Die Drei Fragezeichen
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Der Fluch des Drachen

erzählt von André Marx

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur.

ISBN 978-3-440-14202-8

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Vorsicht, zerbrechlich!

Justus Jonas stand in der glühenden Sonne auf dem Schrottplatz und schwitzte. Er war gerade damit beschäftigt, einen Berg alter Schallplatten in die Kategorien ›vielleicht ein Sammlerstück‹, ›für den Wühltisch‹ und ›wertloser Müll‹ zu sortieren, als ein klappriger alter Mercedes in fleckigem Silber durch das Tor auf den Schrottplatz rollte und mit einem erschöpften Schnaufen zum Stehen kam. Ein Mann in den Dreißigern stieg aus. Er trug einen ausgebeulten braunen Anzug, der perfekt zum Auto passte: Er war altmodisch und näherte sich dem Ende seiner natürlichen Lebenszeit.

Der Mann umrundete den Wagen, öffnete die Beifahrertür, die erst nach leichtem Rütteln nachgab, und hob vorsichtig einen großen Karton vom Sitz. Umständlich umschlang er den Karton und sah sich suchend um.

Da Onkel Titus und Tante Mathilda im Augenblick nirgends zu sehen waren, ließ Justus die Plattensammlung stehen, um sich selbst um den Kunden zu kümmern.

»Kann ich Ihnen helfen, Sir?«

»Ähm, ja, ich würde gern mit dem Besitzer sprechen.«

»Das ist mein Onkel, aber ich weiß nicht, wo er gerade steckt. Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen, ich arbeite auch hier.« Justus beäugte den Karton. »Möchten Sie etwas verkaufen?«

»Nein.«

»Dann suchen Sie etwas?«

»Auch nicht. Es ist etwas ... kompliziert.«

Noch bevor Justus nachhaken konnte, trat Onkel Titus aus dem kleinen Bürohäuschen auf sie zu.

»Lass nur, Justus, ich mach das schon«, sagte er, und Justus kehrte widerstrebend zu seiner Plattensammlung zurück. Die Kartons standen zum Glück nicht allzu weit entfernt, sodass Justus nur angestrengt hinhören musste, um das Gespräch zwischen Onkel Titus und dem Kunden mitzubekommen.

»Also, was kann ich für Sie tun?«

»Johnson«, stellte der Mann sich vor. »Thomas Johnson. Sagen Sie, Sie verkaufen doch Trödel, nicht wahr?«

Onkel Titus lächelte und blickte auf die Berge von altem Kram, die sich überall ringsum auftürmten. »Sieht ganz so aus. Was suchen Sie denn?«

»Nun ... nichts. Ich habe gesucht. Und gefunden. Deshalb bin ich ja hier. Es ist nämlich so: Meine Freundin, besser gesagt, inzwischen sogar meine Verlobte, ist Sammlerin. Leidenschaftliche Sammlerin, sollte ich vielleicht hinzufügen. Nein, nein, anders, genau genommen ist sie Jägerin, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Äh«, machte Onkel Titus und lächelte. »Ich bin nicht sicher.«

»Was ich damit sagen will: Es geht ihr mehr ums Suchen, ums Jagen und ums Finden als ums Besitzen. Na ja, vielleicht nicht wirklich mehr, aber mindestens genauso viel. Oder fast. Ja, fast so viel. Sagen wir: Vierzig Prozent ihres Vergnügens macht das Suchen und Finden aus. Verstehen Sie?«

»Äh ...«, machte Onkel Titus erneut, und sein Lächeln hatte mittlerweile etwas Verzweifeltes an sich. Er schielte zu Justus hinüber, der den Wink sofort verstand und die Plattensammlung, die er sowieso nicht mehr beachtet hatte, links liegen ließ und seinem Onkel zu Hilfe eilte. Titus Jonas wusste, dass sein Neffe eine gewisse Begabung hatte, komplizierte Zusammenhänge schnell zu begreifen. In diesem Fall war Justus allerdings nicht sicher, ob er eine große Hilfe sein würde.

