Von Ulrich Offenberg

PIRATEN

Freibeuter der Weltmeere

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© Verlag KOMPLETT-MEDIA GmbH

2012, München / Grünwald

www.der-wissens-verlag.de

Satz: Schulz Bild & Text, Mainz

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Inhaltsverzeichnis

Piraten – Raubritter des Meeres

Die Vitalienbrüder

Die Barbaresken

Murat Rais

Die Piraten der Karibik

Das Holzbein

John Hawkins

Sir Francis Drake

Piet Heyn

Sir Christopher Myngs

Bartolomeo el Portugues und Rock Braziliano

Sir Henry Morgan

Jean L’ Olonnais

Thomas Tew

Henry Every

Blackbeard – eine Legende

William Kidd

Edward England

Kanhoji Angria

Stede Bonnet

Anna Bonny und Mary Reade

Lowther und Low

Bartholomew Roberts

Robert Surcouf

Benito de Soto

Jean Laffite & Charles Gibbs

Unter dem Jolly Roger

Piratennester

Das Piratenleben

Die Waffen der Piraten

Das Ende einer Ära

Das Vermächtnis der Piraten

Piraten – Raubritter des Meeres

Ruhig durchpflügte die spanische Galeone „Santa Maria de lá Cruz“ das azurgrüne Wasser der karibischen See. Vor zwei Tagen hatte das Schiff den Hafen von Vera Cruz mit Kurs auf Havanna verlassen. Spanische Soldaten hatten die Beladung des Schiffes im mexikanischen Vera Cruz mit Argusaugen bewacht: Gold und Silber aus den Minen des kürzlich von Pizarro eroberten Peru, geschürft von versklavten Indios. Kisten voller Edelsteine aus Kolumbien. Auch an ihnen klebte das Blut der ausgebeuteten Bevölkerung. Der Schatz war in einer eskortierten Karawane von Hunderten Eseln und Maultieren vom südamerikanischen Hochland an die mexikanische Küste transportiert worden. Kapitän „Juan d’ Estaban“, ein erfahrener Seemann, hatte Order, sich in Havanna der spanischen Schatzflotte anzuschließen, die, wie in jedem Frühjahr, die Passatwinde im Rücken Cadiz ansteuern sollte. Seit die Galeone in Vera Cruz den Anker gelichtet hatte, wehte ein frischer Südwestwind. In drei Tagen, so schätzte der Kapitän, würden sie in den Hafen von Havanna einlaufen.

Doch es sollte alles anders kommen. Kurz vor Sonnenuntergang hörte man plötzlich einen schrillen Ausruf vom Ausguck am Großmast. „Schiff in Sicht!“ Die Mannschaft, die gerade Routinearbeiten an Deck verrichtete, war elektrisiert. Angestrengt starrten die Männer in die Richtung, in die der Späher deutete. Hastig eilte nun auch Kapitän d’Estaban aus seiner Kabine an Deck, beobachtete mit steigender Erregung durch das Fernglas das fremde Schiff.

Tatsächlich näherte sich rasch von Südost ein Dreimast Schnellsegler, hielt direkt auf die Galeone zu.

Die Besatzungsmitglieder bekreuzigten sich, als sie die Flagge an Bord des Schiffes erkannten. Andere falteten die Hände zum stummen Gebet. Es war der gefürchtete „Jolly Roger“, die Fahne der Piraten, der Freibeuter der Meere. Ein grinsender Totenkopf mit gekreuzten Knochen auf schwarzem Grund.

Das Gesicht des spanischen Kapitäns war aschfahl, als er mit heiserer Stimme befahl, Waffen an die Mannschaft auszugeben. Schon hatte sich der fremde Segler auf Kanonen-Schussweite genähert, feuerte eine schwere Breitseite auf die Spanier ab. Krachend stürzte der Hauptmast der Galeone auf Deck, die Spanier waren schlagartig manövrierunfähig geworden. In Panik rannten die Matrosen nach Bug und Achtern. Aber schon schwangen sich die schwer bewaffneten Piraten, die nun mit ihrem Schiff Seite an Seite mit der Galeone lagen, mit markerschütternden Kampfschreien auf das Deck der Spanier. Sie waren abenteuerlich bunt gekleidet, ihre Gesichter vor Mordlust verzerrt. Bedrohlich schwangen sie ihre gefürchteten Enterhaken, viele trugen an ihrem Gürtel lange Säbel und eine Pistole. Nur der Piratenkapitän, der vom Heck seines Schiffes gebieterisch Befehle brüllte, bevor er selbst mit einem gewaltigen Satz an Deck der Galeone sprang, hatte zwei Pistolen im Gürtel stecken. Sein struppiger schwarzer Bart reichte fast bis zu den Knien.

