Inhalt

Blutschwur

Schmutztitel

Stefanie Mühlsteph

© 2014 by Verlag Torsten Low,
Rössle-Ring 22, 86405 Meitingen/Erlingen
Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung und Illustrationen:
Vee-Jas – Juliane Seidel und Tanja Meurer
http://www.vee-jas.de/

Lektorat und Korrektorat:
M. Low, F. Low, T. Low

eBook-Produktion:
Cumedio Publishing Services - www.cumedio.de

ISBN: 978-3-940036-89-6

Die Leidenschaft lauert in uns allen.

Erst schläft sie, wartet auf den passenden Moment und wenn dieser gekommen ist, öffnet sie ihr Maul und heult wie ein hungriger Wolf.

Sie spricht zu uns und leitet uns. Die Leidenschaft beherrscht uns alle und wir gehorchen ihr.

Was bleibt uns auch anderes übrig.

Blutschwur
Prolog

london bei Nacht war ein wundervoller Anblick. Die Reklametafeln des Piccadilly Circus leuchteten in den buntesten Farben und lockten Menschen in die Einkaufsstraßen der Innenstadt. Das Parlament und der Big Ben strahlten golden neben dem London Eye, das so hoch war, dass es fast die Wolken berührte.

Doch diese ganze Pracht interessierte ihn nicht. Er war fernab des Menschentrubels. Er war dort, wo sich keine Touristen die Klinke in die Hand gaben, sondern gelehrige Studenten.

Der Mann stand vor den backsteinernen Mauern eines Studentenwohnheims und blickte hinauf. Das Licht in dem Fenster, das er beobachtete, war schon vor vielen Stunden gelöscht worden. Seine saphirblauen Augen wirkten sehnsüchtig.

Die Lady, die er nach einer langen Suche endlich fand, schlief tief und fest in ihrem Bett. Ihren ruhigen Atem konnte er bis herunter auf die Straße hören. Ihren Duft atmete er tief ein. Nicht ihr Blut interessierte ihn, obwohl es ihm auch sehr gemundet hätte, sondern sie.

Kannte die schwarzhaarige Schönheit ihr Schicksal?

Der Mann schüttelte den Kopf. Nein, sie konnte nicht wissen, was passieren würde, in was sie unweigerlich hineinschlitterte. Sie war nur ein Spielball des Schicksals – genau wie er. Er hatte sich schon vor Jahrhunderten seiner Vorherbestimmung ergeben und ihr würde es genauso ergehen. Sie würde sich nicht einmal entscheiden dürfen. Denn so waren die Spielregeln.

Er blies sich das dunkle Haar aus der Stirn und vergrub die Hände in seiner Jeans. Menschliche Gesten. Doch menschlich war er schon lange nicht mehr.

Wenn sie sich begegneten, würde seine Herzdame schon längst wissen, was er war und ihn töten – oder es zumindest versuchen.

Der Mann wandte den Blick ab. Er würde ihr niemals das Leben nehmen. Er konnte es nicht. Obwohl es so einfach wäre, mit bloßer Hand ihr kleines Herz zum Schweigen zu bringen – was vielleicht besser für sie wäre, als das, was ihr bevorstand. Wäre sie an jenem Tag umgekommen, wäre ihre Seele von den Wirren dessen, was sie nun erwartete, verschont worden. Es wäre einfacher gewesen für sie – und für ihn. Jetzt gab es kein Zurück mehr – für sie beide.

Er schloss die Lider. Die Düfte der vielen Menschen in den Hauptstraßen benebelten seine Sinne. Er wollte wieder das warme Leben in sich spüren, wie es seine Kehle hinunterglitt, ihn stärkte und wärmte. Ein fataler Wunsch und doch war Blut das Einzige, das ihn dem Leben näher brachte, durch das er aussah, als wäre er einer der Ihren. Sie, die gesegnet waren mit der Vergänglichkeit der Sterblichkeit. Sie, die nach Unsterblichkeit strebten, aus eben jener Angst vor den finsteren Tiefen des Todes und ohne das Wissen, was es bedeutete, wirklich unsterblich zu sein. Er hätte mit ihnen getauscht. Sein Leben gegen die Ruhe und den Frieden kalter Friedhofserde. Doch er lebte, überlebte – eine grausame Ewigkeit lang.

Blutschwur
Cathrin

sie waren wiedermal zu spät – und dieses Mal war es nicht Jessicas Schuld, sondern ihre. Warum kam ihr Vater auch auf die Idee, ihr die Gelder zu kürzen? Sie konnte nur schwer den Impuls, das Handy in die Hand zu nehmen und in Lyon anzurufen, unterdrücken. Sie verlangte nicht viel von ihm, geschweige denn, dass er sich um sie kümmerte, doch er könnte ihr zumindest jetzt unter die Arme greifen. Immerhin war sie seine Tochter.

Mit einem Klaps auf den Hintern scheuchte Cathrin ihren Hund in das Gehege. Dorian schlenderte hinein und wurde von zwei Beagledamen herzlich begrüßt.

»Dein Wauwau ist ein richtiger Aufreißer!«, lachte Jessica und warf ihr blondes Haar in den Nacken.

»Mein alter Fettsack ist eben ein Macho mit Übergewicht.« Cathrin schloss die Käfigtür ab und wandte sich Jessica zu. Ihr Dorian hatte seine Aufmerksamkeit eh schon anderen Hunden gewidmet und zeigte für sein Frauchen und Dosenöffner kein Interesse mehr.

»Mädels!«

Cathrin rollte theatralisch die Augen undunterdrückte den Fluchtimpuls.

»Ach, guck mal, da ist ja James!«, murmelte Jessica. Die fettigen Haare hingen ihm ins Gesicht und brachten seine mausähnlichen Gesichtszüge zur Geltung.

»Hi, Mr. Porky!«, sagte Cathrin.

»Du sollst mich nicht so nennen, das weißt du!«, bemerkte er trotzig und schob seine Unterlippe vor.

»Ich weiß, Mr. Porky«, antwortete sie unschuldig. Mr. Porky war ihr Spitzname für James, seit er mit einer Tüte voll gebackener Speckschwarten aus einem Supermarkt kam und den ganzen Inhalt mit voller Inbrunst in einer halben Stunde verputzte. So bekam er seinen Kosenamen– der allerdings nur von Cathrin benutzt wurde.

»Seid ihr auf dem Sprung?«, fragte James und spazierte mit den beiden Frauen aus dem großen, viktorianischen Rundbogen des Studentenwohnheims hinaus.

»Jep, Sir Adamy wird uns sonst zum Frühstück verspeisen«, antwortete Jessica.

»Adamy ist eigentlich ein netter Professor, die Klausuren und Bewertungen der Hausarbeiten sind absolut fair. Ich hatte letztes Jahr drei Vorlesungen bei ihm.« James strich sich mit ein paar Fingern seine langen Haare aus dem Gesicht.

Cathrin zog stumm eine Augenbraue hoch. War ja klar, dass Mr. Magna-cum-laude das sagen würde.

»Und, was macht ihr heute Abend?«

»Wohl lernen, ich muss noch eine Hausarbeit über die Kolonialisierung schreiben«, seufzte Jessica und verschränkte die Arme am Hinterkopf. Ihr war der Unmut im Gesicht abzulesen.

