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Die großen Western
– 288 –

Die Rächerin

Nolan F. Ross

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-95979-809-9

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Trotz der frühen Morgenstunde waberte die Hitze schon über dem gelben texanischen Sand.

Der Reiter, der das Farmgehöft von seiner Südseite her erreicht hatte, stand in den Steigbügeln und warf einen Blick in den Hof. Da wurden seine schillernden smaragdfarbenen Augen plötzlich schmal wie Schießscharten. Das, was er da sah, elektrisierte ihn förmlich.

Drüben vor dem eingeschossigen Wohnhaus lagen zwei Menschen auf dem schmalen Vorbau. Ein Mann und eine Frau. Genauer gesagt: Die Frau lag mit dem Rücken am Boden. Blut lief aus Ihrem Mund. Der Mann hatte sich über sie gebeugt und riß eben eine blutige Klinge erneut hoch zum Stoß.

»He!«

Der Schrei dröhnte aus der Kehle des Ohioman.

Da wandte der andere den Kopf, warf sich aber sofort zur Seite, rollte förmlich vom Vorbau herunter und war verschwunden.

Der Reiter trieb seinen braunen Wallach mit einem Sporenstoß dicht an die Fenz heran, schwang sich hinüber und rannte vorwärts.

Da krachte ihm von der Hausecke her ein Schuß entgegen.

Er verspürte einen dumpfen Schlag am Schädel, torkelte zur Seite und sackte in sich zusammen.

Jack Farland wußte nicht, wie lange er dagelegen hatte, als er die Besinnung wiedererlangte. Über ihm flimmerte der azurfarbene Himmel, und die Hitze stand wie eine Glutwand in dem hufeisenförmigen Farmhof.

Es dauerte einige Sekunden, bis er sich auf das besann, was passiert war. Taumelnd richtete er sich auf, schwankte, mußte sich an der Schuppenwand stützen, torkelte wieder zwei Schritte zurück, prallte gegen die Schuppentür und spürte, wie es ihm warm von der Stirn über die linke Braue rann.

Mit dem Revolver in der linken Taust verließ er seinen Platz wieder und ging auf schwankenden Beinen vorwärts bis zur Verandaecke.

Reglos lag der Frauenkörper in einer Blutlache auf den staubigen Verandadielen.

Der Ohioman stolperte weiter an der Hausecke vorbei, und alles, was er sah, war eine Staubfahne, die weit drüben im Westen verschwand.

Er wandte sich um, mußte sich mehrmals an der Hauswand stützen und hatte die Veranda wieder erreicht, zog sich hinauf und bewegte sich auf allen vieren vorwärts auf den reglosen Körper der Frau zu. Als er in ihr Gesicht blickte, erschrak er.

Es war eine junge Frau von höchstens fünfundzwanzig Jahren. Ihr schwarzes, volles Haar war aufgelöst und lag wie ein Kranz um ihren blutenden Kopf. Die Augen waren weit geöffnet, und der verzweifelte Schmerz und die Todesangst schrie ihm aus ihnen entgegen. Auch den Mund hatte sie geöffnet, aber sie vermochte keinen Laut hervorzubringen. Nur ein qualvolles Röcheln drang über ihre Lippen.

Da beugte Jack sich tiefer über sie und flüsterte: »Verzweifeln Sie nicht, Madam, ich werde Ihnen helfen. Warten Sie einen Augenblick nur…«

Er wußte selbst, daß es leere Worte waren, die er da gesprochen hatte, aber das Mitleid hatte sie ihm entrissen.

Dieser Frau war nicht mehr zu helfen.

Aber er legte sie so auf die Seite, daß sie zumindest nicht an ihrem eigenen Blute ersticken mußte. Ihr Ende war ja ohnehin qualvoll genug.

»Warten Sie, ich komme gleich wieder«, sagte er, lief auf den Hof und stieß einen Pfiff aus.

Es dauerte nur wenige Sekunden, und vorn im halboffenstehenden Tor tauchte der braune Wallach des Ohioman auf.

Jack klatschte in die Hände und winkte dem Pferd, als wäre es ein Mensch.

Der Wallach trabte gehorsam heran. Jack rannte ihm entgegen, riß die Campflasche vom Karabinerhaken und kam damit zurück zur Veranda.

Er kniete sich neben die Frau, richtete sie behutsam auf, wischte ihr mit seinem eigenen Taschentuch das Blut aus dem rechten Mundwinkel und redete beruhigend auf sie ein.

