„Ich werde dich unendlich doll vermissen!“, jaulte meine beste Freundin unter starkem Alkoholeinfluss.
„Jaja“, murmelte ich, verkniff mir einen spitzen Kommentar, als ich sah wie, ihr Blick zu meinem Freund wanderte. Gierig zog sie ihn mit ihren Augen aus und ließ mich nur völlig entnervt die Augen verdrehen. Ich drehte meinen Kopf leicht zur Seite damit, ich mir nicht ausmalte, was die beiden anstellen würden wenn ich weg war.
„Hey Ann. Können wir reden?“, hörte ich eine vertraute Stimme neben meinem Ohr. Kurz wendete ich meine müden Augen auf die hübsche Person mit der Igelfrisur. Mein Freund sah gut aus und seine nussbraunen Augen sahen mich erwartungsvoll an. Mit einem leisen Seufzer stand ich von dem Barhocker auf und folgte dem Muskelpaket nach draußen. Ich wusste, dass ich zuviel getrunken hatte, denn mein Blick war getrübt und die Musik dröhnte unnormal laut in meinen Ohren.
Bevor ich richtig wahrgenommen hatte wo ich war, traf mich die frische Luft wie eiskaltes Wasser. Schlagartig war ich wieder wach, merkte meinen Alkoholkonsum stärker als mir lieb war. Der Bodybuilder lief weiter und achtet nicht darauf, ob ich hinter her kam.
Arschloch!
Mit einer leichten Wut im Magen torkelte ich dem hübschen Hintern hinter her. Ich kam mir dabei vor wie ein sabbernder Hund. Lässig lehnte die Kante sich gegen eine Laterne, wartete bis ich ihn auf meinen unbequemen Absatzschuhen erreicht hatte. Ab und zu knickte ich bedrohlich zur Seite und konnte mich gerade so noch fangen. Er sah das, machte aber nichts. Wie immer.
„Was?“, lallte ich und wusste, dass es kein nettes Gespräch werden würde.
„Hör zu Ann, nimm das nicht persönlich was jetzt kommt. Es hat nichts mit dir zu tun, es ist nur diese Entfernung“, sagte er, nahm dabei meine Hand und fuhr mit dem Daumen die Konturen nach.
„Ich denke nur, dass ich eine Beziehung über diese Entfernung nicht aufrechterhalten kann.“
Ein Stich durchfuhr mein Herz und selbst der Alkohol konnte dieses fiese Gefühl nicht verhindern.
„Wieso habe ich mit so was bloß gerechnet?“, entfuhr es mir ironisch, während ich nun unsere ineinander verschränkten Hände betrachtete.
„Komm schon Ann. Das kannst du mir nicht übel nehmen“, hörte ich ihn sagen.
„Schon gut. Ich wünsch dir viel Spaß mit Natalie.“ Die Worte spuckte ich regelrecht aus und entzog dem Schönling ruckartig meine Hand. Bevor er ein weiteres Wort sagen konnte, drehte ich mich um und lief auf die ausgestorbene Straße zu, die sich am Ende der Gasse befand. Einen Blick zurück würde ich nicht ertragen. Nicht mit diesem Alkoholpegel im Blut. Ich wusste genau, dass er mir nicht nachlaufen würde. Für Cole war ich nie mehr als eine Spielpuppe gewesen. Austauschbar. Ich wusste das die ganze Zeit und trotzdem hatte ich mich drauf eingelassen. Nicht das Intelligenteste, das war mir bewusst.
Leise fluchend trat ich eine Blechdose die auf dem Bürgersteig lag beiseite und verlor fast mein Gleichgewicht. Ich war mir sicher, dass Cole jetzt mit Natalie rummachte. Auch wenn beide immer abstritten, dass sie sich attraktiv fanden wusste ich genau, dass es nicht stimmt. Ich kannte beide. Und die hatten gerne ihren Spaß. Eine weitere Bestätigung meiner Theorie waren die Blicke gewesen, die sie sich gegenseitig schenkten.
Schnaubend blieb ich vor einem Schaufenster stehen und betrachtete mein Spiegelbild nachdenklich. Meine rote, kurze Bobfrisur war zerstört und auch mein grünes Kleid war verrutscht. Die löchrige Strumpfhose hat ungewollt noch mehr Löcher bekommen und meine roten Lackpumps waren voll mit Bier. Nur mein überdimensionaler Schmuck war heil geblieben.
Ich strich mir eine Strähne aus meinem schmalen Gesicht, sah, dass die Lippen zu einem freudlosen Lächeln verzogen waren. Meine Augen waren glasig und zeugten von meiner Unzurechnungsfähigkeit. Im Licht der Straßenlaterne wirkte meine Haut fast käsig. Ich war angepisst von mir selber. Kein Wunder, dass mich kein normaler Typ wollte. Ich war ein Freak. Ich wendete mich von meinem getrübten Spiegelbild ab und machte mich auf dem Heimweg.
