Die Drei Fragezeichen
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Der finstere Rivale

erzählt von André Marx

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur.

ISBN 978-3-440-14199-1

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Ein Koffer von der Mafia

Peter sah den entgegenkommenden Lastwagen fast zu spät. Plötzlich tauchte er riesig und schwarz hinter einer Kurve auf und begann wild zu hupen. Peter riss das Steuer herum und schrammte haarscharf an dem Lkw vorbei.

»Vielleicht solltest du auf deiner Spur bleiben«, riet Justus, der neben ihm saß.

»Aber dann macht es doch keinen Spaß!« Peter lachte, beschleunigte und nahm die nächste Kurve mit siebzig Meilen pro Stunde. Er driftete auf die Gegenfahrbahn und darüber hinaus, so dass Schotter und Sand aufspritzten und gegen die Karosserie prasselten. »Genial!«

Wieder kam ihnen ein Wagen entgegen.

»Pass auf!«, rief Justus, als Peter keine Anstalten machte, auszuweichen.

»Mensch, Just, glaubst du, ich bin blind?«, gab Peter gelassen zurück – und zog in letzter Sekunde nach links, womit er endgültig auf der Schotterpiste landete. Als der Gegenverkehr vorbei war, lenkte er wieder rechts rüber. »Jetzt aber genug mit den Spielchen.« Er lachte übermütig. »Jetzt geb ich Vollgas!«

Der Wagen beschleunigte auf fünfundsiebzig Meilen. Achtzig. Neunzig. Hundert Meilen pro Stunde, und links und rechts flog die trockene Wüstenlandschaft an ihnen vorüber. Die Luft flimmerte über dem heißen Asphalt und verzerrte die entgegenkommenden Fahrzeuge zu bunten Flecken, die über der Straße zu schweben schienen. Ein roter Wagen tauchte vor ihnen auf. Er tuckerte mit höchstens vierzig Meilen über die Straße. Viel zu langsam. Peter setzte zum Überholen an.

»Da ist eine Kurve«, sagte Justus. »Meinst du, das schaffst du noch?«

»Was ist das denn für eine Frage? Ich bin der Meister der Wüstenstraße, schon vergessen?«

»Ich meine ja bloß, falls dir jemand entgegenkommt.«

»Dann habe ich Pech gehabt.« Peter reduzierte kaum die Geschwindigkeit und schoss mitten in der Linkskurve an dem roten Wagen vorbei.

Dann kam der schwarze Mercedes. Er raste auf der Gegenfahrbahn auf sie zu. Diesmal hatte Peter keine Chance. Rechts der Wagen, den er überholte, voraus der Mercedes, und nach links konnte er wegen der scharfen Kurve auch nicht ausweichen.

»Aaaaaaaaaahhh!«, schrie Peter und kniff die Augen zu.

Er prallte mit dem Mercedes frontal zusammen, sein Auto hob ab, flog in hohem Bogen über die Straße, drehte sich dabei einmal um die eigene Achse und landete krachend im Wüstenstaub, wo es sich noch zwei-, dreimal überschlug und schließlich als komplettes Wrack liegen blieb. Ein rotes Game over blinkte auf dem Bildschirm, und Peter ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen.

»Immerhin. So weit ist in diesem Level noch keiner von uns gekommen.« Zufrieden registrierte er, dass sein Name auf den ersten Platz der Highscoreliste vorgerückt war.

»Jetzt bin ich dran!«, drängte Justus und schubste Peter mehr oder weniger vom Stuhl.

»Ha, keine Chance, Just! Der König der Wüstenstraße ist unschlagbar!«

»Das werden wir ja sehen!« Justus drückte auf den Feuerknopf, und das Spiel startete von vorn.

Justus und Peter saßen nun schon seit Stunden vor ihrem Computer in dem alten Wohnwagen, der den drei Detektiven als Zentrale für ihr Detektivunternehmen diente. Um sie herum lagen halb leere Chipstüten und Colaflaschen verstreut, doch das fiel in dem Dauerchaos, das in der Zentrale herrschte, kaum noch auf. Peters Augen waren schon rot gerändert, aber er musste einfach zusehen, wie der ansonsten fast unfehlbare Erste Detektiv, Justus Jonas, beim Autorennen verlor.

