Die Drei Fragezeichen
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Doppelte Täuschung

erzählt von André Marx

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur.

ISBN 978-3-440-14192-2

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Besuch von Michael Jackson

Bob Andrews sah auf die Uhr. Viertel nach fünf. Verflucht! In einer halben Stunde begann das Spiel. Wenn er rechtzeitig auf dem Schrottplatz sein wollte, musste er sich beeilen. Er hängte die schweren Taschen mit den Einkäufen für seine Mutter an den Fahrradlenker, schwang sich auf den Sattel und trat in die Pedale. Mit vollem Tempo raste er durch die Innenstadt von Rocky Beach, dem malerischen Küstenstädtchen in der Nähe von Hollywood. Es war ein herrlicher Sommertag, warm und windig. Die salzige Brise vom nahen Pazifik zerzauste sein Haar, als er durch die hügeligen Straßen fuhr. Die Einkaufstaschen schlenkerten hin und her, als er sich in die letzte Kurve legte und vor dem Bankgebäude abbremste.

Jetzt aber schnell! Die Überweisung für seine Mutter abgeben, die Einkäufe zu Hause abladen und dann nichts wie los zu Justus!

Das Fahrrad wackelte bedenklich, als Bob den Ständer herunterklappte. Die schweren Taschen zerrten am Lenker. Sollte er sie abnehmen? Für dreißig Sekunden in der Bankfiliale? Nein. Das Rad würde schon nicht umkippen. Hoffentlich. Er sprach im Geist eine Beschwörungsformel, dann eilte er zur Tür.

Etwas war seltsam, als Bob die Bank betrat. Alle Köpfe wandten sich ihm zu. Doch die Angestellten lächelten nicht. Sie starrten ihn unbewegt an. Meine Hose steht offen!, schoss es Bob durch den Kopf. Doch weder Hohn noch Abscheu sprach aus den Gesichtern – sondern pures Entsetzen. Die beiden Frauen hinter dem Tresen, der Mann am Kassenschalter, sie alle waren leichenblass. Die einzige Ausnahme machte Michael Jackson. Das berühmte Popidol war hier – in einer Bankfiliale in Rocky Beach.

Jackson stand an der Kasse und grinste Bob an. Ein saublödes Grinsen. Dann hob er seine Waffe. »Los! Rüber da!«, drang seine Stimme dumpf durch die Plastikmaske.

Ehe Bob begriff, wie ihm geschah, war der Mann schon mit vier, fünf großen Schritten bei ihm und schubste ihn von der Tür weg in eine Ecke. »Du rührst dich nicht von der Stelle, verstanden, Bursche?«

Bob nickte.

Ein Banküberfall. Dies war ein Banküberfall und er war mitten hineingeplatzt.

»Los, alles rein in die Tüte!«, herrschte der Bankräuber den Angestellten an der Kasse an. »Wird’s bald!«

Stumm beobachtete Bob, wie der Mann mit zitternden Händen einen Plastikbeutel mit dicken Geldbündeln füllte. Währenddessen drehte sich der Maskierte immer wieder um und zielte abwechselnd auf Bob und die beiden Frauen. Niemand sagte ein Wort. Schließlich war alles Geld in der Tüte verstaut. Der Räuber riss sie an sich und ging rückwärts zum Ausgang.

Bob überlegte fieberhaft, wie er den Mann aufhalten konnte. Die Polizei war bestimmt schon durch einen versteckten Alarm verständigt worden und auf dem Weg hierher. Doch sie würde zu spät kommen. Wahrscheinlich stand draußen ein Fluchtwagen. In ein paar Sekunden würde der Dieb über alle Berge sein. Gerade als Bob darüber nachdachte, dem Mann den Weg zu versperren, wandte dieser sich ihm zu und starrte ihn aus den kleinen schwarzen Löchern in seinem unbewegt grinsenden Plastikgesicht an. Augenblicklich verließ Bob der Mut und er blieb, wo er war.

