Über Robert Merle

Das literarische Werk Robert Merles spannt sich in einem weiten Bogen von seinem ersten Welterfolg »Der Tod ist mein Beruf« über die ironische Zukunftsvision der »Geschützten Männer« bis zur dreizehnbändigen Romanfolge »Fortune de France«, die im Aufbau Verlag vollständig in deutscher Übersetzung erschienen ist:

Fortune de France

In unseren grünen Jahren

Die gute Stadt Paris

Noch immer schwelt die Glut

Paris ist eine Messe wert

Der Tag bricht an

Der wilde Tanz der Seidenröcke

Das Königskind

Die Rosen des Lebens

Lilie und Purpur

Ein Kardinal vor La Rochelle

Die Rache der Königin

Der König ist tot

Informationen zum Buch

Frankreich im 16. Jahrhundert – es tobt der Glaubenskrieg zwischen Katholiken und Hugenotten. Die Christen beider Parteien metzeln einander fröhlich nieder: es fällt ja so schwer, den Glauben des anderen zu ertragen. Noch in der kleinen Welt von Burg Mespech im Périgord spürt der junge Pierre de Siorac den Riss, der durch das Land geht. Sein Vater, der Barron, ist Anhänger der reformierten Religion und zwingt die Kinder wie auch das Gesinde, sich gleichfalls zu bekehren. Die Mutter bleibt Papistin, ein nie nachlassender Grund für Konflikte. Und trotzdem ist für Pierre die Burg der Ort, an dem er sich geborgen fühlt. Hier lernt er fechten, reiten, lieben und bildet die Talente aus, die er dereinst – in den folgenden Bänden der Romanserie – dem guten König Henri Quatre leihen wird. »Fortune de France« – Schicksal Frankreichs – ist ein unterhaltsamer und zudem genau recherchierter historischer Roman, »… und wenn ich mir die geschichtlichen Hintergrundinformationen allein zusammensuchte, dann nicht aus hugenottischer Sparsamkeit, sondern weil es mir großes Vergnügen bereitete und ich mit keine der vielen amüsanten, bunten, schrecklichen oder pikanten Einzelheiten entgehen lassen wollte, von denen die Memoiren jener Zeit übervoll sind.« (Robert Merle)

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Robert Merle

Fortune de France

Roman

Aus dem Französischen von Edgar Völkl und Ilse Täubert

Inhaltsübersicht

Über Robert Merle

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Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Anmerkungen

Fußnoten

Impressum

Wird sich das Schicksal Frankreichs wieder

zum Besseren wenden? Oder wird das Land

der Verachtung anheimfallen und für immer

darniederliegen?

Michel de L'Hospital

Erstes Kapitel

Meine Familie kann sich nicht rühmen, ihren Adelstitel schon seit ungezählten Generationen zu führen. Erst mein Vater hat ihn erworben. Ich gestehe dies in aller Offenheit ein; denn wollte ich es daran fehlen lassen, würde ich diesen Lebensbericht gar nicht erst beginnen. Mein Vorsatz ist, mich bei der Niederschrift allein von der Wahrheit leiten zu lassen, ohne auch nur ein Jota davon abzuweichen.

Monsieur de Fontenac, welcher manch lästerliche Gemeinheit über uns verbreitet hat, wagte auch zu behaupten, mein Urgroßvater sei – wie Monsieur de Sauve – Lakai gewesen, was eine Lüge ist, für die ich ihm gehörig das Maul gestopft habe.

Wie jeder weiß, hat Monsieur de Sauve sein Ministeramt sowohl seiner höchst bewundernswerten Geschicklichkeit wie den Erfolgen zu verdanken, welche seine Frau als Bediente der Königin Katharina in den Betten der Prinzen von Geblüt errang. So hoch ist unsere Familie nicht aufgestiegen und nicht mit solchen Mitteln. Sie hat auch nicht so weit unten beginnen müssen, obzwar es keine Schande ist, wie ich vermeine, Lakai zu sein: die Angst vor dem Verhungern kann einen armen Schlucker leicht dahin führen.

Aber die Wahrheit ist, daß mein Urgroßvater François Siorac nicht bei fremden Herren Dienst tat, sondern nahe Taniès im Sarladischen ein gutes Stück Land zu eigen hatte und es auch selbst bearbeitete. Wie groß sein Besitz war, weiß ich nicht zu sagen, doch nach der Grundsteuer zu urteilen, welche er dem König zahlte – die höchste in der ganzen Gemeinde –, kann es so wenig nicht gewesen sein. Auch geizig war mein Urahn nicht, denn er gab seinem Pfarrer jeden Monat zehn Sols, seinen zweitgeborenen Sohn Charles das Latein zu lehren, in der Hoffnung vielleicht, selbigen einmal in den geistlichen Stand treten zu sehen.

Mein Großvater Charles, von angenehmem Äußeren – er hatte dasselbe rötliche Haar wie mein Halbbruder Samson –, lernte sein Latein mit Fleiß, doch zog er den Gebeten das Abenteuer vor: mit achtzehn Jahren verließ er das heimatliche Dorf, um im Norden sein Glück zu machen.

Was ihm auch gelang, denn er heiratete in Rouen die Tochter eines Apothekers, dessen Gehilfe er geworden war. Ich weiß weder zu sagen, wie er als Apothekergehilfe zu studieren vermochte, um den Titel eines Apothekermeisters zu erwerben, noch ob er diesen überhaupt erwarb; jedenfalls übernahm er nach dem Tode seines Schwiegervaters dessen Offizin und führte die Geschäfte mit größtem Erfolge. Anno 1514, als mein Vater geboren ward, war er vermögend genug, zwei Meilen von Rouen entfernt eine Mühle mit den dazugehörigen schönen Wiesen zu kaufen, welches Anwesen den Namen La Volpie trug. Und in jener Zeit tauchte dann zwischen Charles und Siorac das kleine Wörtchen de auf, welches mein Vater zwar belächelte, doch nichtsdestoweniger beibehielt. Indes habe ich auf keinem der von meinem Vater aufbewahrten Papiere die Bezeichnung Edler vor der Unterschrift Charles de Siorac, Seigneur de la Volpie, gefunden, was beweist, daß mein Großvater niemandem etwas vortäuschen wollte wie so viele Bürgerliche, welche sich ein Anwesen kaufen, nur um sich mit einem Titel zu schmücken, den der König ihnen gar nicht verliehen hat. Der unechten Adeligen gibt es die Menge, wie ein jeder weiß. Doch ist ihr Vermögen nur ansehnlich genug, eine Heirat zu rechtfertigen, dann drücken auch die echten Adeligen ein Auge zu.

