Die Drei Fragezeichen
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Die Villa der Toten

erzählt von André Marx

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur.

ISBN 978-3-440-14197-7

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

In glühender Hitze

Der Totenkopf starrte Justus Jonas aus leeren Augenhöhlen an. Sein bleiches Grinsen schien ihn zu verhöhnen. Justus streckte die Hand nach dem Kopf aus. Als er ihn hochhob, klappte der Unterkiefer nach unten und verwandelte das Grinsen in ein dämonisches Lachen. Justus pustete den Staub vom Schädelknochen und blickte stirnrunzelnd in das tote Gesicht.

»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.«

»Oh Mann, Justus, so werden wir nie fertig!«, beschwerte sich Peter hinter ihm. Der Zweite im Bunde ihres Detektivtrios war gerade damit beschäftigt, eine alte Schreibmaschine auf ihre Funktionstüchtigkeit zu überprüfen. Die drei Detektive hatten beschlossen, ihre Zentrale mal ordentlich auszumisten, die vor lauter Gerümpel bald aus allen Nähten platzte. Die Zentrale, das war ihr Detektiv-Hauptquartier in einem alten Campinganhänger, der auf dem Gelände des Gebrauchtwarenhandels Titus Jonas stand. Mit all dem Krempel, der sich im Laufe der Jahre angesammelt hatte, wollten sie ein paar Dollar bei Justus’ Onkel Titus verdienen. Nun hockten sie in dem dunklen, staubigen Chaos zwischen Kisten und Kartons und inspizierten ihre Schätze. Doch je mehr sie wühlten, desto langsamer kamen sie voran. Denn bei jedem Objekt, das sie zutage förderten, wurde ausgiebig darüber diskutiert, ob es nun Trödel war oder ein wertvolles Erinnerungsstück. Und Justus ließ es sich nicht nehmen, alles mit seiner ihm eigenen, hochgestochenen Ausdrucksweise zu kommentieren. Was Peter mächtig auf die Nerven ging. »Wenn du bei allem, was du findest, erst eine halbe Stunde lang Goethe rezitierst, sind wir nächstes Jahr noch nicht fertig mit dem Ausmisten.«

Justus wandte seinen Blick nicht von dem Totenschädel und fuhr mit theatralischer Stimme fort: »Ob’s edler im Gemüt, die Pfeil’ und Schleudern des wütenden Geschicks erdulden, oder, sich waffnend gegen eine See von Plagen, durch Widerstand sie enden. Und übrigens, Peter, ist das nicht Goethe, sondern Shakespeare. Hamlet, um genau zu sein.«

Bob Andrews, der das Geplänkel seiner Freunde bisher ignoriert hatte, weil er gerade mit dem Reinigen alter Bilderrahmen beschäftigt war, drehte sich nun um. »Sokrates!«

»Was denn nun?«, fragte Peter. »Goethe, Shakespeare, Hamlet oder Sokrates?«

»Doch nicht das Zitat, Peter. Ich meine den Schädel! Das ist Sokrates, der sprechende Totenkopf, den wir vom Zauberer Gulliver geschenkt bekommen haben! Meine Güte, den hatte ich ganz vergessen. Just, den kannst du unmöglich verkaufen, der muss in der Zentrale bleiben!«

»Dem stimme ich uneingeschränkt zu, Bob. Sokrates kommt später mal in ein drei ???-Museum.« Er fing an zu kichern. »Wisst ihr noch, wie Tante Mathilda damals fast einen Herzinfarkt bekommen hätte, als Sokrates ›Buh‹ zu ihr sagte?«

Bob lachte auch. »Das war echt zum Brüllen!«

»Apropos Tante Mathilda«, sagte Peter, während er besorgt aus dem Fenster sah. »Sie kommt gerade im Stechschritt auf die Zentrale zu. Kollegen, ich habe kein gutes Gefühl.«

Wenige Augenblicke später klopfte es energisch an der Tür. »Herein!«, sagte Justus.

Mathilda Jonas betrat das Hauptquartier der drei Detektive und blickte zornig von Bob zu Peter zu Justus – zu Sokrates.

»Buh!«, machte Justus und ließ den Unterkiefer des Totenschädels aufklappen.

Seine Tante stieß einen kurzen Schrei aus und zuckte zurück. »Justus Jonas! Was fällt dir ein, deine arme Tante so zu erschrecken! Noch dazu, wo ihr doch wirklich Dringenderes zu tun habt! Was ist los mit euch, warum seid ihr noch nicht bei der Arbeit?«

»Was denn für eine Arbeit?«, fragte Justus verblüfft und stellte Sokrates auf den Schreibtisch.

