image

Volker Rühle

ABENTEUER EINES SKIPPERS

image

Volker Rühle

ABENTEUER EINES SKIPPERS

Segelerlebnisse auf Nord- und Ostsee

Ein Gesamtverzeichnis der lieferbaren Titel schicken wir Ihnen gerne zu. Bitte senden Sie eine E-Mail mit Ihrer Adresse an: vertrieb@koehler-books.de Sie finden uns auch im Internet unter: www.koehler-books.de

INHALT

image

1. EIN SCHIFF MUSS WIEDER HER!

Ein Traum nimmt Gestalt an

Der Bootsbauer des Vertrauens

Erste Schwimmversuche im Ysselmeer

2. DIE ÜBERFÜHRUNG

Nach Vlieland

Kurs Heimat

3. HELGOLAND, SYLT, LIMFJORD

Kleiner Fehler, schlimme Folgen

Sylt

Limfjord

Lemvig

Von Nykøbing nach Alborg

Hals und Anholt

Nach Ebeltoft

Kurs Kopenhagen

Kyrkbacken

Rødvig und Klintholm

Wieder in der Heimat

4. RUND SKAGEN

Vertraute Gestade

Sturmsegeln Richtung Sylt

Hvide Sande

In den Skagerrak

Westliche dänische Südsee

GLOSSAR

1

EIN SCHIFF
   MUSS WIEDER
HER!

Die Entscheidung, nach vielen Jahren der Abstinenz wieder ein Segelschiff anzuschaffen, fiel sozusagen aus heiterem Himmel und – man kann es kaum glauben – ohne, dass wir vorher auch nur ein einziges Mal ernsthaft darüber gesprochen hatten.

Wir wohnten bereits seit elf Jahren wieder in Süddeutschland, als wir im Sommer 1994 von Geschäftsfreunden zu einer Motorbootfahrt auf dem Oberrhein eingeladen wurden. Es muss wohl auch an der ausgezeichneten Stimmung und dem angenehmen Ambiente gelegen haben, dass diese Bootsfahrt unser bisheriges Leben in erheblichem Maße verändern sollte. In Wirklichkeit aber wird wohl unsere geheime Sehnsucht den Ausschlag für unsere Entscheidung gegeben haben und es hatte nur noch des Auslösers dafür bedurft.

Seit vielen Jahren hatten wir kein eigenes Boot mehr. Von sporadischen Chartertörns im Mittelmeer und zwei Jahren, allerdings relativ intensiver, Segelei auf dem Bodensee abgesehen, waren wir dem Segeln mittlerweile erheblich entwöhnt. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich das Kapitel »Seesegeln auf eigenem Kiel« für mich bereits endgültig abgeschlossen. 15 Kilometer südlich von Ulm wohnten wir schlichtweg auf dem falschen Breitengrad! Wie sollte das gehen, bei mehr als achthundert Kilometern bis zur Ostsee und mehr als sechshundert Kilometern bis zu einem akzeptablen Hafen im Mittelmeer?

Wir hatten uns auf besagter Motorbootfahrt für eine Weile auf das Oberdeck zurückgezogen und genossen die wunderschöne Aussicht auf den Kaiserstuhl, als uns das Thema »Segelschiff« aus heiterem Himmel ansprang. Um zu der endgültigen Entscheidung zu gelangen, trotz aller widriger Umstände wieder ein Segelschiff anzuschaffen, bedurfte es dann letztendlich aber höchstens einer viertel Stunde. Es muss sowohl bei Ine, meiner Frau, als auch bei mir der geheime Wunsch nach einem Leben wie in alten Tagen latent vorhanden gewesen sein. Sonst hätte man solch eine Entscheidung wohl nicht so ad hoc treffen können. Als wir vom Oberdeck zurück zu unseren Freunden auf das Achterdeck herabstiegen, war die Frage des »Ob« jedenfalls geklärt. Es ging nur noch um die Frage des »Wie«.