In keinen vierundzwanzig Stunden würde ich New York verlassen haben. Ebenso meine Freunde und meinen Vater. Wenn man einen Mann, der sich nicht für einen interessiert, als Vater und Natalie, die sich an meinen Freund (wenn auch jetzt Ex-Freund) ranmachte, als Freundin bezeichnen konnte. Mal abgesehen von Grace war das der einzige Mensch, den ich noch als Freund bezeichnen konnte.
Vor mir lag das letzte Jahr Highschool. Das würde ich in einem kleinen Kaff verbringen. Dort hatte meine Mutter nämlich ohne mein Einverständnis eine Wohnung gemietet. Direkt über der eines alten Schulfreundes. Ich war froh, dass ich von meinem Vater weg kam. Er war ein Idiot, der mit dem Zerstören anderer Firmen Geld macht. Einen Profithai nannten ihn viele. Ich auch. Das einzige Problem, was ich mit der ganzen Aktion meiner Mutter hatte, war, dass sie es gemacht hatte ohne mich zu fragen. Denn ich hasste es, wenn jemand über mich hinweg entschied.
Gelangweilt blickte ich aus dem Fenster des fahrenden Autos und versuchte mich damit abzufinden, dass ich New York für eine lange Zeit nicht wieder sehen würde. Schon jetzt vermisste ich den widerlichen Großstadt-Smog! Nein, ehrlich gesagt vermisste ich ihn nicht. Und leider konnte ich auch nicht behaupten, dass ich meine Freunde vermisste. Ich hatte keine. Grace war mit ihrem Job beschäftigt und Natalie war nur mit mir befreundet gewesen, weil wir uns seit dem Kindergarten kannten. Ansonsten hing sie mit ihren coolen Cheerleaderinnen ab. Diese Hinterhältigkeit, die bei dieser Gesellschaftsgruppe fast schon angeboren war, trieb mich immer wieder in den Wahnsinn. Zu meinem Leidwesen musste ich gestehen, dass ich ebenfalls für lange Zeit zu dieser Sorte Mensch gehört hatte.
„Alles in Ordnung, Ann Schätzchen?“, hörte ich meine Mutter sanft fragen, nachdem ich tief aufgeseufzt hatte.
„Alles super“, grummelte ich und würdigte sie keinen Blickes. Stattdessen betrachtete ich die Landschaft, die endlos zu sein schien. Es erinnerte mich ein wenig an Wüste, wenn ich diese unbewohnten Weiten sah. Auch wenn diese nicht so trocken war.
„Es tut mir Leid“, hörte ich meine Mutter leise flüstern. Ich atmete tief aus, wusste, dass ich gegen ihre traurigen Augen keine Chance hatte. Langsam wandte ich mich ihr zu und strich mir eine Strähne hinters Ohr. Als ich meine Mutter erblickte, wurde es mir wieder schwer ums Herz. Ihre aschblonden, langen Haare fielen glatt und nur das bunte Tuch, welches mit Blumen verziert war, erweckte den Eindruck dass sie fröhlich war. Doch ich kannte sie und mich konnte diese bunte, ausgefallene Kleidung, die sie trug, nicht täuschen. Nein, ich sah den Schmerz und die Traurigkeit in ihren grünen Augen.
„Ist schon gut. Ich fand es nur nicht toll, dass du über meinen Kopf hinweg entschieden hast“, erklärte ich sanft. Eine kleine Träne rollte die Wange meiner Mutter herunter, die sie schnell mit dem Handrücken wegwischte.
„Ich weiß, dass es nicht richtig von mir war. Und ich hoffe, du verzeihst mir“, fuhr sie theatralisch fort.
„Es war kein Kapitalverbrechen!“, stöhnte ich genervt, verdrehte meine Augen. Künstler konnten einen mit ihrer Dramatik wirklich in den Wahnsinn treiben! Ich sah, dass sie mir einen fragenden, leidenden Blick von der Seite zuwarf.
„Ich verzeihe dir ja!“, lachte ich lauthals los, weil ich diesen lächerlichen Anblick nicht länger ertragen konnte.
„Damit hatte ich gerechnet!“, stimmte sie in das Lachen ein und widmete sich wieder der verlassenen Straße. Kopfschüttelnd betrachtete ich einen kurzen Moment meine verrückte Erzeugerin, ehe ich mir meinen Kopfhörer nahm und in der Musik versank.
„Was sagst du?“, hörte ich meine Mutter sagen, als sie am Straßenrand vor einem großen Gebäude hielt.
„Es ist….interessant“, antwortete ich zögerlich und starrte aus dem Fenster auf die heruntergekommene Fabrikhalle. Soweit ich meine Mom richtig verstanden hatte, hatte ein Architekt die Fabrik vor Jahren zu einem Mehrfamilienhaus umgebaut. Das eben dies vor Jahren geschehen war, sah man dem Haus an. Trotzdem wirkte es relativ einladend. Ich wollte mich gerade abschnallen, als ich hörte, wie meine Mutter sich räusperte. Schlagartig hielt ich inne und mein Kopf flog hoch. Dieses Räuspern kannte ich nur zu gut und bis jetzt hatte es nie was Gutes verheißen.