»Was für eine Arbeit! Ihr solltet doch das Bürohäuschen neu streichen!«

»Heute?«

»Ja, natürlich heute. Was glaubst du, wovon ich die ganze Woche geredet habe?«

»Du sprachst von Sonntag. Ich dachte, du meintest nächsten Sonntag.«

»Mitnichten, Justus Jonas, ich meinte diesen Sonntag. Kommt schon, Jungs, ich brauche eure Hilfe wirklich dringend. Wenn wir das dieses Wochenende nicht hinkriegen, dann dauert es wieder Monate.«

»Muss das sein?«, stöhnte Peter.

»Ja«, sagte Mathilda Jonas bestimmt. »Es muss.«

Das Dach des Bürohäuschens war völlig verdreckt. Vertrocknetes Laub und der Staub vieler Jahre hatten sich mit Regenwasser vermischt und waren durch die brennende Sonne zu einer graubraunen Kruste erstarrt, die sich kaum von der Stahlbürste beeindrucken ließ. Peter krabbelte auf allen vieren über die Dreckschicht und schrubbte mal hier, mal dort, doch immer mit dem gleichen Ergebnis: Der Dreck ging einfach nicht ab. Und ohne eine saubere Oberfläche gab es auch keine neue Farbe.

Frustriert kniete er sich hin, schirmte die Augen gegen die Sonne ab und blickte zur Zentrale hinüber. Sie war genauso dreckig wie das Haus, auf dem Peter gerade herumkroch. Trotzdem wären er oder seine Freunde nie im Leben auf den Gedanken gekommen, ihr einen neuen Anstrich zu verpassen. Warum lag Tante Mathilda nur so viel daran, dass das Büro in einem neuen Glanz erstrahlte?

»Wird’s bald da oben!«, rief Justus von unten herauf. »Ich höre dich gar nicht mehr schrubben!«

»Wir können gerne tauschen, Just! Der Dreck denkt gar nicht daran, zu verschwinden. Ich wette, der ist irgendwie festgeklebt. Auf diesem Dach klebt der gesamte Smog von Los Angeles der letzten zwei Jahre!«

»Glaubst du, hier unten sieht es besser aus?«, warf Bob ein.

»Jungs, wenn ihr weiter über euer schweres Los jammert anstatt zu arbeiten, werdet ihr nie fertig!«

Peter drehte sich um. Mathilda Jonas war hinter ihnen aufgetaucht. Ein amüsiertes Lächeln lag auf ihrem Gesicht. In ihren Händen trug sie ein Tablett mit drei riesigen Gläsern Orangensaft und einer gefüllten Karaffe. Sie stellte es auf einen abgewetzten Stuhl in der Nähe. »Ich will ja nicht, dass meine fleißigen Handwerker verdursten.«

»Und was ist mit dem Kirschkuchen?«, fragte Justus hoffnungsvoll, obwohl er erst vor zwei Stunden gefrühstückt hatte.

»Den gibt es, wenn ihr fertig seid – zur Belohnung.«

»Kollegen, wir sollten ein paar Gänge höher schalten!« Justus tauchte seinen Stahlschwamm in das Wasser und legte wieder los.

Auch Bob und Peter machten weiter. Es half ja nichts – je eher sie fertig wurden, desto schneller konnten sie sich wieder anderen Dingen widmen. Sie schrubbten, was das Zeug hielt. Die Sonne stieg höher und höher am strahlend blauen, wolkenlosen Himmel und Peter stand der Schweiß auf der Stirn. Der Orangensaft war längst ausgetrunken und der Zweite Detektiv träumte nur noch davon, nach getaner Arbeit an den Strand zu fahren und in die eiskalten Fluten des Pazifiks zu springen. Bob hingegen wünschte sich nichts sehnlicher, als bei einem riesigen Eisbecher unter einem Sonnenschirm an der Strandpromenade zu sitzen und den Leuten beim Flanieren zuzusehen. Und Justus gab sich voll und ganz dem Gedanken hin, sich nach dem letzten Pinselstrich in den Schatten fallen zu lassen und die komplette Kirschtorte allein zu verputzen.

