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Über dieses Buch:

Eine unheilvolle Zeit … und ein großes Abenteuer! Die Nonne Hiltraud und der Ritter Aymard sind auf der Flucht: Sie werden als Ketzer gesucht und dürfen niemandem vertrauen, um nicht den Häschern des mächtigen und skrupellosen Bischoffs von Worms in die Hände zu fallen. Erst als Aymard erfährt, dass sein eigener Bruder auf der Seite des Bischoffs steht, lässt er alle Vorsicht fallen – er glaubt, Domitian aus den Fängen des Kirchenfürsten retten zu müssen. Doch dafür braucht er Hiltrauds Hilfe – denn sie müssen in die privaten Gemächer ihres mächtigen Gegenspielers gelangen …

Eine furchtlose Frau und ein starker Ritter stellen sich gegen die bedrohlichen Mächte ihrer Zeit: Der zweite Band der spannenden Trilogie von Petra E. Jörns um politische Intrigen, Verrat und eine außergewöhnliche Liebe.

Über die Autorin:

Petra E. Jörns, geboren 1964, ist gebürtige Pfälzerin. Sie studierte Biologie an der Universität Kaiserslautern, wobei ihr besonderes Interesse der Verhaltensforschung galt. Seit 1994 ist sie freiberuflich als Diplombiologin tätig. Unter den Pseudonymen P. E. Jones und Patricia E. James veröffentlicht sie Science-Fiction- und Liebesromane. Petra E. Jörns lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in ihrem Heimatdorf in der schönen Pfalz.

Die Trilogie »Das Geheimnis der Nonne« umfasst folgende Bände:
Band 1: »Blutbann«
Band 2: »Blutnacht«
Band 3: »Blutzauber«

Ebenfalls bei dotbooks erschien ihr Fantasy-Epos »Legende der Welten«:
Band 1: »Erben des Zorns«
Band 2: »Schwert des Zorns – Der Bastard«
Band 3: »Schwert des Zorns – Der Novize«

Die Website der Autorin: www.pejoerns.de
Die Autorin im Internet: www.facebook.com/p.e.joerns.autorin/

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Originalausgabe Januar 2016

Copyright © 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Peter Thannisch

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Captblack76 und Peter38

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-347-7

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Petra E. Jörns

Das Geheimnis der Nonne

Zweiter Roman: Blutnacht

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Prolog

Ein Kreuz ragte vor dem rotglühenden Auge in die Dunkelheit. Der Mann, der daran hing, hatte rote Haare, und sein Körper war übersät mit Wunden. Blut rann über seine Hand- und Fußgelenke. Aber es war nicht der Schmerz, der ihn stöhnen ließ, sondern das Wissen, dass es der eigene Bruder gewesen war, der ihn ans Kreuz geschlagen hatte.

Zitternd öffnete er die Lider. Die Pupillen seiner grünen Augen weiteten sich.

Darin spiegelte sich ein Zeltlager. Bunte Wimpel flatterten in einer nächtlichen Brise. An den Feuern vor den Zelten saßen Soldaten in der Uniform der Ligisten.

Da war auch ein Zelt mit der Standarte des Deutschen Ritterordens. Ein Mann mit grauen Haaren im Kürass und den Farben der Deutschordensritter trat heraus.

Der Mann am Kreuz hielt den Atem an. Er kannte den Mann. Jeder Deutschordensritter kannte ihn. Denn es war Kaspar von Stadion, der Oberste Hofkriegsrat des Kaisers.

Von Stadion hob den Kopf. Sein Blick fand den des Mannes am Kreuz.

In diesem Augenblick sah dieser den Schatten, der sich von Stadion von hinten näherte. Ein heiseres Flüstern verließ den Mund des Gekreuzigten. Hilflos musste er mit ansehen, wie sich der Attentäter dem Ahnungslosen näherte, das Messer zum Stoß erhoben.

»Vorsicht«, quetschte er endlich über seine Lippen.

In von Stadions Blick zeigte sich Erkennen. In diesem Moment erreichte ihn der Attentäter. Eine Priesterkutte war in der Dunkelheit zu sehen, ehe sich die Klinge in von Stadions Rücken senkte.

Ein Schrei quoll über die Lippen des Gekreuzigten.

Von Stadion brach langsam in die Knie. Wie ein Mehlsack kippte er vornüber und rührte sich nicht mehr, während der Attentäter von der Dunkelheit verschluckt wurde.

