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Ria Klug

 

 

Nel Arta –

Kleine Betriebsstörung

 

Impressum

 

© tensual publishing, Mettingen 2016

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tensual publishing ist ein Imprint des dead soft verlag

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Cover: Irene Repp

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© d1sK – shutterstock.com

 

 

1. (Neu)Auflage

ISBN 978-3-946408-02-4

ISBN 978-3-946408-03-1 (epub)

Vorwort

 

Als mich 2008 die unüberwindbare Idee, ich könne einen Krimi schreiben, anfiel, hatte ich noch keine Ahnung, wo die Reise hinführen würde.

Ich schrieb also drauflos und je mehr Seiten dazukamen, desto besoffener war ich von meinem eigenen Text.

Auf Einwendungen von Freund_innen, es handele sich um ein Spartenthema, erwiderte ich lapidar, im Fernsehen liefen Krimis, in denen der Kommissar nur einen Arm hat und die meisten Zuschauer_innen dagegen mindestens zwei. Oder in Krimis träten Polizist_innen mit Liebeskummer und Alkoholproblemen auf und das läsen auch beziehungsferne Misantrop_innen und überzeugte Abstinenzler_innen.

Aber machen wir’s kurz: Erst nachdem ich mir ein Online-Seminar zum Krimischreiben leistete, erkannte ich, dass Schreiben ein zu erlernendes Handwerk ist und ich bis dato keinen erdenkbaren Anfänger_innenfehler ausgelassen hatte. So wurde der zweite Roman mit Nel Arta vor dem ersten fertig und veröffentlicht. Schließlich waren alle drei Nel-Arta-Geschichten erschienen, eine vierte in Teilen geschrieben, aber sie dümpelten unter der Wahrnehmungsschwelle des Buchmarktes.

Nun wagt dead soft eine Neuedition des Debuts, was mich außerordentlich freut. Zum einen, weil ich die Gelegenheit hatte, den Text behutsam zu überarbeiten und so etwas von den sieben Jahren Schreiberfahrung einzubringen und zum anderen, weil ich Idee, Plot und Schreibe immer noch mag.

Geneigte Leserschaft, hier hältst du also den ersten und einzigen Kriminalroman mit einer Transfrau als Hauptfigur in den Händen. Ich wünsche gute Unterhaltung.

 

Ria Klug, November 2015

Anmerkung: Am Ende des Buches befindet sich ein Glossar mit Erklärungen von spezifischen und portugiesischen Formulierungen.

1

 

»Du glaubst, du weißt immer alles besser.«

Sabrina beugt sich vor und stellt ihren prallen Busen auf den Tisch. Damit will sie den Worten Nachdruck verleihen. Mit ihrer großen Klappe und dem schrillen Getue drängelt sie sich immer in den Mittelpunkt. Sie quillt fast aus ihren blümeligen Fetzen. Nicht nur mit dem rosa Lippenstift, den sie reichlich über ihre Schlauchbootlippen verteilt, ist sie die Karikatur einer Frau. Alles an ihr ist prall: Der Lockenkopf, das üppig bemalte Gesicht, die Fettpolster, die dicken Ringe an dicken Fingern, die Handgelenke mit den achtundachtzig Armreifen, der fette Hals, eingewickelt in kilometerlange Halsketten. Am prallsten ist ihr Arsch, in den ich ihr gerne treten würde. He, ich kann sie einfach nicht leiden. Seit ich sie mal auf einer Sexparty bei Pinkelspielen gesehen habe, nenne ich sie insgeheim Latrina.

Mag ja sein, dass sie recht hat und ich eine verflixte Besserwisserin bin, aber in diesem Fall habe ich wirklich recht. Ich finde es unerträglich, wenn Julie ihrer Krankenkasse in diesem jämmerlichen Ton schreibt. Sie soll ihren Willen kundtun und aufhören so rumzukriechen, erst dann nehmen die sie ernst. Sie kann doch verdammt noch mal verlangen, dass die ihr nicht immer mit: »Sehr geehrter Herr Tolksdorf …« schreiben.

Julies Blick irrlichtert eingeschüchtert zwischen mir und Sabrina hin und her. Das ist wieder typisch für unsere Selbsthilfegruppe TransForm. Rat und Tat für Transgender.

Jason zupft mich am Ärmel.

»Dann schreibt’s so, wie ihr denkt, wenn ihr euch mit dem Gejammere besser fühlt«, sage ich.

Sabrina verdreht die Augen und schnauft. Wenigstens hält sie jetzt die Klappe.

»Lass die mal machen«, sagt Jason und gurgelt den Rest aus seiner Bierflasche. Er schließt einen dezenten Rülpser an und lehnt sich zurück, weil er etwas aus seiner Hosentasche ziehen möchte. Nicht so leicht, bei seinem Wanst. Er fördert einen verknüllten Wisch hervor und faltet ihn sorgfältig auseinander. »Das hat Cristina heute Abend gemailt«, sagt er und reibt sich die stoppelige untere Gesichtshälfte, dabei starrt er versonnen auf das Papier.

»Ja, was denn? Wie sieht’s aus? Komm ich auch dran? Gib doch mal her.«

Jason verzieht den Mund. »Ich weiß nicht, ob ich dir das wirklich geben soll. Du bist auf einmal so scharf auf dieses Geschnippel. Ich frage mich wirklich, ob du dir das gut überlegt hast.«

»Los, gib her, Blödmann. Ich weiß, was ich tue.« Ich beuge mich zu ihm hinüber und will ihm den Zettel wegnehmen. Er hält ihn blitzschnell weit von mir weg. Obwohl ich mich ganz lang mache, falle ich nur auf ihn drauf.