Plötzlich ging die Tür auf, und Bob Andrews, der Dritte im Bunde, betrat die Zentrale. Justus war für den Bruchteil einer Sekunde abgelenkt und baute den ersten Crash, noch bevor er richtig beschleunigt hatte. »Hi Leute, was ist denn hier los?«, fragte Bob.

»Spielhölle«, sagte Peter. »Justus versagt auf ganzer Linie.«

»Gar nicht wahr«, knurrte der Erste Detektiv und fuhr verbissen weiter.

»Ich will gleich auch mal«, kündigte Bob an.

»Klar«, sagte Peter und grinste. »Dauert nicht mehr lange. Justus ist bestimmt gleich fertig.«

»Witzbold«, erwiderte Justus – und stürzte mit seinem Wagen eine Brücke hinunter.

»Bevor ich es vergesse, Just«, begann Bob und tat so, als hätte er den Absturz nicht bemerkt, »an der Straße, direkt neben dem Roten Tor zum Schrottplatz, steht ein alter brauner Koffer. Er ist so halb im Gebüsch versteckt. Ich wäre fast über ihn gestolpert, als ich mich durch das Tor gequetscht habe. Gehört das Ding vielleicht zu euch? Ich dachte, vielleicht hat dein Onkel Titus ihn dort abgestellt und versehentlich vergessen.«

»Nicht dass ich wüsste. Ist was drin?«

»Keine Ahnung, ich habe ihn nicht aufgemacht.«

»Wenn er morgen früh immer noch da steht, frage ich Tante Mathilda«, murmelte Justus abwesend und krallte seine Finger in den Joystick. Er biss die Zähne zusammen, als er haarscharf ein entgegenkommendes Fahrzeug verfehlte. Dabei driftete er von der Straße ab, kam im Wüstensand ins Schleudern und prallte gegen einen Felsbrocken. Game over. Und er war noch weit von Peters Bestmarke entfernt.

Der Zweite Detektiv lachte hämisch. »Sag ich doch, Justus, du hast keine Chance. Los, Bob, zeig, was du kannst!«

Bob setzte sich, nahm den Joystick zur Hand und fuhr los.

»Ich schlage dich schon noch, Zweiter«, kündigte Justus an. »Das ist alles eine Frage der Strategie. Ich habe es mit einer offensiven Fahrweise versucht, doch vielleicht ist die defensive Taktik die bessere.«

»Es geht aber auch um Geschwindigkeit, Just. Wer im Schneckentempo über die Straße kriecht, verliert ebenfalls.«

»Ein kalkuliertes Risiko im Hinblick auf die Geschwindigkeit halte ich für vertretbar, solange man grenzwertige Gefahrensituationen meidet.«

Peter verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. »Stell dich doch einfach den Tatsachen, Just: Du bringst es nicht! In Computerspielen hast du keine Chance gegen mich! Da bringen dich deine geschwollenen Reden auch nicht weiter.«

»Computerspiele sind eine streng logische Angelegenheit«, widersprach Justus. »Also lassen sie sich auch mit streng logischen Mitteln bestreiten. Für jede Situation gibt es eine optimale Verhaltensweise. Eine Strategie. Und die gilt es herauszufinden.«

Doch der Zweite Detektiv schüttelte den Kopf. »Das sehe ich ganz anders. Bei Spielen wie diesem braucht man Intuition. Man muss ... keine Ahnung ... irgendwie vorausahnen, was als Nächstes kommt. Und dann ganz spontan entscheiden, ob man Gas gibt oder bremst, ob man nach links ausweicht oder nach rechts. Das hat mit Logik nicht viel zu tun.«

»Den schwarzen Mercedes hast du offensichtlich nicht vorausgeahnt«, erinnerte Justus.

»Und trotzdem bin ich weiter gekommen als du«, antwortete Peter mit einem zufriedenen Lächeln.

Die drei ??? spielten den ganzen Abend. Bei jedem Rennen war Peter seinen Kollegen um eine Nasenlänge voraus und verteidigte eisern den ersten Platz. Es wurde spät und später. Schließlich, kurz vor Mitternacht, quälte sich Bob aus dem Stuhl und reckte sich. »Okay, Kollegen, mir reicht’s. Ich fahre jetzt nach Hause. Es ist schon irre spät. Kommst du mit, Peter?«

Peter nickte müde und schnappte sich seine Jacke. »Mach nicht mehr so lange, Just! Dabei setzt du nur Speck an!«

»Gute Nacht, Just«, verabschiedete sich Bob.