Mein Vater Jean de Siorac, denn so nannte er sich, war zweitgeborener Sohn wie schon sein Vater Charles und wie ich selbst es bin. Eingedenk dessen, was der alte François Siorac mit den so kostspieligen Latein-Lectiones für ihn getan, schickte Charles seinen Sohn Jean nach Montpellier, auf daß er dort die Medizin studiere. Dies bedeutete eine gar weite Reise, einen langen Aufenthalt in der Fremde und ein selbst für einen Apotheker beträchtliches Opfer an Geld, doch der alternde Charles träumte davon, daß sein Ältester Henri die Offizin übernähme und sein Zweitgeborener Jean sich als Medicus in der Stadt niederließe; solcherart den Patienten von zwei Seiten bedrängend, würden beide ein gutes Auskommen finden, so Gott wollte. Was seine drei Töchter betraf, welche in seinen Augen wenig zählten, so stattete er sie dennoch mit einer Mitgift aus, deren er sich nicht zu schämen brauchte.

Mein Vater erwarb also in Montpellier den Grad eines Baccalaureus und hernach den eines Lizentiaten der Medizin, doch konnte er seine Doktordisputation nicht abhalten. Zwei Tage vor dem festgesetzten Tage mußte er aus der Stadt flüchten, alldieweil es ihn nicht danach gelüstete, mit einer Schlinge um den Hals seinen letzten Blick zum Himmel zu tun und anschließend in vier Teile gerissen zu werden, welche vier Teile dann gemäß dem örtlichen Brauche an den Ölbäumen vor den Toren der Vorstadt aufgehängt wurden: ein Brauch, welcher mich seltsam berührte, als ich dreißig Jahre später höchstselbst an einem sonnigen Junimorgen in diese schöne Stadt einritt und dabei die verwesenden Teile gehenkter Frauen gewahrte, welche zum Exempel an den Zweigen dieser Bäume hingen, die es sich gleichwohl nicht versagten, fleißig Früchte zu tragen.

Wenn ich meinen Vater heutigentags ansehe, so vermag ich mir kaum vorzustellen, daß er vor dreißig Jahren ebenso ungestüm war wie ich, ebenso waghalsig und den Weibern nicht weniger zugetan. Denn in der Tat war ein gewißlich ganz nichtsnutziges Frauenzimmer der Anlaß, daß mein Vater einen kleinen aufgeblasenen Edelmann, welcher ihn herausgefordert, in ehrlichem Duell mit seinem Degen durchbohrte.

Eine Stunde darauf erblickte Jean de Siorac von einem Seitenfensterchen seines Quartieres die Büttel, welche an die Haustür schlugen. Er sprang kurzentschlossen aus einem Hoffenster, schwang sich auf sein zum Glück noch gesatteltes Roß und sprengte mit verhängten Zügeln zur Stadt hinaus. Nur mit einem Wams angetan, barhäuptig, ohne Mantel und Degen rettete er sich in das Cevennen-Gebirge und fand zuerst Unterschlupf bei einem Studiosus, welcher hoch droben in einem Bergdorf sechs Monate lang die Heilkunst ausübte, bevor er zu Montpellier seine Doktordisputation abzuhalten gedachte. Alsdann durchquerte mein Vater die Auvergne und gelangte ins Périgord, wo der alte François Siorac ihn mit Kleidern, Wehr und Waffen versah, ehe er ihn auf den Weg nach Rouen zu seinem Sohne Charles schickte.

Doch in der Zwischenzeit hatten die Eltern des Edelmannes, welche die Sache nicht auf sich beruhen lassen wollten, Klage eingereicht beim Parlament zu Aix, und so wäre es trotz der Protektion, welche mein Großvater als Apotheker genoß, nicht klüglich gewesen, daß Jean de Siorac sich zu Rouen in aller Öffentlichkeit zeigte.

Dies trug sich zu in dem Jahre, da unser großer König Franz I. die Aushebung einer Legion in jeder Provinz des Königreiches verfügte – eine weise Maßnahme, welche uns, so sie später nur fortgeführt worden wäre, in unseren Kriegen der Notwendigkeit enthoben hätte, jene Schweizer anzuwerben, die sich gewißlich wacker schlugen, solange sie ihren Sold erhielten, doch andernfalls den unglücklichen französischen Bauersmann ebenso ausplünderten wie der Feind.

Die erste Legion, welche im Königreiche aufgestellt ward, war die Normannische, welche sechstausend Mann zählte, und mein Vater ließ sich dort kurzerhand anwerben mit dem Versprechen, daß der König ihn wegen des im Duell getöteten Mannes begnadigen werde. Und in der Tat, als Franz I. im Mai anno 1536 die Normannische Legion in Augenschein nahm, fand er alles zu seiner Zufriedenheit, so daß er jeglichen Bittgesuchen großmütig stattgab und auch meinen Vater begnadigte – allerdings unter der Bedingung, daß er fünf Jahre lang diene. »Und so geschah es«, pflegte Jean de Siorac zu sagen, »daß ich, nachdem ich die Kunst des Heilens erlernt, gezwungen war, das Töten zu meinem Handwerk zu machen.«

Es stieß meinem Großvater Charles höchst sauer auf, seinen Zweitgeborenen in dem niederen Stande eines Legionssoldaten zu sehen, nachdem er soviel Geld ausgegeben, damit selbiger Stadtmedicus werde; um so mehr da sein Ältester, Henri, der künftige Apotheker, immer mehr vom rechten Wege abkam: er vernachlässigte seine Studien, trank, spielte und brachte sein Geld mit liederlichen Frauenzimmern und Lustdirnen durch, bis er eines Abends mit leeren Taschen und ein wenig fremder Hilfe im Seine-Fluß ertrank.

Mein Großvater Charles fand schließlich Trost darin, daß diejenige seiner Töchter, welche er immer als »dumme Gans« verachtet hatte, der es indes nicht an gesundem Menschenverstand ermangelte, ihm einen trefflichen Tochtermann ins Haus brachte, der das Zeug hatte, seine Nachfolge anzutreten. Und so ward diese Apotheke sonderbarerweise zum zweiten Male nicht vom Vater auf den Sohn, sondern vom Schwiegervater auf den Tochtermann vererbt.

Was nun meinen Vater Jean de Siorac betraf: er war aus ganz anderem Holze geschnitzt als sein älterer Bruder. In der Legion strebte er mit Fleiß danach, sein Los aufzubessern. Er zeigte sich tapfer und ausdauernd, und obgleich er kein Wort von seiner Lizentiatur in der Heilkunst hatte verlauten lassen (aus Angst, mit dem Amte eines Feldschers fürliebnehmen zu müssen, was ihm nicht geschmeckt hätte), behandelte und verband er die Wunden seiner Waffengefährten, wofür er geschätzt ward von den einfachen Kriegsmannen wie den Truppenführern.

Er diente nicht nur fünf Jahre, sondern deren neun, nämlich von anno 1536 bis anno 1545, und jeder Feldzug brachte ihm eine weitere Wunde und einen höheren Rang ein. Vom Rottenführer stieg er auf zum Fähnrich, vom Fähnrich zum Leutnant. Und vom Leutnant ward er schließlich anno 1544 – mit Schuß- und Stoßwunden in allen Körperteilen, ausgenommen die lebenswichtigen – zum Hauptmann befördert.

