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Über das Buch
Heiko, schön wie eine griechische Statue, aber dumm wie Brot, versucht, im Cluburlaub auf Ibiza eine Freundin zu finden; Gretel sorgt tatkräftig für ihren kleinen Bruder Hänsel; und Sandra erhält per Brief Anweisungen für die geistige wie körperliche Hygiene. Klingt alltäglich? Nicht in den Geschichten von Kai Hensel, der diese im ersten Augenblick so harmlos wirkenden Szenarien mit einer maliziösen Boshaftigkeit untergräbt. Klein, schwarz, gemein – und gut!


»Liebe Sandra,
1. Deine Reinheit ist Dein kostbarster Schatz. Hüte und bewahre ihn wie einen Augapfel.
2. Habe keine falschen Träume. Sie vergiften Kopf und Körper.
3. Sieh nicht zu viel fern. Dein Geschmack, fürchte ich, hat sich in letzter Zeit zum Nachteil verändert.«

Über den Autor
Kai Hensel, geboren 1965 in Hamburg, zunächst Werbetexter, dann Autor zahlreicher TV-Produktionen und Kinofilme (Max-Ophüls-Preis für »Am Tag als Bobby Ewing starb«). Mit »Klamms Krieg« und »Welche Droge passt zu mir?« wurde er zu einem der international meistgespielten Dramatiker. Er schrieb Reisereportagen u. a. aus Russland, Mexiko und Iran und erhielt den Deutschen Kurzkrimi-Preis, den Deutschen Jugendtheater-Preis, den Schiller-Förderpreis Baden-Württemberg. »Das Perseus-Protokoll«, sein erster Roman, erschien 2012 und wurde vom WDR als Hörfunk-Zweiteiler produziert.

Heiko

Heiko wollte nicht länger einsam sein. Er wollte eine Freundin. Vielleicht, dachte er, würde er heute Abend eine finden. Auch andere Männer und Frauen hatten sich in dieser Ferienanlage schon gefunden, das hatte er beobachtet. Und heute war »Karibische Nacht«, mit coolen Drinks und heißen Rhythmen. Bestimmt gab es auch ein paar Mädchen, die etwas Ernstes suchten wie er. Nicht bloß eine schnelle Nummer und billiges Vergnügen.

Er stand an der Bar und nippte an seinem Orangensaft. Später, das war ihm klar, würde er auch Alkohol trinken müssen. Obwohl ihm Alkohol nie schmeckte. Er ließ seinen Blick über den Pool schweifen, die Liegestühle, bis zum Westturm, hinter dem gerade die Sonne unterging. »Golden Beach«, drei Sterne, all-inclusive, in Playa del Inglés, an der lebendigen Südküste Gran Canarias. Besonders geeignet für unternehmungslustige Singles. »Das ist etwas für einen jungen Mann wie Sie«, hatte die Frau im Reisebüro gesagt. Heiko hatte das Angebot sofort gebucht. Bloß an das blaue Plastikarmband, das er immer tragen musste und nicht einmal zum Schlafen ablegen durfte, hatte er sich bis heute, seinem vierten Tag, nicht gewöhnt.

Er beobachtete die Männer und Frauen, die lachend, manchmal küssend und sich an den Händen haltend, in den Liegestühlen lagen. Die meisten Männer tranken Bier, die Frauen Cocktails mit Ananasscheiben und kandierten Kirschen. Auf den Tischtennisplatten klackerten die Bälle. Heiko trug immer noch seine Badehose, das Handtuch hing ihm über der Schulter. Er musste hoch in sein Zimmer fahren und sich für den Abend umziehen. Vielleicht die schwarze Jeans und ein weißes T-Shirt. Oder das hellblaue Seidenhemd mit dem großen Kragen, das seine Mutter im Elster-Forum für ihn ausgesucht hatte. Außerdem war er noch nicht am Abendbuffet gewesen.

»Na, du?«

Die Frau, die jetzt neben ihm stand, war ein paar Jahre älter als er, vielleicht dreißig. Sie hatte blondgefärbte Haare, die oben hoch standen und hinten verlängert waren. Ihr roter Bi­kini schnitt an den Rändern ins sonnenverbrannte Fleisch. Sie musterte ihn, seine breiten Schultern, die haarlose Brust, den flachen Bauch. Sie öffnete halb ihre Lippen. Nicht so eine, dachte er. Nicht eine, die bloß ein schnelles Vergnügen will.

»Wo kommst du her?«, fragte sie.

»Gera«, sagte er.

