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Besonderen Dank an Catherine Hapka

 

 

 

Umzug aufs Land

„Raus da, Mogli!“, sagte Lena Kennet kichernd.

Der dicke Kater mit dem orangefarbenen Fell blinzelte sie über den Rand einer halb ausgepackten Umzugskiste an. Sein schwarz gestreifter Schwanz schwang hin und her. Dann sprang er aus der Kiste und schnappte sich ein Stück Verpackungsband.

„Frecher Kater!“ Lena nahm ihm das Klebeband ab. „Du kannst bald im Freien nach Insekten jagen. Das macht viel mehr Spaß, als mit Klebeband zu spielen.“

Sie ging zum Fenster ihres Zimmers. Von dort hatte sie einen schönen Blick in den Garten hinter dem Haus. Ganz hinten an der Gartenmauer stand eine kleine Holzhütte mit weiß gestrichenen Wänden. Daraus sollte ein Malstudio für Lenas Mutter werden. Mrs Kennet malte leidenschaftlich gern, aber in ihrer Wohnung in der Stadt war dafür zu wenig Platz gewesen.

Hinter der Gartenmauer breitete sich das Dörfchen Willow Springs aus. Und dahinter erhoben sich die Berge hoch über die roten Dächer der Häuser. Obwohl es Sommer war, lag auf den Gipfeln noch Schnee.

„Ich kann es immer noch nicht glauben, dass wir jetzt hier wohnen“, sagte Lena zu Mogli. „Es ist viel schöner als in der Stadt!“ Sie griff in die Kiste, aus der Mogli gerade gesprungen war. „He!“, schimpfte sie. „Meine neue Reithose ist voll mit deinen Haaren!“

Sie klopfte die Katzenhaare ab und drückte die Hose an sich. Sie war ein Abschiedsgeschenk von ihrem Vater. Obwohl ihre Eltern nicht mehr zusammenlebten, konnte Lena ihren Papa jederzeit besuchen. Es fühlte sich zwar weit an, aber die Fahrt in die Stadt dauerte nur eine Stunde.

„Sei nicht traurig“, hatte ihr Vater ein paar Tage vor dem Umzug gesagt. „Du kannst die Schulferien bei mir verbringen. Also falls du es schaffst, dich von deinem neuen Zuhause loszureißen.“

„Wie meinst du das?“, hatte Lena gefragt. „Natürlich will ich dich so oft es geht besuchen kommen.“

Ihr Vater hatte gelacht und ihr über den langen, dunklen Zopf gestrichen. „In einem Ort wie Willow Springs gibt es bestimmt ganz viele Ponys. Und die sind doch bestimmt viel interessanter als dein oller Papa.“

Lena liebte Ponys und Pferde, seit sie denken konnte. Sie las Pferdebücher, spielte mit Spielzeugponys und erzählte jedem von ihren Lieblingstieren. Aber in der Stadt gab es keine Pferdeställe und Lena war noch nie auf einem echten Pony geritten. „Ponys in Willow Springs? Glaubst du wirklich?“

„Ja, ganz sicher“, hatte ihr Vater erwidert. „Bestimmt wirst du dort endlich reiten lernen. Und deshalb möchte ich dir eine Reithose schenken. Du darfst sie dir selbst aussuchen.“

Im Reitgeschäft hatte Lena lange überlegt, welche Hose sie wählen sollte. Die rotbraun karierte war schick und die pinkviolette ein Blickfang. Aber dann hatte sie sich für klassisches Cremeweiß entschieden – so wie die Hosen auf den Bildern in ihren Büchern.

Liebevoll strich sie über den weichen Stoff. „Ob es wirklich wahr wird?“, wisperte sie. „Ob ich endlich reiten lerne?“

Sie schlüpfte aus ihrer kurzen Hose und zog die Reithose an. Sie passte perfekt. Die Stoffeinsätze auf den Innenseiten fühlten sich steif und ungewohnt an, aber irgendwie auch gut.

Krach!

„Was war das?“, fragte Lena. Mogli hatte sich unter ihr Bett geflüchtet. Das Geräusch war von unten gekommen.

