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Departement Bildung, Kultur und Sport Aargau
Departement Gesundheit und Soziales Aargau (Hrsg.)

Gesundheitsförderung für Lehrpersonen und Schulleitungen

Ein Praxishandbuch als Beitrag zur Schulentwicklung
ISBN Print: 978-3-0355-0448-4
ISBN E-Book: 978-3-0355-0449-1

2. Auflage 2015
Alle Rechte vorbehalten
© 2015 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Inhalt

Vorwort

Nadja Badr, Siegfried Seeger

Kapitel 1 Schule gesund machen!

1.1  Personalentwicklung: für sich und andere sorgen

1.2  Unterrichtsentwicklung: gut, gesund und gerne unterrichten

1.3  Organisationsentwicklung: Schule sinnstiftend gestalten

1.4  Schulleitung: Schule kohärent und heiter führen

Literatur

Helmut Heyse

Kapitel 2 Leitbilder

2.1  Leitbilder als Orientierungshilfe

2.2  Leitbilder entscheiden über die Akzeptanz von Veränderungen

2.3  Leitbilder sind rollenspezifisch

2.4  Leitbilder entwickeln sich

2.5  Kooperative Klärung von Leitbildern

2.6  Leitbild und Gesundheit

2.7  Fazit

Literatur

Bernhard Sieland, Helmut Heyse

Kapitel 3 Spiegelkabinett

3.1  Selbsterkundung: Worum geht es?

3.2  Selbsterkundung: Wie macht man das?

3.3  Selbsterkundung: Was habe ich davon? Wozu das?

3.4  Selbsterkundung: Nur der erste Schritt – Möglichkeiten der nachhaltigen Unterstützung eines Veränderungsvorhabens

3.5  Fazit

Literatur

Helmut Heyse

Kapitel 4 Teamarbeit zwischen Belastung und Bereicherung

4.1  Betriebliche Gesundheitsförderung – Herausforderung für ein Kollegium

4.2  Teamarbeit zur Unterstützung der eigenen Gesundheit

4.3  Bedingungen für eine gelingende Teamarbeit zur kollegialen Gesundheitsförderung

4.4  Hilfreiche Kompetenzen eines gesundheitsorientierten Entwicklungsteams in der Schule

4.5  Fazit

Literatur

Andreas Krause

Kapitel 5 System Schule

5.1  Kriterien für eine gesundheitsfördernde Arbeits organisation an Schulen sind bekannt. Instrumente zur Analyse der Arbeitsorganisation an Schulen liegen vor.

5.2  An Schulen sind psychosoziale Belastungen und Unterstützungsfaktoren von besonderer Bedeutung. Austausch und Aushandlung zwischen Schulleitung und Kollegium in der Schule sind notwendig, um den Handlungsbedarf festzulegen.

5.3  Zwei typische Paradoxien treten bei der Umsetzung von Gesundheitsförderung im System Schule auf (zunehmende zeitliche Belastung, Einschränkung der individuellen Autonomie). Wer dies bei der Umsetzung nicht beachtet, wird scheitern.

5.4  Das Verständnis, wie Veränderungen im Bildungssystem mit der Gesundheit von Lehrpersonen und Schulleitungen zusammenhängen, kann Schulteams zum gemeinsamen Handeln anregen und dazu dienen, Widerstand aktiv zu bearbeiten.

Literatur.

Weiterführende Literatur

Anton Strittmatter

Kapitel 6 Leadership.

6.1  Die Verantwortlichkeitsdiskussion ist noch jung

6.2  Gute und gesundheitsfördernde Schulen haben eine partizipative Führungskultur

6.3  Der Selbst- und Fremdsorge-Vertrag

6.4  Bewusst Verantwortung tragen und sie hüten

6.5  Auf den Vorrang der Selbstentwicklung pochen

6.6  Mit Schwierigkeiten rechnen und Antworten darauf finden

Literatur.

Weiterführende Literatur

Nadja Badr

Kapitel 7 Salutogener Unterricht.