„Was?“, fragte ich argwöhnisch, suchte in dem Blick meiner Mutter nach Antworten. Und dann sah ich es. Sie knabberte auf ihrer Unterlippe! Mein Herzschlag beschleunigte sich ungewollt. Das letzte Mal, als sie sich erst geräuspert und anschließend auf die Lippe gebissen hatte, war, als mein Fisch, mein bester Freund, gestorben war. Für mich war damals die Welt untergegangen.
„Es gibt da etwas, was ich dir noch sagen muss“, sagte sie, nahm meine Hände in ihre und lächelte mich zaghaft an. Das wurde immer schlimmer!
„Ja?“, hakte ich vorsichtig nach, versuchte diesen liebevollen Blick der grünen Augen zu ignorieren.
„Die Wohnung, die ich gemietet habe ist leider noch nicht vollständig renoviert.“
„Dann schlafen wir halt auf Matratzen“, antwortete ich schulterzuckend und war schon erleichtert, dass es nichts Schlimmeres war, doch zu meinem Bedauern machte sich ein schuldbewusster Ausdruck auf ihrem Gesicht breit.
„Mom..?“, fragte ich mahnend und blickte sie bedrohlich an.
„Wir können frühestens in drei Wochen in die Wohnung.“
„Wir schlafen im Auto?!“, spuckte ich empört aus, doch sie schüttelte nur leicht den Kopf.
„Du weißt, dass mein alter Schulfreund George ebenfalls in diesem Haus wohnt. Und er hat mir angeboten, dass wir vorerst bei ihm unterkommen“, erklärte sie langsam.
Noch hörte ich nichts Schlimmes, doch ich ahnte, dass noch etwas folgen würde, also schwieg ich.
„Ich werde in dem Bett mit meinem besten Freund schlafen, während du bei seinem Sohn im Zimmer auf der Couch schlafen kannst.“
Ungläubig starrte ich meine Mutter an. Nur langsam realisierte ich ihre Worte und doch fehlte noch etwas. Denn das war noch nicht so gravierend, dass sie solche Schuldgefühle hatte.
„Ich schlafe in einem Zimmer mit einem fremden Typen?“, stellte ich monoton fest.
„Wo ist der Haken und wieso kann ich nicht auf einer Couch im Wohnzimmer schlafen?“, fügte ich nach einem kurzen Moment des Überlegens hinzu.
„Die Couch im Wohnzimmer ist zu klein und ich will nicht, dass du dir den Rücken kaputt machst“, sagte sie gewollt streng. Dann wurde ihre Miene sanfter, Falten bildeten sich auf ihrer Stirn. Sie dachte nach.
„Er ist nicht ganz einfach“, erklärte meine Mutter lässig.
Zu lässig. Das passte nicht zu den Falten, die sie jetzt im Gesicht hatte.
„Was meinst du mit nicht ganz einfach?“, bohrte ich nach.
„George kommt nicht so gut mit ihm aus und er wurde schon mit Drogen erwischt. Er ist ein kleiner Draufgänger. Mehr nicht“, winkte sie locker ab, ließ mich sprachlos werden.
„Du steckst mich in ein Zimmer mit einem Drogendealer?“, fragte ich ungläubig. Sie spitze die Lippen, suchte an der Decke nach etwas, ehe sie langsam anfing zu nicken.
„Du bist echt unglaublich. Andere Mütter würden ihre Töchter von solchen Jungs fernhalten. Und du steckst mich freiwillig mit so einem in ein Zimmer“, murmelte ich vor mich hin, sah den entschuldigenden Blick.
„Noch irgendetwas was ich wissen sollte, bevor ich mich zu meinem Drogenboss geselle?“, fragte ich ironisch und schnallte mich ab um auszusteigen.
„Er ist ein Arschloch. Und ich kenne deine Schwäche für diese Art von Mann. Also halt dich bitte von ihm fern“, ertönte es neben mir. Fassungslos blickte ich sie an.
„Mom!“, rief ich empört, woraufhin sie abwehrend ihre Hände hob.
„Ich wollte es dir nur sagen“, rechtfertigte sie sich, löste ihren Gurt und stieg aus. Ich bewegte mich kein Stück, starrte meine Mutter an, die seelenruhig ihren Koffer aus dem Kofferraum nahm. Sie steckte mich tatsächlich mit einem Dealer in ein Zimmer und ermahnte mich, dass ich nichts mit ihm anfangen sollte.
„Künstler“, grummelte ich, immer noch geschockt von dem Verhalten meiner Erzeugerin, und stieg ebenfalls aus.
Ein wenig skeptisch stand ich neben meiner Mutter vor der Haustür ihres Schulfreundes. Mein Blick glitt durch das heruntergekommene Treppenhaus, das mich persönlich an einen Rohbau erinnerte, mit den Betontreppen und rostigen Treppengeländern. Trotzdem hatte es irgendwie Stil. Ich wandte mich der Tür zu, die geöffnet wurde und betrachtete neugierig den älteren Herren mit hohem Haaransatz. Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht und bevor meine Mutter oder ich ein Wort sagen konnten, hatte er die aschblonde Künstlerin neben mir in die Arme geschlossen.
