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Humboldts Innovationen

Daniel Klink / Martin Mahn / Alexander Schug (Hg.)

Humboldts

Innovationen

Soziales, wissenschaftliches und wirtschaftliches Unternehmertum an der Humboldt-Universität zu Berlin

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in

der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d.nb.de abrufbar.

ISBN (eBook, epub): 978-3-940621-54-2

Lektorat: Xaver Elavon

Grafisches Gesamtkonzept, Titelgestaltung, Satz und Layout:

Stefan Berndt – www.fototypo.de

www.vergangenheitsverlag.de

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen,

der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe

und der Übersetzung vorbehalten.

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Ein akademisches Unternehmen: das Corpus Inscriptionum Latinarum - Theodor Mommsen

„Lassen Sie das, mit dem Gespüle ist ja doch nichts anzufangen!“ - August Wilhelm von Hofmann

„Ein Leben voller Arbeit und Mühe ist keine Last, sondern eine Wohltat.“ - Rudolf Virchow

Jenseits von Afrika - Heinrich Barth

Ein Leben für das Licht - Albrecht von Graefe

Neue Zeit zum Anfassen - Wilhelm Julius Förster

Dem Dünger auf der Spur - Adolph Frank

Die Revolution im Papier - Alexander Mitscherlich

Morphinistische Katzen an der Minibar Moralia - Louis Lewin

„Bisher nahm ich den Kampf umso eifriger auf“ - Emil von Behring

Der Ein-Frau-Betrieb - Alice Salomon

„Und im Traum, in einigen Fällen, hört er den Polarfuchs bellen.” - Alfred Wegener

Die Vorturnerin - Karin Janz

Tanz zwischen den Stühlen - Jürgen Kuttner

„Wir wollen Bedingungen schaffen, damit andere nachfolgen können“ - Andreas Heinz

Ideen und Idealismus - Conny Smolny

„Inspiration erfährt nur der vorbereitete Geist“ - Stephan Bayer

Nachwort

Autoren- und Herausgeberinfo

Anmerkungen

Abbildungsverzeichnis

Vorwort

Prof. Dr.

Michael Linscheid,

Vizepräsident für

Forschung der Humboldt-Universität zu Berlin

Muss sich Forschung durch Anwendung rechtfertigen? Ist das Geld der Steuerzahler nur dann gut angelegt, wenn eine neuartige Krebstherapie für morgen absehbar ist, wenn bessere Bremsen für Autos sofort machbar werden oder noch aussagefähigere Studien zur schulischen Kindererziehung oder zum altersbedingten Umbau der Gesellschaft damit bezahlt werden?

In seinem heute wie damals im Jahr 1997 hochaktuellen Buch „Pasteur’s Quadrant“ hat Donald E. Stokes, der ehemalige Dean der Woodrow Wilson School of Politics and Public Affairs der Princeton University, die Zusammenhänge zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung umfassend beleuchtet. Eine seiner zentralen Thesen soll hier diesem Buch vorangestellt sein: Es gibt keinen einfachen, planbaren Weg von der Grundlagenforschung zu Anwendungen, sondern beide haben ihre Berechtigung, sind auf vielfache Weise miteinander verwoben und bedingen sich gegenseitig.

Zur Darstellung wählte er vier Quadranten, deren Achsen der reine Erkenntnisgewinn einerseits und orthogonal dazu die Möglichkeit einer Anwendung angeordnet sind. Das führt, wie nun leicht einsehbar ist, zu den vier Feldern (1) reine Grundlagenforschung, ohne jede Anwendung im Sinn (er nannte diesen Niels Bohrs Quadrant), (2) durch Anwendung inspirierte Grundlagenforschung (das ist Pasteurs Quadrant), (3) Forschung zur Lösung spezieller Fragen ohne allgemeinen Erkenntnisgewinn und (4) Forschung, direkt gezielt auf Anwendung und technische Innovation (Edisons Quadrant).

Universitäten bewegen sich in den ersten drei Quadranten und überlassen den vierten, dies gilt zumindest in Deutschland, eher den Firmen oder spezialisierten Forschungsinstituten, die aber ebenfalls meist mit Industriepartnern zusammenarbeiten. Dies heißt aber eben nicht, dass universitäre Forschung keine Innovationen zur Folge hat – das Gegenteil ist richtig. Da die Forschung im 4. Quadranten immer auch auf Grundlagenforschung zurückgreifen muss, ist indirekt auch daran die Forschung in der Universität beteiligt; gleiches gilt natürlich auch für Forschungsinstitute, die sich der Grundlagenforschung verschrieben haben. Auch Universitäten können Innovation zeitigen, wenn es nur gewollt wird – und wenn erkannt wird, dass sich, wie oben schon gesagt, beides bedingt. Innovation, verstanden als technologischer Fortschritt mit gesellschaftlicher Relevanz, kann eben wiederum als Auslöser für Grundlagenforschung wirken und dies nicht nur in den technikaffinen Wissenschaften, sondern in allen Wissensbereichen einer Universität, in den Materialwissenschaften ebenso wie in den Sozialwissenschaften, der Jurisprudenz oder der Linguistik. Daher ist es lohnend, auch innerhalb einer Universität den Forscherinnen und Forschern Mut zu machen, nach Innovationen Ausschau zu halten.