Der Mann tastete nach der Tür, öffnete sie und trat hinaus auf die Straße. Bob konnte ihn von seiner Position aus durch die Glastür beobachten. Der Bankräuber ließ seine Waffe im Gürtel verschwinden, drehte sich um – und stieß gegen Bobs Rad. Der Lenker verhakte sich in der Tüte mit dem Geld und riss sie ihm aus der Hand. Erschrocken machte der Maskierte einen Schritt zur Seite, trat auf das Hinterrad, geriet ins Straucheln und stürzte.

In dem Moment rutschte die Plastikmaske herunter und Bob sah sein Gesicht.

»Jetzt! Jetzt! Jetzt hast du’s! Bleib so! Bleib so!!! Ahhh, nein, jetzt ist es wieder weg! Justus, du machst mich noch wahnsinnig!« Peter Shaw trat wütend gegen eine Coladose. Sie flog in hohem Bogen über den Schrottplatz und landete hinter einem Berg alter Möbel. Dann wandte er sich wieder dem Schneegestöber auf dem Bildschirm zu. Das war also das Ergebnis von Justus’ brillantem Plan, sich das Footballspiel der Dragons gegen die Flames auf einer Leinwand anzusehen. Justus hatte sie eigens zu diesem Zweck in ihrer Freiluftwerkstatt auf dem Schrottplatz aufgehängt. Seine neueste Entdeckung war nämlich ein Videobeamer, mit dem man ein normales Fernsehbild um ein Vielfaches vergrößert auf die Leinwand projizieren konnte. Justus hatte seinem Onkel, der den Gebrauchtwarenhandel auf dem Schrottplatz betrieb, ein altes, kaputtes Gerät abgeluchst und in mühevoller Kleinarbeit repariert. Das hatte er jedenfalls geglaubt. Bis der Beamer bei seiner Premiere mit einem Blitz und einem lauten Fump seinen letzten Atemzug tat. Und nun fummelte Justus an der Antenne eines uralten Fernsehers herum, verzweifelt auf der Suche nach dem richtigen Sender und einem vernünftigen Bild. Peter blickte immer wieder auf die Uhr. Großartig. Die erste Spielzeit war gleich vorbei.

»Wo Bob nur bleibt?«, murmelte Justus.

»Vielleicht war er schlau genug, sich das Spiel zu Hause anzusehen.«

»Er hatte versprochen zu kommen.«

»Jetzt lenk nicht vom Thema ab, Just! Sorg dafür, dass wir ein Bild kriegen, und zwar schnell!«

»Durch hetzerische Befehle wirst du keine Optimierung der Empfangsqualität erreichen.«

Peter verdrehte die Augen. Immer wenn es kompliziert wurde, passte Justus seine Sprache der Situation an und redete so gestelzt, dass Peter meistens nur die Hälfte verstand.

»Optimierung der Empfangsqualität? Dazu müsste es erst mal einen Empfang geben! Halt! Stopp! Da ist es wieder! Ah, nein, schon wieder weg!«

»Ich glaube, die Grundproblematik liegt weniger im Empfang der Fernsehwellen als vielmehr im technischen Zustand des Gerätes selbst begründet«, überlegte Justus laut. »Mir scheint, als habe der Fernseher noch nicht seine optimale Betriebstemperatur erreicht.«

»Was willst du damit sagen?«

»Dass er erst warmlaufen muss, bevor er ein vernünftiges Bild wiedergibt.«

»Das ist nicht dein Ernst.«

»Ich fürchte doch.«

»Und wie lange dauert das?«

»Tja, es könnte sich durchaus noch um mehrere Minuten handeln.«

Mangels weiterer Coladosen trat Peter diesmal gegen die alte Druckerpresse, die in einer Ecke vor sich hinstaubte. »Wäre ich bloß wie Bob zu Hause geblieben und hätte mir das Spiel dort angesehen! Hast du wenigstens irgendwo ein Radio? Eines, das funktioniert, meine ich. Vielleicht wird das Spiel ja übertragen.«

»Das Radio befindet sich zur Zeit in Reparatur«, antwortete Justus kleinlaut.

