der Regel sind. Okay?«

Die Wonnen der Selbstbeweihräucherung hatten uns in heitere Stimmung versetzt. Unterwegs stoppten wir noch an einer Döner-Bude und schlugen uns den Magen voll.

»Die fallen tot um, wenn wir in die Redaktion kommen«, prophezeite ich. »In dem Tsatsiki waren Unmengen Knofel. Aber es war köstlich.«

Turkey kicherte. Ich hatte ihn.

Eine eiskalte Sonderkommission

 

 

Mit gerunzelter Stirn las Peter Jansen meinen Artikel gegen. »Warum hältst du die Fakten zurück, die dir dein Spezi von der Polizei gegeben hat?«, fragte er.

»Du meinst die Verstümmelung? Ich muss zuerst noch mehr darüber wissen. Ich sehe meinen ›Spezi‹ heute Abend. Diese Info haben wir doch sowieso exklusiv. Als Nächstes nehme ich mir die Haushälterin vor. Diese Else. Ihren kompletten Namen weiß ich morgen. Außerdem sollten wir uns auf die Suche nach der frischgebackenen Witwe machen. Die kann ja nicht ewig verschollen bleiben.«

Ich hatte Jansen überzeugt. »Davon können wir noch Wochen zehren«, freute er sich, »clever von dir, ein Krösken mit einem Bullen anzufangen. So sitzt du an der Quelle.«

»Und er ist Mitglied der neuen SoKo«, ergänzte ich. »Endlich kann ich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Bisher haben mich meine Affären eher von der Arbeit abgehalten.«

»Der arme Junge! Weiß er, dass du ihn ausnutzt?«

»Jetzt komm mir nicht so. Der arme Junge, wie du ihn nennst, ist ein überaus ehrgeiziger, intelligenter junger Mann, der möglichst schnell Karriere machen will. Wenn sich einer nicht ausnutzen lässt, dann ist es Nik.«

 

Der Artikel wurde abgespeichert und fertig. Ich telefonierte kurz mit Nik und kündigte mein Erscheinen an. Zehn Minuten später klingelte ich an seiner Wohnungstür.

Er hatte die korrekte Kleidung gegen Jeans ausgetauscht. Über seinen nackten Oberkörper hatte er eine geblümte Hausfrauenschürze gestreift. Ich strich mit der Hand über seine muskulösen Schultern.

»Du bist ein verdammtes Lustobjekt«, murmelte ich.

»Keine Anmache bitte!«, grinste er. »Ich muss die Sauce hollandaise für den Brokkoli noch mal aufschlagen. Fast wäre sie geronnen. Setz dich solange.«

Er stürmte in die Küche. Ich schaute mich um. Ich war noch nicht oft in seiner Wohnung gewesen. Sie war spartanisch eingerichtet, nur wenige Möbel standen hier, doch die waren erlesen. Edelstahl, Glas und weißer Marmor. Die Behausung hatte nichts von der gezwungenen Niedlichkeit an sich, mit der Junggesellen die Wärme einer hegenden und pflegenden Gattin ersetzen wollen.

Ganz anders die Küche. Sie war barock ausgestattet, mit allen Schikanen und Gerätschaften, die die Küchenbranche erfunden hatte, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Kodil war ein göttlicher Koch. Schon immer hatte ich es sexy gefunden, wenn Männer mit Töpfen und Kochlöffeln hantierten. Kodil zelebrierte die Herstellung von Mahlzeiten wie einen virtuosen Sexualakt: Konzentriert und zugleich losgelassen, erfolgsorientiert und doch spielerisch, heftig und trotzdem sensibel. Der Mann hatte nur einen wesentlichen Nachteil: Er war gute zehn Jahre jünger als ich.

»Es ist serviert, Madame!«, rief Nik aus der Küche. Er hatte seinen Body mit einem roten T-Shirt bedeckt.

Die Mittagsmahlzeit aus der Döner-Bude lag mir noch etwas im Magen, als ich mich an den Tisch setzte.

»Knoblauch!«, schnüffelte Kodil. Er war neben mich getreten und teilte die Suppe aus. Es war eine klare Rinderbrühe mit chinesischen Gemüsestreifen.