7.1  Unterricht besser verstehen

7.2  Unterricht handhabbar gestalten.

7.3  Unterricht sinnstiftend erleben

7.4  Das 10-Punkte-Programm, um gut, gesund und gerne zu unterrichten

Literatur.

Weiterführende Literatur

Christoph Eichhorn

Kapitel 8 Classroom-Management.

8.1  Rituale geben Sicherheit

8.2  Präsenz – Hauptmerkmal guter Klassenführung

8.3  Die Vorteile von Classroom-Management

8.4  Die wichtigsten Classroom-Management-Tools

8.5  Zusammenfassung

Literatur

Weiterführende Literatur

Ueli Keller, Hanspeter Stoll

Kapitel 9 Lehrpersonenzimmer.

9.1  Ansichten: Eine Fachmeinung und drei Beispiele aus dem Aargau

9.2  Einsichten: Unser Lehrpersonenzimmer, das sind wir

9.3  Aussichten: Mit kleinen Veränderungen Großes bewirken

Literatur, Support und Links

Gabriele Juvan im Gespräch mit Gabriele Nippel

Kapitel 10 Ruheoasen.

Weiterführende Literatur

Webseite

Marlis Heimbold-Wiskow

Kapitel 11 Spielplatz.

11.1  Der Begriff des Spiels hat viele Facetten

11.2  Wie spielerische Übungen wirken und warum Spielen wichtig ist

11.3  Spielgelegenheiten, -themen und Life-Kinetik

11.4  Schlussbetrachtung

Literatur

Weiterführende Literatur

Jeannette Zumsteg

Kapitel 12 Vitaminbar.

12.1  Vitamine in der Ernährung

12.2  Vitamine – im erweiterten Sinn

12.3  Ausgewogen und genussvoll

12.4  Drei oder fünf Mahlzeiten am Tag?

12.5  Ausgewogen essen und trinken am Arbeitsplatz

12.6  Gesundes Fast Food

12.7  Gewohnheiten erkennen und überdenken

12.8  Vorsätze im Alltag erfolgreich umsetzen – Formulierung der persönlichen Zielsetzung

Quellennachweis

Weiterführende Informationen und Literatur

Siegfried Seeger

Kapitel 13 SalutoParcours.

13.1  Einführung

13.2  Konzept

Weiterführende Literatur

Autorenporträts

Vorwort

Lehrpersonen und Schulleitende üben einen verantwortungsvollen und herausfordernden Beruf aus: Fast keine andere Tätigkeit verlangt einen vergleichbar hohen Grad an persönlichen und fachlichen Fähigkeiten. Von Lehrerinnen und Lehrern wird beispielsweise erwartet, dass sie kompetent sind, guten Unterricht bieten, sich empathisch auf Schülerinnen und Schüler, Eltern, Kolleginnen und Kollegen einlassen können, dass sie auch in schwierigen Situationen adäquat kommunizieren und handeln können und nicht zuletzt mit unterschiedlichsten Bildungs- und Erziehungsaufträgen zurechtkommen. Schulleiterinnen und Schulleiter haben ihrerseits den Auftrag, an ihren Schulen Prozesse der Personal-, Unterrichts-, Organisations- und Qualitätsentwicklung zu bewirken. Gleichzeitig müssen sie ihre Schulen umsichtig steuern respektive pädagogisch visionär führen. Dabei gilt es, die Bedürfnisse der Schulbehörden, Lehrpersonen, Eltern sowie der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen. Angesichts all dieser Erfordernisse stellen sich mitunter zwei Fragen: 1. Wie kann es Lehrpersonen, Schulleiterinnen und Schulleitern individuell und im Team gelingen, im eben skizzierten Umfeld gesund zu bleiben? 2. Wie sollte das System Schule beschaffen sein, damit es dazu beiträgt, die gesundheitserhaltenden und -fördernden Ressourcen aller beteiligten Personen zu stärken und zu fördern?

