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Prof. Dr. Max Otte

Charles MacKay und Joseph de la Vega
Gier und Wahnsinn
Warum der Crash immer wieder kommt...

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3. Auflage 2013

 

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Übersetzung: Stephan Gebauer

Korrektorat: Verena Schnapp

Layout & Satz: Druckerei Joh. Walch, Augsburg

Druck: Books on Demand GmbH, Norderstedt

Printed in Germany

ISBN Print 978-3-89879-815-0

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-460-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-523-9

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Inhalt

Einleitung

Charles MacKay (1841):
Außerordentliche Verwirrungen und der Wahn der Massen
Extraordinary Popular Delusions and the Madness of Crowds

Vorwort zur Erstausgabe 1841

Der Tulpenwahn

Im Geldrausch: Das große Mississippi-Projekt

Die Südsee-Blase

Joseph de la Vega (1688):
Verwirrung, List und Spekulation an der Amsterdamer Börse
Confusión de Confusiones

Joseph de laVega und die Amsterdamer Börse im 17. Jahrhundert

Erster Dialog

Zweiter Dialog

Dritter Dialog

Vierter Dialog

Literaturverzeichnis

Über den Herausgeber

Einleitung

von Prof. Dr. Max Otte

Vom »Tulpenwahn« hörte ich zum ersten Mal 1986 als 21-jähriger Student, als Charles Kindleberger1 auf einer Konferenz im Institute for International Economics in Washington einige besonders amüsante Anekdoten aus Charles MacKays Klassiker zum Besten gab. Es faszinierte mich sofort, wie Menschen in der damals führenden Wirtschafts- und Handelsnation der Welt – Holland – Haus und Hof versetzten, um Tulpenzwiebeln zu erwerben, wie schon damals Terminbörsen entstanden und wie es kam wie es kommen musste, als die Tulpenblase platzte. Seitdem haben mich Finanzkrisen nicht mehr losgelassen.

Das Finanzmagazin Forbes nannte Charles MacKays Werk das »wichtigste Buch, das je über Investments geschrieben worden ist«.2 Lesen Sie die authentischen und äußerst unterhaltsamen Berichte über den Tulpenwahn in Holland von 1634 – 1637, John Laws großes Mississippi-Projekt von 1719 – 1720, das ganz Frankreich ruinierte und die englische Südseeblase von 1720, die durchaus Ähnlichkeiten mit der Technologieblase von 1997 – 2000 und der Emission der Aktie der Deutschen Telekom aufweist.

Bereits 1992 wurde eine deutsche Teilübersetzung veröffentlicht.3 Allerdings betonte die Ausgabe diejenigen Kapitel aus MacKays umfangreichem Werk, die sich mit Hexen- und Wunderglauben beschäftigten. Die Geschichte der Finanzblasen – knapp die Hälfte des Werks – wurde ausgeblendet. Spätestens nach dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 wurde es höchste Zeit, dieses Versäumnis zu korrigieren.

Zusammen mit Joseph de la Vegas Confusión de Confusiones – einem Buch über die Mechanismen des Handels an der Amsterdamer Börse im späten 17. Jahrhundert - liegen nun die beiden wichtigsten Klassiker zur Geschichte der Spekulation in der Neuzeit zum ersten Mal in einem Band in deutscher Sprache vor.4 Ein Herausgeber der Financial Times wählte sie auf Platz eins und zwei der besten Investmentbücher, die je geschrieben wurden.5

Charles MacKay setzte es sich zum Ziel, die massenhaften Selbsttäuschungen und das Herdenverhalten zu entlarven und zu zeigen, wie gelegentlich bei Massenphänomenen die Rationalität aussetzt. (Der französische Arzt Gustave le Bon lieferte 1895 mit seiner Psychologie der Massen die erste wissenschaftliche Abhandlung hierzu nach6) Demgegenüber steht bei Joseph de la Vega das Tagesgeschäft und die Manipulationen an der Amsterdamer Börse im Vordergrund. Nach de la Vega kämpfen verschiedene Gruppen – Bullen und Bären, Aktienbesitzer, Kaufleute und Spekulanten – miteinander und versuchen, durch List und Verwirrung Vorteile zu erlangen. Wenn man de la Vega liest, kommt man zu der Einsicht, dass sich das Verhalten an den Börsen schon zur Frühzeit unserer weltumspannenden Zivilisation nicht besonders von heutigen Zeiten unterschieden hat.

Faszinierend ist der Klassiker von de la Vega schon deshalb, weil im Amsterdam der Jahre um 1688 – der führenden Börse jener Zeit – schon alle Aspekte der Spekulation vorhanden waren, die wir eigentlich erst in einem viel späteren Zeitalter vermuten, zum Beispiel Leerverkäufe, Optionskontrakte (Calls und Puts, vielleicht sogar Straddles, wie es an einigen Stellen bei de la Vega angedeutet wird), Ersatzpapiere in geringerer Stückelung, Haussiers, Baissiers und Manipulation durch Insider.7 »Schon damals wurden Ausdrücke wie Marge, Prolongation, Liquidierung, Limit oder Courtage verwendet.«8 So viel hat sich also anscheinend nicht geändert seit den Anfängen des modernen Kapitalismus. »Spekulanten spekulieren immer noch, und die Risikoaversen wenden Absicherungsstrategien an…

Das wirft eine interessante Frage auf. Sind unsere heutigen Märkte weniger komplex als wir glauben? Oder waren die früheren Märkte komplexer als man uns glauben gemacht hat?«9 Lassen wir die Frage im Raum stehen.

Bis heute gibt es zur Funktionsweise der Börse drei sehr unterschiedliche Ansichten. Viele Ökonomen vertreten die erste Ansicht, dass nämlich Märkte prinzipiell effizient seien, und dass also Preise an den Märkten richtige und wichtige Signale darstellen. Zweitens vertritt eine Minderheit die Ansicht, dass Märkte oftmals ineffizient sind und dass gerade Finanzmärkte zu Übertreibungen und Manien neigen, wenn sie nicht reguliert werden. Dieser Minderheit unter den Ökonomen rechne ich mich zu. Drittens gibt es eine, insbesondere bei Laien weitverbreitete Auffassung, dass »bestimmte Kreise« die Finanzmärkte nach Gutdünken manipulieren und so hohe Gewinne abschöpfen.