Der Mann am Kreuz schrie und schrie. Jeder seiner Schreie schien die Flammen zu entfachen, die hinter ihm aus dem Spalt in der Finsternis leckten. Bis sie ihn einhüllten und verschlangen und sein Schreien beendeten.

1. Kapitel

25. April 1622

»Mich wird niemand finden«, sagte Alma. »Keine Sorge, mein Ritter.« Sie lächelte sanft bei den Worten und setzte ihm eine verschlissene Kappe auf. »Sorgt Euch besser um Euch selbst und verdeckt damit Eure roten Haare.«

»Er kann Magie wirken.«

»Ich weiß.« Alma berührte kurz seine Wange. »Aber ich auch.«

Die Vertrautheit zwischen den beiden versetzte Hiltraud einen Stich. »Seid ihr ein Paar?«, hatte Katharina gefragt. Die Worte schmeckten auf einmal bitter.

»Nun kommt schon«, drängelte Hiltraud. »Eben hattet Ihr es noch eilig. Wir müssen ein Heer finden, von dem wir keine Ahnung haben, wo es gerade sein könnte.«

Sie hatte ihm endlich nachgeben müssen. Er hatte in einer Vision gesehen, wie von Stadion, Deutschordensritter und Hofkriegsrat des Kaisers, ermordet worden war. Und sie, Hiltraud, kannte die Briefe, die Aymard im Arbeitszimmer des Bischofs von Wormitia, von Greiffenclau, gefunden hatte. Es war offensichtlich, dass der geheime Zirkel, dem von Greiffenclau angehörte, nicht nur Papst Paul V. ermordet hatte, sondern nach mehr strebte.

Von Greiffenclau hatte das Magisterium, den Stein der Weisen, im geschleiften Kloster Lorsch gefunden und sich damit Aymards Bruder Domitian gefügig gemacht. Wie sehr musste Aymard wohl darunter leiden, dass sein geliebter Bruder durch von Greiffenclau und das Magisterium unter Satans Einfluss geraten war? Dabei war er selbst nur ganz knapp dem Scheiterhaufen entkommen, auf den er aufgrund des Blutbanns, den Hiltraud auf ihn gewirkt hatte, fast geraten war.

War sie nicht dazu verpflichtet, ihm nun zu helfen, den feigen Mordanschlag auf von Stadion zu verhindern? Aber genauso fühlte sie sich verpflichtet, ihn vor den Häschern des Bischofs zu schützen, denn es war ihre Schuld, dass er als Ketzer gesucht wurde.

Wenn Aymard ihr nur nicht so ablehnend gegenübergestanden hätte! Ablehnend? Nein, er hasste sie. Und das wohl zu Recht. Immerhin hatte sie sein Leben zerstört.

Warum nur tat diese Erkenntnis ihr so weh? Unwillkürlich richtete sich ihr Blick auf ihn.

»Auf der badischen Rheinseite. Das sagte ich doch bereits.«

Bei den Worten drehte sich Aymard zu ihr um. Er sah trotz der Kappe und der einfachen Kleidung nicht wie ein Bauer aus. Dafür sorgten seine aufrechte Haltung und der Stolz in jeder seiner Bewegungen.

»Weil Ihr einen englischen Soldaten im Rhein gefunden habt?« Hiltraud seufzte. »Das beweist gar nichts.«

»Ihr habt gesagt, dass man das in Spira auch vermutet.«

»Und wenn schon. Die rechte Rheinseite ist groß.«

»Das Heer auch. Das lässt sich nicht so leicht verstecken.«

»Vor allen Dingen wartet es nicht auf uns. Kommt Ihr jetzt endlich?«

Alma fasste nach Aymards Hand und drückte sie. Auf einmal beugte er sich zu ihr hinunter und umarmte sie kurz, aber innig. Hiltraud hörte, dass er ihr etwas ins Ohr flüsterte, was sie jedoch nicht verstehen konnte. Alma umfasste sein Gesicht, nur um es abrupt loszulassen und einen Schritt zurückzutreten.

»Gott mit Euch beiden!«, sagte sie mit rauer Stimme.

Aymard musterte sie kurz, dann fasste er nach dem Bündel, das Alma für sie gepackt hatte, schulterte es und marschierte, ohne sich noch einmal umzusehen, los.

