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Martina Gercke

Champagnerküsschen





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Inhaltsangabe

 

 

 

 

 

 

 

Martina Gercke

 

Champagnerküsschen

 

Roman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschrift und Zeitung, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile sowie der Übersetzung in andere Sprachen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ORIGINALAUSGABE

eBook: © 2012 BY Martina Gercke

 

 

UMSCHLAGGESTALTUNG: Martina Gercke, Maximilian Gercke

Bildgestaltung: Teilweise Shutterstock/M. Gercke

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog 6

Julias Facebook-Status: Hilfe, ich werde alt! 7

Julias Facebook-Status: Freut sich auf den Abend zu zweit ... 19

Julias Facebook-Status: Braucht dringend einen Tag Erholung! 29

Julias Facebook-Status: Bin ich fett? 39

Julias Facebook-Status: Julia hat den Tag im Krankenhaus verbracht. 54

Julias Facebook-Status: Warum sind eigentlich alle schönen Männer schwul? 61

Julias Facebook-Status: Sport ist Mord! 72

Julias Facebook-Status: Sieht sich nie wieder die Star-News an! 79

Julias Facebook-Status: Hunger!!!! 90

Julias Facebook-Status: Showtime ... 95

Julias Facebook-Status: Neues Jobangebot und Flugangst – nicht gut!! 109

Julias Facebook-Status: Achtung! Gefahr durch Schnappatmung und Schmetterlinge im Bauch ... 131

Julias Facebook-Status: Liebeskummer Phase eins! 141

Julias Facebook-Status: Ich habe einen Frosch im Hals ... wenn mich jetzt jemand küsst, könnte ich möglicherweise an einem Prinzen ersticken ... 151

Julias Facebook-Status: Friends will always be friends! 160

Julias Facebook-Status: Liebeskummer Phase zwei! 182

Julias Facebook-Status: Der Tag ist nicht mein Freund! 200

Julias Facebook-Status: Mäuschen, du hast wirklich ein Talent, dich in Schwierigkeiten zu bringen! 210

Julias Facebook-Status: Hat sich heute für Florian David Fitz schick gemacht ... 218

Julias Facebook-Status: Champagnerküsschen ... 230

Julias Facebook-Status: Neujahr! Prost! 242

Danksagungen 243

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Kay,

mein Glückstern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

 

Horoskop Zwilling

 

Partnerschaft:

Eine interessante Woche liegt vor Ihnen. Merkur und Venus stehen dem enthusiastischen Zwilling zur Seite und werden von Uranus noch mit zusätzlicher Verwegenheit ausgestattet. Eine feurige Mischung, die den Zwilling bei jeder Unternehmung unterstützt. Nutzen Sie die Kräfte, und entdecken Sie sich neu. Jedoch ist Vorsicht geboten, denn Zuversicht und ein Unbesiegbarkeitsgefühl können Sie zum Abheben verleiten. Yoga, Pilates und lange Spaziergänge bringen Sie auf die Erde zurück.

Liebe:

Sie brauchen jetzt einen Partner, der aufgeschlossen und vielseitig interessiert ist und der Sie in allen Lebenslagen unterstützt. Sie möchten das Leben in all seinen Facetten erkunden und zusammen mit Ihrem Partner Grenzen überschreiten. Endecken Sie sich neu! Romantische Verzauberung ist für Sie leicht und spritzig wie Champagner an einem lauen Sommerabend, mit viel augenzwinkerndem Humor und charmanter Plänkelei. Heißblütige Leidenschaft liegt Ihnen nicht.

Sex:

Der vielseitige Zwilling wechselt in jeder Hinsicht gerne mal die Richtung. Lassen Sie Ihrer Neugier freien Lauf, erkunden Sie den Körper Ihres Partners und seien Sie bereit, einiges auszuprobieren. Unkomplizierte Quickies, Telefonsex und Verbalerotik bringen den Zwilling auf Touren. Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf, und genießen Sie den Augenblick.

Beruf:

Beruflich steht eine Veränderung ins Haus, die Sie vor eine Entscheidung stellen könnte. Nehmen Sie die Herausforderung an.

 

 

 

Julias Facebook-Status: Hilfe, ich werde alt!

 

Okay, das klingt ja gar nicht so schlecht! Schließlich ist heute mein dreißigster Geburtstag, und in diesem Fall gewinnt ein Horoskop eine völlig neue Bedeutung. Hier dreht es sich immerhin um mein Schicksal für das gesamte kommende Jahr. Eigentlich halte ich ja nicht viel von Wahrsagen, Kristallkugeln, Kartenlesen und Horoskope. Man muss nur mal den Fernseher einschalten und einen dieser Kanäle anwählen, wo einen eine stark geschminkte, offensichtlich in die Jahre gekommene Dame mit Tarotkarten in der Hand anlächelt, die ihren leichtgläubigen Opfern via Telefon die Zukunft voraussagt. Währenddessen bereichert sich der Sender gleichzeitig an den überhöhten Telefongebühren für das Gespräch.

Nein, zu dieser Gruppe Mensch möchte ich mich auf keinen Fall zählen. Ich bin eine selbstbewusste, mit beiden Beinen im Leben stehende, erfolgreiche Frau, die ihr Schicksal selbst meistert. Na ja, wenn ich ehrlich bin, hält es sich mit meinem Selbstbewusstsein meistens in Grenzen. Ich bin nur selbstbewusst, wenn es mir nicht bewusst ist. Denke ich darüber nach, verlässt mich mein Ego spontan.

Anders ist das mit Pickeln – die kommen mit einer geradezu erschreckenden Sicherheit, wenn man sie nicht gebrauchen kann. Zum Beispiel vor Vorstellungsgesprächen, ersten Dates oder, wie in meinem Fall, dem dreißigsten Geburtstag. Der Pickel, den ich heute Morgen im Spiegel entdeckt habe, sieht aus wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch und tut schon beim Hinsehen weh.

