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Besonderen Dank an Catherine Hapka

 

 

 

Die Volksfest-Überraschung

„Beeil dich!“, rief Lena Kennet. „Wir müssen den König warnen!“

Lena trieb ihr Pony zur Eile an und der Apfelschimmel begann zu traben. Samson war ein braves, verlässliches Pony, aber jetzt lief er aufmerksam und ein bisschen aufgeregt den Waldweg entlang.

„Die Feinde kommen näher!“, rief Lenas Freundin Mia Howard. Sie ritt auf einem Pony namens Aska. Sein graues Fell war so hell, dass es im Schatten der Bäume eher weiß wirkte. „Komm, Hannah. Wir müssen vor ihnen in der Burg sein!“

„Ich bin hier!“ Hannah Glass war die Dritte in der Gruppe. Sie ritt auf einem schwarz-weiß gescheckten Pony namens Pinto. „Holt mich ein, wenn ihr könnt!“

Hannah galoppierte an den anderen Ponys vorbei. Mia lachte und gab Aska die Fersen. Das graue Pony wich kurz zur Seite aus, dann galoppierte es los.

„Komm, Samson“, sagte Lena. „Vorwärts, edles Ross. Zur Burg!“

Sie trieb Samson an, um den anderen zu folgen. Samson machte schnaubend einen Sprung nach vorn, schüttelte seine seidige Mähne und galoppierte los. Lena fand, dass er wie ein echtes Schlachtross aussah.

„Pass auf, Hannah!“, rief Mia von vorne. „Da liegt ein Baumstamm auf dem Weg.“

„Die Feinde des Königs haben ihn wahrscheinlich dort hingelegt“, rief Hannah. „Aber wir lassen uns nicht aufhalten!“

Sie drängte Pinto, noch schneller zu galoppieren. Das Pony flog über den Baumstamm. Hannah beugte sich im Sattel nach vorn, damit der Sprung für Pinto leichter wurde.

Der Baumstamm war nicht sehr dick, aber Lena war trotzdem beeindruckt. Bis vor einer Woche hatte sie nämlich gedacht, dass Hannah nicht reiten konnte. Hannah war oft mit ihrer Freundin Paulina zum Ponyhof Apfelblüte gekommen, auf dem Paulinas Pony stand. Hannah half allen Reiterinnen gern beim Striegeln und Ausmisten. Aber sie war nie selbst geritten.

Dann hatte Lena herausgefunden, dass das schüchterne Mädchen eine sehr erfahrene Reiterin war. Doch nach einem Unfall bei einem Springturnier hatte Hannah mit dem Reiten aufgehört. Erst als Pinto auf den Hof gekommen war, hatte sie sich entschlossen, es noch einmal zu versuchen. Mithilfe des sanften Ponys hatte Hannah ihr Selbstvertrauen wiedergefunden. Das war vor etwas mehr als einer Woche gewesen und seitdem hatte sie keinen Reittag verpasst.

Aber Lena hatte keine Zeit, um weiter über Hannah nachzudenken. Aska sprang bereits über den Baumstamm. Als Samson das Hindernis entdeckte, richtete er die Ohren nach vorn.

„Komm, Samson“, wisperte Lena ihm zu und fasste die Zügel kürzer. „Wir schaffen das!“

Schon ihr ganzes Leben hatte Lena Pferde geliebt. Aber bevor sie mit ihrer Mutter Anfang des Sommers in den kleinen Ort Willow Springs gezogen war, hatte sie nie die Gelegenheit zum Reiten gehabt. Kurz nach dem Umzug hatte Lena den Ponyhof Apfelblüte gefunden und Samson kennengelernt. Inzwischen verbrachte sie fast jeden Tag auf dem Hof. Lena liebte das Reiten und auch das Springen. Aber sie war bei neuen Sprüngen immer noch etwas nervös. Schließlich hatte sie das Springen erst vor wenigen Wochen gelernt.

Aber sie vertraute darauf, dass Samson auf sie aufpassen würde. Sie drückte die Fersen nach unten und richtete den Blick auf den Weg. Sie wartete darauf, dass das Pony den Baumstamm erreichte.