Bisher wurde die Beantwortung solcher Fragen oft anhand eines problembezogenen, pathogenen Blicks vorgenommen. Das heißt, es wurde nach Belastungen, Risikofaktoren oder krankheitsauslösenden Aspekten gesucht. Es ist das Verdienst dieses Handbuchs, dass es diesbezüglich einen neuen, komplementären Weg einschlägt. Beim Versuch, auf die genannten Fragen Antworten zu finden, nimmt es eine konsequent salutogene, also gesundheitsfördernde Perspektive ein. Basierend auf den Erkenntnissen des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky und einem konstruktivistischen Lernansatz, stehen daher im Fokus aller behandelten Themen stärken-, ressourcen- und lösungsorientierte Ansätze zur Gesundheitsförderung von Lehrpersonen und Schulleitenden.

Das Praxisbuch bietet zunächst einen wissenschaftlich fundierten Überblick über die vier zentralen Handlungsfelder von Gesundheitsförderung in der Schule: Personalentwicklung, Unterrichtsentwicklung, Organisationsentwicklung sowie Schulleitung. Anschließend daran finden sich zwölf praxisorientierte Beiträge zu diesen vier Entwicklungsfeldern. Gezeigt werden neue, überraschende und inspirierende Möglichkeiten, wie Gesundheitsförderung in der Schule, auf der individuellen Ebene, mit Blick auf Teams sowie aus organisatorischer Sicht salutogen aufgebaut und gefördert werden kann. Dass das Buch thematisch eine eindrückliche Spannbreite abdeckt, lässt sich bereits dem Inhaltsverzeichnis entnehmen. Der eigentliche »Clou« besteht aber im letzten Kapitel, welches den Titel »SalutoParcours« trägt. Denn hier wird ein Gesamtkonzept für eine umfassende Gesundheitsförderung von Lehrpersonen und Schulleitenden entworfen, welches die vorangegangenen Kapitel und Themen des Buches in einer Synthese zusammen- beziehungsweise weiterführt.

Das vorliegende Handbuch bietet für Lehrpersonen, Schulleitende sowie alle an schulischer Gesundheitsförderung interessierten Personen einen reichen Fundus an Entdeckungen. Die darin enthaltenen Beiträge stammen von namhaften Expertinnen und Experten im Bereich »Schule und Gesundheit« des deutschsprachigen Raums. Sie alle teilen die Vision, dass an unseren Schulen gesund gearbeitet und gelernt werden soll. Entstanden ist das Praxisbuch im Rahmen des Aargauer Programms »gsund und zwäg i de schuel« (»Gesund und fit in der Schule«), welches eine gesundheitsfördernde Entwicklung der Schulen unterstützt. Getragen wird es von den Departementen Bildung, Kultur und Sport sowie Gesundheit und Soziales Aargau.

Meiner Erfahrung nach gleicht dieses Handbuch einer Schatztruhe, die darauf wartet, dass ihre Kostbarkeiten geborgen und genutzt werden. Ich wünsche ihm daher, dass es von möglichst vielen Akteurinnen und Akteuren im schulischen Umfeld entdeckt und gelesen wird, damit der menschenfreundliche, salutogene Fokus in der Gesundheitsförderung auch und gerade in den Schulen mehr und mehr zu glitzern beginnt.

Aarau, November 2014
Victor Brun,
stv. Abteilungsleiter Volksschule Aargau

»Wertschätzung ist der einzige Weg, die guten Eigenschaften anderer zum Vorschein zu bringen«

Sri Chonmoy, Schriftsteller

Wir danken den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge zu diesem Handbuch und ihr Engagement bei der Konzepterarbeitung des SalutoParcours sowie den weiteren Mitgliedern des Expertennetzwerks des Projektes für ihr konstruktives Mitdenken.

Ein besonderer Dank gilt Vilma Müller, Programmleiterin Psychische Gesundheit und Koordinatorin SalutoParcours, für die Projektleitung des Handbuchs.

Im Namen des Departements Bildung, Kultur und Sport:
Victor Brun, Volksschule

und des Departements Gesundheit und Soziales:
Dr. med. Maria Inés Carvajal, Kantonsärztlicher Dienst, Gesundheitsförderung, und Evelyne Weber, Programmleiterin »gsund und zwäg i de schuel« (»Gesund und fit in der Schule«).