Trotz meiner Vorbehalte treibt mich eine gewisse Neugierde immer wieder dazu, bei jeder Zeitschrift, die ich in die Hände bekomme, als erstes die Seite mit den Horoskopen aufzuschlagen.

Hm, wenn ich mir das Horoskop so durchlese, könnte ich fast den Eindruck erlangen, dass der Verfasser mich persönlich damit ansprechen wollte. Das mit der Verbalerotik trifft absolut auf mich zu. Ich meine, was wäre eine Nacht voll heißblütigem Sex, wenn man sie hinterher nicht mit seiner besten Freundin bei einem Glas Sekt verbal aufbereiten kann.

Meine Güte, jetzt bin ich schon dreißig. Ich komme mir vor wie der Gestiefelte Kater, der sich mit Riesenschritten auf die vierzig bewegt. Er in Stiefeln, ich in Hausschuhen. Ehrlich gesagt, kein schöner Gedanke. Dreißig klingt nach Falten, Kurzhaarschnitt und schlechtem Sex.

In meinem Alter waren meine Eltern schon fünf Jahre miteinander verheiratet und hatten mich bereits in die Welt gesetzt. Meine Mutter hatte eine Dauerwelle und mein Vater (damals noch mit üppigem Haupthaar) trug eine Kickermatte auf dem Kopf. Im Radio lief »Guten Morgen, liebe Sorgen« von Jürgen von der Lippe und im Fernsehen schlugen sich die Ewings in Dallas und die Carringtons im Denver Clan gegenseitig die Köpfe ein. Niemals hätte ich gedacht, dass der Verfall derart schnell auch bei mir einsetzen würde. Und jetzt – wenn es in diesem Tempo weitergeht, kann ich mich bald im Altersheim anmelden. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken.

»Schätzelein, geht es ihr gut? Sie ist ein bisschen blass um die Nase herum«, flötet Harald besorgt und nippt an seinem Glas Prosecco der Marke Holunderküsschen.

»Ach, ich weiß nicht«, seufze ich und nehme ebenfalls einen Schluck, allerdings einen tiefen. Ich brauche Alkohol, viel Alkohol, um meinen Kummer wegen meines Alters zu ertränken. Ich meine: Hallo! Dreißig! Da sind die besten Jahre vorbei, und man befindet sich auf dem absteigenden Ast. Zumindest rein biologisch betrachtet. Bei Männern ist das anders. Männer sind wie alter Wein, sie werden mit der Zeit vollmundiger und reifer. Wir Frauen hingegen werden faltig und sauer. So sieht es nämlich aus! Ich leere das Glas mit einem Schluck.

»Also wirklich, Liebelein, sie tut ja gerade so, als sei heute ihre Beerdigung«, seufzt Harald und gibt Robin ein Zeichen. Wie ein Jünger seinem Guru folgt, eilt Robin mit kleinen Tippelschritten herbei. Dabei sieht er in seinen Klamotten wie ein Tokio Hotel-Klon aus.

»Was sie jetzt dringend braucht, ist eine Haarwäsche!« Harald nickt in meine Richtung. Robin stellt, ohne eine Miene zu verziehen, die Handbrause an. Eine Haarwäsche ist Haralds Patentrezept für Kummer jeglicher Art, und ich muss zugeben – es funktioniert. Irgendwie riecht es plötzlich nach dieser Sonnencreme, die ich im Urlaub an der Mittelmeerküste Italiens mal benutzt habe.

»Was duftet denn hier so?«, schnuppere ich.

Robin zieht die sorgfältig gezupfte Augenbraue hoch. »Das ist die neuste Kreation des Meisters aus seiner Serie Luxeriöös. Ein besonders mildes Pflegeshampoo für strapaziertes Haar mit Essenzen von Kokosnussöl.«

Eines muss man Harald lassen: Er hat seine Angestellten im Griff. Außerdem hat er einen ausgeprägten Sinn fürs Geschäft. Den zweifelhaften Ruhm, den ihm sein unfreiwilliger Auftritt bei der Preisverleihung letztes Jahr verschafft hat, hat Harald gewinnbringend genutzt und seine eigene Haarpflegeserie Luxeriöös auf den Markt gebracht. Natürlich mit seinem Gesicht als Werbeträger darauf.

»Gefällt ihr der Duft?« Haralds kleine Schweinsäuglein schweben dicht über meinem Gesicht. Ich nicke, so gut es eben geht, wenn man mit dem Kopf im Waschbecken liegt. »Ist der letzte Schrei bei meinen Kundinnen.«

»Riechtwirrrklichsehrrleckerr«, gurgele ich, da mir etwas Wasser das Gesicht hinunter in den Mund läuft.

»Hör auf mit deinem Gemecker?« Harald zieht ein Katzenpopo-Mündchen und sieht mich etwas verwirrt an. Sein heißer Atem streift meine Wange.

»Nein!« Ich hebe meinen Kopf, soweit es möglich ist. »Ich habe gesagt, ich finde, es riecht sehr lecker.«

»Ach so. Wirklich?«, frohlockt Harald.

Ich nicke.

»Unser Urlaubstraum-Shampoo wurde von mir extra für Frauen entwickelt, die ein klein wenig ... äh ...« Täusche ich mich oder wird Harald ein wenig rot? »... zu viel wiegen.«

»Na, vielen Dank auch«, murmele ich. Tatsächlich habe ich, seit ich mit Benni zusammen bin, das eine oder andere Kilo zugenommen. Das war schon mein Leben lang so. Wenn ich unglücklich bin, nehme ich ab und sehe besser aus denn je. Bin ich glücklich, entwickele ich einen gesunden Appetit und verwandele mich langsam in eine Tonne. Das ist wirklich ungerecht.

»Liebelein, sie sieht einfach fantastisch aus«, sagt Harald. »Das bisschen Übergewicht steht ihr wirklich ausgezeichnet. Aber, damit es nicht mehr wird, sollte sie unbedingt Urlaubstraum verwenden. Der Kokosduft verhindert auf natürliche Weise, dass sie ein Hungergefühl bekommt.« Harald strahlt mich triumphierend an. »Das ist die neuste wissenschaftliche Erkenntnis, und ich bin der Erste, der damit auf den Markt geht.«

»Tatsächlich?«, frage ich ungläubig.