Der Tag war endlos, die Hitze unerträglich. Doch schließlich, am späten Nachmittag, erstrahlte das Holzhaus in blendendem Weiß. Peter betrachtete das vollendete Werk aus angemessener Entfernung, danach sah er an sich hinunter. Sein ehemals weißes T-Shirt war nur noch ein grau-brauner, schweißnasser Lumpen. Er blickte zu Bob und Justus hinüber. Bob sah nicht besser aus, aber Justus hatte die Arbeit ganz besonders mitgenommen. Sein Gesicht war hochrot und nass, das T-Shirt tropfte förmlich und er konnte kaum noch aufrecht stehen.

Mathilda Jonas kam auf die drei Jungen zu und klatschte begeistert in die Hände. »Bravo! Das Haus sieht herrlich aus! Ich garantiere euch, das wird den Umsatz im nächsten Monat in die Höhe treiben. Ihr habt euch eure Belohnung wirklich verdient! Kommt auf die Veranda, es ist schon alles vorbereitet!«

Justus drehte sich um und blickte seine Tante aus dunkel geränderten Augen an. »Tante Mathilda?«

»Ja?«

»Das war das letzte Mal, dass du bei einer solchen Aktion mit einem Kirschkuchen davonkommst. Ich bin völlig am Ende.«

Sie blickte ihn schuldbewusst an. »Du meinst, mit einem Kirschkuchen kann ich das nicht wieder gut machen?«

Der Erste Detektiv schüttelte stumm den Kopf. »Auch nicht mit zweien.«

»Okay, du hast was gut bei mir. Wenn du in Zukunft meine Hilfe brauchst, dann kannst du dich auf mich verlassen. Versprochen.«

»Ich werde es mir merken.«

Wenig später saßen die drei Detektive im Schatten der Veranda und verschlangen gierig den vorzüglichen Kuchen, während der Schweiß auf ihren Körpern trocknete.

»Ich sag euch, das mache ich so schnell nicht wieder«, stöhnte Bob, während er die letzten Krümel von seinem Teller auflas.

»Keine Sorge, ein neuer Anstrich ist erst wieder in zwei Jahren fällig«, sagte Justus. »Immerhin haben wir jetzt einen Gefallen bei Tante Mathilda gut. Wer weiß, wozu es gut ist.«

Etwas klingelte weit entfernt. Peter spitzte die Ohren. »Ist das nicht das Telefon in der Zentrale?«

»Ja«, sagte Justus. »Geh mal ran.«

»Nichts da. Du bist der Erste Detektiv.«

Justus rang einen Moment mit sich, doch wie so oft war seine Neugier am Ende ein bisschen größer als seine Faulheit, und so stemmte er sich aus dem Gartenstuhl, sprang von der Veranda und lief über den staubigen Schrottplatz hinüber zur Zentrale. Er schaffte es gerade noch rechtzeitig zum Telefon.

»Justus Jonas von den drei Detektiven.«

»Hach, da habe ich ja gleich den Richtigen an der Strippe!«, rief eine ältere Frauenstimme erfreut. »Mein Name ist Bernadette O’Donnell. Und ich wollte einen von euch sprechen. Justus Jonas – du bist der Chef eures Unternehmens, nicht wahr?«

»Ganz recht. Was kann ich für Sie tun?«

»Nun, ich komme aus Malibu Beach und habe schon einiges über euch gehört und gelesen. Man sagt, euer Spezialgebiet seien übernatürliche Phänomene.«

Justus räusperte sich verlegen. »Spezialgebiet wäre vielleicht etwas zu viel gesagt, aber Sie haben insofern Recht, als wir schon einige Fälle gelöst haben, in denen es um vermeintliche Geister- und Spukerscheinungen ging.«

»Perfekt!«, rief Mrs O’Donnell erfreut. »Dann seid ihr genau die Richtigen für mich! Ich habe einen Auftrag für euch!«

»Wie schön! Worum geht es denn?«

»Um das Haus meiner Freundin Elouise Adams.«

»Und was ist mit diesem Haus?«

Bernadette O’Donnell lachte leise. »Es spukt dort nicht.«

»Wie bitte?«

»Ich weiß, es klingt verrückt, aber es spukt nicht in Elouises Haus.«

Justus war verwirrt. »Das ist doch … schön. Oder?«

»Ja«, bestätigte Mrs O’Donnell. »Das ist sogar ganz hervorragend. Das Problem ist, dass wir dafür Beweise brauchen.«

Besuch im Märchenschloss

»Kollegen, ab unter die Dusche, wir haben einen Termin!«

»Wie bitte?«

»Ein neuer Fall. Gerade hat eine Klientin angerufen. Ich habe ihr versprochen, dass wir in einer Stunde vorbeikommen.« Justus schilderte seinen Freunden in kurzen Sätzen, worum es ging.

