Zombie Zone Germany:

TAG 78


Vincent VOSS


Herausgegeben von Torsten Exter

© 2015 Amrûn Verlag
Jürgen Eglseer, Traunstein

Herausgeber der Reihe: Torsten Exter


Lektorat: Torsten Exter
Umschlaggestaltung: Christian Günther


Alle Rechte vorbehalten


ISBN – 978-3-95869-236-7


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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar

Monitorraum Sendezentrale



Anfangs habe ich das nur aus Langeweile geschrieben. Ich weiß, das hört sich jetzt nicht nach dem ersten Satz an, der den Leser mit sich reißt. Dessen bin ich mir bewusst, ich kenne mich ein wenig aus damit. Nicht mit dem Schreiben, aber mit bewegten Bildern. Da muss einen auch der Anfang packen, die ersten 15 bis 20 Sekunden, denn der Zuschauer ist kritischer denn je und schießt schneller mit der Fernbedienung als Lucky Luke. Wenn ich also sage, dass ich nur aus Langeweile schreibe, könnten Sie annehmen, der Leser würde mich herzlich wenig interessieren. Das war aber niemals so. Bevor ich begonnen habe zu schreiben, wusste ich: Wenn, dann richtig. Auch wenn ich mir zu dem Zeitpunkt noch gar nicht sicher sein konnte, überhaupt ein Publikum zu finden. Oder auch nur einen anderen lebenden Menschen da draußen.


Warum also schreibt der Typ aus Langeweile, werden Sie sich vielleicht fragen. Stellen Sie sich mich als Regisseur vor. Als gutaussehenden Alfred Hitchcock vielleicht, der in seinem Sessel sitzt und auf 52 Monitoren rund um die Uhr Filmsequenzen sichtet. Er kann nicht wegsehen und auch nicht weghören. Na ja, das letzte vielleicht schon, aber er kann den Ton nicht abstellen. Stellen Sie sich weiter vor, der gutaussehende Alfred Hitchcock hat ausreichend Wasser und Unmengen Bier, ein Toilette, zahlreiche Fertiggerichte wie Huhn Malaysia und Boeuf Stroganoff, Tonnen an Knabbereien und Süßigkeiten, eine Spiegelausgabe, die sich mit der RAF beschäftigt, zwei Bedienungshandbücher für Schnittprogramme, aber … er kann nicht weg! Er ist eingesperrt mit diesen 52 Monitoren. Seit 5 Tagen, 9 Stunden, 43 Minuten und 14 Sekunden sieht und hört er ununterbrochen 7 Menschen beim Reden, Streiten, Versöhnen, Lachen, Weinen, Kochen, Essen, Masturbieren, Kacken und Ficken zu. Ununterbrochen, rund um die Uhr. Und dann hat er geschrieben, sich einen Notizblock und einen Stift genommen und alles zusammengetragen. Ein Zeugnis.


Ich nenne es Secrets & Suprises – Staffel Z.


Eigentlich hieß dieses Format vormals Big Brother. Bei Secrets & Suprises hat jeder Kandidat ein dunkles Geheimnis, das er mit in den Container nimmt. Wird dieses von jemanden erraten, bekommt derjenige 50.000€ und ist eine Runde weiter. Der andere muss durch das Publikum über seinen Verbleib abstimmen lassen. So viel zu den Secrets. Die Suprises sind Überraschungen, die entweder überall im Container verschlossen und versteckt waren oder aber Spontanbesuche von Prominenten, wie Costa Cordalis oder Carmen Uniati, besser vielleicht als Muschi Glanz bekannt.


Tag 74. Die Kandidaten sind seit 5 Tagen von der Außenwelt abgeschnitten. Es gibt Wasser und Strom, aber keine Regieanweisungen mehr. Diese vorprogrammierten Tools laufen im Autopilot. Wie das rote Licht über der Tür zum heißen Stuhl und die rückwärts gezählten Sekunden, bis sich die Tür zur Kabine öffnet. 9,8,7,…,3,2,1, START. Jeder Kandidat hat 30 Sekunden Zeit, sich vor dem Publikum zu präsentieren und jemanden für die Rauswahl vorzuschlagen.

Toto ist der erste, er stürmt in die Kabine. Tätowierter, muskulöser Glatzkopf aus Berlin. Sein Geheimnis: Er saß wegen Körperverletzung und räuberischer Erpressung im Knast. Er setzt sich auf den heißen Stuhl, fährt sich mit einer Hand über die Glatze.

»Scheiße, mann! Ich mach den Dreck nicht länger mit! Holt mich raus hier, sofort!« Er schlägt auf die Stuhllehne. »Ich schwör, das gibt sonst ein Unglück hier drin …« Er sieht in die Kamera, sieht auf dem Display, dass ihm noch Zeit bleibt. Er hat nichts weiter zu sagen, sitzt dennoch die restlichen Sekunden ab.


Als nächstes folgt Barbara, von allen nur Babsi genannt. Eine etwas verlebte Mitvierzigerin. Container-Mutti mit Herz. Ihr Geheimnis: Sie hat eine erwachsene Tochter und lebt in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung. Sie setzt sich, schlägt die Beine übereinander und atmet durch. Ihr Blick ist zur Kamera gerichtet.

»Ich finde das nicht mehr gut. Ich glaube, wir können alle nicht mehr, sind alle am Limit. Wir wünschen uns, dass sich jetzt jemand bei uns meldet. Und, dass die beiden Glühbirnen im Flur endlich gewechselt werden. Bitte!« Auch sie wartet die verbleibende Zeit ab.


Zippo kommt als nächster. Fahrradkurier aus Hamburg mit Dreadlocks. Bisheriger Favorit. Er setzt sich, sieht in die Kamera, schmunzelt.