Harald nickt. »Liebelein, sie wird sehen, mit der Sache komme ich ganz groß raus. Luxeriöös wird der Renner werden. Ganz nach dem Motto: Jede Frau ist eine Prinzessin und soll sich auch so fühlen. Mein Luxeriöös wird das Selbstwertgefühl von Hunderten von Frauen verändern.« Harald wirft einen prüfenden Blick auf meine nassen Haare.

»Robiiin. Pflege.« Sofort zuckt Robin, der in eine Art transzendente Starre verfallen ist, zusammen, greift nach einer weiteren Flasche und verteilt deren Inhalt auf meinen Haaren. Der Kokosduft wird noch intensiver.

»Schön einatmen und entspannen, Liebelein. Dann klappt es auch mit ihrem Gewicht.« Harald holt demonstrativ tief Luft. »Ich habe einen Freund, der arbeitet bei diesem Shoppingsender. Sobald ein Termin frei wird, trete ich dort auf.« Er zwinkert mir zu. »Du kennst doch diese unsägliche Frau mit ihren Kosmetikprodukten, die dort regelmäßig aufgetreten ist?!«

»Du meinst Uschi Glas?«

»Nein doch nicht die ... Obwohl die natürlich auch unsäglich ist.« Harald wiehert laut auf. »Ich meine diese Richarda M. Die Frau ist mit diesem Sender berühmt und reich geworden.«

»Das ist ja der absolute Wahnsinn, Harald. Vielleicht wirst du dann auch berühmt.«

»Und genau das ist der Plan, Schätzelein. Ich bin gleich wieder bei ihr.« Harald tänzelt davon, bevor ich antworten kann. Oha! Harald als Fernsehstar. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Deutschland dafür bereit ist.

Ich atme tief ein und starre an die Decke, während Robin mit der Leidenschaft eines Klavierspielers meinen Kopf bearbeitet. So sehr ich mir auch Mühe gebe, ich schaffe es nicht, mich zu entspannen. Ständig muss ich an meinen Geburtstag denken oder – besser gesagt – an das damit verbundene Alter. Sogar Benni, der eigentlich immer Verständnis zeigt, wenn ich mich in einer Krise befinde, hat heute Morgen äußerst unsensibel reagiert, als ich ihm von meinem Problem mit der Zahl dreißig erzählt habe.

»Jetzt mach nicht so ein Theater. Schließlich ist es doch nur ein Geburtstag, wie jeder andere auch«, hat mein Traummann geantwortet. Ich fand diese Antwort für ein derart schwieriges Thema nicht angemessen. Zumal ich mir gerade von meinem ansonsten verständnisvollen Freund mehr Unterstützung erwartet hätte. Also habe ich den einzigen sensiblen Mann in meinem Leben angerufen, meinen Friseur und Freund Dieter Manuel Vögler. Allerdings kennen ihn die meisten seiner Kunden nur unter seinem Künstlernamen Harald Vögler. Harald ist Besitzer von Box Haare, dem angesagtesten Friseursalon Hamburgs.

Geht man davon aus, einen richtigen Mann an der Stärke seines Haarwuchses zu erkennen, dann wäre Harald ganz weit vorne. Sein ganzer Körper ist von einem dichten Fell bedeckt. Täglich verbringt Harald mindestens eine Stunde im Badezimmer, nur um seine Körperbehaarung auf ein erträgliches Maß zu trimmen. Als der Hollywood-Blockbuster Planet der Affen bei uns in den Kinos anlief, huschte Harald tagelang in Mäntel eingehüllt durch die Stadt, aus Angst, von einem der Kinobesucher für einen der tierischen Hauptdarsteller gehalten zu werden.

Seit Neustem trägt Harald Bart. Das heißt, eigentlich ist es mehr eine Bartlinie, die entlang seines Mundes verläuft und in einem Kinnbärtchen endet. Das lässt sein etwas aufgedunsenes Gesicht markanter erscheinen. Die Kopfhaare sind zu einem Hahnenkamm aufgetürmt, wovon sich Harald bei seiner Körpergröße von knapp 1,75 m einen optischen Zugewinn an mehreren Zentimetern verspricht. Seine Augen sind mit schwarzem Kajal umrandet, sodass man bei Haralds Anblick unwillkürlich an einen in die Jahre gekommenen Jack Sparrow denken muss. Dazu trägt er bevorzugt viel zu enge Hosen und bis zum Bauchnabel aufgeknöpfte und taillierte Hemden.

Der Mann ist ein echtes Weichei mit der Seele einer Frau. Letzte Woche erst hat Harald schluchzend bei Bauer sucht Frau vor dem Fernseher gesessen, als die beiden schwulen Bauern Händchen haltend zusammen Traktor gefahren sind.

»Ich mache sie dem heutigen Anlass entsprechend zu einer Prinzessin«, hallt Haralds Stimme dumpf durch das Rauschen des Wasserstrahls an mein Ohr. »Wenn ich mit ihr fertig bin, sieht sie mindestens zehn Jahre jünger aus.«

Das ist das Netteste, was ich heute zu hören bekommen habe. Ich habe am Morgen bereits vier SMS bekommen, in denen mir Mut zugesprochen und nachgefragt wurde, wann Benni und ich endlich heiraten. Birte, die alte Schlange, hat sogar gefragt, ob ich schwanger sei! Wenn das nicht frustrierend ist, was dann?

Ich habe meinen Traummann gefunden. Die Sache hat nur einen kleinen Haken. Ich weiß nicht, ob Benni über mich genauso denkt. In den letzten Monaten habe ich das Gespräch mehrfach auf das Thema Hochzeit gelenkt. Leider habe ich nicht die gewünschte Reaktion bekommen. Stattdessen fragte mich Benni mit Leidensmiene, ob ich meine Tage hätte. Damit war das Thema dann gegessen.

