cover
image

Alle Rechte vorbehalten
© 2013 edition a, Wien
www.edition-a.at

Lektorat: Dino Beck

Coverfoto: Lukas Beck
Cover: Marcin Glod
Gestaltung: Hidsch
Druck: Theiss (www.theiss.at)

eBook-ISBN 978-3-990010-78-5

eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt

Vorwort

Ein kurzes Nachwort als zweites Vorwort

Das gute Leben

Das Leben als Experiment

Leben ist Wandel

Vom Glücklichsein

Sinn im Leben

Vorausblickend denken

Was ist Selbstverwirklichung?

Zurück in die Siebziger?

Gültige Stimme

Mobilität

Kommunikation

Technik

Energie

Leben und Sterben

Medien

Arbeit und Konsum

Plastikgeld und Banken

Lebensmittel

Keine Angst vor Entscheidungen!

Traumhafte Angebote

Vorwort

Oftmals ist ein Vorwort ja nichts anderes als ein als „Vorwort“ deklariertes Nachwort. Das heißt: Der Autor schreibt – nachdem er sein Werk vollendet hat und ihm daher der Inhalt seines Buches bereits bekannt ist – ein „Vorwort“ zur Einführung. Mein Vorwort schreibe ich hingegen heute, am 5. Juli 2013, also lange bevor eine Zeile dieses Buches zu Papier gebracht beziehungsweise „in den Computer hineingeklopft“ wurde. Ich schreibe also über etwas, das ich noch nicht kenne, gar nicht kennen kann. Woher auch? Was es heute schon gibt, ist eine Absicht: Die Absicht, ein Buch zu veröffentlichen, es also auf den Markt zu bringen. Und dazu sind mir bereits ein paar Eckdaten bekannt:

- Erscheinungstermin ist Mitte November 2013, gerade noch rechtzeitig vor dem alljährlichen Weihnachtskaufrausch.

- Ein Coverentwurf mit dem Titel „Leb wohl Schlaraffenland – Die Kunst des Weglassens“, in Grün gehalten, liegt auf meinem Schreibtisch. Als Autoren zeichnen die Herren Roland Düringer und Clemens G. Arvay.

- Termine für Buchpräsentationen sind bereits fixiert, mediale Auftritte werden verhandelt. Kooperationen mit Medien werden angedacht und der eine oder andere Interviewtermin steht schon.

- Der Ladenpreis ist, hörte ich, bereits festgelegt, mir aber im Moment entfallen. Das Ding ist also im Laufen und es gibt kein Zurück.

Dieses Buch auch tatsächlich zu schreiben wäre insofern kein Fehler, denn was nicht geschrieben wurde, kann auch schwerlich gelesen werden. Und schon zeigt sich die erste Hürde, der erste große Stolperstein. Ein Felsbrocken, möchte ich meinen, legt sich in den Weg: Ich schreibe nicht!

Ich denke mir gerne etwas aus und erzähle es anderen. Ich liebe es, in fremden Köpfen Bilder entstehen zu lassen, aber das Schreiben wurde mir zur Pein. Es wurde mir zur Strafe gemacht und das im wahrsten Sinn des Wortes. Ungebührendes Verhalten in der Schule wurde durch Schreibaufgaben bestraft. Ich weiß nicht mehr, wie viele Seiten ich aus dem Lesebuch abschreiben musste – zur Strafe und zur Besserung, also zu meinem angeblichen Besten. Zugegeben, vielleicht hatte mir die eine oder andere abzuschreibende Seite gebührt, denn es schickt sich einfach nicht, das offene Klassenbuch und damit im selben Zug auch das beige Kostüm der Klassenlehrerin mit Tinte zu versauen, auch wenn es nur eine Mutprobe war. Dies war kein strafmilderndes Argument.

In der Summe waren es jedenfalls einfach zu viele Seiten, die ich zur Strafe schreiben musste, um der körperlichen Untätigkeit des Schreibens heute noch etwas abgewinnen zu können.

Auch jetzt sitze ich vor dem Computer und schlage die Tasten an. Ich tippe, vertippe, korrigiere, tippe … Dabei starre ich ins Flimmern des Bildschirms. Der Schultergürtel verspannt sich allmählich und mein Sitzfleisch geht verloren. Ich bin daher wirklich froh! Ich bin froh darüber, dass mir jemand anderes die Last des Schreibens von meinen schmerzenden Schultern nehmen wird. Jemand, der offenbar nicht durch Schreiben bestraft wurde, sondern der sogar darin aufgeht, und für den das Schreiben mehr bedeutet, als bloß mittels Tastatur in einem Computer schwarze Punkte entstehen zu lassen. Seine Berufung ist die Schreiberei und sein Name Clemens. Eigentlich Clemens G., was sich sehr elegant schreibt, gesprochen dann aber doch etwas protzig und angeberisch klingt. Dies zumindest, sofern man auch den „Punkt“ mit ausspricht: „G-Punkt.“