»Im Green Sheep arbeiten«, antwortete Cathrin knapp und konnte sich ausmalen, dass es mitten in der Woche nicht viel Trinkgeld geben würde.

»Schade, ich dachte, wir könnten in die Neuverfilmung von ›Das Bildnis des Dorian Gray‹ gehen.«

Jessica lächelte betreten. »Nein, James, ich hab wirklich keine Zeit«, murmelte sie und stieß ihre Freundin sanft mit dem Ellenbogen an.

»Du, Mr. Porky, wir müssen echt los, sonst reißt uns Adamy noch den Allerwertesten auf«, sagte Cathrin und zog Jessica weiter. Sie ließen einen geknickten James zurück, der ins nächste Collegegebäude einbog. Ihr Tempo verringerte sich erst, als sie außer Hörweite waren.

»Danke Cathi!«

Sie lächelte. »Nichts zu danken.«

Die beiden gingen eine breite Straße entlang, die von einer Baumallee geschmückt wurde. Häuserreihen standen eng beieinander. Die Gebäude waren nicht breit, sondern reichten über viele Stockwerke in die Höhe. Kleine, langgestreckte Fenster im viktorianischen Stil zeugten vom Alter der Wohnungen. Cablecars, die schwarzen Londoner Taxen mit ihren runden Formen und gelben Schildern, fuhren an den Studentinnen vorbei, Richtung Zentrum.

»Mist, zehn nach neun!«, kreischte Jessica plötzlich. Ruppig zog sie an Cathrins Arm. Diese ließ sich mitreißen und musste ihre Tasche festhalten, da Jessica in ihrer Panik vergessen hatte, welche Kraft sie besaß. Die Kalifornierin genoss seit ihrer frühen Kindheit eine Schulung in Kickboxen und konnte mit ihren geschickten Händen nicht nur leckeren Kuchen backen, sondern auch so manches Sperrholzbrett zertrümmern – was Cathrin allerdings nicht für gut hieß. Kampfsport und Waffen waren nicht ihr Ding. Nicht ihre Welt – auch wenn sie selbst immer noch eine Passion für Ritterspiele, Schaukampf und Mittelalter-LARPs besaß. Das war jedoch nur mit Gummischwerter aufeinander einschlagen und kein richtiger Schwertkampf.

Kaum waren sie in dem älteren Gebäude aus grauem Stein verschwunden, standen sie vor der hölzernen Vorlesungstür im ersten Stock. Sie waren durch die hellen Gänge mit den großen Fenstern gehetzt und hatten dabei fast keinen anderen Studenten gesehen. Alle waren in den Vorlesungen oder lernten in der College- und Landesbibliothek.

»Sei leise!«, ermahnte Jessica ihre Freundin und drückte vorsichtig die Tür auf, die auf der Stelle lautstark zu quietschen anfing. Zerknirscht kniff Cathrin ihre Augen zusammen. Schon vernahm sie eine bekannte, strenge Stimme.

»Ah, die Ladies Reeves und Blanchette!«

Jessica schloss die Tür. Ihr Blick fiel auf einen Mann Mitte dreißig. Seine schwarzen Haare waren kurz gehalten, nur die Koteletten an seinen Ohren waren extrem lang. Was wohl daran lag, dass seine Spezialisierung das achtzehnte Jahrhundert war und er sich mit seiner Fachrichtung identifizierte.

»Schön, dass Sie uns nun auch besuchen, werte Damen«, sagte Adamy.

Cathrin schluckte schwer. »Entschuldigen Sie, Sir, wir wollten die Vorlesung nicht stören«, entschuldigte sie sich kleinlaut und versuchte, dem stechenden Blick der rabenschwarzen Augen standzuhalten.

»Letzte Reihe«, bellte der Dozent und wandte sich wieder der beschrifteten Tafel zu.

Jessica und Cathrin zwängten sich in die letzte Reihe, die mit Notstühlen ausgestattet war. Kaum hatten sie sich niedergelassen, hielt der Dozent laut einen Vortrag über die Anfänge der industriellen Revolution und die damit verbundenen Risiken und Möglichkeiten.

Cathrin zog einen Block und Stifte aus dem Rucksack. Jessica hingegen startete ihren iPod und steckte sich die Kopfhörer in die Ohren.

Mit hochgezogenen Augenbrauen starrte Cathrin Jessica an. Die Amerikanerin legte entspannt das Kinn auf den Tisch und war im Begriff die Augen zu schließen.

»Ich glaube das grad echt nicht!«

Irritiert zog sich Jessica einen der Stöpsel aus der Ohrmuschel. »Was denn?«

»Na, das!«, knurrte Cathrin und zeigte auf den MP3-Player.

Jessica rollte die Augen. »Das ist keine Musik, das ist Spanisch. Ich schreibe übermorgen einen Test über Del amor y otros demonios

Cathrin sah sie verständnislos an.

»Das ist ein Buch über den Journalisten García Márquez, der 1949 der Öffnung der Krypta des ehemaligen Konvents Santa Clara beiwohnte, um darüber Bericht zu erstatten«, verteidigte sich Jessica.

»Alles klar«, beendete Cathrin kurzerhand die Diskussion, bevor ihre Wut im Bauch die Redeführung übernahm. Sie hasste es, wenn Jessica die Vorlesungen dazu nutzte, um für andere Fächer zu lernen.

»Außerdem schreibst du eh mit«, flüsterte Jessica und steckte schnell die Hörer wieder an ihren angestammten Platz.

Man konnte noch in der ersten Reihe Cathrins unverständliches Knurren vernehmen.


Nach gefühlten drei Stunden war die Vorlesung vorbei und endlich konnte Cathrin ihre Berge an beschriebenen Blättern einpacken.

»Na, Honey, Mensa?«, schreckte eine helle Stimme sie aus den Gedanken auf.

»Natürlich!«, stimmte sie zu und verbiss sich den Kommentar Du bist ja auch noch da! Die letzten Minuten hatte sogar Jessica mitgeschrieben. Anscheinend war das Hörspiel zu Ende oder sie hatte keine Lust mehr. Das war bei ihr nicht immer klar zu bestimmen.

Schnell hatten die Freundinnen den Vorlesungssaal verlassen. Sie wollten nicht noch zu einem privaten Gespräch mit Professor Adamy gerufen werden, der nicht nur dieses Jahr ihr Professor für zwei Vorlesungen war, sondern auch ihr Mentor seit Beginn ihres Studiums. Zum Glück mussten sie nicht oft zu ihm. Sie waren in der Regelstudienzeit und hatten nicht die schlechtesten Noten vorzuweisen. Zwei Gründe niemals mehr vor seine stechenden Augen treten zu müssen.

»Puh, was ein Stress heute«, stieß Jessica aus und fuhr sich durch das offene Haar.

Cathrin sah ihre Freundin aus dem Augenwinkel an und verbot sich einfach jeglichen Kommentar. Sie hatte Hunger und würde jetzt nicht auf Grundsatzdiskussionen herumreiten, wie der Tatsache, dass sie immer alles mitschrieb und Jessica zuhause einfach alles gemütlich abschrieb.