Robin ist endlich fertig. Meine Haare riechen, als hinge ich kopfüber in einer Kokosnuss.

»Keiner hat heute Abend Zeit zum Feiern«, jammere ich, während Harald mir ein weiteres Glas mit Holunderküsschen-Prosecco einschenkt. »Eigentlich wollte ich mich sinnlos betrinken und ganz viel Spaß mit meinen Freunden haben.« Ich werfe einen vorwurfsvollen Blick in Haralds Richtung.

»Liebelein, ich wäre wirklich gerne zu ihrem Geburtstag gekommen, aber ich habe eine wichtige Verabredung.« Er spitzt die Lippen.

»Wichtige Verabredung?« Ich runzele die Stirn. Was kann es Wichtigeres als meinen Geburtstag geben? »Hat sich Roberto wieder bei dir gemeldet?« Roberto ist Haralds Ex-Freund, dem Harald zehn Kilo Übergewicht und sein Singledasein zu verdanken hat.

»Ach der. Nein, wo denkt sie hin. Ich habe ein Blind Date«, winkt Harald ab.

»Wirklich?«

»Ich habe mich bei PremiumPartner für anspruchsvolle schwule Singles angemeldet«, erklärt Harald mit ernster Miene. »Ein Freund von mir hat über PremiumPartner seine große Liebe kennengelernt. Die beiden sind nach ihrem ersten Treffen bereits zusammengezogen und haben letzten Monat geheiratet.«

Ich schüttele ungläubig meinen Kopf. Der Gedanke, einen Mann übers Internet kennenzulernen, ist mir geradezu unheimlich. In dieser Hinsicht bin ich altmodisch. Ich möchte meinem Traummann im wahren Leben begegnen und ihn nicht anhand eines Profils auf irgendeiner Singlebörse finden. Jeder halbwegs intelligente Mensch (und dazu zähle ich mich) präsentiert sich dort von seiner Schokoladenseite – die ohne Übergewicht und Pickel im Gesicht. Im wahren Leben stehst du dann plötzlich einem kleinen dicklichen Mann mit Fistelstimme gegenüber, der dir unentwegt in den Ausschnitt starrt.

Ich bin mir sicher, dass Benni und ich uns niemals auf diesem Weg gefunden hätten. Zum einen bin ich in dieser Hinsicht viel zu altmodisch. Ich möchte den Mann, mit dem ich mich zu einem Date verabrede vorher persönlich kennenlernen und für sympathisch befinden. Ich möchte mich nicht, wie auf einem Heiratsmarkt feilbieten müssen. Des Weiteren finde ich die Vorstellung, dass ein Computer für mich meinen Traummann aussucht leicht befremdlich. Das würde ja bedeuten, dass ich mein Liebesglück in die Hand einer Maschine lege. Nein, das macht mir Angst. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass ein Computer nach möglichst vielen Übereinstimmungen der möglichen Partner sucht, was in meinem Fall unweigerlich zu einer Katastrophe führen würde. Das würde ja bedeuten, dass mein zukünftiger Partner und ich von einer emotionalen Krise in die Nächste rutschen und unser Alkoholkonsum dabei ungesunde Ausmaße annehmen würde. Nein, Benni ist in jeder Hinsicht genau der Richtige für mich. Benni behält immer den Überblick, ist ruhig und verständnisvoll und unterliegt keinen hormonellen Schwankungen. Wie sagte meine Oma Trude schon immer: »Gegensätze ziehen sich an!« Und da bin ich ganz ihrer Meinung.

»Ich hätte Angst, irgendeinem Lüstling in die Arme zu laufen«, sage ich. Harald hört abrupt auf, meine Haare zu föhnen.

»Aber, Liebelein, genau das hoffe ich ja.«

»Wie heißt dein Date überhaupt?«

Harald tippelt unruhig hin und her. »Hotshot69«

»Dein Date heißt Hotshot69?«, frage ich ungläubig.

Harald nickt begeistert.

»Und wie nennst du dich?« Ich ahne Schreckliches!

»Schwarzer Hengst6«, lautet die prompte Antwort.

»Ach du meine Güte!« Ich nehme einen Schluck aus meinem Glas.

»Toller Name, nicht?« Harald strahlt wie ein Honigkuchenpferd.

»Äh ... Na ja ... findest du den Namen nicht etwas ... gewagt?«, frage ich zaghaft nach.

»Will sie etwa meine Qualitäten im Bett infrage stellen«, entrüstet sich Harald alias Schwarzer Hengst6. »Bisher hat sich noch niemand hinterher beschwert.«

»Nein, so war das nicht gemeint«, versuche ich, ihn zu beschwichtigen. »Aber mit dem Namen erweckst du eine gewisse Erwartungshaltung! Wenn du verstehst, was ich meine.«

»Und genau das ist der Sinn, Liebelein«, erklärt mir Harald. »Stell dir vor, was sich für Männer bei mir melden würden, wenn ich mich Friseur34 oder Kuschel78 genannt hätte. Nomen est omen. Außerdem gibt es schlimmere Schicksale als wilden, ungezügelten Sex mit einem Mann zu haben«, fügt er hinzu.

»Da hast du auch wieder recht«, seufze ich. Seit Benni zusammen mit seiner Schwester Arianne die Leitung des Holiday Dream Verlages übernommen hat, liegen wir, was den Sex anbelangt, unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Selbst am Wochenende ist Benni beruflich so eingespannt, dass er oft erst spät und total erschöpft nach Hause kommt.

Nicht, dass ich einen ruhigen, gemütlichen Abend bei einer Flasche Rotwein und einem guten Film nicht zu schätzen weiß. Aber manchmal sehne ich mich schon nach den wilden Nächten zurück, als ich Benni noch nicht so gut kannte. Heißer Sex bei jeder Gelegenheit. Herzklopfen schon beim Klang seiner Stimme. Stundenlanges Stylen vor dem Spiegel für das perfekte Aussehen, um nach zehn Minuten wieder nackt und völlig außer Atem auf dem Bett zu liegen.