»Yo, jetzt mal ehrlich, das ist doch n´Witz, oder? Echt krass. Ich muss sagen, gut fühle ich mich damit nicht mehr. Klar, man lernt auch draus, aber hätte ich das vorher gewusst. Ich weiß nicht.« Er beißt in einen Apfel, kaut und überlegt. »Wie immer schlage ich niemanden vor, den ihr raus wählen sollt.« Er steht auf und geht.


Konfusion an der Tür, Jenny will rein, aber Lilith ist dran. Lilith. Gruftie. Ihr Geheimnis: Sie ist praktizierende Okkultistin und trinkt gerne warmes Blut. Sie setzt sich, sieht in die Kamera und schweigt. Wie immer. Dann steht sie auf, geht.


Dominique, das Nesthäkchen. Der Jüngste und Schmächtigste. Sein Geheimnis: Er ist Millionärssohn. Er setzt sich. »Hallo.« Er nickt in die Kamera und lächelt. Dann zieht er die Stirn kraus und lauscht. »Oh, die Zeit ist ja schon …« Ein schriller Ton zeigt ihm an, dass die Zeit um ist. Er steht auf und geht.


Jenny kommt rein. Wasserstoffblonde Schönheit, häufig bauchfrei und hauteng. Ihr Geheimnis: Sie hatte Sex mit zwei Männern geleichzeitig. »Hi!« Sie lächelt, rückt unauffällig auffällig ihre Oberweite zurecht. »Also, dass ihr euch nicht meldet, finde ich nicht so gut, aber das gehört bestimmt zum Bizz. Also mecker´ ich auch gar nicht mit euch. Nur Zigaretten habe ich bald nicht mehr, dann wird es echt fies. Also, büdde! Wenn ihr weiter eine lustige Jenny wollt, bringt ihr Zigarettennachschub, ja?« Sie überlegt kurz, starrt links oben an die Decke. »Und zum Rauswählen schlage ich wieder mal Zippo vor. Ich mag die ungepflegten Haare gar nicht. So, Zeit ist um. Bis bald.« Sie steht auf, lächelt, winkt und geht.


Als letztes kommt Ben. Sportlicher, dunkelhaariger Sonnyboy. Sein Geheimnis: Er ist Rechtsanwalt. Ben setzt sich, orientiert sich zur Kamera und zum Display. Er holt einen Zettel hervor und beginnt, ihn vorzulesen. »Sehr geehrte Damen und Herren dieses Senders, ich bitte Sie hiermit nachdrücklich, meinem schon am Donnerstag den 27. September geäußerten Wunsch, die Sendung zu verlassen, Folge zu leisten. Sollten Sie diesem Gesuch nicht nachkommen, werde ich Sie verklagen. Der Umgang mit den Kandidaten ist menschenunwürdig, viele werden hier seit 5 Tagen gegen ihren Willen festgehalten.« Die Zeit ist um, Ben geht.

Aufenthaltsraum.

Direkt nach dem Heißen Stuhl.



Die Kandidaten sitzen auf den Sesseln und Sofas um einen weißen Wohnzimmertisch herum. Toto, Babsi und Jenny auf dem Dreiersofa, Dominique und Ben auf einem Zweiersofa, Zippo auf dem anderen und Lilith sitzt seitwärts in einem Sessel.

»Ich fass es echt nicht«, schimpft Toto, ballt eine Hand zur Faust, hebt den Arm zum Schlag, beherrscht sich und lässt ihn wieder sinken.

»Das ist keine Show mehr«, schlussfolgert Ben aus der ausbleibenden Reaktion.

»Ach ja, dann lass dich doch rauswählen«, schlägt Jenny vor, öffnet ihre Zigarettenschachtel, schaut in die Packung und schließt sie wieder.

»Yo Jenny, jemand zuhause? Hat er doch versucht. Hat er doch Donnerstag schon gesagt«, erwidert Zippo.

»Und was ist es dann? Ein Experiment?«, will Babsi wissen. Sie schweigen.

»Es kann ja immer noch so eine verfickte Prüfung sein, weisste? Immerhin geht es um ne Million, mann«, überlegt Toto. »Aber mir ist der ganze Scheiß jetzt egal. Ich will nur noch raus hier«, ergänzt er. »HÖRT IHR? ICH WILL RAUS!« Babsi legt ihre Hand auf seinen Unterarm.

»Ich glaube, das gehört dazu. Das ist das Show-Bizz«, ist sich Jenny sicher und zündet sich jetzt eine Zigarette an.

»Genau das müssen wir herausbekommen«, plant Ben. »Wir müssen herausfinden, ob sich überhaupt noch jemand bei uns meldet.«

»Und wie?«, fragt Babsi.

»Wir müssen sie mit irgendetwas provozieren, sodass sie sich melden müssen. Wenn nicht, können wir davon ausgehen, dass irgendetwas passiert ist«, antwortet Ben.

»Na, das ist ja clever, das hier vor laufender Kamera zu besprechen, Herr Oberschlau«, geht Toto ihn an. Ben zuckt mit den Schultern, schiebt ein Notizbuch und einen Stift auf den Tisch.

»Wir können die Vorschläge hier aufschreiben. Verdeckt. Und dann auch in dem Buch darüber abstimmen. Falls alle lesen und schreiben können.« Toto lacht verächtlich, Zippo und Babsi nicken.

»Dominique?«

»Was? Ja. Ja, gute Idee.«

»Lilith?«

Alle sehen zu ihr.

»Ich bin dafür, wir bringen jemanden um. Und sehen dann, was passiert.« Sie steht auf und geht. Niemand schreibt etwas in das Buch.