„Es ist so schön dich zu sehen, Esmeralda!“ hörte ich ihn ausrufen, während er meine Mutter wie eine Anakonda zerquetschte.
„Du musst die bezaubernde Ann sein“, sagte er mit dem Ausdruck eines Honigkuchenpferdes auf dem Gesicht an mich gewandt, während meine Mutter um ihr Leben kämpfte. Stumm nickte ich, konnte mir einen ironischen Kommentar gerade noch so verkneifen. Ich reichte ihm meine Hand, die er mit seiner Pranke fest umschloss und wie einen Cocktail durchschüttelte.
„Kommt doch bitte rein“, meinte er freundlich, als er meine Hand losließ und uns die Tür aufhielt. Ich schüttelte meine Hand, die schmerzte, als hätte sich ein zweihundert Pfund schwerer Kerl drauf gesetzt und versuchte meinen Gesichtsausdruck von Schmerzhaft zu Angenervt zu wechseln. Doch irgendwie blieb der schmerzhafte Ausdruck einen Moment länger, als ich gehofft hatte. Blöde Anakonda.
Also folgte ich den beiden Erwachsenen etwas miesslaunig in die Wohnung und wedelte immer noch mit meiner Hand, während ich mit der anderen meinen Koffer trug. Eine warme Atmosphäre lag in der Luft, beruhigte mich. Schwere Holzmöbel, die mich an Einzelstücke erinnerten, standen im Kontrast zu den warmen, hellen Tönen an der Wand. Die Künstlerin war mit der Anakonda in ein Gespräch verwickelt und ich existierte nicht. Sie schwebten in der Vergangenheit, verloren sich in vergangenen Tagen. Ich räusperte mich kurz, erweckte damit die Aufmerksamkeit meiner Mutter. Mit hochgezogenen Augenbrauen deutete ich auf meinen schweren Koffer.
„Oh, George, könntest du Ann sagen, wo sie ihren Koffer hinbringen kann?“, wandte meine Mutter sich an den schlaksig wirkenden Mann. Dass er keineswegs so schwach war wie er wirkte, hatte meine Hand zu spüren bekommen.
„Natürlich. Den Flur um die Ecke gehen und dann die letzte Tür“, erklärte er mit einem Lächeln. Ich nickte und quetschte mich inklusive meines Gepäcks an den beiden Menschen vorbei, die ich für mich persönlich schon für verrückt erklärt hatte. Bei meiner Mutter war das nichts Neues, aber dass ihr schwuler Schulfreund genauso durchgeknallt war wie sie, hätte ich nicht gedacht. Allerdings hätte es mich auch gewundert, wenn meine Mutter mit jemand Normalem verkehrt hätte. Also schlurfte ich ein wenig demotiviert den Flur entlang. Ich bog um die Ecke und erblickte am Ende des Ganges eine Zimmertür, an der ein Plakat mit Schimpfwörtern klebte.
Was tust du mir bloß an, Mutter, dachte ich theatralisch und konnte einen kleinen Seufzer nicht unterdrücken. Mutlos trat ich auf die Tür zu und klopfte an diese. Ich wartete, doch es kam keine Reaktion, sodass ich erneut um Einlass bat. Als nach einer weiteren, gefühlten Ewigkeit immer noch keine Antwort kam, öffnete ich einfach die Tür.
Geschockt von dem Chaos das ich erblickte, blieb ich regungslos im Türrahmen stehen. Meine Mutter war nun wirklich schon chaotisch, aber das was ich hier erblickte, stellte alles Dagewesene in den Schatten. Die Regale waren zugestellt mit alten Flaschen und Klamotten flogen in jeder erdenklichen Ecke des Zimmers rum. Leicht angewidert betrachtete ich die alten Socken und den vollen Aschenbecher, der auf einem kleinen Tisch in der Ecke stand. Dann fiel mein Blick auf das Bett, auf dem eine Person lag. Ich räusperte mich, denn ich wollte keineswegs einen schlechten Eindruck machen. Doch derjenige gab keine Reaktion von sich. Lebte es überhaupt noch?
„Hallo?“, hörte ich mich zaghaft fragen. Plötzlich bewegte das Etwas sich und stand auf. Ein großer junger Mann erhob sich langsam vom Bett. Sein schwarzes T-Shirt passte perfekt zu diesen nachtschwarzen Haaren. Augen, die mich an blaue Eiskristalle erinnerten, starrten mich wütend an. Der Mann griff nach seinem Skateboard, das neben dem Bett stand und der schwarzen Lederjacke, die an einem kleinen Haken, der neben der Tür angebracht war, hing. Ein gutaussehender, verdammt durchtrainierter und wirklich angsteinflößender Kerl stand mir gegenüber und schien nicht besonders erfreut über mein Kommen zu sein. Dabei kannte ich ihn überhaupt nicht!