Heute verzichte ich meist auf Make-up. Inzwischen trage ich bequeme Klamotten, damit der Bauch nach dem Essen nicht so drückt und es kann schon mal vorkommen, dass ich in Bennis Gegenwart eine Gesichtsmaske auflege. Als ich Benni darauf angesprochen habe, hat er mir geantwortet, dass es ihn nicht stören würde. Gelegentlich erwische ich mich sogar dabei, wie ich Bennis Augenbrauen mit etwas Spucke glattstreiche. Das ist so eine Art Reflex, der mir in Fleisch und Blut übergegangen ist. Das machen normalerweise nur Mütter bei ihren Kindern: Sie spucken in ein Taschentuch und wischen ihnen damit die Dreckspitzer aus dem Gesicht. Aber in einer Beziehung wird man sich eben auf seltsame Art und Weise vertraut.

Dabei ist es wichtig, sich in einer Partnerschaft ein paar Geheimnisse und die eigene Privatsphäre zu bewahren. Ich meine, wer möchte schon wissen, wie der Freund aussieht, wenn er auf dem Klo sitzt und sein Geschäftchen erledigt?! Oder ihm dabei zusehen, wie er sich die Nasenhaare trimmt? Nein, zu viel Vertrautheit kann sich auch kontraproduktiv auf eine Beziehung auswirken. Deswegen aufgepasst Mädels. Sonst kann es euch passieren, dass ihr den Geschirrspüler ausräumt und er euch dabei einen Heiratsantrag macht. Kein erstrebenswerter Umstand. Ich spreche da aus leidvoller Erfahrung.

»Hast du eine Ahnung, wie ... äh ... Hotshot69 aussieht, oder ist das Teil eures Blind Dates?«, frage ich neugierig weiter. Schließlich ist Harald der Erste in meinem Bekanntenkreis, der zugibt, sich auf einer Singleplattform zu tummeln.

»Kein Bild«, entgegnet mir Harald fröhlich. »Da verlasse ich mich ganz auf seine ehrliche Beschreibung und mein Gefühl.«

»Du hast keine Ahnung, wie der Typ aussieht?«, frage ich ungläubig. Mit Haralds Gefühlen ist das so eine Sache.

»Doch«, erwidert Harald. »Groß, schlank. Mitte dreißig. Blond, blauäugig.«

»Das war´s?«

Harald nickt begeistert. »Was braucht sie noch mehr? Fantasie, Liebelein, Fantasie ist die Würze im Leben!«

»Findest du die Beschreibung nicht ein bisschen ungenau?«, frage ich vorsichtig nach.

»Das ist nicht ungenau, das ist Abenteuer.« Harald verdreht schwärmerisch die Augen. »Das Leben ist eine Achterbahn, man muss Spaß haben mitzufahren.«

»Und wie erkennt ihr euch?«

»Ich trage meinen roten Anzug als Erkennungszeichen und er eine rote Rose.«

»Du meinst den Knalligen aus roter Seide, den du letztes Jahr auf Bennis Geburtstagsfeier anhattest?«

Ich bin mir sicher, dass Harald farbenblind ist. Er hat meine Vermutung zwar nie offiziell bestätigt, aber anders kann ich mir seine schrägen Farbkombinationen nicht erklären, wo er doch sonst so viel Wert auf Stil legt.

»Der ist doch nicht knallig. Ich würde die Farbe eher als leuchtend bezeichnen«, antwortet Harald beleidigt. »Und dazu mein grünes Hemd.«

»Okay, damit findet er dich auf jeden Fall. Egal, wie dunkel es in dem Schuppen ist, in dem ihr euch trefft«, entgegne ich trocken. »Du musst mir genau berichten, wie euer Treffen war. Das bist du mir schließlich schuldig, wenn du schon nicht zu meinem Geburtstag kommst«, füge ich hinzu.

»Liebelein, sie ist die Erste. Ich werde ihr bis ins letzte Detail alles erzählen.«

»Na ja, vielleicht nicht bis ins letzte Detail«, verbessere ich ihn schnell. Die Vorstellung, in Haralds Sexualleben eingeweiht zu werden, lässt Bilder in mir aufsteigen, auf die ich in meinem Leben gerne verzichten möchte.

»Sie ist also nicht mehr böse auf mich?«, fragt Harald.

»Weswegen?« Ich sehe Harald überrascht an.

»Dass ich nicht kommen kann, um meine Prinzessin gebührend zu feiern«, entgegnet Harald mit einem Unterton des Bedauerns.

»Nein, dieser Geburtstag ist sowieso irgendwie verhext. Katja kommt auch nicht. Sergej hat ausgerechnet heute ein wichtiges Geschäftsessen, und er hat sie gebeten, dabei zu sein. Und der Rest, den ich eingeladen habe, hat ebenfalls abgesagt. Sieht ganz so aus, als ob Benni und ich den Abend ganz alleine verbringen werden.«

»Und wilden Sex haben«, quietscht Harald fröhlich. Für meinen Geschmack allerdings ein bisschen zu laut, denn die Frau einen Spiegel weiter schaut irritiert zu uns herüber.

»Harald«, ermahne ich ihn.

»Ach Göttle!, wie ich sie um diesen Mann beneide!«

»Sagt der Mann, der sich heute Abend mit Hotshot69 trifft.« Ich hebe mein Glas, und wir stoßen an.

 

***

 

Harald hat mit meinen Haaren wieder das reinste Wunder vollbracht. Mich umgibt zwar ein intensiver Kokosduft, aber dort, wo sonst ein Pudel auf meinem Kopf sitzt, schimmert jetzt eine in weichen Locken auf die Schultern fallende Haarpracht. Ich gehe mutterseelenallein und ein wenig beschwipst über die Schanze. Früher war hier die Drogenszene angesiedelt, heute entwickelt sich die Gegend zu einem angesagten Viertel mit Modeläden, in denen Jungdesigner dem alternativen Publikum der Szene ihre Ideen vorstellen.