Dieser Rang war in der Legion der höchste, zu dem ein einfacher Soldat aufsteigen konnte, und bedeutete den Befehl über tausend Legionäre, einen Sold von 100 Livres pro Monat Feldzug sowie einen größeren Beuteanteil beim Plündern der Städte. Doch was mein Vater noch höher schätzte: sein neuer Rang zog die Erhebung in den Adelsstand mit dem Titel eines Junkers nach sich, auf edele Art erworben mit Tapferkeit und Blut, nicht etwa durch Geld oder die Gefälligkeit eines Eheweibes.

Am gleichen Tage, da mein Vater den Hauptmannsgrad erhielt, ward auch sein Freund und Gefährte in guten wie in bösen Tagen, Jean de Sauveterre, befördert. Zwischen beiden Männern waren in den Wechselfällen der Schlachten und angesichts der Todesgefahr, aus der sie einander viele Male errettet, die Bande einer außergewöhnlichen Zuneigung gewachsen, der weder die Zeit noch die Widrigkeiten des Lebens noch die Heirat meines Vaters etwas anzuhaben vermochten. Jean de Sauveterre zählte fünf Jahre mehr denn Jean de Siorac, war so dunkel an Haut und Haaren wie letzterer blond, hatte ein vernarbtes Gesicht und war kurz angebunden in seiner Rede.

Mein Vater blieb nicht lange Junker. Anno 1545 kämpfte er so tapfer bei Ceresole d'Alba, daß der Herzog von Enghien, welcher an jenem denkwürdigen Tage den Befehl führte, ihn noch auf dem Schlachtfeld zum Ritter schlug. Die Freude meines Vaters ward indessen durch eine schwere Verwundung getrübt, die Jean de Sauveterre erlitten und durch welche sein linkes Bein lahm blieb. Nach dem Feldzug konnte er bestenfalls seine Versetzung zum Dienst in einer Zitadelle erwarten, was die Trennung von dem anderen Jean bedeutet hätte, welcher Gedanke für den einen wie den anderen ganz unerträglich war.

Während ihnen nun die Zukunft in solcherart trübem Licht erschien, schied mein Großvater Charles aus dem Leben. Er hatte kaum Zeit gehabt, sich an dem Glanze zu erfreuen, welchen der Aufstieg seines Zweitgeborenen der Familie verlieh. Er erwartete freudig den baldigen Besuch seines Sohnes, des »Chevalier de Siorac«, wie er ihn überall unter den Bürgern von Rouen ankündigte, als er von einem üblen Darmleiden – einem Miserere1, wie man sagte – erfaßt ward. Er verschied in Schweiß und Schmerzen, ohne seinen Jüngsten wiedergesehen zu haben, den einzigen Sohn, der ihm verblieben, und das einzige seiner Kinder, das er wirklich liebte, denn wie ich schon vermeldet, bedeuteten ihm seine Töchter nichts.

Der Chevalier de Siorac nahm sein Erbteil in Empfang, welches sich auf 7537 Livres belief, und kehrte in sein Feldlager zurück, wo er sich mit Jean de Sauveterre in das Zelt, das sie teilten, zurückzog, mit diesem gemeinsam aufzurechnen, wie hoch ihr Vermögen wäre. Dank ihrer Sparsamkeit und ihrer Abneigung gegen Spiel und Wein, die beiden Lasterpfühle des Soldaten, hatten sie ihr Soldgeld zu sparen vermocht und auch nur wenig von ihrem Beuteanteil aufgebraucht. Zudem hatten sie im Laufe der Jahre einem ehrlichen Juden zu Rouen größere Summen Geldes anvertraut, damit er sie durch Wucher vermehre, und so fanden sie sich nun gemeinsam im Besitz von 35 000 Livres, welches Vermögen ihnen ausreichend erschien, sich auf dem Lande niederzulassen, ohne dabei einen Unterschied zwischen dem, was dem einen und was dem anderen gehörte, machen zu wollen, denn sie gedachten von nun an alles zu teilen – den Gewinn wie den Verlust.

So verließen die beiden Jeans mit der Einwilligung des Generalleutnants und zu dessen Bedauern die Normannische Legion, samt ihren Pferden, Waffen, Schätzen und drei wackeren Soldaten in ihrem Dienst. Einer von diesen lenkte den Wagen, darauf sich all ihre vergänglichen Güter befanden sowie eine ganze Sammlung von erbeuteten Pistolen, Arkebusen und Stutzbüchsen, welche allesamt geladen waren. Von der Normandie bis ins Périgord war es ein weiter Weg, die Straßen waren wenig sicher, und die kleine Schar bewegte sich nur mit Vorsicht vorwärts, wobei sie den größeren Räuberbanden stets auswich, doch kleine Strauchritter, die ihnen Brückenzoll abpressen wollten, wacker niedermachte. Den solcherart Gemetzelten wurden die Waffen und Dukaten abgenommen, davon die drei Soldaten ihren Anteil erhielten und der Rest die Truhen der beiden Jeans auffüllte.

Hinter Bordeaux tauchte auf der Straße nach Bergerac eine liebreizende Schar junger Nonnen auf behäbigen Gäulen auf, denen eine stolze Äbtissin in einer Kutsche voranfuhr. Beim Anblick der fünf Soldaten mit ihren sonnengebräunten, vernarbten, bärtigen Gesichtern, welche sich ihnen in einer Staubwolke näherten, begannen die Nönnchen laut zu schreien, wohl erwartend, daß ihre jungfräulichen Erdentage zu Ende gingen. Jean de Siorac jedoch zügelte sein Roß am Fenster der Kutsche, grüßte die Äbtissin gar höflich, nannte seinen Namen und zerstreute ihre Befürchtungen. Sie war jung, von guter Herkunft, keineswegs abweisend, und bat meinen Vater mit holdreichen und vielversprechenden Blicken, ihr doch bis Sarlat Schutz und Geleit zu geben. Mein Vater, welcher damals – wie ihm nachgesagt ward – eine leichte Beute für alle Teufelinnen der Erde war, auch wenn sie im Gewande einer Äbtissin daherkamen, wollte schon zustimmen, als Jean de Sauveterre auf den Plan trat. Höflich, doch felsenhart, sein schwarzes Auge kalt auf die Jungfer gerichtet, tat er der Äbtissin dar, daß ein solches Geleit bei der Gangart, welche die Gäule ihrer heiligen Töchter an den Tag legten, seine Schar gehörig aufhalten und folglich länger den Fährlichkeiten der Straße aussetzen würde. Kurzum, es handele sich um einen Dienst, welcher nicht für weniger als fünfzig Livres gewährt werden könne, worauf die Äbtissin, aus deren Blicken jede Freundlichkeit gewichen, gar heftig zu disputieren begann. Allein Jean de Sauveterre blieb unerbittlich, so daß sie am Ende die vorgemeldete Summe bis auf den letzten Heller und noch dazu im voraus zahlte.