Clemens hat schon einige erfolgreiche Bücher verfasst. Es sind systemkritische Bücher über die Machenschaften der Lebensmittelkonzerne. Systeme, Machenschaften und die daraus entstehenden Zwänge sind auch Themen in meiner Arbeit. So haben wir uns vor geraumer Zeit gefunden, Zeit miteinander verbracht, miteinander gegessen und getrunken und oftmals im Beisein meiner geliebten Frau über Gott und die Welt, aber zumeist über das Leben an sich geplaudert. Clemens arbeitet gerade an einem neuen Buch und ich bin bald wieder mit meinen satirischen Vorträgen in Österreich unterwegs. So bleibt uns nicht viel Zeit, unsere Gedanken in ein Buch zu packen, zumal uns unser Verleger ja bereits einen Coverentwurf präsentiert und um einen Text für den Buchkatalog gebeten hat.

Wir haben also folgenden schlauen Plan: Clemens baut gerade zwei Videokameras in meinem Garten auf. Sobald das Bild eingerichtet ist, werden wir uns in dieses Bild rücken, die „Mühlen“1 anwerfen und unser Gespräch beginnen. Als Ausgangspunkt dafür haben wir meinen Selbstversuch „Gültige Stimme“, mein seit 2. Januar im Internet veröffentlichtes Videotagebuch, gewählt. Dabei geht es um die Kunst des Weglassens, um meinen persönlichen Rückzug aus unterschiedlichen Systemen. Clemens hat sich in den letzten Tagen etwa hundert Tagebucheinträge angesehen. Armer Clemens, aber er hat es ja selbst so gewollt. Dabei sind für ihn sicher einige Fragen aufgetaucht, die er mir nun stellen wird und ich werde sie so gut wie möglich beantworten und dabei, wie ich mich kenne, vom Hundertsten ins Tausendste kommen. Gut möglich, dass wir sogar übers Motorradfahren reden werden, eines meiner Fachthemen. Ich habe keine Ahnung, wie lange unsere Gespräche dauern werden. Geplant sind vorerst drei Tage. Da werden die Kameras quietschen und ächzen. Unmengen an Gerede werden auf Datenspeichern komprimiert werden.

Falls es uns nach drei Tagen genug erscheint – und ich denke, das wird es – ist damit mein Beitrag zu diesem Buch vorerst geleistet. Danach wird eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter des Verlages (ich weigere mich, „MitarbeiterIn“ zu schreiben, denn die Zeit für den männlichen Mitarbeiter muss alleine schon aus Respekt vorhanden sein) die undankbare Aufgabe erhalten, stundenlanges, undeutliches und dialektlastiges Geplaudere ins Hochdeutsche zu transkribieren. „Nau, do wean sa se dabei fest auscheiß’n“. Die transkribierte Rohfassung wird dann an den „Schreiberling“ Clemens G. Arvay übermittelt werden und dann: Ran an die Tasten, mein lieber Freund! Zusammenfassen, streichen, kopieren, einfügen, verschieben. Kurzum: stundenlanges Geplappere in Buchform bringen. Clemens, Clemens, darum werde ich dich nicht beneiden.

Nach einigen Wochen der Vorfreude wird dann ein dickes Kuvert mit dem Manuskript in meinem Postkasten landen. Das ist dann fast ein wenig wie Weihnachten. Vielleicht noch ein paar kleine Korrekturen und Verbesserungsvorschläge meinerseits und dann ab in die Druckerpresse. So werden heute Bücher gemacht. Vielleicht hatten Sie auch die naive Vorstellung von einem Autor, der monatelang seine Ergüsse unter Schmerzen zu Papier bringt, mit dem Manuskript von Verleger zu Verleger wandert, dabei die Klinken putzt und mit Menschen, die er gar nicht so recht leiden kann, essen geht und auf die Veröffentlichung seines Werkes hofft. Ähnliche Vorstellungen hatte auch ich einmal im Kopf. Aber die Welt dreht sich nun schneller und überholt sich fallweise selbst. Hinten ist plötzlich Vorne. Es kann auch beim Motorradfahren – übrigens ebenfalls „fallweise“ – passieren, dass dich das Hinterrad überholt. Dies endet aber zumeist mit einem Bauchklatscher.

Was ich mir wünsche: „Leb wohl Schlaraffenland“ soll kein Buch über mich werden, sondern über all jene Menschen, die so wie ich auf der Suche nach dem „Guten Leben“ sind und das selbstständige Denken nicht verlernt haben. Ich zähle mich dazu. Die Lust am Schreiben hat man mir in der Schule genommen, die Freude am Sprechen nicht, da ich etwas zu sagen habe. Das Selbstdenken konnte ich mir bewahren. Aber das ist nicht unbedingt eine Frage der Bildung.