Es ist ein herrlich sonniger Tag und für Hamburger Verhältnisse ungewöhnlich warm, was sämtliche Frauen dazu veranlasst, ihr neustes Sommeroutfit samt passender Sonnenbrille spazieren zu führen. Kein Wunder bei dem Wetter, das hier normalerweise herrscht. Meist ist der Himmel grau verhangen, und die Außentemperatur ist konstant fünf Grad kälter als in der restlichen Republik. Trotzdem fühle ich mich hier oben im Norden pudelwohl. Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur falsche Kleidung, lautet die Devise eines jeden Hamburgers. Dem kann ich nur zustimmen.

Hamburg bietet so viele Vorteile gegenüber dem Süden, die sich nicht mit Gold aufwiegen lassen. Zum Beispiel gibt es an den Häusern keine Rollläden, die bei Einbruch der Dämmerung heruntergelassen werden, um Eindringlinge und neugierige Blicke abzuwehren. Nein, im Norden ist man da lockerer. Man kann des Abends in jede Wohnung hineingucken und sich Anregungen für die Gestaltung der eigenen vier Wände holen, ohne dass es jemanden stört.

Benni und ich schlendern oft noch spät durch Eppendorf und sehen in die erleuchteten Wohnungen der Nachbarschaft. Da wissen wir schnell wieder, wie schön wir es in unseren eigenen vier Wänden haben!

Gegenüber von Katjas und meiner Wohnung lebt ein Pärchen, dessen Fernseher die Ausmaße einer Kinoleinwand hat. Beim letzten Länderspiel hat sich dieser Umstand als äußerst praktisch erwiesen, da unser Fernseher einen Bildausfall hatte, der Ton jedoch noch ging. Also haben wir kurzerhand das Sofa ans Fenster geschoben und das restliche Spiel auf dem Bildschirm unserer Nachbarn mitverfolgt.

Eine Joggerin schlängelt sich mit gehetztem Gesichtsausdruck durch das spazierende Volk in Richtung Schanzenpark. Ihr Anblick löst bei mir sofort ein schlechtes Gewissen aus und lässt mich an meine beginnende Cellulitis denken. Im letzten Jahr habe ich so ziemlich jedes Mittel auf dem Markt ausprobiert, um den Alterungsprozess meiner Haut aufzuhalten. Leider ohne sichtbaren Erfolg, außer dass die Kosmetikindustrie um einige Hundert Euro reicher ist und ich um sie ärmer geworden bin.

Mir ist ein klein bisschen schwindlig. Vielleicht war das letzte Glas Holunderküsschen doch zu viel? Wobei ... Heute ist mein Geburtstag, und wenn schon keiner mit mir feiern will, dann feiere ich eben mit mir selbst.

Ein junger Mann lächelt mir zu. Meint der wirklich mich? Unsicher sehe ich kurz zur Seite. Nein, keine andere Frau in Sicht. Ich lächle zurück.

Ups! Fast hätte ich das Gleichgewicht verloren.

Der junge Mann lächelt wieder, diesmal allerdings mitleidig. Ich bleibe für einen Moment stehen. Meine Güte, waren die Absätze meiner Pumps immer so hoch? Ich habe das Gefühl, auf Stelzen zu laufen. Etwas erschöpft lehne ich mich gegen die Häuserwand, dabei fällt mein Blick auf das Schaufenster gegenüber.

Plötzlich habe ich eine Idee, wie ich meinem Geburtstag doch noch etwas mehr Glanz verleihen kann. Es lässt sich wohl nicht verhindern, dass ich älter werde, aber ich werde das Beste daraus machen und wenigstens Spaß dabei haben.

Was stand doch noch mal in meinem Horoskop? Sie möchten das Leben in all seinen Facetten erkunden und zusammen mit ihrem Partner Grenzen überschreiten. Entdecken Sie sich neu!

Das ist es! Ab heute bin ich der fleischgewordene Benni-Traum. Was Kim Basinger in 9 ½ Wochen konnte, kann ich schon lange! Alles, was ich dazu brauche, ist die passende Unterwäsche. Freudig erregt betrete ich den Dessousladen.

 

***

 

Als ich meinen Spitzentanga überstreife, fühle ich mich wie die jungfräuliche Anastasia Steele aus Shades of Grey. Ein neues Kapitel in unserer Beziehung wird heute geschrieben werden, das frischen Schwung in unser Sexleben bringen wird. Ich habe mir sofort, nachdem ich zu Hause angekommen war, sorgfältig die Schamhaare und Beine rasiert. Das tue ich für gewöhnlich nur, wenn mit Sex zu rechnen ist.

Kritisch betrachte ich mich im Spiegel: viel Geld für so wenig Stoff. Aber, wenn sich der Abend so entwickelt, wie ich es hoffe, sind die Dessous jeden Cent wert gewesen. Der BH ist ein absoluter Glücksgriff, der meine mickrige Körbchengröße von 80A auf eine ansehnliche 80B pusht. Das Auge isst bekanntlich mit, auch wenn Benni mir immer wieder beteuert, dass er meinen kleinen Busen absolut toll findet.

Seit mein Ex mich mit Titten-Annette (sie hat den Namen nicht umsonst!) betrogen hat, habe ich einen Megakomplex, was meine Oberweite anbelangt. Überhaupt ist die Fettverteilung an meinem Körper eher als unglücklich zu bezeichnen: kleiner Busen, aber dafür einen dicken Po. Umgekehrt wäre es mir lieber gewesen.

Ich habe sogar schon mal erwogen, der Natur nachzuhelfen und mir das Fett am Po absaugen zu lassen, um es in nette kleine Implantate für meine Brüste umbauen zu lassen. Letztendlich habe ich den Gedanken verworfen, nachdem ich eine Dokusoap im Fernsehen gesehen hatte, in der sie Frauen, die unter einem geringen Selbstwertgefühl litten, die Oberschenkel abgesaugt und die Brüste vergrößert haben. Das Selbstwertgefühl der Frauen war nach besagter OP immer noch gering, und die Brüste sahen wie zwei Eisberge am Nordpol aus.