»Machen Sie sich keine Sorgen, Madam, es ist nur halb so schlimm. Zunächst müssen Sie erst einmal hiervon einen Schluck nehmen. Das ist Whisky mit Wasser. Er wird Ihnen guttun. Nur Mut, es wird schon gehen.« Tatsächlich gelang es ihm, ihr zwei Schlucke einzuflößen.

»So. Und jetzt werden wir weitersehen.« Er sah, daß ihre weiße, mit grauen Biesen abgesetzte Bluse rechts über der Brust blutgetränkt war. Es gab eine andere Möglichkeit: Er mußte ihr die Bluse aufreißen. Und weil er keinen sauberen Stoff fand, riß er unten aus ihrem Kleidersaum einen langen Fetzen heraus, den er mit dem Whiskywasser tränkte, um die große Stichwunde wenigstens provisorisch zu reinigen. Dann riß er einen weiteren Kleiderstreifen heraus, der lang genug war, daß er die Wunde damit verbinden konnte.

»Keine Angst, Madam. Es geschieht Ihnen nichts, was nicht geschehen muß. Das Kleid bleibt auf jeden Fall oben, ich muß nur die Binde unter Ihrem Arm und um den Rücken herumlegen, damit sie auch gut hält. So, sehen Sie, da haben wir’s schon.«

Der Schweiß stand ihm in Hunderten glitzernder Perlen auf der Stirn, als er das geschafft hatte. Er schleppte die Frau ein Stück zurück und legte sie vorsichtig gegen die Hauswand, nahm den Hut ab und legte ihn ihr hinter den Kopf.

»Geduld, ich bin gleich wieder da. Ich will nur im Haus nachsehen, ob vielleicht da noch jemand Hilfe braucht.«

Da war ihm, als hätte die Frau den Kopf geschüttelt.

»Nicht? – Das heißt also, daß niemand mehr auf dem Hof ist?«

Wieder schien es ihm so, daß die Frau den Kopf hin und her bewegt hätte.

Thounds, dann ist also auch niemand hier, der weiterhelfen könnte!

Die Frau rührte sich nicht mehr.

Damned, dann haben wir also keine andere Chance, als sie rasch in die nächste Stadt zu bringen.

»Ich werde Sie nach… Clinton Town bringen«, preßte er heiser hervor.

Die Frau senkte die Augen. Sollte es eine Zustimmung sein, oder hatte die Ohnmacht sie angefallen? Oder… starb sie?

Er kniete rasch neben ihr nieder, legte seine Hände an ihr Gesicht und schrak jäh zurück, als sie die Augen plötzlich wieder weit aufriß.

»Ach, nichts… Ich hatte mich nur so erschreckt, weil ich dachte… Aber bitte, ich bringe Sie schon weg von hier. Haben Sie nur keine Angst.«

Hoffentlich hatte sie einen leichten Wagen hier und ein schnelles Pferd. Wenn nicht, dann mußte er sie mit seinem eigenen Pferd wegbringen.

Er sprang von der Veranda, rannte über den Hof und riß das Scheunentor auf.

Er hätte einen Jubelschrei ausstoßen mögen, als er den leichten vierräderigen Highlander vor sich stehen sah. Rasch zog er ihn in den Hof, brachte ihn vor die Veranda, lief dann zum Corral hinüber und sah, daß er leer war.

Auch im Stall war kein Pferd.

Er war also gezwungen, seinen Braunen zu nehmen.

»Schade«, sagte er, als er den Braunen vor die Deichsel schob, »ich hätte uns ein schnelleres Pferd dafür gewünscht, und vor allem ein besseres Zugpferd. Mein Brauner ist da nicht besonders geeignet. Aber machen Sie sich keine Sorgen, ich werde ihn schon in Schwung bringen. Er ist ein braver Bursche.«

Da war ihm, als ob die Frau die Lippen bewegte.

»Möchten Sie lieber hierbleiben?«, fragte er besorgt.

Sie schüttelte den Kopf.

»Dann wollen Sie mir vielleicht sagen, daß wir es anders machen sollten. Es ist vielleicht – ist vielleicht doch ein Pferd hier?«

Sie nickte.

»Gut, gut.«

Er hob die Hand und sah sich verzweifelt im Hof um. Zum Teufel, wo gab es denn hier noch einen Gaul? Er war im Stall gewesen, hatte in die Scheune geblickt, war im Corral – sollte sie etwa drüben in dem Schuppen ein Pferd untergebracht haben?