Jason umfasst mich mit dem anderen Arm, rückt mich zurecht und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. »Ich mache mir halt Sorgen um dich«, sagt er, während er mich loslässt und mir den Zettel gibt. »Du hast so ein Talent Unheil anzuziehen wie Kacke die Fliegen.«

Ich gebe keine Antwort, denn Cristinas Mail hat mich in ihren Bann gezogen. Ihr putziges Deutsch ist schwer zu verstehen, aber ich finde sofort, was ich wissen will. Am neunten November kann ich drankommen. Einen Tag nach ihr. Mir ist ein bisschen flau. Wie immer, wenn es ernst wird.

Ich sehe zu den anderen rüber, die sich um Sabrina und Julie klumpen und die Köpfe zusammenstecken. Ein richtiger Haarauflauf, in allen Schattierungen. Einiges davon Horn, anderes Kunststoff. Von denen haben das schon einige hinter sich und hocken trotzdem hier, um ihre Weisheiten zum Besten zu geben. Wieder mal fühle ich mich fremd und frage mich, ob die OP daran etwas ändern könnte. Von Ärzten und Krankenhäusern krieg ich Panik. Mein ganzes Geld geht für die Aktion drauf. Vielleicht machen die mich dafür zum Krüppel. Ein Sozialfall bin ich schon.

»Angst?«, fragt Jason.

»Nö«, sage ich, »oder vielleicht ’n bisschen. Was willst du eigentlich? Du hast dir auch die Möpse absäbeln und die Quarktasche leermachen lassen.«

»Aber hier und nicht sonst wo. Casa da Beleza heißt der Laden. Ich hab’s nachgeschlagen. Das heißt ›Haus der Schönheit‹. Klingt nach Seifenoper«, sagt Jason.

Amanda-Chantal und Ronja kommen zu uns rüber. Sie sind mit ihrem Getratsche und Geschmiere fertig, aber die Neugier lebt noch.

»Am Siebten flieg ich nach Brasilien und lass mich operieren«, sage ich, als ich merke, dass sie sich nicht abwimmeln lassen.

»Oktober?«, fragt Ronja.

Gott, die ist ja fast so bescheuert wie Sabrinalatrina. Sieht so aus, als fängt auch bei ihr das Transen an, indem das Hirn auf die Hälfte eingedampft und mit rosa Watte aufgefüllt wird. Damit nicht so viel Gewicht auf die Stilettos drückt. Ich habe mich sowieso schon gefragt, warum eine mit so einer Möbelpackerfigur sich so einen Mädchennamen aussucht.

»Das war vor zwei Wochen, Herzchen, liest du denn wirklich nie Zeitung?« Ich seufze.

»Ist das nicht gefährlich?« Amanda-Chantal kräuselt die Oberlippe, soweit es die Lippenstiftbeschichtung zulässt.

Ihr gebe ich auch noch einen mit: »Zeitung lesen?«

»Nein, die OP in Brasilien natürlich.«

»Für euch ist doch alles gefährlich, was nicht mit Schminken und Klamotten zu tun hat.«

Amanda-Chantal ist eher besorgt als sauer. »Warum bist du in letzter Zeit so aggressiv? Mit dir ist ja kaum noch zu reden.«

»Bestimmt vergisst Nel dauernd die Hormone.« Das war Sabrina, die sich ein neues Betätigungsfeld sucht. Mir bleibt heute einfach nichts erspart. Dann fangen sie alle an zu quasseln, jede weiß natürlich was.

»... hab ich neulich gelesen über so eine Klinik in – glaube Costa Rica oder wo – so ein Pfusch, aber ganz billig – Straßenräuber – im Flughafen das ganze Geld weg – Hygienestandards einfach schlechter ...«

Ich schalte ab, nur ein paar Fetzen nehme ich sozusagen vegetativ wahr. Auf einmal ist es ganz still. Alle gaffen mich an. Ich suche nach dem Echo der Frage.

»Ist doch kein Geheimnis, oder? Ich möchte schon gerne mal wissen, was das kostet.« Ronja hat sich offenbar ganz gut erholt.

Ich sehe mich um und fühle mich genötigt. »Viertausendfünfhundert …«

»Etwa Euro? Oder das brasilianische, wie heißt das noch …?«

»Dollar, Schätzchen. Cash Kralle.«

Für einen Moment bleiben die Mäuler offen stehen, ungläubige Mienen, rundum. Ich möchte gerne über was anderes reden. Natürlich keine Chance.

»Bist du sicher? Das gibt’s doch nicht, das ist doch viel zu billig. Selbst in Thailand zahlst du mindestens zehntausend Euro. Viertausendfünfhundert, da stimmt doch was nicht. Warum lässt du es nicht hier machen?«

»Meinst du, ich habe Lust in der Charité auf’m Klo zu vergammeln?«

»Aber Nel, Viertausendfünfhundert, das kann doch nur Metzgerei sein. Du bist verrückt.« Sabrina trägt die geballten Bedenken vor. Dahinter schnattern die anderen durcheinander.