Das Ihnen hier nun vorliegende Buch „Humboldts Innovationen“ mit seinen sehr unterschiedlichen Beispielen aus der Geschichte der Humboldt-Universität belegt dies aufs Nachdrücklichste und eben nicht nur für die Naturwissenschaften oder die Medizin. Faszinierende Geschichten von ehemaligen Studenten und Lehrenden dieser traditionsreichen Universität aus allen möglichen Wissenschaftsfeldern zeigen die verschlungenen Wege, auf denen Forschung Ergebnisse hervorgebracht hat, die schließlich zum Wohle der Gesellschaft bis heute wirken – eben wirkliche Innovationen. Die nicht geplant oder vorhergesehen waren, sondern die sich ergeben haben. Letzteres allerdings ist kein Zufall, sondern das Erkennen einer möglichen Innovation muss geübt, gefördert und – vielleicht – gefordert werden, zum Wohle der Gesellschaft, der Universität, der beteiligten Wissenschaftler und auch als Inspirationsquelle für weitere Forschung. Das Lesen der Geschichten in diesem Buch soll Lust darauf machen einmal praktisch zu denken, wenn pure Wissenschaft gemacht wird, soll anregen nach grundlegenden Fragen Ausschau zu halten, wenn eigentlich gerade Anwendungen ausgearbeitet werden und soll beweisen, dass beides geht.

Und, natürlich, das Lesen dieses Buches soll auch einfach nur Spaß machen.

Einleitung

Innovative Unternehmerpersönlichkeiten an der Humboldt-Universität und ein Alumnitreffen, das so nie stattfinden konnte

von Daniel Klink / Aexander Schug

Emil von Behring: „Mir war die Theorie nie genug. Ich wollte mehr wissen und verstehen, um da draußen zu helfen. Haben Sie einmal ein Kind sterben sehen? Als Arzt konnte ich die Hilflosigkeit nicht ertragen. So viele Kinder starben an den Folgen der Diphtherie. Vor meinen Augen. Wir mussten einfach ein Gegenmittel finden und es unter die Menschen bringen, damit dieser Sinnlosigkeit des Sterbens ein Ende gesetzt wird. Heute kann sich das ja glücklicherweise kein Mensch mehr vorstellen.“

Rudolph Virchow: „Mein lieber Behring, das ging mir ja zeitlebens ganz ähnlich. Die „soziale Frage“ brannte und wir gingen für unsere Überzeugungen auf die Barrikaden. Da braucht man durchaus auch Mut und Durchsetzungsfähigkeit. Das Risiko habe ich mit Freude getragen. Wissen Sie noch als Bismarck mich zum Duell herausforderte? Ja. Das meine ich. Aber wenn man dann sieht, dass die eigenen Ideen zum Bau der ersten kommunalen Krankenhäuser führen, weiß man doch, dass sich die Beharrlichkeit gelohnt hat.“

Theodor Mommsen: „Wem sagen Sie das? Für verrückt haben sie mich gehalten, als ich meine Idee von der Sammlung aller lateinischen Inschriften bis zum sechsten Jahrhundert in einem internationalen Großprojekt zusammenzutragen vortrug. Und was höre ich? Heute wird noch immer an meiner Sammlung gearbeitet. Das zeigt doch: Wenn Sie die richtigen Menschen für Ihre Unternehmung finden, für Ihre Idee werben, um die nötigen Mittel zusammenzubringen, und wirklich an die Umsetzung glauben, haben Sie gute Chancen, aus der Idee Wirklichkeit werden zu lassen. Innovation nennen das die Leute heute.“

Wer steckt hinter der Innovation

Nicht die Idee oder Erfindung allein ist eine Innovation. Entscheidend ist ihre Durchsetzung in gesellschaftliche Realität – in neue Produkte, Dienstleistungen oder auch innovative Werte. Die Durchsetzung als das entscheidende Kriterium für eine Innovation zu sehen, bedeutet gleichsam den Personen dahinter eine besondere Rolle zuzuschreiben. Innovationen brauchen Persönlichkeiten, die in der Lage sind, Ideen Wirklichkeit werden zu lassen, Personen mit eigener Problemlösungsfähigkeit, Risikobereitschaft, Leistungsmotivation, einem starken Realitäts- und Eigensinn, Eigeninitiative, Unabhängigkeitsstreben und natürlich der Kreativität, die erst den Grundstein für die Ideen darstellt. Das schließt eine große Experimentierfreudigkeit und eine überdurchschnittliche Beobachtungsgabe mit ein. Ergänzt werden diese Eigenschaften durch soziale Fähigkeiten:

Durchsetzungsvermögen, emotionale Stabilität, Einfühlungsvermögen und der Fähigkeit zur Zusammenarbeit in Netzwerken. Die Aufzählung der Eigenschaften innovativer Unternehmerinnen und Unternehmer hört sich natürlich großartig an – und man ist leicht versucht, diesen Typ Mensch zu überhöhen, wenn es nicht auch einige weitere motivationstreibende Faktoren gäbe, die das Superheroenbild wieder durchkreuzen würden. Unabhängigkeitsstreben, Eigensinn, Kreativität sind manchmal auch nur der Ausdruck sozialer Isolation und Außenseitertums. QuerdenkerInnen sind oft auch unbeliebt. Sie durchkreuzen die gängigen Denkformen, Konventionen, Glaubenssätze – all das, was uns Halt zu versprechen gibt. Innovatoren sind demgegenüber jedoch auch Umstürzler, kreative Zerstörer, die gerade durch ihre Opposition zum glatten Mainstream erst erneuernd wirken können.

Wilhelm Julius Förster: „Unternehmertum und Wissenschaft schließen sich ja nicht aus. Ich war immer der Überzeugung, dass wir Wissenschaftler unser Wissen dem Volk verständlich vermitteln müssen. Warum sollten wir das nicht mit unternehmerischen Mitteln wagen? Mein Freund Werner von Siemens war mir da sicher auch Vorbild, als ich in Berlin die einzigartige Urania gründete. Die Menschen liebten sie und kamen. Sie tun es noch heute. Meine Kollegen fühlten sich da auf den Schlips getreten. Ich sei unwissenschaftlich. Das ist natürlich Unsinn. Diese selbstverliebten Starrköpfe wollen nur nicht zugeben, dass sie sich allzu gern hinter ihrer akademisch-sprachlichen Unverständlichkeit verstecken.“

Heinrich Barth: „Das ist aber jetzt reichlich übertrieben, mein lieber Kollege Förster, manchem ist diese Gabe nun einmal nicht gegeben. Das hat mit Arroganz nichts zu tun. Ich liebte meine Afrikaexpeditionen und die ausführlichen Dokumentationen waren nun einmal für die wissenschaftliche Exaktheit notwendig. Und als ich mit meinen aufregenden neuen Erfahrungen aus dem afrikanischen Kontinent in diese von sich selbst eingenommene Gesellschaft zurückkam, kämpfte ich gegen Windmühlen, als ich für die Akzeptanz und Würde der afrikanischen Völker eintrat. Manchmal kommen neue Gedanken eben auch zu früh.“

Stephan Bayer: „Ich finde das wirklich ermutigend. Das Internet ist zwar kein lebensgefährlicher Trip durch die afrikanische Wüste, aber wir betreten mit Sofatutor ja auch Neuland. Ich bin mir sicher, dass unsere Onlinelernplattform vielen Schülern aus ärmeren Schichten helfen wird, günstig ihre schulischen Leistungen zu verbessern. In Zukunft wird die Onlinenachhilfe für mehr Bildungsgerechtigkeit führen. Das ist eine soziale Innovation, wir bei Sofatutor setzen sie unternehmerisch um.“

Es geht nicht nur ums Geld: Soziale, kulturelle, wissenschaftliche Unternehmungen

Gemeinhin wird der Begriff der Unternehmerin und des Unternehmers, ebenso der „Innovation“, mit „wirtschaftlicher Schaffenskraft“ assoziiert. Aber wenn wir das Unternehmerische nicht nur auf das Wirtschaftliche und auf monetäres Gewinnstreben in unserer Gesellschaft beziehen, ergibt sich eine neue Perspektive auf das Unternehmertum. Unternehmertum kann als Haltung gegenüber der Gesellschaft verstanden werden, etwas zu wagen, zu verändern, Neuland zu betreten. Der unternehmerische Geist, den wir hier vorstellen wollen, ist getragen von grenzenloser Neugier – und die findet sich in allen Bereichen einer Gesellschaft. Es geht nicht darum, einen Konzern zu gründen, reich zu werden, Tausende von Mitarbeitern zu haben. Es geht um die Lust zu gestalten, die wir auch an der Universität, in Sozialeinrichtungen oder in Kulturbetrieben finden.

Jürgen Kuttner: „Ich habe zu DDR-Zeiten an der Humboldt-Universität studiert. In Philosophie promoviert über den ,Begriff der Masse in der ideologischen Auseinandersetzung‘. Die Zeit dort hat mich natürlich geprägt. Aber ich bin ein Selbständiger – Freigeist. An der Universität war ich dauerhaft nicht gut aufgehoben. Bei der Gründung der taz-Ost nach dem Fall der Mauer passte das dann alles sehr gut. Geschäftsführer Jürgen Kuttner‘ klang echt spießig und dann ging es los: GmbH gründen, Räume und Telefonanschlüsse besorgen. Man sagt mir nach, ich könne Menschen für Ideen begeistern. Hat ganz gut geklappt, mit zwanzig Mitarbeitern hatten wir bald eine Auflage von 45.000 Exemplaren.“

