Das Archiv der schwarzen Särge

 

 

 

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Band 1

 

Das Archiv der schwarzen Särge

 

von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2013

© "Der Henker"

by Uwe Voehl

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: story2go | Die eBook-Manufaktur

 

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Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

Prolog

 

Paris, Sommer 1793

Das ewig scharfe Beil der Guillotine hatte gerade den Kopf des zum Tode Verurteilten vom Körper getrennt, als sich ein Aufschrei fortpflanzte: »Marat ist tot! Marat ist tot!«

Von irgendwoher wurde dieser Ruf zögernd, fragend, voller Zweifel aufgenommen, weitergetragen und entlud sich schließlich in einem einzigen großen Jubel.

Marat war tot! Marat, den sie alle hassten, den die Revolution an die Macht gespült hatte, und der für das Volk gleich neben Robespierre Verantwortlicher war für die Schreckensherrschaft der Jakobiner. Seit die Jakobiner die Girondisten aus dem Konvent vertrieben hatten, herrschten Angst und Panik im Volk. Wer sich dem Willen der Jakobiner widersetzte, wurde hingerichtet. Überall lauerten die Spitzel. Ein unvorsichtiges Wort genügte, und die Schergen Robespierres und Marats nahmen der Mutter den Sohn, der Frau den Mann, den Kindern die Eltern ...

Tag für Tag wiederholte sich überall im Lande, besonders aber in Paris, das schreckliche Schauspiel der Hinrichtungen. Die Karren der Henker fuhren stets gefüllt von den Gefängnissen zu den öffentlichen Guillotinen, und die Henker kamen kaum mehr dazu, ihre Hände vom Blut zu reinigen.

Und Marat, einer der Verantwortlichen für das Grauen, sollte nun tot sein? Marat, der das Volk so liebte und den Menschen, das Individuum, derart hasste. Marat, der wahnsinnige Demagoge, der tödliche Narr, war tot?

Victor La Fayette, der Henker, horchte auf, als er den Ruf der Menge vernahm. Gewiss, auch er galt als einer der Schergen Marats, doch niemand dort unten im Volk ahnte, wer er wirklich war und wie er wirklich dachte. Sein Herz war bei ihnen, und unter seiner schwarzen Maske lächelte er zuversichtlich.

»Wie sollen wir uns verhalten?«, fragte einer der Soldaten La Fayette. »Wenn Marat tatsächlich tot ist, können wir doch hier nicht weitermachen. Das Volk wird mit jeder Minute wütender.«

»Ja, sehen wir zu, dass wir hier wegkommen«, bekräftigte ein zweiter Soldat.

»Geht schon«, sagte La Fayette. »Geht und bringt euch in Sicherheit.«

»Und Ihr? Kommt Ihr nicht mit?«

La Fayette antwortete nicht. Längst weilte sein Geist bei der Menge ihm zu Füßen. Er nahm teil an ihrer Freude. Nicht viel hätte gefehlt, und er hätte sich die schwarze Maske vom Kopf gerissen und seine wahre Gesinnung gezeigt.

Mochten sie flüchten, die Soldaten, hieß dies doch, dass die Verurteilten, die noch im Karren auf ihren Tod harrten, davonkämen. Die wenigen Soldaten hatten angesichts des aufgestachelten Volkes nur noch ihre eigene Sicherheit im Sinn, nicht mehr ihre Pflicht. Die Gefangenen jubelten, als sie sahen, dass die Schergen Robespierres sich davonschlichen, und auch in die Menge unten kam Bewegung.

Mit wenigen Schritten war La Fayette bei den Gefangenen und löste die Ketten.

»Seid Ihr Jakobiner?«, fragte ihn ein rothaariges Mädchen, das ihm die gefesselten Hände entgegenstreckte.

»Ich bin's genau wie Ihr!«, antwortete La Fayette.

»Aber warum richtet Ihr Eure eigenen Leute hin?«

Bevor Victor antworten konnte, verspürte er einen scharfen Schmerz am Hinterkopf, und er fiel in ein tiefes Dunkel.

 

 

1. Kapitel

 

Ich schrie auf.

