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Besonderen Dank an Catherine Hapka

 

 

 

Kein Musterschüler

„Macht es dir wirklich nichts aus, dass du heute nicht zum Ponyhof Apfelblüte gehen kannst?“, fragte Mrs Kennet ihre Tochter Lena. Die beiden spazierten die Hauptstraße von Willow Springs entlang. Lena hielt eine Hundeleine in der Hand und ein kleiner Dackel wackelte fröhlich neben ihr her.

„Nein, das ist schon in Ordnung.“ Lena zog sanft an der Leine, als der Dackel plötzlich zur Seite sprang, um neugierig an einem Laternenpfosten zu schnuppern. „Morgen ist Lottes Tag mit Goldstück. Wir wollen einen langen Ausritt machen.“

„Lottes Tag mit Goldstück?“, wiederholte Mrs Kennet verwirrt.

Bevor Lena antworten konnte, bellte der Dackel und hüpfte einem Vogel hinterher. Beinahe hätte er Lena von den Füßen gerissen. „Oh, Nacho“, sagte Lena seufzend. „Es ist so heiß heute. Können wir nicht ein bisschen langsamer laufen?“

„Anscheinend nicht.“ Mrs Kennet lachte. „Deshalb soll er ja auch in die Hundeschule. Mrs Kraft ist so froh, dass du mit ihm zum Unterricht gehst. Wenn er nicht bald besser gehorcht, treibt er sie noch in den Wahnsinn.“

Mrs Kraft war ihre Nachbarin. Und Nacho der Hund deren Schwester, die sich gerade von einer Knieoperation erholte. Bis es ihr wieder besser ging, sollte der kleine Dackel bei Mrs Kraft bleiben.

„Das wird lustig.“ Lena bückte sich, um Nachos Bein von der Leine zu befreien, die sich darumgewickelt hatte. „Stimmt’s, Nacho?“

Nacho bellte und schleckte ihr über das Gesicht. Mrs Kennet lachte. „Also, was hast du noch mal über Lotte gesagt? Sie ist doch das Mädchen, das immer in Rosa gekleidet ist, oder?“

„Genau“, antwortete Lena. Ponyhof Apfelblüte war so ein wichtiger Teil ihres Lebens geworden, dass sie alles, was mit ihm zusammenhing, bis ins kleinste Detail kannte. Manchmal vergaß sie, dass ihre Mutter nicht so gut Bescheid wusste wie sie selbst. „Lottes Mutter bekommt bald Zwillinge und jetzt können sie sich kein Pony mehr leisten. Deshalb darf Mrs Marle Goldstück an vier Tagen die Woche für den Unterricht nehmen und dafür müssen sie weniger Stallmiete zahlen. Lotte reitet ihn dann an den anderen drei Tagen.“

„Und ihr habt euch zu einem Ausritt morgen verabredet“, sagte Mrs Kennet und nickte. „Gute Idee!“

Als sie um eine Ecke bogen, wurde Nacho schneller. „Da ist das Gemeindezentrum“, sagte Lena und deutete auf ein flaches Gebäude. „Dort ist der Hundeunterricht.“

Ihre Mutter und sie betraten die Eingangshalle. Lena hörte entferntes Bellen.

Nacho hörte es auch. Er spitzte die Ohren und kläffte mehrmals kurz und laut hintereinander. Lena konnte nicht verhindern, dass er sie quer durch die Halle zum nächsten Saal zog. Ein Dutzend Hunde mit ihren Herrchen war bereits dort.

„Oh“, sagte Lena und sah sich um. „Wer hätte gedacht, dass so viele unterschiedliche Hunde hierherkommen?“

Ein freundlich blickender Mann kam auf sie zu. Er trug Jeans und eine Krawatte mit Hündchenmuster. Lena bemerkte, dass seine Haare genau die gleiche rotbraune Farbe hatten wie Nachos Fell.