Nach Hause zurückgekehrt, ließ uns das Thema nicht mehr los! Nach über zehn Jahren Abstinenz musste ich mir in erster Linie, und zwar möglichst schnell, das nötige Fachwissen wieder aneignen. Ich las alles an Büchern, was mir unter die Finger kam. Fachzeitschriften wurden abonniert und Kontakte zu Seglern gesucht, um »Necktar zu saugen«. Parallel dazu mussten wir uns klar werden, was wir überhaupt wollten. Wir dachten zunächst an einen Motorsegler. Unklar waren Dinge wie: Größe, Slup oder Ketsch, gebraucht oder neu, welches Revier und viele Dinge mehr.

Ein Traum nimmt Gestalt an

Die Wahrheit ist aber auch, dass eine sehr schöne Zeit begann. Ich vergrub mich in meinem Arbeitszimmer und studierte den Gebrauchtbootemarkt, legte Listen mit den verschiedensten Kriterien in meinem PC an und versuchte mit allen Mitteln, mein Defizit an Sachkenntnis, das in den letzten Jahren entstanden war wieder auszugleichen. Von Haus aus bin ich kein besonders schneller Leser. Ich lese selbst bei normaler Unterhaltungslektüre häufig ganze Passagen sogar zwei Mal, wenn ich feststelle, dass ich in Gedanken abgeschweift bin und den Inhalt nicht »verinnerlicht« habe. Das war für meine veränderten Ansprüche nicht mehr effektiv genug. Ich lernte, sehr schnell und »diagonal« zu lesen, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele neue Erkenntnisse zu erwerben. Keine Frage, dass ich Vieles aus meiner aktiven Zeit noch wusste und nur auffrischen musste. Es stellte sich bei mir schnell die Erkenntnis ein, dass sich zwischenzeitlich im Bootsbau einiges verändert hatte. Viel zu viele der angebotenen Bootstypen kannte ich überhaupt nicht.

Ich musste aufpassen, dass ich mir nicht zu viel vornahm, denn ein »Zehnjahresplan« sollte unsere Bootsanschaffung nicht werden. Wir hatten für die Terminplanung mittlerweile relativ konkrete Vorstellungen: Zu Ostern 1996, also nach eineinhalb Jahren, sollte unser Schiff im Wasser liegen. Das Revier war noch offen, aber wir beide konnten unsere Herkunft bei der Bewertung der Möglichkeiten nicht verleugnen. Und so wurde es immer konkreter, dass wir uns, zumindest zu Beginn unseres neuen Abenteuers, wohl eher in der Ostsee aufhalten wollten.

In unseren vielen abendlichen Diskussionen wurde es immer deutlicher, dass wir uns gedanklich mehr und mehr von einem Gebrauchtboot entfernten. Das hatte leider die natürliche Folge, dass wir unseren ursprünglich angepeilten Etat in keiner Weise würden einhalten können. Aber wir hatten angefangen uns in Gedanken unser Traumschiff zu bauen, mit dem wir uns sogar die Option für eine Weltumsegelung offen halten wollten. Auf jeden Fall sollte es unseren Ansprüchen für ausgedehnte Reisen genügen.

Im Zuge dieser Träume wurde immer klarer, dass unser Schiff eine reine Segelyacht sein musste – hatten wir doch zu lange »abstinent« gelebt, also ohne eigenes Schiff, um uns etwa auf den Kompromiss eines Motorseglers (in zunehmenden Alter sicher vernünftig, da es eine weniger große sportliche Herausforderung darstellt) einzulassen.

Die gedankliche Verabschiedung von meiner geträumten so richtig schiffigen Ketsch fiel mir dann schon wesentlich schwerer. Ine hatte sich diesbezüglich nicht so festgelegt. Aber mein Traum-Schiffstyp war nun mal eine Ketsch, und kuttergetakelt sollte sie sein. Es wurde dann eine Slup. Aber mit einem Deckslayout so richtig nach meinem Geschmack. Aber soweit sind wir noch nicht. Der Reihe nach!