Er sprang wieder vom Vorbau, rannte über den Hof und zerrte die Schuppentür, an der er vorhin schon gestanden hatte, weiter auf.

Richtig! Ganz deutlich hörte er das leise Wiehern eines Pferdes.

Er tastete sich ein paar Schritte vorwärts, riß dann ein Zündholz an und sah hinten in der Ecke in einer Box ein Pferd stehen.

Als er sich ihm näherte, schlug das Tier plötzlich mit beiden Hufen hart aus.

»He, old Fellow, nicht so stürmisch! Spar deine Kraft, du wirst sie brauchen.«

Als Jack das sich wild aufbäumende Pferd losgemacht hatte und zum Hof führte, hätte er am liebsten ein zweites Mal einen Jubelschrei ausgestoßen. Das Tier, das er am Halfter führte, war ein hochgewachsener, langbeiniger Rappe von wundervoller Bauart.

Der ehemalige Horseman aus Ohio kannte sich mit Pferden aus. Er wußte sofort, daß er hier einen ausgezeichneten Renner vor sich hatte.

Wie kam ein solches Pferd auf einen so kleinen Farmhof?

Jack brachte es zum Wagen, und jetzt kam der spannende Augenblick: Würde sich der schwarze Hengst vor die Deichsel bringen lassen?

Nein! Prompt stieg der Hengst hoch, versuchte, den Mann, der ihn mit eiserner Kraft am Halfter hielt, loszuwerden, war kaum auf die Vorderhufe zurückgekommen, als er hinten beidfüßig ausschlug. Wer von einem solchen Schlag getroffen wurde, der war reif fürs Hospital, und wenn er am Kopf erwischt wurde, hatte er für dieses Leben ausgesorgt.

Aber der schwarze Hengst hatte Pech: Der Ohioman verstand sich darauf, auch das ungebärdigste Pferd in eine Deichsel zu bringen, und zwar so, daß es die Deichselholme nicht zerschlagen konnte. Er nahm vorsichtshalber zwei Säcke, die er hinten um die Deichsel wickelte, zurrte das Pferd eng an die Holme, und dann band er es vorsichtshalber an einem der Veranda­pfeiler fest.

»So, Junge, und jetzt bleib ja ruhig, sonst lernst du mich kennen.«

Er ging zur Veranda, blieb einen Moment stehen und sagte mit leiser Stimme: »Ich werde jetzt drinnen nachsehen, ob ich ein paar Decken oder so etwas finde.«

Er wartete die Zustimmung der Frau gar nicht erst ab, ging ins Haus und blieb in der Wohnstube stehen.

Wie sah es da aus! Alles, alles war umgeworfen. Die Stühle lagen am Boden, der Tisch, sogar das Sofa war umgestürzt. Die Schrankladen waren aufgerissen und die gläserne Vitrine zertrümmert.

Er blickte in den nächsten Raum. Es war die Küche. Dann stieß er die übernächste Tür auf und sah eine kleine Schlafkammer vor sich, aus der er mit einem raschen Griff das Bettzeug an sich raffte. Er brachte es hinaus, breitete es hinten auf dem Wagen aus, nahm dann die Frau hoch und trug sie zum Wagen.

»So, ich denke, jetzt liegen Sie verhältnismäßig weich. Warten Sie, ich muß noch irgend etwas finden, um die Sonne von Ihnen abzuhalten.«

Er lief wieder ins Haus zurück und fand schon im Korridor einen großen Schirm, den er hinausbrachte und hinten an der Lehne festband.

»So, Madam, ich denke, jetzt kann’s losgehen.«

Er nahm den braunen Wallach am Zügel und band ihn hinten am Wagen an.

Wieder gab es einen kitzligen Augen blick, nämlich, als er den schwarzen Hengst von der Veranda losmachte. Das Tier wollte sich sofort in die Stränge werfen, aber Jack stemmte sich in den Boden und zerrte die Zügel mit der Kandare hart zurück. Noch einmal und ein drittes Mal. Der Hengst mußte es schmerzlich spüren.

»So, Boy, ich denke, du weißt Bescheid, wer hier der Boß ist.«

Danach stieg er auf den Bock und nahm die Zügelleine hoch.

»Go on!«

Der Hengst schoß davon, aber Farland, der beide Füße gegen das Stiefelbrett gestemmt hatte, riß die Leine immer wieder beidseitig abwechselnd zurück, so daß der Hengst den Druck in der Kandare schmerzhaft spüren mußte. Dennoch war das bockige Tier eine ganze Weile widerspenstig. Als sie den Hof verlassen hatten, ließ Jack die Zügel etwas lockerer, so daß das Tier leichter laufen konnte. In scharfem Trab ging es nordwestwärts.