Und erst der Schrei schreckte mich aus dem Schlaf und befreite mich von dem seltsamen Traum.

Die ältere Dame, die mit mir das Zugabteil teilte, beugte sich besorgt vor. »Kann ich Ihnen helfen, junger Mann?«

»Danke, ich habe wohl nur schlecht geträumt.«

Der Zug hielt an, und erstaunt sah ich, dass wir Münchsburg erreicht hatten. Ich schnappte mir meinen Koffer.

»Auf Wiedersehen«, rief mir die alte Dame nach.

»Auf Wiedersehen!«

Gerade noch rechtzeitig sprang ich aus dem Zug, denn im nächsten Augenblick fuhr er schon wieder an. Ich war der einzige Reisende, der in Münchsburg ausgestiegen war. Was ich sah, war ein verschlafen wirkender Dorfbahnhof, menschenleer und irgendwie deprimierend.

»Michael Berger?«

Ich fuhr herum, als ich meinen Namen vernahm, und schaute in ein hübsches, junges Gesicht, von roten Locken umrahmt und lächelnd.

»Der bin ich. Jetzt sagen Sie nicht, dass Sie gekommen sind, um mich abzuholen!«

»Sie haben es erraten. Leider geht es Ihrem Onkel nicht so gut, als dass er Sie selbst hätte abholen können ...«

»Oh, ich bin durchaus zufrieden. Hauptsache, ich lasse diesen tristen Bahnhof hinter mir zurück.«

Fünf Minuten später hatten wir meinen Koffer in ihrem Wagen verstaut und fuhren über staubige Landstraßen auf das Dorf zu.

»Ich hoffe, es geht ihm nicht zu schlecht?«

»Ihrem Onkel? Nun ja, Maximilian ist schon recht alt ...«

»Ich frage mich, warum er mich eingeladen hat. Soweit ich ihn in Erinnerung habe, ist er ein ziemlich egozentrischer Eigenbrötler. Deshalb wundere ich mich auch, dass Sie ...«

»Ich führe ihm den Haushalt und bin eine Art Sekretärin für ihn.«

Wir fuhren durch die kleine Hauptstraße von Münchsburg. Links und rechts erhoben sich steile, verwinkelte Fachwerkhäuser, unterbrochen von winzigen Quergassen.

»Hier sieht's doch schon gemütlicher aus«, meinte ich und dachte an den deprimierenden Bahnhof außerhalb des Dorfes. Doch insgeheim dachte ich: Wie kann man nur in dieser Abgeschiedenheit hausen? Wobei mir die Einsamkeit nichts ausmachte. Eher war es die morbide Atmosphäre dieses Fleckens am Ende der Welt. Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit hier vor dreißig Jahren stehen geblieben war.

Wenig später hielten wir vor dem Haus meines Onkels. Es stand am Ende der Hauptstraße, sah noch verwinkelter und düsterer aus als die anderen.

»Man erwartet uns schon.«

Die Tür des Hauses hatte sich geöffnet, und ein stämmiger, finster wirkender Mann trat heraus.

»Ludger!«, entfuhr es mir. Ich blickte auf meine Begleiterin. »Hätten Sie mir nicht sagen können, dass man ihn auch eingeladen hat?«

»Wären Sie dann nicht gekommen?«

Wäre ich gekommen? Wenn Sabine, meine Schwester, da war, sicherlich. Ludger war ihr Mann, mein Schwager, und nie hatte ich verstanden, warum sie ausgerechnet diesen Menschen hatte heiraten können. Ludger Meier war brutal und skrupellos, und nach der Heirat mochte auch meine Schwester das gespürt haben, aber da hatte sie schon nicht mehr die Kraft gehabt, sich von ihm loszusagen. Vier Jahre waren sie nun schon verheiratet, und seit fast einem Jahr hatte ich sie nicht mehr gesehen.

Ludger reichte mir die Hand, die ich widerwillig drückte.

»Wir haben uns lange nicht mehr gesehen«, stellte er fest und musterte mich abschätzend.

»Mag sein, Ludger.« Zu mehr konnte ich mich nicht aufraffen.