»Gibt es hier auch irgendwas, das funktioniert?«

»Diese Möglichkeit verringert sich, je häufiger du unsere technische Ausrüstung mit Tritten und Schlägen malträtierst.«

»Ich malträtiere, so lange ich Lust habe«, sagte Peter und schlug mit der flachen Hand auf den Fernseher. Das Schneegestöber flackerte kurz – und wich dem gestochen scharfen Bild eines umherspazierenden Schokoriegels. »Ha! Ha! Wir haben ein Bild! Wir haben ein Bild! Stell den Sender ein, Just! Nun mach schon!«

»Keine Panik. Die erste Spielzeit ist eh vorbei, jetzt ist Werbepause.«

Peter drängte sich an Justus vorbei und zappte durch die Kanäle.

»…liebe dich, Brenda. Du musst mir…« Eine Seifenoper.

»…der erste russische Kosmonaut…« Eine Quizshow.

»…wurde in Rocky Beach eine Bank über…« Nachrichten.

»He!«, rief Justus. »Schalt mal zurück! Da war was über Rocky Beach!«

»Sharon Lockwood über den Banküberfall von Rocky Beach.« Das Bild wechselte. Eine Reporterin vor einem kleinen Gebäude. Im Hintergrund stand ein Polizeiwagen, mehrere Beamte liefen geschäftig umher. »Vor genau vierzig Minuten wurde diese kleine Filiale der Elfbank in der Innenstadt von Rocky Beach an der kalifornischen Küste überfallen. Der Täter, ein männlicher Weißer, trug eine Plastikmaske mit dem Gesicht des Popstars Michael Jackson. Er stürmte die Bank, als sich gerade kein Kunde im Gebäude befand, bedrohte die Angestellten mit einer Pistole und erbeutete knapp zweihunderttausend Dollar. Doch dann geschah etwas Unglaubliches. Dieser junge Mann betrat den Ort des Geschehens und konnte einen Blick auf das Gesicht des Täters werfen.« Die Kamera fuhr ein Stück zurück und erfasste nun auch die Person, die neben Sharon Lockwood stand.

Peter und Justus trauten ihren Augen nicht.

»Aber das ist ja…«

»Bob!«

Bob blickte unsicher in die Kamera, versuchte ein Lächeln, dann entschied er sich dafür, Sharon anzusehen.

»Bob Andrews, du bist sozusagen mitten in diesen Überfall hineingeplatzt. Was genau ist passiert?«

»Na ja, eigentlich nicht viel. Ich bin rein und da stand der Mann auch schon an der Kasse und ließ sich das Geld geben. Als er mich bemerkte, zielte er auf mich.«

»Wie kam es dazu, dass du sein Gesicht gesehen hast?«

»Der Täter ist vor der Tür über mein Fahrrad gestolpert. Dabei rutschte ihm die Maske vom Gesicht.«

»Und wie hat er ausgesehen?«

»Na ja… ganz gewöhnlich eigentlich. Er war vielleicht Mitte vierzig hatte dichte schwarze Locken und einen schwarzen Bart. Aber ich habe ihn nur einen kurzen Moment gesehen, er zog sich sofort wieder die Maske über, stand auf und lief schnell weg.«

»Stimmt es, dass du ein Detektiv bist, Bob?«

Bob stutzte. »Äh… ja, das ist richtig.«

»Ja, liebe Zuschauer, dies ist tatsächlich einer der drei Detektive, die in Rocky Beach schon so etwas wie eine lokale Berühmtheit sind. Und, Bob, wie würdest du in diesem Fall ermitteln?«

»Nun ja, darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht.«

Sharon Lockwood lächelte. Es war dieses überhebliche Erwachsenenlächeln, das Justus und Peter so sehr hassten. »Sie nimmt ihn nicht ernst«, raunte Peter.