Ein großes Backsteingebäude erhob sich mitten auf dem Campus. Viele Menschen strömten in die vier Eingänge der Mensa. Nicht nur Studenten aßen hier zu vergünstigten Preisen, sondern auch ältere Leute kamen her, wenn sie ein billiges Mittagsmenü wollten.

»Schau mal, wer da wartet!«, quietschte Jessica und deutete auf drei junge Männer.

Cathrin rollte kommentarlos mit den Augen.

Blutschwur
Brennende Kälte

noch ein Ale, Sweety!«, hörte Cathrin ihre Kollegin durch den Gesprächslärm brüllen.

Sie seufzte tief. Es war Mittwoch und schon um halb neun waren so viele Leute da wie sonst nur an Feiertagen.

»Was hier abgeht ist irre!«, sagte eine andere Kellnerin, die ihr Tablett am Tresen mit Gläsern belud.

»Du sagst es, dabei muss ich noch eine Hausarbeit über den Fall Konstantinopels 1453 schreiben«, erklärte Cathrin und sah zu dem Platz, an dem gerade noch ihre Kollegin gestanden hatte. »Super, dann rede ich eben mit mir selbst!« Sie füllte einen Pint mit britischem Bier.

Sie war seit Anbeginn ihres Studiums im Green Sheep, einem pubähnlichen Tanzlokal in der Prince Consort Road, angestellt.

»Ale!«, schrie sie lauthals das Getränk aus.

»Ich bin sehr beeindruckt, wie hübsch die Londoner Barkeeperinnen sind«, säuselte ein älterer Mann mit schottischem Akzent, den sie sofort als Familienvater einstufte.

»Dankeschön, darf ich Ihnen etwas bringen, vielleicht ein Stout oder etwas zu essen?«, fragte sie höflich. Sie war oft genug von betrunkenen Männern auf einen Drink eingeladen worden, die sicherlich mehr wollten, als ein nettes Pläuschchen zu halten. Dieser jedoch schien nur schmeicheln zu wollen, wahrscheinlich war er wirklich verheiratet und zuhause warteten Frau und Kinder.

»Ich hätte gerne ein paar Chips und ein Soda«, antwortete der Ältere und lächelte sie an.

Sie erwiderte das Lächeln. Flink tippte sie die Bestellung in die Kasse ein und wandte sich den neuen Bestellungen zu. Plötzlich stellten sich ihre Nackenhaare auf. Sie spürte etwas – bohrende Blicke.

Cathrin starrte ihre Gänsehaut auf den Armen an. Wurde sie etwa beobachtet? Sie schüttelte den Kopf. In letzter Zeit fühlte sie sich öfters so unangenehm belauert. Fast wie von einem Stalker verfolgt. Vielleicht brütete sie auch nur eine Erkältung aus.

Abwesend goss sie die durchsichtige Flüssigkeit ins Longdrink-Glas, stellte es dem Mann am Tresen hin und nahm das Geld entgegen. Ihre Augen jedoch waren schon nicht mehr beim Gast, sie suchten die Menschenmasse nach der Person ab, die sie so penetrant anstarrte.

Am Tresen saßen nur wenige Leute und diese waren entweder mit ihrem Essen beschäftigt oder suchten unter den anderen Gästen nach willigen Flirtopfern.

Ihr Blick glitt über die Gesichter der Gäste, die an den Tischen saßen und angeregt miteinander sprachen. Ein paar Meter vom Tresen entfernt befand sich der kleine Tanzbereich, in dem das Neonlicht von einem tiefen Blau in ein leuchtendes Rot überging. Es tanzten nur wenige Gäste und diese waren auch eher mit ihren Begleitpersonen beschäftigt.

Cathrin schob die Brauen zusammen. Endlich konnte sie in einer dunklen Ecke einen jungen Mann ausmachen, der sie zu beobachten schien. Durch das schummrige Licht konnte sie nicht einmal seine Haarfarbe ausmachen. Wie konnte er sie dann so scharf beobachten? Sie versuchte ihn mit dem gleichen, stechenden Blick zu verunsichern, jedoch schien er wenig beeindruckt zu sein– zumindest zeigte er keine Regung, die darauf schließen lassen konnte.

Trotzig wandte sie sich um und stellte am rotblinkenden Licht des Transportschachtes am anderen Ende des Ladentischs fest, dass die Küche das Essen schon längst fertiggestellt hatte.

Hastig fischte sie den Teller mit den Kartoffelstäbchen aus dem Aufzug.

Sie biss sich auf die Unterlippe, um den spitzen Schrei zu unterdrücken. Der brennende Schmerz bahnte sich durch ihre Fingerspitzen. Instinktiv ließ ihre Hand den Teller los.

Sie kniff die Augen zusammen, fluchte innerlich über ihre Gedankenlosigkeit und wartete auf das unvermeidliche Klirren von zersprungenem Geschirr.

Es geschah jedoch nichts. Verwundert öffnete sie ein Lid und konnte eine Männerhand erkennen, die den Teller offenbar gerade noch rechtzeitig abgefangen hatte.

»Das ist doch zu heiß!«, überschlug sie sich und fischte unter der Theke schnell ein paar Topflappen hervor, um den Teller zu übernehmen.

Verwirrt sah sie sich um, die Chips standen schon bei dem Gast. Jetzt erst konnte sie die neue Situation realisieren. Irgendjemand hatte ihr aus dieser misslichen Lage geholfen! Schnell fand sie auch denjenigen, der die Verantwortung dafür trug. Er lehnte an einer Ecke der Theke mit dem Rücken ihr zugewandt.

Sie musterte ihn genauer. Ihre Augen weiteten sich. War das nicht genau der Kerl, der gerade noch in der anderen Ecke des Lokals gesessen hatte? Es war doch unmöglich, dass er sich so schnell durch die Menschenmassen gedrängt hatte.

Für den Bruchteil einer Sekunde wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Sie wollte und sollte sich bedanken, doch ihre scharfe Zunge war auch ohne aktive Beteiligung ihres Kopfs schneller.

»Dankeschön, aber Sie dürfen nicht auf dieser Seite des Einschanks stehen.« Vorsichtig legte sie ihre Hand auf seine Schulter. Der Fremde drehte sich um.

Sie musste schwer schlucken. Der schwarzhaarige Mann hatte ein ebenmäßiges Gesicht mit zwei saphirblauen Augen, die von dunkelgrünen Linien durchzogen wurden.

»Ich weiß, aber ich dachte, dass Sie sich freuen, wenn ich Ihnen helfe«, sagte er in einem altmodischen Londoner Akzent, den sie nur von wirklich alten Stammgästen kannte.

»Ja, sicher, ich muss Sie dennoch bitten auf die andere Seite des Tresens zu gehen.« Gut, dass ihre Zunge das Denken und Reden übernommen hatte. Ihr Kopf wäre dazu nicht mehr fähig gewesen.

»Natürlich«, antwortete er gentlemanlike und begab sich geschwind auf die andere Seite. Dabei ging er so nah an ihr vorbei, dass sie seinen Duft einatmete. Cathrin konnte sich nicht erklären, was dieser Kerl für Aftershave aufgetragen hatte, doch es benebelte ihre Sinne.