»Ein Spukhaus?«, hakte Peter nach. »Oh Mann, kann es nicht mal was anderes sein?«

»Es ist doch was anderes. Nämlich eben kein Spukhaus. Ich gestehe, so ganz verstanden habe ich die Sache nicht, aber wir werden die Details schon in Erfahrung bringen. Doch vorher müssen wir uns umziehen. Also los, ihr könnt bei uns im Haus duschen, wir haben keine Zeit zu verlieren!«

Peter schüttelte den Kopf. »Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie schnell du deine Energie zurückgewinnst, sobald es um einen neuen Fall geht.«

Da Bob und Peter in der Zentrale immer ein paar frische Klamotten gelagert hatten, mussten sie nicht erst nach Hause fahren. Eine halbe Stunde später waren alle frisch geduscht und umgezogen und fühlten sich wie neugeboren.

Malibu Beach lag nur wenige Meilen von Rocky Beach entfernt, die drei Detektive konnten die Strecke leicht mit dem Fahrrad zurücklegen. Die Sonne stand bereits tief am Himmel, als sie die Küstenstraßen entlang Richtung Norden fuhren und die ersten Häuser der Stadt passierten. Malibu war eine wohlhabende Gegend, viele Stars aus Hollywood und reiche Geschäftsleute lebten hier.

Die Adresse, die Mrs O’Donnell dem Ersten Detektiv gegeben hatte, lag in einer ruhigen Villengegend ein Stückchen landeinwärts. Es war ein von einem prachtvollen Garten umgebenes Traumhaus mit weiß getünchten Mauern, die in der untergehenden Sonne in einem rötlichen Ton strahlten. Im Garten leuchteten dazu Hunderte von blutroten Rosen. Sie verwandelten die Pergola am Gartentor in einen farbenprächtigen Tunnel, durch den kaum ein Lichtstrahl drang. Die Rosen rankten die kurze Treppe zur Haustür empor und reichten bis zum Balkon, der vor lauter Blütenpracht geradezu explodierte. Es war wie in einem Märchenschloss.

»Ist ja wie bei Dornröschen hier«, sagte Bob beeindruckt, als sie die Räder an der Straße abstellten.

»Ja, nur dass der Prinz diesmal ein Möbelpacker ist«, antwortete Justus und wies auf den Lastwagen einer Spedition, der am Straßenrand stand. Die Ladefläche war fast leer geräumt, nur noch wenige Kartons standen dort. Zwei Männer in schmutzig-weißen Overalls packten die letzten Kisten und trugen sie ins Haus.

»Das war es, Mrs O’Donnell!«

»Wunderbar!«, kam die Stimme, die Justus vom Telefon her kannte, aus dem Haus. »Schicken Sie mir die Rechnung!« Die Spediteure stiegen in ihren Wagen und fuhren davon.

Die drei ??? betraten den Garten und stiegen die rosenumrankte Treppe hinauf zur offen stehenden Tür. In der angrenzenden Eingangshalle beugte sich eine ältere Dame über einen Umzugskarton und wühlte darin herum. Sie trug Jeans und T-Shirt, ihre grauen Haare waren mit einem bunten Tuch zurückgebunden. Als sie die drei Detektive bemerkte, richtete sie sich auf und kam ihnen erfreut entgegen.

»Ach, da seid ihr ja schon! Das ging aber fix. Ich bin Bernadette O’Donnell.« Sie reichte jedem der drei die Hand.

»Justus Jonas. Und das sind meine Kollegen Bob Andrews und Peter Shaw.«

»Sehr erfreut. Entschuldigt das Chaos, wir ziehen gerade erst ein.«

»Kein Problem«, meinte Peter großmütig.

»Aber der Salon ist schon fertig!« Mrs O’Donnell wandte den Kopf und rief: »Cecilia! Die Detektive sind hier!« Sie öffnete eine Doppelflügeltür auf der linken Seite der Eingangshalle und bedeutete den drei Detektiven, ihr zu folgen.

Der Salon war ein mit schweren Teppichen und antiken Möbeln eingerichteter Raum mit Blick auf den Garten. An den Wänden hingen alte Ölgemälde in goldenen Rahmen, ein geschwungenes Sofa aus rotem Samt stand neben dem Kamin, daneben ein Teetisch aus Messing. Das Einzige, was die Märchenschlossatmosphäre störte, war die riesige und sündhaft teuer wirkende Musikanlage, die an der Wand stand und in mattem Silber glänzte. Wem immer dieses Prachtstück gehörte, musste Musik eine Menge bedeuten.