Egal, heute Abend brauche ich mich jedenfalls nicht zu verstecken. Zufrieden nehme ich einen Schluck aus meinem Rotweinglas. Ein toller Wein! Das dritte Glas schmeckt noch besser als die ersten beiden. Ich ziehe den Karton mit meinen schwarzen High Heels unter dem Bett hervor. Seit ich mit Benni zusammen bin, habe ich sie nur noch wenige Male angehabt.

Bisher war es in jeder meiner Beziehungen, die länger als ein halbes Jahr dauerten, so, dass ich irgendwann darauf verzichtet habe, mich jeden Abend in Schale zu werfen und meinem Partner mein wahres Ich – nämlich das in Jogginghose und ungeschminkt – gezeigt habe. Hohe Schuhe und schicke Kleider sind doch nur so lange aktuell und wichtig, bis man sich seines Partners auch wirklich sicher ist. Ich finde es herrlich, mich endlich so anziehen zu können, wie ich mich wohl fühle. Vorbei sind die Zeiten, in denen ich mich morgens heimlich ins Badezimmer geschlichen habe, um mein verschmiertes Make-up nach der ersten Nacht mit dem neuen Lover aufzufrischen. Heutzutage bleibe ich liegen und warte, bis Benni mir den Kaffee ans Bett bringt.

Neugierig laufe ich zum Spiegel. Wahnsinn! Ich traue meinen Augen kaum. Ich sehe aus wie ein langbeiniges Model!! Da würde ich sogar von Heidi Klum ein Foto bekommen. Freudig betrachte ich mich ausgiebig von allen Seiten und trinke dabei noch einen kleinen Schluck auf mein neues Ich.

So, jetzt fehlt nur noch der Mantel! Schließlich kann ich ja schlecht, nur in Unterwäsche bekleidet, zu Benni fahren. Traurig betrachte ich meinen in die Jahre gekommenen Trenchcoat. Ich liebe diesen Mantel heiß und innig, aber heute Abend brauche ich etwas Eleganteres.

Einer der positiven Aspekte meiner Wohngemeinschaft mit Katja ist ihr Kleiderschrank. Katja besitzt einen erlesenen Geschmack und den passenden Freund mit dem nötigen Kleingeld dazu. Sergej, der Russe, wie Katja und ich ihn nennen, wenn wir alleine sind, ist nicht nur ihr Freund, sondern auch Besitzer riesiger Ländereien und etlicher Firmen. Ich bin froh, dass Katja und Sergej zusammen sind. Erstens ist Sergej ein wirklich netter Kerl und zweitens kann ich mir so die schönsten Klamotten von Katja leihen.

Ich schnappe mir die Rotweinflasche, das Glas lasse ich stehen. Brauche ich eh nicht! Kichernd öffne ich die Tür von Katjas Kleiderschrank, als mein Handy zu vibrieren anfängt.

Queen Bee. Meine Mutter! Das hat mir gerade noch gefehlt. Sicherheitshalber nehme ich noch einen Schluck aus der Rotweinflasche, bevor ich das Gespräch beantworte.

»Hallo Mama!«

»Hallo meine Süße«, säuselt meine Mutter am anderen Ende der Leitung. Dann lautes Rascheln. »Kläuschen, jetzt komm doch. Die Julia ist am Telefon.« Ihre Stimme klingt gedämpft.

DIE Julia, wie ich diese Ausdrucksweise hasse! Da kommt man sich vor wie ein kleines zugelaufenes Hündchen, das es zu bewundern gilt. Wahrscheinlich hält sie die Hand vor den Hörer. Wieder lautes Rascheln.

»Happy birthday to you ... happy birthday to you ... happy birthday, liebes Mäuschen ... happy birthday to you.« Der zweistimmige Chor meiner Eltern scheppert durch das Telefon. Ich halte den Hörer weg vom Ohr, ansonsten laufe ich Gefahr, bei der Tonlage, die meine Mutter anschlägt, einen Tinnitus zu bekommen.

»Alles Liebe zum Geburtstag, meine Große«, gratuliert mir mein Vater, nachdem der letzte Ton verklungen ist.

»Danke, Papa«, sage ich brav.

»Und bei mir bedankst du dich wohl nicht?«, nölt meine Mutter durch den Hörer.

»Ach Mama, natürlich auch bei dir. Ist doch klar«, seufze ich. »Aber ich freue mich, wenn ich auch mal mit Papa sprechen kann.«

»Wir stellen einfach auf Lautsprecher«, meldet sich mein Vater zu Wort, »dann kann ich auch mithören.« Er reicht meiner Mutter den Hörer zurück.

Es klickt.

»Und feierst du schön?«, erkundigt sich meine Mutter mit einem Hall in der Stimme. Der Lautsprecher ist offensichtlich an.

»Eigentlich schon«, flöte ich und nehme zur Bekräftigung einen Schluck aus der Rotweinflasche.

»Aber ich höre gar nichts. Hast du keine Freunde, die mit dir feiern? Bist du alleine?«, fragt sie misstrauisch.

»Ja. Ich und eine Flasche Rotwein«, antworte ich fröhlich.

»Meine Güte, Kind. Manchmal mache ich mir wirklich Sorgen um dich ...«

»Braucht du nicht«, unterbreche ich sie, »es geht mir absolut super.«

»Vielleicht ein bisschen zu super. Wie viel hast du denn schon getrunken?«, bohrt meine Mutter mit erhobener Stimme nach.

»Ach, nur ein paar Gläschen.«

»Julia, du solltest mehr auf dich aufpassen, schließlich bis du keine zwanzig mehr. In deinem Alter ist zu viel Alkohol Gift für deine Haut.«

»Danke, dass du mich daran erinnerst, Mama.« Wenn das Gespräch noch länger dauert, reicht eine Flasche Rotwein nicht aus! Egal, was er mit meiner Haut macht.