Sein weißes Hemd war ein Stück aufgeknöpft, sodass Cathrin den Ansatz der breiten Brust begutachten konnte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihn die ganze Zeit angaffte, als ob er ein Ausstellungsstück wäre. Schnell wandte sie den Blick ab.

Er setzte sich auf einen nahestehenden Barhocker.

Sie sah auf, in die durchdringenden Augen ihres Gegenübers.

Er konnte unmöglich so schnell an den Tresen gehastet sein! Aus dem Augenwinkel suchte sie die Ecke nach dem Kerl ab, der sie so penetrant angestarrt hatte, doch dieser war verschwunden – oder saß er nun direkt vor ihr?

»Was suchen Sie, Miss?«

Sie blickte ihn an, musterte sein schönes Gesicht mit den wohlgeformten, sinnlichen Lippen. »Ich dachte, ich hätte Sie vor wenigen Minuten dort drüben gesehen.« Sie zeigte auf den einsamen Tisch auf der anderen Seite des Pubs.

Der Mann lächelte charmant. »Dort saß ich nicht. Sie müssen mich verwechselt haben, Miss.«

Sie nickte, doch innerlich wusste sie, dass dies nicht wahr sein konnte. Es war der Kerl, der ihr die Haare zu Berge stehen ließ. Darin bestand kein Zweifel, oder?

Sie sah ihn wieder an. Er war wirklich ein ansehnlicher Mann. Lecker würde ihn Jessica betiteln. Doch etwas stimmte nicht. Sie spürte es, ein Kribbeln in ihrem Bauch, das ihr sagte, dass hier nicht alles koscher ablief.

Ihr Blick fiel auf die rechte Hand des Mannes, die langsam eine rötliche Farbe annahm.

Ein Stich durchzuckte sie.

»Bitte zeigen Sie mir Ihre Hand«, forderte sie ihn ohne große Umschweife auf.

»Das brauchen Sie nicht, Miss. Es ist nichts.«

Sie sah ihm in die Augen. »Sie müssen sich die Hand verbrannt haben, der Teller kam direkt aus dem Ofen. Also bitte, zeigen Sie mir Ihre Hand.«

Widerstrebend hob er seine Hand.

Cathrin biss sich schuldbewusst auf die Lippe. Eine sehr deutliche Brandwunde war zu erkennen, deren Blasen sich langsam mit Wundwasser füllten. »Es tut mir so leid«, wisperte sie und ging zum Spülbecken, um ein paar Tücher mit kaltem Wasser zu benetzen.

»Das müssen Sie nicht tun!«

»Das bin ich Ihnen schuldig«, überschlug sie sich. Wieder begegneten sich ihre Blicke. Cathrin starrte ihn an als wäre er ein Botticelliengel. Dann holte sie die Realität zurück. Sie musste dem armen Kerl zumindest die verbrannte Hand verbinden, bevor sie wieder in ihr persönliches Traumland abdriftete. »Ich verarzte Sie und Sie dürfen sich etwas zu trinken aussuchen. Das geht auf meine Rechnung.«

»Nicht nötig!«, versuchte der Mann zu beschwichtigen und abermals trafen sich ihre Blicke. Sie konnte nicht sagen, wie lange sie den Fremden anstarrte, seine Ebenmäßigkeit bewunderte, doch irgendwann spürte sie wieder die kalten, nassen Tücher in ihrer Hand. »Entschuldigung!«, murmelte sie und begann mit dem nassen Stoff über seine Haut zu streichen. Erst jetzt fiel ihr auf, wie außergewöhnlich blass er war. Die blauen Adern zeichneten sich unter seiner Reispapierhaut ab.

Ihre Finger berührten seine Haut. Schmerz stieg ihre Hand empor, jedoch dieses Mal stärker, intensiver. Sie presste die Lippen aufeinander. Brennend kalt bahnte sich die Qual durch ihre Hand. Erschrocken zog sie die Hand weg und sah auf, in die verdunkelten Augen des Mannes, der ihr seine Hand ebenfalls entzog und sich langsam vom Hocker erhob.

»Dankeschön für die Hilfe«, sprach er tonlos. Einen Wimpernschlag später war er verschwunden.

Cathrin riss die Augen auf, blickte sich um, suchte nach ihm, doch er war weg, wie vom Erdboden verschluckt. »Was für eine Erscheinung!«, flüsterte sie und hielt immer noch die kalten Tücher in der Hand.

Der Schmerz pochte in ihren Fingerspitzen. Ob er allerdings vom heißen Teller oder dieser Berührung kam, konnte sie nicht mit Sicherheit bestimmen.

Sie schüttelte den Kopf. Es war total unlogisch, Berührungen konnten nicht schmerzen.

»Sweety, einmal Sheperd´s Pie, bitte!«, brüllte eine Kellnerin und riss Cathrin aus den Gedanken.

»Kommt gleich.«, flüsterte sie und tippte die Bestellung ein. Hatte sie das gerade vielleicht nur geträumt? Wieso hatte keiner außer ihr diesen Schönling bemerkt? Die Kellnerinnen hätten sich darum gerissen, ihn zu bedienen! Hatte ihr Kopf ihr einen Streich gespielt?

Kopfschüttelnd widmete sie sich der Bestellung.


Kurz nach Mitternacht saß Cathrin in der Tube. Sie musste zwar bis St. James’ Park nur zwei Stationen fahren, doch die fast leere Bahn machte selbst ihr etwas Angst. Dabei glaubte sie weder an Monster, die über Menschen herfielen, noch an mystische Vorgänge.

Sie hatte bequem am Rand Platz genommen und konnte aus dem Fenster blicken. Die dünne Bahn mit den wenigen Sitzplätzen fuhr nur unterhalb der Londoner Straßen, weswegen man nur Dunkelheit sah, wenn man aus dem Fenster blickte, doch es gab Cathrin ein Gefühl der Sicherheit, zumindest zu erahnen, wo sie sich gerade befand.

Es raschelte. Ein älterer Mann blätterte die Seite seiner Tageszeitung um. Seine Augen glitten über die geschriebenen Zeilen. Nachdenklich legte er seine Stirn in tiefe Falten.

Cathrin schmunzelte.

Er sah kurz auf. Er musste bemerkt haben, dass sie ihn beobachtete. Freundlich zwinkerte er ihr zu und versank wieder in der Zeitung.

Sie blickte aus dem Fenster. Eine monotone Stimme drang aus den Lautsprechern und verkündete, dass sie Sloane Square erreicht hatten. Die Tube stoppte, die Türen öffneten sich, doch niemand stieg ein oder aus. Einen Augenblick später schlossen sich die Türen wieder und die Tube setzte sich in Bewegung.

Plötzlich spürte sie wieder dieses Gefühl auf der Haut, als ob sie jemand beobachten würde. Sie musste ihre schwarze Jacke etwas enger um sich ziehen, damit die Gänsehaut sich nicht über ihren ganzen Körper erstreckte. Es verstörte und gruselte sie zugleich, warum ihr Körper so reagierte. Normalerweise ignorierte sie penetrante Blicke, doch wieso konnte sie es nicht im Pub und wieso tauchte dieses Gefühl ausgerechnet in der Tube wieder auf? Irritiert ließ sie den Blick schweifen, konnte jedoch keine andere Person außer dem älteren Mann entdecken.