»Die Polizei wird nach deiner Beschreibung ein Phantombild für die Fahndung anfertigen. Wie groß die Chancen sind, dass der Bankräuber gefasst wird, dazu befrage ich nun Inspektor Cutter von der Polizei Rocky Beach. Guten Tag, Inspektor.«

»Mein Name ist Cotta.«

»Verzeihung.«

»Ich fass es ja nicht!«, rief Peter und rückte noch ein Stück näher an den Bildschirm heran. »Jetzt auch noch Cotta!«

»He! Ich kann nichts mehr sehen!«, beschwerte sich Justus.

»Herr Inspektor, haben Sie schon erste Fahndungserfolge zu vermelden?«

»Wir haben das Fluchtauto des Bankräubers gefunden. Es handelt sich um ein gestohlenes Fahrzeug. Vom Täter selbst fehlt bisher jede Spur, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn haben.«

»Dank der hervorragenden Täterbeschreibung unseres jungen Zeugen, nehme ich an.«

»In der Tat«, knurrte Cotta und warf Bob einen finsteren Blick zu.

»Was sagen Sie dazu, dass der Zeuge sozusagen ein junger Kollege von Ihnen ist, Mr Cutter?«

»Cotta. Gar nichts.«

»Sie scheinen nicht erfreut über Bobs Beobachtung.«

Bob kam dem Inspektor zuvor. »Ich nehme an, Inspektor Cotta glaubt, ich sei nicht zufällig in die Sache hineingeraten. Wir hatten nämlich schon öfter miteinander zu tun.«

»Tatsächlich? Ich hoffe, nicht in negativem Sinne.«

»Wie man’s nimmt«, sagte Cotta.

»Während früherer Fälle, bei denen wir Inspektor Cottas Hilfe brauchten.«

»Das ist ja großartig!«, rief Sharon strahlend in die Kamera. »Das sind Geschichten, die das Leben schrieb. Werden der junge Detektiv und der Polizeiinspektor nun zusammenarbeiten?«

Diesmal war Inspektor Cotta schneller: »Unter gar keinen Umständen!«

»Die Polizei und ein Detektiv auf der Jagd nach dem Bankräuber von Rocky Beach. Damit zurück ins Studio.«

»Danke, Sharon. Und nun zur Wirtschaft. An der Börse –«

Justus schaltete den Fernseher aus. »Wow!«

»Das gibt’s nicht! Wir sitzen hier und fummeln an der blöden Kiste herum und gerade mal eine halbe Meile entfernt wird eine Bank überfallen. Und Bob mittendrin.«

»Los!«, rief Justus. »Wir müssen zu Bob!«

»Und das Footballspiel?«

»Vergiss das alberne Spiel! Hast du es noch nicht gemerkt? Wir sind gerade mitten in einen neuen Fall gestolpert!«

Der Eindringling

Das Kamerateam packte gerade zusammen, als Justus und Peter die Bank erreichten. Einige Schaulustige hatten sich eingefunden, doch jetzt, da auch das Fernsehen abrückte, zerstreute sich die Menge langsam. Die beiden Detektive entdeckten Bob in der Nähe des Polizeiwagens, wo er mit Cotta sprach, und gingen auf ihn zu. Als der Inspektor die beiden bemerkte, verfinsterte sich seine Miene.

»Justus Jonas und Peter Shaw, wer hätte das gedacht.«

»Guten Tag, Herr Inspektor.«

»Just! Peter! Wie kommt ihr denn hierher? Ihr könnt euch nicht vorstellen, was ich erlebt habe!«

»Schluss mit der albernen Vorstellung!«, herrschte Cotta die drei an. »Ich wusste von Anfang an, dass du nicht zufällig in diesen Banküberfall geraten bist, Bob. Dass deine beiden… Detektivkollegen hier ganz plötzlich auftauchen, überzeugt mich nicht gerade vom Gegenteil. Also, raus mit der Sprache: Was wisst ihr über die Sache?«

»Absolut gar nichts!«, beteuerte Bob. »Es war wirklich reiner Zufall!«

»Ihre Vermutung, wir hätten von dem Überfall gewusst, deute ich als höchste Wertschätzung unseres kriminologischen Spürsinns, was uns natürlich ehrt, aber Bob hat Recht: Es war ein Zufall. Wir haben gerade im Fernsehen von der Sache erfahren und sind sofort hergekommen.«

Cotta runzelte die Stirn. »Und du erwartest, dass ich das glaube? Wenn ich eines während meiner Zeit bei der Polizei von Rocky Beach gelernt habe, dann das: Die drei ??? tauchen niemals nur zufällig an einem Tatort auf.«

»Es ist die Wahrheit«, beteuerte Justus.