»Nacht, ihr beiden!«, sagte Justus und war sogleich wieder in das Spiel versunken.

Bob und Peter verließen die Zentrale und traten hinaus in die kühle, sternenklare Nacht. Der Schrottplatz, auf dem die Zentrale stand, lag dunkel und verlassen vor ihnen. Bob blieb einen Moment stehen und atmete tief ein und aus. Die frische Luft tat gut. Wie viele Stunden hatte er jetzt vor dem Computer gesessen? Drei? Vier? Auf jeden Fall zu lange. Wenn er Pech hatte, würde ihn das Autorennen bis in seine Träume verfolgen.

Peter war schon dabei, sein Fahrrad aufzuschließen, als hinter ihnen etwas schepperte. Beide erschraken und drehten sich um. Ein bizarr geformter Schrottberg schnitt einen scharfen Schatten in die Dunkelheit. Daneben stand eine kleine Pyramide aus Autoreifen. »Hast du das auch gehört?«, flüsterte Peter.

»Bin ja nicht taub.«

»Was war das?«

»Ich weiß nicht. Ich glaube, es kam von da drüben.« Bob wies auf die Reifenpyramide und trat einen Schritt darauf zu.

Plötzlich löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit und sprang auf ihn zu. Bob zuckte zusammen und machte einen Schritt rückwärts. Der Schatten zischte an ihm vorbei und verschwand unter der Zentrale. Bob lachte. »Nur eine Katze.«

»Mann«, stöhnte Peter. »Ein einziges Geräusch in der Dunkelheit, und schon habe ich das Gefühl, in Lebensgefahr zu schweben. Das kommt davon, wenn man jahrelang als Detektiv unterwegs ist. Auf Dauer ist das gar nicht gesund.«

Das Tor zum Schrottplatz war verschlossen, doch die drei ??? hatten seit Beginn ihrer Detektivlaufbahn zwei geheime Ein- und Ausgänge: Das Rote und das Grüne Tor, zwei lose Bretter im Zaun, die von der bemalten Straßenseite jedoch so gut wie nicht zu erkennen waren.

Peter strebte auf das Rote Tor zu, als er eine Bewegung am Himmel wahrnahm. Er blickte hoch und sah, wie etwas Großes, Dunkles über den Zaun durch die Luft segelte. Mit einem dumpfen Geräusch landete es zehn Meter von ihm entfernt auf dem staubigen Boden.

Peter tat einen Sprung zur Seite und ließ beinahe sein Fahrrad los. »Das war jetzt aber keine Katze!«

Beide verharrten lauschend. In der Ferne war Straßenlärm zu hören. Ein Hund bellte. Und dann waren da noch Schritte. Auf der anderen Seite des Zaunes ging jemand über den Bürgersteig. Die Schritte entfernten sich langsam.

Peter warf Bob einen fragenden Blick zu. Bob nickte. Hierfür brauchten sie keine Worte. Nach Jahren der Detektivtätigkeit und zahllosen gelösten Fällen war es ihnen in Fleisch und Blut übergegangen, wie man sich in undurchsichtigen Situationen verhielt. Bob näherte sich dem im Staub liegenden Objekt, während Peter lautlos zum Roten Tor huschte. Er entfernte den Riegel und schob das lose Brett beiseite. Vorsichtig riskierte er einen Blick auf die Straße.

Der Mann, der am Schrottplatzgelände vorbeigegangen war, verschwand gerade um die nächste Straßenecke. Peter erkannte nur noch, dass er groß und schlank war und etwas in der Hand trug. Der Zweite Detektiv überlegte, ob er ihm hinterherschleichen sollte. Doch in diesem Moment näherte sich aus der anderen Richtung ein Auto. Es hatte die Scheinwerfer ausgeschaltet und fuhr kaum schneller als Schritt-Tempo. Peter zuckte instinktiv zurück, um nicht gesehen zu werden.