»Vielleicht fangen Sie noch einmal von vorne an, ich bin sicher, meinen Neffen interessiert die Geschichte ebenfalls«, schlug Onkel Titus vor und nickte dem Mann aufmunternd zu.

Mr Johnson warf Justus einen skeptischen Blick zu, zuckte dann mit den Schultern und sagte: »Meinetwegen. Es geht um meine Freundin. Verlobte. Sie ist Sammlerin. Aber sie hasst es, wenn man ihr etwas für ihre Sammlung schenkt. Den Fehler habe ich einmal gemacht und ihn bitter bereut, denn: Sie konnte sich überhaupt nicht freuen! Weil sie es nicht selbst entdeckt hatte! Verstehen Sie? Es geht ums Jagen, ums Suchen und Finden!«

»Ah ja«, sagte Onkel Titus.

»Sie sind also auf der Suche nach einem bestimmten Sammlerstück, wollen es aber nicht kaufen, sondern lieber Ihre Verlobte herschicken, damit sie es selber entdecken kann?«, vermutete Justus.

»Ja!«, antwortete Johnson freudestrahlend, doch dann schüttelte er verwirrt den Kopf. »Äh, nein, nein, eben nicht! Ich habe es ja schon. Das Sammlerstück, meine ich. Verstehst du?«

»Ich verstehe sehr gut«, erwiderte Justus belustigt. »Sie wollen also etwas für Ihre Verlobte hier deponieren. Sie haben vor, ihr ein Geschenk zu machen. Da sie es aber nicht mag, wenn man ihr etwas schenkt, sondern ihre Freude über ein selbst entdecktes Sammlerstück viel größer ist, planen Sie, dass genau das passiert: dass sie es selbst entdeckt. Hier bei uns im Gebrauchtwarencenter.«

»Ja! Genau so ist es!« Diesmal blieb das Strahlen auf dem Gesicht des Mannes.

»Und das Sammlerobjekt, um das es geht, befindet sich vermutlich in diesem Karton.«

»Richtig!«

»Es ist etwas Zerbrechliches, nehme ich an.«

Irritiert blickte Thomas Johnson erst Justus, dann den Karton in seinen Armen und dann wieder Justus an. »Woher weißt du das?«, fragte er misstrauisch.

»Die Art und Weise, wie Sie den Karton halten, weist darauf hin, dass es sich um etwas sehr Kostbares handelt, das leicht zerstört werden könnte.«

»Ah. Ja, genau. Zerbrechlich. Sehr zerbrechlich.« Er wandte sich wieder an Onkel Titus. »Meinen Sie, Sie können mir weiterhelfen?«

»Ich denke schon. Um was für ein Sammlerstück handelt es sich denn?«

Mr Johnson blickte sich um, als fürchtete er, beobachtet zu werden, obwohl sich momentan niemand außer ihnen auf dem Schrottplatz aufhielt. Dann stellte er den Karton vorsichtig auf den Boden und begann, ihn auszupacken.

Onkel Titus neigte den Kopf und raunte Justus kaum hörbar zu: »Wie hast du nur herausgefunden, was er wollte?«

Justus grinste und raunte zurück: »Ich habe ihm zugehört, Onkel Titus.«

Dann wurde ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Karton gelenkt. Johnson entfernte langsam und vorsichtig Schicht für Schicht zusammengeknülltes Zeitungspapier, das wie Wüstensträucher vom Wind über den staubigen Platz geweht wurde. Mit unendlicher Vorsicht hob er etwas heraus, wobei auch die restlichen Zeitungsfetzen aus dem Karton fielen.

Es war eine Vase. Sie war hoch und schlank, sanft geschwungen und etwa so lang wie Justus’ Unterarm. Auf tiefblauem Untergrund schlängelte sich ein weißer chinesischer Drache.