Schule ist ein hochanspruchsvolles Berufs-, Arbeits- und Lebensfeld. Wer im Lehrberuf gesund bleiben möchte, ist täglich gefordert, sich unter ständig verändernden Anforderungen immer wieder neu zu verorten und zwischen Engagement und Rückzug, Nähe und Distanz oder Zusagen und Neinsagen zu balancieren. Diese Balance kostet Kraft und erfordert gute Navigationshilfen, die Bestandteil beruflicher Professionalität und Merkmal gesunder Schulen sind.1 »Gesunde Schulen« bieten gute Arbeitsbedingungen für Lehrpersonen und Schulleiterinnen und -leiter und ermöglichen ihnen, ihren beruflichen Alltag engagiert und doch entspannt zu gestalten und den Schülerinnen und Schülern optimale Rahmenbedingungen für ein anregendes Lernen zu schaffen (Schaarschmidt & Kieschke, 2007; Sieland, 2008).

Wir stellen fest, dass das Thema Lehrergesundheit allmählich aus der jahrelangen Tabuzone befreit wird: Forschung, Beratung und Schulpraxis kümmern sich zunehmend um gesunde Arbeitsverhältnisse, auch für Lehrpersonen und Schulleitungen. Damit ist ein Paradigmenwechsel von pathogenen zu salutogenen Zugängen verbunden: Nicht mehr nur krankheitsauslösende (pathogene) Stressoren, Belastungen und Risikofaktoren stehen im Zentrum, sondern vielmehr gesundheitsfördernde (salutogene) und entsprechend stärken- und ressourcenorientierte Faktoren. Diese Auffassung schließt an Erkenntnisse des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (1997) an, der postulierte, dass Gesundheit und Krankheit als dynamisches Kontinuum aufzufassen sind und sich im Wechselspiel zwischen Stressoren, Spannungszuständen und Widerstandsressourcen generieren. Dabei nimmt der sogenannte Sense of Coherence (SOC; Sinn und Gefühl für Kohärenz) eine zentrale Funktion ein, der als sensibler Regler die Passungen zwischen erlernten Widerstandsressourcen und aktuellen Herausforderungen steuert und sich selbst aus dem Vertrauen speist, dass erstens Lebensereignisse verstehbar und erklärbar sind (Verstehbarkeit), zweitens genügend Ressourcen vorhanden sind, mit denen sich Lebensaufgaben und -probleme bewältigen lassen (Handhabbarkeit), und drittens das Leben und das eigene Tun als sinnhaft erlebt werden, für die es sich lohnt, sich zu engagieren. Dieses Kohärenzgefühl entwickelt sich im Laufe des Lebens.

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Abb. 1: Modell der Salutogenese mit Kohärenzgefühl (SOC) als Regler nach Antonovsky (1997)

Durch zunehmende Lebenserfahrung bilden sich zudem individuelle und soziale Widerstandsressourcen, die eine kohärente Spannungsbewältigung ermöglichen. Ressourcen »können Fähigkeiten, Fertigkeiten, Begabungen, Talente, Kenntnisse, Geschicklichkeit, Tugenden, Erfahrungen, Gewohnheiten, Regeln, Erfolge, Interessen, Bedürfnisse, Motive, Überzeugungen, Glaubenssätze, Einstellungen, Werthaltungen, Ideale, Wünsche, Erwartungen, Hoffnungen, Visionen, Intentionen, Kontakte, Beziehungen, Bindungen, Loyalitäten, Allianzen, Einflüsse usw.« enthalten (Bamberger, 2005, S. 35).