Auf dem Sofa saß eine Frau in Mrs O’Donnells Alter. Sie war ganz in unscheinbares Schwarz gekleidet und trug eine randlose Brille. Mit ihrem streng zurückgekämmten Haar wirkte sie wie eine drakonische Schuldirektorin. Mit ausdruckslosem Gesicht blickte sie den drei ??? entgegen.

Mrs O’Donnell stellte die drei Detektive vor. »Und dies ist meine Freundin Cecilia Jones. Dr. Cecilia Jones. Setzt euch doch bitte!«

Justus, Bob und Peter nahmen Platz und Bernadette O’Donnell schenkte ihnen Tee ein.

»Ich muss gestehen, Mrs O’Donnell, dass ich vorhin am Telefon nicht alles verstanden habe. Vielleicht sollten wir noch mal von vorn beginnen. Worum geht es, sagten Sie? Um ein Spukhaus?«

»Ja. Und nein. Es geht um dieses Haus. Aber ich glaube nicht, dass es hier spukt.«

»Sondern Sie«, vermutete Justus und wandte sich an Cecilia Jones.

»Nein. Ich bin Ärztin. Wissenschaftlerin. Ich halte überhaupt nichts von solchem Unfug.«

»Nun, dann verstehe ich nicht ganz.«

»Es ist unsere gemeinsame Freundin Elouise, die an Gespenster glaubt«, klärte Mrs O’Donnell ihn auf. »Sie ist die rechtmäßige Besitzerin des Hauses. Aber ich fange besser von vorn an: Bis vor drei Monaten war dies die Villa von Dora Mastrantonio …«

»Dora Mastrantonio?«, platzte es aus Bob heraus. »Sie meinen die berühmte Opernsängerin?«

Mrs O’Donnell lächelte. »Genau die. Es freut mich, dass auch junge Leute noch etwas mit ihrem Namen anfangen können.«

»Nun ja, ich bin nicht wirklich ein Opernfan«, gestand Bob. »Aber Dora Mastrantonio ist einfach ein Star! Gewesen. Ist sie nicht vor kurzem verstorben?«

Sie nickte traurig. »Dora, Elouise, Cecilia und ich waren jahrzehntelang die besten Freundinnen. Bereits vor langer Zeit haben wir uns geschworen: Falls wir unsere Ehemänner überleben ziehen wir alle zusammen in ein Haus und gründen eine Wohngemeinschaft. Nun, ich selbst war nie verheiratet, Elouise auch nicht. Dora wurde bereits vor fünfzehn Jahren Witwe. Und Cecilias Mann Gilbert starb vor vier Monaten.«

Dr. Jones senkte den Blick. Nun war Justus klar, warum sie ganz in Schwarz gekleidet war und so abwesend wirkte. »Das tut mir Leid«, sagte er verlegen. Dr. Jones reagierte nicht.

»Eine Woche später starb die arme Dora«, fuhr Mrs O’Donnell fort. Ihre zuvor so feste Stimme wurde brüchig und sie zückte ein Taschentuch, um sich eine einzelne Träne abzutupfen. »Sie ist tödlich verunglückt. Die Ärmste! Und dabei hatten wir uns alles so schön ausgemalt. Wir vier, zusammen in diesem Haus. Es wäre herrlich geworden! Tja, nun sind wir nur noch zu dritt.«

Justus blickte unauffällig zu Peter und Bob hinüber. Niemand wusste etwas zu sagen. Eine unangenehme Pause entstand. Doch dann richtete sich Mrs O’Donnell wieder auf, fuhr sich durchs Haar und lächelte. »Aber das Leben ist zu kurz, um Trübsal zu blasen, nicht wahr? Elouise hat dieses Haus von Dora geerbt, sie stand ihr von uns allen am nächsten. Und so beschlossen wir, unseren Plan trotz allem in die Tat umzusetzen. Wir sind nur noch zu dritt, aber durch dieses Haus und den Garten, den Dora so geliebt hat, wird sie immer bei uns sein.«

»Das Problem ist nur«, ergriff nun Dr. Jones das Wort, »dass Elouise nicht will.«

»Was will sie nicht?«, fragte Bob.