»Oh, die ist ja wundervoll!«, drang eine Stimme über den Schrottplatz zu ihnen. Mathilda Jonas war aus dem Wohnhaus getreten und eilte auf sie zu, den Blick auf die Vase gerichtet. Justus’ Tante hatte im Gegensatz zu ihrem Gatten eigentlich nicht viel übrig für die Waren, die sie verkaufte. Was Tante Mathilda antrieb, war nicht die Liebe zum skurrilen, ungewöhnlichen und verstaubten Trödel, sondern ihr Sinn für gute Geschäfte. Und ein solches witterte sie gerade. »Wollen Sie die verkaufen? Ich verspreche Ihnen, wir machen Ihnen einen guten Preis!«

»Ähm, nein«, antwortete Johnson hilflos.

Schnell erklärte Justus seiner Tante die Situation. Die wirkte zunächst enttäuscht, doch dann fuhr Mr Johnson mit seiner Geschichte fort: »Ich habe die Vase bei einer Auktion entdeckt. Sie können sich nicht vorstellen, wie aufgeregt ich war! Seit Jahren sucht Heather ... meine Verlobte ... nach einer Vase, auf der ein weißer Drache auf blauem Grund zu sehen ist! Bei den meisten chinesischen Vasen mit Drachenmotiv ist es nämlich genau andersherum: blauer Drache auf weißem Grund. Heathers Großeltern stammen aus China, müssen Sie wissen. Und ihre Großmutter erzählte ihr immer Geschichten von Drachen. In China sind Drachen Symbole des Glücks. Und weiße Drachen sind besonders selten. ›Wenn dir ein weißer Drache begegnet‹, hat Heathers Großmutter immer gesagt, ›dann ist das Glück auf deiner Seite. Dann bist du auf dem richtigen Weg.‹ Und ... wie soll ich sagen ... wir wollen ja heiraten. Deshalb dachte ich, wenn Heather kurz vor unserer Hochzeit einen weißen Drachen findet ... hier bei Ihnen auf dem Trödelmarkt ...« Thomas Johnson blickte verlegen von einem zum anderen.

Tante Mathilda hatte ganz glasige Augen bekommen. Ihr Sinn für Romantik war das Einzige, was ihren Sinn fürs Geschäft noch übertraf. »Nein, wie wunderbar!«, hauchte sie. »Mr Johnson, das ist die anrührendste Geschichte, die ich je gehört habe! Was für eine zauberhafte Idee! Das heißt aber, Ihre Heather wird nie erfahren, dass sie dieses Sammlerstück eigentlich Ihnen zu verdanken hat, oder?«

Johnson schüttelte den Kopf. »Leider nicht, sonst wäre es ja witzlos.«

»Das muss wahre Liebe sein«, seufzte Tante Mathilda und blickte ihrem Mann versonnen in die Augen. »Hast du so etwas auch schon mal für mich gemacht? Ein Geschenk, von dem ich gar nicht gemerkt habe, dass es eines ist?«

Titus Jonas grinste. »Öfter als du ahnst.«

Tante Mathilda hakte sich bei ihm unter. »Das habe ich mir gedacht.«

»Ähem.« Justus räusperte sich lautstark. »Kommen wir doch wieder zurück zum Geschäftlichen.«

»Zum Geschäftlichen?«, wiederholte Tante Mathilda empört. »Aber Justus! Wir wollen hier doch kein Geschäft machen! Selbstverständlich erlauben wir dem netten Mr Johnson, seine Vase bei uns unterzustellen! Und selbstverständlich nehmen wir dafür kein Geld!«

»Ja, schon gut, so meinte ich es ja gar nicht, ich dachte nur ...« Justus winkte ab. »Vergiss es.«

»Wie lange sollen wir denn die Vase für Sie aufbewahren?«, erkundigte sich Onkel Titus.