Ah, Clemens winkt herüber, die Kameras sind bereit. Möge unsere Übung gelingen!

Und damit ich es nicht vergesse: Ein Vorwort werde ich irgendwann noch schreiben müssen, aber dabei werde ich mich wohl kurz fassen.

Roland Düringer, 5. Juli 2013

Ein kurzes Nachwort als zweites Vorwort zum vorliegenden Buch

Heute ist der 25. September 2013 und die erste Version des Manuskripts zu unserem Buch ist fertig. Krystian vom Verlag war es, also ein „MitarbeiterIn“, der es in kurzer Zeit geschafft hatte, stundenlang gesprochenes, nur bedingt deutschsprachiges Wort aus Videoaufnahmen in Schriftform zu bringen. Wieder jemand, der mich sicher nicht mehr hören und sehen kann. Danke und meine Hochachtung, lieber Krystian.

Und auch meinen Respekt an dich, Clemens. Es ist dir gelungen, Ordnung und Sinn in die folgenden Seiten zu bringen und unser Gespräch lesbar und übersichtlich darzustellen. Ich weiß: Meine Gedanken springen oft schnell, ich rutsche vom Hundertsten ins Tausendste, wiederhole mich manchmal gebetsmühlenartig und schaffe es einfach nicht, das Motorrad aus philosophischen Gesprächen herauszuhalten.

Die Versuchung meinerseits war groß, das vorliegende Manuskript umfangreich zu bearbeiten, etwas hinzuzufügen, weil es mir jetzt beim Lesen noch eingefallen ist, weil es einfach noch gesagt gehört, anderes wieder wegzustreichen, weil es mir entbehrlich erscheint, manche Passagen umzuschreiben, weil man es ja viel besser hätte sagen können. Aber dann wäre es ja nicht mehr das, was es ist: ein schriftliches Dokument unserer Sommergespräche. So habe ich mich auf kleine Korrekturen beschränkt, um möglicherweise Unverständliches klarer zu machen und vom Videoband falsch Transkribiertes zu berichtigen. (Mein Zug fährt eben vom Bahnhof ab und nicht vom Bauernhof, obwohl ich – wie von Krystian sicher richtig gehört – „Baunhof“ sagte.) Denn nur so kann es bleiben, was es ist. Gesprochenes Wort, ohne ein künstliches Netz. Aussagen, die im Moment aus dem Bauch kommen und nicht mehrmals durch den Kopffilter gehetzt worden sind. Und so sollten Sie es auch lesen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen bei uns, still wie ein Mäuschen, und hören Clemens und mir beim Reden zu – fast wie im „richtigen“ Leben, bloß mit einer kleinen Einschränkung: Sie können nicht mitreden. Schade eigentlich, denn wir hätten uns sicher vieles zu sagen!

Roland Düringer, 25. September 2013

Das gute Leben

Clemens G. Arvay: William James, Begründer der modernen wissenschaftlichen Psychologie und einer der einflussreichsten Philosophen der Vereinigten Staaten von Amerika, schrieb bereits 1902: „Glücklich zu werden, glücklich zu bleiben und Glück wiederzugewinnen, ist tatsächlich für fast jeden Menschen das geheime Motiv für alles, was er tut.“ Welche Rolle spielen Glück und Glücklichsein in deinem eigenen Leben und Schaffen?

Roland Düringer: Ich würde es gar nicht Glück nennen, denn das bekommt dann sofort diesen Beigeschmack, als wäre jemand anderer dafür verantwortlich, zumindest manchmal, ein bisschen. Glück kann man zum Beispiel in einer bestimmten Situation haben: „Na, da habe ich aber Glück gehabt!“ Es kann zum Beispiel Glück sein, wenn mir irgendetwas erspart bleibt. Wenn ich mit dem Motorrad fahre und nicht stürze, ist es oft Glück.

Manche erwarten auch von einem anderen Menschen, dass er sie glücklich macht. Das Unpassendste, das man jemandem sagen kann, den man liebt, ist: „Du machst mich glücklich.“ So hängt man ihm eine furchtbare Verantwortung um. Was geschieht, wenn dieser Mensch die Erwartungen nicht mehr erfüllt? Dann beginnt man womöglich, ihn abzulehnen, weil er plötzlich nicht mehr glücklich macht.