»Leider«, seufzte ich. »Ich war mit dem Fotografen am Mordhaus, und dein Kollege Baißer hat uns verjagt. Also haben wir danach aus lauter Frust was gegessen.«

»Der alte Baißer«, meinte Nik und setzte sich. »Der Präsident hat ihn tatsächlich zum Leiter der ›SoKo Eiskalt‹ gemacht. Hatte keiner mehr mit gerechnet. Er säuft nämlich wie ein Loch. Jetzt muss er Erfolge bringen, sonst ist er ganz weg vom Fenster.«

»Unangenehmer Typ.« Ich probierte die Suppe. Sie war zart, hatte einen feinen Fleischgeschmack, das Gemüse war noch bissfest.

»Das sehe ich auch so«, stimmte Nik zu, »er ist ein brutaler Widerling. Er bedient jedes Klischee vom bösen, hinterhältigen Bullen.«

»Wieso heißt die SoKo ›Eiskalt‹? Was hat das zu bedeuten?«

»Das sage ich dir lieber nicht, solange wir essen«, antwortete Nik. »Gleich erzähle ich dir alles, was ich weiß. Ich hole jetzt die Pasta.«

Sprach's und verschwand wieder in der Küche. Die Penne, die er anschleppte, hatten es in sich. Nik erklärte, dass er sie nur in heißem Olivenöl geschwenkt hatte, in der sich vorher einige Chilischoten getummelt hatten. Darüber ein Hauch grob geraspelter Pecorino sardo und einige geröstete Pinienkerne.

»Zum Wohl!« Der Pinot grigio ließ das Glas von außen beschlagen. Ich malte mit dem kleinen Finger ein Herzchen drauf. »Ich danke dir für die Einladung, Süßer!«, sagte ich forsch, um nicht in eine romantische Stimmung abzudriften. Es handelte sich schließlich in erster Linie um ein Arbeitsessen.

Das Hauptgericht war vegetarisch. Brokkoli mit Holländischer Soße, Möhren-Reibeplätzchen und knackiger Latuca mit einer Vinaigrette aus Balsamessig, Olivenöl und gepresstem Knoblauch.

»Warum bist du ausgerechnet bei der Polizei gelandet?«, wollte ich wissen. »Als Koch hättest du längst ein paar Sterne eingeheimst.«

»Ich koche zu gerne, um es jeden Tag tun zu müssen.«

Ich verstand.

Als Nachtisch servierte mein hübscher Koch Zitronencreme, die von ihm im Wasserbad zärtlich aufgeschlagen worden war.

Den Espresso nahmen wir auf dem Sofa. »Was bedeutet also der Name ›Eiskalt‹?«, nahm ich den Faden wieder auf.

»Eine ziemlich perverse Sache, die sich da in der Villa abgespielt hat«, erklärte Nik. »Zuerst wurde Grid mit einem Messer regelrecht abgeschlachtet, dann seiner Hoden beraubt. Der Mörder muss sich an dem vielen Blut geweidet haben. Als wir die Wohnung nach Spuren durchkämmten, haben wir auch in den Kühlschrank geguckt.« Nik stockte.

»Ja und?«

»Im Eisfach lagen Grids Hoden.«

»Was?« Im meinem Magen rumorte es.

»Ein Verrückter«, konstatierte Kodil. »Der Polizeipsychologe ist auch der Meinung. Er glaubt, dass Frau Grid die Täterin ist.«

»Was? Sie war doch gar nicht zu Hause!«

»Wissen wir's? Die Haushälterin ist früh gegangen.«

Da hatte Nik recht. Doch die Vorstellung eines blutigen Ehedramas behagte mir nicht.

»Ich glaub's nicht«, wandte ich ein. »Schau dir den Typen an: Grid war groß und kräftig! Sie dagegen eher zart. Wie zum Teufel soll sie das geschafft haben?«

Nik zuckte mit den Schultern. »Wenn Frauen etwas wirklich wollen, bekommen sie ungeahnte Kräfte. Außerdem wurden in Grids Blut Psychopharmaka gefunden. Genug, um einen Ochsen niederzustrecken. Der Promillegehalt war auch nicht von schlechten Eltern. Er konnte sich gar nicht wehren, selbst wenn er es versucht hätte. Also konnte sie ihn in aller Ruhe mit dem Skalpell bearbeiten.«

»Ein Skalpell also«, wiederholte ich. »Genau das passende Werkzeug, um einen Chirurgen ins Jenseits zu befördern.«