»Nur bis morgen«, antwortete Mr Johnson. »Dann hat Heather Geburtstag, und ich werde ihr einen Besuch auf dem Gebrauchtwarencenter Titus Jonas schenken, wo sie sich etwas aussuchen kann. Und dabei wird sie ganz zufällig die Vase entdecken.«

Tante Mathilda klatschte in die Hände. »Wundervoll!«

»Dann müssen wir noch einen Preis ausmachen«, meinte Onkel Titus. »Was soll die Vase morgen kosten?«

»Nun ja, sie darf nicht zu billig sein, sonst wird sie misstrauisch. Andererseits habe ich selbst nicht viel dafür bezahlt. Sie ist nicht wirklich wertvoll, wissen Sie. Sagen wir ... zwanzig Dollar? Die behalten Sie dann aber bitte! Sie sollen schließlich auch etwas davon haben.«

»Kommt gar nicht infrage!«, sagte Tante Mathilda sofort. »Sie können ja so tun, als würden Sie uns bezahlen, in Ordnung?«

»Na ja ... wie Sie meinen. Vielen Dank. Denken Sie nur daran, die Vase nicht versehentlich bis morgen an jemand anderen zu verkaufen!« Mr Johnson lächelte nervös.

»Machen Sie sich keine Sorgen, das wird nicht geschehen!«

»Und Ihre anderen Mitarbeiter ...«

»Es gibt keine anderen Mitarbeiter, nur uns drei«, erklärte Onkel Titus. »Hin und wieder hilft noch ein junger Mann aus der Nachbarschaft aus, aber der kommt weder heute noch morgen. Es besteht also keine Gefahr.«

»Und Sie passen auch wirklich gut auf das Stück auf? Ich weiß, ich sagte, sie sei nicht sehr wertvoll, aber für Heather schon, verstehen Sie? Und für mich natürlich. Ich habe so lange danach gesucht! Wenn sie kaputtginge ...«

»Aber selbstverständlich, Mr Johnson, wir haben Sie schon verstanden«, versuchte Tante Mathilda den Mann zu beruhigen. »Wir werden die Vase hüten wie ... äh ... wie einen Schatz!«

Mr Johnson entspannte sich ein wenig.

»Dann müssen wir nur noch einen guten Platz für die Vase finden«, sagte Justus. »Ich nehme an, sie sollte nicht zu offensichtlich präsentiert werden, sondern besser irgendwo versteckt?«

»Ganz richtig, so habe ich mir das gedacht.«

»Kommen Sie, ich weiß einen guten Platz!«, sagte Tante Mathilda und ging zielstrebig über den Schrottplatz, Mr Johnson eifrig hinter sich herwinkend.

Kurz darauf standen sie alle vor einem hohen Holzregal unter der Wellblechüberdachung, die rund um den Schrottplatz am Zaun angebracht war, um die Ware vor Regen zu schützen. Im Regal häuften sich zahllose Tassen, Teller, Schüsseln und Vasen, einige von ihnen schon so staubig, dass Justus sich fragte, wie lange sie hier standen, ohne dass sich jemand für sie interessiert hatte.

»Hier können wir die Vase hinstellen, ohne dass sie weiter auffällt«, meinte Tante Mathilda und streckte die Hände nach dem Sammlerstück aus.

Mr Johnson trat unwillkürlich einen halben Schritt zurück. »Das ... ähm ... würde ich lieber selbst übernehmen.« Umständlich schob er ein paar Teller beiseite und wieder zurück, nahm einige Untertassen heraus und stellte sie wieder hinein, bis er sich schließlich für einen kleinen freien Platz ganz am Rand des obersten Regalbretts entschieden hatte. Es war so hoch, dass er kaum heranreichte. Er nahm eine in der Nähe liegende Holzkiste, stellte sich darauf und schob die Vase schließlich sehr vorsichtig und umständlich an ihren Platz. Sie war etwas zu breit und ragte ein Stück über das Regalbrett hinaus.

»Ist das nicht ein bisschen ... wacklig?«, gab Justus zu bedenken.

»Nein. So steht sie perfekt«, behauptete Johnson.

Justus hätte vielleicht noch widersprochen, doch in diesem Moment radelten seine Freunde Bob und Peter auf den Schrottplatz und winkten. Justus winkte zurück, verabschiedete sich von Mr Johnson mit einem Nicken und ging den beiden entgegen. Hier tat sich ohnehin nichts Spannendes mehr.

Peter machte eine Vollbremsung direkt vor Justus’ Füßen, dass sich das Hinterrad hob und er fast über den Lenker ging. »Hi, Just! Sieh mal, meine neue Bremsen! Cool, was?«

»Beeindruckend«, entgegnete Justus ohne jedes Interesse.