»Jetzt sei doch nicht beleidigt. Ich meine ja nur! Mit dreißig sollte man langsam an seine Zukunft denken.« Sie macht eine bedeutungsvolle Pause. »Wie geht es eigentlich Benni?«

Ah, daher weht der Wind! Meine Mutter ist der neugierigste Mensch, den ich kenne, besonders, wenn es um mein Liebesleben geht. Seit Johann und ich nicht mehr zusammen sind, legt sie all ihre Energie in meine Beziehung zu Benni. Vor allem, seit sie weiß, dass Benni der Erbe des Verlages ist, für den ich arbeite. »Benni geht es prima. Wir treffen uns nachher bei ihm zu Hause.«

»Vielleicht macht er dir ja einen Heiratsantrag. Dein Dreißigster wäre das perfekte Datum dafür«, trällert meine Mutter am anderen Ende. »Kläuschen, was meinst du? Meinst du, der Benni macht der Julia heute einen Antrag?«

Mein Vater murmelt etwas Unverständliches im Hintergrund.

»Mama, das weißt du doch gar nicht«, schimpfe ich. »Wir wohnen ja noch nicht einmal zusammen.«

»Eine Mutter hat so etwas im Gefühl. Nicht wahr, Kläuschen? ...«

Ich seufze. Mütter haben eine Gabe, immer den wunden Punkt zu treffen. Das muss so eine Art Radar sein, das erst aktiviert wird, wenn man ein Kind zur Welt gebracht hat.

»Dann stimmt etwas mit deinem Gefühl nicht. Schließlich hat dein Gefühl damals auch gesagt, dass ich schwanger von Johann sei ... Was totaler Quatsch war«, fahre ich fort.

»Aber du hast so rund und wohlig ausgesehen ...«, verteidigt sich meine Mutter.

»Das lag daran, dass ich vier Kilo zugenommen hatte«, entgegne ich mit leicht säuerlicher Stimme.

»Ach, ist doch auch egal«, sagt meine Mutter. Das tut sie immer, wenn sie einem Konflikt aus dem Weg gehen will. »Jedenfalls ist heute dein Geburtstag. Ich weiß noch, als wäre es erst gestern gewesen, wie Papa und ich ins Krankenhaus gefahren sind. Papa war so aufgeregt, dass er sich verfahren hat. Damals war alles noch nicht so fortschrittlich wie heute. Dein Vater musste draußen bleiben, als man mich in den Kreißsaal gefahren hat. Es war schrecklich! Diese Schmerzen und dann dieser Drachen von einer Hebamme und das viele Blut! Mit der ganzen Käseschmiere hast du ausgesehen wie ein Alien ...«

Ich seufze laut. »Mama, die Geschichte hast du mir schon tausendmal erzählt! Ich bin ein wenig in Eile, weißt du! Bitte sei nicht böse, aber ich würde mich jetzt gerne fertig machen. Ich bin in einer halben Stunde mit Benni verabredet.«

Schweigen.

»Mama?«

»Gut, wenn du keine Zeit für deine Eltern hast ... Wir wollen dich wirklich nicht aufhalten«, fährt sie beleidigt fort.

»Mama, jetzt sei doch nicht sauer, aber ich muss mich wirklich beeilen«, bitte ich sie.

»Schon gut. Du kannst ja anrufen, wenn du Zeit hast«, antwortete meine Mutter immer noch leicht säuerlich.

»Ich hab euch lieb«, versuche ich, die Wogen zu glätten. »Und vielen Dank für den Anruf.«

»Wir dich auch«, meldet sich mein Vater zu Wort, wie immer um Harmonie innerhalb der Familie bemüht.

»Danke. Ich melde mich morgen.«

Ich lege auf. Puh, geschafft! Darauf muss ich erst einmal einen Schluck aus der Rotweinflasche nehmen. Meine Güte, die ist ja schon fast leer. Sind die Flaschen kleiner geworden? Langsam wird mir in meiner Reizwäsche kalt. Ich lege das Telefon zur Seite und widme mich erneut Katjas Kleiderschrank.

Bilde ich es mir ein oder bewegt sich der Boden unter meinen Füßen? Ich halte die Luft an. Der Boden schwankt leicht, und ich habe Mühe, mich auf den Beinen zu halten. Ein schrecklicher Verdacht beschleicht mich. Könnte es sein, dass Hamburg gerade von einem Erdbeben heimgesucht wird, während ich ahnungslos in Katjas Kleiderschrank wühle? Hilfe!

Ich muss mich in Sicherheit bringen. Hastig sehe ich mich um. Nichts, was mir Schutz vor herunterfallenden Gegenständen bieten könnte. In einem Bericht über Erdbeben habe ich mal gelesen, dass der Türrahmen der beste Ort ist, um sich bei einem Erdbeben zu schützen, also stakse ich zur Tür, stütze mich mit den Händen seitlich im Rahmen ab und verharre. Der Boden schwankt zwar immer noch und die Lichter im Raum scheinen lustig zu tanzen, ansonsten passiert aber nichts. Mit angehaltenem Atem warte ich auf das Ende des Bebens. Keine herunterfallenden Glassteile, keine Risse in der Decke und keine Wände, die einstürzen.

Mmh. Vielleicht doch kein Erdbeben? Von meiner Position aus betrachtet, scheint alles ruhig. Ich hole Luft und stöckele wieder zum Kleiderschrank. Irritiert und immer noch unsicher auf den Beinen, trete ich vor den großen Spiegelschrank. Meine Güte, wie sehe ich denn aus! In meinem Haar hängt ein Fussel, mein Strumpfband hat sich bei der Aktion von eben gelöst und baumelt verloren über meinem Oberschenkel. Ich entferne die Spinnwebe und bücke mich, um das Strumpfband zu richten. Ups! Fast hätte ich das Gleichgewicht verloren, kann mich jedoch in letzter Minute noch abstützen, um nicht zu fallen.

Na, endlich. Der Straps sitzt wieder da, wo er sitzen soll. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel. Fehlt nur noch der Mantel. Zwei Minuten später habe ich das gute Stück über meine nackte Haut gezogen und fühle mich gleich deutlich wärmer. Zeit, Plan B zu starten. Bennilein, ich kommeeee!