Meine Begleiterin hatte den Koffer bereits herausgeholt. Ludger trat zu ihr. »Lassen Sie mich den Koffer tragen, Kleines.« Er nahm ihn und ging voran zum Haus.

»Sie gefallen ihm«, stellte ich fest.

Sie antwortete nicht, aber auf ihrem Gesicht vermochte ich Ekel zu entdecken. Und Besorgnis. Ja, Sorge konnte eine Frau wohl haben, wenn Ludger ein Auge auf sie geworfen hatte.

Wir folgten Ludger ins Haus.

»Wo ist Sabine?«, fragte ich.

»Sie sind alle im Wohnzimmer und warten nur auf dich.«

»Wer ist denn noch da?«, fragte ich überrascht.

»Die Schwester von dem Alten und ihr Sohn«, sagte Ludger.

»Frank?«

Damit war die Verwandtschaft komplett anwesend. Irgendetwas Wichtiges musste wohl vorgefallen sein oder besprochen werden. Meine Begleiterin hatte davon geredet, dass es meinem Onkel nicht gut gehe. Ob es so schlecht um ihn stand, dass er alle noch einmal sehen wollte?

Ich fragte Ludger danach.

»Es geht wohl zu Ende mit ihm. Hoffentlich rückt der Alte etwas raus!«

Ich erwiderte nichts, dafür war mir Ludgers direkte Art zu widerlich.

»Ich nehme an, dass Sie sich frisch machen wollen«, sagte das Mädchen. »Ich zeige Ihnen erst einmal Ihr Zimmer.«

»Einverstanden.«

»Und ich kündige dich schon mal an«, sagte Ludger.

Ich nahm den Koffer von ihm entgegen und folgte meiner Begleiterin. Sie ging eine Treppe hinauf.

»Ich weiß noch immer nicht Ihren Namen.«

»Silvia.«

»Nur Silvia?«

»Nur Silvia.«

Das Zimmer war klein und die Einrichtung karg.

»Es ist das einzige, das noch frei ist. Ihre Verwandten haben sich die besten schon ausgesucht.«

»Die paar Tage hier werde ich schon überleben, und nun entschuldigen Sie mich bitte.«

»Bis nachher«, sagte sie und ließ mich allein in der Enge des Raumes. Das Zimmer roch nach alten Tapeten und ungelüfteten Matratzen. Unterschwellig nahm ich einen weiteren Geruch wahr. Ich konnte ihn nicht definieren, aber genau wie die triste Atmosphäre des Ortes auf mein Gemüt geschlagen hatte, so drückte er meine Laune noch mehr. Ich trat ans Fenster, öffnete es weit und ließ frische Luft herein. Unter mir schlängelte sich eine der verwinkelten, kopfsteingepflasterten Gassen, die mir schon bei meiner Ankunft gefallen hatten.

Ich wusch mich, zog mir frische Kleider an und ging schließlich hinunter ins Wohnzimmer.

Dort saßen sie alle: Ludger und neben ihm Sabine, meine Schwester. Ich war zutiefst beunruhigt, als ich in ihr Gesicht sah, das kaum mehr wiederzuerkennen war. Früher war es voll und schön gewesen, doch nun waren die Wangen eingefallen und die Augen tief umschattet; der einst geschwungene Mund war nur noch ein Strich in einem bleichen Oval.

Als Sabine mich erblickte, erhob sie sich und lief auf mich zu. »Michael!«, rief sie und warf sich mir in die Arme. Ein Hauch der alten geschwisterlichen Vertrautheit war wieder zu spüren, und ich war froh darüber.

»Warum hast du nicht mehr geschrieben?«, fragte ich sie.

Sie antwortete nicht und hielt mich nur noch fester.

Ich löste mich schließlich von ihr, um auch die anderen zu begrüßen. Erna, meine Tante, und ihren Sohn Frank, der kaum älter war als ich, und schließlich meinen Onkel. Die Hand, die er mir reichte, war knöchern und kraftlos. Er saß, mit einem Hausmantel bekleidet, eingesunken in einem tiefen Sessel. Unsere Begrüßung war distanziert, schließlich waren wir uns seit Jahrzehnten nicht mehr begegnet.