In meinen Kindertagen habe ich diese Geschichte wohl hundertmal von Cabusse gehört, einem unserer drei Soldaten, von denen die anderen beiden Marsal und Coulondre hießen. Und obgleich sie mir gar wohl gefiel, schien sie mir doch auch recht unverständlich, denn zum Schluß brach Cabusse jedesmal in ein großes Gelächter aus und rief: »Der eine Jean hat die Dukaten genommen und der andere Jean das übrige, Gott segne ihn!«

In Taniès war mein Urgroßvater, der alte François Siorac, inzwischen gestorben, doch Raymond, der ältere Bruder von Charles, dem Apotheker, hatte den Grundbesitz übernommen. Er nahm seinen Neffen freundlich auf, wenngleich er in seinem Innern recht erschreckt darüber war, fünf bärtige, gestiefelte und waffenstarrende Kriegsleute in sein Haus einfallen zu sehen. Doch Jean entschädigte ihn sowohl für Kost wie für Logis, und da es gerade Erntezeit war, krempelten die drei Soldaten die Ärmel hoch und gingen mit zur Hand. Es waren im übrigen wackere, rechtschaffene Kerle, und obgleich sie in der Normannischen Legion gedient, da sie seinerzeit in jener Provinz ansässig gewesen, stammten zwei von ihnen aus dem Quercy und der dritte – Cabusse – war Gascogner.

Noch ehe die beiden Jeans sich entschieden, wo und wie sie sich niederlassen sollten, suchten sie auf ihren besten Pferden und in ihren besten Gewändern, in welchen man ihnen dennoch den Soldatenstand ansah, die Burgen in der Umgebung auf, um sich dem sarladischen Adel vorzustellen. Jean de Siorac, damals im dreißigsten Jahr seines Alters, blond, blauäugig und von ansehnlicher Gestalt, erschien fast noch wie ein Jüngling, hätte nicht eine kleine Narbe auf der linken Wange von seinem Mannesalter gezeugt, ohne ihn dabei zu entstellen, denn alle anderen Wundmäler waren von den Kleidern verdeckt. Jean de Sauveterre hingegen, vierunddreißig Jahre zählend, das struppige Haar bereits angegraut, das Angesicht vernarbt, die Augen ernst und tiefliegend, wirkte beinahe wie dessen Vater. Dazu hinkte er, was er mit großer Gewandtheit tat, indes seine breiten Schultern große Körperkraft verrieten.

Weder der Chevalier de Siorac noch der Junker von Sauveterre waren darauf bedacht, ihre Herkunft zu verbergen, empfanden sie doch das geringe Alter ihrer Adelstitel keineswegs als Schande. Diese Offenheit zeigte deutlich, daß sie sich ihres Wertes wohl bewußt waren. Zudem waren beide von großer Gewandtheit in ihrer Rede, dabei ohne jede Hochmütigkeit noch Aufdringlichkeit, aber dennoch wirkend wie Männer, welche man besser nicht mit Verachtung behandelt.

Die Bewohner des Périgord genießen den Ruf der Liebenswürdigkeit, und so wurden die beiden Hauptleute überall mit Freundlichkeit empfangen, jedoch nirgends herzlicher als von François de Caumont, Seigneur de Castelnau et des Milandes, und seinen Brüdern.

Die prachtvolle Burg Castelnau, errichtet von seinem Großvater François de Castelnau, war noch keine fünfzig Jahre alt, und ihre Mauern erstrahlten in jenem für den perigurdinischen Stein charakteristischen Ockerton, welcher in der Sonne so freundlich wirkt. Wehrhaft hingebaut auf einen Felsen hoch über den Windungen des Dordogne-Flusses, flankiert von einem dicken Rundturm, erschien sie unseren beiden Hauptleuten gänzlich uneinnehmbar, außer vielleicht mit zahlreichem Feldgeschütz, welches jedoch den Nachteil hätte, von unten nach oben feuern zu müssen. Als sie über die Zugbrücke ritten, bemerkten sie im übrigen zwei Maueröffnungen, mit Feldschlangen bestückt, welche mögliche Angreifer ins Kreuzfeuer nehmen und diesen gewaltig hätten zusetzen können.

Und so ergingen sich die beiden Besucher denn auch gleich in langen Lobreden über diese gar neue, gar prachtvolle und überaus stark befestigte Burg, welche einen gar weiten Blick über die Dordogne-Ebene bot. Nach dieser Eröffnung, welche entsprechend der Wesensart meines Vaters nicht zu kurz ausfiel, wurde das Lob auf das artigste erwidert, denn François de Caumont hatte Kunde eingeholt über seine Gäste und pries nun seinerseits die außergewöhnliche Tapferkeit, welche sie im Dienste des Königs an den Tag gelegt. Dies alles dürfte wohl in jener geschraubten Redeweise vorgebracht worden sein, welche von unseren Vätern hochgeschätzt ward und deren sich gewisse Leute noch heutigentags bedienen, wohingegen ich sie als sehr umständlich empfinde und ihr die einfache und klare Rede des Bauersmannes vorziehe.

François de Caumont (mit dessen Bruder Geoffroy ich später in höchst blutige Ereignisse verwickelt wurde, daraus wir nur wie durch ein Wunder entkamen) war von kleinem Wuchs, doch breit in den Schultern, mit einer tiefen Stimme sowie glänzenden, aufmerksamen Augen. Mit fünfundzwanzig Jahren besaß er bereits die Weisheit des Alters, pflegte alles und jedes genau abzuwägen und nichts zu überstürzen.

Als dann die gegenseitigen Lobreden geendet, stellte François de Caumont seinen beiden Besuchern, in denen er Anhänger – gleich ihm – des »neuen Glaubens« zu erkennen meinte, sehr geschickte Fragen, und wiewohl ihm auf höchst vorsichtige Weise Antwort gegeben wurde, ersah er, daß er sich nicht täuschte. Und begriff sehr wohl, wie sehr Leute solchen Schlages die Reihen seines Lagers zu stärken vermöchten und es folglich angebracht wäre, ihnen bei ihrer Niederlassung alle Hilfe angedeihen zu lassen.