»Was machen wir heute?«, fragte Bob.

»Weiß nicht. Auf dem Schrottplatz helfen? Tante Mathilda hat bestimmt ein paar tolle Ideen.« Bob und Peter machten entsetzte Gesichter. Justus lachte. »Das war ein Scherz! Wir könnten zwar alte Platten sortieren, aber das ist nicht so dringend. Ansonsten ist heute nicht viel los. Aber wir hatten gerade einen lustigen Kunden.« Er erzählte den beiden Mr Johnsons Geschichte.

»Ist doch süß«, sagte Bob. »Wo ist denn dieser Johnson?«

»Da fährt er gerade«, antwortete Justus und wies auf den klapprigen Wagen, der in diesem Moment auf die Straße rollte.

»Und die Vase?«

»Kommt mit, ich zeig sie euch!«

»Ach, lasst doch die blöde Vase«, meinte Peter und blieb auf dem Fahrrad sitzen. »Wir haben keinen Fall in Arbeit, und Tante Mathilda hat sich noch nicht auf uns gestürzt und uns mit Arbeit eingedeckt. Wir sollten die Gelegenheit nutzen und uns einen entspannten Tag am Strand machen. Das haben wir seit Wochen vor, ach, was sag ich, seit Monaten! Und ständig kommt etwas dazwischen.«

»Du hast das seit Monaten vor«, korrigierte Justus. »Aber meinetwegen, wenn es dir ein solcher Herzenswunsch ist.«

»Ich will die Vase trotzdem sehen«, meinte Bob und folgte Justus zu dem Regal.

»Da oben steht sie. Wartet, ich hol sie mal runter, ich konnte sie mir gerade gar nicht so genau ansehen. Johnson hat sich ziemlich angestellt.« Justus zog einen der alten Gartenstühle heran, die Onkel Titus vor ein paar Tagen erstanden hatte und die für den Wiederverkauf noch neu lackiert werden sollten.

»So wichtig ist es jetzt auch wieder nicht«, meinte Bob.

»Doch«, widersprach Justus und kletterte auf die Sitzfläche. Der Stuhl ächzte und wackelte. Justus hielt sich am Regal fest.

Auch das Regal wackelte.

Und die Vase.

Noch ehe Justus richtig begriff, was geschah, fiel die Vase auch schon runter.

Er stieß einen entsetzten Schrei aus und griff danach, doch damit stieß er sie nur weiter von sich fort. Bob versuchte sein Bestes, aber er stand zu weit entfernt. Die Vase landete auf dem harten Kiesboden des Schrottplatzes und zersprang.

Die Stille nach dem Knall

Justus, Peter und Bob hielten entsetzt den Atem an. Dem Ersten Detektiv stand der Schrecken deutlich ins Gesicht geschrieben. Niemand sagte ein Wort. Die Stille nach dem Knall war beinahe unheimlich. Doch sie dauerte nur ein paar Herzschläge. Dann brachte Justus röchelnd ein erstes Wort heraus: »Verflixt!«

Bob und Peter, der nun vom Fahrrad stieg, starrten ihn an. »Verflixt?«, wiederholte Peter. »Verflixt? Ist das alles, was dir dazu einfällt? Justus, du bist ein solcher Idiot! Das ist nicht verflixt, das ist ein Riesenhaufen Sch–«

»Scherben«, beendete Bob den Satz. »Und was für einer. Mensch, Just, das gibt Ärger. Das gibt richtig dicken Ärger.«

Justus, der noch immer auf dem Stuhl stand und die ganze Zeit mit kalkweißem Gesicht auf die zersprungene Vase gestarrt hatte, hob nun den Kopf und blickte sich panisch um. »Onkel Titus und Tante Mathilda! Wo sind sie?«

»Keine Ahnung«, meinte Bob. »Deine Tante ist vorhin ins Haus gegangen und dein Onkel ... dahinten steht er und hämmert auf einem alten Schrank herum. Sieht nicht so aus, als hätte er etwas mitbekommen.«

»Und das muss auch so bleiben!« Justus kletterte mit wackligen Beinen vom Gartenstuhl herunter. »Schnell, helft mir, die Scherben aufzusammeln! Nun los doch!«

»Aber wozu denn?«, fragte Peter. »Willst du sie etwa wieder zusammenkleben und hoffen, dass es keiner merkt?«

»Hilf mir einfach, okay?«, fauchte Justus ihn an.