»Lebt wohl!«

Hiltraud winkte Alma zu und folgte dann ihm.

***

Aymard marschierte so stramm voraus, dass Hiltraud Mühe hatte mitzuhalten.

Wortlos folgte er dem Pfad durch den Auenwald in Richtung Husener Fahr. Alma hatte ihnen geraten, die Fähre zu nehmen, die dem Rheinhäuser Postamt gehörte. Wenn sie das Tempo beibehielten, konnten sie bis zum Nachmittag dort sein und vielleicht noch am gleichen Tag die badische Rheinseite erreichen.

Allein der Gedanke jagte einen Schauer über Hiltrauds Rücken. Sie war noch nie in ihrem Leben auf der anderen Rheinseite gewesen. Das war beinahe, als hätte sie sich auf nach Frankreich gemacht.

Die ersten Stechmücken stürzten sich auf sie. Es war heiß, obwohl es erst Ende April war. Im alten Laub neben dem Pfad blühten Anemonen. Die Weidenzweige waren bereits ergrünt, und erste Bienen umsummten sie.

Aymard schritt unermüdlich voraus. Er zog das rechte Bein merklich nach, doch ansonsten ließ er sich keine Schwäche anmerken. Er hielt erst inne, als sich der Weg weitete und sie die Anlegestelle erreichten.

Nach Atem ringend, schloss Hiltraud zu ihm auf. »Denkt daran! Wir sind Eheleute auf der Suche nach einem neuen Zuhause, nachdem unser Haus von Soldaten niedergebrannt wurde. Ich bin Helga, und Ihr seid Albert.«

»Und du solltest dich daran gewöhnen, mich zu duzen.«

Unter dem Blick seiner grünen Augen wurde Hiltraud heiß. »Ich werde daran denken.«

Der Korb, den sie trug, wurde ihr schwer. »Und wir wollen …«

»… zu deiner Cousine Elisabeth, die mit ihrem Mann und ihren Kindern bei Suntzheim lebt. Ich habe es nicht vergessen.« Er nahm kurz die Kappe ab, die Alma ihm gegeben hatte, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Seine roten Haare leuchteten in der Sonne, ehe er die Kappe wieder aufsetzte und sich der Anlegestelle zuwandte. »Gehen wir!«

Sie hatten Glück. Die Fähre befand sich gerade auf ihrer Rheinseite. Der alte Fährmann saß auf dem Steg in der Abendsonne und döste, als Aymard sich ihm zielstrebig näherte.

»Gott zum Gruß, guter Mann. Setzt Ihr heute noch einmal über?«

Der Alte schreckte sichtlich zusammen. Verwirrt blinzelte er, bis er endlich den Blick auf Aymard richtete.

»Das werde ich schon, da ich zu Hause schlafen möchte.«

»Und wie lange wird das noch dauern?«

Der Alte sah sich um. »Wenn ihr bisher die Einzigen seid, dann werde ich noch ein Weilchen warten, wenn’s recht ist.«

»Wie viel soll es kosten?«

»Eine Kupfermünze pro Bein.«

Aymard zog eine Braue hoch. »Ach, das ist nett den Einbeinigen gegenüber.«

Der Alte lachte. »Sind doch meist nur Bettler, nicht wahr?«

»Habt Ihr etwas über den Krieg gehört drüben auf der anderen Rheinseite? Wir wollen nach Suntzheim zur Cousine meiner Frau, und ich will nicht unbedingt in eine Schlacht hineingeraten.«

Hiltraud setzte den Korb ab und blieb knapp hinter Aymard stehen. Ihr Blick heftete sich auf seine wohlgeratene Nackenlinie. Sie spürte mit einem Mal das unbändige Verlangen, sie mit dem Finger nachzufahren.

»Na, da habt Ihr aber einen schlechten Zeitpunkt gewählt, um nach Suntzheim zu gehen«, brummte der Fährmann. »Soweit ich gehört habe, stehen die bayrischen Truppen bei Wezzinloch. Da ist kein Durchkommen, befürchte ich.«

Aymard drehte sich zu Hiltraud um. Ertappt senkte sie den Blick.

»Schlechte Neuigkeiten, Helga. Hast du gehört?« Doch seine Augen schienen in freudiger Erregung zu leuchten.