Ich bin nicht auf der Suche nach dem Glück, sondern – so, wie vermutlich viele Menschen – nach einem guten Leben. Das Schöne daran ist, dass es für jeden etwas anderes bedeutet, ein gutes Leben zu führen. Daher suchen ja auch nicht alle dasselbe. Gott sei Dank, sonst müsste man ja um das gute Leben kämpfen. (lacht)

Ein gutes Leben ist für mich viel mehr und umfassender als bloß Glück zu haben. Zu einem guten Leben gehört, dass man manchmal mit dem Motorrad auch stürzt. Wenn man das einigermaßen übersteht, kann man daraus sehr viel lernen, weil man dann weiß, wie es ist, zu stürzen. Ein gutes Leben ist für mich daher nicht zwingend ein stets nur glückliches Leben. Ein gutes Leben macht manchmal glücklich, dann auch wieder unglücklich, aber es ist eben dennoch ein gutes Leben. Stetig Unglück zu haben ist natürlich kein gutes Leben.

In diesem Punkt hat sich meine Sichtweise in den letzten Jahren sehr verändert. Die Frage „Was ist ein gutes Leben?“ beantworte ich heute anders als früher. Nachdem ich mich vor mehr als 30 Jahren entschlossen hatte, den Beruf zu ergreifen, den ich heute noch ausübe, war für mich ganz klar, was ein gutes Leben ist: Gut zu leben bedeutete für mich damals, auf der Bühne erfolgreich zu sein, ein applaudierendes Publikum zu haben. Es bedeutete, von vielen Menschen gerne im TV gesehen zu werden oder dass viele Zuseher in die Kinosäle strömten, wenn es einen Film mit mir zu sehen gab. Ich glaubte, in der Presse von Journalisten gelobt zu werden, führe zu einem guten Leben, auf der Straße erkannt zu werden, freundlich begrüßt zu werden. Das waren meine Vorstellungen vom guten Leben, die relativ lange anhielten. In dieser Phase verdiente ich viel Geld – und zwar auf eine sehr einfache Art und Weise, indem ich nämlich schlichtweg das tat, was mir am meisten Spaß machte: schauspielen. Rückblickend kann ich behaupten, dass dies eher „Glück“ war, dass ich also in einer glücklichen Lage war, mit der Tätigkeit Geld zu verdienen, die ich gerne ausübte und die ich auch dann fortgesetzt hätte, wenn ich dafür hätte bezahlen müssen.

Vor dieser Zeit hatte ich tatsächlich bezahlt, um meinen Beruf ausüben zu können. Ich musste nämlich zuerst einem sogenannten „Brotberuf“ nachgehen, um es mir leisten zu können, auf einer Bühne zu stehen und vor einer Handvoll Zusehern das zu sagen, was zu sagen mir wichtig war. Neben dem Schauspiel fuhr ich also mit einem Lieferwagen. Das war das, was ich konnte: Auto fahren. Ich arbeitete im Lager einer Handelsfirma und lieferte 30 Stunden pro Woche kleine Elektronikbauteile aus. Abends spielte ich manchmal Theater. Am Anfang hatten wir mit unserer Kabarettgruppe „Schlabarett“ im Schnitt geschätzte sieben Zuseher, an Wochenenden manchmal fünfzehn, weil wir dann acht Verwandte mit hineinzerrten. Irgendwann bemerkten wir, dass wir, wenn wir sehr sparsam lebten, vom Theaterspielen über die Runden kommen konnten. Dann wagte ich den Schritt und sagte mir selbst: „Ich höre auf zu arbeiten, ich lebe jetzt wirklich von der Kunst, oder besser gesagt von meiner künstlerischen Tätigkeit.“ Das war zur Mitte der Achtzigerjahre.

Dass ich diese Leidenschaft zu meinem Beruf machen konnte, war eben Glück, denn in dieser Situation sind sehr wenige Menschen. Ich glaube sogar, dass für viele durch ihren Arbeitsplatz mehr Leid als Freude entsteht.

Es ist doch wirklich eine unglaubliche Gnade, etwas zu tun, das man sehr gerne tut und worüber man sagt: „Ich will genau das, ich möchte nichts anderes, mir ist es aber völlig egal, wie viel Geld ich damit verdiene. Ich möchte gerade so viel haben, um durchzukommen und überleben zu können.“ Das hätte schon genügt und darin besteht ja im Grunde bereits das gute Leben. Als aber dann ganz plötzlich wirklich irrsinnig viel Geld in meine Kasse floss, weil sich immer mehr Menschen für das, was ich tat, zu interessieren begannen, war mein gutes Leben nicht mehr nur, das zu tun, was ich gerne tat, sondern noch dazu, mir alles kaufen zu können, was ich wollte. Ich fing an, mehr zu kaufen, als ich brauchte, und sogar mehr, als man wollen kann, aus dem einfachen Grund, dass ich die finanziellen Mittel dazu hatte. Irgendwann standen 30 Autos bei mir zu Hause – das geht weit übers Wollen hinaus. Vom Brauchen ganz zu schweigen.