»Polen?«

»Thüringen.«

»Also doch Osten.«

Der Barkeeper stellte ihr einen grünen Cocktail hin mit einer Kiwischeibe. Er wusste offenbar schon, was sie gern trank. Sie schmatzte einen Kuss in seine Richtung.

»Ich bin ein Westend-Girl«, sagte sie. »Komme aus Duisburg.«

Sie saugte an dem Strohhalm und sah zu ihm hoch. Ihr Lippenstift hinterließ rote Flecken.

»Noch nicht viel los, was?«, fragte sie.

»Noch zu früh«, sagte er.

Sie lutschte an der Kiwi-Scheibe und musterte seine Bizeps. Ihr Blick fuhr seine schmale Hüfte hinunter bis auf die Ober­schenkel.

»Redest nicht viel, was?«, fragte sie.

»Worüber?«

»Worauf du Bock hast.«

»Ich arbeite in der Margarinefabrik«, sagte er. »Othüna, Ostthüringer Nahrungsmittelwerk. Rapsmargarine, Industriemargarine, Kokosfett ...«

Sie sah ihn an, einen Moment verwirrt. Ihr Blick suchte seine Augen, aber er sah an ihr vorbei, absichtlich.

»Ja, dann«, sagte sie, nahm ihr Cocktailglas und ließ ihn stehen.

Jetzt war die Zeit gekommen, hoch in sein Zimmer zu fahren und sich umzuziehen, fürs Abendbuffet und die Karibische Nacht. Er trank sein Glas leer, da beugte sich der Barkeeper vor:

»Ist nicht so gelaufen?«, fragte er.

»Nicht die Richtige«, sagte Heiko.

»Du darfst nicht von Margarine reden.«

Der Barkeeper sagte es dicht in sein Ohr, Heiko roch Knoblauch und Aftershave.

»Die Frau ist heiß. Sie will dich. Du darfst ihr nicht das Gefühl geben, sie verkauft sich billig.«

Aber sie ist billig, dachte Heiko. Der Barkeeper stellte ihm ein neues Glas hin, dunkel und sprudelnd.

»Was ist das?«

»Cola mit Weinbrand. Lockert deine Zunge. Bist doch ein hübscher Kerl.«

Heiko probierte einen Schluck. Er schmeckte Zucker und Schnaps. Einen Moment wurde ihm schwindelig. Der Barkeeper flüsterte:

»Rede wenigstens von Butter. Die zart auf der Haut schmelzt.«

Heiko sprang in den Pool. In der Schule hatte er für seine Kopfsprünge eine Eins bekommen. »Wie Heiko müsst ihr es machen!«, hatte der Sportlehrer gerufen. Weil trotz seiner Größe, trotz seiner breiten Schultern kaum Wasser spritzte. Jetzt schwamm er einige Meter dicht über den Kacheln, bevor er am Beckenrand wieder auftauchte. Das Wasser reichte ihm kaum bis zum Nabel.

Am Himmel funkelten erste Sterne. Aus den Boxen tönte ein Sommerhit, er hatte die Sängerin bei »Wetten, dass ...« gesehen, erst auf einer Bühne mit vielen Scheinwerfern, dann auf der Couch. Jetzt fiel ihm der Name nicht ein. Obwohl er nur zwei oder drei Schlucke aus dem Glas getrunken hatte, fühlte er sich schon vom Alkohol erhitzt.

»Bist du guter Schwimmer.«

Am Beckenrand neben ihm lehnte ein Mädchen. Sie war klein, hatte Sommersprossen und lustige, dunkle Augen. Sie gefiel Heiko sofort, viel besser als die Blonde aus Duisburg.

»Butter«, sagte er.

»Was?«

Schnell tauchte er seinen Kopf unter Wasser, damit sie sein Erröten nicht bemerkte. Er tauchte wieder auf.

»Habe nur gerade überlegt«, sagte er. »Zart schmelzend. Und andere Sachen.«

Sie blinzelte. »Was?«

»Neue Produkte. Die entwickelt werden. In Gera.«

Heiko wusste, er sah gut aus. Er wusste auch, er war, vom Kopf her, etwas langweilig. Weil ihm nie etwas Interessantes einfiel, worüber er reden konnte. Aber er wollte dieses Mädchen, das auf sein Gesicht schaute, nicht seine Brust oder Bizeps, nicht verlieren.

»Kennst du die Höhler?«, fragte er. »In Gera?«

»Nein.«

»Sind berühmt. Unter der Stadt.«

»Aha.«