„Solange du mit mir in einem Zimmer pennen musst, wirst du nichts anfassen, aufräumen oder anschauen. Wenn ich sage verpiss dich, verpisst du dich. Es ist mir egal wer du bist, was du tust und was du willst, also kümmere dich auch nicht um meinen Kram“, zischte er. Verdattert starrte ich den bösen Adonis vor mir an. Bevor ich jedoch fragen konnte, für wen er sich eigentlich hielt, hatte er sich an mir vorbeigedrängt. Die Zimmertür wurde zugeknallt und ich blieb alleine in dem chaotischen Zimmer zurück. Soviel zum Thema keinen schlechten Eindruck machen.
Ein wenig sehnsüchtig betrachtete ich mein zukünftiges Zimmer, das sich leider noch im Rohbauzustand befand. Die Wohnung war groß und wir hatten einen kleinen Keller, den meine Mutter als Atelier nutzen konnte. Große Fenster ließen die noch sommerlichen Sonnenstrahlen in die Wohnung fallen. Der Staub, der bei meinen Schritten aufgewirbelt wurde, leuchtete in dem Licht.
„Es ist schön“, sagte ich zu meiner Mutter, die ungeduldig neben mir stand.
„Es gefällt dir?“, fragte sie zögerlich nach, hatte ihre Hände vor Aufregung immer noch verschränkt.
„Ja“, stellte ich mit einem leicht erzwungenen Lächeln fest und riss meinen Blick von dem tanzenden Staub.
„Oh Schätzchen!“, rief sie erleichtert aus und schloss mich in eine feste Umarmung, die mich an die Anakonda namens George erinnerte.
„Ist gut Mom“, brachte ich atemlos hervor und versuchte die blonden langen Strähnen, die mir ins Gesicht fielen und mich kitzelten, wegzupusten.
„Pass auf, dass du Ann nicht erdrosselst“, hörte ich George hinter meiner Mutter kichern. Zu meiner Erleichterung wirkten seine Worte und sie löste sich ein Stück von mir. Ich betrachtete den Schwulen in seiner Arbeitskleidung, der einen Eimer Farbe trug. Ein breites Grinsen zierte sein eigentlich schmales Gesicht und wirkte ansteckend auf die Künstlerin.
„Hast du Lust mit zu streichen?“, fragte George, legte seinen Kopf leicht schräg sodass seine Zottelhaare zur Seite fielen.
„Klar. Ich ziehe mich nur schnell um“, erwiderte ich und machte mich auf den Weg zu meiner derzeitigen Unterkunft.
Das Treppenhaus wirkte immer noch heruntergekommen und stand völlig im Kontrast zu den neuen Wohnungen, die sich in dieser alten Fabrikhalle befanden. Ich schritt über die kaputten Fliesen, die die Treppe zierten, als in meiner Hosentasche mein Handy vibrierte. Ein kurzer Blick auf den Display verriet mir, dass es Natalie war. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer, da sie sich wirklich meldete. Also war ich ihr trotz der Entfernung nicht unwichtig. Hatte ich mich geirrt, was unsere Freundschaft anbelangte? Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen als ich abnahm und die vertraute, hohe Stimme meiner sogenannten besten Freundin hörte.
„Hey!“, freute ich mich in den Telefonhörer.
„Man Ann ich vermisse dich voll!“, schmollte sie.
„Ich vermiss dich auch. Und New York erst! Du kannst dir nicht vorstellen was das für ein Kaff ist!“, fing ich an mich auszulassen und lehnte mich gegen das rostige Treppengeländer. Das ich New York eigentlich, tief in meinem Inneren nicht vermisste, musste ich ihr ja nicht erzählen. So konnte ich wenigstens behaupten, dass ich eine Freundin in New York hatte. Grace trieb sich irgendwo in der Weltgeschichte rum und war vorerst beschäftigt.
„Ist es wirklich so schlimm?“
„Es ist schlimmer“, seufzte ich, verschwieg ihr vorerst meinen wundervollen Zimmerkollegen, dessen Namen ich nicht kannte.
„Ich würde außerhalb New York nicht überleben können.“
„Ich hoffe, ich schaffe es“, sagte ich leicht verzweifelt, als ich plötzlich eine Stimme im Hintergrund hörte.
„Natalie?“, fragte ich, als ein leises Stimmengewirr am Ende der Leitung ausbrach.
„Hallo?“, wiederholte ich nach einigen Sekunden. Das hohe Kichern meiner Freundin und zweideutige Sätze drangen an mein Ohr. Also hatte sie gestern, nachdem ich gegangen war, wieder jemanden abgeschleppt. Ungläubig schüttelte ich meinen Kopf und betrachtete eine Spinne, die sich in einer Ecke ein Netz baute.
„Leg doch auf und lass uns böse Dinge machen“, ertönte es aus meinem Handy und ich erstarrte. Diese Stimme kannte ich. Diese Art der Verführung und erst recht diese Überredungskünste. Auch wenn ich nur zwei Monate mit ihm zusammen war.
„Cole?!“, brachte ich verwirrt hervor, sah den Bodybuilder vor meinem inneren Auge. Augenblicklich verstummten die Stimmen, ließen mich Böses erahnen.