Schon bald bemerkte ich, dass ich, nachdem ich mir irgendein neues Auto gekauft hatte – eine Corvette oder eine Dodge Viper, einen sogenannten „Traumsportwagen“ – letztlich nicht mehr Freude daran hatte als viele Jahre davor, als ich mir ein Paar Turnschuhe gekauft hatte. Das war eigentlich genau das gleiche Glückserlebnis, aber der Überfluss war ein Teil meines Lebens geworden und entsprach dem, was ich damals als gutes Leben empfand. Ich konnte alles haben, was ich wollte.

Irgendwann fing der Überfluss an, mir zu wenig zu sein. Interessanterweise deshalb, weil ich bemerkt hatte, dass ich mich eigentlich sehr mit äußerlichen Dingen beschäftigte, die keine echte Befriedigung darstellten. Ich konnte all das Materielle gar nicht benutzen, weil ich keine Zeit dafür hatte. Ich war ausgelastet durch meine künstlerische Arbeit, die vielen Auftritte – bis zu sechs mal pro Woche – durch das Drehen von Filmen, aber auch durch das Kaufen von Dingen, die ich nicht nutzen konnte, weil mir ja wie gesagt die Zeit dazu fehlte.

Ich begab mich dann erneut auf die Suche. Es war nicht so, dass ich mir dachte „ab jetzt ändere ich mein Leben“, sondern ich stellte mir die Frage, ob meine Vorstellungen vom guten Leben nicht vielleicht Irrtümer gewesen waren – ob es da nicht mehr gab. Inzwischen hat sich für mich herausgestellt, dass weniger mehr ist. Meine Sichtweise eines guten Lebens hat sich bis in die Gegenwart sehr verändert und sie wandelt sich noch immer. Wenn man mir heute, am 5. Juli 2013, die Frage stellt, wie man ein gutes Leben führt, antworte ich:

Ein gutes Leben hat man dann, wenn man an das Leben selbst wenige Ansprüche stellt – oder besser gesagt, nicht ans Leben, sondern an die eigene Lebensgeschichte. Ist es nicht schon ein Denkfehler, zu glauben, dass man ein Leben hat? Ist es nicht vielmehr so, dass wir ein Leben sind? Wenn man also mit wenig sehr gut auskommt, mit wenig zufrieden sein kann, seine Lebensgeschichte nicht über das Haben sondern über das Sein definiert, und daher auch wenig Ungeliebtes tun muss, um eine schöne Lebensgeschichte zu schreiben, dann ist es ein gutes Leben.

Für meine eigene Vergangenheit stimmt diese Definition nicht ganz, da ich ja für den materiellen Überfluss und die Anerkennung nicht viel Ungeliebtes tun musste, außer Zeit zu investieren. Die Leistung selbst, das Schauspielen, ist mir gewissermaßen in den Schoß gefallen. Es liegt mir ganz einfach und es fiel mir immer sehr, sehr leicht. Ich sagte niemals: „Jetzt muss ich mich da reinhängen, das muss noch besser werden. Ich muss und muss und muss …“ Ich tat es einfach, weil ich es konnte. Erst vor ein paar Jahren fing ich an, über Reduktion nachzudenken: „Okay, ich spiele nicht mehr sechsmal pro Woche Theater, sondern nur mehr dreimal. Ich spiele im Sommer gar nicht mehr und drehe in den Sommermonaten keine Filme. Ich verbringe mehr Zeit für mich und mit meiner Familie.“ Bereits das war eine bedeutende Reduktion, da somit von meinen finanziellen Einnahmen ein großer Teil wegfiel. Ich musste zwangsläufig auch das Materielle reduzieren, das wiederum nichts anderes als Luxus war. Wenn man auf Luxus verzichtet, fällt ja nichts weg, was wirklich Einfluss auf das gute Leben hat.

Nachdem mein Weg der Reduktion ein freiwillig gewählter ist, kann man ihn auch gerne als ein Experiment bezeichnen, das ich an mir selbst durchführe.

Das Leben als Experiment

Durch die Unabhängigkeit, die mein Beruf mit sich bringt, habe ich nun das Privileg, mir Zeit nehmen zu können. Ich kann es mir also leisten, Zeit zu investieren, um mit dem Leben an sich zu experimentieren. Und ich habe in meinem Leben tatsächlich schon einige Experimente durchgeführt. Jetzt, während dieses Gesprächs, sitzen wir zum Beispiel in meinem Garten, den ich vor fünf Jahren angelegt habe und der davor einfach eine grüne Wiese war. Ich pachtete diese Fläche von einem lieben Nachbarn, um mir mein eigenes Gemüse anzubauen. Auch das war eine Art Experiment. Ich wollte wissen, wie sich das Leben mit einem Garten und in einem Garten anfühlt.