Peter wagte nicht zu widersprechen und half gemeinsam mit Bob, die Scherben aufzusammeln. Es waren etwa fünfzehn große und dreißig kleine. Und eine Menge winzige. Nachdem sie alle bis auf die winzigen aufgesammelt hatten, tilgte Justus die Spuren auf dem Kiesboden mit dem Fuß und eilte zur Zentrale hinüber, eifrig darauf bedacht, weder von Onkel Titus noch von Tante Mathilda gesehen zu werden.

Die Zentrale war das Hauptquartier der drei und gleichzeitig ihr Detektivbüro. Eigentlich war es ein riesiger Campinganhänger, den sie vor langer Zeit von Onkel Titus geschenkt bekommen hatten. Die drei Detektive hatten ihn mit Schrott und Altmetall überhäuft. Seitdem war die Zentrale nur über Geheimgänge zu erreichen. Justus lief zu einem scheinbar zufällig inmitten des übrigens Schrotts stehenden, mannshohen alten Kühlschrank und öffnete ihn. Der Kühlschrank war leer. Aber die Rückwand ließ sich zur Seite klappen. Dahinter lag, komplett unter Schrott begraben, ein kurzer dunkler Tunnel aus Wellblech, der zum Haupteingang des Anhängers führte. Justus öffnete die Tür, betrat die Dunkelheit der Zentrale und schaltete das Licht ein. »Schnell!«, sagte er, ohne genau zu wissen, warum er es so eilig hatte, schließlich konnte sie nun niemand mehr sehen. Er ging in den hinteren Teil des Anhängers, wo eine weitere Tür in ihr Kriminallabor führte. Auf dem Tisch standen allerlei Gerätschaften, die vor allem Bob, der dritte Detektiv, zum Entwickeln von Fotos benutzte. Justus schob sie kurzerhand zur Seite und breitete die Scherben auf dem Tisch aus. Peter und Bob taten es ihm gleich. Schweigend besahen sie sich eine Weile die Bescherung.

»Auweia, Just, ich möchte nicht in deiner Haut stecken.«

»Danke für deinen erbaulichen Zuspruch, Bob«, erwiderte Justus, ohne den Blick von dem Scherbenhaufen zu wenden.

Wieder breitete sich eine unangenehme Stille aus, bis Peter zaghaft fragte: »Du willst das Ding doch nicht wirklich kleben, oder, Justus?«

»Quatsch!« Justus wandte sich um und trottete aus dem Labor. Vor dem Schreibtisch ließ er sich in einen alten Sessel fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. »Mr Johnson bringt mich um«, murmelte er kaum hörbar. »Ach, was sage ich: Tante Mathilda bringt mich um! Und Mr Johnson! Gott, ich habe die blöde Vase nicht einmal berührt

»Ja, das sieht man«, sagte Peter leise und zupfte eine kleine Scherbe, die sich dort verhakt hatte, von seinem T-Shirt. Unschlüssig drehte er sie zwischen den Fingern und legte sie schließlich auf den Schreibtisch, wo Justus sie sogleich zur Hand nahm und ebenso unschlüssig zwischen den Fingern drehte. »Was mache ich denn jetzt?«

Bob und Peter tauschten einen schnellen Blick. Die drei Detektive waren schon häufig in unangenehmen, ja sogar lebensgefährlichen Situationen gewesen. Doch Justus hatte bisher immer einen kühlen Kopf bewahrt. Umso beunruhigender war es, ihn nun so verzweifelt zu sehen. »Jetzt sagt doch mal was!«

»Tja, Just, ich fürchte, da kannst du nicht viel machen. Die Vase ist hin. Das musst du Mr Johnson wohl oder übel beichten.«