»So was wird nicht bewusst gemacht«, meinte Nik. »Es lag vermutlich nur irgendwo herum. Wenn deine Theorie stimmen würde, müsstest du mit einem Kugelschreiber erstochen werden.«

»Eigentlich nicht«, widersprach ich. »Im Zeitalter der elektronischen Textbearbeitung müsste mein Mörder zum PC greifen. Aber Spaß beseite: Wie kommt ihr auf die Witwe als Täterin?«

»Die Ehe war schlecht. Das hat uns die Haushälterin erzählt. Er hat sie geschlagen und auch vergewaltigt. Was liegt näher als zu glauben, dass Eva Grid einen besonderen Hass auf das Tatwerkzeug ihres Gatten hatte? Frau Ambrosius jedenfalls ist davon überzeugt, dass er seine gerechte Strafe empfangen hat. Sie steht voll auf der Seite von Frau Grid.«

Else A. war also Else Ambrosius. Jetzt würde es kein Problem mehr für mich sein, die Frau zu finden.

Ich hatte die wichtigsten Fakten zusammen. Von der desolaten Beziehung zwischen Grid und seiner Frau wusste die Konkurrenz noch nichts. »Morgen werde ich die Wahrheit schreiben«, kündigte ich theatralisch an, »die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, die Fakten zu erfahren. Blut, Wut, Sex und Rache ... und das alles in einer Gesellschaft, der man nachsagt, dass sie keinen Platz mehr für Emotionen hat und ...«

»Aber klar«, unterbrach mich Nik. Er war von meiner Ankündigung nicht so beeindruckt, wie ich gehofft hatte. »Ihr Schreiberlinge findet immer eine Ausrede, um eure voyeuristischen Triebe zu befriedigen. Blut, Wut, Sex und Rache ... Grappa, du spinnst! Du und deine Kollegen leben vom Elend anderer. Ihr geilt euch an brutaler Gewalt auf und kommt euch auch noch ganz toll vor, wenn ihr den ganzen Mist in wohlgesetzten Worten zu Papier bringt. Wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann verschone mich mit dem moralisch verbrämten Überbau deines Schmuddeljobs.« Seine Augen sprühten Funken.

Wut stieg in mir hoch. Angriffe auf meinen hehren Berufsstand konnte ich nicht so einfach hinnehmen. »Voyeuristisch! Ich wusste gar nicht, dass du Fremdwörter kennst«, giftete ich. »Lernt man so was neuerdings auf der Bullenklippschule?«

Nik schaute mich an und sagte leise: »Lass uns einfach bei der Wahrheit bleiben, Grappa! Du bist geil auf heiße Storys, und ich will dem Kollegen Baißer eins auswischen. Ich habe nämlich noch eine verdammt große Rechnung mit ihm offen. Also lassen wir die edlen Beweggründe doch einfach dort, wo sie hingehören.«

»Und wo wäre das?«

»Ganz tief in unserem Herzen, dort, wo niemand sie vermutet und findet. Keiner braucht zu wissen, dass wir beide eigentlich edle Menschen sind.«

Ich lachte auf. »Warum so pathetisch? Lass uns Klartext reden: Ich will die Story, und du wirst mir helfen. Und dabei wirst du über das hinausgehen, was du als Bulle eigentlich darfst. Dafür serviere ich dir Baißer in Einzelteilen auf einem Silbertablett. Okay?«

»Du hast es kapiert«, nickte er. »Wir gründen eine Verschwörergemeinschaft.«

»Ist ja wie im Kindergarten«, höhnte ich, »Emil und die Detektive oder Die fünf Freunde von Enid Blyton. Hab ich als Kind verschlungen. Hoffentlich muss ich meine Story nicht im Kartoffeldruck verbreiten!«

»Klasse, Grappa! Ironie ist eine deiner herausragendsten Eigenschaften«, behauptete er, »oder ist es eher Zynismus?«

»Auf jeden Fall braucht man für beides Intelligenz. Aber lassen wir das! Ich bin mit unserem Deal einverstanden. Und irgendwann erzähle ich dir mal was über die wichtige Aufgabe der Journalisten in einer demokratischen Gesellschaft.«

»Und ich dir von der Ordnungsfunktion der Polizei.«