»Meine Herren«, sprach er also, »der Zufall ist Euch günstig, denn über acht Tage wird zu Sarlat die Baronie von Mespech versteigert, zu welcher, wiewohl sie seit dem Tode des letzten Herren so gut wie brachliegen, fruchtbare Äcker gehören, fette Wiesen sowie prächtige Kastanienwälder. Baron von Fontenac, dessen Güter Mespech benachbart sind, würde es gern billig kaufen, um solcherart seinen Besitz zu vergrößern, und so hat er alles ins Werk gesetzt, um den Verkauf zu verzögern; er hofft, daß Mespech mit der Zeit immer mehr verfällt, so daß sich schließlich kein Käufer mehr finden möchte. Doch im Interesse der Erben ist man nun in Sarlat entschlossen, die Machenschaften Fontenacs zu durchkreuzen, und hat die Versteigerung endgültig auf die Mittagsstunde des kommenden Montags festgesetzt.«

»Monsieur de Caumont«, hub da Jean de Sauveterre an, »zählt Baron de Fontenac zu Euren Freunden?«

»Keineswegs«, erwiderte Caumont gesenkten Blickes. »Keiner ist hier Fontenacs Freund, und auch er ist niemandes Freund.«

Mehr sagte er nicht, woraus Sauveterre mutmaßte, daß es dazu viel zu erzählen gäbe, Caumont aber lieber schweigen wolle. Auch Siorac hätte dies wohl bemerkt, wäre nicht in diesem Augenblick eine liebreizende Jungfrau eingetreten, die ein weit ausgeschnittenes Morgenkleid trug und deren blondes Haar bis auf die Schultern fiel. Seit er seine Besuche bei den adeligen Herren des Sarladischen Landes begonnen, hatte Siorac so viele Damen gesehen, deren Hals in steife Spitzenkrausen gezwängt war, darauf der Kopf wie auf einem Teller zu ruhen schien, daß er diesen Hals von makellosem Weiß, der mit der Anmut eines Schwanes bewegt ward, mit großem Entzücken betrachtete, indes die Jungfrau ihn ihrerseits mit ihren blauen Augen ansah. Man grüßte sich gegenseitig, und Sauveterre, welcher herbeigehumpelt kam, gewahrte an dem Halse, der Siorac solches Entzücken bereitete, eine Medaille, bei welchem Anblick sich seine Miene verfinsterte.

»Isabelle«, sprach Caumont mit seiner tiefen Stimme, »ist die Tochter meines Oheims, des Chevalier de Caumont. Mein Eheweib muß infolge einer Hirnverkühlung das Zimmer hüten, sonst wäre sie zu Ehren unserer Gäste herabgekommen. So wird meine Base Isabelle ihren Platz einnehmen. Obgleich nicht unbegütert, lebt Isabelle bei uns – zu unserer großen Freude, denn sie ist die Vollkommenheit in Person«, endete er mit einem Blick auf Siorac.

Verschmitzt setzte er hinzu, doch diesmal mit einem Blick auf Sauveterre: »Es gibt nichts Tadelnswürdiges an ihr, ausgenommen vielleicht ihre Vorliebe für Medaillen.«

Worauf die blauen Augen Isabelles zu blitzen begannen und sie gar heftig mit einer lebhaften Bewegung des Halses und der Schultern erwiderte:

»Worinnen ich, mein lieber Vetter, dem König Ludwig XI. ähnele …«

»Welcher ein großer König war trotz seiner Götzendienerei«, setzte Caumont mit ernster Stimme, doch lächelnden Auges hinzu.

Als die beiden Jeans am nächsten Tage sich auf ihren Rössern zur Burg Mespech begaben, fanden sie die Zugbrücke hochgezogen, und auf ihr Rufen zeigte sich nach einer Weile auf dem Burgwall ein Kopf mit borstigem Haarschopf, rotem Gesicht und stumpfen Augen.

»Ziehet weiter!« schrie der Mann mit rauher Stimme, »ich habe Befehl, niemandem zu öffnen!«

»Was für ein Befehl ist das?« fragte Jean de Siorac. »Und wer hat ihn dir erteilt? Ich bin der Chevalier de Siorac, der Neffe von Raymond Siorac aus Taniès, und bin willens, die Burg mit meinem Gefährten Jean de Sauveterre zu kaufen. Doch wie kann ich sie kaufen, wenn mir die Besichtigung verwehrt wird?«

»Oh, Moussu2, Moussu!« rief der Mann. »Ich bitte Euch untertänigst um Vergebung, doch bedeutete es große Gefahr für mein Leben und das der Meinen, so ich Euch einließe.«

»Wer bist du, und wie ist dein Name?«

»Maligou.«

»Ein rechter Saufbruder ist er, wie mich deucht«, sagte Sauveterre mit verhaltener Stimme.

»Maligou«, hub Siorac wieder an, »bist du ein Bedienter dieses Hauses?«

»Nein«, erwiderte er stolz, »ich besitze selbst einen Acker, ein Haus und einen Weinberg.«

»Einen großen Weinberg?« fragte Sauveterre.

»Groß genug für meinen Durst.«

»Und aus welchem Grunde befindest du dich allhier?«

»Nachdem ich meine bescheidene Ernte eingebracht, habe ich mich zu meinem Unglück von den Erben Mespechs für zwei Sols am Tag für die Bewachung der Burg verdingen lassen.«

»Welche zwei Sols du gar schlecht verdienst, wenn du die Käufer nicht einläßt!«

»Moussu, ich darf nicht«, erwiderte Maligou in kläglichem Ton. »So ist es mir befohlen, und wenn ich zuwiderhandele, setze ich mein Leben aufs Spiel.«

»Wer hat dir dies befohlen?«

»Ihr wisset schon, wer«, antwortete Maligou mit gesenktem Haupte.

»Maligou«, sprach da Sauveterre mit finsterer Miene, »wenn du nicht sogleich die Zugbrücke herabläßt, dann galoppiere ich nach Sarlat, den Kriminalleutnant mit seinen Bütteln zu holen. Die werden dich dann hängen dafür, daß du die Käufer behinderst!«

»Monsieur de La Boétie werde ich gewißlich einlassen«, sagte Maligou mit einem gewaltigen Seufzer der Erleichterung, »doch ich glaube nicht, daß er mich aufhängen läßt. Holet nur den Leutnant, Moussu, ehe ich von anderen umgebracht werde! Ich bitte Euch im Namen Gottes unseres Herrn und aller Heiligen!«

»Zum Teufel mit den Heiligen«, sprach Sauveterre leise. »Trägt der Kerl etwa auch eine Medaille der Jungfrau Maria?«

»Aber gewiß nicht an so liebreizender und vortrefflicher Stelle«, entgegnete Siorac mit halber Stimme und fuhr fort: »Also dann auf, Sauveterre, lasset uns nach Sarlat reiten! Durch die Schuld dieses störrischen Kerls haben wir noch ein gutes Stück Weg vor uns!«

»Oder durch die Schuld dessen, der ihn in Angst und Schrecken versetzt«, sprach Sauveterre, indes er sein Roß mit sorgenvoller Miene wendete. »Mein Bruder, wir sollten daran denken, daß wir keinen guten Nachbarn haben werden, wenn es stimmt, daß die Güter dieses Fontenac an Mespech grenzen.«

»Aber die Burg gefällt mir«, sprach Siorac, sich in den Steigbügeln aufrichtend. »Sie ist prächtig und neu! Es wäre ein großes Vergnügen, in einer so neuen Behausung zu wohnen. Zum Henker mit den engen Fensterhöhlen und den schwarzen, bemoosten Mauern! Um wieviel besser gefallen mir die hell leuchtenden Mauersteine und die Kreuzstockfenster, welche das Licht hereinlassen!«

»Aber auch dem Angreifer das Werk erleichtern …«

»Wenn notwendig, werden wir sie von innen mit dicken Fensterläden aus Eichenholz versehen.«

»Ihr wollet die Katze im Sack kaufen, mein Bruder«, sagte Sauveterre mit vorwurfsvoller Miene. »Wir haben noch nicht einmal die Felder gesehen.«

»Heute den Wohnsitz, morgen und übermorgen die Felder«, sprach da Siorac.