Wagniskapital – was die Universität mitgibt

Am Anfang einer Innovation steht eine Idee. Der Prozess der Ideenfindung wird in erheblichem Maße von Wissen und Bildung beeinflusst, die das wichtigste Kapital für Unternehmerinnen darstellen. Innovative Unternehmer sind vielseitig und interessieren sich dabei auch für grundverschiedene Dinge. Sie verknüpfen ihre Beobachtungen zu neuen Kombinationen. Wie eine Universität für diesen Prozess ein Katalysator sein kann, lässt sich einfach zeigen. Universitäten sind das Tor der Wissbegierigen. Sie ermöglichen Forschern neues Wissen zu schaffen (Wissenschaft), das diese dann an die Studierenden weitergeben. Die Studierenden ihrerseits geben den Forschern durch kritische Beteiligung wiederum Denkanstöße. Es ist das Humboldtsche Ideal von der Einheit von Forschung und Lehre, das sich in der ganzen Welt durchgesetzt hat (Auch eine Innovation! Eine soziale. Diesmal von Wilhelm von Humboldt!). Universitäten beeinflussen daher in zweierlei Hinsicht das Entstehen von Innovationen: Erstens sind sie die geistige Heimat für leidenschaftliche Forscher. Zweitens begleiten sie viele Menschen eine Zeit lang in ihrem meist prägenden, persönlichen Bildungsprozess – als Studierender oder Promovierender und auch als wissenschaftliche Hilfskraft oder wissenschaftlicher Mitarbeiter. Sie stellt die Grundlage für ihr künftiges schöpferisches Handeln dar und beeinflusst mittelbar auch die Innovationen, die sie außerhalb der Uni erschaffen werden.

Alfred Wegener: „Ich? Eine innovative Unternehmerpersönlichkeit? Das stimmt schon. Ich habe wohl mehr unternommen als unterlassen. Zum Schluss habe ich alles im Eis riskiert und blieb zurück. Natürlich war das etwas vollkommen Neues. Eine riesige Expedition in die Polarregion hat es so vorher nicht gegeben. Ich musste an so viele Dinge denken. Wir brauchten eine Finanzierung. Wir mussten genau planen, brauchten viele Mitarbeiter, mussten die Einheimischen für unser Vorhaben gewinnen und waren natürlich immer in großer Gefahr. Letztlich wollten wir mehr über den Einfluss der Polarregion auf das Weltklima herausfinden. Meine größte Innovation ist aber zweifelsfrei die Theorie der Kontinentalplattenverschiebung in der Welt durchgesetzt zu haben.“

August Wilhelm von Hofmann: „Anfangs haben die Meisten nur mit dem Kopf geschüttelt, als ich anfing mit Teer zu experimentieren. Ich war überzeugt davon, dass dieser Stoff Geheimnisse birgt, die es zu lüften gilt. Und ich fand meine Anilin-Base, die der Welt die Farben schenken sollte. Diese neuen Farben waren später nicht nur eine Innovation. Sie waren eine Sensation! Überzeugt von der Wichtigkeit der Erkenntnisse, habe ich gemeinsam mit der jungen chemischen Industrie die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Wirklichkeit gebracht. Wenn Sie das so nennen wollen, dann war das sicher unternehmerisch. In jedem Fall innovativ.“

Alexander Mitscherlich: „Die Chemie war auch meine Leidenschaft. Mein Bruder wollte eine Papierfabrik aufbauen und da befasste ich mich mit den Herstellungsverfahren, die ich für ineffizient hielt. Ich konnte nicht loslassen und erfand das Sulfit-Zellstoffverfahren. Gemeinsam mit der systematischen Verbesserung der Arbeitsschritte war die Produktionsweise marktkreif. Mit diesen Entdeckungen im Gepäck gründete ich meine eigene Fabrik und wurde Unternehmer. Die Probleme, die sich durch die Vermischung von Unternehmertum und Wissenschaft ergaben, kosteten mich viele Nerven. Später gab es auch noch Patentstreitigkeiten. Man bezweifelte allen Ernstes meine Erfinderschaft. Ich kämpfte hart um die Anerkennung und war erfolgreich. Mein Verfahren verbreitete sich in Deutschland und ganz Europa.“

200 Jahre quergedacht – oder: Was dieses Buch eigentlich soll …

Welche Innovationen gingen in den letzten 200 Jahren direkt und indirekt aus der Humboldt-Universität hervor? Welche Persönlichkeiten stecken hinter den Innovationen? Welche Widerstände mussten sie überwinden und welche Rolle spielte die Humboldt-Universität für ihre Leistung? Diese Fragen möchte das Buch beantworten. Es werden wirtschaftliche, soziale und wissenschaftliche Innovatorinnen und Innovatoren vorgestellt, die in ihrem Leben mit der Humboldt-Universität verbunden waren oder es noch sind. Die Uni wird dabei als Katalysator neuen Wissens, neuer Ideen und Innovationen vorgestellt. Die ausgewählten Beispiele von 17 Wagenden aus 200 Jahren Humboldt-Universität sollen vor allem Lust auf ein Denken jenseits von Konventionen machen. Sie machen auch Mut, neue Gedanken zu spinnen, neue Perspektiven auf diese Welt und unser Leben zu werfen – und vor allem Mut, Ideen auch in die Tat umzusetzen, damit sie gesellschaftlich wirksam werden können.