Unseren Sommerurlaub verlebten wir in einer einsamen Bucht auf Korsika. Ein wunderschönes Fleckchen Erde, dessen Wirkung auf mich nur unter dem Nachteil litt, dass wir diese Idylle nicht von See aus erobert hatten. Plötzlich konnte ich mich nicht mehr mit den Badegästen um mich herum identifizieren. Ich hatte mich innerlich bereits in das Lager der Segler begeben, deren Traumschiffe fast täglich die Bucht ansteuerten. Die Lektüre meiner Bücher unterbrach ich gerne, wenn wieder einer dieser wunderschönen Träume weit draußen in der Bucht vor Anker ging. Falls der letzte »Kick« für die Entscheidung bisher noch nicht gefallen gewesen sein sollte, so wurde mir mit jedem Tag unseres Aufenthaltes mehr klar, dass ich aus dieser Bucht als zukünftiger Schiffseigner abreisen würde.

Der Bootsbauer des Vertrauens

Bis zum Herbst 1994 war nicht klar, welche Werft unser Schiff bauen sollte. Unsere Unsicherheit war beträchtlich und sie wurde größer statt kleiner. Die Erlösung überraschte uns dann aber bereits auf der ersten Bootsmesse, die wir als angehende Schiffseigner besuchten. Auch wenn wir uns nicht definitiv und sofort entschieden, so schaffte dieser Messebesuch doch annähernd die herbeigesehnte Klarheit.

Mit müden Beinen und etwas enttäuscht, dass selbst unter einem solch großen Angebot »unser« Schiff anscheinend nicht zu finden war, strebten wir bereits wieder dem Ausgang zu. Wir waren bepackt mit Unterlagen jeder Art und trösteten uns bereits mit der Möglichkeit eines erneuten Messebesuches ein paar Monate später. Mir war die Enttäuschung wohl anzusehen, als Ine meinte:

»Lass’ uns morgen nochmal probieren. Wir haben bestimmt eine Halle übersehen!«

Wir mussten am nächsten Tag nicht wiederkommen. Als ungeübte Messebesucher hatten wir eine Halle in der Tat bisher ausgelassen und spazierten gerade mitten durch sie hindurch. Und, was soll ich sagen, gleich beim ersten Anblick hatten wir den Eindruck, dass wir unser Schiff gefunden haben könnten. Wir erklommen erwartungsvoll die Stufen bis auf Deckshöhe. Die Zeit war fortgeschritten und die Besucher verließen bereits wieder die Ausstellung, daher mussten wir nicht warten. Schuhe aus, Puschen an und nichts wie rauf auf die Contest 43 von Conyplex.

An eine Contest hatten wir bei allen unseren Überlegungen niemals gedacht. Wir hatten sie geradezu ausgeklammert. Unsere Meinung über diese Werft rührte aus der Zeit von vor fast 15 Jahren, als wir mit unserer Phantom 30 auf dem Ysselmeer segelten. Wir hatten Bekannte, die seinerzeit eine 32-Fuß-Contest segelten. Wir empfanden sie als »Bakelit-Dampfer« gegenüber der Hallberg-Rassy 352 unserer holländischen Freunde. So kann man sich täuschen! Conyplex hatte zweifelsfrei zwischenzeitlich seine gesamte Konzeption geändert: vom unauffälligen Gebrauchsschiff zum soliden Edelschiff, wobei die Preisklasse in etwa derer von Hallberg-Rassy, Najad oder auch Malö entspricht.

Unsere wesentlichsten Kriterien wurden samt und sonders erfüllt, das sahen wir auf den ersten Blick: Mittelcockpit, ästhetische Rumpfform, Anordnung der Pantry, zwei Bäder – davon eines mit getrennter Dusche – und vor allem eine geräumige Achterkajüte. Auch, dass es keine Deckshaus-Version war, war ein Kriterium für uns. Jeder hat so seine eigene Geschmacksrichtung; wir sind in Sachen Segelschiff offensichtlich stockkonservativ. Von dem Flügelkiel, zum Beispiel, wollten wir zunächst gar nichts wissen.