»Das sind ja in Euro – was für ein Zimmer – wie lange – aber der Flug noch – aber in Thailand – hör mir auf mit Thailand – würd ich nie – die Kasse – hör bloß auf mit der Kasse.«

Julie hängt eindeutig zu viel vor der Glotze: »Ich hab da neulich so’n Bericht im Fernsehen gesehen, wie die in Brasilien Leute entführen und Nieren oder so klauen, manchmal Kinder, die verschwinden …«

Ronja fällt ihr ins Wort: »Ja, das hab ich auch gesehen, gruselig, da machen ganz renommierte Ärzte und Kliniken mit.«

»Habt ihr Turistas gesehen?«, fragt Amanda-Chantal. »Der lief doch neulich in der Brauerei. Da wird in Brasilien so ’ne Gruppe Rucksacktouristen erst ausgeraubt, dann schnappt sie so ’n Menschenhändler und sperrt sie ein wie so Stalltiere. Der will die Organe verkaufen. Ey, das war voll eklig.«

Ich will das nicht ernst nehmen. Davon habe ich auch gelesen. Beim Googeln nach Brasilien findet sich ja praktisch nichts anderes als Korruption und Gewaltverbrechen. Aber Turistas ist doch nur ein scheißverdammter Film, oder? Dass an den billigen Preis Bedingungen geknüpft sind, verrate ich nicht. Ich habe keine Lust, darüber auch noch zu diskutieren.

Cristina hat mir diese Gelegenheit vermittelt. Sie wird sich auch dort operieren lassen. Wir würden uns ein Zimmer teilen. Die brasilianische Klinik bildet Ärzte in den gängigen OP-Methoden aus, weil sich ab zweitausendzehn transsexuelle Brasilianerinnen auf Kosten der Gesundheitsfürsorge operieren lassen können. Natürlich erst nach dem ganzen Psychobrimborium, fast wie bei uns. Die verbilligten OP’s dienen als Lehrmaterial. Zuschauer sind auch dabei, dazu muss ich meine Einwilligung geben. Wenn ich genug Knete hätte, würde mir das im Traum nicht einfallen. Aber für achttausend Euro fange selbst ich an Kompromisse zu machen.

Eigentlich glaube ich, die Mädels sind nur neidisch, weil ich eine Abkürzung nehme und dem TSG und der Krankenkasse eine Nase drehe. Das Geld dafür habe ich noch von dem Anteil über, den mir meine Mama aus der Lebensversicherung meines Papas gegeben hat. Wenn er geahnt hätte, was ich mit der Kohle mache, wäre er bestimmt am Leben geblieben, aus reinem Starrsinn.

Die Mädels sind immer noch feste am Rumunken, aber nur weil Jason ihnen den Gefallen tut und zuhört. Da fällt es nicht weiter auf, dass ich den Wisch lese, den Julie vom Medizinischen Dienst ihrer Krankenkasse bekommen hat.

»Sehr geehrter Herr Tolksdorf … Sie haben beantragt, dass … Ihrem Wunsch können wir daher nicht entsprechen, solange die Gutachten …«

Vielleicht sollte ich Gutachterin werden, dann könnte ich mich jedes Jahr zweimal operieren lassen. Beim Begutachten würde das nicht stören, die Textbausteine liegen ja gemütlich auf dem Rechner. Ich müsste jedes Mal nur ein paar neue Namen und Daten eingeben. Solange die Hand die Maus bewegen kann, würde das Geld niemals knapp werden.

Sabrinas Handy schmettert die Ode an die Freude. Das passt wie Arsch auf Eimer. Gerettet, der Redeschwall versiegt.

Ich schaue auf die Uhr. Wir können nach Hause gehen, statt uns gegenseitig zu nerven. Unser Treffpunkt ist ein Nebenzimmer der Kultur- und Bildungsinitiative Kuhle Wampe. Das ist eine höchst linke Angelegenheit. Deren stinklangweilige Abendveranstaltung ist verendet und wir können durch den Saal ins Freie.

Es stehen noch mehrere Grüppchen herum, die sich noch nicht genug über die herrschenden Verhältnisse ausgekotzt haben. Die sehen immer gleich aus: Kleine, dicke Frauen in Bequemschuhen, die Baskenmützen keck auf die burschikosen Frisuren geschoben, Männer mit Hängebäuchen in karierten Hemden und Bundfaltenjeans. Klar, da gibt’s auch Jüngere dabei, die sind aber auf dem Weg genauso zu werden. Weltverbesserer eben. Ein paar von denen heften ihre Stielaugen auf mich. Ich wackele ein bisschen mit dem Arsch, dann drehe ich mich rum.

»Maul zu, der Sabber läuft raus.« Natürlich hat das den gegenteiligen Effekt. Ich bin weg, bevor die Pfütze zu groß wird.

Draußen holt mich Sabrina ein. »Wenn die uns den Raum wegnehmen, bist du schuld. Das war doch jetzt völlig unnötig.«

»Du kannst ja wieder reingehen und brav Pfötchen geben.«

Sabrina holt tief Luft, aber Julie zieht sie am Ärmel. »Ich habe noch mal überlegt, ob ich nicht lieber doch so schreiben …«

Ich hake mich schnell bei Jason ein. Wir gehen ein paar Schritte die Kopenhagener entlang, natürlich immer mit Hundescheißesonar auf voller Leistung. Die Stadt spart am Licht. Jason bleibt stehen. Ich blende noch mal voll auf, ob ich was übersehen habe.

»Kommst du mit ins Kings & Queens? Ich bin verabredet. Nick hat gesagt, ich soll dich mitbringen.«

Das ist eine heftige Versuchung für mich. Dann spüre ich aber, dass ich nicht die Kraft aufbringe, ihr nachzugeben. »Ach Jason, du weißt doch, wie’s läuft: Ich saufe Schampus, bis ich rausgekehrt werde, und versuche in jeden Ausschnitt zu krabbeln, der mir zu nahe kommt. Für die OP muss ich mein Sparschwein killen. Ich gehe besser nach Hause und suche nochmal nach billigen Flügen.« Das ist fast schon ein Zipfelchen Weisheit.