Der Wagen war ein alter, auf Hochglanz polierter roter Plymouth mit Weißwandreifen, ein wundervoller Straßenkreuzer aus den fünfziger Jahren. Der Motor tuckerte leise, aber kraftvoll dahin. Als der Wagen wie ein Schlachtschiff durch den Lichtkegel einer Straßenlaterne glitt, erkannte Peter einen platinblonden Mann am Steuer. Ohne zu blinken bog er an der nächsten Straße rechts ab. Für Peter war die Sache klar: Der Mann im roten Plymouth verfolgte den Unbekannten! Aber warum? Was ging hier vor sich?

Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter. Peter unterdrückte einen Schrei und wirbelte herum. Bob. Natürlich.

Der dritte Detektiv konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Warum bist du denn so schreckhaft, Zweiter?«

»Hier hat sich gerade eine gruselige Szene abgespielt«, antwortete Peter und berichtete, was er gesehen hatte. »War ein bisschen wie in einem Mafia-Film. Ob das was mit diesem Ding zu tun hat, das über den Zaun geflogen ist? Was war es eigentlich?«

Bob hob die rechte Hand und zeigte es ihm: »Ein Koffer. Um genau zu sein: der Koffer.«

»Der Koffer?«

»Der Koffer, der schon im Gebüsch stand, als ich heute Abend ankam.« Bob streckte seinen Kopf durch das Rote Tor und sah seine Theorie bestätigt: Der Koffer war nicht mehr da. »Man muss kein Detektiv sein, um sich ausmalen zu können, was passiert ist: Jemand sah den Koffer am Zaun stehen und hat ihn rübergeworfen. Punkt.«

»Und warum?«

»Nur so. Vielleicht war jemand aus der Nachbarschaft der Meinung, dass derlei Unrat besser auf Titus Jonas’ Schrottplatz aufgehoben ist.«

»Und was ist mit dem Plymouth?«, fragte Peter.

»Gar nichts. Das war bloß Zufall. Wahrscheinlich funktionierten die Scheinwerfer nicht mehr, und der Wagen ist deshalb so langsam gefahren.«

Peter nickte langsam. »Das könnte natürlich sein.« Er warf einen Blick auf den Koffer. »Bringen wir das Ding trotzdem zu Justus. Es wird ihn sicher interessieren.«

Als Bob und Peter die Zentrale betraten, zuckte der Erste Detektiv zusammen. Er saß immer noch am Computer, jedoch nicht vor dem Autorennspiel, sondern an irgendeinem anderen Programm. Seine rechte Hand ließ den Mauspfeil über die Oberfläche rasen. Offensichtlich wollte er möglichst schnell alle Fenster schließen, die seinen Freunden offenbarten, woran er gerade gearbeitet hatte.

Doch Bob roch sofort Lunte. »Was treibst du denn da, Justus? Lass doch mal sehen!«

»Das ist nur ... ich wollte lediglich sehen, ob das Spiel vielleicht einen Fehler in der Programmierung hat«, behauptete Justus und wurde augenblicklich rot.

»Ich glaub’s nicht!«, stieß Bob hervor, als er schließlich erkannte, was Justus vor ihm zu verbergen versucht hatte. »Peter, siehst du, was das ist?«

»Ehrlich gesagt, nein.«

»Ich kann es dir sagen: Justus hat gerade versucht zu schummeln! Er wollte den Highscore knacken – aber nicht indem er ein Rennen gewinnt, sondern indem er einfach in das Programm reingeht und seinen Namen auf Platz eins einträgt.«

»Das ist eine bösartige Unterstellung!«, ging Justus dazwischen.