Als wir nach einer ausführlichen Besichtigung und einer gemeinsamen Tasse Kaffee mit dem Werftbesitzer den Messestand verließen, wussten wir, dass wir unser Schiff gefunden hatten. Die Konzeption entsprach exakt unseren Vorstellungen. Vor der endgültigen Entscheidung wollten wir aber in jedem Fall noch die Segeleigenschaften testen, insbesondere das Handling. Wir wollten sicher sein, dass wir ein Schiff kaufen würden, das von zwei Personen trotz seiner Länge über alles von 13,26 Metern und seiner Breite von vier Metern gut zu segeln sein würde. An die Segeleigenschaften stellte ich die Anforderung, dass die Yacht eine halbwegs vernünftige Höhe laufen konnte. Die Geschwindigkeit war für mich nicht ausschlaggebend. Heute wissen wir, dass unser Schiff zwar keine »Rennziege« ist, aber ab vier Windstärken ganz gut mithalten kann; und das bei immerhin fast 14 Tonnen Leergewicht. Im Klaren waren wir uns auch darüber, dass wir sowohl am Innenausbau als auch am Deckslayout und im technischen Bereich diverse Details nach eigenen Ideen verändern wollten. Das ist bei Conyplex kein Problem. Man berücksichtigt dort gerne Sonderwünsche der Auftraggeber. Für uns war das eine Bedingung für den Kauf. Heute wissen wir, dass das nicht jede Werft akzeptiert.

Nur einige Wochen später am herbstlichen Bußtag desselben Jahres fuhren wir nach Medemblik zu dem vereinbarten Probeschlag. Außer der die Kleider durchdringenden Kälte und den unbequemen handbetriebenen Winschen ist mir hiervon nicht mehr viel in Erinnerung geblieben. Mir fallen aber die Bemühungen ein, uns unbedingt zeigen zu wollen, wie exakt das Schiff auch bei Rückwärtsfahrt auf das Ruder reagiert. Der angekündigte Vollkreis gelang aber weniger gut und uns wurde erklärt, dass man künftig den Drehpunkt des Ruderblattes um einige Zentimeter nach hinten versetzen wollte und damit eine noch bessere Ruderwirkung erreichen würde. Das leuchtete mir ein und ich kann bestätigen, dass sich unser Schiff, wenn man rückwärts in die Box einfährt, sehr genau steuern lässt.

Im Januar 1995 haben wir dann unser Schiff in Auftrag gegeben. Auslieferungstermin: Ostern 1996. Warum so spät? Wir wollten uns ganz bewusst viel Zeit lassen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil wir die Details in aller Ruhe festlegen wollten und uns die Ideen hierfür im Augenblick einfach noch fehlten. Einen Liegeplatz hatten wir auch noch nicht. Im Gegenteil: Ich bemerkte bereits bei meinen ersten Kontaktversuchen, wie schwierig sich die Suche danach noch gestalten würde. Es sollte nämlich unbedingt ein Liegeplatz in der Kieler Förde sein. Erstens wegen der guten Autobahnanbindung und zweitens wegen der guten Ausgangsposition für Segeltörns in jede Richtung.

Bis zum Baubeginn im August 1995 vergingen demzufolge noch viele Monate, was uns aber in keiner Weise beunruhigte. Dagegen entstand unser neues Schiff langsam aber sicher in unseren Köpfen. Die Abstimmungstermine in Medemblik machten uns viel Freude. Sie hatten nur den Nachteil, dass die Yacht teurer und teurer wurde. Uns fielen immer wieder zusätzliche Ausrüstungsgegenstände oder Detailveränderungen ein. Das Ergebnis war dann aber auch ein ganz individuelles Schiff, womit wir den Beweis führten, dass das auch mit einem Serienschiff möglich ist. Dabei möchte ich hervorheben, dass wir von unserem Gesprächspartner ausgesprochen fair behandelt wurden. Niemals hatten wir den Eindruck, dass wir zu etwas überredet werden sollten. Er lenkte uns kompetent und mit viel Diplomatie und Sachverstand durch diese Phase der Planung. Obwohl ihm natürlich klar war, dass hier ein »Endschiff« und daher wohl auch ein Traumschiff im Entstehen war, was auch für ihn verführerisch gewesen sein muss.