„Blackbeard,“ flüsterten die Spanier voller Entsetzen und das Raunen pflanzte sich in Sekundenschnelle fort. Die wilde Erscheinung schien die spanischen Verteidiger zu lähmen. Sie waren im Begriff, Opfer des gefürchtetsten Piraten der Karibik zu werden. „Blackbeard“, ein Freibeuter, der für seinen Hass auf alles Spanische bekannt war und für gewöhnlich keine Gefangenen machte.

Das Gefecht war kurz und heftig. Wie wilde Tiere stürzten sich die Piraten auf die eingeschüchterte spanischen Seeleute, erbarmungslos schlugen sie mit ihren Enterhaken um sich, stachen mit ihren Messern auf alles ein, was sich ihnen in den Weg stellte. D’Esteban, selbst stark blutend, erkannte die Ausweglosigkeit des Widerstandes und kapitulierte vor der Übermacht. Das rettete ihm aber nicht das Leben. Ohne Vorwarnung hieb ihm „Blackbeard“ eigenhändig den Kopf ab, der der Mannschaft vor die Füße rollte und mit seinen weit aufgerissenen Augen einen furchterregenden Anblick bot.

Das Begleitkommando von sechs Soldaten ließ er mitleidlos aufknüpfen, die spanischen Matrosen hingegen verschonte der gefürchtete Pirat. Wer sich ihm anschließen wollte, war willkommen. Die letzten Kaperfahrten hatten Opfer unter den Piraten gefordert. Die, die sich widersetzten, es waren mit dem Steuermann sieben Spanier, wurden mit ein wenig Proviant und Wasser in einem Beiboot ausgesetzt. Die Prise im Wert von über 100.000 britischen Pfund – soviel brachten Monate später auf Jamaika das Gold, Silber und die Edelsteine – wurde in den Frachtraum des Piratenschiffes umgeladen. Bevor die Freibeuter von Bord der Galeone gingen, setzten sie das Schiff in Brand. Es war durch seine Schwerfälligkeit für sie nutzlos.

Die Sonne war bereits untergegangen, als das brennende Boot mit den gehängten spanischen Soldaten an Fock, Groß- und Besammast wie eine gigantische, gespenstische Fackel in den jetzt dunklen Fluten des Meeres versank.

Wieder einmal hatte der gefürchtete Pirat „Blackbeard“ seinen Todfeinden, den Spaniern, einen empfindlichen Schlag versetzt.

Solche und ähnliche Szenen spielten sich in der Karibik im 16. und 17. Jahrhundert regelmäßig ab. Piraten aus allen Seefahrernationen, oft mit Kaperbriefen ihrer Regierungen ausgestattet, machten Jagd auf spanische Schiffe und ihre wertvollen Ladungen. Einige Männer wurden berühmt und steinreich, die meisten aber endeten am Galgen – die gängige Strafe für Seeräuberei. Aber noch heute werden ihre Taten verherrlicht und in Hollywood verfilmt. Sie gelten als kühne Freibeuter, die sich ihre eigenen Gesetze schufen und weder Tod noch Teufel fürchteten.

Wenn auch mittlerweile in der Karibik der „Jolly Roger“ schon lange nicht mehr gehisst wird, so ist die Piraterie nicht ausgestorben. Vor Somalia und vor den Küsten Südostasiens sind Überfälle auf Privatjachten und Handelsschiffe an der Tagesordnung. Die Piraten gehen mit der gleichen Brutalität vor, wie einst ein Henry Morgan oder ein Blackbeard. Der Hauch von Romantik und Abenteuer, wird ihnen versagt bleiben. Sie gelten, völlig zu recht, nur als skrupellose Räuber und Erpresser.