Anthoine de La Boétie, kraft königlichen Erlasses Kriminalleutnant im Amtsbezirk Sarlat und Domme, bewohnte zu Sarlat ein sehr schönes neues Haus gegenüber der Kirche, mit jenen Kreuzstockfenstern, welche meinem Vater so gefielen, der im übrigen ganz vernarrt war in jede Neuheit, ob in der Religion, im Feldbau, in der Kriegskunst oder der Medizin, in welcher Kunst er sich noch immer mit Fleiß bildete. Erst vor kurzem habe ich in seiner umfänglichen Bibliothek Ambroise Parés Abhandlung über die »Methode der Behandlung von Wunden, verursacht durch Arkebusen und andere Feuerrohre« gefunden, welche mein Vater, wie aus einer Anmerkung von seiner Hand auf dem Vorsatzblatt hervorgeht, am 13ten Juli anno 1545, dem nämlichen Jahre dieser Ereignisse um Mespech, bei einem Buchhändler zu Sarlat gekauft.

Monsieur de La Boétie war prächtig gekleidet mit einem seidenen Wams und trug einen Lippenbart sowie einen spitzen Kinnbart, beide wohlgestutzt und gekämmt. Neben ihm saß auf einem niedrigeren Stuhle ein recht häßlicher junger Mann von etwa fünfzehn Jahren. Doch war seine Häßlichkeit nur äußerlicher Natur, denn sie ward überstrahlt von einem Paar blitzender, lebendiger Augen.

»Mein Sohn Etienne«, sagte Monsieur de La Boétie nicht ohne Stolz. »Meine Herren«, fuhr er dann fort, »die finsteren Machenschaften Fontenacs sind mir nicht unbekannt. Er will Mespech in Besitz nehmen mit allen Mitteln, seien sie noch so ruchlos und gemein. Mir ist auch bekannt – ohne es indes beweisen zu können –, daß im letzten Monat einige Männer in seinem Auftrage des Nachts die Burgmauern erklommen haben, um Dachsteine zu entfernen, damit das Regenwasser eindringen möge und so die Decken und das Mauerwerk verderbe. Da Fontenac über nicht mehr als fünfzehntausend tourische Livres verfügt und ihm keiner hier auch nur einen Heller leihen wird, weiß er wohl, daß er Mespech für diesen Preis nicht bekommt, wenn sich noch andere Bieter zur Versteigerung einstellen. Um nun zu verhindern, daß er weiteren Schaden verursacht, haben die Erben den Maligou zur Bewachung der Burg bestellt, doch als Fontenac von Euren Absichten erfuhr …«

»Er kennt sie also!« rief Siorac aus.

»Wie ein jeder im ganzen Sarladischen Land«, erwiderte La Boétie lächelnd und strich über seinen Spitzbart. »In den Schlössern wie in den Katen spricht man nur von Euch. Und ein jeder weiß auch, daß Fontenac dem armen Maligou gedroht hat, ihn samt Frau und Kindern lebendigen Leibes in seinem Hause zu braten, wenn er Euch in die Burg einließe.«

»Und Fontenac würde solches auch tun?« fragte Sauveterre.

»Er hat schon Schlimmeres getan«, antwortete La Boétie mit einer Handbewegung. »Doch ist er schlauer als tausend Füchse und hat niemals genügend Beweise hinterlassen, daß man ihn hätte vor Gericht bringen können.«

»Wir sind den Krieg gewohnt und verfügen über drei wackere Soldaten«, ließ Sauveterre sich hören. »Herr Kriminalleutnant, was könnte dieser Räuberbaron gegen uns unternehmen?«

»Seine Leute im Walde postieren, auf daß sie Euch dort maskiert in einem Hinterhalt auflauern, und den Mord dann einer der Banden zuschieben, welche unsere Gegend verunsichern.«

»Und über wie viele Männer verfügt dieser Fontenac?«

»Über etwa zehn Galgenvögel, welche er seine Soldaten nennt.«

»Zehn?« sprach da Siorac mit kühnem Blick, »das ist sehr wenig.«

Es folgte eine kurze Stille, worauf La Boétie wieder anhub:

»Doch Fontenac hat sich bereits unterfangen, Euch mit Mitteln der Unterstellung zu schaden. Denn dieses Ungeheuer verfügt auch über eine heimtückische Sanftheit, hinter der er sein ruchloses Beginnen zu verbergen sucht. So hat er im bischöflichen Palast zu Sarlat verbreitet, Ihr wäret beide Anhänger der reformierten Religion.«

»Wir bekennen uns nicht zur reformierten Religion«, erwiderte Siorac nach kurzem Schweigen, »und gehen wie ein jeder zur heiligen Messe.«

Sauveterre stimmte weder zu, noch sprach er dagegen. Er schwieg nur. Dieser Unterschied entging Anthoine de La Boétie nicht. Sein Sohn Etienne indes erhob sich, trat lebhaften Schrittes ans Fenster und sprach, sich umwendend, mit viel Entrüstung und Beredsamkeit:

»Ist es nicht eine Erzschande, danach zu fragen, ob diese beiden Edelleute hier zur Messe gehen oder nicht, wo sie doch zehn Jahre lang ihr Blut im Dienste des Königreiches vergossen haben? Und wer stellt eine solche Frage? Ein Mordbrenner, eine wilde Bestie, ein Henkersknecht, der sich der Religion wie eines Schildes zu bedienen sucht, um dahinter seine abscheulichen Taten zu begehen! Gott bewahre uns vor der Tyrannei, insonderheit vor dieser schlimmsten, welche die Gewissensfreiheit nicht achtet …«

»Mein Sohn«, sprach darauf Anthoine voller Zuneigung und Bewunderung, »ich weiß sehr wohl, welch edele Gefühle Euer Herz bewegen, wenn es gegen die Knechtschaft geht.«

»Zudem versteht Ihr es auf bewundernswerte Weise, Eure Gedanken in Worte zu setzen, Monsieur«, fügte Siorac hinzu, der sehr wohl bemerkt hatte, daß Etienne »im Dienste des Königreiches« und nicht »des Königs« gesagt.