Fundamental effiziente Märkte: Die Mehrheit der modernen Ökonomen geht davon aus, dass Märkte prinzipiell effizient sind und normalerweise die volkswirtschaftlich besten Ergebnisse erzielt werden, wenn man den Märkten freien Lauf lässt. Danach kann es eigentlich keine Manien, Paniken und Crashs geben, denn das was ist, ist effizient und gut. So versucht Peter Garber im Sinne des Theorems effizienter Märkte aufzuzeigen, dass es durchaus ökonomische Gründe für die exorbitanten Preisanstiege bei bestimmten holländischen Tulpenzwiebeln gab:10 diese Zwiebeln waren nicht beliebig vermehrbar, also ein knappes Gut. Die sehr hohe und unelastische Nachfrage musste also zu hohen Preisen führen. Dennoch kann man sich fragen, warum ganze Häuser und Landsitze für eine einzige Zwiebel ihren Besitzer wechselten und was an diesen Zwiebeln so wertvoll war.

Dieses »neoliberale Paradigma« hat die Diskussion seit den späten 70er Jahren geprägt, als in den USA und England mit Ronald Reagan und Margaret Thatcher eine weitreichende Deregulierungs- und Liberalisierungswelle einsetzte, die bis 2007 andauerte. Mit dieser Liberalisierung wurden bezeichnenderweise gerade viele der Regelungen außer Kraft gesetzt, die während der Weltwirtschaftskrise nach 1929 als Reaktion auf Marktversagen in den USA durch Roosevelts »New Deal« und in Deutschland durch Hjalmar Schacht und später durch die Begründer der Sozialen Marktwirtschaft eingeführt worden waren. Selbst nach dem Ausbruch der Finanzkrise dominiert das Paradigma effizienter Märkte unter Ökonomen. Alexander Rüstow, einer der Begründer der Sozialen Marktwirtschaft, sprach diesbezüglich von der »Religion der Marktwirtschaft«.11 Deutlich wird dieser Glaube an effiziente Märkte auch in dem folgenden Witz, der über Ökonomen kursiert: Gehen zwei Ökonomen über die Straße. Sagt der eine: »Sie, da liegt eine 100-Euro-Note!« Sagt der andere: »Das kann gar nicht sein, denn wenn sie da läge, hätte sie schon längst jemand aufgehoben.«

Fundamental ineffiziente Märkte: Demgegenüber will MacKay zeigen, dass Finanzmärkte oftmals geradezu dem Wahnsinn verfallen und oft nichts mit Effizienz zu tun haben, eine Meinung, die ich teile. Durch seine plastischen Schilderungen illustriert MacKay, wie leicht es ist, dem Spekulationsfieber zu verfallen und wie schwer, einen kühlen und klaren Kopf zu behalten, wenn auf einmal das ganze Land spekuliert. In den letzten zwanzig Jahren hat die verhaltenwissenschaftliche Finanzforschung vielfach belegt, dass wir uns bei unseren Entscheidungen in Finanzdingen oft nicht von kühler Berechnung leiten lassen, sondern von Emotionen. Daniel Kahnemann bekam den Nobelpreis dafür, dass er mit Hilfe des Kernspintomographen zeigte, dass bei Finanzentscheidungen oftmals das Kleinhirn der aktivste Teil des Gehirns ist – und dieser Teil verbindet uns evolutionsgeschichtlich mit den Reptilien.12 Oftmals nimmt unser Gehirn auch Abkürzungen und kommt so zu Fehlentscheidungen. So ist nun wissenschaftlich belegt, dass Finanzmärkte gelegentlich »durchdrehen« können. Verwunderlich ist nur, dass die Ergebnisse der verhaltenwissenschaftlichen Finanzforschung die Religion der Marktwirtschaft noch nicht erschüttert haben.

Wenn Märkte, insbesondere Finanzmärkte, aber fundamental ineffizient sind, dann kann derjenige, der einen klaren Kopf bewahrt, die Schwankungen ausnutzen, um Geld zu verdienen. Was in der Theorie sehr einfach scheint, ist in der Praxis sehr schwer: Es erfordert eine extreme Unabhängigkeit des Urteils Aktien oder andere Vermögensgegenstände dann zu kaufen, wenn sie keiner will und dann zu meiden, wenn jeder sie haben will. Diese Investmentphilosophie, deren bekanntester Vertreter Warren Buffett ist und der ich ebenfalls anhänge, heißt »Value Investing«, wertorientiertes Investieren.13

Märkte als Spielball starker Akteure: In seinem mutigen und gut geschriebenen Buch Crashkurs spricht Börsenhändler Dirk Müller von einer »internationalen Finanz- und Machthydra«, die die Märkte manipuliert.14 Steigen die Ölpreise, treiben Hedgefonds und Spekulanten ihr Spiel. Fallen die Aktienkurse, werden diese durch superreiche Familien im Kurs gedrückt, damit die Aktien nachher superbillig eingesammelt werden können. Bleibt der Goldpreis niedrig, wird er durch die Notenbanken gedrückt. Erklärungen, die zugrunde legen, dass die Börse von starken Akteuren manipuliert und bewegt wird, sind populär und eingängig. In diese dritte Kategorie lässt sich das Werk von de la Vega einordnen.

Irgendetwas ist ja auch dran: Käufe und Verkäufe werden schließlich von einzelnen Menschen oder Unternehmen getätigt, und diese Akteure verfügen über unterschiedlich viel Macht und Information. Bestimmte Gruppen oder Akteure verdienen immer wieder Geld, weil sie einen Markt manipulieren, über bessere Informationen oder über Marktmacht verfügen. Die Aufsichtsbehörden versuchen zwar, dem entgegenzuwirken, aber die Dunkelziffer ist hoch und manche dieser Transaktionen sind bis heute legal. Wir müssen also diese dritte Sichtweise nicht ganz ad acta legen, sie ergänzt die Auffassung von rationalen Märkten. Manchmal ist der Markt insgesamt ziemlich rational; dann kann wenig manipuliert werden. In einem irrationalen Markt oder einem Markt mit unvollkommener Information geht das leichter. Und manchmal verhält sich fast der ganze Markt irrational, dann wird ebenfalls wenig »manipuliert«, außer in dem Sinne, dass die ganze Herde in eine bedenkliche Richtung rennt.