Jason schnallt es nicht: »Wenigstens passt Cristina auf dich auf. Wenn ich dich schon nicht davon abbringen kann.«

Manchmal ist er ’ne echte Nervensäge.

2

 

Ich schlucke und schlucke. Der Druck lässt nicht nach. Langsam muss die Kiste doch endlich oben sein. So viel geschluckt habe ich seit dem Folsom Europe im September nicht mehr. Da ging’s mir aber bedeutend besser.

Fliegen ist eine Qual. Erstens mach ich mir ins Höschen vor Angst und zweitens habe ich kein Sitzfleisch. Ich muss immer mit dem Leben vorläufig abgeschlossen haben, sonst halte ich nicht durch. Es gibt Seminare von den Fluggesellschaften zur Bekämpfung der Flugangst. Aber da ist doch was faul, wenn Firmen extra Aufwand treiben, damit ihr Krempel verdaulich wird. Elf Stunden Rumhocken und Grübeln, das ist Vorhölle. Mit Umsteigen in Amsterdam sind es sogar fünfzehn Stunden. Zum Glück hat die Passkontrolle keine Zicken gemacht, kann sein, die gewöhnen sich langsam an Transen.

Zu Hause habe ich alles geregelt. Jason hat versprochen das Backoffice zu machen. Ab Ankunft in Sorocaba jeden Tag Mailkontakt zwischen halb sechs und sechs, es sei denn, eine meldet sich ab. Direkt nach der OP kann ich vom Mailen sicher nur träumen.

Jason denkt auch daran, dass halb sechs in Sorocaba im Winter halb neun in Berlin ist. Auf ihn kann ich mich eigentlich immer verlassen. Er ist Handelsklasse A. Wenn ich hetero wäre. Und Jason nicht schwul. Er hat Cristina geheiratet und ihr den Aufenthalt legalisiert, damit sie zurückkommen kann nach ihrem Besuch in der alten Heimat.

Die Hochzeit war mein persönlicher Höhepunkt des Sommers. Die Tante vom Standesamt verhaspelte sich dauernd: »Und Sie Herr … äh Fenner … äh Frau … äh … Herr Ribeiro …« Sie wusste auch nicht, welche wem den Ring anstecken soll. Mir tat die Seite weh vor unterdrücktem Lachen. Ich sah schon die MoPo-Schlagzeile vor mir:

VERKEHRTE WELT! TRANSVESTITEN BEI DER TRAUUNG!

»So weit ist es schon gekommen: Jose Luis Ribeiro, 28, Transvestit aus Brasilien, der sich Cristina nennt und Jana Fenner, 31, Mannweib aus Schwerin, das sich Jason nennt, gaben sich auf dem Standesamt F’hain-Kreuzberg das Jawort.

›So etwas habe ich noch nicht erlebt‹, sagte die Standesbeamtin Frauke B., 43 …«

 

Mein Sitznachbar kickt mich wieder mit Ellenbogen und Schulter an. Er ist der breitbeinige Teil eines Ehepaars neben mir. Ich frage mich, ob er Anschluss sucht. Beim Einsteigen haben sie mich neugierig gemustert. Jedes Mal, wenn ich nach rechts blicke, ertappe ich sie, wie sie mich beobachten. Sie sind im sogenannten besten Alter. Ihn hindert das nicht am Zappen nach Cartoons.

Ab und zu rempelt mich die Flugbegleiterin an, die mit den schönen Beinen. Während ich ihre bestrumpften Waden anhimmele, vergesse ich für Momente, wo ich bin. Ich hab Lust ihr ein Bein zu stellen. Vielleicht könnte ich unter ihren Rock schauen, wenn sie strauchelt.

Sie muss es gespürt haben, denn jetzt kommt sie mit dem Serviercontainer. Ich ziehe besser meine Tentakel ein, wenn ich sie behalten will. Sie fragt, was ich zum Essen trinken will. Dabei kräuselt sie die Nasenflügel. Ein schmales Gesicht mit breitem Mund und vollen Lippen, fast schon ein wenig herb.

Ich lasse mir einen Zahnputzbecher Rotwein und ein Mineralwasser geben. Der Fingerkontakt klappt nicht.

Zum Abräumen kommt eine andere.

Mein Nachbar zappt immer noch. Bugs Bunny schiebt sich eine Riesenmöhre rein. »Darf ich Sie mal was fragen?«

Ich zucke zusammen. Er trinkt Bier, das verleiht ihm offenbar Mut.

»Nein.« Es hilft nicht.

Seine Frau lacht und sagt: »Na Udo, hast du kein Glück?«

Er lacht ebenfalls und setzt nach. »Meine Frau und ich, also wir haben uns gefragt … Also, ich bin der Udo und das ist Gerlinde, meine Frau. Wir sind aus Köln.«

Ich merke schon, dass er nicht locker lassen wird. »Was wollen Sie?«

»Ach, eigentlich nur … ob Sie schon mal im Fernsehen waren. Gerlinde meint, sie hätte Sie schon mal …«

»Nein.«

Jetzt greift Gerlinde ein. Sie streckt ihre Hand aus. »Wie war noch mal Ihr Name?«

»Nel.« Die Hand übersehe ich einfach.