Warum ich ständig auf der Suche nach solchen Experimenten bin, ist relativ einfach erklärt: Es ist ein beachtlicher Teil meines Berufs, zu experimentieren und Erfahrungen zu machen. Auch außerkörperliche! (lacht)

Wenn man Schauspieler ist, schlüpft man in die Rollen anderer Personen. Dazu muss man Menschen sehr genau beobachten, ihr Verhalten studieren. Man muss aber auch sich selbst beobachten können, seine eigenen Verhaltensmuster erkennen. Erst dann kann man sich selbst ablegen, um in eine Rolle zu schlüpfen.

Ich muss weg sein, damit jemand anderes da sein kann – darin liegt das wirklich Spannende an dem Beruf des Schauspielers.

Was mich schon immer fasziniert hat, ist, dass man in einer Rolle plötzlich Dinge tun kann, die man üblicherweise nicht tun, ja sogar strikt ablehnen würde. Um aber nicht nur eine Maske zu kreieren oder eine flache Karikatur einer Figur darzustellen, sondern stattdessen wirklich in dieses gespielte Wesen hineinzuschlüpfen – oder besser gesagt: dieses Wesen in sich hineinzulassen –, muss man selbst ein Stück zurücktreten.

Ein guter Schauspieler beobachtet andere nicht nur und äfft sie nach, kopiert sie, karikiert sie, sondern versteht, weshalb er in seiner Rolle dieses und jenes tut. Wenn man erkennt, warum eine Figur das tut, was sie tut, wenn man also begreift, was sie antreibt, dann hat man irgendwann die Fähigkeit, dieses Wesen förmlich in sich hineinzulassen.

Ich denke zum Beispiel an meine Rolle als Herr Breitfuß. Dieser war eine Figur, die ich in der TV-Serie „MA 2412“ und im gleichnamigen Kinofilm spielte.

image

Roland Düringer als Engelbert Breitfuß in der satirischen Sitcom „MA 2412“, die in den Jahren 1998 bis 2002 im Auftrag des Österreichischen Rundfunks produziert und ausgestrahlt wurde.

Die Figur des Herrn Breitfuß war sehr, sehr weit von dem entfernt, was ich selbst bin. Um den Charakter authentisch spielen zu können, musste ich diesen fiktiven Menschen dennoch verstehen und genau wissen, weshalb er sich so oder so verhielt und wie er innerlich funktionierte. Seit ich das weiß, kann ich in jeder Lebenssituation Herr Breitfuß sein. Ich muss nur den Schlüssel finden und umdrehen. Herr Breitfuß ist allerdings keine real existierende Person, die ich irgendwann im Leben traf, dieser Charakter entstand aus einer Sammlung vieler Beobachtungen an unterschiedlichen Menschen. Hat man den Schlüssel zur Figur gefunden, muss man sie ausprobieren, am besten im Alltag. Dann gehe ich einkaufen wie Herr Breitfuß. Ich kaufe Dinge, die ich selbst nicht kaufen würde. Was isst Herr Breitfuß? Was schmeckt ihm? Welche Zeitung liest er? Welche Autos sieht er sich auf der Straße an? Worauf legt er seinen Fokus, wenn er die Straße entlanggeht? Ihm fallen bestimmt andere Dinge auf als mir. Wenn ich über die Straße gehe und dort steht irgendwo ein Motorrad, dann sehe ich mir dieses Motorrad an. Er geht wahrscheinlich an dem Motorrad vorbei, weil es für ihn gar nicht wahrnehmbar ist.

Das Entwickeln einer Rolle ist also ein Experiment, das man innerhalb des eigenen Lebens durchführt. Man verändert sich ganz bewusst und geht eine Zeit lang als dieses Wesen durch die Welt. Man kann es jederzeit ab- und dann wieder einschalten. Abschalten, einschalten. Das ist mein Beruf. Ich experimentiere mit dem, was das Leben ausmacht, mit verschiedenen Verhaltensweisen.

Irgendwann dachte ich mir: „Das kann ich doch genauso gut mit mir selbst machen.“ Wenn ich die Fähigkeit besitze, jemand anderen zu erkennen, mich in ihn hineinzuversetzen und seine Verhaltensmuster zu übernehmen, dann kann ich auch meine eigenen Verhaltensmuster ändern, weil ich ja weiß, wie das geht. Ich muss bloß den Schlüssel dazu finden. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir zwar schon mit einer gewissen inneren Programmierung auf die Welt kommen – das kann man jetzt den „Dämon“ nennen, der in uns wohnt, die Seele, den Geist oder das Göttliche, wenn man so will. Ich bin mir aber auch sicher, dass vieles erst durch äußere Einflüsse im Laufe unseres Lebens mit uns geschieht. Das kleine göttliche Lebewesen, das Kind, erkennt sich zunächst nur durch die anderen, also durch Mama und Papa. Erst durch andere erfährt es, was es eigentlich selbst ist, nämlich kein kleiner Gott, sondern vielleicht nur Kevin. (lacht)