Bereits de la Vega unterscheidet in seinem Werk zwischen (Groß)kapitalisten, Kaufleuten und Spekulanten als drei wichtige Gruppen mit unterschiedlichen Motiven. Die Aktieninhaber sind vermögende Adlige und Kaufleute, die ihre Orders selten und von Maklern ausführen lassen und vor allem auf Dividendeneinnahmen achten. Heute würden wir Langfristanleger oder »klassische institutionelle Investoren« sagen (leider haben da auch viele institutionelle Investoren das Zocken angefangen). »Die Kapitalisten, die von den Zinsen auf ein fürstliches Vermögen leben, bewahren sich auch in diesem Geschäft die Würde von Fürsten.« (3. Dialog). Die Kaufleute versuchen, Aktien aufgrund eines Informationsvorsprungs zu kaufen und zu verkaufen: Wie wird sich die politische Lage in Europa entwickeln? Die Gewinne der Ostindien-Kompanie? Andere Faktoren? Kaufleute agieren also aufgrund von Fundamentalanalysen und nüchterner Kalkulation, sind aber meistens keine Langfristanleger. Die Spekulanten schließlich, versuchen Stimmungen zu erahnen oder auch aktiv zu beeinflussen, indem sie zum Beispiel in Kaffeehäusern Gerüchte streuen. De la Vega: »Auf die Börse macht die Erwartung eines Ereignisses einen sehr viel tieferen Eindruck als das Ereignis selbst.« Auch der ständige Streit zwischen Bullen und Bären, zwischen Haussiers und Baissiers, die ein- und dasselbe Ereignis durchaus diametral unterschiedlich auslegen können, wird bei de la Vega ausführlich erläutert.

Die Einleitung des Kölner und Nürnberger Wirtschaftshistorikers Hermann Kellenbenz (1913 – 1990) bietet eine faszinierenden Überblick über die Börse und Wirtschaft in Amsterdam zu Zeiten de la Vegas, die zum Verständnis des Textes essentiell ist. Kellenbenz schrieb seine Einleitung für eine amerikanische Ausgabe von de la Vega für die Harvard Business School, nun haben wir sie in seine Muttersprache zurückübersetzt.

Oft wird nach Betrachtung der Finanzkrisen der Geschichte die Frage gestellt, warum wir anscheinend so wenig aus der Geschichte gelernt haben und warum sich Finanzdesaster oftmals als fast getreue Kopie ihrer Vorgänger wiederholen. In dieser Form ist die Frage zu einfach gestellt. Nach dem Crash von 1929 wurden die Konsequenzen aus dem Scheitern des Finanzkapitalismus gezogen – es wurden »Brandschutzmauern« installiert, wie Peer Steinbrück es ausdrücken würde. Eine der letzten und stärksten Mauern war das vom Internationalen Währungsfonds überwachte Regime fester Wechselkurse, das 1944 in Bretton Woods beschlossen wurde. Leider halten die Lehren der Geschichte meist nur eine oder zwei Generationen und geraten dann in Vergessenheit. John Kenneth Galbraith schrieb, dass die »Verrückten ihren Wahn nicht wahrnehmen können und sich nicht auf einmal dazu entschließen können, vernünftig zu sein.« Allerdings gebe es »einen gewissen Schutz, so lange es Menschen gibt, die wissen, dass die Geschichte sich wiederholt, wenn sie hören, dass nun Wirtschaftsgeschichte geschrieben werde oder dass eine neue Ära beginne. Dies helfe, die Verbreitung von Illusion zu stoppen15.« In eben dieser Ausgabe von 1962 fährt Galbraith fort: »Der Sinn für Geschichte der Europäer schützt diese, wenn auch nicht perfekt, so doch besser vor spekulativen Exzessen (als Amerikaner, Anm. d. Verfasser).«16 Heute (2009) bin ich mir da leider nicht mehr so sicher.

So sind mit der hemmungslosen Liberalisierung der internationalen Kapitalmärkte, beginnend mit der de-facto-Aufgabe des Systems fester Wechselkurse durch das Leitwährungsland USA unter Präsident Richard Nixon 1971, die Lehren der Geschichte leider zunehmend in Vergessenheit geraten. Hoffen wir darauf, dass eine neue Politikergeneration sie wiederentdeckt. Aber rechnen wir nicht damit! Nur Sie selbst können sich letztlich vor Exzessen an den Kapitalmärkten schützen. Das vorliegende Buch ist eine ebenso hilfreiche wie unterhaltsame Grundlage dafür.

Worms, im Januar 2010

Max Otte

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1)Charles Kindleberger (1910 – 2003) war der Vater aller modernen Crashforscher. Als Historiker, der bei der amerikanischen Notenbank, dem Finanz- und dem Außenministerium nach Kriegsende als Leiter für deutsche und österreichische Fragen gearbeitet hatte, kam der Finanzhistoriker 1948 zur wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät des Massachusetts Institute of Technology. Erst nach seiner Emeritierung 1978 schrieb er Manien, Paniken, Crashs – die Geschichte der Finanzkrisen der Welt (Kulmbach, 2001), das zum Klassiker wurde. Kindleberger veröffentlichte eine Vielzahl von Abhandlungen zur Wirtschafts- und Finanzgeschichte und wurde alt genug, das Platzen der Technologieblase nach dem Jahr 2000 noch mitzuerleben. Siehe auch Max Otte Der Crash kommt (Berlin, 2006), S. 39 – 40.

2)Martin S. Fridson, Einleitung zu MacKay, Charles, Extraordinary Popular Delusions and the Madness of Crowds und Joseph de la Vega, Confusión de Confusiones, (New York, 1996), S. 2.

3)Charles MacKay, Zeichen und Wunder – aus den Annalen des Wahns (Frankfurt 1992).

4)Joseph de la Vega, Die Verwirrung der Verwirrungen. Vier Dialoge über die Börse in Amsterdam (Kulmbach 1994). (Kostolanys Bibliothek, 1).

5)Martin S. Fridson, Einleitung zu MacKay, Charles, Extraordinary Popular Delusions and the Madness of Crowds und Joseph de la Vega, Confusión de Confusiones, (New York, 1996), S. 1.

6)Gustave le Bon (1841 – 1931) Psychologie der Massen (Stuttgart, 2008).

7)Die erste Börse der Neuzeit wurde im Jahr 1611 in Amsterdam eröffnet, das Geburtsjahr des Aktienhandels läßt sich auf 1602 datieren, als – ebenfalls in Holland – die niederländische Ostindienkompanie gegründet wurde.