»Na schön. Ich –«

»Inspektor Cotta!« Ein Polizeibeamter winkte Cotta zu sich.

»Einen Augenblick.« Der Inspektor verschwand und ließ die drei zurück.

»He, Bob!«, sagte Peter grinsend. »Du warst im Fernsehen!«

»Ich weiß.«

»Nun erzähl doch mal!«, forderte Justus den dritten Detektiv auf. »Was genau ist passiert?«

Bob berichtete in allen Einzelheiten von seiner Begegnung in der Bank. Viel zu erzählen gab es ja nicht. Alles war so schnell gegangen, dass es ihm inzwischen vorkam wie ein böser Traum. Nur das Gesicht des Bankräubers, die tief liegenden Augen, der buschige schwarze Bart, hatte sich tief in sein Gedächtnis gegraben. »Und bevor ich gerafft habe, was überhaupt passiert ist, war auch schon die Polizei da und kurze Zeit später das Fernsehen.«

»Sharon Lockwood!«, stöhnte Peter. »Von der hätte ich mich auch gerne interviewen lassen.«

»Die Einkäufe kann ich jedenfalls gleich noch mal machen. Die Milchflaschen sind hin.«

Justus rieb sich unternehmungslustig die Hände. »Und währenddessen überlegen wir uns, wie wir in diesem Fall vorgehen wollen.«

»Gar nicht!« Inspektor Cotta war unbemerkt hinter den drei Detektiven aufgetaucht und blickte sie ernst an. »Ihr werdet in diesem Fall überhaupt nicht vorgehen, habt ihr mich verstanden? Das ist Sache der Polizei. Die Fahndung läuft bereits und ich bin sicher, wir werden den Bankräuber bald gefasst haben. Für euch drei gibt es absolut nichts zu tun! Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Ja, Inspektor Cotta«, sagte Peter und blickte zu Boden.

»Schön. Ihr beide fahrt jetzt am besten nach Hause. Dich muss ich noch mit aufs Revier bitten, Bob. Ein Phantombildzeichner wird anhand deiner Beschreibung ein Bild des Täters anfertigen. Außerdem muss ich deine Zeugenaussagen aufnehmen lassen.«

»Okay. Also, Kollegen, bis später!«

»Wir sehen uns in der Zentrale.«

Schweigend beobachteten Justus und Peter, wie Bob und Inspektor Cotta in den Streifenwagen stiegen und davonfuhren.

Den Rest des Tages bezogen Justus und Peter Stellung in der Zentrale und warteten auf Bob. Die Zentrale war ihr Hauptquartier auf dem Schrottplatz von Justus’ Onkel Titus Jonas. Von außen war sie nicht mehr als ein alter, halb vergammelter Campinganhänger, der schon seit Jahren vor sich hin staubte. Doch der Schein trog: Im Innern befand sich ein vollständig eingerichtetes Büro mit Telefonanschluss, Computer und einem kleinen Foto- und Kriminallabor im hinteren Teil des Wagens. Die Möbel hatten sich die drei ??? im Laufe der Zeit auf dem Schrottplatz zusammengesucht, was die Zentrale zu einem geschmacklich gewagten, aber ebenso gemütlichen Ort machte.

Die Sonne war bereits untergegangen, als Bob endlich kam. Er wirkte erschöpft. Müde ließ er sich in einen der Sessel fallen und fuhr sich durchs Haar.