Von den drei seitlichen Bullaugen in der Achterkajüte, die wir leider ohne Öffnungsmechanismus bestellt hatten, haben wir später zwei in öffenbare umgetauscht. Das hat dann ungefähr das Dreifache von dem ursprünglichen Aufpreis gekostet …

So entstand in aller Ruhe unsere UTHÖRN IV auf dem Papier. Ein solides und ästhetisch ansprechendes Fahrtenschiff der sportlich eleganten Art. Eine Ketsch ist es nicht geworden, umso mehr Wert habe ich bei unserer Planung auf das Deckslayout gelegt. Ich wollte ein Segelschiff haben, das nicht nur gut zu handhaben sein, sondern daneben auch noch »schiffig« und ästhetisch aussehen sollte. Der Kenner wird wissen, dass diese beiden Anforderungen nicht leicht in Einklang zu bringen sind.

Ich entschloss mich zu einem Rigg des Herstellers Proctor. Die Nähte des Alumastes sind geschweißt, und er besticht trotz seiner Länge von 18,5 Meter über Deck durch seine ansprechende Schlankheit. Wie der Bootskörper, so wurde auch das Rigg in dunkelblauer Farbe ausgeführt, was uns dazu inspirierte, die Schlankheit des Mastes durch zwei schmale weiße Längsstreifen noch zu betonen. Er verjüngt sich auf den letzten Metern, was eine Trimmfähigkeit über den Achterstagspanner ohne großen Kraftaufwand zulässt. Ich entschloss mich für ein zweites Vorstag. Dieses wurde um ungefähr 1,50 Meter zum Mast hin versetzt und als Kutterstag ausgeführt. Die Kuttertakelung hatte zur Folge, dass wir unser Schiff mit Backstagen ausstatten mussten, was meinem ästhetischen Empfinden und natürlich der Trimmfähigkeit wiederum sehr entgegen kam. Das Rigg hat sich als so stabil erwiesen, dass die Backstagen bei Nutzung des Kuttersegels erst ab sechs Windstärken beansprucht werden. Aber keine Frage, bei Sturmbesegelung sind sie notwendig, und es ist darauf zu achten, dass sie durchgeholt werden.

Das Kutterstag war zunächst nicht als Rollsegel konzipiert. Es war an einem Decksbeschlag mit einem massiven »Pelikanschnabel« befestigt, der es ermöglichte, das Stag problemlos zu spannen oder bei Nichtverwendung auf einfache Weise vom Decksbeschlag zu lösen und an den Mast heranzuziehen, damit es bei einem Wendemanöver der Genua nicht im Wege ist. Das Kutterstag haben wir mittlerweile, zugunsten der Sicherheit aber zu Lasten der Händigkeit beim Wenden, gegen eine Rollfock ausgetauscht.

Lange haben wir uns mit der Frage beschäftigt, ob wir unser Schiff mit einem Roll-Großsegel ausrüsten sollen. Ich halte so ein Stowaway-Segel für eine durchaus vernünftige Einrichtung. Aber dann hätten wir die Idee mit dem schlanken Mast vergessen können. Außerdem störte das von der Optik her gewöhnungsbedürftige Segel mein ästhetisches Empfinden, das sich stark an klassischen Formen orientierte. So entschlossen wir uns zu einem durchgelatteten Groß und rüsteten es mit Lazy-Jacks und einer Patentreff-Einrichtung aus, die es uns ermöglicht, das Großsegel vom Cockpit aus zu reffen. Zum Durchholen der Reffleinen haben wir links und rechts des Niedergangluks kleine Handwinschen montieren lassen. Das hat sich bei vielen Gelegenheiten bestens bewährt. Bei den Rutschern am Mast haben wir nicht gespart und uns für ein kugelgelagertes System entschieden. So richtig zufrieden sind wir aber nicht mit dem Zusammenfallen des Großsegels, wenn wir es einholen. Ich vermute, dass wir ein zu starkes Tuch gewählt haben.