8)Vgl. Kellenbenz, S. 138.

9)Peter L. Bernstein, Vorwort zur englischen Ausgabe von 1996.

10)Peter Garber, Who put the Mania in the Tulipmania? In: Eugene N. White:, Crashes and Panics, (Homewood, Ill., 1988); S. 3-33.

11)Alexander Rüstow, Die Religion der Marktwirtschaft, (Münster, 2003).

12)Max Otte: Der Crash kommt, (Berlin 2006), S. 41 – 42.

13)Max Otte / Jens Castner: Deutsche Superinvestoren aus Graham- und Doddsville, Erfolgsgeheimnisse der besten Value-Investoren.

14)Dirk Müller: Crashkurs – Weltwirtschaftskrise oder Jahrhundertchance? Wie Sie das Beste aus Ihrem Geld machen. München 2009.

15)John Kenneth Galbraith, The Great Crash 1929 (New York 1962), xxv.

16)Ebd.

Charles MacKay (1841)

Außerordentliche
Verwirrungen und der
Wahn der Massen

Extraordinary Popular Delusions
and the Madness of Crowds

Der Autor hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu zeigen, wie leicht sich die Massen in die Irre führen lassen und wie sehr die Menschen dazu neigen, stets in der Herde mitzulaufen.

Die Geschichte der massenhaften Selbsttäuschung ist derart lang und enthält derart viele Episoden, dass 50 Bände kaum genügen würden, um sie eingehend darzustellen.

Charles MacKay

Vorwort
zur Erstausgabe 1841

von Charles MacKay

Der Autor hat es sich zur Aufgabe gemacht, die bemerkenswertesten Fälle jener Epidemie zu sammeln, die im Lauf der Geschichte aus unterschiedlichen Gründen immer wieder ausbricht, und zu zeigen, wie leicht sich die Massen in die Irre führen lassen und wie sehr die Menschen dazu neigen, andere selbst in Verblendung und Verbrechen nachzuahmen und stets in der Herde mitzulaufen.

Einige der beschriebenen Fälle sind dem Leser möglicherweise bekannt. Der Autor hofft, dass seine Darstellung dennoch ausreichend neue Erkenntnisse enthält, um Interesse daran zu wecken. Jedenfalls mussten diese Ereignisse berücksichtigt werden, um dem Untersuchungsgegenstand gerecht werden zu können. Der Südsee-Wahn und die Mississippi-Illusion werden hier vollständiger und eingehender geschildert als in anderen Abhandlungen, und dasselbe könnte man von der Geschichte des Hexenwahns sagen,17 die eine Darstellung der schrecklichen Vorgänge in Deutschland enthält, die Sir Walter Scott in seinen »Letters on Demonology and Witchcraft«, der bisher wichtigsten Abhandlung über dieses gleichermaßen beängstigende und interessante Thema, nur am Rande behandelt.

Die Geschichte der massenhaften Selbsttäuschung ist derart lang und enthält derart viele Episoden, dass 50 Bände kaum genügen würden, um sie eingehend darzustellen. Die vorliegende Darstellung sollte daher eher als Auswahl von Truggebilden denn als Geschichte des Phänomens betrachtet werden, als ein Kapitel im großen und furchtbaren Buch des menschlichen Wahns, das erst noch geschrieben werden muss – Porson erklärte einst scherzhaft, er werde diese Illusionen in 500 Bänden sammeln. In die Darstellung eingestreut sind Skizzen eher heiterer Geschehnisse, die weniger als Beispiele für Wahnsinn und Selbsttäuschung dienen, sondern amüsante Impressionen vom kopflosen menschlichen Nachahmungstrieb liefern.

Der religiöse Wahn wurde absichtlich nicht berücksichtigt, da er die Grenzen dieser Arbeit sprengen würde: Eine bloße Auflistung der von religiösen Hirngespinsten ausgelösten Ereignisse würde bereits genügen, um ein Buch zu füllen.

Sollte die vorliegende Arbeit wohlwollend aufgenommen werden, so wird der Autor in einem weiteren Band versuchen, ein umfassendes Bild der Alchemie und der aus ihr entsprungenen philosophischen Trugbilder zu zeichnen. Diese Arbeit wird die Kreuzritter einer vergangenen Zeit und die Magnetiseure der Gegenwart beinhalten.

London, am 23. April 1841.

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17)Der Hinweis auf den Hexenwahn und die Erwähnung der Arbeit über die Alchemisten auf der folgenden Seite beziehen sich auf Kapitel in MacKays Buch, die nicht Teil der vorliegenden Sammlung sind. Diese enthält nur jene Kapitel, die sich direkt auf Spekulationsblasen und die Finanzmärkte beziehen.

Der Tulpenwahn

Quis furor, o cives …

LUCAN

Die Tulpe, die angeblich nach dem türkischen Wort für Turban benannt ist, kam Mitte des 16. Jahrhunderts nach Westeuropa. Conrad Gesner, der für sich in Anspruch nimmt, dieser Blume zum Durchbruch verholfen zu haben – und der sich nie hätte träumen lassen, welche Aufregung sie kurze Zeit später hervorrufen sollte –, erklärt, im Jahr 1559 in einem Garten in Augsburg erstmals eine Tulpe gesehen zu haben. Der Garten gehörte dem gelehrten Ratsherren Herwart, der für seine Sammlung seltener exotischer Pflanzen berühmt war. Herwart hatte von einem Freund in Konstantinopel, wo die Blume seit Langem sehr beliebt war, einige Tulpenzwiebeln geschenkt bekommen. Ein Jahrzehnt später war die Tulpe bei den wohlhabenden Leuten insbesondere in den Niederlanden und Deutschland sehr begehrt. Reiche Amsterdamer zahlten hohe Preise für Blumenzwiebeln, die sie sich direkt aus Konstantinopel schicken ließen.