„Hör zu Ann. Deswegen habe ich dich angerufen“, sagte die hohe Stimme von Natalie zögerlich.
„Nachdem du gestern weg warst, da hat es auf einmal zwischen mir und Cole gefunkt“, fuhr sie fort.
„Das ist echt eine Glanzleistung. Ich bin keine vierundzwanzig Stunden weg und schon hast du dir meinen Freund geschnappt. Echt gigantisch, Natalie“, sagte ich abfällig, konnte nicht glauben, dass es so schnell gegangen war. Das war es dann wohl doch gewesen mit der Freundschaft.
„Ihr seid doch gar nicht mehr zusammen! Du bist Hunderte von Kilometern weg!“
„Es geht ums Prinzip! Ich habe nie was mit einem deiner Typen angefangen!“, keifte ich wütend zurück.
„Meine Typen wollten auch nie was von so einem Freak wie dir! Schau dich doch mal an! Jeder hat mich gefragt, wieso ich mit so jemandem wie dir abhänge. Vor allem nach dem was du geleistet hast! Ich bin eine Cheerleaderin! Ich bin was besseres als du!“, schrie sie wütend durchs Telefon. Ich ignorierte ihre fiese Anspielung auf Vergangenes, die unter die Gürtellinie ging.
„Jetzt hast du mich nicht mehr am Hals. Viel Spaß mit deinen kleinen Pompons Nutten und dem Monster von Frankenstein“, sagte ich tonlos und legte auf. Ich starrte mein Handy an, hoffte für einen kurzen Moment, dass sie mich zurückrufen würde, doch ich wusste, dass sie das nicht tun würde. Daraufhin verspürte ich diesen unglaublich verführerischen Drang, mein Kommunikationsmittel gegen die Wand zu schleudern, zu sehen wie es in tausend Stücke zerbrach. Leider hatte mich dieses kleine Elektroteil zuviel Geld gekostet, als das ich es wegen einer hirnlosen Schaufensterpuppe oder einem idiotischen Neandertaler zerstören würde.
Schnaubend betrat ich die Wohnung, versuchte mich abzureagieren. Ich redete mir ein, dass ich was Besseres verdient hatte, als solche Trottel. Nur war das Problem, dass mich keiner wollte. Denn wer wollte schon etwas mit einem Freak zutun haben? Ich seufzte kurz auf, hörte das Holz unter meinen Füßen knirschen. Innerlich brodelte es und ich wusste, dass ich beim Streichen meinen Frust rauslassen musste. Andernfalls würde ich ziemlich unfreundlich zu meiner gesamten Umwelt sein. Meistens hatte das für mich Konsequenzen, die oft ziemlich unschön waren.
Genervt öffnete ich die Zimmertür und erblickte einen Haufen Jungs, die mich neugierig anstarrten und am Rauchen waren. Ich hatte also mal wieder das perfekte Timing. Wortlos betrat ich das Nebelzimmer, wollte an meine Tasche, vor der sich ein Typ breit gemacht hatte, der mich an einen Bodybuilder erinnerte. Cole. Das war gar nicht gut für mich und die anwesenden Personen. Ich setzte mein bestgekünsteltes Lächeln auf und versuchte meine Stimme so nett wie möglich klingen zu lassen.
„Könnte ich bitte einmal an meine Tasche?“ Die grauen Augen, die leicht grün schimmerten, musterten mich von oben bis unten, ließen mein Lächeln immer krampfhafter werden. Das etwas längere blonde Haar von dem Riesen fiel ihm leicht ins kantige Gesicht, auf dem sich ganz langsam ein süffisantes Grinsen breit machte.
„Das ist die Kleine, die bei dir pennt?“, fragte er jemanden hinter mir, ohne mich zu beachten.
„Die ist heiß, auch wenn ein wenig verrückt aussieht“, hörte ich jemanden sagen. Langsam drehte ich mich um, erblickte einen durchtrainierten Jungen mit braun-schwarzen Haaren, die er unter einer roten Cappy versteckte. Mein Geduldsfaden war am Reißen. Stück für Stück lösten sich die einzelnen kleinen Fäden.
„Ich würde sie auch nicht von der Bettkante schmeißen“, fügte ein kleiner, schlaksiger Typ mit Brille hinzu und zog an seiner Zigarette, während er mich lüstern betrachtete, obwohl er ziemlich schüchtern wirkte. Vielleicht spornten seine Kameraden ihn an?
„Sie ist ganz okay“, fügte nun Mr. Unbekannt hinzu, lehnte sich zurück und blies den Rauch der Zigarette genau in meine Richtung. Ein Funkeln von Überlegenheit und Belustigung war in seinen Augen zu sehen, ließ mich erbeben vor Wut. Meine Maske fiel und ein unfreundlicher Ausdruck trat auf mein Gesicht. Ich drehte mich zu dem großen Blonden, der mich immer noch abschätzig betrachtete.