Louis Lewin: „Das ist doch erbauend, liebe Kollegen. Wir sind in hier in einer Art schriftlichen Ruhmeshalle. Die Ehre ist umso größer als sich unsere Nachfolger mit uns beschäftigen. Uns nicht vergessen. Selbst noch so jung, schreiben Sie in diesem Buch für ein breites Publikum verständlich über unsere Geschichte und innovativen Errungenschaften. Ich habe selbst Bestseller geschrieben. Mir lag es sehr am Herzen meine Forschung der Toxikologie der gesamten Bevölkerung näher zu bringen. „Die Gifte in der Weltgeschichte“ verkauften sich zum Beispiel sehr gut und ich konnte mit dem finanziellen Ertrag meiner Forscherleidenschaft an der Humboldt-Universität weiter nachgehen.“

Albrecht von Graefe: „Es ist doch wirklich eine schöne Würdigung. Man hat uns fast schon vergessen. Meine Pionierleistungen im Bereich der Augenheilkunde habe ich mit unternehmerischem Geschick über meine Privatkliniken finanziert. Um wirkliche Neuerungen durchzusetzen, musste ich mit meiner Leistung überzeugen und ungewöhnliche Mittel ergreifen. Zum Schluss stand der Erfolg, die Augenheilkunde von der Chirurgie emanzipiert zu haben. Unsere so verschiedenen innovativen Leistungen waren doch alle unternehmerisch. Mal wissenschaftlich, wie beim Kollegen Mommsen, mal sozial, wie beim verehrten Herrn Virchow aber auch kulturell, wie bei Herrn Kuttner.“

Adolph Frank: „Im Blick hatten wir dabei immer das Ganze: Die Wissenschaft, die Gesellschaft und die unternehmerische Umsetzung unseres neuen Wissens. Ich selbst gründete gleich mehrere chemische Fabriken. Ich bin viel gereist. Immer zwischen Forschung und Wirtschaft. Auch gedanklich natürlich. Für einen freien Geist, sind die Verknüpfungen zwischen der theoretischen Wissenschaft und der praktischen Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft kein Gegensatz, sondern ein aufregendes Spielfeld. Liebe Kollegen, lassen Sie uns demütig Vorbild sein für die Studierenden und Forscher der Humboldt-Universität, die künftig mutig ihre Ideen zu Innovationen werden lassen!“1


Ein akademisches Unternehmen: das Corpus Inscriptionum Latinarum

Theodor Mommsen (1817–1903)

von Simon Dewes

Lange bevor Theodor Mommsen das „Römische Staatsrecht“ veröffentlichen, sich als Wissenschaftsorganisator einen Namen machen und als erster Deutscher für seine „Römische Geschichte“ den Nobelpreis für Literatur erhalten sollte – kurz gesagt: Lange bevor Mommsen der bedeutendste Altertumswissenschaftler des 19. Jahrhunderts geworden war, gingen im Königreich Neapel seltsame Dinge vor sich. Immer wieder scharten sich in den Straßen des Königreichs wildfremde Passanten um einen vielversprechenden ehemaligen Studenten der Jurisprudenz aus Schleswig-Holstein, um diesem neugierig dabei über die Schulter zu schauen, wie er selbst in den kleinsten Dörfern von Gebäuden, Brücken und anderen Bauten römische Inschriften in einen Notizblock übertrug. Der junge Mommsen hatte einen Plan.

Sämtliche erhaltenen lateinischen Inschriften bis zum 6. nachchristlichen Jahrhundert zu begutachten und zusammenzutragen, dafür war es hohe Zeit! Und „sämtliche“ hieß tatsächlich „sämtliche“. Alle. Ausnahmslos. Nun gut, mit Ausnahme der antiken christlichen Inschriften, aber die passten Mommsen thematisch nicht. Die Dimensionen dieses Unternehmens waren so gewaltig wie die Ausdehnung des Römischen Reiches. Von Marokko bis Rumänien, von England bis Syrien: Die Römer waren fast überall in den Grenzen der ihnen bekannten Welt gewesen, und überall hatten sie ihre Inschriften hinterlassen, in den Stein gemeißelt und gehauen: Inschriften zur Repräsentation römischer Macht, zur Demonstration römischer Größe, Inschriften über die Gesetzeslage, beschriftete Grabsteine oder auch nur Alltäglichkeiten. Die Funde mussten in die Hunderttausende gehen. Alles zusammen ein Panoptikum römischen Lebens. Ein gewaltiger historischer Schatz, den Mommsen systematisch heben wollte.