Die ersten in England gepflanzten Tulpen wurden im Jahr 1600 aus Wien gebracht. Die Blume wurde immer beliebter, und im Jahr 1634 galt es als Zeichen schlechten Geschmacks, wenn ein wohlhabender Mann keine Tulpensammlung besaß. Viele gelehrte Männer, darunter Pompeius de Angelis und Justus Lipsius, der Autor des Werks De Constantia, waren leidenschaftliche Tulpenliebhaber. Bald breitete sich die Sucht nach der Blume auch im Mittelstand aus, und Kaufleute und Ladeninhaber mit bescheidenen Mitteln begannen, miteinander um besonders seltene Blumen zu wetteifern und sich der grotesken Preise zu brüsten, die sie dafür bezahlt hatten. Ein Händler in Haarlem opferte die Hälfte seines Vermögens für eine einzige Zwiebel, und zwar nicht, um sie mit Gewinn weiterzuverkaufen, sondern um sich die Bewunderung seiner Bekannten zu sichern.

Man sollte meinen, dass die Blume irgendwelche besonderen Vorzüge besaß, die sie in den Augen eines so besonnenen Volkes wie der Niederländer derart begehrenswert machte. Aber der Tulpe fehlen sowohl die Schönheit als auch der Duft der Rose, und sie ist nicht annähernd so anmutig wie die Edelwicke. Zudem blüht sie sehr viel kürzer als diese beiden Blumen. Dennoch preist Cowley sie in den höchsten Tönen:

»The tulip next appeared, all over gay,
But wanton, full of pride, and full of play;
The world can’t show a dye but here has place;
Nay, by new mixtures, she can change her face;
Purple and gold are both beneath her care,
The richest needlework she loves to wear;
Her only study is to please the eye,
And to outshine the rest in finery.«
18

Obwohl nicht allzu poetisch, stammt diese Beschreibung von einem Poeten. Johann Beckmann hat die Tulpe in seiner Geschichte der Erfindungen zutreffender und in einer Prosa beschrieben, die gefälliger ist als Cowleys Verse: »Nur wenige Pflanzen nehmen zufällig, durch Schwäche oder Krankheit so viele verschiedene Farben an wie die Tulpe. In ihrer Wildform ist sie fast einfarbig, hat große Blätter und einen außergewöhnlich langen Stil. Wird sie durch Züchtung geschwächt, so wird sie in den Augen des Floristen angenehmer. Die Blütenblätter werden blasser und kleiner und nehmen verschiedene Farbtöne an, und das Grün der Blätter wird milder. Je schöner dieses Meisterwerk der Blumenkultur wird, desto schwächer wird es auch, so dass die Tulpe auch mit größtem Geschick und behutsamer Pflege kaum verpflanzt oder auch nur am Leben erhalten werden kann.«19

Viele Menschen entwickeln eine schwer nachvollziehbare Bindung an das, was besonders große Anstrengung von ihnen verlangt, so wie eine Mutter, die ihr schwächliches und immerzu krankes Kind mehr liebt als ihre gesünderen Sprösslinge. Diesen Grundsatz müssen wir wohl anwenden, wenn wir das unverdiente Lob verstehen wollen, das über diese fragilen Blüten ausgegossen wird. Im Jahr 1634 waren die Niederländer derart versessen auf den Besitz von Tulpen, dass sie jedes Interesse für das gewöhnliche Gewerbe verloren. Selbst die untersten Bevölkerungsschichten stürzten sich in das Geschäft mit Tulpen. Der Tulpenwahn breitete sich aus, und die Preise stiegen rasant. Im Jahr darauf bezahlte ein Käufer für 40 Zwiebeln ein Vermögen von 100.000 Gulden. Nun wurde es notwendig, das Gewicht der Tulpenzwiebeln in Perits anzugeben, einer winzigen Gewichtseinheit von weniger als einem Gran20. Eine Tulpe der Sorte Admiral Liefken mit einem Gewicht von 400 Perits war 4400 Gulden wert, eine Admiral Van der Eyck von 446 Perits brachte 1260 Gulden, für eine Childer von 106 Perits bekam man 1615 Gulden, eine Viceroy von 400 Perits kostete 3000 Gulden. Und wer für eine Semper Augustus von 200 Perits nur 5500 Gulden bezahlt hatte, der hatte ein gutes Geschäft gemacht. Diese Sorte war sehr begehrt, und selbst für eine minderwertige Zwiebel musste man 2000 Gulden bezahlen. Es wird berichtet, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr 1636 im ganzen Land nur zwei solche Zwiebeln erhältlich waren, die obendrein nicht von besonders guter Qualität waren. Eine war im Besitz eines Händlers in Amsterdam, der andere Schatz wurde in Haarlem gehütet. Die Spekulanten waren derart versessen darauf, diese Pflanzen in ihren Besitz zu bringen, dass ein Interessent ein Baugrundstück von vier Morgen für die Tulpe aus Haarlem anbot. Die aus Amsterdam wechselte schließlich für 4600 Gulden, eine neue Kutsche, zwei Schimmel und ein komplettes Geschirr den Besitzer. Bei dem fleißigen Autor Muning, der ein tausendseitiges Werk über den Tulpenwahn geschrieben hat, findet man eine Liste der verschiedenen Artikel, die gegen eine einzige Tulpenzwiebel der seltenen Sorte Viceroy getauscht wurden:

Wert in Gulden
2 Last Weizen 448
4 Last Roggen 558
4 Mastochsen 480
8 Mastschweine 240
12 Mastschafe 120
2 Fass Wein   70
4 Tonnen Bier   32
2 Tonnen Butter 192
100 Pfund Käse 120
1 Bett samt Bettzeug 100
1 Kleidergarnitur   80
1 silberner Trinkbecher   60
2500  

Personen, die nach einem längeren Auslandsaufenthalt zu dem Zeitpunkt in die Niederlande zurückkehrten, als die verrückte Tulpenspekulation ihren Höhepunkt erreichte, gerieten aufgrund ihrer Unkenntnis der neuen Verhältnisse oft in peinliche Zwangslagen. Ein amüsantes Beispiel für eine solche Situation schildert De Blainville in seinen Reisebeschreibungen: Ein reicher Kaufmann, der sehr stolz auf seine seltenen Tulpen war, erhielt einmal eine sehr wertvolle Ladung aus der Levante. Der Seemann, der die Nachricht von der Ankunft des Handelsschiffs überbrachte, stellte sich im Kontor des Kaufmanns vor, wo sich alle möglichen Waren türmten. Um den Mann für die Information zu belohnen, bot ihm der Kaufmann großherzig einen feinen Räucherhering zum Frühstück an. Der Seemann hegte allem Anschein nach eine Vorliebe für Zwiebeln, und als er auf dem Tresen dieses großzügigen Geschäftsmanns ein köstliches Exemplar liegen sah, das ihm unter all den Seiden- und Samtstoffen fehl am Platz erschien, ergriff er die Gelegenheit und ließ das Gemüse in seine Hosentasche wandern, um seinen Hering damit zu würzen. Er machte sich mit seiner Beute davon und schlenderte zum Kai hinunter, um sein Frühstück einzunehmen. Doch kaum hatte er das Kontor verlassen, da bemerkte der Kaufmann, dass seine kostbare Semper Augustus fort war, die etwa 3000 Gulden (etwa 280 Pfund Sterling) wert war. Das ganze Kontor war in Aufruhr, doch die hektische Suche nach der wertvollen Wurzel blieb erfolglos. Der verzweifelte Kaufmann befahl eine neue, ebenfalls vergebliche Suche. Dann kam jemand auf die Idee, der Matrose könne etwas mit dem Verschwinden der Tulpe zu tun haben.