Lena rannte die Treppe hinunter und blieb abrupt stehen. In der Nische unter der Treppe stand ein Schreibtisch und der dazugehörende Stuhl war umgekippt. Lenas Mutter kniete auf Händen und Füßen auf dem Boden und hatte den Kopf unter den Tisch gesteckt.

„Was machst du da?“, fragte Lena.

Ihre Mutter krabbelte rückwärts. Ihre dunklen Haare waren verwuschelt und ihre Stirn staubverschmiert.

„Das Internet funktioniert!“, verkündete sie und blinzelte Lena an. „Oh, ist das die Reithose, die Papa dir geschenkt hat?“

„Ist sie nicht schön?“ Lena drehte sich wie ein Model. „Glaubst du, dass es in der Nähe Ponys gibt?“

„Ich nehme es an.“ Ihre Mutter rieb sich über das Kinn und verteilte noch mehr Schmutz in ihrem Gesicht. „Und ich verspreche dir, dass du, so bald es geht, Reitstunden bekommst. Aber …“

„Ich weiß“, unterbrach Lena sie. „Das ist in Ordnung, ich habe es nicht eilig.“

Es machte ihr Spaß, davon zu träumen, wie sie eines Tages durch die Berge galoppieren würde. Aber Lena wusste, dass Reitstunden teuer waren. Ihre Mutter arbeitete als selbstständige Korrekturleserin, aber sie verdiente nicht sehr viel und der Umzug hatte schon eine Menge gekostet.

Mrs Kennet umarmte Lena. „Vielen Dank, dass du so eine wundervolle Tochter bist.“

„Gern geschehen“, entgegnete Lena lächelnd.

„Nein, ich meine das ernst.“ Ihre Mutter strich ihr übers Haar. „Du machst das alles super mit. Nicht jede Neunjährige würde, ohne sich ein einziges Mal zu beschweren, in einen fremden Ort umziehen.“

„Das ist schon okay“, sagte Lena und zuckte mit den Schultern. „Es ist ein Abenteuer.“

Ihre Mutter kicherte. „Ist das ein anderes Wort für ‚eine riesige, irgendwie beängstigende Veränderung‘?“

„Es ist nicht beängstigend“, antwortete Lena. „Wir haben doch uns, stimmt’s?“

„Ja, stimmt.“ Ihre Mutter drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, dann trat sie zurück und warf einen Blick auf den Kistenstapel neben der Tür. „Der Computer läuft, was soll ich als Nächstes machen?“

„Hast du schon deine Malsachen ausgepackt?“, fragte Lena.

„Noch nicht.“ Ihre Mutter runzelte die Stirn. „Ich muss zuerst die Gartenhütte sauber machen.“

„Du meinst dein Studio“, verbesserte Lena sie. „Komm, lass uns das jetzt gleich erledigen.“

Kurze Zeit später werkelten Lena und ihre Mutter in der kleinen Hütte. Sie schrubbten die Wände, fegten den staubigen Boden und beseitigten die Spinnweben vor den Fenstern und in den Ecken.

„Ihh!“, schrie Lena, als etwas über ihren Besen krabbelte. „Eine riesige Spinne!“

Ihre Mutter lachte. „Aha, bei Spinnen hört deine Tierliebe also auf.“

Sie lachten immer noch, als es an der Tür klopfte. Eine ältere Dame blinzelte in die Hütte. Sie hatte kurzes graues Haar und trug einen bunt gestreiften Pullover. Die Brille war ihr auf die Nasenspitze gerutscht und ihre blauen Augen blickten über die Gläser hinweg.

„Hallo“, grüßte sie fröhlich. „Jemand zu Hause?“

„Hallo.“ Lenas Mutter kam zur Tür. „Ich bin Angela Kennet und das ist meine Tochter Lena. Wir sind gerade erst eingezogen.“

„Ja, ja, ich weiß. Ich habe schon von euch gehört.“ Die Frau strahlte sie an. „Ich bin Rosa Kraft. Ich wohne nebenan.“

„Oh, wie schön, Sie kennenzulernen, Mrs Kraft.“ Lenas Mutter schüttelte der Nachbarin die Hand. „Entschuldigen Sie, wir sind ganz schmutzig.“

Mrs