Hiltraud nickte pflichtschuldig. »Ja, Albert. Und was machen wir jetzt?«

Aymard fasste nach ihrer Hand und zog sie von dem Alten fort in den Schatten einer Weide. Nach einem Blick über die Schulter in Richtung Fährmann wandte er sich ihr wieder zu. Seine Wangen glühten. »Wir könnten in einem Tag dort sein.«

»Wir wissen ja gar nicht, ob von Stadion dort weilt.« Warum nur war da dieser Wunsch, seine Wange zu streicheln?

»Das werden wir schon erfahren.«

»Und wenn wir wirklich in eine Schlacht geraten?«

Er fasste nach ihren Händen und drückte sie. »Dann hat es Gott so gewollt. Sag mir, dass wir gehen werden!«

Wieder war da dieses irre Verlangen, ihn zu berühren. »Ja, wir werden gehen«, antwortete sie. Nur, damit sie weiter dieses Blitzen seiner grünen Augen sehen durfte. »Aber bitte seid … sei vorsichtig!«

»Du hast mein Wort.«

Sein Blick wurde warm. Er lächelte und ließ ihre Hände los. Dabei hatte sie sich nichts mehr ersehnt, als dass er sie weiterhin hielt. Die Ungeduld trieb ihn ans Ufer. Den Blick auf die andere Rheinseite gerichtet, blieb er stehen.

Er war tatsächlich schön. Katharina hatte recht. Ihn unverwandt beobachtend, setzte sie sich in den Schatten der Weide und lehnte sich an den rissigen Stamm. Sie wurde es nicht müde, ihn zu betrachten. Seine Haltung, sein Gang, all die kleinen Gesten, die ihn so unverwechselbar machten. Sie liebte es, sie zu studieren.

Nach einer Weile bückte er sich, um Steinchen vom Uferrand aufzuheben. Er ließ sie über das graue Wasser des Rheins tanzen, bis er des Spiels müde wurde und sich setzte. Sie hätte ihm ewig dabei zusehen können.

Die Zeit verstrich. Die Sonne berührte schon fast den Horizont, als sich der Alte endlich erhob und ihnen zuwinkte.

»Kommt, ihr beiden! Es wird Zeit. Es kommt niemand mehr.«

Sofort sprang Aymard auf und gesellte sich zu dem Alten auf die Fähre. Als Hiltraud auf die Fähre steigen wollte, bot er ihr die Hand.

Einen Herzschlag lang zögerte sie, bevor sie seine Hand ergriff. Hitze schoss in ihre Wangen bei der Berührung. Mit fester Hand griff er zu und half ihr auf die sacht auf den Wellen schaukelnde Fähre. Bemüht darum, sich ihre Verlegenheit nicht anmerken zu lassen, setzte Hiltraud sich auf das Bündel, das Aymard abgesetzt hatte.

Obwohl der Fährmann gewillt schien, die Fähre alleine am Treidelseil auf die andere Seite zu ziehen, unterstützte ihn Aymard dabei. In sich versunken, glitt Hiltrauds Blick über Aymards Körper, und sie sah die Kraft in seinen Armen und bewunderte seine Ausdauer. Schweiß perlte nach kurzer Zeit auf seiner Stirn, aber er ließ nicht nach, zog die Fähre schließlich allein, während sich der Fährmann auf ein Fass im Bug setzte und es sich gutgehen ließ.

Die Sonne ging unter, als sie in Husen anlegten. Wie selbstverständlich half Aymard dem Alten dabei, das Fährboot für die Nacht zu vertäuen. Hiltraud näherte sich vorsichtig dem Bootsrand, um mit einem großen Schritt den Steg zu erreichen, doch sie zögerte. Da fühlte sie sich von zwei starken Händen um die Taille gefasst und hochgehoben, um im hohen Bogen auf dem Steg abgesetzt zu werden.

Aymard sprang hinter ihr auf den Steg und reichte ihr den Korb. Ihre Blicke trafen sich ebenso wie ihre Hände, als sie nach dem Korb griff. In Hiltrauds Kopf herrschte plötzlich Leere. Wie betäubt starrte sie ihn an.

Er lächelte, bückte sich nach dem Bündel, das noch in Reichweite auf dem Fährboot lag, hob es auf und schulterte es. Ohne sich nach ihr umzudrehen, folgte er dem Steg Richtung Ufer. »Komm«, sagte er nur.

Hiltraud war froh, dass sie auf seinen Rücken blicken konnte.