Begleitet von seinem aufgeschreckten Haushalt, lief der unglückliche Kaufmann los, um den Mann zu suchen. Dem Seemann, der ein einfaches Gemüt war, war es nicht in den Sinn gekommen, sich zu verstecken. Sie fanden ihn auf einer Taurolle sitzend, wo er gerade zufrieden den letzten Bissen seiner »Zwiebel« verzehrte. Das Frühstück, das er gerade genossen hatte, war soviel wert gewesen wie die Jahresheuer einer ganzen Schiffsbesatzung, oder, wie es der beraubte Kaufmann ausdrückte, soviel wie »ein üppiges Festmahl für den Prinzen von Oranien und den gesamten Hof des Stadhouders«. Antonius ließ Perlen in Wein auflösen, um auf Kleopatras Wohl zu trinken, Sir Richard Whittington verstieg sich in dummer Prahlerei zu einer ähnlichen Geste gegenüber König Heinrich V., und Sir Thomas Gresham trank bei der Eröffnung der königlichen Börse einen in Wein aufgelösten Diamanten auf das Wohl von Königin Elisabeth – und nun hatte sich dieser niederländische Halunke ein ebenso glänzendes Frühstück genehmigt. Und obendrein hatte er seinen verschwenderischen Vorgängern etwas voraus: Ihre Edelsteine hatten ihren Wein weder schmackhafter noch zuträglicher gemacht, während die Tulpenzwiebel den Hering des Seemanns gut gewürzt hatte. Einen einzigen Nachteil hatte das Geschäft für ihn: Er verbrachte mehrere Monate im Gefängnis, da ihn der Kaufmann wegen schweren Diebstahls anzeigte.

Der Held einer weiteren, kaum weniger amüsanten Geschichte war ein englischer Reisender. Dieser Gentleman, ein Amateurpflanzenkundler, stieß bei einem Besuch im Gewächshaus eines wohlhabenden Niederländers auf eine herumliegende Tulpenzwiebel. Da er keine Ahnung hatte, was diese wert war, nahm er sein Taschenmesser und begann sie zum Zweck einer wissenschaftlichen Untersuchung zu häuten. Nachdem er sie auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Größe reduziert hatte, zerlegte er sie in zwei gleich große Teile, wobei er zahlreiche gelehrte Anmerkungen zur ungewöhnlichen Form der unbekannten Zwiebel machte. Plötzlich stürzte der Besitzer herbei und fuhr ihn wütend an, ob er wisse, was er da tue. »Ich schäle eine ganz außergewöhnliche Zwiebel«, erwiderte der gelehrte Reisende. »Hunderttausend Teufel!«, schrie sein Gastgeber, »das ist eine Admiral van der Eyck!« »Vielen Dank«, antwortete der Engländer und nahm sein Notizbuch zur Hand, um diese Information festzuhalten. »Sind diese Admiräle in Ihrem Land verbreitet?« Darauf packte der Niederländer seinen verblüfften Besucher beim Kragen und rief: »Zum Teufel mit Euch! Kommt mit zum Syndikus, dann werdet Ihr es erfahren!« Gegen seinen Widerstand wurde der Reisende durch die Straßen geführt, wo er bald von einer Menschenmenge umringt war. Als er vor dem Magistrat stand, erfuhr er zu seinem Entsetzen, dass die Zwiebel, die er untersucht hatte, 4000 Gulden wert war, und ungeachtet seiner Unschuldsbeteuerungen wurde er ins Gefängnis geworfen, wo er blieb, bis er Sicherheiten für die Entschädigungssumme leisten konnte.

Im Jahr 1636 stieg die Nachfrage nach seltenen Tulpen derart an, dass an den Börsen in Amsterdam, Rotterdam, Haarlem, Leiden, Alkmaar, Hoorn und anderen Städten eigene Handelstische für diese kostbaren Pflanzen eingerichtet wurden. Nun waren erste Anzeichen für einen Spekulationsrausch zu erkennen. Die Börsenhändler, die stets auf der Suche nach geeigneten Spekulationsobjekten waren, stürzten sich auf den Tulpenhandel und begannen, all ihre Kunstgriffe anzuwenden, um große Preisschwankungen zu provozieren. Wie immer bei einem derartigen Spielrausch herrschte anfangs grenzenlose Zuversicht, und alle, die sich am Spiel beteiligten, verdienten viel Geld. Die Tulpenhändler spekulierten auf steigende und fallende Tulpenkurse und erzielten riesige Gewinne, indem sie bei fallenden Kursen kauften und bei steigenden Preisen verkauften. Viele Leute wurden über Nacht reich. Ein goldener Köder wurde auf den Markt geworfen, und die Anleger wurden von den Tulpenbörsen angelockt wie die Fliegen vom Honigtopf. Alle Welt glaubte, die Gier nach Tulpen werde nie gestillt werden und die Begüterten der Welt würden jeden Preis zahlen, um Tulpen aus den Niederlanden in ihren Besitz zu bringen. Die Reichtümer Europas würden an der Küste der Zuiderzee entladen, und die Armut würde aus dem vom Glück begünstigten Land verschwinden. Adlige, Bürger, Bauern, Handwerker, Seeleute, Dienstboten, ja sogar Schornsteinfeger und Altkleidersammlerinnen verwandelten sich in Tulpenmakler. Menschen aus allen Gesellschaftsschichten machten ihren Besitz zu Geld und investierten dieses in Blumen. Häuser und Grundstücke wurden zu ruinös niedrigen Preisen zum Verkauf angeboten, um Barmittel für den Blumenkauf zu beschaffen, oder bei Transaktionen an der Tulpenbörse in Zahlung gegeben. Auch Ausländer wurden von dem Wahn angesteckt, und aus allen Richtungen strömte Geld ins Land. Die Preise für lebensnotwendige Güter stiegen rasant, und dasselbe galt für Häuser und Grundstücke, Pferde, Kutschen und Luxusgüter aller Art. Einige Monate lang hatte es den Anschein, als hätten sich die Niederlande in Plutus’ Vorzimmer verwandelt. Der Börsenhandel mit Tulpen nahm derartige Ausmaße an und wurde so komplex, dass man es für notwendig hielt, Vorschriften für die Geschäfte zu erlassen. Es wurden Notare und Schreiber ernannt, die sich ausschließlich mit der Beurkundung und Eintragung der Tulpentransaktionen befassten. Da die Funktion des öffentlichen Notars in einigen Städten kaum bekannt war, usurpierte der Tulpennotar dieses Amt. In kleineren Städten, in denen es keine Börse gab, versammelten sich Angehörige aller Gesellschaftsschichten in Tavernen, um mit Tulpen zu handeln und die Geschäftsabschlüsse mit üppigen Festmählern zu feiern, an denen oft 200 oder 300 Personen teilnahmen. Zur Erbauung der Gäste stellte man mit blühenden Tulpen gefüllte Vasen auf Tische und Anrichten und tauschte sie in regelmäßigen Abständen durch andere Blumen aus.