Zweckmäßig sind die sehr langen Führungsschienen auf den Seitendecks, auf denen die Rutscher für die Holepunkte, sowohl für die Genua als auch für das Kuttersegel, laufen. Sie ermöglichen die Veränderung der Holepunkte vom Cockpit aus. Das kommt der Segelstellung durchaus zu Gute. Jedenfalls gibt es keine Entschuldigung dafür, bei ruppigem Wetter das Cockpit nicht verlassen zu wollen und lieber ein killendes Vorsegel in Kauf zu nehmen. Selbst an die Führungsschienen auf den Scheuerbordleisten für die Passatsegel haben wir gedacht. Wir haben das Schiff mit acht Winschen ausrüsten lassen: Zwei großen Elektro-Arbeitswinschen, zwei kleineren Elektrowinschen, die wir hauptsächlich für den Trimm des Großsegels einsetzen, zwei Winschen für die Reffeinrichtung und zwei Winschen am Mast. Letztere waren zunächst nicht geplant. Aber die am Mast werkseitig vorgesehenen Montageplatten haben die Optik doch sehr gestört, und noch während der Übernahme ließ ich diese zwei Winschen zusätzlich montieren. Genutzt werden sie allerdings in der Tat sehr selten.

Statt mit dem standardmäßigen 62-PS-Dieselmotor haben wir unser Schiff mit einem 100-PS-Volvo-Turbo ausrüsten lassen. Und zwar nicht, weil wir aus der UTHÖRN ein »Motorboot mit Hilfsbesegelung« machen wollten, sondern auch diese Entscheidung fiel ausschließlich aus Sicherheitsgründen. Das Schiff ist relativ schwer und wir wussten von unserer » UTHÖRN III« noch sehr gut was es heißt, keine Reserven bei der Motorleistung zu haben. Bereits bei der Überführungsfahrt erlebten wir eine Episode, bei der wir froh waren, dass wir eine kräftige Maschine zur Verfügung hatten.

An Elektronikgeräten ließen wir einbauen, was bei Yachten dieser Größe heute wohl üblich ist: Ein GPS von Philips, ein Radargerät von Furuno, einen Wetterkartenschreiber und die vielen gängigen Anzeigegeräte über dem Niedergang, versorgt von dem Muttergerät im Navigationseck. Ein Flop war unser Kartenplotter. Wir und auch andere haben ihn nie zum Arbeiten bringen können. Wir haben uns nicht lange herumgeärgert und wendeten weiterhin die gute alte Methode des Mitkoppelns von Hand an. Den Kartenplotter verwendeten wir lediglich als Befestigungsmöglichkeit für die Seekarten. Das war natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss.

Mittlerweile haben wir einen elektronischen Kartenplotter nachgerüstet.

Selbstverständlich wurde das Schiff aber von Anfang an mit einem Seefunkgerät ausgestattet. Die Zweckmäßigkeit dieser Verständigungsmöglichkeit konnten wir schon häufig bestätigen, einmal sogar in einem richtigen Notfall. In diesem Zusammenhang finde ich es sehr bedauerlich, dass der Service für diese segensreiche Einrichtung so sehr zurückentwickelt wurde.

Aber »Delta Papa 07« hat diese Lücke mittlerweile mit Erfolg gefüllt.

Die gesamte Ausrüstungspalette wurde bei unseren verschiedenen Besuchen in Medemblik gemeinsam mit unserem Berater festgelegt. Von Süddeutschland nach Holland waren jeweils 780 Kilometer zurückzulegen, was einen gehörigen Zeitaufwand bedeutete. Aber wir haben das gerne getan und die Zeit genossen, in der unser Schiff in unseren Ideen und in der Werft mehr und mehr seine endgültige Form annahm.