Verwirrt sah sie auf ihre Finger, die immer noch vor Schmerzen pochten. War das wirklich real gewesen? Ihre Finger sagten Ja, jedoch ihr Verstand stritt es vehement ab. Sie schüttelte den Kopf und gähnte. Das gleichmäßige Geräusch der fahrenden Bahn beruhigte sie.

»St. James’ Park. Bitte achten Sie auf die Lücke zwischen der Bahn und der Plattform«, ertönte jäh die monotone Stimme aus den Lautsprechern.

»Mein Stichwort!«, flüsterte sie.

Der graumelierte Mann sah sie lächelnd an. »Passen Sie auf sich auf, Miss, es ist mitten in der Nacht!«

Cathrin erwiderte das Lächeln. »Immer doch!«

Beschwingt stieg sie aus der Bahn.

Der Heimweg war nicht lang, denn die Caxton Street war nur wenige Minuten von der Station entfernt. Ein kalter Wind blies ihr entgegen, als sie aus der Unterführung trat.

Cathrin verengte ihre Augen zu Schlitzen, stellte den Kragen der Jacke auf und ging durch die spärlich beleuchteten Straßen. Die gusseisernen Laternen mit ihren gelben Leuchtschirmen ließen die bewegten Schatten der Bäume wie Gespenster wirken. Sie gähnte demonstrativ, um die aufkeimende Angst zu vertreiben. Sie ging diesen Weg mindestens dreimal in der Woche und kannte jeden einzelnen Strauch, der sich in den Böen bog. Sie musste also keine Furcht haben.

Nach ein paar Minuten konnte sie endlich das backsteinerne Wohnheim erblicken, das im Licht des Mondes wie ein Geisterschloss aussah.

Cathrin ging resigniert weiter, durch die Eingangspforte und die Treppe hinauf. Auf dem Gang konnte sie das Bellen ihres Vierbeiners vernehmen, der wie von Sinnen an der Tür kratzte. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Dorian sprang ihr entgegen, warf sie auf dem Treppenabsatz fast um.

»Dorian, was ist denn los?«, flüsterte sie und sah in die schwarzen Knopfaugen ihres Hundes.

Bellend blickte Dorian hinter seine Herrin, als ob er etwas gesehen hätte.

»Aus, mein Junge«, flüsterte Cathrin, die mittlerweile in die Hocke gegangen war und die Schlappohren zart kraulte.

Dorian hörte jedoch nicht auf sie. Er fletschte geradezu außer sich die Zähne und fing erneut an zu bellen.

»Dorian, aus!«, wurde Cathrin strenger und richtete sich auf. Sie verstand nicht, was dieser Hund hatte.

Der Cocker sah sein Frauchen irritiert an und schwieg für einen kurzen Augenblick, bevor er sich wieder der Dunkelheit zuwandte und erneut anfing zu knurren.

»Wenn du es so willst, dann musst du eben raus in den Zwinger«, drohte Cathrin, in der Hoffnung, dass er jetzt still sein würde. Doch diesen Gefallen tat Dorian ihr nicht.

Augenrollend stieg sie wieder die Treppen hinab. »Bei Fuß!«

Der Cockerspaniel gehorchte ihr. Zumindest jetzt zeigte das bisschen Hundeschule, das er in seinen Sturm- und Drangjahren erfahren hatte, Wirkung.

Unbeholfen stieg Dorian die Stufen hinab. Er hörte nicht auf zu bellen. Auf dem Hof, vor der Zwingertür, hörte sie sein lautes Jaulen. Nun wusste er, was die Uhr geschlagen hatte. Sie rollte mit den Augen, zwang sich auf das Wesen zu ihren Füßen zu blicken.

Der Hund sah sie flehend an, jaulte und bettelte.

»Nein, Dorian, du kannst nicht mit hoch, du machst noch die ganzen Leute wach«, versuchte sie zu erklären und öffnete die quietschende Tür. Vorsichtig schob sie ihren Vierbeiner in den Käfig. Dorian wehrte sich und jaulte in hohen Tönen, jedoch vergebens. Die Gittertür fiel klackend ins Schloss.

»Mein Süßer, ich hol dich morgen wieder hoch, wenn du dann lieb bist.« Sanft kraulte Cathrin ihn zum Abschied durch die Gitterstäbe an den flauschigen Schlappohren. So sehr es sie im Herzen schmerzte, musste sie tun, was sie tun musste. Entschlossen richtete sie sich auf, wandte sich vom Käfig ab.

Dorian jaulte herzzerreißend. Energisch stieg sie die Treppe hoch. Sie liebte ihren Hund, doch irgendwann musste sie hart durchgreifen. Wenn er weiter gebellt und sich die anderen Mieter beim Studentenwerk beschwert hätten, müsste sie entweder eine Strafe wegen Ruhestörung zahlen, oder die Wohnung wechseln. Mit einem Hund und einem geringen Einkommen war es geradezu unmöglich eine Wohnung in London zu bekommen.

In der Stille der Nacht konnte sie noch leise Dorians Bellen vernehmen, der sich anscheinend immer noch nicht beruhigt hatte.

Ohne Licht anzumachen, schlich sie den Flur entlang.

Aus Jessicas Zimmer konnte sie deutlich ein dumpfes Schnarchen vernehmen. Sie schmunzelte. Die Amerikanerin weigerte sich vehement zuzugeben, dass sie nachts in ihrem Zimmer Holz zersägte. Sie meinte immer, dass es Dorian wäre, der in seinem Körbchen diese rauen Töne von sich gab.

Cathrin erreichte ihr Zimmer, schaltete das Licht an, schloss die Tür und ließ sich in den Bürostuhl fallen. Ihre Beine schmerzten durch das lange Stehen. Mühevoll schaltete sie die Schreibtischlampe an und blickte auf den Stapel Bücher, die sie herausgelegt hatte. Ihre Hausarbeit über den Fall Konstantinopels musste bis Anfang der nächsten Woche fertig werden und Ausruhen war keine Option. Sie hatte einen engen Zeitplan bis zum Abschluss und den würde sie einhalten. Koste es was es wolle.

Seufzend nahm sie einen blauen Marker und öffnete das Buch Konstantinopel, Istanbuls historisches Erbe.

Ihre Augen überflogen die beschriebenen Zeilen, die Lider sanken jedoch mit jeder verstreichenden Minute. Ihre Haltung wurde immer schlaffer, bis das Kinn auf der Tischplatte landete. Ihre Augen schlossen sich. Kein Gedanke regte sich mehr in ihrem Kopf. Da war nur noch die wohltuende Stille.


Jessica tapste verschlafen in Cathrins Zimmer. Sie hatte noch Licht unter dem Türschlitz gesehen und wollte überprüfen, ob es ihrer Freundin gut ging.

Cathrins gleichmäßiger Atem war tief und ruhig.

Jessica lächelte. Leise schaltete sie die Zimmerbeleuchtung aus und legte Cathrin eine rote Decke über die Schultern.

»Gute Nacht, Sweety.«

Blutschwur
Abschied

guten Morgen, London, du hörst Kiss 105-108!«, schmetterte die bekannte Stimme aus dem Radiowecker.