Doch irgendwann wurde den Vernünftigeren klar, dass dieser kollektive Wahnsinn nicht ewig anhalten konnte. Reiche Leute kauften die Blumen nicht länger, um sie in ihren Gärten zu pflanzen, sondern um sie mit Gewinn weiterzuverkaufen. Langsam zeigte sich, dass am Ende irgendwer einen furchtbaren Verlust erleiden musste. Als sich diese Überzeugung durchsetzte, begannen die Preise zu fallen – und sie sollten nie wieder steigen. Im Handumdrehen war das Vertrauen zerstört, der Markt wurde von Panik ergriffen. A hatte in einem Terminkontrakt eingewilligt, B zehn Semper Augustin-Zwiebeln zu einem Stückpreis von 4000 Gulden abzukaufen, die sechs Wochen nach Unterzeichnung des Kaufvertrags zu liefern und zu bezahlen waren. B fand sich zum vereinbarten Zeitpunkt mit den Zwiebeln an der Börse ein, aber der Preis war in der Zwischenzeit auf 400 Gulden gefallen, und nun weigerte sich A, die Differenz zu bezahlen, oder er verzichtete vollkommen auf die Tulpen. Überall in den Niederlanden wurden Zahlungsausfälle gemeldet. Hunderte, die vor Monaten begonnen hatten zu bezweifeln, dass es jemals wieder Armut geben könne, mussten plötzlich erkennen, dass sie selbst nun nichts mehr besaßen außer ein paar Blumenzwiebeln, die ihnen niemand abkaufen würde, selbst wenn sie sie für ein Viertel des ursprünglich bezahlten Betrags anboten. Überall erschallten Verzweiflungsschreie und gegenseitige Schuldzuweisungen. Die wenigen, denen es gelungen war, sich zu bereichern, versteckten ihr Vermögen vor den Augen ihrer Mitbürger und investierten es in englische oder andere Staatsanleihen. Viele, denen über Nacht ein spektakulärer gesellschaftlicher Aufstieg gelungen war, verschwanden nun ebenso schnell wieder in der Versenkung. Wohlhabende Kaufleute stürzten in tiefe Armut, und so mancher Angehörige einer adligen Familie musste erkennen, dass sich das Vermögen seines Hauses in Luft aufgelöst hatte.

Als der erste Schrecken nachließ, versammelten sich die Tulpenbesitzer in verschiedenen Städten, um darüber zu beraten, was getan werden konnte, um das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Man einigte sich darauf, Abgesandte nach Amsterdam zu schicken, um mit der Regierung Rettungsmaßnahmen zu vereinbaren. Die Regierung lehnte es ab, in den Markt einzugreifen, riet den Tulpenbesitzern jedoch dazu, untereinander nach einer Regelung zu suchen. Doch diese konnten sich in mehreren Versammlungen nicht auf irgendwelche Maßnahmen einigen, die geeignet gewesen wären, den Markt zu beruhigen oder den Schaden irgendwie zu begrenzen. In den stürmischenVersammlungen schwirrten Klagen und gegenseitigeVorwürfe durch die Luft. Doch nach heftigem Gezänk einigten sich die in Amsterdam versammelten Tulpendeputierten schließlich darauf, alle auf dem Höhepunkt des Massenwahns geschlossenen Kontrakte – das heißt jene, die bis November 1636 zustande gekommen waren – für null und nichtig zu erklären; wer nach diesem Zeitpunkt einen Kaufvertrag unterschrieben hatte, wurde von seinen Verpflichtungen befreit, sofern er dem Verkäufer zehn Prozent des vereinbarten Betrags zahlte. Doch diese Entscheidung sorgte nicht für Ruhe. Die Verkäufer, die auf ihren Tulpen sitzen geblieben waren, waren ebenso unzufrieden wie jene, die sich zum Kauf verpflichtet hatten und selbst die Zahlung eines Zehntels des vereinbarten Preises noch für unangemessen hoch hielten. Tulpen, die 6000 Gulden wert gewesen waren, bekam man jetzt für 500, womit man selbst dann, wenn man nur ein Zehntel des früheren bezahlte, noch ein Fünftel über dem aktuellen Wert auf den Tisch legen musste. Im ganzen Land wurden Klagen wegen Vertragsbruchs eingereicht, aber die Gerichtshöfe lehnten es ab, sich mit Glücksspieltransaktionen zu befassen.