Die Idee, sämtliche Inschriften des Römischen Reiches zu sammeln, ging auf den dänischen Forscher Kellermann zurück, der 1837 gestorben war und seine Vorarbeiten dem Deutschen Archäologischen Institut in Rom hinterlassen hatte. Ausgestattet mit einem zweijährigen Reisestipendium der dänischen Regierung traf Mommsen dort 1846 ein. Ursprünglich hatte er geplant, eine Neuauflage römischer Gesetzesurkunden anzufertigen; eine Idee, für die er mit Savigny und Boeckh auch Unterstützer in der Berliner Akademie der Wissenschaften gefunden hatte. Als er nun aber im Deutschen Archäologischen Institut in Kontakt mit dem mittlerweile brachliegenden Unternehmen Kellermanns kam, erkannte er dessen Bedeutung und beschloss, es fortzuführen.2

Das grundstürzend Neue dieser Inschriftensammlung war deren Methode. Schon zuvor hatten Altertumsforscher Inschriften gesammelt und publiziert. Allerdings hatte man bei den bislang erschienenen Editionen meist auf ältere Quelleneditionen zurückgegriffen. Diese wurden zerschnitten, neu zusammengestellt und umfangreich annotiert. Neues Wissen konnte bei dieser Manier schwerlich entstehen. Demgegenüber setzte Mommsen es sich nun zum Ziel, die Inschriften planmäßig und vollständig zu erfassen, indem er diese persönlich vor Ort aufsuchte und abschrieb. Darüber hinaus sollte Mommsens Edition auch die nur noch in Handschriften erhaltenen Inschriften umfassen. Nur durch diese systematische Herangehensweise war es theoretisch möglich, neue Erkenntnisse zu erlangen und einen vollständigen Grundstock an Quellen anzulegen.

Mit dem Entschluss war es allerdings nicht getan. Nun fingen die Probleme für Mommsen erst an. Tatsächlich türmte sich gleich ein ganzer Berg von Problemen vor ihm auf: Wie sollte ein einzelner Mensch dazu in der Lage sein, alle Inschriften des römischen Weltreiches zu sammeln? Es lag auf der Hand, dass dies nur in einem groß angelegten, im besten Falle auch internationalen Wissenschaftsunternehmen möglich war, das jahrzehntelang tätig sein würde. Wer aber sollte das bezahlen? Die Berliner Akademie der Wissenschaften war hierfür zwar der natürliche Ansprechpartner, aber dort saß Mommsens Förderer Boeckh und war von dem Projekt ganz und gar nicht begeistert, war doch seine eigene, auf traditionelle Weise erstellte griechische Inschriftensammlung gerade im Erscheinen begriffen. Hätte diese nun durch den Plan eines Jungakademikers das Signet wissenschaftlicher Unbrauchbarkeit aufgedrückt bekommen sollen, weil es ihr an Systematik fehlte?

Man kann Mommsen nicht vorwerfen, dass er für sein Projekt nicht gekämpft hätte. Um die Vorzüge seiner Methode praktisch aufzuzeigen, entschloss er sich, die Inschriften einer Region selbst zusammenzutragen. Bartolomeo Borghesi, der Doyen der Epigrafik (Inschriftenkunde), legte ihm das Königreich Neapel ans Herz, und so brachten Mommsens öffentliche Abschreibestunden Amüsement und Gesprächsstoff in diese Region. Allein, es erwies sich als vergebens. Boeckhs Einfluss an der Akademie war noch zu stark. Eine Mehrheit für Mommsens Unternehmen lag in weiter Ferne. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sein Inschriftenprojekt einstweilen mit seinem Stipendiengeld alleine fortzuführen und auf bessere Zeiten zu hoffen. Dies war ihm auch das Risiko wert, sein Stipendium für eine Tätigkeit zu verschwenden, die womöglich niemals Früchte tragen sollte. Die restliche Zeit seines Italienaufenthalts verbrachte er daher damit, auf eigene Faust die Inschriftensammlung zu ergänzen. Abwechslungsreicher Zeitvertreib war das kaum. Stattdessen bedurfte es unermüdlicher Disziplin, um über der Eintönigkeit dieser Tätigkeit nicht den Mut zu verlieren – zumal vor dem Hintergrund einer fehlenden Finanzierungszusage für das Gesamtprojekt. Gleichwohl ließ Mommsen sich nicht beirren, wusste er doch, dass zumindest das Deutsche Archäologische Institut auf seiner Seite stand und auch Borghesi die Inschriftensammlung für gut befunden hatte. Es war also vielleicht noch nicht aller Tage Abend.