Es wäre grundlegend falsch anzunehmen, dass eine Stärkung der Ressourcen und kohärente Spannungsbewältigungen ausschließlich eine individuelle Angelegenheit seien. Namhafte Stressforscher wie Kaluza (2011, S. 15 f.) empfehlen zwar als Schutzfaktoren, dass Personen gut für sich selbst sorgen, soziale Unterstützung annehmen, optimistische Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aufbauen und ihr Sinnhaftigkeitsgefühl stärken sollen. Das reicht aber nicht, denn auch ein noch so ausgeprägtes Bemühen um ein gesundes Leben kann angesichts krankmachender Systeme kaum erfolgreich sein. Dies gilt auch für den Kontext Schule. Wer Schule und Gesundheit salutogen betrachtet, versucht Verhaltensweisen von Personen und Verhältnisse von Institutionen zu verstehen und gesundheitserhaltende und -fördernde Widerstandsressourcen und Entwicklungsbedingungen zu stärken und zu vermehren. Eine solchermaßen verstandene Gesundheitsförderung fokussiert nicht länger nur auf das Individuum, sondern gleichermaßen auf institutionelle und gesellschaftliche Bedingungen und »zielt auf den Aufbau von Gesundheitspotenzialen und die Stärkung von Schutzfaktoren. Sie umfasst die Verbesserung gesundheitsrelevanter Lebensweisen und Lebensbedingungen und richtet sich auf individuelle, ökonomische, soziale, ökologische und kulturelle Faktoren sowie politische Interventionen« (Hurrelmann & Richter, 2013, S. 154). In Anlehnung an diese medizinisch-psychologisch-soziologische Sichtweise schlagen wir vor, den Fragehorizont zur Förderung der Gesundheit von Lehrpersonen und Schulleitungen auf alle Dimensionen von Schulentwicklung auszuweiten. Dies bedeutet, dass wir nicht nur Personen und ihre individuellen Bewältigungsstrategien in den Blick nehmen, um eine salutogene Professionalität in gesundheitsfördernden Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Vielmehr soll neu auch der hauptsächliche Aktionsplatz von Lehrpersonen, der Unterricht, unter salutogenen Perspektiven betrachtet werden. Damit Lernen und Unterrichten in gesundheitsfördernden Rahmenbedingungen stattfinden können, bedürfen sie der sozialen, institutionellen und gesellschaftlichen Unterstützung, die schulintern mit Kooperation im Kollegium/Team und organisatorischen Maßnahmen, wie Leitbildern, Schulprogrammen und kohärenter Führung erreicht werden. Aus diesem Grund betrachten wir die Schulentwicklung (in Anlehnung an Rolff, 2013 sowie an Brägger & Posse, 2007) als den eigentlichen Resonanzraum schulischer Gesundheitsförderung bzw. umgekehrt Gesundheitsförderung als einen chancenreichen »Motor« für eine gute und gesunde Schulentwicklung und differenzieren vier unterschiedliche Handlungsfelder mit den entsprechenden Akteurinnen und Akteuren:

Gesunde Schulen fordern und fördern Entwicklungsprozesse

Diese von Lehrpersonen und Schulleitungen aktiv zu gestaltenden Entwicklungsfelder sind miteinander verwoben und bedürfen einer integralen Perspektive. Damit dies gesundheitsfördernd, qualitätsbewusst und handhabbar gelingt, schlagen wir vor, diese Erkenntnisse und Ansprüche aufeinander zu beziehen:

Diesen Anspruch wollen wir im Folgenden für alle Entwicklungsfelder skizzieren.

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Abb. 2: Mottoziele zur Förderung der Gesundheit von Lehrpersonen und Schulleitungen im Kontext von Schulentwicklung.

1.1 Personalentwicklung: für sich und andere sorgen

Lehrpersonen und Schulleiterinnen und -leiter erfüllen komplexe berufliche Aufgaben und bewegen sich in einem nicht zu unterschätzenden Spannungsfeld zwischen Fördern und Fordern, Führen und Begleiten, Engagement und Distanzierungsfähigkeit. Wer erfolgreich lehrt und leitet, hat ein größeres Potenzial, um Zufriedenheit zu erleben und für einzelne Facetten des eigenen Berufs zu brennen. Die Stärkung des eigenen Selbst und die Unterstützung von anderen Personen bilden gesundheitsfördernde Voraussetzungen und dienen der Pflege von Gesundheitsressourcen maßgeblich. Deshalb stellen wir im Bereich der Personalentwicklung das Motto »Für sich und andere sorgen« ins Zentrum:

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Abb. 3: Personalentwicklung in gesunden Schulen