»Aha. Angenehm. Als wir eingestiegen sind, sagt mein Mann ›Willst du dich neben die Frau setzen?‹ und ich sag zu Udo ›Das ist doch ein Mann‹ und dann haben wir gewettet. Ich hab doch recht nicht wahr? Mein Mann guckt nicht so genau hin.«

Eigentlich hatte ich nur Angst vor Abstürzen oder Bomben. Doch es gibt andere Arten von Terrorismus. »Wahrscheinlich hat Ihr Mann auf meinen Busen gestiert.« Damit beeindrucke ich Gerlinde nicht.

»Ja, das macht der dauernd. Ich sag immer ›Udo, das gehört sich nicht‹, aber er ist halt ein Mann. Der kann nicht anders. Aber er meint’s nicht böse. Nicht wahr, Udo?«

Udo trinkt einen großen Schluck. »Siehst du? Ich hab recht«, sagt er dann zu seiner Frau.

»Aber Ihre Stimme«, sagt Gerlinde zu mir, »und Ihre Hände. Und wenn ich die Augen zumache und Sie reden …«

»Genau«, sagt Udo, »wie Lilo Wanders. Die kennen Sie doch, die von Wa(h)re Liebe

Aha, da wollten sie also hin. Womit habe ich das verdient?

»Uns stört das ja gar nicht«, sagt Udo.

»Wir fahren ja öfter mal nach Thailand«, sagt Gerlinde, »da haben wir mal eine Show gesehen. Zuerst wussten wir nicht, dass das Transvestiten sind. Erst als die sich ausgezogen haben. Na ja, und natürlich die Stimmen.«

»Und die sind ganz nah rangekommen und haben uns alles gezeigt«, sagt Udo, »und dann haben sie sich gegenseitig …«

Aus Bugs Bunny hängt inzwischen nur noch der grüne Püschel raus.

»Na, das hätte ich nicht unbedingt sehen müssen«, sagt Gerlinde, »aber wir sind ja aus Köln und da ist jedes Jahr die Parade und da gehen wir gerne hin, nicht wahr, Udo?«

»Ja«, sagt Udo, »soll jeder machen, wie er will.«

»Ja«, sagt Gerlinde, »und da kann ich richtig neidisch werden, wie sich manche zurechtmachen können. Zum Beispiel Mary und Gordy, also so was. Sie machen das gar nicht, oder?«

»Nein.«

»Aber dann würde sich niemand fragen, was Sie sind. Für Ihre Eltern war dat sicher schwer?«

Einmal jammerte mir meine Mama vor: ›Wenn ich das gewusst hätt, dann hätt ich das doch nich zugelassen, du zu Fasching als Rotkäppchen. Aber ich konnt’s ja nicht wissen und der Vati hat sich nich drum gekümmert und das hab ich jetzt davon.‹

Muss mich diese blöde Kuh daran erinnern? Leider ist sie mit dem Ausgießen von Mitgefühl noch nicht fertig. »Unsere Kinder, die sind ja schon groß, aber alle ganz normal. Aber wenn ich mir vorstelle … dat wär schon schwer.«

»Sind nicht alle so frei wie wir. Was sagen denn ihre Eltern dazu?«, fragt Udo.

Vor dem Abflug habe ich meine Mutter angerufen. Das mache ich selten, denn vorher muss ich viel Kraft sammeln. Es kribbelt mich schon, wenn Mama mit diesem Jammerton ›Artmann‹ in den Hörer knödelt, gerade so, als erwarte sie, dass irgendein Nachbar ihr Vorhaltungen macht, weil ihr Junge eine Tunte ist.

Heute noch ist es so, dass sie mir immer das Gefühl gibt, ich tue ihr etwas an. Dass ich nach Brasilien gehe wegen der OP, kommentierte sie mit: ›Bin ich froh, dass Vati das nicht mehr erleben muss.‹

»Die frage ich nicht danach …«

Gerlinde kriecht fast über Udo drüber und senkt die Stimme. »Mütter machen sich schon Gedanken, ob die Kinder glücklich sind. Ist für Sie bestimmt nicht einfach einen Freund zu finden, nicht wahr?«

»Ich bin Lesbe.«

Beide reißen die Augen auf. Udo fängt sich zuerst wieder. Er zwinkert mir zu. »Ich auch.«

»Udo, lass doch mal die dummen Witze«, sagt Gerlinde, »du machst ihn doch ganz verlegen.« Sie kommt noch näher an mich ran. »Das ist doch bestimmt nicht einfach, so mit dem Körper. Und Kinder können Sie ja auch nie kriegen. Sind Sie denn noch … Ich meine, haben Sie schon … ist da schon alles weg?«

»Der Verstand ist noch da.« Der Rest auch. Vielleicht sollte ich es lassen. Vor solchen Situationen schützt mich die OP nicht. Aber es ist wie eine hässliche Warze im Dekolleté, tut nicht weh und ist unterm Pullover. Aber wenn ich eine abgeschleppt habe und wir uns ausziehen, dann wird sie mir wieder bewusst und ich schäme mich, fühle mich ungepflegt und denke, die muss da doch dauernd draufstarren.

»Wollen Sie auch eins?«, fragt Udo.

Gerlinde wedelt die Flugbegleiterin herbei und bestellt Bier.