»Komm schon, Just, mir kannst du nichts vormachen.«

»Ich gebe zu, ich wollte mal nachsehen, ob es möglich wäre. Das heißt aber nicht, dass ich es wirklich gemacht hätte.«

Peter schüttelte in gespielter Fassungslosigkeit den Kopf. »Mein Vertrauen in dich ist tief erschüttert, Justus. Du wolltest uns also hintergehen. So weit ist es mit dir gekommen. Dein Ehrgeiz hat dich so weit zerfressen, dass du nicht einmal mehr bei einem harmlosen Computerspiel verlieren kannst. Es wird noch ein böses Ende mit dir nehmen, Just.«

»Jetzt hört schon auf! Warum ... warum seid ihr überhaupt zurückgekommen? Was ist das für ein Koffer da, Bob?«

»Irgendein Trottel hat den Koffer, der an der Straße stand, über den Zaun auf den Schrottplatz geworfen«, sagte Bob und erzählte zusammen mit Peter in knappen Worten, was sich ereignet hatte. »Wir dachten, es würde dich interessieren. Also, gehört das Ding nun Onkel Titus?«

Justus runzelte die Stirn und blickte auf den Koffer in Bobs Hand. »Er kommt mir tatsächlich irgendwie bekannt vor. Ist was drin?«

»Keine Ahnung. Fühlt sich aber so an.«

»Soll das heißen, ihr habt noch nicht reingesehen?«

»Du hättest es uns doch nie verziehen, wenn wir den Koffer ohne dein Beisein geöffnet hätten«, sagte Peter.

»Das stimmt.« Kurz entschlossen fegte Justus die leeren Chipstüten beiseite und hievte das Fundstück auf den Schreibtisch. Dann richtete er die Lampe auf den Koffer und betrachtete ihn im Detail. Er wurde von einem mickrigen Verschluss in der Mitte und zwei dicken Lederriemen an den Seiten zusammengehalten. Das braune Leder war alt, rissig und ausgebeult.

»Er kommt mir wirklich ziemlich bekannt vor«, murmelte Justus und nagte an seiner Unterlippe. »Aber nicht, weil ich ihn schon mal in Onkel Titus’ Beständen gesehen habe.«

»Sondern?«, fragte Bob.

»Wenn ich das wüsste. Okay, Kollegen, letzte Wetten werden angenommen: Was glaubt ihr, ist in dem Koffer?«

»Schmutzige Wäsche«, sagte Bob.

»Ein Haufen Geld«, sagte Justus.

»Zombievideos«, sagte Peter. »Gut, wer am nächsten dran ist, kriegt von den anderen ein Eis spendiert. Einverstanden?«

Justus und Bob nickten grinsend.

Der Erste Detektiv ließ den kleinen Metallverschluss aufschnappen und öffnete den Koffer.

Alle drei rissen die Augen auf und schnappten nach Luft. Sie konnten kaum glauben, was sie sahen. Peter hob die Hand an den Mund und stieß ein kurzes Kichern aus. »Krass«, sagte er.

Bob nickte. »Das ist ...«

»Unglaublich.«

Justus hatte ein abenteuerlustiges Flackern in den Augen. »Kollegen, mir scheint, ich habe die Wette glasklar gewonnen.«

Feuer!

Geld. In dem Koffer lag jede Menge Geld. Gebündelte Hundert-Dollar-Noten, die von einer Papierbanderole zusammengehalten wurden. Und davon gleich mehrere Dutzend.

Ehrfürchtig streckte Justus die Hand danach aus und nahm eines der Bündel heraus. Er ließ seinen Daumen über die Papierkanten gleiten und zählte die Banknoten dabei flüchtig. »Fünfzig Stück«, schätzte er. »Fünfzig Hundert-Dollar-Scheine in einem Bündel. Macht fünftausend Dollar pro Bündel. Wie viele haben wir?«

Bob hatte schon angefangen zu zählen. »Vierzig.«

»Dann sind das zweihunderttausend Dollar!«, rief Peter. »Mann! Wahnsinn! Wer hat denn so viel Geld?«

»Und vor allem: Wieso fliegt es über unseren Zaun auf den Schrottplatz?«

»Das ... das Geld muss schon die ganze Zeit in dem Koffer gewesen sein!« Bob schluckte. Sein Hals war plötzlich ganz rau. »Er stand stundenlang an der Straße! Einfach so! Jeder hätte ihn mitnehmen können!«

»Das ist aber nicht passiert«, widersprach Justus. »Stattdessen hat ihn jemand über den Zaun geworfen. Ist das nicht merkwürdig? Würdest du einen Koffer, in dem sich ganz offensichtlich etwas befindet, einfach so auf ein fremdes Grundstück werfen? Ohne vorher nachzusehen, was drin ist?«