»Mistiger, guten Morgen!«, fluchte Cathrin. Sie lockerte ihren Hals. Lautstark knackte ihr Genick. Mit schmerzverzerrter Miene rieb sie sich den Nacken. Sie musste während der Nacht sehr unpassend gelegen haben, denn nicht nur ihre Rückenmuskeln schmerzten. Sie spürte deutlich einen tiefen Abdruck auf ihrer Wange. Sie musste fürchterlich aussehen!

Cathrin streckte sich. Die Decke rutschte ihr von den Schultern. Müde sah sie auf den Boden und musste lächeln. Jessica sorgte sich wirklich rührend um sie!

Langsam stand sie auf, öffnete die Tür ihres Zimmers und atmete tief den Duft von gerösteten Bohnen ein. Der herbe Geruch ließ ihr das Wasser im Mund zusammen laufen. Sie konnte sich jetzt nichts Schöneres vorstellen, als eine Tasse dampfenden Kaffee.

»Guten Morgen, Sweety!«, hörte sie schon die gut gelaunte Stimme ihrer Mitbewohnerin. Sie konnte sich nicht erklären, wie Jessica jeden Morgen so dynamisch sein konnte.

»Morgen!«, gähnte sie und streckte sich nochmals. Verschlafen ließ sie sich auf einen Stuhl fallen und griff nach der Kaffeekanne, die ihr abrupt wieder entwendet wurde. Perplex blickte sie auf. Jessica baute sich vor ihr auf.

»Kaffee gegen Frühstück mit dem Hund«, bemerkte sie und stemmte eine Hand in die Hüfte. In der anderen Hand hielt sie das morgendliche Druckmittel.

Cathrin nickte ergeben und erhob sich vom Stuhl. Sie war einfach noch zu müde für eine Auseinandersetzung.

»Braves Kitte-Cathi!« Unvermittelt drückte ihr Jessica eine Tasse Kaffee in die Hand.

Stille Freude spiegelte sich in Cathrins Augen. Langsam schlurfte sie den Flur entlang, an dem Poster von Jack Nicholson vorbei, und öffnete die Eingangstür.


Ein lautes, helles Klirren ließ Jessica aufschrecken. War Cathrin vor Müdigkeit die Treppen hinuntergefallen? Schnell eilte sie zum Eingang und erkannte, dass Cathrin nicht einmal über die Türschwelle getreten war.

Cathrin war totenbleich im Gesicht, ihre Augen weit aufgerissen, die Lippen bebten. Ihre Hand war noch so, als hielte sie den Becher mit dem heißen Getränk. Der Kaffee, samt zersplitterter Tasse, befand sich auf dem Boden.

Langsam sog der Teppich die schwarze Flüssigkeit auf. Cathrins Körper begann zu zittern, stumme Tränen rannen über ihre Wangen.

Zögernd trat Jessica näher. Cathrins Blick haftete auf dem Boden vor der Tür. »Cathrin, was ist?«

Cathrins Mund bewegte sich, doch kein Ton trat über ihre Lippen.

Behutsam kam Jessica näher und erblickte schließlich auf dem marmornen Flur, was Cathrin erstarren ließ.

Sie riss die Hände vor den Mund und ließ dabei ihre eigene Tasse auf den Teppich fallen.

Auf dem weißen Marmorboden breitete sich eine große Lache dicken, schwarzen Blutes aus, das zähflüssig die Treppe hinuntertropfte. In der Mitte dieses Sees lag ein Wesen, wie es unschuldiger nicht sein konnte.

Jessica musste den Würgereiz unterdrücken. Fest presste sie die Hand auf den Mund.

Die Pfoten waren starr vom Körper gestreckt. Das graue Fell verklebt und stumpf.

»Oh Gott!«, wisperte Jessica.


Cathrin sog geräuschvoll Luft ein. Ihr starrer Blick war auf den Körper des toten Tieres gerichtet. Die Augen hefteten sich auf eine besondere Stelle, den Hals.

»Wo ist der Kopf?«, würgte sie heraus und blinzelte den Schwall an Tränen weg. Ihr Körper fühlte sich kraftlos an, ihr Kopf wie aus Watte. Das konnte nicht ihr geliebter Vierbeiner sein! Ihr Blick folgte der Spur aus rubinrotem Blut, die sich die Stufen hinunter erstreckte.

Wie in Trance bewegte sich ihr Körper. Ihre Haut wirkte fahl in der morgendlichen Sonne und ihre Lippen waren noch schmaler als sonst. Zitternd stieg sie die Stufen hinunter. Das Blut klebte an ihren nackten Füßen. Ihre Hände hangelten sich am Geländer entlang, bis sie zur Eingangspforte kam.

Unter ihren Sohlen spürte Cathrin die spitzen Steine des Hofes. Jedoch drang kein Schmerz bis zu ihrem Gehirn. Das Bild, das sie erblickte, ließ ihre Sinne stumpf werden.

Mitten in der Grünanlage sahen sie zwei schwarze, traurige Knopfaugen an. Die Zunge hing heraus, vor den schwarzen Iriden befand sich ein nebliger Schleier, der Tod.

»Oh Scheiße!«, schrie Jessica hysterisch. Sie war Cathrin stumm gefolgt.

Ein Spieß war in die feuchte Erde gerammt worden, auf dessen Ende Dorians Kopf thronte. Das dunkle Blut tropfte noch aus dem Halsansatz heraus.

Cathrins Sinne begannen zu schwinden. Sie nahm keine Töne mehr wahr, hörte nur noch dumpf Jessicas schrille Hilferufe.

Flatternd schlossen sich ihre Lider. Ein Alptraum hätte nicht schlimmer beginnen können. Ihr Körper sackte augenblicklich in sich zusammen.


»Sachbeschädigung!«, brüllte Jessica außer sich und knallte den Telefonhörer auf die Station.

Auf dem großen Bett mit den blauen Laken lag Cathrin. Ihre Lippen zitterten immer noch. Das Weiße in ihren Augen war gerötet von Tränen. Die rote Patchwork-Decke war um ihre schmalen Schultern gewickelt. In ihren bleichen Händen hielt sie eine große Tasse heißen, schwarzen Tee.

»Tötung von Wirbeltieren wird juristisch als Sachbeschädigung angesehen!«, äffte Jessica die Stimme der Polizistin von Scotland Yard nach. »Ich glaube es einfach nicht, diese herzlosen Leute!« Wieder stiegen ihr Tränen in die Augenwinkel. Sie ließ sich neben Cathrin auf das Bett fallen.

Es war Nachmittag. Die Studentinnen hatten alle Vorlesungen und Übungen ausfallen lassen, nachdem endlich die Polizei am Wohnheim eintraf.

Als Cathrin die Besinnung verloren hatte, hatte Jessica nicht nur nach Hilfe gerufen, sondern auch die Polizei. Cathrin war von ein paar Bewohnern des Wohnheims in ihr Zimmer zurückgetragen worden. Der Anblick des Tatorts ließ alle erzittern. Keiner hatte jemals eine solche Brutalität gesehen. Als die Polizei endlich eintraf, wurde der Ort gesichert und die Reste des Hundes in einer Box verstaut. Natürlich wurde die blutige Spur beseitigt, um die anderen Studenten nicht zu verängstigen. Jessica wollte einen Antrag auf Mord stellen. Jedoch die Beamten von Scotland Yard wiesen sie darauf hin, dass dieses Schicksal jeden Tierbesitzer treffen konnte. Vor Wut wollte sie einen Anwalt beauftragen, doch auch dieser klärte sie über die Umstände auf. Tiere waren juristisch gesehen Gegenstände und der Mord an ihnen Sachbeschädigung – egal wie grausam er war.