Immerhin erhielt er nach seiner Rückkehr aus Italien eine Professur für Rechtswissenschaften in Leipzig. Seinen Lehrstuhl verlor er aber alsbald wieder, nachdem er im Jahre 1849 angesichts des drohenden Scheiterns der 1848er-Revolution mit zwei Kollegen zusammen durch die Straßen gezogen war. Mit dem Ruf „Bürger heraus!“ hatte er eine Volksversammlung einberufen und zum bewaffneten Kampf übergehen wollen. Friedrich Wilhelms IV. Ablehnung der ihm angetragenen Kaiserkrone war dem liberalen, kleindeutsch-erbkaiserlich orientierten Mommsen unerträglich. Obgleich er vor dem Hintergrund eines bevorstehenden Truppeneinsatzes schon am nächsten Tag von diesem Aufruf Abstand genommen hatte, wurde er daraufhin strafrechtlich und politisch verfolgt. Die strafrechtlichen Vorwürfe wurden zwar in der Berufungsinstanz fallengelassen, aber das Ministerium entließ die an dem Aufruf beteiligten Professoren 1851 aus dem Universitätsdienst.

Inschriftencorpus, 1848er-Revolution: Duplizität der Ereignisse in Mommsens Vita. Hier wie dort zeigte er keine Scheu, gegen eine etablierte Mehrheit anzurennen und für seine Überzeugungen auch Hand anzulegen. In beiden Fällen blieb das persönliche Engagement allerdings fruchtlos, weil der Reformwille der Machthaber ausblieb. Vor allem aber weigerte Mommsen sich jeweils, gleich nach der ersten Niederlage die Flinte ins Korn zu werfen. Denn während andere liberale Professoren nach dem endgültigen Scheitern der 1848er-Revolution den Weg in die „innere Emigration“ des Wissenschaftlers gingen und ihre politischen Ambitionen aufgaben, blieb Mommsen seinem Selbstverständnis nach ein politischer Professor. Und was Wissenschaft und Inschriftensammlung anbelangte, so hatte er diese nach der Ablehnung seiner Pläne ja lange Zeit als Ein-Mann-Unternehmen in Italien fortgesetzt, ohne sichere Gewähr dafür zu haben, dass sich der Wind einmal drehen würde.

1852 kamen für den Wissenschaftler Mommsen endlich bessere Zeiten. Die „Lateinischen Inschriften des Königreichs Neapel“ gingen in Druck. Nachdem die Berliner Akademie ob ihrer Differenzen mit Mommsen noch einmal gegen ihn nachgetreten und den Druckkostenzuschuss verringert hatte, war das Erscheinen nur wegen der Risikobereitschaft des Verlegers möglich. Zeit seines Lebens wusste Mommsen, wem er für die Veröffentlichung Dank schuldete: dem „tapferen und gemeinnützigen Buchhändler“.3 Die Veröffentlichung der neapolitanischen Inschriften war indes die entscheidende Wende. „Sie zeigten auch dem blödesten Auge“, schrieb der Kirchenhistoriker Adolf von Harnack, „wie das Inschriftenwerk auszuführen sei“.4

Mit dem Erscheinen der Inschriften war die Zeit reif, einen neuen Versuch für die Initialisierung des Inschriftenunternehmens zu starten. Einfach war dies beileibe nicht. Mommsen Widerstreiter Boeckh ließ sich von den neapolitanischen Inschriften nicht irritieren und leistete weiterhin hinhaltenden Widerstand. Gleichwohl bröckelte Boeckhs Mehrheit. Zu überzeugend waren die Ergebnisse der neapolitanischen Sammlung. Zu bestechend die neue Herangehensweise. Die neapolitanischen Inschriften führten Innovationskraft und Schaffenspotential von Mommsens Idee in einer Nussschale vor. Zu welchen Ergebnissen würde es dann erst führen, wenn man die Kräfte im Großen vereinigte – in einem wissenschaftlichen Unternehmen? Dessen Dimensionen würden den Rahmen des bislang Bekannten sprengen, versprachen aber genau aus diesem Grund wissenschaftlichen Fortschritt. Diesen Perspektiven konnte sich eine Mehrheit in der Akademie nicht auf Dauer verschließen. Geschickt koordinierten Mommsen und seine Fürsprecher sich inner- wie außerhalb der Akademie und wiesen permanent auf die Innovationskraft des Inschriftenunternehmens hin. Ihre Gegner gerieten unter immer stärkeren Rechtfertigungsdruck. Zudem meldeten sich aus Italien die ersten Mitstreiter, die nur zu gerne an der in den Startlöchern stehenden Edition teilnehmen wollten. Schließlich trug die zweijährige Kärrnerarbeit in Neapel endlich Früchte: Mommsen wurde in einer heißumstrittenen Akademiesitzung mit der Edition beauftragt. Das Einzelschaffen war vorüber. Das Unternehmen Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) konnte beginnen.5

Friedrich Wilhelm IV. hatte 1854 auf sechs Jahre zunächst 2.000 Taler jährlich bewilligt. Zu wenig für das CIL. Mommsen ging davon aus, bis zu zwanzig Jahre mit dem Inschriftencorpus beschäftigt zu sein. Tatsächlich wird die Arbeit an dem Corpus bis zum heutigen Tag kontinuierlich fortgesetzt, da es zu einer Vielzahl neuer Inschriftenfunde kam. Dabei gilt weiterhin die Parole, die Inschriften – sofern noch möglich – vor Ort zu untersuchen, um eine hinreichende Quellenkritik zu gewährleisten.6 Weniger Wert legte Mommsen hingegen auf eine umfangreiche Annotierung der Inschriften. Hier ließ er es bei einigen grundlegenden Angaben bewenden. Wichtig war ihm, einen systematisch geordneten Inschriftenfundus aufzubauen, aus dem man im Folgenden schöpfen konnte.