Forsch schritt er voran in Richtung des Dorfes, das sich neben der Anlegestelle erstreckte.

»Nach Wezzinloch?«, fragte er eine Frau, die mit einem Eimer um eines der Häuser kam.

Die Frau wischte sich den Schweiß von der Stirn, musterte Aymard kurz und zeigte die Straße entlang. »Immer der Straße folgen. Dann kommt ihr nach Rot. Aber ihr wollt doch nicht etwa jetzt noch weitergehen? Es wird ja schon dunkel.«

Hiltraud langte neben Aymard an. »Sie hat recht, Albert. Sollten wir hier nicht besser eine Übernachtungsmöglichkeit suchen?«

Ein tiefer Seufzer entrang sich Aymard. »Wir haben kein Geld dafür …« Sein Blick jedoch sagte: »Wir haben es eilig.«

»Ihr könnt in unserem Stall übernachten, wenn euch das nichts ausmacht«, sagte die Frau und deutete auf einen großen Schuppen neben dem Haus, aus dem das Muhen von Kühen drang.

Aymard runzelte die Stirn. »Wie weit ist es bis zum nächsten Ort?«

»Bis Reitling? Das sind bestimmt noch zwei Stunden Fußmarsch«, antwortete die Frau. »Bis ihr dort ankommt, wird es stockfinster sein.«

Zögerlich berührte Hiltraud Aymards Arm.

Sein Blick traf sie. Ungeduld mischte sich in seinen grünen Augen mit Resignation. Sie wusste, dass er ohne sie weiterlaufen würde. Die ganze Nacht hindurch, wenn es sein musste, und ohne zu klagen.

»Bitte.«

Das einzige Wort genügte.

»Wir nehmen Euer Angebot an, gute Frau«, seufzte Aymard.

Die Augen auf den Weg gerichtet, setzte Aymard sich wenig später zu Hiltraud auf die Stufen des Hauses, um mit ihr den Proviant zu teilen, den Alma ihnen eingepackt hatte. Sie bemerkte, dass er ihren Blick mied. Er aß kaum etwas, trank dafür umso mehr von dem Wasser, das Hiltraud aus dem Brunnen geholt hatte.

Wenig später schon rollten sie sich nebeneinander auf dem Heuboden des Stalls in ihre Mäntel, eine dicke Strohschicht als Matratze unter sich. Von unten drangen der Geruch der Kühe und ihr schmatzendes Wiederkäuen an ihre Ohren. Hiltraud glaubte, dass sie hier niemals einschlafen könnte, bis es doch geschah.

Ein Schrei schreckte sie hoch. Stroh stach in ihren Rücken. Neben ihr stöhnte jemand und wälzte sich wie im Fieber hin und her. Das Stöhnen wurde lauter und quälend, mündete in abgehackte, keuchende Atemzüge.

Aymard.

Noch halb im Schlaf drehte sie sich um. Ihre Finger stießen im Dunkel auf einen Körper, der unter der Berührung zusammenzuckte, als habe sie ihn geschlagen.

»Scht …«, machte Hiltraud.

Instinktiv schlang sie die Arme um ihn und zog ihn an sich. Sein Kopf drückte sich schweißfeucht gegen ihre Brust.

»Scht …«, flüsterte sie noch einmal. »Es ist alles gut. Ich bin ja da. Ich bin bei dir.«

Ihre Finger fanden seinen Nacken und streichelten ihn sacht.

Endlich wich die Starre aus seinem Körper. Aus dem Ansatz eines Wimmerns wurde ein Seufzen. Er legte den Arm um ihre Taille und schmiegte sich an sie. Ruhige Atemzüge zeigten ihr bald darauf, dass er wieder tief und traumlos schlief.

Seine Nähe war beunruhigend und betörend zugleich. Hiltraud wagte nicht, sie zu genießen. Fast kam es ihr vor, als hätte sie diese gestohlen, als stehe sie ihr nicht zu.

Ganz vorsichtig löste sie sich nach einer Weile wieder von ihm. Allein für sich starrte sie in die Nacht und wartete darauf, dass auch sie wieder einschlief.

26. April 1622

Da war etwas gewesen. In der Nacht. Etwas Merkwürdiges. Aymard konnte es nicht benennen. Alma war da gewesen und hatte ihn getröstet. Es musste ein Traum gewesen sein, denn sie war ja in ihrer Hütte im Wald geblieben.