Die Vitalienbrüder

Um Klaus Störtebeker, den im deutschen Sprachraum wohl bekanntesten Seeräuber, ranken sich zahlreiche Legenden. Die populärste von ihnen ist wahrscheinlich die seiner Hinrichtung: Ihr zufolge bedauerte der Seeräuber, dass seine Kumpane seinetwegen geköpft werden sollten. Er bat daher darum, ihn zuerst zu enthaupten, und alle seine Genossen, an denen er ohne Kopf noch vorbei laufen könnte, zu begnadigen. Die Richter kamen seiner Bitte nach, und wirklich soll sich Störtebeker nach seiner Enthauptung noch einmal aufgerichtet haben und los gelaufen sein. Doch als er den fünften Piraten passiert hatte, soll ihm der Scharfrichter einen Holzklotz vor die Füße geworfen haben – Störtebeker stürzte.

Bis zu seiner Hinrichtung 1401 gehörte Störtebeker zu den Seeräuberbanden, die rund fünfzig Jahre lang die Schifffahrt im Nord- und Ostseeraum terrorisierten. Nach den Wikingern, die bereits sechs Jahrhunderte zuvor mit ihren Drachenbooten dieses Gebiet unsicher gemacht hatten und plündernd und brandschatzend über Land und Meer gezogen waren, fällt diese zweite Hochzeit der Seeräuberei auf die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert. Deshalb schlossen Lübeck und Hamburg einen Vertrag zur Bekämpfung von Seeräubern, die an den Mündungen der größten deutschen Flüsse lauerten. In den Jahren zuvor hatten sich viele Seeleute zusammen getan, die es irgendwann leid waren, innerhalb oder außerhalb der protektionistischen Handelsorganisationen zu kämpfen. Sie beschlossen, ihr Glück als Piraten zu versuchen.

Aus nicht restlos bekannten Gründen wurden sie „Vitalienbrüder“ genannt, vermutlich weil sie als Blockadebrecher vor ihrer Piratenzeit das von den Dänen belagerte Stockholm mit „Viktualien“, also Lebensmitteln, versorgten. Ihre Anführer waren Klaus Störtebeker und Godeke Michels. Als frühere Hansefahrer waren sie mit den Routen der schweren Handelsschiffe bestens vertraut und verbreiteten viele Jahre hindurch Angst und Schrecken.

Der Zusammenschluss der zwei bedeutendsten Hansestädte im Kampf gegen die „Vitalienbrüder“ brach den Piraten das Genick. Störtebeker hatte im Sommer 1400 Helgoland zu seiner Operationsbasis gemacht. Im August desselben Jahres legte eine Hamburger Flotte unter Führung der Ratsherren Hermann Lange und Nikolaus Schoke in Richtung der Hochsee-Insel ab. Die Hamburger überwältigten die Piraten, töteten 40 von ihnen und machten 70 Gefangene, darunter auch Klaus Störtebeker. Mindestens 30 von ihnen wurden öffentlich hingerichtet, ihre Köpfe zur Abschreckung auf Spieße gesteckt und am Elbufer zur Schau gestellt.

Godeke Michels war im Frühjahr 1401 nach Ostfriesland zurückgekehrt und wurde von den Hamburgern auf der Weser mit einem Teil seiner Mannschaft überwältigt. Einigen Seeräubern gelang es, auf einer zuvor von Michels gekaperten Kogge in die Jade zu flüchten, aber auch sie wurden schließlich gefangen genommen. Die Hinrichtung Michels und seiner Leute fand vermutlich zu Beginn des Jahres 1402 statt.

Mit Godeke Michels war der wahrscheinlich bedeutendste, mit Störtebeker der heute bekannteste deutsche Pirat hingerichtet worden. Die „Vitalienbrüder“ aber waren noch nicht zerschlagen, sondern gefährdeten bis 1435, als die Zerstörung ihres letzten Stützpunktes gelang, weiterhin die Schifffahrt in der Nordsee.

Die Barbaresken

Seit dem 15. Jahrhundert siedelte an der nordafrikanischen Mittelmeerküste – in den so genannten „Barbareskenstaaten“ – eine Gruppe von Korsaren, die als „Barbaresken“ bekannt wurden. Jahrhundertelang überfielen ihre langen, schnittigen Galeeren Schiffe und Küstensiedlungen im Mittelmeerraum von Gibraltar bis zum Heiligen Land. Der Ruf ihrer Grausamkeit war legendär. Bei diesen Männern handelte es sich nicht um einfache Piraten, sie standen vielmehr im Dienst des Osmanischen Reiches. Dabei kombinierten sie die kriegerischen Aktivitäten für ihren muslimischen Oberherrn mit Piratenüberfällen.