Schule ist eine Bildungsstätte, die wesentliche gesellschaftliche Aufgaben erfüllt – sie sorgt für die Bildung und Erziehung der heranwachsenden Generation. Damit diese Aufgabe gut und sinnstiftend erfüllt werden kann, braucht es engagierte Lehrpersonen und Schulleiterinnen und -leiter, die in einer gesunden und entwicklungsorientierten Arbeitsumgebung optimale Lerngelegenheiten für die Schülerinnen und Schüler schaffen. »Gesund« bedeutet in diesem Kontext, dass es den Lehrpersonen gelingen kann, die Balance zwischen Anforderungen und Ressourcen dynamisch zu gestalten und lernen mit den zahlreichen Belastungen des Lehrberufs umzugehen. »Gesundheit (…) ist die Basis für unsere Belastbarkeit und wird dauernd von mehr oder weniger starken bzw. unausgewogenen Anforderungen strapaziert. Sie ist kein erreichbarer Idealzustand, sondern ein Balanceprozess, der durch Gesundheitshandeln laufend korrigiert werden muss! Lehrkräfte haben (…) die Verantwortung, nie mehr Aufgaben anzunehmen, als sie aufgrund ihrer aktuellen Ressourcenlage bedienen können. Umgekehrt sollten sie aber auch nicht wesentlich weniger Ziele verfolgen, als sie erreichen können, um ihre Belastbarkeit und faktische Selbstwirksamkeit zu erfahren. Sie sollten außerdem ihre Ressourcen pflegen, so wie jeder Berufstätige seine materiellen und menschlichen Ressourcen pflegen muss, um gute Arbeit zu leisten« (Sieland, 2008, S. 412). Zu einer solchen Ressourcenpflege gehören im schulischen Kontext erstens die einzelne Person (Selbst/Ich), ihr Gegenüber und somit eine andere Person (Du) sowie das Kollegium (Wir). Personale Ressourcenpflege meint unserer Ansicht nach explizit nicht nur individuelle Selbstfürsorge, sondern integriert auch die Fürsorge für andere Personen.

Zur individuellen Selbstfürsorge zählen wir etablierte Präventions- und Interventionsmaßnahmen, wie eine achtsame Selbstwahrnehmung, die Fähigkeit, sich ausreichend Gutes zu tun (genügend Schlaf, viel Bewegung, bunte Ernährung, reichlich Zeit für Tätigkeiten, die man gerne tut) und zahlreiche Gelegenheiten, um das eigene Sein und Tun sinnhaft zu erleben (Kaluza, 2011; Krause & Mayer, 2012; Kéré Wellensiek, 2012a). Hierzu gilt es kritisch anzumerken, dass sich eine gesunde Selbstfürsorge von gesellschaftlich stark eingeforderten Selbstverbesserungsbemühungen und einer übertriebenen Selbstoptimierung (Borkenhagen & Brähler, 2012) abzugrenzen hat. Wir gehen davon aus, dass diese Gratwanderung als Resonanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit erfahren werden kann.

Die Fürsorge für andere Personen basiert auf der Bereitschaft, sich in andere (Du) einfühlen zu können, um deren Motive und Sinnstrukturen zu verstehen. Im Dialog mit anderen wird es möglich, die eigenen Auffassungen und Sinnstrukturen zu artikulieren, sie dadurch bewusster zu machen und im Spiegel der anderen zu prüfen, zu bestätigen oder zu modifizieren.

Auf der Basis einer selbstverantwortlichen Selbstfürsorge und einer entwicklungsorientierten Fürsorge für andere Personen können die gemeinsamen Aufgaben und Tätigkeiten aktiv gestaltet werden (Wir). Indem Unterrichts- und Schulentwicklung gemeinsam verantwortet und gestaltet werden, zeigt sich auch, wie wertvoll es ist, Unterstützung anzubieten wie auch zu erhalten (Buber, 2006; für den Arbeitskontext Brägger & Posse, 2007; für die Austauschprozesse über das Lernen Ruf & Badr, 2002).