»Hier einziehen. Sie hat das Haus zwar geerbt, es gehört jetzt rechtmäßig ihr, aber sie will hier nicht wohnen.«

»Weil sie glaubt, dass es hier spukt«, vermutete Justus.

»Richtig«, bestätigte Dr. Jones. »Und das ist natürlich vollkommener Unsinn.«

»Ohne die Situation im Detail zu kennen, gebe ich Ihnen Recht.«

»Siehst du, Cecilia, ich habe es dir doch gesagt: Die drei ??? sind genau die Richtigen für uns. Ihr glaubt nicht an Geister, nicht wahr?«

Justus schüttelte den Kopf. »Wir hatten es schon häufig mit mysteriösen Vorkommnissen zu tun, die auf den ersten Blick übernatürlichen Ursprungs zu sein schienen. Aber im Nachhinein stellte sich immer alles als Schwindel heraus.«

»Großartig!« Mrs O’Donnell war begeistert. »Dann hoffe ich, dass ihr den Fall übernehmt?«

Justus sah zu Bob und Peter hinüber, die zustimmend nickten. »Mit dem größten Vergnügen, Madam.«

Schritte erklangen auf dem Flur. Dann eine unsichere, helle Stimme: »Hallo?«

»Oh, das ist sie!«, raunte Mrs O’Donnell. »Cecilia, sei nett zu ihr! Und von euch dreien erwarte ich volle Unterstützung!«

Die drei ??? sahen einander verdutzt an. Sie hatten nicht die blasseste Ahnung, wovon Bernadette O’Donnell sprach. Doch niemand kam mehr dazu, nachzufragen, denn schon öffnete sich die Tür zum Salon und eine beleibte Dame mit kastanienbraun getönten Haaren trat ein. Sie war etwa in Mrs O’Donnells und Dr. Jones’ Alter und trug ein locker fallendes Gewand in warmen Herbstfarben, darüber eine dicke, schwere Kette aus bunten Holzperlen. Justus fühlte sich sofort an die Heilpraktikerin in Rocky Beach erinnert, zu der Tante Mathilda mal gegangen war, um ihre Hühneraugen besprechen zu lassen. Das Gesicht der Dame war von Sorgenfalten gezeichnet, die strahlend blauen Augen blickten verunsichert von einem zum anderen. »Was ist denn hier los?«

»Ah, schön, dass du kommst, Elouise!«, rief Mrs O’Donnell. »Möchtest du eine Tasse Tee? Er ist ganz frisch!«

»Was treibt ihr denn hier? Was haben die ganzen Kisten in der Halle zu suchen?«

»Oh, das sind … äh …«

»Unsere Umzugskisten«, sagte Dr. Jones knapp.

Elouises Augen weiteten sich vor Schreck. »Ihr wollt doch nicht wirklich hier einziehen!«

»Wir sind schon hier eingezogen, meine Liebe«, antwortete Dr. Jones. »Ich weiß, es ist dein Haus, aber früher oder später wirst du deine Meinung sowieso ändern und dein Domizil hier errichten.«

»Und da dachten wir, wir machen es dir ein bisschen leichter und bereiten schon mal alles vor!«, rief Mrs O’Donnell und nickte Elouise aufmunternd zu. »Nicht wahr, Cecilia?«

»Ganz recht. Denn dass wir hier gemeinsam wohnen werden, ist seit Jahren abgesprochen.«

Noch immer stand Elouise regungslos mitten im Raum. »Und wer sind diese drei jungen Herren?«, brachte sie schließlich hervor.

»Das, oh, das sind …«

»Wir sind die drei Detektive«, übernahm Justus das Wort. »Darf ich Ihnen unsere Karte geben?« Schwungvoll zog Justus aus der Innentasche seiner Jacke ein kleines silbernes Etui, das er vor einigen Tagen auf dem Schrottplatz gefunden und sogleich für seine Visitenkarten eingesteckt hatte. Er klappte es auf und reichte Mrs O’Donnell ein Pappkärtchen.

Visitenkarte.tif

»Ich bin Elouise Adams«, antwortete sein Gegenüber mechanisch. »Ich verstehe nicht ganz … Detektive? Was hat das alles zu bedeuten?«

»Setz dich doch erst mal, Elouise«, sagte Bernadette lächelnd und rutschte auf dem Sofa ein Stück zur Seite. »Du siehst ganz blass aus.«

Langsam ging Mrs Adams auf die Couch zu und nahm Platz. »Würdet ihr mir nun bitte erklären, was hier vor sich geht?«