Sein Blick fiel auf Hiltraud, die neben ihm die Straße nach Reitling entlangschritt. Es blieb nur der Schluss, dass es Hiltraud gewesen war. Nein, das war unmöglich. Hiltraud würde ihn niemals in die Arme nehmen, um ihm Trost zu spenden. Sie verabscheute ihn.

Tat sie das?

Der Gedanke, dass er sich irren könnte, war verwirrend. Nein, entschied er endlich. Wenn sie ihn tatsächlich des Nachts getröstet hätte, dann hätte sie diese Tatsache längst gegen ihn benutzt.

Mit neuer Entschlossenheit schritt er voran.

Es war noch früh am Tag. Am blauen Himmel zeigte sich kein einziges Wölkchen. Die Vögel zwitscherten. Erste Wiesenblumen reckten ihre Köpfe der Sonne entgegen. Es war eine Lust, hier zu wandern, ließ man außer Acht, dass vermutlich zwei Heere hier in der Nähe lagerten.

Die ersten Häuser von Reitling kamen in Sicht. Im Dorf herrschte Aufruhr. Einige Leute beluden ihre Karren. Auf den Stufen eines Hauses saß eine alte Frau und jammerte. Kinder weinten. Hühner liefen gackernd durch die Straßen. Ein Mann trieb vier Kühe durch den Ort Richtung Auwald.

In Aymards Eingeweiden bildete sich ein Klumpen.

»Was ist los?«, fragte er einen Mann, der einen der Karren belud. Darauf saß ein blondes Mädchen und schluchzte herzerweichend.

»Still, Regina«, herrschte der Mann das Mädchen an. »Was hast du gefragt?«

»Was bedeutet der Aufruhr?«

Gehetzt sah der Mann Aymard an. »Es heißt, die pfälzischen Truppen nähern sich von Bruhsel. Und jetzt lass mich meine Sachen packen, damit nicht alles verlorengeht, wenn sie bei uns einfallen.«

Hiltraud gesellte sich zu Aymard, als habe sie Angst, alleine zu sein. Ihr Blick wirkte entsetzt.

»Guter Mann, eine Frage noch. Wie kommen wir am besten nach Wezzinloch?«

»Wezzinloch!« Der Mann starrte Aymard an, als habe dieser den Verstand verloren. »Bist du wahnsinnig? Tilly lagert dort mit seinen Männern. Ihr werdet mitten zwischen die Fronten geraten. Versteckt euch im Wald, bis es vorbei ist, und geht dann weiter.«

Aymard packte seinen Arm. »Das war eine einfache Frage. Beantworte sie mir, Mann!«

Die Augen des Mannes wurden weit. Aymard kannte diesen Blick, wenn sein Gegenüber sich plötzlich bewusst wurde, dass ihm ein Ordensritter gegenüberstand und Gehorsam verlangte. Er trug zwar seine Ordensinsignien nicht, doch der Tonfall seiner Stimme hatte genügt, um dem Bauern Angst einzujagen.

»Verzeiht!« Die Stimme des Mannes zitterte.

»Wie kommen wir am besten nach Wezzinloch?«

Eine Hand berührte Aymards Arm. Hiltraud.

Er schüttelte sie ab und fixierte weiterhin den Bauern.

»Den nördlichen Weg. Nach Waltdorf. Das ist am kürzesten.«

»Danke.«

Ohne den Mann noch eines Blickes zu würdigen, packte Aymard Hiltrauds Arm und zog sie mit sich.

Hinter ihnen plärrte das blonde Mädchen los, als habe sie bisher nur geübt. Eine Frau stürzte hinzu und nahm sie in die Arme.

»Warum tust du das?«, fragte Hiltraud.

»Was?« Aymard warf ihr von der Seite einen Blick zu, während er stramm ausschritt. Er wollte das Dorf so schnell wie möglich hinter sich lassen.

»Du machst den Leuten Angst.«

Aymard schnaubte. »Die haben immer Angst. Vor allem und jedem. Sieh sie dir doch an! Statt ihr Hab und Gut zu verteidigen, laufen sie davon.«

In Hiltrauds grauen Augen lag auf einmal Abscheu. »Sie können nicht kämpfen – wie du. Was bleibt ihnen denn anderes übrig?«

»Jeder kann kämpfen. Notfalls mit der Mistgabel in der Hand. Ich würde kämpfen. Und wenn ich nur noch kriechen könnte.«

Hiltraud schwieg. Nach einigen Momenten ließ sie sich zurückfallen und ging von da an hinter ihm.