„Beweg deinen fetten Arsch da weg, sonst muss ich dir deine langen Haare abschneiden, Rapunzel“, keifte ich den Typen an, der mich an Cole erinnerte. Ich sah, wie er seine Augenbrauen hochzog und mich ungläubig anschaute. Eine ungewohnte Stille breitete sich in dem Raum aus. Ganz langsam erhob sich der Riese und ich musste mir eingestehen, dass ich ihn mir nicht so groß vorgestellt hatte. Er stand vor mir, ungefähr drei Köpfe größer als ich, und blickte mich kritisch an. Diesen Blick erwiderte ich mit zusammengekniffenen Augen. Ohne den Augenkontakt zu brechen, trat Rapunzel zur Seite und ließ mich an meine Tasche. Mir fielen eine Milliarden Schimpfwörter für diese Kerle ein, die immer noch schwiegen und sich wahrscheinlich amüsierten.
„Hast du ihn gerade Rapunzel genannt?“, durchbrach der mit der roten Cappy die Stille, in der ich nach meinen alten Klamotten gesucht hatte. Schnaubend stoppte ich meinen Suchvorgang, wendete mich dem zu, der das Wort ergriffen hatte.
„Hast du ein Problem damit, Rotkäppchen?!“, fuhr ich den Möchtegern an.
„Rotkäppchen?“, kicherte der Schlaksige mit der spitzen Nase.
„Halt die Klappe, Rumpelstilzchen“, wandte ich mich an den Kleinen, der ein wenig irritiert aussah.
„Bist du noch ganz dicht!?“, ertönte es plötzlich von dem Arschloch, mit dem ich so eine wundervolle Begegnung gehabt hatte. Ja, das war Ironie.
„Ob ich noch ganz dicht bin?!“, wiederholte ich rhetorisch und blickte den Jungen mit den schwarzen Haaren, die einen kleinen Blaustich hatten, an. Erneut versuchten die Eiskristalle, die seine Augen waren, mich zu Boden zu bringen, doch diesmal war ich nicht auf den Mund gefallen. Ich war stocksauer auf meinen Ex-Freund und meine Ex-beste Freundin. Heute konnte mich, wahrscheinlich zu meinem Bedauern, niemand aufhalten.
„Hör mal zu, Froschkönig. Nur weil wir in deinem Disneyland sind, heißt das nicht, dass ich nach deinen Regeln spielen muss. Wenn mich jemand dumm anmacht, bekommt er eins aufs Auge. Und es ist mir scheißegal ob es dein Rapunzel, Rumpelstilzchen oder Rotkäppchen ist“, zischte ich und bemerkte die ungläubigen Blicke im Augenwinkel.
„Märchenscheißer“, knurrte ich, während ich aus dem Zimmer stampfte und die Tür hinter mir zuknallte. Die Lust aufs Streichen war mir jetzt definitiv vergangen. Ich musste hier raus. Weg von diesen Disneyfiguren, die mich an Cole erinnerten.
Ich starrte in den Himmel, der sich langsam verfärbte. Die warmen Sonnenstrahlen trafen nicht mehr meine Haut und so langsam verflog der Sommerzauber des Maisfeldes, auf dem ich mich befand. Es war spät geworden und ich war den ganzen restlichen Tag sinnlos umher gerannt, bis ich schließlich dieses unendlich große Feld gefunden hatte. Ohne zu zögern, hatte ich beschlossen mich einfach mitten rein zu legen und nachzudenken, was mir leider Kopfschmerzen bereitet hatte.
Mit einem sehnsüchtigen Seufzer stand ich auf und kämpfte mich zurück durch die hohen Pflanzen. Der glühende Asphalt, den ich betrat, erfüllte mich mit Gedanken an New York und ich wurde von einer neuen Welle von Schmerzen überrannt. Ich richtete meinen Blick auf den Boden, während ich das kurze Stück zu der Wohnung zurück lief. Eigentlich hätte ich gerne einen Umweg gemacht und wäre die ganze Nacht gelaufen, doch ich konnte die sorgenvollen Anrufe meiner Mutter nicht länger ignorieren. Sie war schließlich nicht Schuld an dem, was mir widerfahren war.
Ich trat einen Stein mit meinen Chucks beiseite und beobachtete, wie er wenige Meter vor mir zum Stillstand kam. Zuerst wollte ich mir vorstellen, dass Cole dieser Stein wäre, doch dann erinnerte ich mich, was mit der Blume geschehen war, die ich durch Zufall am Wegesrand gefunden hatte. Und diese war nur in tausend Stücke gerissen worden, weil Cole mir genauso eine Blume mal geschenkt hatte. Was würde dann wohl mit dem Stein passieren?
Wenn ich noch in New York wäre, wäre ich jetzt alleine. Im Grunde war es also gut, dass ich gegangen war. Ich war Natalie, Cole, die dummen Cheerleader und meinen Vater los. Und ich hatte mir geschworen, dass ich mich an Natalie rächen würde, wenn ich sie je wieder sah. Ich würde das kleine Biest auseinander nehmen. Allerdings war die Wahrscheinlichkeit, dass ich sie nie wieder sah, sehr hoch. Ich blieb vor der Haustür der ehemaligen Fabrikhalle stehen und drückte auf die Klingel. Keine zehn Sekunden später, wurde die Tür aufgerissen und meine aufgewühlte Mutter schaute mich an.