Dadurch lassen sie vorerst von mir ab. Aber zu spät. Ich muss an Sabrinas Frage denken, warum ich wegen der OP nach Brasilien fliege. Das könnte ich auch in Deutschland haben. Das stimmt schon, es würde auch nichts kosten, aber dafür muss es bei der Krankenkasse beantragt werden. Die will dafür Gutachten sehen, welche bestätigen, dass dieser Wunsch nicht wegtherapiert werden kann. Die Gutachter sind Psychologen und die wollen einen Praxistest haben. Dafür müsste ich so rumlaufen und mit Fistelstimme Unsinn reden wie Sabrina. Einen Transweglebenslauf wollen die sehen. Mit dusseligen Fragen wollen die prüfen, ob mir das Frausein überhaupt zusteht und ob ich das richtig kann. Aber nicht mit mir, auf so was könnte ich kotzen.

Ehrlich, ich hab’s probiert. Ich hätte vielleicht den Gutachter nicht fragen sollen, wie er an sein Diplom gekommen ist, das an der Wand hing. Aber ich weiß doch genau, wie leicht es ist, sich irgendeinen Wisch zu besorgen. Da braucht er nur Beziehungen zu haben und schwupps, hat er ein Diplom und ’ne Couch und bohrt in der Nase, wenn eine da liegt und ihm was vorheult. Auf den Transweglebenslauf holt er sich anschließend noch einen runter.

Der Heini hat mich rausgeschmissen und bei der Kasse verpetzt. Bei meiner Sachbearbeiterin musste ich dann antichambrieren. Die hat mir klipp und klar gesagt, dass ich vor allem ’nen Irrenarzt brauche und keine OP, zumindest solange sie den Fall bearbeitet und sie sei ja noch jung und habe nicht vor den Job zu wechseln. Garantiert hat die am meisten gestört, dass ich keine Schleimspur auf ihrem Teppich hinterlassen hab.

 

Udo und Gerlinde diskutieren über die Qualität des Bieres im Vergleich zu Kölsch. Diese Gelegenheit nutze ich. Außerdem habe ich die schnuckelige Stewardess länger nicht mehr gesehen. Ich finde sie mit müden Augen in der Bordküche. An einem Container mit Softdrinks zur Selbstbedienung mixe ich mir was zurecht. Dabei lasse ich mir Zeit und beobachte sie aus den Augenwinkeln. Ich trinke langsam, bis ein anderer Passagier kommt. Es ist weder genug Platz, noch mag ich Publikum bei meinen Bemühungen. Fraglich, ob ich mich getraut hätte. Hinterher denke ich immer, ich hätte es getan, wenn noch Gelegenheit gewesen wäre.

Auf dem Sitz wickle ich mich in den Lappen, der hier als Kuscheldecke bereitliegt.

»Schon schlafen?«, fragt Udo. Er verbreitet eine Bierfahne.

»Ja, wenn’s geht.«

»Machen Sie denn auch mit bei der Parade? Aber Sie sind nicht aus Köln, was?«

»Udo, lass ihn mal in Ruhe. Du siehst doch, dass er schlafen will.« Zu mir sagt Gerlinde: »Mein Mann ist manchmal schrecklich.«

Ich drehe mich weg. Zum Kotzen, alle wollen nur helfen. Außerdem hat sie auch eine Fahne.

Das Nervpotenzial meiner Mutter ist auch nicht kleiner. Ich lade sie nicht zu mir nach Berlin ein. Sie würde den ganzen Tag in der Kittelschürze mit einem Wischlappen rumhampeln:

›Corni, bei dir muss aber mal sauber gemacht werden. Du hast ja gar keinen Kleiderschrank, ach, wenn die ganzen Sachen so offen hängen, das staubt doch so ein. Na, ich wasch dir das mal. Ich hab doch noch den Kleiderschrank von Onkel Fritz und Tante Elfi. Der ist noch wie neu. Den kannste doch haben. Ich frag mal den Henner Albrecht, der fährt doch Spedition bei Wilkens, der kann dir den bestimmt mal mitbringen. Ich bezahl das auch, du hast ja kein Geld. Musst dann nur mal helfen hochtragen.‹

Sie würde es nur gut meinen, aber nicht locker lassen.

›Ach Corni, was ist denn das? Ziehst du das wirklich an? Du gehst doch so nich raus, oder? Ach, bin ich froh, dass Vati das nicht mehr erleben muss, der würd sich zu Tode schämen. Du kannst doch auch mal’n schönes Hemd anziehn und ’nen Anzug, dann würdste auch wieder Arbeit kriegen. Vom Vati sind noch zwei schöne Anzüge da, die sind wie neu. Ihr habt doch die gleiche Figur. Die schick ich dir mal.‹

Irgendwann schluchzt sie und sagt: ›Ich meins doch nur gut. Aber du bist ja unbelehrbar. Warste früher schon. Dass ich mir Sorgen mach, ist dir ja egal. Hauptsache, du hast deinen Willen. An uns denkst du ja nich. Überall heißt’s die arme Frau, mit dem Sohn, die hat schon Last. Wenn ich erst im Grab bin, dann tut’s dir noch mal leid, aber dann isses zu spät …‹

Die fünfzig Euro, die sie mir beim Abschied geben würde, hätte ich schon am gleichen Abend versoffen. Dazu müsste ich sicher noch’n paar Mal ins Chains und mich ordentlich versohlen lassen.

Habe ich wirklich die gleiche Figur wie mein Vater? Dann wäre die OP Geldverschwendung. Über diesen Gedanken döse ich doch tatsächlich ein.