Der Klumpen in Aymards Eingeweiden wuchs, wurde hart und kalt. Starr hatte er den Blick auf den Weg gerichtet, ignorierte die Menschen, die im Dorf umherrannten. Ebenso wie die gackernden Hühner und die Kühe und Ochsen. Als sie endlich das Dorf hinter sich hatten, merkte er, wie er erleichtert aufatmete.

Sie waren Vieh. Vieh, das sich zur Schlachtbank führen ließ. Vieh, das er geschworen hatte, zu beschützen.

Das Bild des weinenden Mädchens drängte sich ihm auf. Grimmig ballte er die Rechte zur Faust. Es war nicht richtig. Ein Mann durfte nicht zulassen, dass seine Familie so litt. Ein Mann musste dazu bereit sein, für sie zu kämpfen. Aber dafür war doch er da. Für die zu kämpfen, die es nicht konnten.

Stumm marschierte er weiter. Blind für die Schönheiten der Umgebung. Der Schweiß rann ihm in der Hitze über Gesicht und den Oberkörper. Aber er war nicht gewillt, sein Tempo zu verringern. Bis Waltdorf in Sicht kam.

Die rußgeschwärzten Ruinen von Häusern reckten sich klagend in den blauen Himmel. Trotzdem bestellten einige Bauern ihre Felder, gingen gebeugte Frauen in den Hausgärten ihrem Tagwerk nach. Auch hier liefen Hühner auf der Suche nach Futter durchs Dorf.

Niemand sprach sie an.

Aymards Herz zog sich bei dem Anblick zusammen. Wo waren ihre Herren, die geschworen hatten, sie zu beschützen? Sie waren unterlegen, gab er sich selber die nüchterne Antwort. So funktionierte der Krieg.

Hier fragte er niemanden nach dem Weg. Als sie Waltdorf durchquert hatten, atmete er erleichtert auf.

»Können wir eine Rast machen?«, fragte Hiltraud.

Er nickte stumm, suchte einen Platz unter einem Baum, denn es war brütend heiß geworden, trotz der frühen Jahreszeit. An den Stamm gelehnt beobachtete er die Straße nach Wezzinloch, während Hiltraud den Proviant auspackte.

»Möchtest du nichts essen?«, fragte Hiltraud und bot ihm ein Stück Brot mit Käse an.

Wortlos nahm er es entgegen. Die Straße fest im Blick, aß er beides auf und stillte dann seinen Durst mit Wasser aus dem Schlauch, den er bei sich trug. Danach reichte er ihn Hiltraud, die ihm den Wasserschlauch nach einigen tiefen Zügen zurückgab.

»Weiter«, sagte er, während er den Wasserschlauch wieder an seinem Gürtel befestigte.

Er wartete noch, bis Hiltraud den Proviant im Korb verstaut hatte, dann setzten sie den Weg fort. Als sie die nächste Wegbiegung erreichten, konnte er sehen, dass der Bach und die Straße, der sie folgten, zwischen zwei Hügeln hindurch verliefen. Am Hang des linken Hügels lag eine Ortschaft. Davor breitete sich auf den Wiesen ein Lager aus, das sie von ihrem Standpunkt aus nicht bis zu seinem Ende überblicken konnten.

»Was ist?«, fragte Hiltraud.

Aymard erkannte die Zelte und Wimpel. »Wir sind am Ziel.«

Geschützdonner war mit einem Mal zu hören. Hiltraud zuckte zusammen. Erneut donnerte es.

Aymard lauschte. Rechts. Die Geschützstellungen mussten sich auf dem Hügel zur Rechten befinden, außerhalb ihrer Sicht.

Ein Trupp Reiter kam hinter der Kuppe des Hügels hervor. Wimpel flatterten im Wind. Der Trupp preschte auf das Lager zu und löste sich dort scheinbar auf. Weitere Trupps folgten.

Während Aymard noch das Geschehen beobachtete, entdeckte er einen Trupp, der sich aus dem Gewimmel des Lagers löste und sich Richtung Westen bewegte, auf den Einschnitt zu, der nach Waltdorf führte. Anscheinend hatte da jemand die Absicht, den Hügel zu umgehen, um dem Feind, der sich offensichtlich von Süden näherte, in die Flanke oder den Rücken zu fallen.