Etienne setzte sich wieder neben seinen Vater und drückte ihm errötend die Hand, indes er seine glühenden Augen voller Dankbarkeit für die zustimmenden Worte auf ihn gerichtet hielt. ›Wie trefflich hat es die Natur gefügt‹, dachte Siorac, ›indem sie diese beiden zu Vater und Sohn machte, denn sie könnten einander nicht ähnlicher sein in ihrem Herzen und in ihrem Sinn.‹

»Ach, mein Herr Vater!« hub Etienne mit Tränen in den Augen wieder an, »warum nur nehmen die Völker die Tyrannei so leicht hin? Ich grübele darüber alle Tage, die Gott werden läßt. Ich kann den teuflischen Feldzug vom vergangenen April gegen die armen Waldenser im Luberon nicht vergessen, wo man achthundert Bauersleute hingemetzelt, ihre Dörfer niedergebrannt, ihre Weiber und Töchter in der Kirche zu Mérindol geschändet und danach in die Flammen geworfen; wo den alten Frauen, die es niemanden zu schänden gelüstete, Schießpulver in die Schamteile gesteckt ward, daß sie zerfetzt wurden, und man den Gefangenen bei lebendigem Leibe den Bauch aufschlitzte, ihr Gedärm um einen Stock zu wickeln! Und solche Grausamkeiten geschahen zu Cabrière in Gegenwart und unter dem Beifall des päpstlichen Gesandten! Und warum dies alles? Nur weil diese armen Menschen, friedlich und arbeitsam, gleich den ihnen nahestehenden Reformierten nicht zur Messe gehen, die Heiligen verehren und die Ohrenbeichte praktizieren wollten … Ihr wisset, mein Vater, welch guter Katholik ich bin, sosehr ich die Verderbtheiten der römischen Kirche mißbillige; doch werde ich schamrot darob, daß die Kirche des heiligen Petrus den König von Frankreich zu derartigen Abscheulichkeiten gedrängt hat …«

»Mein Sohn«, ließ sich La Boétie mit einem verlegenen Blick auf seine Besucher vernehmen, »Ihr wisset, daß unser König Franz I. ein Mann von großer Güte ist. Er hat das Schreiben, welches den Baron von Oppède zur Vollstreckung des vom Parlament zu Aix verfügten Urteils gegen die Waldenser bevollmächtigte, nicht gelesen, als er es unterzeichnete, weswegen er sich hernach große Vorwürfe machte und eine Untersuchung gegen die Schuldigen an diesem Blutbad verfügte.«

»Doch leider ist es nun zu spät!« rief Etienne, worauf er, die Verlegenheit seines Vaters gewahrend, verstummte und seufzend die Augen niederschlug.

Nach der darauf folgenden Stille hob Sauveterre wieder an:

»Um auf Fontenac zurückzukommen: wird denn das Wort dieses Schurken Gehör im Bischofspalast finden?«

»Ich weiß es nicht«, sagte La Boétie, obgleich er es sehr wohl zu wissen schien. »Dieser Verruchte spielt den guten Katholiken, wiewohl er ein erbärmlicher Christ ist. Er zahlt Messen und macht Schenkungen …«

»Welche der Bischof auch annimmt?«

»Wir haben ja gar keinen Bischof«, antwortete darauf La Boétie, mit dem Handrücken seinen Bart glättend. »Unser Bischof Nicolas de Gadis, welchen die Gemahlin des Dauphins3 hat ernennen lassen, stammt wie selbige Dame aus Florenz und lebt in Rom, allwo er auf seinen Kardinalshut wartet.«

»In Rom!« rief Siorac. »Da muß der von den Bauern ausgeschwitzte Kirchenzehnt aber eine lange Reise machen, um zu ihm zu gelangen!«

Worüber Etienne gar herzlich zu lachen anhub, so daß sich sein schwermütiges Gesicht unversehens wieder verjüngte.

»Wir haben jedoch einen Coadjutor«, fuhr La Boétie leicht spöttisch fort, »einen gewissen Jean Fabri.«

»Aber der wohnt in Belvès«, setzte Etienne hinzu, »denn die Luft von Sarlat verursacht ihm Beklemmungen, vor allem im Sommer …«

»Und von Sarlat nach Belvès«, fügte Siorac im gleichen Ton wie Etienne an, »ist auch die Reise für den Kirchenzehnt nicht so lang …«

»Aber einiges von besagtem Zehnt muß wohl in Sarlat verbleiben, denn es gibt hier noch den Generalvikar Noailles, welcher nach seinem Gutdünken regiert.«

Diese Wechselrede hatte zwischen den vier Männern, halb verdeckt durch die augenscheinliche Scherzhaftigkeit ihrer Worte, eine freundschaftliche Übereinstimmung entstehen lassen. La Boétie erhob sich nun, legte Etienne, der es ihm nachtat, den Arm um die Schultern, blickte lächelnd seine Gäste an, welche ebenfalls aufstanden – Sauveterre etwas langsamer wegen seines lahmen Beines –, und sprach mit perigurdinischem Witz, hinter welchem fast immer eine spöttische oder eine ernste Absicht steckt:

»Messieurs, wenn Ihr Mespech haben wollt, geht es nicht ohne einige Zugeständnisse ab. Es wäre sicherlich zuviel verlangt von Euch, wenn Ihr Anthoine de Noailles eine Spende übergeben solltet zu Ehren der Heiligen Jungfrau, für welche Ihr seit langem besondere Verehrung hegt …«

Siorac lächelte, ohne zu antworten, Sauveterres Miene indes blieb unbewegt.

»Doch vielleicht könntet Ihr Euch entschließen, am kommenden Sonntag zum Hochamt in Sarlat zu erscheinen. Der Herr Generalvikar selbst wird die Messe lesen und nicht verfehlen, Euch zu bemerken.«

»Nun gut«, erwiderte Siorac mit fröhlicher Miene, »wenn Mespech uns gefällt, werden wir ganz gewiß erscheinen.«

Der Leutnant mit seinen Bütteln, gefolgt von den beiden Jeans, war kaum am Burgtor angelangt, da senkte sich schon die Fallbrücke vor ihnen herab. Maligou, gehörig gescholten, doch gleichwohl unendlich erleichtert, ward nach Hause geschickt und die Bewachung der Burg bis zur Versteigerung vier von La Boéties Männern übertragen. Der Kriminalleutnant befürchtete nämlich, Fontenac könnte einen letzten verzweifelten Versuch unternehmen und die Burg abbrennen, was die Baronie ihres Herrensitzes beraubt hätte, so daß von Mespech nur noch die Ländereien geblieben wären, welche niemanden als den mächtigen Nachbarn zum Kauf gereizt hätten.

Nachdem La Boétie sich verabschiedet, inspizierten Siorac und Sauveterre Mespech vom Boden bis zum Keller. Dies geschah an einem Donnerstag. Am Freitag durchstreiften sie die Ländereien nach allen Richtungen. Am Samstag kehrten sie nach Sarlat zurück, wo sie sich vor dem Notario Ricou gegenseitig adoptierten und sich wechselseitig all ihren gegenwärtigen und künftigen Besitz überschrieben. Von diesem Augenblick an wurden die beiden Jeans zu Brüdern – verbunden nicht nur durch die Freundschaft, welche sie sich geschworen, sondern auch kraft des Gesetzes – und zu gegenseitigen Erben, so daß Mespech, wenn sie es erwürben, ihr gemeinsamer unteilbarer Besitz wäre.