 

3

 

Die Unruhe im Flieger weckt mich. Horden streben zu den Bordtoiletten und bilden dort hampelige Schlangen. Ich müsste auch mal dahin, mein Kinn ist kratzig, unter meiner Perücke juckt es und ich wäre gerne einen Moment alleine. Es hat wenig Sinn sich anzustellen, also schalte ich den Bildschirm ein und schaue nach, wo wir sind. Halb sechs, nur noch zwei Stunden. Ich überlege, wie ich das Geld sicher verstaue. Schließlich habe ich sechseinhalbtausend Euro dabei, das meiste davon in Dollar für die Klinik. Ich habe cash dabei, weil es Swift gibt. Mit dieser fiesen Einrichtung wird jeder Geldtransfer aktenkundig und ich wette, dass deutsche Ämter darauf zugreifen. Immerhin vegetiere ich von Hartz 4 und die kontrollieren alles. Deswegen lagere ich den Schotter auch nicht auf der Bank. So bescheuert bin ich nicht. Am besten verteile ich die Scheine am Körper, nicht alles an einer Stelle.

Die Schlange links ist viel kürzer geworden, ich schnelle hoch und schließe mich an. Direkt vor mir steht ein älterer Typ. Während ich die Haare betrachte, die aus seinem Hemdkragen rausquellen, stelle ich mir unwillkürlich vor, wie er vor der Schüssel steht und den Rand bepinkelt, weil seine Prostata nur noch Getröpfel zulässt. Wenn ich nicht so dringend müsste, würde ich woanders hingehen.

»Gut geschlafen?« Gerlinde erschreckt mich. Sie drängt sich dicht hinter mich. »Ich wollt Sie noch mal was fragen: Wie machen Sie …«

Endlich kommt der Typ raus, mit nassen Händen und zwei offenen Knöpfen am Hosenstall.

»Gehen Sie doch vor, ich hab’s nicht eilig«, sage ich zu Gerlinde und schiebe sie an mir vorbei. Sie ist verwirrt, aber folgsam. Während sie die Tür schließt, haste ich in den anderen Gang und stelle mich dort an, wo sie mich nicht sehen kann.

Als ich zurückkomme, wird Frühstück serviert. Meine Stewardess erscheint wie aus dem Ei gepellt, keine Spur von einer langen Schicht. Leider bin ich nervös und finde keine Stelle, an der ich die Baggerschaufel ansetzen könnte. Meine Unruhe will ich mit Kaffee begießen, aber sie hält einfach nicht still.

»Das ist ja interessant.« Gerlinde wedelt mit einer Illustrierten zu mir herüber. »Hier steht was über diese Hochspringerin, die ein Mann sein will. Die sagt, von den Hormonen denkt sie wie ein Mann. Ist das bei Ihnen auch so? Wollen Sie mal lesen?«

Ich nehme die Illustrierte und tue so, als ob ich das lese. Vielleicht hat sie so viel Einfühlungsvermögen, dass sie mich dabei nicht stört.

»Wo der Busen war, sieht man aber noch«, sagt Udo und tippt auf das Foto. »Da sind die Narben.«

Die Flugbegleiterinnen schließen die Gepäckfächer und scheuchen alle auf die Sitze. Wir sollen uns anschnallen, der Abstieg beginnt. Kurz danach setzen wir auf dem Rollfeld auf. Blitzschnell schnappe ich mein Zeug und gehe stiften.

»Machense et joot!«, ruft Udo hinter mir her.

 

Ich kann nicht sagen, ob mir warm oder kalt ist. Der Himmel ist grau und verhangen, Frühling in São Paulo. Vor der Passkontrolle stauen sich die Massen. Nur langsam bewegt sich die Schlange durch den Irrgarten der Absperrungen. Irgendwann drängele ich mich dann doch zu den Transportbändern durch und warte auf meinen Rucksack. Das hat was von Lotterie, es gibt drei Bänder, auf denen das Gepäck kreiselt und nur eins kann ich im Auge behalten.

Endlich komme ich in die Ankunftshalle. Auf der Suche nach einem Hinweis für die Busstation finde ich eine Wechselstube und tausche alles, was ich nicht für die Klinik brauche, in Reais. Das ist ein ganzer Haufen lappige Scheine. Den Packen verstaue ich erst im Rausgehen. Eine arge Unvorsichtigkeit. Das wird mir sofort klar, deshalb präge ich mir ein, wer mich beobachtet haben könnte. Dann schlendere ich wieder durch die Halle mit ihren braunen Fliesen, ockerfarbenen Anstrichen und diesem ganzen Siebzigerjahre-Charme. Vor ein paar Schaukästen mit indigenem Kunsthandwerksgelumpe bleibe ich stehen und schaue mich nach jemandem um, den ich nach dem Weg zum Bus fragen könnte.

Ein jüngerer, pickliger Typ in Jeansjacke taucht neben mir auf und fragt: »Hi, do you have dollars? Ich brauche zehn, ich kann wechseln.«

Er ist einen halben Kopf kleiner als ich. Ich lasse mich trotzdem auf nichts ein. »Meinst du wirklich, dass ich so bescheuert aussehe und dein blöder Trick funktioniert? Allein dafür sollte ich dir in die Eier treten.«

Er grinst unsicher. Kein Wunder, ich habe Deutsch gesprochen. Ich wechsle ins Englische. »Nein, ich habe nur Traveler Cheques, nichts Bares.«

Er stutzt und überlegt. Es sieht so aus, als wollte er noch was sagen, weiß aber nicht was. Zögernd zieht er ab. Er läuft direkt hinaus. Langsam folge ich ihm. Ich bin gespannt, ob der andere Typ, der vorhin reingekommen ist und in einen der Schaukästen glotzt, mir folgt.