Ich glaube daher, dass, wenn ich äußere Rahmenbedingungen verändere, sich zwangsweise mein Verhalten und vielleicht sogar mein Seelenleben verändern. Bei mir war das im Zusammenhang mit dem Garten sogar sehr deutlich der Fall. Frage mich nicht, wie ich auf die Idee eines Gartens gekommen bin. Ich war damals so weit weg von einem Garten wie die meisten Menschen vom Dirigieren eines Symphonieorchesters. Ich hatte keinen Bezug zum Garten, bis ich mir einfach dachte: „Garten? Damit habe ich in meinem Leben noch nie experimentiert.“ Im Falle eines Gartens macht man das natürlich, indem man sich einen anlegt und einfach geradewegs mit dem Gärtnern anfängt. Und das habe ich getan.

Ein Garten ist wie ein lebender Organismus. Mit Gärten zu experimentieren ist vergleichbar mit dem Beobachten von Menschen. In beiden Fällen wollte ich verstehen, wie sie funktionieren. So war also auch mein Garten für mich ein Experiment und er hat einiges in meinem Leben in Bewegung gesetzt.

Leben ist Wandel

Meine Beziehung zur Natur und zum Lebendigen hat sich durchs Gärtnern verändert und mein Verhältnis zur Nahrung wurde regelrecht auf den Kopf gestellt. Auch meine Beziehung zu Menschen wurde durch den Garten bereichert, weil ich plötzlich andere Leute traf und zu schätzen lernte, die mit mir einen gemeinsamen Nenner hatten. Davor hatte ich sehr viel Kontakt mit Menschen, die von sich behaupteten, sie hätten Benzin im Blut. Etwas Dümmeres kann man nicht sagen. Sie hatten wohl eher einen Benzinwurm im Hirn, wie auch ich ihn habe – noch immer. Mein Interesse an Motoren und Maschinen ist ja nicht verschwunden, es ist nur hinter andere Lebensbereiche zurückgetreten.

Plötzlich traf ich aber Menschen, die „einen Garten im Blut“ hatten. Und den haben wir – so meine ich – alle in unseren Adern fließen, schon deshalb, weil es ja die Gärten sind, die uns letztendlich nähren. Das war eine schöne Erfahrung, ein bereicherndes Experiment, weil ich durch den Garten nach und nach zwar kein anderes, aber ein verändertes Leben führte. Eine Veränderung im Leben kann jeder Mensch herbeiführen, bloß versuchen es so manche auf viel aufwendigeren Wegen, nämlich zum Beispiel durch einen Ortswechsel. Das bedeutet: „Ich flüchte vor meinem Leben, ich ziehe in eine andere Stadt, in ein anderes Land, wechsle von der Stadt aufs Land, verlasse meine Familie, suche eine neue Familie, suche ein anderes Leben.“

Als viel schöner empfinde ich es, wenn das Leben bleibt, wie es ist, und man ganz bewusst die Dinge verändert, die man gerne verändern möchte. Ich habe das durch das Anlegen eines Gartens erreicht. Sicher, es hätte auch anders kommen können, und das Gärtnern hätte mir nach einem halben Jahr furchtbar auf die Nerven gehen können. Ich hätte zu dem Schluss kommen können, dass ich zum Beispiel zu ungeduldig für einen Garten bin, weil ich gewohnt war, mechanisch zu denken und zu agieren. Baue ich einen Motor zusammen, so „wächst“ er vor mir genau so, wie ich ihn zusammenschraube. Aber so läuft das beim Gärtnern eben nicht.

Würde ich mit der Herangehensweise des Mechanikers meinen Garten bewirtschaften, so würde das nicht klappen. „Ich setze meine Tomatenpflanze jetzt ein und punktgenau am Tag X muss dann die erste Frucht reif sein.“ Würde ich es nicht ertragen, wenn es nicht genau so kommt, wie ich es berechnet habe, dann würde ich mit meinem Garten furchtbar unglücklich werden. Wenn man sich aber auf den Garten und die Pflanzen einlässt, kann man sehr viel daraus lernen. Denn: „Es ist nicht entscheidend, was Sie aus Ihrem Garten machen, sondern entscheidend ist, was Ihr Garten aus Ihnen macht.“ Dieser Satz war in der TV-Serie „Der Wilde Gärtner“ in jeder Episode unser Schlusssatz.