Die weiten Entfernungen sowohl zur Werft, als auch später zum Liegeplatz, spielten in unseren Überlegungen von Anfang an eine wesentliche Rolle. Während wir die Fahrten nach Holland nur übergangsweise auf uns nehmen mussten, war es klar, dass unser Segelalltag immer mit weiten Autofahrten verbunden sein würde. Klar war daher auch, dass wir bei unseren zukünftigen Segelwochenenden immer den Freitag würden mit einbeziehen müssen, weil die Entfernung bis an die Ostsee für ein kurzes Wochenende einfach zu groß ist.

Endlich war Baubeginn und es war ein erhebendes Gefühl, als wir zum ersten Mal auf unserem Schiff standen. Es stand im Rohbau in der Montagehalle. Zwar noch in der Standardfarbe weiß, aber immerhin schon mit dem Teakstabdeck versehen. Zunächst erkannte ich mein eigenes Boot gar nicht, weil es auf einem Flügelkiel stand, den wir überhaupt nicht bestellt hatten. Er wurde uns dann nicht berechnet und damit war die Angelegenheit für uns erledigt.

Wir waren offensichtlich keine der typischen Auftraggeber, welche die Werft unter Zeitdruck setzten. Wir hatten keine besondere Eile und den Eindruck, dass dieser Umstand der gesamten Abwicklung ganz dienlich war. Zu Ostern 1996 wollten wir das Schiff übernehmen und das hat dann auch funktioniert. Wegen des außergewöhnlich starken Winters wurde die Sache aber doch noch knapp: Das Ysselmeer war zugefroren und es war lange Zeit nicht möglich, die notwendige Probefahrt zu machen. Selbst als das Eis endlich aufbrach, konnte es nicht gleich losgehen, weil der vorherrschende Nordostwind die Eisschollen in die Bucht vor Medemblik trieb, wo sie sich zeitweise zu regelrechten Eisbergen auftürmten.

Die Übernahme zu Ostern war für uns insofern wichtig, als Ine an die Schulferien gebunden ist und wir die Ferientage für Probefahrten und das erste Eingewöhnen nutzen wollten. Aber gegenüber dem Wettergott hatten wir offensichtlich die schlechteren Karten. Nun, gerade noch rechtzeitig, drehte der Wind auf Südwest und innerhalb von einigen Tagen war die Bucht eisfrei! Uns fiel ein Stein vom Herzen, als der ersehnte Anruf aus Medemblik kam. Eine kalte Angelegenheit wurde es allemal, und wir genossen in den ersten Tagen auf unserem Schiff vor allem die Heizung.

Der Tag der Schiffsauslieferung nahte und mit ihm natürlich auch der Tag der Schiffstaufe. Für uns war die Schiffstaufe eine Selbstverständlichkeit und wir waren umso mehr überrascht, als der Werftbesitzer uns erklärte, dass das vor uns noch kein Eigner gemacht hätte. Ich nehme mal an, dass viele Auftraggeber ihr Schiff erst im Heimathafen, zusammen mit Freunden und vor heimischer Kulisse taufen.

Am Abend vor dem vereinbarten Termin trafen wir in Medemblik ein. Wir nahmen in unserem Hotel Quartier, in dem wir von unseren früheren Besuchen her gut bekannt waren. Ostern war in diesem Jahr recht früh und es wehte eine frische und kalte Brise, die einen Gedanken an eine Schiffsübernahme eigentlich nicht aufkommen ließ. Aber wir ließen uns die Stimmung nicht verderben, suchten unser chinesisches Restaurant auf, nicht weit von unserem Hotel, und bestellten bei der gewohnt freundlichen asiatischen Bedienung unsere übliche Chinesische Reistafel. Dazu gehörte natürlich ein Reisschnaps. Mit dem Standardbier in Holland habe ich so meine Probleme. Ich mag es lieber bitter! Daher ließen wir uns mit einer Flasche Weißwein aus der Pfalz verwöhnen. Auf dem Rückweg ins Hotel kamen uns die Umstände schon gar nicht mehr so unfreundlich vor.