»Und?«, fragte Peter neugierig. »Wie war’s?«

»Anstrengend. Ich musste alles ganz genau zu Protokoll geben. Ich wusste gar nicht, dass es eine halbe Stunde dauern kann, eine einzige Minute zu beschreiben. Totaler Quatsch, schließlich gibt es in der Bank Kameras, die den ganzen Überfall aufgezeichent haben. Na ja.«

»Und das Phantombild?«

Bobs Gesicht erhellte sich ein wenig. »Eine spannende Angelegenheit. Cotta und ich haben uns vor den Computer gesetzt und das Phantombildprogramm gestartet. Darin sind tausend verschiedene Aufnahmen von Nasen, Mündern, Augen, Augenbrauen, Haaren und so weiter gespeichert. Und ich musste die raussuchen, die am ehesten zum Täter passten. War gar nicht so einfach.«

»Hat es denn funktioniert?«

»Ich dachte schon. Aber dann hat Cotta die Einzelteile zusammengesetzt und plötzlich sah das Bild überhaupt nicht mehr nach dem Bankräuber aus. Es war irgendwie total verzogen.«

»Das menschliche Gesicht ist halt mehr als die Summe seiner Einzelteile«, sagte Justus.

»Richtig. Und deshalb kam dann noch der Phantombildzeichner. Er hat mich gefragt, was genau nicht stimmt, und dann von dem Bild auf dem Monitor und meinen Korrekturen eine Zeichnung angefertigt. Nämlich diese hier.« Bob zog einen Zettel aus der Tasche, faltete ihn auseinander und legte ihn auf den Schreibtisch. Justus und Peter beugten sich neugierig darüber. Es war eine Kopie des Phantombildes. Die Zeichnung war so detailliert, dass sie fast wie ein Foto wirkte. Ein Mann mit schwarzem Haar, schwarzem Vollbart, dünnen Lippen und hohen Wangenknochen blickte sie aus hellen, stechenden Augen an.

»Faszinierend«, fand Justus.

»Das Bild wird auch heute Abend in den Nachrichten über alle wichtigen Fernsehsender gehen«, sagte Bob. »Die Polizei vermutet, dass der Täter sich den Bart abrasiert, um nicht so schnell erkannt zu werden. Das muss bei der Suche nach ihm natürlich berücksichtigt werden.«

Justus deckte mit der flachen Hand die Mundpartie ab und versuchte sich das Gesicht ohne Bart vorzustellen. Seine andere Hand wanderte automatisch zu seiner Unterlippe und begann diese zu bearbeiten. Das tat Justus immer, wenn er sich konzentrierte. Dann warf er die entscheidende Frage in den Raum: »Und wie gehen wir nun vor?«

Peter stutzte. »Wie bitte? Was meinst du mit vorgehen?«

»Na, in diesem Fall!«

»Gar nicht!«, war Peters prompte Antwort. »Hast du denn nicht gehört, was Inspektor Cotta gesagt hat? Die Sache ist für uns erledigt!«

»Seit wann hören wir auf das, was Cotta sagt?«

»Seit heute«, entschied Peter. »Ich habe nämlich wenig Lust, mich mit ihm anzulegen. Er ist sowieso schon sauer. Und das war er in letzter Zeit öfter. Wenn wir so weitermachen, haben wir ihn irgenwann zum Feind anstatt zum Freund.«

Bob nickte. »Ich bin Peters Meinung. Außerdem haben wir sowieso keine Chance. Mit den Fahndungsmethoden der Polizei können wir nicht mithalten.«

»Das vielleicht nicht«, gab Justus zu. »Aber wir sind um einiges schlauer.«

»Und was bringt uns das? Wir haben nicht den geringsten Anhaltspunkt. Nur dieses Phantombild. Willst du dich ins Auto setzen und quer durch Kalifornien fahren, in der Hoffnung, den Mann irgendwo auf der Straße zu sehen?«

»Nein.«

»Sondern?«

»Ich weiß es noch nicht!«, sagte Justus leicht verärgert. »Ich muss darüber nachdenken.«

»Dann denk mal schön«, antwortete Bob. »Aber ohne mich. Ich muss nach Hause.«