Wortlos packte Aymard Hiltraud am Arm und zog sie zwischen die Hecken, die den Bach säumten. Während Hiltraud ihn noch verblüfft anstarrte, fasste er sie an der Taille und trug sie auf die andere Seite des Baches. Das Gewässer war nicht allzu breit und auch nicht tief. Trotzdem reichte ihm das kalte Wasser in der Mitte des Bachs bis zu den Knien. Nachdem er sie auf der anderen Seite abgesetzt hatte, bückte er sich und spritzte sich, dankbar um das kühle Wasser, mehrere Handvoll ins Gesicht.

»Weiter«, sagte er dann und erklomm das Bachufer.

»Wieso …« Fragend sah Hiltraud ihn an.

»Sie werden auf der Straße bleiben. Wenn wir auf der nördlichen Bachseite weitergehen, dürften sie uns nicht entdecken.«

Ohne zu warten, ob Hiltraud noch etwas darauf erwidern wollte, ging Aymard weiter. Die Muskeln seines linken Beins begannen zu schmerzen. Er hatte es zu schwer belastet, um das schwache rechte Knie zu schonen. Trotzdem ging er voran und kämpfte sich einen Weg durch das Hanggelände nördlich des Baches. Hiltraud folgte ihm.

Nach einer Weile hörte er das Hufgetrappel sich nähernder Pferde. Stumm fasste er nach Hiltrauds Arm und zog sie mit sich hinter einen Busch. Den Arm fest um ihre Schulter gelegt, beobachtete er durch die kahlen Äste den Weg.

Tatsächlich. Der Reitertrupp näherte sich ihnen. Etwa zwanzig Schritt von ihrem Versteck entfernt zügelten sie die Pferde.

Aymard drückte Hiltraud zu Boden und legte sich schützend über sie. Der Geruch nach feuchter Erde und zerquetschtem Gras drang in seine Nase. Hiltraud unter ihm war starr vor Schreck. Vorsichtig wagte Aymard einen Blick auf den Weg.

Die Reiter sahen sich um. Ein paar von ihnen wollten ausschwärmen, aber ihr Anführer rief sie zurück und zeigte den Weg entlang nach Waltdorf. Dann setzten sie sich wieder in Bewegung.

Aymard wartete, bis das Hufgetrappel nicht mehr zu hören war. Erst dann richtete er sich vorsichtig auf, war aber immer noch auf der Hut. Doch die Reiter waren fort.

»Gehen wir zurück auf den Weg?«, fragte Hiltraud.

Aymard schüttelte den Kopf und schulterte das Bündel. »Zu gefährlich. Sie werden vielleicht zurückkehren. Und wenn wir sie nicht rechtzeitig bemerken, entdecken sie uns.«

»Und was machen wir, wenn wir in Wezzinloch sind?«

»Zwei Bauern mehr werden in Wezzinloch nicht auffallen.«

»Aber das Heer ist riesig. Wie sollen wir da von Stadion finden?«

»Er wird sich in der Nähe des Kommandozelts befinden. Das müsste zu finden sein. Komm jetzt!«

»Aymard, das ist Wahnsinn. Das schaffen wir nie.«

Wider Willen wandte er sich ihr zu. In ihren grauen Augen nistete das pure Entsetzen. Sie würde ihm befehlen umzukehren, wenn er sie nicht überzeugte. Vorsichtig machte er einen Schritt auf sie zu und fasste nach ihren Händen.

»Doch, Hiltraud. Wir müssen es schaffen. Und wir werden es schaffen. Dank deiner Hilfe. Denn du wirst uns vor ihren Augen verbergen. So, wie du es in Wormitia getan hast. Ich erinnere mich genau daran. Ich habe recht, nicht wahr?«

Sie starrte ihn nur an, bis sie endlich nickte. »Ja, du hast recht. Ich kann uns vor ihren Augen verbergen. Aber das schützt uns nicht, falls jemand in uns hineinläuft. Und du hast gesehen, wie viele Leute dort unten lagern. Wenn uns jemand findet … wenn … Gott im Himmel, ich wage gar nicht daran zu denken!«

Einem plötzlichen Instinkt folgend, zog er sie zu sich heran. So nahe, dass ihre Körper sich fast berührten.

»Es wird alles gutgehen. Ich verspreche es dir. Vertrau mir!«