Ich habe diese bewegende Urkunde gelesen. Sie ist gänzlich in okzitanischer Sprache abgefaßt, während zu jener Zeit alle amtlichen Schriftstücke bereits in Französisch aufgesetzt zu werden pflegten; doch die Notare waren die letzten, welche sich dieser Regel beugten, da ihre Klienten die Sprache des Nordens oft nicht verstanden.

Als sich nun die Kunde von der Verbrüderung der beiden Hauptleute in Sarlat verbreitete, begann man davon zu sprechen, daß diese beiden wackeren Männer die Burg Mespech dem Fontenac vor der Nase wegschnappen würden, welche Vermutung verstärkt ward, als man die beiden am nächsten Tage beim Hochamt sah. Es ging auch die Rede, daß sie nach der Messe dem Generalvikar Anthoine de Noailles eine Schenkung von fünfhundert tourischen Livres gemacht »für jegliche vormalige Soldaten des Königs, welche alt und verkrüppelt ihr Leben in der Diözese von Sarlat fristeten«.

Als die beiden Hauptleute an jenem Sonntag in Sarlat anlangten, boten sie wahrlich nicht den Anblick von Hasenherzen, die sich leicht ins Bockshorn jagen lassen. Begleitet von ihren drei Soldaten, ritten sie stolz zum Stadttor hinein, alle fünf – ausgenommen Coulondre – mit der Pistole in der Faust, der blanke Degen von der Hand hängend, welche die Zügel führte. So zogen sie durch die Straßen, Siorac und Sauveterre ein Auge auf die Fenster gerichtet, ihre Männer den Blick auf die Passanten. Sie steckten ihre Waffen erst weg, als sie vor dem Hause La Boéties absaßen. Auf das Hufgetrappel hin war der Leutnant aus seinem Hause getreten und kam ihnen entgegen, ein Lächeln auf den Lippen und die Hände ausgestreckt, um den Honoratioren (welche sich, wie es bei schönem Wetter Brauch war, vor der Messe auf dem Platze versammelt hatten) zu zeigen, welche Wertschätzung der königliche Offizier den Neuankömmlingen entgegenbrachte.

Nachdem die Herren Brüder in sein Haus eingetreten, kam Bewegung in die versammelte Menge: die Bürgersleute befragten einander unter vielem Kopfnicken, indes das einfache Volk sich um die fünf feurigen Rösser drängte, deren schweißglänzende Leiber sowie die verzierten Sättel zu bewundern, in deren Taschen schwere Pistolen steckten.

Unter den Bürgern von Sarlat und bei den Schloßadeligen war Fontenac verhaßt wegen seiner abscheulichen Mord- und Gewalttaten, doch unter dem gemeinen Volk genoß er einiges Ansehen, weil er mit dem auf seinen Raubzügen erbeuteten Gelde zuweilen Heiligenprozessionen veranstalten ließ, welche indessen, da Fontenac den reichlich fließenden Wein bezahlte, zu höchst unzüchtigen Ausschweifungen führten, denen La Boétie dann ein Ende setzen mußte. Trotzdem vermeinen manche, man dürfe dem Stadtvolk, welches vom Morgen bis in die Nacht für ein paar armselige Sols arbeiten muß, seine Vorliebe für Heiligenprozessionen nicht verübeln, verlängern selbige doch seine karge Freizeit; die von den Katholiken verehrten zahlreichen Heiligen bescheren ihm im Jahre immerhin mehr als fünfzig Feiertage neben den Sonntagen, aus welchem Grunde es auch immer leicht war, das Volk gegen die Anhänger der reformierten Religion aufzubringen, welche es verdächtigt, ihm die Feiertage zu nehmen, weil sie ja die Heiligen abschaffen wollen.

Obgleich die Sprache des Quercy und der Gascogne sich von der ihren unterschied, wurden die herumstehenden Gaffer bald gewahr, daß unsere Soldaten okzitanisch miteinander sprachen, und so stellten sie, die Rösser streichelnd, die Sättel bestaunend wie auch den eisernen Haken, den Coulondre an der Stelle der linken Hand trug, schier endlose Fragen, auf welche allein Cabusse antwortete, denn als Gascogner besaß er einen aufgeweckten Verstand und eine geschickte Zunge.

»Werden Eure Herren Mespech kaufen?«

»Wir haben keine Herren. Die beiden Brüder sind unsere Hauptleute.«

»Werden Eure Hauptleute die Baronie kaufen?«

»Solches ist gut möglich.«

»Haben sie denn genug Geld dafür?«

»Ich habe nicht nachgesehen in ihren Truhen.«

»Es wird gesagt, der Baron de Fontenac habe fünfzehntausend tourische Livres.«

»Gott erhalte sie ihm.«

»Haben Eure Hauptleute mehr?«

»Da müßt ihr sie selbst fragen.«

»Man sagt, wenn Eure Hauptleute Mespech kaufen, wird Monsieur de Fontenac diesen Schimpf nicht verdauen.«

»Gott schenke ihm eine gute Verdauung.«

»Ihr schwört bei Gott. Schwört Ihr auch bei den Heiligen?«

»Ei gewiß! Beim Heiligen der Maulaffen!«

»Welcher Religion seid Ihr?«

»Derselben wie ihr.«

»Es geht die Rede, Eure Hauptleute hingen dem verdammlichen Ketzertum an.«

»Solches können nur Dummköpfe behaupten.«

Nach diesen Worten richtete Cabusse sich auf und rief mit donnernder Stimme:

»Ihr lieben Leute, lasset unsere Gäule in Frieden und nehmet eure Hände von den Sätteln!«

Und so groß ist der Respekt vor einer hochgewachsenen Gestalt und einer Donnerstimme, daß die Menge sofort gehorchte.

Sobald sich die Haustür hinter den Gästen von Monsieur de La Boétie geschlossen, kam der Kriminalleutnant sogleich zur Sache.

»Messieurs«, so hub er an, »ich habe von einem Zuträger erfahren, daß Fontenac Euch heute nacht in Taniès zu überrumpeln gedenkt. Wenn Ihr es wünscht, könnt Ihr mit Euren Männern die heutige Nacht und die Zeit bis zur Versteigerung in meinem Landhaus verbringen.«

»Ich danke Euch sehr für Euer edeles Angebot, Monsieur de La Boétie«, erwiderte Siorac, »doch kann ich es nicht annehmen. Wenn Fontenac uns nicht in Taniès fände, würde er womöglich gemeine Rache an meinem Oheim, meinen beiden Vettern und den armen Dorfleuten nehmen!«