»In Nordengland wurden vier Pferde auf die gleiche Art und Weise hingerichtet«, überlegte Jessica laut und sah starr auf den Teppich. »Vielleicht ist das eine Sekte oder ein Serienmörder.«

»Bitte, hör auf damit!«, flüsterte Cathrin. Wieder liefen ihr Tränen die Wangen hinunter. Sie konnte es nicht mehr hören, dass ihr Hund wie ein Objekt behandelt wurde. Sie liebte ihn von ganzem Herzen. Dorian war nicht nur einfach ein Lebewesen, sondern ein Teil ihrer Familie. Der alte Cockerspaniel hatte alle Veränderungen des Lebens mit ihr erlebt, Freud und Leid geteilt. Dorian war ihr Freund und Beschützer gewesen, hatte sie getröstet, wenn das Leben ihr einen Schlag verpasste. Nun war er nicht mehr da.

»Es tut mir leid!«, erwiderte Jessica leise und strich sanft über Cathrins Rücken.

Sie lächelte schwach. Jessica gab ihr Bestes, ihre Freundin aufzumuntern und deren Trauer zu mildern. Dorian war nicht an Altersschwäche gestorben. Er war grausam hingerichtet worden. Die Bilder drängten sich wieder in ihr Gedächtnis zurück. Ihre Kehle wurde trocken und ihre Lippen begannen wieder zu zittern. Richtig weinen konnte sie schon lange nicht mehr.

»Cathrin, ich muss gleich zum Studentenwerk«, sagte Jessica sanft. »Kann ich dich alleine lassen?« In ihrer Stimme schwang Sorge mit.

»Sicher. Mach dir keine Sorgen. Ich passe schon auf mich auf«, flüsterte sie tonlos.

Jessica biss sich auf die Lippe. Eigentlich konnte sie ihre Mitbewohnerin in dieser Verfassung nicht alleine zurück lassen, der amtliche Papierkrieg hatte leider Priorität, bevor sie zur Trauer übergehen konnten. Langsam zog sie sich an, warf jedoch immer wieder einen besorgten Blick auf Cathrin, die Schluck für Schluck ihren Tee trank. Ein unbestimmtes Gefühl sagte Jessica, dass sie nicht gehen sollte.

An der Tür drehte sie sich nochmals um. »Cathrin, mach mir ja keinen Unsinn!«

Ein »Ja, ja!«, drang aus Cathrins Zimmer.

Jessica zuckte mit den Schultern. Sie musste auf Cathrins gesunden Menschenverstand vertrauen.

Mit einem metallischen Geräusch fiel die Tür ins Schloss.

Auf einmal war es totenstill in der Wohnung. Die Geräusche der Nachbarräume drangen dumpf durch die Wand.

Cathrin saß immer noch auf ihrem Bett. In den Händen drehte sie die abgekühlte Teetasse und starrte auf die kleinen Wellen im Gefäß. Sie konnte es nicht fassen, wie ihr Vierbeiner zugerichtet worden war. Es schnürte ihr das Herz zusammen. Welche Menschen taten so etwas? Wie gewissenlos musste man für eine solche Tat sein? Sie wusste darauf keine Antwort, egal wie lange sie darüber nachdachte. In ihrem Inneren hoffte sie jedoch, dass ihr Dorian nicht hatte leiden müssen.

Fest presste sie die Lippen aufeinander. Eine weitere Welle Zorn und Schmerz bahnte sich den Weg durch ihren Körper. Eine einzige Träne rollte ihre rot glühenden Wangen hinunter. Dorian war ein Lebewesen und als solches hatte er Rechte auf etwas wie Leben oder ein gebührendes Begräbnis. Die Polizisten hatten ihn schon mitnehmen und im Bioabfall der Stadt entsorgen wollen. Wenn sie daran dachte, drehte sich ihr Magen um. Ihr war es unbegreiflich, wie man Lebewesen als Sachen deklarieren konnte! Jeder Hamster hatte ein Anrecht auf Leben, auch wenn es kurz war.

Sie sah auf einen großen Karton in der Ecke ihres Zimmers. Dort hatte sie die in Plastiktüten verpackten Überreste Dorians untergebracht. Schnell wandte sie den Blick ab, sie konnte nicht hineinsehen. So wollte sie ihren geliebten Hund nicht in Erinnerung behalten. Er war keine Sache, kein Stück Fleisch. Der graue Cockerspaniel sollte ein gebührendes Begräbnis bekommen. Er war schließlich ein Familienmitglied. Doch wo sollte sie im Herzen einer Metropole einen Ort finden, der dafür geeignet war? Sollte sie ihn etwa im Hydepark begraben und darauf warten, dass ein städtischer Gärtner ihn ausgrub?

Sie schüttelte ihren Kopf. Nein, das konnte sie nicht.

Eine Idee zuckte wie ein Blitz durch ihre Gedanken.

Sie stellte die Tasse ab. Sie wusste, dass Jessica ihren Einfall nicht für gut befinden würde. Aber sie musste es tun, sie war es ihm schuldig. Dorian sollte dort beerdigt werden, wo alle geliebten Wesen ihre letzte Ruhe fanden - auf dem Friedhof. Der älteste Friedhof Londons, der Highgate Cemetery im Stadtteil Highgate, war berühmt für seine verschlungenen Pfade und die dramatischen Figuren. An jenem Ort waren Größen wie Karl Marx begraben und dort sollte auch Dorian seine letzte Ruhe finden. Der westliche, verwunschen wirkende Teil des Friedhofs wäre ideal für ihr Vorhaben. Dort würde niemand seinen Leichnam finden und ihn womöglich ausgraben oder eine Anzeige gegen unbekannt stellen.

Ihr Verstand schrie, dass dies Unsinn war, jetzt allerdings hatte ihr Herz das Handeln übernommen.

Immer noch zitternd nahm sie ihre Jacke von der Stuhllehne und zog ihre Schuhe an. Sie musste nur zur James’ Park Station, von dort aus mit der U-Bahn an der Haltestelle Monument umsteigen in die Northern Linie Richtung High Barnet. Jessica würde kaum merken, dass sie außer Haus war.

Wie ein Mantra betete sie ihren Plan hinunter.

Mit einem flüchtigen Blick auf ihre Uhr am Handgelenk konnte sie erkennen, dass es kurz vor fünf war. Wieder sah sie auf die braune Kiste.

Ihr Herz wurde schwer und ihr Magen verkrampfte sich wieder. Langsam näherte sie sich ihr und hob sie ächzend hoch. Cathrin wusste nicht, ob sich Dorian das gewünscht hätte, aber er musste zumindest nach dem Tode Frieden finden. Wieder schossen ihr Tränen in die Augenwinkel. Sie roch den Duft des weichen Fells, vermischt mit dem metallischen Geruch des Blutes. Angewidert wandte sie das Gesicht ab und ging nochmals ihren Plan durch.