1.2 Unterrichtsentwicklung: gut, gesund und gerne unterrichten

Das Unterrichten ist eine komplexe und anspruchsvolle Tätigkeit, die je nach Schulstufe, Fach und Thema variiert und maßgeblich durch die beteiligten Personen gestaltet und die jeweils aktuelle Situation bestimmt wird (Meyer, 2010). Lehrerinnen und Lehrer planen ihren Unterricht, wählen sinnvolle Zielsetzungen und relevante Inhalte aus, entwickeln lernförderliche Aufgaben und begleiten die Schülerinnen und Schüler beim Lernen. Damit dies funktioniert, sind unzählige Entscheidungen zu treffen und Handlungsoptionen zu prüfen. Erfolgreiches Unterrichten muss somit ständig erprobt, gestaltet und reflektiert werden – Unterrichten ist ein kunstvolles Versuchshandeln, das wir unter dem Motto »Gut, gesund und gerne unterrichten« erläutern möchten:

Lehrpersonen, die gut unterrichten, verstehen, wie die Lern- und Leistungsprozesse ihrer Schülerinnen und Schüler verlaufen (Steiner, 2004; Sacher, 2009, Hattie, 2014) und sind deshalb in der Lage, deren Lernen zu fördern und angesichts der daraus resultierenden Erfolge mannigfache eigene Kompetenzerfahrungen zu sammeln.

Zudem verstehen sie es, gerne bzw. mit gesundem Engagement zu arbeiten, mit den komplexen Anforderungen und Gegebenheiten ihres Berufs ressourcenorientiert umzugehen, passende Haltungen für unterschiedliche und auch schwierige Situationen zu finden sowie ihre Widerstandskraft gekonnt ins Spiel zu bringen und zu stärken. Solchermaßen engagiertes wie gesundes Wirken und Werken schafft die Ausgangslage für ein als sinnhaft erfahrenes Arbeiten, das von Anerkennung und Wertschätzung getragen wird (ausführliche Erläuterungen zum salutogenen Unterricht siehe Kapitel 7 Salutogener Unterricht – Gut, gesund und gerne unterrichten, S. 78).

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Abb. 4: Salutogene Unterrichtsentwicklung in gesunden Schulen

1.3 Organisationsentwicklung: Schule sinnstiftend gestalten

Wollen sich »atemlose« Schulen zu frei atmenden Organisationen gut und gesund entwickeln (Brägger & Posse, 2007), dann können bereits kleine Veränderungen der Strategien, der Strukturen und Prozesse sowie der Kultur zu »gesünderen« schulischen Rahmenbedingungen führen, die für Lehrpersonen und Schulleitungen unmittelbar spürbar sind (Schratz, 2004; DAK & Unfallskasse NRW, 2012; Schaarschmidt & Fischer, 2013). Und weil gesunde Schulen für alle Akteure einen Resonanzraum und eine Ressource bilden, den je individuellen Kohärenzsinn zu stärken, heißt unser leitendes Motto für die Organisationsentwicklung: »Schule sinnstiftend gestalten«.

Dies kann zunächst gelingen, wenn die schulische Strategie für mehr Akteure identitätsstiftend wird, indem z. B. Leitbilder keine Dilemmata und Zielkonflikte mehr erzeugen, sondern als Ergebnis lebendiger und partizipativer Diskurse – mit ggf. zunächst sichtbaren Differenzen und heterogenen Bildern – nach und nach ein gemeinsames Verstehen der schulischen Herausforderungen ermöglichen und hierdurch einen Gemeinsinn stiften helfen. Erst wenn gemeinsam getragene Zielvorstellungen eine breite Identifikation und Verbundenheit mit der »eigenen« Schule ermöglichen, kann sich eine spürbare Kraft bei den Beteiligten entfalten, die die Schulgemeinschaft lebendig im Alltag leitet. Zur erfolgreichen Bewältigung und Handhabung können Schulprogramme – in Form selbst geschriebener Regieanleitungen für die kommenden zwei bis drei Jahre – geeignete Mittel sein, die die schulischen Entwicklungsziele vor dem Hintergrund eines gemeinsam formulierten Leitbilds und konkreter arbeitsteiliger Umsetzungsvorhaben schrittweise einlösen helfen.