Nachdem der Garten nun Teil meiner Lebensgeschichte war, dachte ich bei mir: „Das war ein so schönes Erlebnis, eine so gute Erfahrung für mich, die möchte ich anderen Menschen weitergeben.“ Vielleicht gibt es da draußen viele Menschen, die sich nicht vorstellen können, dass ein Garten irgendetwas kann, sondern Gärten eher mit Spießertum, mit Schrebergärten, mit „alten Leuten“ in Verbindung bringen oder einfach meinen, Gärtnern sei konservativ und keiner würde das heute mehr brauchen. Ich wollte diesen Menschen zeigen, dass ein Garten eigentlich viel mehr zu bieten hat. So entstand die TV-Serie „Der Wilde Gärtner“. Zu dieser Zeit war mein Garten für mich bereits Normalität, also kein Experiment mehr. Irgendwann muss ein Experiment schließlich aufhören, ein Experiment zu sein. Entweder, indem man es beendet und sagt: „Okay, ich habe mir das angesehen, jetzt lasse ich es bleiben“, oder aber das Experiment wird zu einem Teil des eigenen Lebens.

image

Für Roland Düringer ist der Garten ein Teil seines Lebens geworden.

Das Leben in meinem Garten wurde zu meinem Leben und es lebt sich gut darin – auch wenn man sich manchmal ärgert oder wenn man unglücklich ist. Dieses Jahr, 2013, erlebe ich eine Saison, in der ich mit dem Garten eigentlich unglücklich bin, weil ich mich in diesem jahr erstmals wirklich außerordentlich bemüht habe, weit mehr als sonst – das ist wahrscheinlich der Fehler, weil ich dadurch Erwartungen hatte – und jetzt spielt das Wetter nicht mit2. So bemüht wie in diesem Jahr war ich um meinen Garten zum letzten mal im ersten Jahr, in dem ich mit dem Gärtnern anfing. Zu Hause, auf der Fensterbank, steckte ich Samen in die Erde, um die Jungpflanzen selbst großzuziehen. Ich legte ein Gartentagebuch an, in dem ich dokumentierte, wann ich welche Pflanzen einsetzte. Ich engagierte mich dieses Jahr wirklich sehr in meinem Garten.

Im Frühjahr gingen dann einige Pflanzen aufgrund der plötzlichen Kälte zugrunde – als dieser starke Regen kam und in den Tälern entlang von Flussläufen Überschwemmungen brachte. Durch das nasse Wetter vermehrten sich die Nacktschnecken und diese fressen mir gerade so ziemlich alles aus meinem Garten weg. Von meinen Kürbispflanzen ist fast nichts mehr übrig, ich habe aber noch ein paar in Reserve, die ich einpflanzen werde. Für einen Berufsgärtner wäre das alles ein Misserfolg. Ich ging in letzter Zeit, als es so oft regnete, beinahe jede Nacht zweimal mit einer Stirnlampe durch den Garten, um Schnecken aus meinen Beeten aufzusammeln. Das macht unglücklich, erscheint mir sinnlos, denn am nächsten Tag sind ohnehin wieder Schnecken da. Dennoch ist dieses „Unglück“ Teil eines guten Lebens.

Ich sehe den Sinn meiner Berufung darin, über Dinge zu sprechen, die mich gerade selbst bewegen und die ich durchs Tun verinnerlicht habe. So werden die Worte glaubwürdig und die Geschichten werden in Form von Bildern im Kopf nachlebbar.

Am besten spricht man über Autos, wenn man sich mit Autos auskennt, redet über das Häuserbauen, wenn man die Baumaterialien kennt und weiß, wie man es macht – wenn man die Höhen und Tiefen des Hausbaus selbst erlebt hat. Das ist, so glaube ich, das Allerwichtigste, wenn man etwas zu sagen hat, und ich bin – zum Glück ein Mensch, der immer etwas zu sagen hatte, auch schon in der Schule. Ich meine damit nicht, dass ich das Sagen hatte. Etwas zu sagen zu haben bedeutet auch, etwas zu fragen zu haben. Ich sprach zwar nicht viel, nicht pausenlos, wenn ich aber den Mund aufmachte, war es mir wichtig. Ich hielt zum Beispiel im Deutschunterricht sehr gerne Referate, was andere Schüler gar nicht gerne taten. Das war auch der Grund, weshalb ich auf die Bühne ging: Weil ich etwas zu sagen hatte, was ich mir von der Seele reden wollte; weil ich Menschen beobachtete und mich fragte: „Warum funktionieren sie so oder so?“ Mir kamen viele Verhaltensmuster von Menschen schon immer ein wenig seltsam vor. Oft verstand ich das Verhalten nicht oder sah überhaupt keinen Sinn dahinter, außer dass es der Anpassung an die Erwartungen der Gesellschaft diente. Auf der Bühne darüber zu sprechen war mir ein Anliegen und ich wollte Menschen, die ich nicht verstand, spielen, um denen, die im Publikum saßen, eine Art Spiegel vorzuhalten.