Die Kiste wog einige Kilos. Sie musste sich beeilen, bevor ihre neu entstandene Kraft nachließ und sie wieder in Melancholie versank.

Unbeholfen öffnete sie die Eingangstür und ließ sie hinter sich ins Schloss fallen.

Ihr Wohnungsschlüssel lag unberührt auf der Kommode.


Es war unangenehm, mit der großen Kiste in der Tube zu sitzen. Besonders die bohrenden Blicke der Mitfahrenden störten sie. Jeder sah ihre bleiche Haut und die verweinten, roten Augen. Mit der Umzugskiste musste es aussehen, als habe sie sich von ihrem Freund getrennt und nun räumte sie die Kleinigkeiten, die sie bei ihm untergebracht hatte, wieder in ihre Wohnung. Zumindest deutete sie so manch mitleidigen Blick der Passagiere.

»Archway, bitte beachten Sie die Lücke zwischen der Bahn und der Plattform«, ertönte die monotone Frauenstimme aus dem Lautsprecher.

Schnell hatte sich Cathrin aufgerichtet und wollte den Karton in die Hand nehmen.

»Soll ich Ihnen helfen?«, fragte ein älterer Mann.

»Nein, kein Problem, ich schaff das schon!«, antwortete sie kurz angebunden, zwang sich jedoch zu einem freundlichen Lächeln. Der Ältere nickte.

Ächzend nahm sie die Kiste auf den Arm.

Sie war keine kräftige Person wie Jessica, doch ihre Statur wurde meist unterschätzt.

Nach einem kurzen Fußmarsch durch die Unterführung stand sie wieder an der frischen Luft. Der salzige Westwind wehte ihr um die Nase und kühlte ihr erhitztes Gesicht. Einige Eiben schmückten den Weg zum großen Friedhof.

Sie sah in den grauen, dicht bewölkten Himmel. Sie musste Dorian begraben, bevor es anfing zu regnen.

Ein Stich durchzuckte ihr Herz. Mit Nachdruck spürte sie wieder die Kiste in ihrem Arm.

Sie durchquerte den Waterlow Park. Von Schritt zu Schritt wurde die Kiste schwerer. Bald würde sie die Box nicht mehr tragen können. Sie beschleunigte ihren Marsch und ging die Swains Lane entlang zum Eingangstor des Gottesackers.

Der Friedhof im viktorianischen Stil mit den überwucherten Gräbern und alten Bäumen verbreitete eine bedrückende, unheimliche Atmosphäre. Obwohl Cathrin genau wusste, wo sie hin musste, glitt ihr Blick von einem verwitterten Grabstein zum nächsten. Ihr Kopf erfasste keinen klaren Gedanken, sie spürte nur die bedrückende Aura, die diesen Ort erfüllte.

Die Tore des westlichen, älteren Teils des Friedhofs tauchten wie ein abschreckendes Ziel vor ihr auf. Die verrostete Tür ließ sich quietschend aufdrücken. Geschickt zwängte sie sich samt Karton, wie schon am Haupttor, durch den Flügeltürspalt.

Der Friedhof schloss um halb sechs für Besucher. Sicherlich wusste sie genau, dass es eine Ordnungswidrigkeit war dort, außerhalb der Öffnungszeiten einzudringen und ihren Hund zu begraben, doch auch ihren Hund umzubringen war ein Verbrechen. Warum sollte sie also nicht auch gegen Regeln verstoßen, wenn dafür ihr Vierbeiner endlich in Frieden ruhen konnte?

Sie nahm am Eingang eine kleine Harke mit, die zusammen mit Schaufeln und Gießkannen am Brunnen lehnten. Cathrin ging an alten Gräbern vorbei, die wie kleine Tempel in die Höhe ragten und von Schlingpflanzen bewachsen waren. Plötzlich stoppte sie. Ihr Blick blieb an einem kleinen Fleck hängen, wo grünes Gras die Erde bedeckte. Endlich hatte sie eine geeignete Stelle gefunden.

Ächzend ließ sie die Kiste vorsichtig herabsinken. Ihr Blick haftete auf dem braunen Pappkarton. Cathrin hatte nicht daran gedacht, dass sie den toten Körper nochmals berühren musste.

Behutsam ließ sie sich auf den kalten Boden sinken und begann die Erde mit der Harke zu lockern und zur Seite zu schaufeln. Immer wieder hackte sie in den lehmigen Untergrund. Ihre Armmuskeln brannten und zitterten, dennoch hörte sie erst nach mehreren Stunden auf - als die Senke groß genug für ihren geliebten Hund war.

Schweiß rann ihre Stirn hinab und Schmerz pochte in ihren Gliedern. Ihre verdreckten Finger spielten an der Öffnung des Kartons. Cathrin konnte sich nicht überwinden, ihn zu öffnen. Sie hatte Angst, bei dem Anblick wieder in Ohnmacht zu fallen oder sich grauenhafte Dinge auszumalen, wie die Schlächter ihren Dorian hingerichtet hatten.

»Oh Gott«, schluchzte sie. Tränen perlten ihr Gesicht hinunter.

Der Wind frischte auf und trug ihre gequälten Laute davon. Am Himmel bildeten sich dicke Wolken, die von einem matten Grau in ein tiefes Schwarz wechselten. Weit entfernt grollte Donner.

Sie fuhr zusammen. Gewitter. Es gab nichts Schlimmeres. Schon seit ihrer Kindheit hasste sie es. Woher dieses erdrückende Gefühl kam, wusste sie nicht. Natürlich hatte sie schon Nachforschungen angestellt. Solche Grundängste spielten evolutionsgeschichtlich eine wichtige Funktion, als ein die Sinne schärfender Schutzmechanismus. Was nutzte ihr dieses Wissen? Ihr Körper hatte Panik vor Gewitter, und sie konnte sich nicht erinnern, warum er so reagierte.

Wieder haftete ihr Blick auf der Pappkiste. Zögerlich griff sie nach der öffnenden Schlaufe.

Mit einem leichten Ruck klappte der Deckel zurück und entblößte das, was Cathrin schon vor Stunden in Ohnmacht hatte fallen lassen. In einer Plastiktüte lag Dorians Kopf, der sie traurig, aus glasigen Augen, anblickte. Schnell kniff Cathrin die Lider zusammen. Eine unsichtbare Klammer legte sich um ihre Brust und drohte ihr die Luft abzuschnüren.

»Nicht weinen«, wisperte sie. »Nicht weinen!«

Der nächste Donnerschlag ließ Cathrin auffahren und die Augen wieder öffnen. Sie musste das hinter sich bringen! Vorsichtig, den Kopf halb weggedreht, fuhr sie mit den Händen hinein, ertastete das kühle Plastik und den fleischigen Inhalt. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Nur schwer konnte sie den aufsteigenden Würgereiz unterdrücken. Cathrin packte fest zu, bekam den Körper gut zu fassen. Sie schätzte noch ein Mal die Größe des Erdlochs ab, bevor sie mit aller Kraft den Körper aus dem Transportbehältnis hob. Geräuschlos fiel der Tierkadaver in die Senke. Es war wie ein Gewicht, das von ihren Schultern abfiel.