Für die Planung und Steuerung derartiger Vorhaben sind stabile und flexible Strukturen für wirkungsvolle Prozesse konstituierend. Dabei kommt es zunächst darauf an, die schulischen Herausforderungen richtig einzuordnen und zu verstehen und die passenden Mittel für den angestrebten Zweck zu finden, wie z. B. Jahrgangsteams zur Verbesserung der fächerverbindenden Teamarbeit, Projektteams zur Kooperation mit außerschulischen Partnern oder ein Steuerkreis zur Koordination aller aktuellen Vorhaben, um nur wenige Beispiele zu nennen. Nur wenn die Mittel kein Selbstzweck sind und die Strukturen gute, d. h. partizipative, transparente und ergebnisbezogene Prozesse ermöglichen, entstehen Bedingungen, die bei den Beteiligten »Sinn« erzeugen können. Damit das Ganze gut handhabbar wird, sind sichtbare Ziele sowie geklärte Rollen, Aufgaben und Abläufe mit eindeutigen Entscheidungswegen und transparenten Informationsflüssen notwendig. Solche Prozesse, die von selbstkritischen Ist-Analysen sowie von geklärten Zielen, vereinbarten Wegen und Schritten dorthin und von hierfür notwendigen Ressourcen getragen sind, beflügeln eine wirkungsvolle Teamarbeit auf allen Ebenen. Deren Wirkungen werden dann von vielen gespürt, reflektiert und wertschätzend gewürdigt. Aber erst wenn die Gesamtarchitektur aller wesentlichen Ziele, Vorhaben, aktueller »Baustellen« sowie deren Steuerungs- und Arbeitsgremien in einem Überblick – z. B. in Form eines attraktiven Organigramms – für alle transparent ist, können alle Teile als Elemente eines gemeinsamen Ganzen sinnstiftende Bedeutung erlangen.

Schließlich gelingt es guten und gesunden Schulen, Teufelskreise von Ohnmacht und Schuldzuweisungen oder Motive des Selbstschutzes und der inneren Kündigung als Ausdruck einer kränkenden Kultur des Misstrauens und der Konkurrenz Schritt für Schritt in einer Kultur und einem Klima der Anerkennung und Wertschätzung und des wechselseitigen Vertrauens zu lösen. Hier bilden Partizipation und Mitwirkung nicht nur schöne Worte, sondern werden effektiv praktiziert, indem Gemeinsinn keinen Zwang zur Unterordnung darstellt, sondern zunächst einen respektvollen Umgang mit Differenzen und dann vor allem die Chance für einen gemeinsam entwickelten »Sinn« für schulische Entwicklungsvorhaben eröffnet. Diese wiederum machen konsensorientierte Entscheidungen möglich; und die soziale Zugehörigkeit bedeutet eine geteilte Mit- und Selbstverantwortung und erlebte Unterstützung. Und Bedeutungen sind deshalb zentral, weil Klima kein objektiver Zustand, sondern das ko-konstruierte Ergebnis intersubjektiver Deutungen ist.

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Abb. 5: Sinnstiftende Organisationsentwicklung in gesunden Schulen

Mit diesem Ansatz wird Gesundheitsförderung konzeptionell und praktisch nicht mehr additiv in Form von zusätzlichen (Gesundheits-)Projekten, sondern integral als ein Schlüssel guter Schulqualität lebendig. Und »gut« bedeutet hierbei vor allem eine Schulqualität, die das individuelle und gemeinsame Verstehen, Handhaben und Sinnfinden fördert.

Hierdurch entsteht ein schulisches Immunsystem eigener Werte, Visionen und Ziele, das sich in stabilen, aber flexiblen Strukturen mit wirkungsvollen Prozessen und einer wertschätzenden Kultur in einem als unterstützend wahrgenommenen Klima ausdrückt und Einzelne und Teams vor Willkür und »Projektitis« sowie vor Torheit schützt und stärkt.

1.4 Schulleitung: Schule kohärent und heiter führen