Schon nach zwei Meilen hatte Farland die Overlandstreet erreicht, von der er selbst weiter südlich gekommen war. Er war also in der richtigen Richtung.

Immer wieder blickte er zurück und überzeugte sich davon, daß die unglückliche Frau gut lag und daß ihr Gesicht unter dem Schirm war. Es ließ sich zwar nicht immer einrichten, da die Landstraße windungsreich war.

Wenn nur bald die Stadt auftauchen wollte, hämmerte es in seinem Hirn.

Er hatte sicher schon mehr als drei Meilen hinter sich gebracht, als er wieder einmal einen Blick zurückwarf und jäh erschrak.

Der Kopf der Frau war zur Seite gerutscht. Ihr Mund lag an ihrer linken Schulter und hatte die Bluse da blutig gefärbt. Fahle Blässe bedeckte ihr Gesicht.

Mit aller Kraft stemmte sich der Cowboy aus Ohio gegen das Stiefelbrett, zerrte die Leine zurück und wickelte sie mehrmals um den Bremshebel. Dann wandte er sich um, stieg über den Kutschbock und kniete auf der Pritsche neben der Frau nieder.

»Madam«, preßte er heiser hervor, »Sie dürfen jetzt auf keinen Fall schlappmachen. Wir haben es doch bald geschafft, Madam.«

Er richtete sie etwas auf, schob ihr die beiden Kissen in den Rücken und starrte verzweifelt in ihr blaßgrün gewordenes Gesicht.

Als ahnte er, daß seine Herrin ihre schwerste Minute durchlebte, hielt der schwarze Hengst still, wie eine Statue stand er, vom gelben Flugsand gepudert, auf dem grünen Büffelgras, das in der Mitte der Zwillingsspur der Straße wucherte.

Jack hatte die rechte Hand der Frau gefaßt, umspannte sie mit beiden Händen, nahm dann seine Linke an ihr Gesicht und tätschelte unbeholfen ihre Wange.

Da schlug sie zu seiner grenzenlosen Freude die Augenlider plötzlich wieder auf.

Sie wollte etwas sagen, aber Jack legte ihr behutsam die Finger auf den Mund.

»Sie dürfen jetzt nicht sprechen. Ich hatte nur mal nach Ihnen gesehen, weil… Sie müssen mir versprechen, daß Sie nicht schlappmachen. Wollen Sie mir das versprechen?«

Wie aus weiter Ferne kam der Blick der Frau zurück und schien durch den Mann hindurchzugehen. Ganz langsam nickte sie.

»Das ist fein. Also kann’s weitergehen.«

Als er die Zügelleinen wieder gelöst hatte, schien ihm der Hengst plötzlich einen Streich spielen zu wollen. Er trottete nur noch langsam und bockig vorwärts, und als Jack ihn mit einem Zügelschlag in eine raschere Gangart bringen wollte, schlug er tatsächlich aus, und zwar so hoch, daß er das Bodenbrett unterm Kutschbock traf.

Da zog Jack die Peitsche, die links im Eisengriff steckte, heraus und ließ sie einmal scharf und klatschend durch die Luft hoch über dem Rücken des Pferdes knallen.

Da spielten die schwarzen Ohren des Hengstes zurück, und mit einem hellen Wiehern schoß er vorwärts. Jack ließ ihn in scharfem Trab weiterlaufen.

Wenn doch nur die Stadt kommen wollte!

Die Straße hatte eine scharfe Windung nach Westen hinüber gemacht und stieg hinter einem gewaltigen Kaktusfeld sanft an.

Vielleicht hinter dem Hügel da oben, machte er sich selbst immer wieder Mut, vielleicht hinter der nächsten Biegung, hinter der nächsten Turm-Kaktee muß sich mir der Blick auf die Stadt öffnen.

Aber als er schon eine Dreiviertelstunde auf dem Kutschbock saß und immer noch nichts von der Stadt zu sehen war, packte ihn die Verzweiflung.

Ich fahre in die falsche Richtung, dachte er. Aber wie ist denn das möglich? Ich kam doch vom Süden, und der Trader sprach von Nordwesten. Ich bin doch genau auf dem Kurs nach Nordwesten. Oder sollte es vielleicht eine zweite Straße geben, die dahin führt? Wohin führte dann diese Straße?