Er hielt sich für das Oberhaupt unserer kleinen Familie, hatte sich jedoch nie um einen engeren Kontakt zwischen uns bemüht. In seiner Jugend war er einige Male bei meinen damals noch lebenden Eltern zu Gast gewesen, ansonsten kannte ich ihn nur aus ihren Erzählungen. Ich wusste, dass er vermögend war, viel mehr nicht.

»Nun können wir also endlich beginnen«, sagte Erna, seine jüngere Schwester. Es klang tadelnd.

»Womit können wir beginnen?«, fragte ich. »Warum sind wir überhaupt eingeladen worden?« Es war sonst nicht meine Art, meinen Unwillen derart deutlich zu zeigen. Aber seitdem ich angekommen war, fragte ich mich immer mehr, was ich hier eigentlich zu suchen hatte. Ich fühlte mich wie ein Fremder.

»Ich werde euch gleich aufklären«, sagte mein Onkel. »Silvia, schenkst du uns zuvor etwas ein?«

Sie fragte nach unseren Wünschen und begab sich an die kleine Bar.

»Ich nehme an«, begann mein Onkel schließlich, »dass ihr alle überrascht wart, von mir eine Einladung zu bekommen. Schließlich habe ich schon lange nichts mehr von mir hören lassen. Wie ihr seht, geht es mit meiner Gesundheit bergab. Deshalb habe ich euch hierherkommen lassen, denn ich werde wohl nur noch einige Wochen zu leben haben ...

Wir ihr wisst, bin ich nicht unvermögend, und ich beabsichtige, mich in den nächsten Tagen zu entscheiden, wem von euch ich meinen Besitz überschreiben werde.«

»Findest du diese Vorgehensweise nicht ein wenig erniedrigend für einige von uns?«, fragte ich. Was mich anging, so legte ich weder Wert auf die alte Bruchbude, in der er hauste, noch konnte ich mir vorstellen, sonst etwas von ihm besitzen zu wollen. Zu sehr hing der Odem des Verfalls an ihm und all den Dingen, mit denen er sich umgab.

»Ich habe nicht gesagt, dass ich von euch mehr Anteilnahme erwarte als in den ganzen letzten Jahren, damit das klar ist. Ich verlange sogar, dass sich niemand außer Silvia um mich zu kümmern hat.«

»Aber wo wir doch jetzt schon einmal da sind ...«, sagte Erna. Es klang genauso falsch, wie es ihre Zähne waren, die viel zu groß und gleichmäßig wirkten, als dass sie echt sein konnten.

»Betrachtet die nächsten Tage als Urlaub, als nichts mehr. Und dir, Michael, muss ich sagen: Ich werde die Entscheidung nicht allein zu treffen haben, wer die Erbschaft antreten wird.«

»Aber warum denn nicht?« Erna schien sich schon jetzt Gedanken darüber zu machen, wie sie es anstellte, damit man sie und ihren Sohn auswählte. »Wer sollte uns denn besser kennen? Wen willst du noch befragen? Etwa ...« Empörung war in ihrem Blick zu lesen, als sie zu Silvia hinüberschaute, die noch immer mit der Zubereitung der Getränke beschäftigt war.

»Diese Sache geht euch nichts an. Noch nicht. Geduldet euch etwas.« Ich hatte das Gefühl, dass es dem alten Fuchs insgeheim eine diebische Freude bereitete, einige von uns auf die Folter zu spannen.

Auf Ludgers Gesicht lag ein schmieriges Grinsen, und auch er schaute Silvia an. Offenbar hatte er den gleichen Gedanken wie meine Tante.

»Und nun entschuldigt mich bitte. Falls ihr noch Fragen habt, wendet euch an Silvia.«

Er erhob sich mühsam aus dem Sessel und begab sich schwerfällig zur Tür.

»Eine Unverschämtheit, wie er uns behandelt«, sagte Frank. »Als ob wir nicht ein Recht hätten, Genaueres zu erfahren.«

Silvia kam mit den Getränken und setzte sich zu uns.

»Wie viel hat er denn zu bieten?«, fragte Ludger sie.