„Hallo, bist du für die Anfänger-Hundeklasse hier?“, fragte der Mann. „Ich bin der Lehrer, Mr Gelburg.“ Seine Augen leuchteten auf, als Nacho bellend und schwanzwedelnd um ihn herumsprang. „Ah, ein Dackel – eine meiner Lieblingsrassen. Du kannst dich glücklich schätzen, so einen Hund zu haben.“

„Danke, aber er gehört nicht mir.“ Lena erzählte von Mrs Krafts Schwester. Mr Gelburg nickte, als er Mrs Krafts Namen hörte. „Ich kenne Rosa Kraft“, sagte er. „Aber ich wusste nicht, dass sie einen Hund zu Besuch hat.“ Er bückte sich und streichelte Nacho. Nacho sprang an ihm hoch und wedelte wild mit dem Schwanz.

„Vorsicht!“, sagte Lena. „Er kaut auf Ihrer Krawatte.“

Mr Gelburg lachte und zog seinen Schlips aus dem Hundemaul. „So ein freches Kerlchen. Keine Sorge, wir bringen ihm noch Manieren bei. Gut, melde dich an. Wir beginnen in ein paar Minuten.“

Lenas Mutter trug sie in die Teilnehmerliste ein und beobachtete die Stunde dann von der Tür aus. Währenddessen ging Lena zu den anderen Hundebesitzern hinüber. „Benimm dich, Nacho“, warnte Lena ihn.

Doch das tat Nacho nicht. Er versuchte, alle anderen Hunde anzuspringen – vom kleinsten, flauschigen Pudel bis zum schüchternsten Windhund. Die meisten Hundebesitzer lachten und sagten, wie niedlich Nacho sei. Doch die Frau mit dem Windhund runzelte die Stirn und ging mit ihrem Hund auf die andere Seite des Raums.

Mr Gelburg bat um Aufmerksamkeit. „Bitte stellen Sie sich in einem Kreis auf“, sagte er. „Wir beginnen mit dem einfachsten Befehl: sitz. Mal sehen, wer den schon kennt.“

„Sitz“ ertönte es mehrstimmig. Einige Hunde setzten sich sofort. Viele andere beachteten den Befehl aber nicht, einschließlich Nacho.

„Sitz, Nacho“, wiederholte Lena. Ein Mann drückte die Hinterbeine seines Collies nach unten und Lena machte es ihm nach. „Sitz!“

„Vorsicht, Lena.“ Mr Gelburg kam zu ihr geeilt. „Dackel haben sehr zarte Knochen. Du darfst nicht zu viel Druck auf sie ausüben.“

„Oh! Entschuldigung.“ Lena schämte sich. „Ich weiß nicht so viel über Hunde, dafür aber eine Menge über Ponys.“

„Wirklich? Nun, das ist beeindruckend. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie man ein Pony zum Sitzen bringt“, scherzte Mr Gelburg und zwinkerte ihr zu. „Mach dir keine Gedanken, du bist ja hier, um zu lernen. Lass es uns doch mal so probieren …“

Er nahm Nachos Kinn in die Hand und hob es sanft an. Es brauchte ein paar Versuche, aber schließlich streckte Nacho seine lange Nase zu Mr Gelburg hoch.

„Sitz, Nacho“, sagte er und die Hinterbeine des kleinen Hunds sanken zu Boden. „Siehst du? Statt sein Hinterteil runterzudrücken, hebst du einfach sein Vorderteil hoch.“

„Erstaunlich!“, sagte Lena lächelnd. „Nacho, wir haben schon etwas gelernt!“

Statt stolz zu ihr hochzusehen, sprang Nacho auf und riss Lena die Leine aus der Hand. Er rannte zu einem Golden Retriever und bellte ihn fröhlich an. Der große Hund rollte sich auf den Rücken und wedelte mit dem Schwanz.

„Oh! Nacho, komm her!“ Lena spürte, wie sie rot wurde.

„Das macht nichts“, sagte die Besitzerin des Retrievers, hob Nacho hoch und reichte ihn Lena. „Meine Goldie ist ganz freundlich.“

„Nacho auch“, sagte Lena seufzend. „Vielleicht ein bisschen zu freundlich.“