Erste Schwimmversuche im Ysselmeer

Den ersten Anblick unserer schwimmenden Yacht am nächsten Morgen werden wir beide nicht vergessen: Sie erschien uns geradezu unheimlich groß, was sich später zugegebenermaßen relativierte. Auch die Masthöhe erschreckte uns zunächst mehr, als dass sie uns erfreute. Aber schön lag sie da in ihrem Marineblau bei strahlendem Sonnenschein, vertäut mit schneeweißen Festmachern! Unsere Aufregung schlug bald in eine gewisse Beklemmung um, und erst ganz langsam löste sich unsere Anspannung und verkehrte sich in einen unendlichen Besitzerstolz. Endlich hatten wir wieder ein Segelschiff! Und was für eines!

Die Werftmannschaft tat in diesen ersten Minuten das einzig Richtige: Als sie unsere Befangenheit bemerkte, ließ sie uns diese Momente des stillen Glücks ganz für uns allein auskosten. Keine Glückwünsche, keine Erklärungen, nichts. Und so war es richtig! Ine und ich fanden uns irgendwann allein im Salon wieder – und genossen diesen Augenblick. Spätestens jetzt wussten wir, was uns dieses Schiff bedeuten würde.

Eine nette Geste der Werft: Der Salon war mit einem wunderschönen Blumengesteck geschmückt. Unsere holländischen Freunde waren zur Schiffstaufe gekommen, um uns zu unserer neuen UTHÖRN IV zu beglückwünschen und uns mit kleinen Geschenken für das Schiff zu erfreuen. Einer von ihnen ist Ton, ein Freund wie man ihn sich nur wünschen kann und wie er leider immer seltener anzutreffen ist. Er ist Elektroingenieur und er hatte bei der Planung die Aufgabe übernommen, sich um den elektrischen Part zu kümmern. Und das tat er mit der ihm eigenen Gründlichkeit! Ihm haben wir unsere große Stromkapazität an Bord zu verdanken. Acht Batterien mit je 180 Amperestunden und vier verschiedene Stromkreise hatte er uns verordnet. Er selbst segelt seit langem und wusste also aus eigener Erfahrung, wovon er sprach. Diese große Stromkapazität gestattet uns auf unseren Törns eine Unabhängigkeit vom Landstrom von locker vier Tagen, bei uneingeschränktem Bordleben. Verzweifeltes Suchen nach Steckdosen ist uns fremd. Ton ließ es sich auch nicht nehmen, die Schiffsabnahme kritisch zu begleiten. Aber wir mussten beide zugeben, dass hier ein ausgereiftes und qualitativ hochwertiges Segelschiff zur Übergabe bereit lag.

Ine hatte derweil für einen improvisierten Tisch und für die Champagnergläser gesorgt. In meiner Aufregung hatte ich die erste Flasche viel zu früh geöffnet und ich erinnere mich, dass ich nun dastand und krampfhaft versuchte, den Korken wieder reinzudrücken …

So ein Schwachsinn!

Tons lästerliche Bemerkungen klingen mir heute noch in den Ohren. Der Leser möge daraus seine Schlüsse über meine Aufregung während dieser Zeremonie ziehen. Wie gut, dass ich Ine hatte. Sie stand wie ein Fels in der Brandung und zelebrierte, als eine erwartungsvolle Ruhe einkehrte, unsere Schiffstaufe, als ob sie Ähnliches alle Tage zu machen hätte.

Die Champagnergläser waren gefüllt, und während Ine eines davon in der Hand hielt, sprach sie, ohne Zittern in der Stimme, was ich nicht gekonnt hätte, den folgenden Taufspruch:

»Liebe UTHÖRN,
diese persönliche Anrede an Dich, ein Schiff, scheint mir in Deinem speziellen Falle in ganz außerordentlicher Weise angemessen zu sein. Denn schließlich bist Du nicht nur ein Schiff, sondern Du bist etwas ganz Besonderes: Du bist die Erfüllung eines lang gehegten Jugendtraumes, der mit Dir und in Dir seine schönste Gestalt angenommen hat.

Du bist also ein richtiges Traumschiff!