»Für Sie dürfte es zu viel sein.«

»Nun werden nicht auch noch Sie unverschämt!«, sagte Frank. »Schließlich sind Sie ja nur seine – nun ja ...«

»Frank! Ich muss mich für meinen Sohn entschuldigen, Fräulein Silvia.«

Bereits jetzt begann mir die ganze Angelegenheit auf die Nerven zu gehen. Ich war wirklich nicht auf eine Erbschaft angewiesen, denn ich wusste, dass ich auch ganz gut weiterhin mit meinem Einkommen, das ich als Grafiker verdiente, auskam. Mehr denn je erwuchs in mir der Wunsch, den nächsten Zug zu nehmen, aber allein wegen meiner Schwester wollte ich bleiben. Ich brauchte mir das Gerede der anderen ja nicht anzuhören. So stand ich auf und fragte Sabine, ob ich sie einen Moment allein sprechen könne. Doch statt ihrer antwortete Ludger: »Aber warum denn diese Geheimniskrämerei? Wir können doch alles offen und gemeinsam besprechen!«

»Das geht dich überhaupt nichts an. Kommst du mit, Sabine?«

Sie schaute mich unendlich traurig an und schüttelte den Kopf. »Wenn – wenn – Ludger es nicht möchte ...«

»Nein, ich möchte es nicht!« Er grinste höhnisch.

»Aber du wirst doch noch selbst entscheiden können!«, beschwor ich ungläubig meine Schwester.

Wieder schüttelte sie den Kopf, und in ihren Augen stand die Qual einer langen Knechtschaft. Ich wollte sie vor den anderen nicht noch weiter bloßstellen, und so verzichtete ich auf eine Kraftprobe mit Ludger. Wortlos verließ ich den Raum und zog mich auf mein Zimmer zurück.

Es ging bereits auf den Abend zu, und da die lange Zugreise einiges an Nerven gekostet hatte, beschloss ich, mich früh schlafen zu legen. Vielleicht würde es mir am nächsten Tag gelingen, Sabine allein zu sprechen. Ich machte mir um sie ernsthaft Sorgen.

 

Es war mitten in der Nacht, als ich von einem Geräusch erwachte. Im Zimmer lag Dunkelheit, trotz des Vollmonds, der jedoch längst weitergewandert war. So vermochte ich fast nichts zu erkennen, nur einen Schatten, der sich in der Türöffnung zeigte. Und der sich meinem Bett näherte ...

Als er mich fast erreicht hatte, fuhr ich auf und knipste mit einem Griff die Nachttischlampe an.

Der Eindringling war Sabine.

»Was willst du denn mitten in der Nacht?«, fragte ich überrascht. »Und warum schleichst du wie eine Diebin herein?«

Meine allzu heftige Reaktion erschreckte sie. »Es ist wegen Ludger. Er darf nicht wissen, dass ich bei dir bin.«

»Ich bin froh, dass du gekommen bist. Was ist zwischen dir und Ludger eigentlich passiert?«

Sie schluchzte auf. »Er ist ein Ungeheuer.«

»Das habe ich dir schon vor eurer Ehe gesagt.«

»Nein, Michael, ich meine es wörtlich. Er ist ein echtes Ungeheuer, er ist – ein – Werwolf !«

Sie musste wahnsinnig geworden sein. Ohne Zweifel meinte sie es ernst. Mein Mitleid für sie vergrößerte sich. »Was hat er dir getan?«

»Er schlägt mich, quält mich. Es, es ist schrecklich.« Sie schlug die Hände vor das Gesicht, und ich legte tröstend den Arm um sie.

»Ich werde dafür sorgen, dass er dich in Ruhe lässt. Wenn du willst, fahren wir gleich morgen los und nehmen uns einen Anwalt für dich, damit du dich scheiden lassen kannst.«

»Ludger wird uns umbringen.«

»Soll er's doch versuchen.«

»Ludger ist ein Werwolf, Michael, das musst du mir glauben!«

»Ich glaube dir ja«, beruhigte ich sie.

»Du glaubst mir nicht! Du denkst, dass ich verrückt bin, nicht wahr?«

»Vielleicht bist du ein wenig überreizt.«