»Ich vielleicht nicht«, sagte Bob. »Und du bestimmt auch nicht. Aber es ist ja nicht jeder so neugierig. Jedenfalls hat derjenige nicht in den Koffer gesehen. Sonst hätte er ihn ja kaum einfach weggeworfen.«

»Vielleicht war es eine Panikreaktion«, überlegte Peter. »Bei so viel Geld kann man leicht etwas Unüberlegtes tun.«

»Ach, so ein Quatsch«, widersprach Bob. »Unüberlegt wäre, sich mit dem Geld ins nächste Flugzeug zu setzen und nach Südamerika auszuwandern. Aber doch nicht, es über einen Zaun zu schmeißen. Ist doch keine Bombe.«

»Na ja, wie dem auch sei, jedenfalls liegen hier zweihunderttausend Dollar auf unserem Schreibtisch.« Peter blickte von einem zum anderen. Niemand sagte etwas. »Ja, was ist? Fällt euch dazu nichts ein?«

»Was willst du denn hören?«, fragte Bob.

»Was wir damit tun sollen! Bringen wir das Geld zur Polizei? Oder setzen wir uns nach Südamerika ab?«

»Mit der Polizei sollten wir bis morgen warten«, meinte Justus. »Ich werde jedenfalls nicht Inspektor Cottas heiligen Zorn auf mich ziehen, indem ich ihn mitten in der Nacht anrufe.«

»Und wenn wir den Koffer aufs Revier bringen?«, fragte Bob.

»Dann müssen wir stundenlang Fragen beantworten. Und dafür bin ich ehrlich gesagt zu müde.«

»Aber wir können den Koffer doch nicht einfach hier stehen lassen«, sagte Peter. »Das ist viel zu riskant.«

»Da gebe ich dir Recht. Deshalb werde ich ihn mit in mein Zimmer nehmen. Die Gefahr, dass er unter meinem Bett gestohlen wird, während ich drinliege, ist denkbar gering. Morgen früh werden wir –«

Peter stieß einen kleinen Schrei aus, so unvermittelt, dass Bob und Justus zusammenfuhren.

»Was ist denn los, Peter?«, fragte Bob halb erschrocken, halb verärgert.

»Nichts, ich ... ich dachte, ich hätte etwas am Fenster gesehen.«

Bob und Justus blickten durch das kleine, schmutzige Fenster nach draußen in die Dunkelheit.

»Und was soll das gewesen sein?«

»Keine Ahnung. Ein Schatten oder so. Aber ich glaube, es war nichts. Oder bloß wieder die Katze.«

»Vielleicht sind deine Nerven einfach etwas überreizt«, spottete Bob.

»Wen wundert’s«, meinte Peter. »Wenn zweihunderttausend Dollar vor mir liegen, sind meine Nerven immer überreizt. Jedes Mal.«

»Und deshalb sollten wir jetzt alle schlafen gehen«, beschloss Justus. »Morgen früh gehen wir frisch und ausgeruht aufs Polizeipräsidium, liefern den Koffer ab und sehen, ob uns noch etwas zu diesem roten Straßenkreuzer und dem unbekannten Fußgänger eingefallen ist. Peter, du hättest den Kerl vielleicht wirklich verfolgen sollen.«

»Bist du wahnsinnig? Ich bin heilfroh, dass ich es nicht getan habe! Ich hatte gleich dieses Mafia-Gefühl. Und was passiert? Fünf Minuten später stehe ich vor einem Koffer voller Geld. Der Typ in dem Wagen hätte mich garantiert kaltgemacht, wenn er auf mich aufmerksam geworden wären.«

Justus rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. »Das hat heute alles keinen Sinn mehr. Fahrt nach Hause, Kollegen. Morgen früh sehen wir weiter.«

»Das ist ein Wort«, fand Peter und hob die Hand zum Abschiedsgruß, ohne jedoch seinen Blick von dem Koffer zu wenden. »Dann zum zweiten Mal gute Nacht, Just. Und vergiss den Koffer nicht! Die Zentrale ist nicht wirklich einbruchsicher.«

»Keine Sorge.«

»Dann wünsche ich dir süße Träume!«, sagte Bob grinsend.

»Mit so viel Geld unter dem Bett werde ich die bestimmt haben!«

Doch Justus sollte sich irren.