Über mir ein diesiger Himmel wie eine dreckige Fensterscheibe und es stinkt nach Abgasen. Auf dem breiten Gehweg unter dem überkragenden Betondach stehen kreuz und quer Gepäckwagen herum, dazwischen Leute. Taxen und Privatwagen wuseln davor. Die Luft ist erfüllt vom Klappen der Türen und Kofferraumdeckel.

Jeansjäckchen ist irgendwo im Gewimmel verschwunden. Der Schaukastengucker kommt nach, bleibt stehen und steckt sich eine Kippe in den Schnabel. Aus den Augenwinkeln betrachte ich ihn. Er ist hemdsärmelig und steht gut im Futter. Wirkt eigentlich ganz harmlos. Jetzt steuert er mich an. Ich haste sofort zum nächsten Taxi. Der Fahrer lädt gerade ein paar Koffer und Taschen ein.

»Por favor, autobus a Barra Funda, donde?«

Er glotzt mich einen Moment an, als ob ich ihn getreten hätte, dann macht er eine unwirsche Armbewegung.

Ich drehe den Kopf in diese Richtung, aber der Typ ist schon auf zwei Meter rangekommen. Ohne weitere Fragen zische ich ab. Da steht tatsächlich ein Bus, vielleicht hundert Meter entfernt. Mein Blick saugt sich an ihm fest und zieht mich dort hin. Ich komme ins Keuchen. »Er ist dick und langsam«, sage ich mir ein paar Mal vor und schalte runter. Beim Slalom um die Trolleys schaue ich mich um. Niemand verfolgt mich. Ich seufze erleichtert auf und begnüge mich mit Schneckentempo, schließlich ist der Rucksack ganz schön schwer. Vielleicht sollte ich ein wenig Portugiesisch lernen, mit dem bisschen Spanisch könnte ich ganz schön daneben liegen.

Ich steige vorne zum Fahrer ein, einem Schwarzen ohne Kopfhaare, dafür mit Ray-Ban-Sonnenbrille. »Ticket donde?«

Er schaut von seiner Illustrierten auf und sagt: »Biljeetschiaki«, wobei er mit dem Zeigefinger aufs Lenkrad tippt.

»A Barra Funda?«

Er nickt.

»Quanto?«

Er sagt was Unverständliches. Dann grinst er, holt einen Fahrschein aus seiner Mappe und zeigt ihn mir. Ich zähle ihm umständlich das fremde Geld ab, nehme das Ticket und suche mir einen Platz. Die Sitze sind abgeschabt und fleckig, aber die Kiste war mal ziemlich komfortabel.

Etwa zehn Minuten später ist der Bus leidlich voll und es geht los. Wir umkurven einen gigantischen Parkplatz, dann kommt eine Zufahrt auf eine vielspurige Schnellstraße. Ab da ist nur noch Schritttempo möglich. Massen von Lastwagen stoßen dröhnend schwarze Wolken aus. Der Verkehr wird immer dichter. Mit lautem Gehupe zwängen sich kleine Motorräder zwischen den Schlangen durch. Beim ersten Mal zucke ich vom Fenster zurück, weil direkt unter mir ein behelmter Schädel vorbeisaust. Unwillkürlich rücke ich weg und warte auf einen Aufprall. Immerhin kommen sie voran. Langsam passieren wir ausgedehnte Industrieanlagen, dann Häuser, dann wieder Industrieanlagen. Von links, wo vorher Gegenverkehr war, taucht eine Art Fluss auf. Es ist eine breite, jämmerliche Betonrinne, in der eine viskose Masse dahinzieht. Auf ihrem Rücken treibt allerlei Unrat. Zwischen Fahrbahn und Rinne gibt es hinter Betonabsperrungen sogar einen Grünstreifen. Dort stehen ein paar kümmerliche Stängel mit Blättern, aber vor allem liegt dort der Müll, der in der Rinne keinen Platz mehr fand. Etliche mächtige Rohrleitungen führen hinüber, wo sich die Häuser türmen und der Gegenverkehr kriecht. Sie sind alle vergittert und mit Stacheln bewehrt. Trotzdem sind sie über und über mit Graffiti voll. Lula = Presidente kann ich entziffern. Mir wird schwindlig bei der Vorstellung, wie das da hingekommen ist.

Endlich merke ich, wie sich der Bus seinen Weg in eine Ausfahrt ertrotzt. Jenseits der Fahrbahn steht eine Reihe mehrstöckiger Bretterbuden, die sich an eine hohe Betonwand lehnen. Schwer zu glauben, dass dort wirklich Menschen wohnen. Ich sehe aber Wäsche hängen und Kinder herumlaufen. Nach weiteren verwirrenden Wendungen biegt der Bus in einen riesigen Busbahnhof ein. Ich steige aus und folge der Menge in eine riesige Halle voller hastender Menschen.

An einem Fressstand versorge ich mich. Damit stelle ich mich an einen Stehtisch, schlucke, kaue und sehe mich um. Nach einer Weile erkenne ich, dass die Reihen verglaster Schalter den verschiedenen Busgesellschaften gehören, die unterschiedliche Strecken bedienen.

Etwas später stehe ich vor einem Schalter und erstottere mir eine Karte nach Sorocaba. Die Angestellte erklärt mir geduldig die Angaben auf dem Fahrschein. Schließlich verstehe ich, dass der Bus um halb zwölf vom Bussteig vierzehn losfährt und drei Stunden später in Sorocaba ankommen soll. Noch eine Stunde also.