„Ann!“ Bevor ich etwas sagen konnte, hatte sie mich in ihre Arme gerissen und presste mich an ihre üppige Brust.
„Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Wo warst du?“, fragte sie hysterisch.
„Nachdenken“, murmelte ich, ohne in diese grünen Augen zu gucken, die mich immer durchschauten. Ich drängelte mich an ihr vorbei, stieg die Treppe empor, denn ich wollte jeder Diskussion aus dem Weg gehen und hungrig war ich auch. Das Treppenhaus war zu dieser Uhrzeit dunkel, sodass ich nicht sah, wo ich hinlief, bis meine Mutter das Licht anschaltete.
Kaum hatte ich die Wohnungstür ihres besten Freundes erreicht, erblickte ich diesen auch schon. Er schien ebenfalls besorgt gewesen zu sein und lächelte mich zaghaft an, während ich an ihm vorbei ging.
„Essen ist schon fertig“, hörte ich den etwas älteren Herren sagen. Schweigend trat ich in das Wohnzimmer und setzte mich an den Esstisch, an dem ein Teller noch nicht angerührt worden war. Dass der Froschkönig mir gegenüber saß und mich neugierig betrachtete, ignorierte ich.
„Du hättest ruhig mal einen meiner Anrufe entgegen nehmen können“, schimpfte meine Mutter, als sie sich neben mich setzte. Nein, sie schimpfte nicht wirklich, sie versuchte es. George nahm neben dem Froschkönig Platz und blickte mich ebenfalls an. Ich ignorierte die Bande, griff nach dem Brot.
„Als Jason uns sagte, dass du ziemlich aufgebracht warst, habe ich mir schreckliche Sorgen gemacht, Schätzchen“, fuhr meine Mutter fort. Ich hielt inne und blickte auf. Direkt in diese blauen Augen, die mich schelmisch anfunkelten. Jason. Das war sein Name. Der Name des schleimigen, stinkenden Frosches war Jason.
„Hat er das?“, fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen und einer erneut aufsteigenden Wut nach.
„Ja. Und ich weiß, dass du gerne nach New York zurück fahren würdest. Ich dachte, du hättest deinen Vater angerufen und ihm gesagt, dass er dich abholen soll“, hörte ich meine Mutter mit einem traurigen Unterton sagen.
„Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich zu diesem Profithai ziehe“, sagte ich scharf, belegte mir das Brot mit Käse. Das waren die letzten Worte, die ich sagte. Meine Mutter und George redeten wie ein Wasserfall, doch das störte mich nicht. Mich störte dieser Blick von dem Froschkönig, der auf meiner Haut brannte. Der Typ war mir nicht geheuer. Er war gefährlich für mich, das wusste ich und genau das bereitete mir Sorgen. Denn meistens nahm ich solche unausgesprochenen Kampfansagen an. Die Frage war nur, ob ich diesen Kampf gewinnen würde.
Ich legte mich auf das provisorische Bett in Jasons Zimmer und drehte mich um, sodass ich die Wand anstarrte. Auf den Kontakt mit diesem Typen konnte ich bestens verzichten. Ich war froh, wenn ich hier weg kam. Die Zimmertür wurde geschlossen und das Licht erlosch. Ein Quietschen verriet mir, dass der Froschkönig sich in sein Bett gelegt hatte. Ich schloss meine Augen, genoss die Ruhe und versuchte, nicht an New York zu denken.
„Das war nicht besonders nett von dir“, durchbrach die Stimme von Jason die Stille, die ich mir so herbei gesehnt hatte.
„Was?“, fragte ich verwirrt, setzte mich auf und suchte Jason, der in einem T-Shirt in seinem Bett saß und mich anstarrte.
„Mich als Froschkönig zu bezeichnen. Und die anderen drei Jungs sind auch keine Disneyfiguren, sondern Danny, Zack und Mike.“
„Es ist mir egal, wer die sind. Die sollen mich in Ruhe lassen und alles ist gut. Du hast es bei unserem Kennenlernen schon auf den Punkt gebracht. Es ist mir egal wer du bist, was du tust und was du willst, also kümmere dich auch nicht um meinen Kram“, zitierte ich seine liebevolle Ansprache.
„Dann sind wir uns ja einig“, stellte er fest.
„Ja, das sind wir zu meiner Verwunderung wirklich“, zischte ich in die Schwärze der Nacht und legte mich wieder hin. Ich hörte, wie er es mir gleichtat und schloss die Augen. Die Tatsache, dass der erste Tag in der neuen Stadt so beschissen gelaufen war, bereitete mir Magenschmerzen. Wie würde dann wohl morgen mein erster Schultag verlaufen? Ich ahnte jetzt schon, dass ich als Freak abgestempelt werden würde und das hieß, ich musste eine Schutzmauer aufbauen. Oder mich verstellen.