„Jippieh!“, rief sie, als sie darübersegelten. Einen Moment später war sie neben Mia. „Das war toll!“

„Ja, super.“ Mia kreischte vor Überraschung, als Aska plötzlich einen Hüpfer zur Seite machte. Misstrauisch beäugte sie einen Baumstumpf am Wegrand. „Du dummes Pony“, sagte Mia. „Hast du etwa vor diesem ollen Stumpf Angst?“

„Vielleicht denkt sie, dass sich ein Feind dahinter versteckt“, scherzte Lena. Aska war ein kluges Pony und sehr beliebt bei den Reitanfängern, weil sie immer ruhig blieb. Aber Lena wusste, dass sie mit einem erfahrenen Reiter auf dem Rücken ganz anders sein konnte, vor allem außerhalb des Reitplatzes.

Mia lachte. „Sie hat viel Fantasie! Komm, wir beeilen uns lieber. Hannah hängt uns sonst ab.“

Eine Weile später preschten die drei Reiterinnen aus dem Wald hinter dem Ponyhof. Lena kniff die Augen zusammen, als Samson aus dem schattigen Wald ins helle Sommerlicht lief.

„Puh!“, seufzte Mia und wischte sich über die Stirn. „Ich habe ganz vergessen, wie heiß es heute ist. Sollen wir den Rest des Wegs traben? Dann sind wir schneller zurück und können die Ponys noch mit dem Wasserschlauch abduschen.“ Sie kicherte. „Und uns natürlich auch.“

Hannah schüttelte den Kopf. „Wir sollten im Schritt reiten“, sagte sie. „Dann können die Ponys langsam abkühlen.“

Das war typisch für Hannah. Sie dachte immer zuerst an das Wohl der Ponys und dann an ihr eigenes.

Lena klopfte Samson den Hals. Sein Fell war warm und verschwitzt. „Klingt nach einer guten Idee“, sagte sie. „Je länger wir brauchen, desto besser wird sich das kühle Wasser anfühlen.“

Eine Stunde später führte Lena Samson in seinen schattigen Stall. Ponyhof Apfelblüte befand sich in einer alten, aber gut gepflegten Burg am Fuße der Berge. Der Hof war von großen Steinmauern umgeben und mit Kopfstein gepflastert. Ein großer, knorriger Apfelbaum stand in der Mitte des Hofs und in seinem Schatten die Wasserpumpe. Dort hatte Lena Samson gerade abgespritzt.

„So, Samson.“ Lena gab dem Pony einen letzten Klaps. „Ich hoffe, die Dusche hat dir gefallen.“ Sie kicherte und verbeugte sich fröhlich. „Das war das wenigste, was ich für dich tun konnte, nachdem du dem König so treu gedient hast. Du hast die Burg gut geschützt.“

Samson stupste sie mit seiner weichen Nase an, dann wandte er sich seinem Heu zu. Lena hob den Sattel auf und lief über den Hof zur Sattelkammer. Auf dem Rückweg kam sie an Hannah vorbei, die immer noch neben der Wasserpumpe stand. Nachdenklich wischte sie mit einem weichen Tuch über Pintos glänzendes Fell.

Lena blieb stehen. „Du bist bestimmt traurig, weil Pinto morgen nach Hause fährt“, sagte sie.

„Ja, bin ich.“ Hannah biss sich auf die Lippe. „Ich wünschte, er könnte länger bleiben. Aber sein Besitzer vermisst ihn bestimmt schon.“

Pinto gehörte einem Jungen, der im Nachbarort lebte. Pinto war zwei Wochen auf dem Ponyhof gewesen, solange der Junge mit seinen Eltern Urlaub machte.

Lena sah Hannah besorgt an und hatte beinahe Angst, die nächste Frage zu stellen. „Wirst du weiter reiten, auch wenn er weg ist?“, fragte sie.

Hannah antwortete nicht sofort, sondern starrte Pintos glänzendes Fell an. Dann sah sie Lena lächelnd an. „Auf jeden Fall“, sagte sie leise. „Pinto hat mir geholfen, mich wieder daran zu erinnern, wie gerne ich reite. Ich werde es nicht noch einmal aufgeben.“

„Super.“ Lena war erleichtert. Sie hatte Angst gehabt, dass Hannah wieder aufhören würde, sobald Pinto abgereist war.