Bis zu Mommsens Tod 1903 wurden 130.000 Inschriften in 15 Bänden publiziert. Diese Erfolge waren nur möglich, weil Mommsen mit dem CIL die akademische Großforschung initialisierte. Es verwundert nicht, dass es dabei zu einer Vielzahl organisatorischer, materieller und wissenschaftlicher Schwierigkeiten kommen musste. „Nur dadurch konnten sie überwunden werden und wurden überwunden, dass es eben kein Privat-, sondern ein akademisches Unternehmen war“7 , sagte Mommsen selbst. Um die Inschriftensammlung organisatorisch zu bewältigen, war er nicht mehr reiner Wissenschaftler, sondern gleichfalls Betriebschef. Zu seinen Aufgaben gehörten nun auch Geldbeschaffung, Einstellung geeigneter Mitarbeiter sowie Koordination von deren Arbeit.

1855 forderte die Akademie in einem Rundschreiben interessierte Wissenschaftler zur Teilnahme an dem CIL auf. Als fähiger Organisator legte Mommsen größten Wert auf die Integration ausländischer Wissenschaftler, um deren Kenntnisse und Verbindungen vor Ort für seine Edition nutzbar zu machen. Für das Gelingen des Unternehmens war dessen Internationalisierung elementar. So weitumfassend wie das römische Reich, so international musste auch das Mitarbeiternetzwerk sein. Mommsen guter Name kam ihm zu Hilfe. Er rief, und alle kamen – so bedeutend war sein Name schon. Aus Italien, Frankreich, Spanien, England und vielen anderen Ländern fanden sich Wissenschaftler zur Teilnahme bereit.8

Für die Geldbeschaffung mussten neue Strategien entwickelt werden, da nicht einmal die Berliner Akademie ein Projekt dieses Ausmaßes stemmen konnte. Bei den notwendigen Verhandlungen mit dem preußischen Staat half es Mommsen, dass er 1857 zunächst auf eine Forschungsprofessur an der Berliner Akademie und 1861 dann auf eine ordentliche Professur an der Friedrich-Wilhelms-Universität berufen worden war, neben Bonn die renommierteste Universität Preußens. Sein Stern als Historiker stieg und stieg, nicht zuletzt wegen seiner 1854-1856 verfassten „Römischen Geschichte“: Im Fokus des Werkes, das sich an ein allgemeines Publikum richtete, steht die späte Republik. Cäsar, das Genie, dient dem Fortschritt, weil er erkennt, dass die Zeit für eine Ablösung der überkommenen Senatsherrschaft reif ist.9 Das Scheitern der 1848er-Revolution wird durch die Glorifizierung Cäsars literarisch kompensiert. Dies alles legte Mommsen dem staunenden Publikum nicht in drögen wissenschaftlichen Reflektionen dar, sondern in einem lebhaften, ja geradezu journalistischen Schreibstil. Das Buch wurde ein großer Publikumserfolg und begründete den Ruhm des Autors. Ausdruck fand dies in der Verleihung des Literaturnobelpreises 1902.

Das so gewonnene Prestige bei erfolgreichen Verhandlungen mit dem Staat einzusetzen, scheute Mommsen sich nicht. Mittlerweile konnte er es sich sogar leisten, mit einem Weggang zu drohen. Mehr als einmal kam es zu derlei Bleibeverhandlungen, die einzig dem Zweck dienten, die finanzielle Situation des Unternehmens zu verbessern. Neben der direkten finanziellen Unterstützung durch den Staat sorgte Mommsen für weitere Finanzspritzen. Dies galt erst recht, als die Effektivität der Großorganisation offenbar wurde und Mommsen weitere Unternehmungen nach der gleichen Machart aufzog. Zu den neuen Methoden der Geldbeschaffung zählte es beispielsweise, die Reichsadministration zur kompletten Übernahme dieser Wissenschaftsunternehmen zu bewegen. Weiterhin führte aber auch eine deutlich gesteigerte Kooperation in- und ausländischer Akademien zu verbesserter Ressourcenallokation. Unnötige Mehrfacharbeit konnte dadurch effizienter als bislang bekämpft werden.10 Bei Organisation und Geldbeschaffung half es Mommsen, dass er gute Kontakte in das zuständige Ministerium besaß. Zudem war er aber auch Mitglied in unzähligen wissenschaftlichen Kommissionen aller Art und so stets bestens informiert.

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