Schließlich wurde die Angelegenheit an das Parlament in Den Haag verwiesen. Man vertraute darauf, dass dieses geeignete Maßnahmen ergreifen werde, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zurückzugewinnen. Alle Welt wartete gespannt auf die Entscheidung, aber sie blieb aus. Die Abgeordneten debattierten Woche für Woche über die Frage, und nachdem sie drei Monate beraten hatten, erklärten sie schließlich, für eine endgültige Entscheidung bräuchten sie zusätzliche Informationen. Das Parlament riet den Verkäufern jedoch dazu, den Käufern in der Zwischenzeit in Gegenwart von Zeugen die Tulpen in natura zum vereinbarten Preis anzubieten. Weigerte sich ein Käufer, die Ware zu übernehmen, so konnten die Tulpen öffentlich versteigert werden, wobei der ursprüngliche Käufer für die Differenz zwischen dem ursprünglich vereinbarten und dem bei der Auktion erzielten Preis geradestehen müsse. Genau denselben Plan hatten auch die Deputierten der Tulpenhändler empfohlen, doch es hatte sich bereits gezeigt, dass er völlig wirkungslos war: Es gab in den Niederlanden kein Gericht, das eine Zahlung erzwingen würde. Die Frage wurde einem Gericht in Amsterdam vorgelegt, aber die Richter beschlossen einstimmig, sich nicht einzumischen, mit der Begründung, beim Glücksspiel eingegangene Schulden seien nicht rechtsverbindlich.

Die Lage war ausweglos. Die Regierung sah keine Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen. Wer das Pech gehabt hatte, zum Zeitpunkt des plötzlichen Einbruchs Tulpen auf Lager zu haben, musste sich mit seinem Ruin abfinden. Wer im richtigen Augenblick noch einen Gewinn erzielt hatte, durfte diesen behalten. Und die Wirtschaft des Landes erlitt einen schweren Schock, von dem sie sich erst nach vielen Jahren wieder erholte.

Die Engländer ahmten das Beispiel der Niederländer bis zu einem gewissen Grad nach. Im Jahr 1636 wurden auch an der Londoner Börse Tulpen gehandelt, und die Händler taten ihr Bestes, um den Wert der Blumen in ähnlich absurde Höhen zu treiben, wie sie in Amsterdam erreicht worden waren. Auch in Paris versuchten die Börsenhändler, einen Tulpenwahn heraufzubeschwören. In beiden Städten war ihr Erfolg begrenzt. Doch die Kraft des Beispiels verschaffte der Tulpe große Beliebtheit, und bei manchen Leuten genießt diese Blume seit damals höhere Wertschätzung als jede andere Blume. Die Niederländer sind noch heute berühmt für ihre Liebe zu den Tulpen und bezahlen immer noch höhere Preise dafür als jedes andere Volk. So wie der reiche Engländer voller Stolz seine edlen Rennpferde oder seine alten Gemälde herzeigt, brüstet sich der wohlhabende Niederländer mit seinen schönen Tulpen.

Und so sonderbar das scheinen mag: In England bringt eine Tulpe heutzutage mehr Geld ein als eine Eiche. Fände man ein auf Erden seltenes Exemplar »ganz wie ein schwarzer Schwan« aus Juvenals Feder, so bekäme man dafür so viel Geld wie für ein zwölf Morgen großes Kornfeld. In einem Supplement der dritten Ausgabe der Encyclopedia Britannica erfahren wir, dass in Schottland am Ende des 17. Jahrhunderts ein Höchstpreis von zehn Guineen für eine Tulpe bezahlt wurde. Von da an scheint ihr Wert bis zum Jahr 1769 stetig gesunken zu sein, als die wertvollsten englischen Sorten Don Quevedo und Valentinier noch zwei beziehungsweise zweieinhalb Guineen einbrachten. Doch damit waren offenbar die Tiefstpreise erreicht. Im Jahr 1800 wurden normalerweise 15 Guineen für eine Tulpenzwiebel bezahlt. Im Jahr 1835 wurde ein Exemplar der Sorte Miss Fanny Kemble in London für 75 Pfund versteigert. Noch bemerkenswerter war der Preis einer Tulpe, die sich im Besitz eines Gärtners in einem der noblen Häuser in der King’s Road in Chelsea befand: In seinem Katalog wurde ihr Wert mit 200 Guineen angegeben.

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18)Sinngemäß: »Und dann die fröhliche Tulpe, wollüstig, stolz und verspielt. Es gibt keine Farbe, die sie nicht zeigen könnte, und durch immer neue Kreuzungen verändert sie ihr Aussehen. Purpur und Gold bedeuten ihr nichts, doch in farbenprächtigem Gewand erfüllt sie ihren einzigen Zweck: dem Auge zu gefallen und jede andere Blume zu überstrahlen.« (Anm. d. Übers.)

19)Hier handelt es sich um eine Rückübersetzung aus dem Englischen, nicht um ein Zitat aus Beckmanns 1783 erschienenen Arbeit Beiträge zur Geschichte der Erfindungen.

20)In Großbritannien entsprach 1 Gran zu jener Zeit 0,648 Gramm.

Im Geldrausch: Das große Mississippi-Projekt

Some in clandestine companies combine; Erect new stocks to trade beyond the line; With air and empty names beguile the town, And raise new credits first, the cry’em down; Divide the empty nothing into shares, And set the crowd together by the ears.21

DANIEL DEFOE

Das gewaltige Projekt der Jahre 1719 und 1720 ist derart eng mit dem Charakter und der Laufbahn eines Mannes verknüpft, dass es keine passendere Einleitung zur Geschichte des verrückten Mississippi-Abenteuers geben kann als eine kurze Beschreibung des Lebens seines großen Erfinders John Law. Die Historiker streiten über die Frage, ob man ihn als Schurken oder als Wahnsinnigen bezeichnen soll. Zu Lebzeiten, als die unglücklichen Folgen seiner Projekte noch zu spüren waren, wurde er gnadenlos mit beiden Schimpfnamen bedacht. Doch die Nachwelt bezweifelt die Rechtmäßigkeit der Beschuldigungen und glaubt Gründe dafür zu sehen, dass John Law weder ein Schurke noch ein Wahnsinniger war. Vielmehr gesteht man ihm mittlerweile zu, dass er eher getäuscht wurde, als dass er andere getäuscht hätte, und dass man sich eher an ihm versündigte, als dass er sich an anderen versündigt hätte. Er war mit den Grundlagen des Kreditwesens vertraut. Er verstand sich besser auf monetäre Fragen als irgendeiner seiner Zeitgenossen, und dass sein System derart abrupt zusammenbrach, war weniger seine Schuld als die der Menschen, auf denen er es errichtet hatte. Er rechnete nicht mit der hysterischen Gier einer ganzen Nation, er begriff nicht, dass das Vertrauen ebenso wie das Misstrauen fast ad infinitum